Gestatten, mein Name ist Adolf - Benno Bengali - E-Book

Gestatten, mein Name ist Adolf E-Book

Benno Bengali

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Beschreibung

Wer hätte nach einem gescheiterten Leben nicht gerne eine zweite Chance verdient? Doch was, wenn ER eine zweite Chance bekäme? Ein zweites Leben, einen zweiten Kampf? Wir schreiben das Jahr 2020. Der Führer erwacht ausgerechnet vor der Roten Flora in Hamburg in einer ihm fremden Welt. Überzeugt, dass es sich bei seinem Wiederauferstehen nur um eine göttliche Fügung handeln könne, macht er sich auf, den Lauf der Geschichte erneut in seinen Grundfesten zu erschüttern. Ob ihm eine Handvoll Reichsbürger dabei helfen kann? Begleiten Sie Adolf Hitler auf einer blutigen Reise durch die Republik und fühlen Sie den bösen Geist einer dunklen Zeit, der erneut nach einer Schicksalswende strebt, die direkt in die Katastrophe führt. Eine bittere Satire als Mahnung gegen Hass und Rassismus.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Benno Bengali

Gestatten, mein Name ist Adolf

© 2020 Benno Bengali

Kontakt: [email protected]

1. Auflage

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-02336-9 (Paperback)

978-3-347-02337-6 (Hardcover)

978-3-347-02338-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ / dnb.dnb.de abrufbar.

Für meine Familie.

MEIN ERW A CHEN

Ich weiß noch genau, wie ich im ersten Moment dachte „Hat Himmler es doch geschafft? War sein Esoterik Schwachsinn am Ende etwa zu etwas zunutze? Oder steckte gar Mengele dahinter?“

Halb in jene Gedanken versunken versuchte ich die Augen zu öffnen. Es gelang nur schwerlich, da ich mich fühlte als hätte ich mehrere Tage durchgeschlafen und auch das Tageslicht kam mir seltsam grell vor und brannte auf meiner Netzhaut. Langsam traten die schemenhaften Formen von Gebäuden aus dem Nebel einer verschwommenen Sicht. Jede Kante, jedes Detail wurde sekündlich schärfer. Mich fröstelte es. Offenbar war es noch früher Morgen, denn die breite vor mir liegende Straße aus Kopfsteinpflaster war menschenleer. In den Gebäuden gegenüber befanden sich im Erdgeschoss mehrere Kneipen, noch nicht gekehrte Bierflaschen zeugten von einer lebhaften Nacht.

Langsam richtete ich mich auf. Mir schmerzte der Rücken, ich hatte wohl auf einer breiten Stufe aus Stein genächtigt. Erst jetzt fiel mir ein beißender Uringeruch auf, der mich leicht würgen ließ. Mein Magen knurrte um auf den stechenden Nüchternschmerz aufmerksam zu machen, der ihn befallen hatte. Plötzlich hörte ich hinter mir ein röcheliges Husten, wie damals im Lazarett der junge Kamerad neben mir, dem der Franzose in die Lunge geschossen hatte. Ich drehte mich um und erschrak, als ich mehrere Schlafsäcke mit offensichtlich asozialen Herumtreibern sah, die vor einer alten heruntergekommenen Villa ihren Rausch ausschliefen.

Das Gebäude war nicht nur in einem desolaten Zustand, der selbst einem Polen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, nein, es war auch über und über mit bunten, nicht zu entziffernden Schriftenzügen bedeckt. Unter einem stilisierten Penis konnte ich das Wort Fuck herauslesen. Offenbar hatte der Engländer oder Amerikaner hier gewütet, womöglich saß ich gar vor der Villa eines Parteifunktionärs der hier verhaftet, gefoltert, erschossen oder wer weiß was wurde und dessen Haus in blinder Wut so zugerichtet wurde.

„Wer bist du denn?“, fragte mich plötzlich mit rauer Stimme einer der Obdachlosen und starrte mich mit seinen glasigen Augen und dem unrasierten Gesicht an. Mich überkam der grauenhafte Gedanke, dass es sich bei diesen Männern gar nicht um Herumtreiber, sondern um Vertriebene handeln könnte, die ebenso wie der Parteifunktionär von den Engländern ihres Heimes beraubt worden waren und die nun nur aus Verzweiflung und größter Not hier einen windgeschützten Schlafplatz gesucht hatten. Den Alkohol hatten sie vielleicht nur gegen die nächtliche Kälte getrunken, so wie es auch viele treue Land ser im harten russischen Winter getan hatten.

„Erkennen Sie mich etwa nicht?“, fuhr es aus mir heraus. Der Mann schien leicht zu knurren während er seine Stirn in Falten legte.

„Klaus?“, sah er mich fragend an.

„Nein, Hitler mein Name, Führer des Großdeutschen Reiches!“

„Hahaha“, der Mann brach in schallendes Gelächter aus. „Weißt Du was das Witzige ist, du siehst wirklich ein bisschen so aus!“

Der Mann schien mich nicht ernst zu nehmen. Ich rappelte mich auf und blickte mich um. Erst einmal Orientierung gewinnen. Die Grabenkämpfe des ersten Weltkrieges, wo Feind gegen Feind in einer Linie stand, waren schließlich schon lange vorbei.

Von links näherte sich ein wehrmachtgraues Fahrzeug. Ich erkannte die Marke am Stern. Ein Mercedes. Ein gutes Zeichen? Ich sah auf das Nummernschild und erkannte ein HH als die ersten beiden Ziffern. Mir wurde warm ums Herz: HH konnte doch nur Heil Hitler heißen und jedes Fahrzeug sollte den Führergruß quasi als chiffrierte Standarte mit sich führen. Der Wagen fuhr vorbei. Bekräftigt durch dieses gute Omen ging ich, nun viel befreiter, in eine Straße die parallel der Bahngleise verlief. Weitere Fahrzeuge passierend registrierte ich zufrieden das Heil Hitler auf den Schildern. Doch Moment, was war das? Ein Peugeot? Ein Fiat? Vermutlich Kriegsbeute.

Die Straße der ich folgte war gesäumt mit allerlei exotisch anmutenden Kneipen und Speiselokalen. Türkische und indische Spezialitäten und, zu meiner großen Entzückung, auch vegetarische Küche!

Am Ende der Straße links einbiegend ging ich auf den Bahnhof zu. Weitere orientalische Gaststätten hinter mir lassend, blickte ich auf die gerade einfahrende Bahn. Sie selbst schien kaum hörbar zu sein, es war auch kein Rauch zu sehen. Lediglich das Badumm, Badumm der die Gleishubbel passierenden Räder war zu hören. Wie damals im Zug gen Westen. Franzmänner und Tommies bereits auf uns in den Gräben wartend.

Im Bahnhof Sternschanze schaute ich auf die Informationstafel. Hamburger Verkehrsverbund. Ich war also in Hamburg. Wie kam ich bloß aus meinem Bunker in Berlin mit den Russen vor der Tür nach Hamburg? Ich schaute auf die Preistafel: Einzelfahrt, Tageskarte, Großbereich… alles ziemlich verwirrend. Alle Preise in Euro. Euro? Und wo ist die Reichsmark? Ein ungutes Gefühl überkam mich. Es stand dort zwar nicht Dollar, Pfund oder gar Rubel, aber als siegreiches Großdeutsches Reich hätte ich und hätte kein ordentlicher Deutscher jemals die Reichsmark abgeschafft. Ich hatte mich immer geweigert, mich auf Münzen abbilden zu lassen, jedenfalls nicht vor dem Endsieg. Auf Briefmarken, ja gut, das Volk wollte es ja auch, aber auf unseren Zwei- und Fünf-Reichsmark Silbermünzen sollte der gute Hindenburg bleiben.

Stand 1. Januar 2020. Mich traf fast der Schlag. 2020? Es sollen 75 Jahre vergangen sein? Ich müsste doch schon lange tot sein, ja ich war doch schon tot, als ich auf die Zyankali-Kapsel biss und mir eine Kugel in den Kopf jagte.

Ich atmete tief durch, ich musste meine Gedanken ordnen. Noch begriff ich nicht wirklich, was los war. Die einzige Erklärung die ich momentan für die Situation hatte, war, dass Gott den Lauf der Dinge noch einmal verändern lassen wollte. Und wer konnte dafür besser geeignet sein, als ich? Ich, der ich Europa und die halbe Welt unterworfen hatte und eigentlich ja auch nur durch sein, durch Gottes Werk, nämlich seinen verfluchten harten russischen Winter, an meinem großen Ziel gescheitert war. Es waren nicht die wenigen strategischen Fehlentscheidungen und es waren auch nicht unsere Verbündeten, die Italiener und Rumänen, die bei der geringsten Gegenwehr und beim geringsten Rückschlag die Flinte ins Korn warfen, ja gar zum Feinde überliefen. Es war auch nicht das falsche Volk, das ich gewählt hatte, sich als reinstem aller Völker den Planeten Untertan zu machen, auch wenn ich zugegebenermaßen manchmal an meiner Wahl zweifelte. Nein, ich habe immer gesagt, wenn das deutsche Volk den Endsieg nicht erreichen würde, dann müsse es sich in sein Schicksal fügen und untergehen. Aber die deutschen Landser, meine treue SS und am Ende jeder Bub und jeder Greis, sie alle haben tapfer gekämpft. Nein, ich habe nicht falsch gewählt. Gott musste gemerkt haben, dass er einen Fehler gemacht hatte und diesen Fehler korrigierte er nun.

Ich hörte wie hinter mir jemand die Rollläden zu einem Kiosk öffnete. Der Mann hatte ein orientalisches Erscheinungsbild. Die Orientalen schienen mir immer von unserer nationalsozialistischen Ideologie sehr angetan, aus rassischen Gründen waren unsere Völker aber nicht kompatibel genug, um eine Achse zu bilden. All die Gaststätten die ich passiert hatte. Waren die Orientalen etwa am Ende des Krieges die lachenden Dritten? Mein Kopf dröhnte und mit einem starken Stich meldete sich nun auch der Hunger zurück. Ich griff in meine Tasche, doch sie war leer. Ich musste mich stark überwinden, betrat dann aber schließlich den Kiosk und fragte den mich skeptisch musternden Orientalen: „Guter Mann, sagen Sie, hätten Sie wohl etwas zu essen für mich?“

Erbost antwortete er in gebrochenem Deut sch: „Hier nix betteln, raus!“.

„Aber hören Sie, ich befinde mich wirklich in einer Notlage…“

„Raus!“ unterbrach er mich.

Was war dies nur für eine Zeit? Es fiel mir doch schon schwer genug, den Mann als Bittsteller zu belästigen. Die Wut stieg in mir auf. Auch in Zeiten größter Not war das deutsche Volk immer eine große Schicksalsgemeinschaft gewesen, in der jeder jedem half. Gemeinnutz geht vor Eigennutz stand im Rand einer jeden Hindenburg-Münze. Du bist nichts, Dein Volk ist alles. Das waren nicht nur Sprüche, das war Realität, wenn Landser ihre eiserne Ration noch mit einem Kameraden teilten! Da stand ich nun. Ohne Geld, ohne Essen, ohne Ziel und ohne Plan.

Quo vadis, Adolf Hitler?

UNTER FEINDEN

„Hey, Alter, setz‘ Dich doch zu mir“, hörte ich es plötzlich hinter mir. Ich drehte mich um und sah am Bahnhofseingang einen jungen Mann sitzen. Er sah ganz ungeheuerlich aus, mit einer spitzen, hochtoupierten roten Haarmähne, die seinen sonst kahlen Kopf mittig zierte. Dazu glänzte es metallisch an seinen Augen, seiner Nase und seinem Mund. Er trug eine mit Nieten versetzte Lederjacke, die mit allerlei Abzeichen und Schmierereien verziert war, dazu eine blau-weiße Hose, die aussah, als sei sie ein gemaltes Aquarell.

„Ja, was iss‘ nu, bis Kalle da ist machen wir Halbe-Halbe. “ Etwas zögernd setzte ich mich neben ihn auf ein Stück alte Decke.

„Hi, ich bin Pille“, sagte er und hielt mir ein Bier vor die Nase. Ich winkte ab, da ich keinen Alkohol trank. „Iss‘ dir wohl noch zu früh, wah? Wie heißt’n Du?“ „Hitler“, sagte ich und blickte konsterniert ins Nichts. „Hahaha, der war gut. Dann nenn‘ ich Dich Addi“, sagte er und lachte. „Mach Dir keinen Kopp Addi, gleich kommen die Pendler und dann hamm‘ wa ganz schnell genug Geld für’n Brötchen.“ Ich nickte und schloss die Augen. Mein Magen schmerzte immer noch vor Hunger. Scheinbar fiel ich in einen leichten Dämmerschlaf, denn ich fing an zu träumen. Ich war auf dem Obersalzberg und Eva und Blondie waren dort. Blondie leckte meine Hand. Das Wetter war herrlich und während ich die mir so wohlbekannte Berglandschaft bewunderte, zog mir ein herrlicher Duft in die Nase. Forelle in Buttersauce, mein Lieblingsgericht. Es wurde zu Tisch gerufen und auf der Terrasse war schon alles eingedeckt. Rudolf und Albert saßen auch an der Tafel. Rudolf lächelte friedlich und Albert wollte mir gerade Skizzen für Germania, die Welthauptstadt unseres tausendjährigen Reiches zeigen, als ich abrupt aus dieser bittersüßen Phantasie gerissen wurde.

„Das sind doch alles Nazis“, schimpfte Pille.

Ich blickte auf. „Nazis?“, sah ich ihn fragend an. Pille musterte mich kurz, dann sagte er:

„Ja, die Schweine sind heute geizig. Alles Nazis.“

„Das heißt wir haben den Krieg doch noch gewonnen?“, fragte ich freudig. Bevor mir Pille antworten konnte wurde er plötzlich von einem Schäferhund besprungen.

„Blondie?“, dachte ich kurz, aber sie war es nicht.

„Fötzchen!“, sagte Pille fröhlich und ließ sich von dem Tier das Gesicht ablecken. Ein weiterer Mann mit ähnlicher Frisur und Outfit schmiss sich neben Pille. „Aaaalter!“ rief er und zog zugleich eine Dose Bier aus der Lederjacke. Dann starrte er zu mir herüber.

„Wer bist Du denn? Du siehst ja aus wie Hitler!“

„Er heißt auch Hitler!“, sagte Pille und lachte. „Ich hab ihn Addi genannt, er redet aber nicht viel.“

„Aaaaalter“, stieß er mich nun über Pille greifend an.

„Mach Dir keinen Kopf, wir sind doch alles Kameraden hier.“ Dann lachte er los und trank einen weiteren Schluck aus dem Bier.

„Mona kommt auch gleich, die hat mit mir bei Zecki gepennt.“

„Wat, is‘ ja spitze, wußte gar nich, dass die wieder in Hamburg ist. Prost Alter!“

Immer mehr Menschen gingen in den Bahnhof. Die meisten waren der Kleidung nach zu urteilen in der Verwaltung tätig. Von Stahlarbeitern aus Werft und Rüstungsindustrie zumindest keine Spur. Von Soldaten schon gar nicht. Ab und zu flog ein Stück Kleingeld in den von Pille bereitgestellten Becher, allerdings eher willkürlich und nicht motiviert durch die sporadisch von Kalle und Pille ausgerufenen Bittrufe wie „Haben Sie etwas Kleingeld für uns?“ oder „Hast Du mal `nen Euro?“.

Nachdem die beiden jeder noch ein Bier getrunken hatten und dann entsetzt feststellten, dass das Bier nun alle war, befand Pille es wäre Zeit für den Kassensturz und kippte den Becher vor sich aus. Als er anfing das Kleingeld zu zählen pfuschte ihm Kalle immer wieder dazwischen und sie fingen sogar an sich zu zanken, bis Kalle irgendwann Ruhe gab und Pille nach drei Anläufen eine halbwegs korrekte Summe zusammen hatte.

„Sechs Euro Zweiundzwanzig!“, stieß er aus.

„Ja, geil, lass Bier holen gehen!“, sagte Kalle.

„Moment, wir müssen mit Addi teilen, das hab ich ihm versprochen.“

Pille kramte einige Münzen zusammen und drückte sie mir in die Hand, dann verschwand er mit Kalle im Kiosk. Kurz darauf waren sie schon wieder da. Statt sich etwas zu essen zu kaufen, hatten sie jeder eine Dose Bier und eine kleine Flasche Korn in der Hand. Sie setzten sich wieder zu mir, richteten den Becher aus und tranken weiter.

„Sagt mal, was genau macht ihr eigentlich?“, fragte ich sie schließlich.

Pille und Kalle sahen sich an. „Na schnorren“, sagte Pille etwas ratlos. Kalle schaute mich mit glasigen Augen an und rief dann leicht aggressiv: „Bisher haste doch gut davon gelebt, mein Führer!“ Dann lachte er.

Ich stand auf und ging mit dem Geld in den Kiosk. Die zwei Euro reichten genau für einen Tee und ein halbes Käsebrötchen. An einem Stehtisch nahm ich den ersten Bissen des Brötchens zu mir. Herrlich. Es war sicher nichts Besonderes, aber es fühlte sich an wie die erste warme Suppe nach eisigen Nächten in den gefrorenen Gräben in Stalingrad. Der Tee war von minderer Qualität, doch auch er schmeckte in diesem Moment wie feinster Darjeeling aus Indien. Langsam und bewußt, so wie ich es immer tat, aß ich dieses einfache Mahl. Neue Kräfte stiegen in mir auf, die nach und nach die Perspektivlosigkeit und den Magenschmerz verdrängten. Ich war am Leben, ich war in Deutschland und ich war auserwählt.

Doch war ich allein? War Eva, meine treue Weggefährtin vielleicht auch auferstanden? Und wie steht es um Deutschland, nachdem die Lage vor meinem Ableben so aussichtslos war. Hatten sich die Generäle geirrt und der Angriff Steiner doch ein Erfolg? War die geheime, zerstörerischste aller Vergeltungswaffen noch fertig geworden und konnte sie noch gegen Russland eingesetzt werden?

Kräftigen Schrittes ging ich wieder nach draußen. Pille und Kalle standen mit dem Rücken zu mir und verdeckten meine Sicht auf ein junges Mädel. Und was für eines! Sie war zwar ähnlich merkwürdig gekleidet wie die Schnorrer, aber ihre Frisur war annähernd normal und auch Eisen hatte sie nur ein winziges Teil an der Augenbraue. Sie erinnerte mich an Eva. Es waren die Augen. Was für schöne Augen! Ich räusperte mich kurz und die drei wendeten sich mir zu.

„Eeeej“, rief Kalle sichtlich betrunken. Pille, sich wohl rudimentärer Umgangsformen besinnend, lallte mir entgegen: „Mona, das is‘ Addi, Addi das is‘ Mona.“ Ich streckte Mona die Hand entgegen und verbeugte mich leicht, als sie mir die ihre gab.

„Sehr erfreut, Fräulein Mona.“ Sie kicherte leicht. „Mona reicht.“ Lachend murmelte sie nochmal das „Fräulein“.

„Lass ma‘ in Park gehen“, sagte Pille. Die Männer packten ihre Sachen ein. Mona lächelte mich an:

„Addi, kommst Du mit?“

Ich sagte ja, ich wollte diese mir wohlgesonnenen Leute noch etwas bezüglich der aktuellen Lage aushorchen. Mona hatte eine Art Koffer dabei. Als wir losgingen drückte sie einen Knopf und ein ungehöriger Krach ertönte. Offenbar handelte sich dabei um ein tragbares Radio. „Das ist aber ein großer Volksempfänger“, rief ich Mona zu.

„Slime aus dem Volksempfänger“, lachte sie und drehte noch lauter. Die Musik war scheppernd und schnell. Mollis und Steine gegen Bullenschweine entzifferte ich noch, dann war das Lied vorbei. Die Ruhe währte jedoch nur kurz und das nächste Stück lärmte los. Diesmal ging es darum, dass Deutschland sterben müsse. Ich traute meinen Ohren nicht! Ich hatte mich offenbar antideutschem Gesindel angeschlossen. Solche Musik sollte verboten werden, volkszersetzendes Verhalten welches sofort mit dem Tode bestraft werden müsste!

Wo Faschisten und Muttis das Land regieren. Der einzige Lichtblick: Faschisten regieren das Land!

Wir waren mittlerweile in einem kleinen Park angekommen und Pille und Kalle legten sich ins Gras und dösten ein. Ich setzte mich zu Mona und drückte so lange einige Knöpfe an dem Empfänger, bis er verstummte. Mona sah mich mit ihren blauen Augen an. „Du magst wohl Slime nicht? Ich habe auch noch Ton, Steine, Scherben und Kotzreiz.“

„Du hast Kotzreiz?“

„Ja, warte.“ Sie griff Richtung Volksempfänger und wollte ihn wieder einschalten.

„Glaubst Du nicht etwas Ruhe und ein Tee wären bei Kotzreiz besser?“, fragte ich sie und hielt ihre Hand auf, an dem Gerät zu hantieren. Verwundert sah sie mich an, dann lachte sie wieder.

„Du kennst Kotzreiz wohl nur vom Saufen, das ist eine Punk-Band aus Berlin.“

„Eine Punk-Band?“

„Du bist komisch, aber Du bist wohl auch kein Punker. Bist Du obdachlos?“

„Ich fürchte ja.“

„Was soll das denn heißen, bist Du es, oder bist Du es nicht?“

Ich musste mir etwas überlegen, die Wahrheit war gefährlich bei Leuten die Deutschland sterben sehen wollen.

„Ich kann mich nicht erinnern, ich leide wohl unter Gedächtnisverlust. Das letzte woran ich mich erinnern kann, war als ich die Zy…, als ich ziemlich gerädert vor einer heruntergekommenen Villa aufgewacht bin.“

„Du Armer…“, lachte Mona. „Und was willst Du jetzt machen?“

„Na ja“, sagte ich, „ich denke ich müsste mich etwas orientieren, das Tagesgeschehen, die Geschichte des Deutschen Reiches und so weiter. Ich hörte vorhin wurde von Faschisten, die das Land regieren gesungen. Wer genau sind denn diese Faschisten, etwa Nationalsozialisten?“

„Oh Mann, Addi, Dich hat es wohl härter erwischt. Uns regieren keine Faschos, ein paar CDU-Nazis vielleicht und auch die SPD ist nicht mehr das was sie mal war. Die Grünen oder die Linke sind okay. Von der AFD fang ich lieber erst gar nicht an, das ist für mich NPD in Nadelstreifen.“

Mir dröhnte schon wieder der Kopf. „CDU -Nazis?“

„Du weißt schon, so Hardliner, Law & Order, Flüchtlinge abschieben und so. Nazikram halt.“

Ich durfte nicht so forsch sein, sonst könnte sie noch misstrauisch werden. Ich musste wissen, wie die Geschichte nach 1945 weitergegangen war.

„Mona, kannst Du mir sagen, wo ich eine Bibliothek finde?“

„Eine Bibliothek? Moment, ich schau mal nach.“

Mona zog eine Art Zigarettenetui aus der Tasche, fuhr mit dem Finger darüber und tippte darauf herum.

„Meinst Du eine richtige Bibliothek oder eine Buchhandlung, Thalia oder so?“

„Ich würde gerne etwas über die deutsche Geschichte lesen.“

„Na ja, da findest Du auch was bei Thalia.“ Sie tippte wieder auf dem kleinen Gerät herum und hielt es mir dann hin. Auf einer Art kleinen Leinwand war eine Karte abgebildet.

„Hier, Du fährst zwei Stationen bis Hauptbahnhof und gehst dann in die Spitaler Straße.“ Mit dem Finger bewegte sie die Karte. Dann zog sie mit zwei Fingern gleichzeitig über die Leinwand und vergrößerte so das Bild.

„Da hast Du ja einen schönen… äh, ein schönes…“

Ich verstummte und sah sie an.

„Was meinst Du?“

„Na ja, die äh…“, ich zeigte auf die Leinwand.

„Mein Handy?“

„Das Gerät mit der Karte.“

„Ja, mein Handy. Hab‘ mir auch endlich ein Smartphone gekauft.“

„Kann man die Karte auch herausholen?“

„Äh, nein, aber dafür kann ich Fotos machen, Musik hören, Mails checken, Facebook, aber da bin ich nicht. Whatsappen, Internet… ist schon was Geiles. Du kannst auch über Wikipedia alles über die Geschichte der Menschheit lesen. Oder über Kamasutra oder Punk. Was Du willst!“

„Was ich will? Wiki-Pe…?“

„Dia! Die größte Enzyklopädie der Welt. Kannst‘ Dir auch bei YouTube Videos ansehen, da gibt es auch alles. Ich hab nur leider nicht mehr viel High Speed Volumen über.“

Ich glaube ich sah sie an wie ein Irrer, denn ich verstand sie zwar irgendwie, aber ich konnte nicht glauben, dass ich mit diesem kleinen Gerät all die Dinge machen konnte, die sie aufgezählt hatte. Sie bemerkte wohl mein Erstaunen, tippte wieder ein wenig darauf herum und drückte mir dann das Gerät in die Hand.

„Hier, das ist die Startseite von Wikipedia. In das Feld dort oben kannst Du eingeben, was Du willst. Dafür klickst Du einmal drauf und die Tastatur öffnet sich. Dann tickerst Du Deinen Suchbegriff ein und los

geht’s!“

Unbeholfen tapste ich auf dem Gerät herum. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten gab ich meinen eigenen Namen ein: A dolf Hitler.

Es erschien ein sehr langer Artikel über mich, dazu noch einige Bilder. Ich sog den Artikel in mich auf. Selten hatte ich so viel Mist gelesen. Der Feind war clever. Er mischte Fakten mit Fiktion und erhöhte so die Glaubwürdigkeit der eingestreuten Lügen und Verleumdungen. Die Angaben zu meinem Tod jedoch waren wahrheitsgetreu. Der 30. April 1945 mit den Russen nur noch wenige Meter vom Bunker entfernt. Ich wollte auf keinen Fall, weder tot und erst recht nicht lebendig, den Russen in die Hände fallen. Über einen Verweis gelangte ich zu dem Artikel über den Nationalsozialismus in Deutschland. Ach ja, das waren noch Zeiten, als wir eine junge, im Aufstieg befindliche Bewegung waren. Plötzlich piepte das Gerät und die Leinwand wurde dunkel.

¨Was ist denn jetzt los?¨, sah ich Mona fragend an.

¨Der Akku ist gleich leer, sorry, da musst Du wohl erstmal Pause machen.¨

¨Pause?¨, dachte ich, ¨Unmöglich!¨ Ich musste mich unbedingt weiter am Quell dieses Informationsstromes laben.

¨Und wie kann der Akkumulator erneuert werden?¨ Mona grinste. ¨Na ja, ich brauch nur eine Steckdose. Bei Starbucks haben sie welche, ich könnte auch echt einen Kaffee vertragen. Aber eigentlich steh‘ ich nicht auf diese kapitalistischen Blutsauger. Und bevor Du wieder fragst: Starbucks ist eine amerikanische CaféKette. Vielleicht sollten wir lieber zu Zecki, ich habe einen Schlüssel für seine Bude. Aber psst…¨

Mona sprach plötzlich ganz leise zu mir: ¨Das sollen Kalle und Pille nicht wissen, die saufen Zecki immer den Kühlschrank leer und reihern ihm das Badezimmer voll.¨

Mir war vollkommen gleichgültig was Zecki für Probleme hatte, ich musste wieder an das Gerät von Mona gelangen.

¨Es wäre ganz großartig, wenn ich noch ein wenig weiterlesen könnte.¨

Mona sah zu Pille und Kalle und flüsterte mir zu, als sie sicher war, dass die beiden noch schliefen:

¨Ok, dann lass uns leise los.¨

Sie stand vorsichtig auf und bückte sich, um ihren transportablen Volksempfänger hochzuheben. Dabei sah ich auf ihrer Umhängetasche ein rundes Abzeichen, welches ein durchgestrichenes Hakenkreuz zierte. Erst dieses furchtbare Lied, dann irgendwelche CDU-Nazis und nun das. Mona, so attraktiv ich sie auch fand, war ein Volksfeind, eine Hochverräterin und eine Gefahr, sollte sie mich erkennen. Wir verließen den Park und passierten die mittlerweile zum Leben erwachten Straßen. Gegenüber von dem Bahnhof, an dem ich heute Morgen noch auf Almosen hoffte, blieb Mona stehen.

¨Addi, hier gibt es super Falafeln und auch einen Kaffee für einen Euro, hast Du auch Hunger?¨

Jetzt wo sie es ansprach merkte ich, dass mein Magen wieder leer war und ich durchaus eine warme Mahlzeit vertragen konnte. Dann fiel mir aber meine Mittellosigkeit ein.

¨Ich hätte zwar Hunger, liebe Mona, aber wie Du weißt habe ich kein Geld.¨

¨Ich lade Dich ein, ich war gestern noch bei meinen Eltern, die haben mir was zugesteckt.¨

Ich nickte und lächelte. Sollte mich der Feind doch schön durchfüttern. So lange sie mir wohlgesonnen war, würde ich ab jetzt alles annehmen, was ich kriegen konnte. Wir betraten den schmalen Laden und wurden freundlich von einem Orientalen begrüßt, der hinter eine Theke mit allerlei Salat und Gemüse stand. Sonderlich sauber sah der Laden nicht gerade aus. ¨Wenn hier schon nicht das Rassenhygieneamt kontrolliert hatte, dann hätte ja wenigstens mal das Hygieneamt vorbeischauen können¨, dachte ich.

¨Zwei Falafel-Döner und zwei Kaffee bitte.¨

¨Kann alles drauf?¨, fragte der Orientale in gebrochenem Deutsch. Mona sah mich an.

¨Ja, alles¨, sagte ich.

Das vegetarische Gericht schmeckte ausgezeichnet, nur die Sauce war eigentlich zu scharf für meinen empfindlichen Magen. Dazu noch der Kaffee. Mir schwante Übles. Wider Erwarten passierte jedoch nichts. Meinem Magen ging es gut, kein Sodbrennen und kein Aufstoßen. Generell fühlte ich mich gesund und frisch und auch der zuletzt so schlimme Tremor war wie weggezaubert. Wir gingen noch eine ganze Weile. Viele der wenigen Menschen, die wir passierten, besaßen ein ähnliches Gerät wie Mona. Statt geradeaus zu schauen, blickten sie den Kopf gebeugt nur auf die kleine Leinwand und so manches Mal mussten wir einem Rempler ausweichen. Der moderne Hans Guck-in-die-Luft. Wir kamen an eine vierspurige Straße auf der Autos über Autos mit hoher Geschwindigkeit entlang fuhren. Ohne die von uns benutzte Ampel wäre eine sichere Querung nur schwer möglich gewesen.

VON TOTEN ZECKEN

Ein rot verklinkertes Mehrfamilienhaus in einer Seitenstraße war unser Ziel. Mona schloss die Tür zum Treppenhaus auf und wir gingen in den dritten Stock. Vor einer Tür, die mit allerlei Zettelchen beklebt war und aus der dumpfe Musik zu hören war, blieben wir stehen.

¨Ok, Addi, pass‘ auf. Zecki ist manchmal nicht ganz so einfach und steht auch nicht auf unangemeldeten Besuch. Mich mag er, insofern wird das schon in Ordnung gehen, aber wundere Dich nicht, wenn er zu Dir pampig ist.¨