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Auf der A1 in Norddeutschland kommt es im dichten Schneetreiben zu einem Unfall mit mehreren Fahrzeugen, darunter auch LKWs und Tankfahrzeuge. Aufgrund des ausgetretenen Treibstoffes besteht Lebensgefahr und die Autobahn muss völlig gesperrt werden. Es entsteht ein etwa 25 km langer Stau. Nun bilden sich aus Gründen der Treibstoffersparnis vernünftigerweise Heizungs-Gemeinschaften in den wartenden Fahrzeugen. In einem der Fahrzeuge kommt es zu einem schicksalshaften Treffen vierer völlig unterschiedlicher Charaktere. Und hier tritt plötzlich alles Unangenehme, alles Erschütternde und alles Verachtenswerte zutage: die vier - unter ihnen ein gesuchter Mörder - erzählen aus ihren Leben und diese Schicksale sind vorerst unglaubhaft, aber wirklich passiert! Als sich der Stau auflöst, nimmt das Entsetzen nochmals Platz...
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden. Namen, Charaktere, Plätze, sowie Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder auch mit Ereignissen, Lokalen, Produkten, etc. sind des Autors freie Visionen und gänzlich zufällig!
Es ist ein frostiger Freitagnachmittag gegen 17 Uhr im Jänner. Wild rüttelt ein kräftiger Sturm an den auf der dreispurigen Autobahn A1 kurz nach der Anschlussstelle Bramsche langsam in Richtung Norden dahinrollenden Fahrzeugen. Ein unglaublich dichtes und starkes Schneetreiben beeinträchtigt die Sicht enorm. Unterwegs auf der ersten Fahrspur ist auch Lorenz Haller, technischer Verkaufsleiter der Firma Uni-Glass in Bielefeld unterwegs.
Lorenz Haller, 51, ist ein Meter neunzig groß und hält sich durch Sport und gesunde Ernährung fit, was man auch an seiner schlanken Figur erahnen kann. Haller hat noch immer volles, brünettes, links gescheiteltes Haar, das er täglich föhnt. Er ist immer ordentlich rasiert, wenn er Kunden besucht, da hat für ihn ein gepflegtes Aussehen Priorität! Am Wochenende allerdings lässt er seinen Bart wachsen und wenn er durch einen angehängten Feier- mit Fenstertag dann drei Tage hindurch unrasiert herumläuft, ist ihm das auch egal! Haller hat ein volles Gesicht mit breiten, slawischen Backenknochen. Ein dichtes, dunkles Augenbrauenpaar liegt über seinen beinahe unwirklich leuchtenden blauen Augen, die durch seine 3-Dioptrien-Brillengläser Mitmenschen und Umgebung wie forschend betrachten. Über einem energischen Kinn lächelt, wenn er sich mit anderen unterhält, freundlich ein schmaler Mund und manches Mal auch können sich viele seiner Gesprächspartner des Gefühls nicht erwehren, er mache sich über sie lustig! Die Handrücken seiner kräftig wirkenden, nervigen Hände sind stark behaart und diese Hände setzt er beim Sprechen und Erklären wie Werkzeuge ein: keine Sekunde kann er sie stillhalten und muss mit ihnen seine Worte unterstreichen!
Lorenz Haller ist nicht verheiratet. Bis zu seinem 25. Lebensjahr war für ihn nicht sicher, ob er sich mehr dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht verschreiben sollte? Aber dann kam eines Tages doch die für ihn endgültig beruhigende Klarheit durch die Eingangstüre eines indischen Restaurants: nämlich in Gestalt des hünenhaften, blonden Technikers eines seiner Großkunden namens Gernot Welvern: die beiden sahen sich an und im selben Moment hatte es gefunkt! Seit knapp 19 Jahren schon leben die beiden zusammen, es ist eine ehrliche und starke Liebe und Lorenz und Gernot sind in ihren Stammlokalen bei ihresgleichen gerne gesehen!
Lorenz Haller arbeitet seit nunmehr 24 Jahren für die Firma Uni-Glass in Bielefeld. Er trat in das Unternehmen nach seinem HTLAbschluss als Assistenz der Verkaufsleitung ein. Nachdem sich im Laufe der Jahre herausgestellt hatte, dass ihm diese nicht immer unkomplizierte und aufreibende Tätigkeit einfach zu viel wurde, wollte er das Unternehmen verlassen. Die Geschäftsleitung jedoch bot ihm die Position des Verkaufsleiters an, da der aktuell tätige Chef Hallers in Frührente gehen wollte. Haller nahm an, macht seinen Job gut, allerdings ist er trotz weiterhin zufriedenstellenden Verkäufen unglücklich: er ist zu der Überzeugung gelangt, dass er im Grunde gar kein Verkäufer war! Mehr Erfüllung hätte er in einem technischen Entwicklungs-Job. Also, in solch einem Unternehmen, in welchem er selbst seine kreativen Entwicklungen vorschlagen und dafür sicherlich auch entsprechend belohnt werden würde! Ein kleines, angeborenes Problem jedoch hat Lorenz: sein allzu nettes, immer freundliches Wesen wird leider nur allzu oft sowohl von seinen Kollegen als auch von dem einen oder anderen Kunden zu Hallers Nachteil schamlos ausgenutzt!
Haller war auf seiner Verkaufstour insgesamt vier Tage unterwegs gewesen, bringt zwar wie meistens ein ausgezeichnetes Verkaufsergebnis mit nach Hause, aber nun spürt er deutlich seine Abgespanntheit: alle paar Minuten muss er kräftig gähnen und ein leichtes Ziehen im Kopf stört ihn! Er weiß, dass er mit seiner angestrengten Tätigkeit, die ja zu 90 Prozent in Büros abläuft, einfach zu wenig Sauerstoff bekommt! Und mit Gernot, seinem Partner, komme sie beide auch nicht gerade viel außer Haus: sind sie doch geborene Couch-Potatoes: also, Spazieren, Wandern, etc., das sind Freizeitaktivitäten, die bei ihnen nicht gerade hoch im Kurs stehen! Und nicht nur physisch, auch psychisch fühlt er, dass ihm das kommende Wochende als erholsame Ausspannphase gerade richtig kommen wird!
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Soeben wird auf dem eingestellten Sender die in mittlerer Lautstärke dahinplätschernde 5-Uhr-Tee-Musik mit dem Signet für Verkehrsdurchsagen unterbrochen:
Achtung Autofahrer! Auf der A1 ist es kurz vor der Anschlussstelle Holdorf zu einer Massenkarambolage gekommen. Mehrere Fahrzeuge sind beteiligt, auch zwei Tanklaster. Da große Explosionsgefahr besteht, musste die Autobahn total gesperrt werden! Die Auffahrt bei Bramsche wurde bereits gesperrt! Stellen Sie sich bitte auf eine längere Wartezeit ein! Wir werden Sie über den Stand der Dinge laufend informieren!“
Lorenz schließt kurz die Augen und atmet einmal tief ein und aus! Wenn die Kolonne schon jetzt so langsam unterwegs ist, dann kann das ja ein Mega-Stau werden! Bis zu der genannten Ausfahrt sind es noch etwa 35 Kilometer! Das auch noch! sagt er leise zu sich Aber es wird egal sein, wo ich schlafe, oder? Da kann ich ebenso auch hier pennen! Also: Gute Nacht, Lorenz!
Über die Freisprechanlage ruft er zu Hause an. Gernot hebt ab und Lorenz erklärt ihm die Situation:
„Hallo, Junge! Ich glaube, mich hat´s eben erwischt auf der A1, kurz nach Bramsche: ich werde gleich in einem endlosen Stau stecken! Also, das Maximalste, was du zum Essen vorbereiten kannst, ist ein kalter Aufschnitt, ok?“
„Ich prüfe das natürlich nach, Lorenz!“ scherzt Gernot „Könnte ja sein, dass du einen süßen Knaben kennengelernt hast und jetzt diesen Stau vorschützt?“
Lorenz muss lächeln! Das ist eben sein Gernot: ihn kann praktisch nichts erschüttern! Er ist ein ausgesprochen geduldiger, ruhiger Kerl und wieder muss Lorenz seinem Schicksal danken, dass es ihm solch einen wunderbaren Partner beschert hatte! Sie blödeln noch eine Weile herum, dann legt Lorenz auf. Er drückt den Knopf für die elektrisch zu betätigende Rückenlehne des Fahrersitzes und schnappt sich das auf der Rückbank liegende, gestickte Polster. Nun legt er sich bequem seitlich hin, verschränkt die Arme und schließt die Augen. Dieser blöde Kopfschmerz, denkt er, wird durch ein gutes Nickerchen hoffentlich aufhören! Es dauert keine 15 Sekunden und Lorenz schläft tief und fest den Schlaf des Gerechten!
Er weiß nicht, wie lange er so ruhen konnte, da wird an der Seitenscheibe der Fahrertüre heftig geklopft:
„Hey!“ ruft ein vor dem Fenster stehender Mann im hochgeschlagenen Jackenkragen und deutet Haller an, die Scheibe herunterzulassen. Haller setzt sich auf, betätigt den Fensterheber und fragt eher unfreundlich in die eisige Kälte hinüber:
„Ja, bitte? Gibt´s vielleicht irgendein Problem?“
Der Mann im Alter von ca. 60 Jahren hat sich nun heruntergebeugt, reibt seine unbehandschuhten Hände aneinander und ruft:
„Hören Sie, die haben eben im Radio durchgesagt, dass es da vorne…“ er deutet mit dem Daumen in Fahrtrichtung „…also noch kurz vor Holdorf, einen schweren LKW-Unfall gegeben hat und der Stau sich sicherlich nicht vor vier bis fünf Stunden auflösen wird!“
Haller zuckt mit den Schultern und meint:
„Ist doch ein Mist, wie? Aber, was tun wir? Gar nichts können wir tun, als dazusitzen und abzuwarten, oder?“
Eigentlich möchte Haller die Unterhaltung schnellstens beenden, denn die hereinströmende Kälte macht sich im Wageninneren rasch breit! Der Fremde nickt zustimmend und ruft durch den eisigen Sturm:
„Aber wissen Sie, die Frage ist ja nur, wieviel Sprit wir alle in unseren Tanks haben? Also, ich in meinem Wagen,“ nun deutet er mit dem Daumen nach hinten „hätte den Tank noch knapp viertelvoll, aber wenn das wirklich so lange dauert, besteht natürlich die Möglichkeit, dass mein Benzin noch vor Freigabe der Straße alle sein wird und was dann?“
„Tja,“ antwortet Haller gedehnt „ich hab da keine Angst, ich habe noch vor meiner Abfahrt von Bielefeld vollgetankt, weil ich bis nach Bremerhaven hinauf muss und möchte eigentlich nicht mehr anhalten!“
Der Mann draußen blickt einige Male nach links und nach rechts, dann legt er seine Hände auf die zu drei Vierteln heruntergelassene Seitenscheibe und meint:
„Hören Sie, Mann! Was halten Sie davon, wenn wir uns ein paar zusammentun, zum Beispiel vier Fahrer, und uns alle für eine gewisse Zeit in einen Wagen setzen. Die anderen Wagen brauchen somit keinen Sprit, dann wechseln wir nach der Reihe die Autos und brauchen somit alle zum Heizen nur einen Bruchteil des Treibstoffes, hey?“
Haller überlegt. Der Mann hat eigentlich Recht! denkt er Das hier ist doch eine wirkliche Ausnahmesituation, oder? Er ist kurz entschlossen, nickt und ruft:
„Gute Idee, Mann, super! Also, stellen Sie Ihren Wagen ab und rein mit Ihnen ins Gemütliche!“
Gleich darauf sitzen sie nebeneinander in Hallers angenehm geheizten Wagen!
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Harald Battenberg, 64, ist ein untersetzter, blonder Typ mit bereits schütterem Haarwuchs. Er wirkt eigentlich auf niemanden besonders sympathisch und viele Entscheidungen, sowohl beruflich als auch privat, setzt er auf eher resolute Art durch. Es ist vielleicht auch seine knarrende Stimme mit unangenehmem Diskant, die - für seine Verhandlungspartner gleich erkennbar - keinen Widerspruch duldet! Der Blick aus seinen meist zusammengekniffenen schwarzen Augen ist stechend und wenn diese Augen einmal groß werden, dann, ja dann ist es für sein Gegenüber von Vorteil, die Besprechung schleunigst zu beenden und diese bis auf weiteres zu verschieben! Battenbergs runder Kopf sitzt auf einem eigentlich nicht vorhandenen Hals und sein schmaler, oft nur wie ein Strich wirkender Mund trägt nicht eben zu einem lockeren und positiven Verhandlungsklima bei! Battenberg ist eher ein Einzelgänger: er hört sich zwar alle Argumente seiner Untergebenen an, nickt zumeist zustimmend und entscheidet danach so, wie er es bereits lange vor dieser Besprechung entschieden hat!
Battenberg ist Diplom-Chemiker und einer der geschäftsführenden Gesellschafter des über den gesamten Globus hin bekannten Chemie-Unternehmens Worldwide Bio Solutions in Osnabrück. Er hat aber auch eine besondere Charaktereigenschaft: er ist schwer cholerisch! Und mit seinen überraschenden Ausbrüchen hat er es sich bereits nicht nur mit einigen Kollegen kräftig verscherzt, sondern auch mit der Mehrzahl seiner Freunde und Bekannten! Und auch einige seiner obersten Vorgesetzten waren aufgrund der einen oder andren Explosion Battenbergs eher doch brüskiert! Aber der Diplom-Chemiker Dr. Harald Battenberg ist nun einmal eine Koryphäe auf seinem Gebiet und der Konkurrenz wollte man ihn keineswegs in den Rachen werfen! Also wurden und werden seine zwar intensiven, aber doch meist nur kurzen Anfälle von seinen Mitarbeitern ertragen und die Konzernleitung braucht sich keine Gedanken zu machen, ob Battenberg bleibt oder nicht: sein Gehalt nämlich ist eines der höchsten in der grundsätzlich schon nicht schlecht zahlenden Branche! Und somit bleibt der Vorstand des Chemie-Labors, Dr. Harald Battenberg, schön an der Leine!
Battenberg lebt seit knapp sechs Jahren alleine. Hella, seine Frau, hatte ihn mit der Begründung verlassen, er liebe seinen Job mehr als sie. Harald konnte das nicht so hinnehmen: er war, wie viele andere beruflich sehr engagierte Ehemänner auch, sicherlich das eine oder andere Mal zu lange abends im Labor geblieben. Aber die Anzahl dieser Abende war kein Grund für einen Ehepartner, sich aus dem Staub zu machen! Harald stellte Nachforschungen an und das Ergebnis war für ihn eigentlich gar nicht so überraschend: Hella pflegte bereits seit längerem ein intimes Verhältnis mit einem anderen Mann, kurioserweise mit einem gewissen Dr. Ehrlich aus Dinklage, Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Harald machte keine langen Geschichten, man trennte sich einvernehmlich und jeder der Eheleute verzichtete auf jedwede Ansprüche. Und wer gedacht hätte, Harald könnte diese Phase seines Lebens als cholerischer Mensch ohne größere Probleme überstehen, täuschte sich gewaltig: Harald verfiel danach nicht nur ein eine tiefe Depression, er begann auch zu trinken. Und er nahm dann immer öfter und regelmäßig die Sitzungen der Anonymen Alkoholiker in Anspruch...
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„Battenberg, Dr. Harald Battenberg, mein Name, Worldwide Bio-Solutions!“ stellt sich Hallers neuer Beifahrer mit unangenehmer, knarrender Stimme vor.
„Haller, Lorenz Haller, Verkaufs-Chef bei Uni-Glass! Auch auf Dienstreise?“
„Richtig!“ bestätigt Battenberg „Nur seit heute Morgen! Und schon wieder auf dem Heimweg zu Muttern nach Oldeslohe! Und jetzt das hier!“ Er schüttelt verzweifelt seinen Kopf, hebt bedauernd die Arme und setzt hinzu: „Und gerade heute Abend habe ich bei mir zu Hause einen Kartenabend mit Freunden vereinbart!“
Haller nickt lächelnd:
„Und? Können Sie Ihre Freunde erreichen?“
„Klar! Besitzt doch heutzutage schon ein jeder ein Mobiltelefon und ich hab alle drei über WhatsApp informiert! Die Frage ist nur, was mache ich mit dem Schinken, mit den Salaten, mit der Sächsischen? Das kann ich doch nicht alles alleine vertilgen, oder?“
Haller verzieht bedauernd sein Gesicht:
„Ja, das tut schon weh, das kann ich verstehen, lieber Mann! Aber wenn Sie ein gutes Verhältnis zu Ihren Nachbarn haben, dann könnten Sie ja…“
„Nix da!“ unterbricht ihn Battenberg rufend „Das sind doch alles total verkomplexte Arschgeigen! Die grüßen nicht, die reden einen nicht an, verstecken sich in ihren Höhlen und sogar an Weihnachten ziehen sie saure Gesichter, wenn sie einen vor dem Haus treffen!“ Er nimmt sich kompliziert ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche, schneuzt sich kurz und fährt fort: „Sie müssen wissen, ich wohne in einer Reihenhaussiedlung, da klebt doch der Eine am Anderen, daher: Privatsphäre praktisch null!“
„Tja,“ fügt Haller nachdenklich hinzu „solche Lebensumstände erfordern eben ein gerüttelt Maß an Toleranz, Geduld und auch an Altruismus!“
Einige Sekunden herrscht Schweigen, dann fragt Battenberg:
„Und was soll das dann sein, Ihr Atrul… Arlut…?“
„Altruismus!“ klärt Haller ihn auf „Das ist die Einstellung, dass man die Belange und das Wohlergehen anderer Menschen für wichtig erachtet!“
„Pfff!“ macht Battenberg mit Kopfschütteln „Das Wohlergehen dieser Idioten soll ich akzeptieren oder gar für wichtig erachten? Hören Sie, guter Mann, da sollten Sie einmal ein paar Tage bei mir wohnen! Danach werden Sie Ihren Allurtis…Atrumus… ach was…“ seine wegwerfende Handbewegung zeigt deutlich sein Desinteresse an dieser ethischen Einstellung „…den werden Sie aber schnell in den Mülleimer tun!“
Haller lächelt verständnisvoll und gibt keine Antwort. Möglicherweise dürfte es gar nicht so angenehm sein, mit diesem Typen zusammen zu leben, oder? Und natürlich weiß der selbst das nicht! Wie die meisten Menschen nicht wissen, ob und wie sie ihren Mitmenschen auf die Nerven gehen!
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Das folgende Schweigen wird durch starkes Klopfen an der Scheibe der Beifahrerseite unterbrochen: draußen kann man im Schneetreiben eine junge Frau erkennen, die sich mit den Armen ihren dünnen Mantel um ihren frierenden Körper presst! Battenberg lässt sein Fenster ein wenig herunter und fragt:
„Nun, liebe Frau? Was soll´s denn sein?“
Die Frau zittert am ganzen Leib, mit ihren verschränkten Händen schließt sie ihren Mantelkragen um den Hals und ruft:
„Sagen Sie, meine Herren, haben Sie vielleicht Platz für mich, solange der Stau noch dauert? Ich steh´ da hinten als zweiter, gleich hinter dem großen grauen Wagen! Ich hab nur mehr wenig Sprit im Tank und wenn der aufgebraucht ist, komm ich ja nicht einmal mehr von der Autobahn runter! Geschweige denn, nach Hause! Aber ohne Heizung im Wagen friere ich mich zu Tode!“
Battenberg blickt kurz hinüber zu Haller, dieser nickt sofort, Battenberg wendet sich wieder der Frau zu und deutet nach rückwärts:
„Na, dann aber rein jetzt, bevor Sie sich noch zu einem Eiszapfen verwandeln!“
Beata Polgar, 37, ist mittelgroß, hat kurz geschnittenes, rötliches Haar mit eingearbeiteten grünen Méchen darin. Ihre Hakennase und die eng zusammenstehenden Augen verleihen ihrem Gesicht ein habichtähnliches Aussehen. Mit ihrem schmalen Mund und den sehr dünnen Lippen wirkt ihr gesamtes Auftreten eher verkniffen, aber das täuscht: Beata ist ein lebenslustiger, leider oft zu lauter Typ, der es auch mehrmals in der Woche in ihrem Stammlokal schon ordentlich krachen lässt! Und dies natürlich mit Unterstützung häufig geleerter Gläser Weines jedweder Qualität!
Beata, geborene Weintzmann, entstammt einer eher einfachen Arbeiterfamilie aus Oldenburg. Nachbarn bezeichnen diese Familie als schwere Proleten ohne Anstand, Gefühl oder Willen zur regelmäßigen Arbeit! Mit 19 Jahren verliebte Beata sich in Reinhold, einen primitiven Amateur-Boxer, der ihr bereits bald nach der Hochzeit mit gezielten Schlägen klar machte, wer im Hause der Herr sei! Und dass Beata überhaupt nur zum Kochen, zum Putzen und für seine sexuellen Vorlieben da zu sein habe! Nach der Geburt ihres ersten Kindes, der süßen Anna, verzichtete Beata gerne auf die rohen Erziehungs-Methoden ihres Ehegatten und ließ sich scheiden. Ihr großes Glück war, dass der schwerst beleidigte und in seiner zweifelhaften Ehre zutiefst gekränkte Faustkämpfer beim Versuch, Beata abfangen und ihr ein paar Erinnerungs-Hiebe verpassen zu wollen, unvorsichtig die Hauptstraße überquerte und unter einen 40-Tonnen-Tankwagen geriet! Damit war Beatas neues Leben um einiges einfacher. Aber ihr vergangenes Leben hat Spuren hinterlassen: Beata arbeitet zwar brav als Hilfsarbeiterin in einer Süßwarenfabrik, ihr Einkommen jedoch reicht eben gerade aus, um sie und ihre Tochter Anna nicht verhungern zu lassen! Beata trinkt von ihren Kneipen-Bekanntschaften zumeist eingeladen - und raucht viel zu viel in ihrem im Erdgeschoß ihres Wohnhauses unten an der Ecke gelegenen Stammlokal, während oben die Kleine unruhig schläft! Ein unangemeldeter Besuch vom Fürsorgeamt hätte unweigerlich die Wegnahme ihrer Tochter nach sich gezogen!
Gleich darauf sitzt die Frau im Fond und reibt sich ihre Hände:
„Das ist aber wirklich nett von Ihnen, meine Herren!“ sagt sie mit noch zitternder Stimme „Ich bin Beata Polgar aus Oldeslohe und werde wieder Probleme mit der Kindergartenleitung haben, wenn ich meine Kleine heute nicht rechtzeitig abhole!“
Die beiden Männer nicken nur und Polgar fährt fort: „Mein Mann hatte ja immer gesagt, vor einer Autobahnreise soll man volltanken, oder?“
Battenberg hat sich halb umgedreht, lacht kurz auf und meint:
„Also, erstens: wieso wieder Probleme mit dem Kindergarten und zweitens: da hatte Ihr Mann aber schon recht! Und was sagt er heute dazu?“
Haller hat, ebenso wie Battenberg, die Formulierung hatte vernommen, möchte sich jedoch dazu nicht äußern. Im Gegensatz zu seinem eher rustikalen Nachbarn, der nun anzüglich fragt:
„Also, wenn er das gesagt hatte, was sagt er denn heute?“
Natürlich hat ihre neue Insassin die Spitze bemerkt, lässt sich dadurch aber nicht aus der Fassung bringen und antwortet gelassen: