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In Baden-Württemberg, Pforzheim, südlich der Schwarzwald. Zufällig rettet der junger Mustafa, ein muslimischer Deutsch-Türke, die junge Christin Teresa nachts aus der brennenden Villa eines Großimmobilienhändlers und fährt unerkannt weiter seines Weges, um sich von einem vorher begangenen Mord zu erholen. Verliebt ist er in eine Frau im Internet, mit der er seit einiger Zeit Kontakt knüpfte; eine deutsche Katholikin. Ihre Vertrautheit wächst, doch kann es eine feste Beziehung werden? Tage später erkennt er nicht nur, dass der Brand ein Anschlag auf die ihm unbekannte Frau war, sondern dass seine befreundete Internetperson genau jene Frau namens Teresa ist! Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, aber ein in der Öffentlichkeit stehender machtvoller Mann versucht mit Gewalt, sie zu verhindern, denn für ihn hätte sie mit Sicherheit fatale Folgen. Warum? Wenn Mäuse sich bewusst für die Katze plagen - ohne nach dem Sinn ihres eigenen Lebens zu fragen...
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Seitenzahl: 292
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Der Kriminalroman »Gib Gas, Canim!« und die Autoren
In Baden-Württemberg, Pforzheim, südlich der Schwarzwald, rettet zufällig der junge Mustafa, ein muslimischer Deutsch-Türke, die junge Teresa nachts aus der brennenden Villa des Großimmobilienhändlers Akbay und fährt unerkannt weiter seines Weges, um sich von einem vorher begangenen Mord zu erholen. Verliebt ist er in eine Frau im Internet, mit der er vor einiger Zeit Kontakt knüpfte; eine deutsche Katholikin. Ihre Vertrautheit wächst, doch kann es eine feste Beziehung werden? Tage später erkennt er nicht nur, dass der Brand ein Anschlag auf die ihm Unbekannte war, sondern dass seine befreundete Internetperson genau jene Frau ist! Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, aber ein in der Öffentlichkeit stehender machtvoller Mann versucht mit Gewalt, sie zu verhindern, denn für ihn hätte sie mit Sicherheit fatale Folgen. Nicht nur ein getarnter Profikiller spielt längst mit, auch Mustafas sonderbarer Bruder Sezer heckt etwas Schreckliches in einer verlassenen Hütte bei der Monbachschlucht aus...
Christian Gloggengießer, geb. 11.7.1961, Autor u.a.m.. Einst Studium: Philosophie, Musikwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Regensburg.
Husham Blasiny, derzeit (2021) noch Schüler an der Heinrich-Wieland-Schule in Pforzheim. Seine Fantasie als längst in Deutschland integrierter junger irakisch-deutscher Jeside gab die grundsätzlichen Anregungen zu dieser Verbrechens- und Liebesgeschichte in Anlehnung an G. E. Lessings Drama »Nathan der Weise« (1779) und W. Hauffs Schwarzwald-Märchen »Das kalte Herz« (1827). – Ein Folgeroman »Ich bin´s, Canim!« ist im Entstehen.
Dieser Roman, in Anlehnung an Gotthold Ephraim Lessings Drama »Nathan der Weise« (1779) und an Wilhelm Hauffs Kunstmärchen des Schwarzwalds »Das kalte Herz« (1827) geschrieben, ist all den vielen »Johnys und Joes« in der Welt gewidmet, welche aufgrund ihrer gottgewollten Liebe zueinander Drohungen und Verachtung boshaft-religiöser Egozentriker ernten, die ihre antik patriarchalischen Ideologien als angeblich humane Moral einsetzen – nur zur eigenen Rechtfertigung ihrer völligen Unfähigkeit, ihrer von Kindheit an dressierten Unterwürfigkeit, ihrer eigenen Unmündigkeit als Mensch, der die Liebe zwischen den Menschen als höchstes Gut des Menschseins zu bewerten hat, zu entfliehen.
»Wagen wir, zweifelnd zu denken und gemeinsam gegen das Böse zu handeln – auch wenn es Religionen entspringt!« – sehr frei nach Immanuel Kant (1784)
Ch. G. - zu meinem 60. Geburtstag am 11.7.2021
Pforzheim
Büchenbronn
Waldschlösschen Wimsheim
Burgruine Liebeneck
Monbachschlucht
Bad Liebenzell Stuttgart
Nonnenmiss
Bad Wildbad
Tübingen
Freiburg Bad Dürrheim
Titisee
Schluchsee Wutachschlucht
INHALT
Widmung
der Autoren
Foto der Figuren
Die Landkarte der Geschehnisse
ERSTER AKT
Wer bist du, Canim?
Drei Kapitel
1. Kapitel
A
larm - bei der Feuerwehr! Am südwestlichen Stadtrand
ein nächtlicher Hausbrand!
Alarm!...
2. Kapitel
B
itterlich weint
Teresa
immer wieder, wenn sie an ihren unbekannten Retter denkt...
3. Kapitel
C
hrist sein ist für
Mustafa
nicht möglich; denn »Du sollst nicht töten!« widerspricht seiner Vernunft…
ZWEITER AKT
Johny und Joe
Vier Kapitel
4. Kapitel
D
och wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den
Schwarzwald
hineinzuschauen...
5. Kapitel
E
in Mann, der durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den
Schwarzwald
hineinzuschauen...
6. Kapitel
F
rauen, die durch Schwaben reisen, die sollten nie vergessen, auch ein wenig in den
Schwarzwald
hineinzuschauen...
7. Kapitel
G
emeinsam kann die Welt im
Schwarzwald
nicht gemein sein oder...
DRITTER AKT
Joe und Johny
Vier Kapitel
8. Kapitel
H
offnung empfindet
Akbay, der Weise
genannt, trotz seiner Wut für die Menschen grausamer Taten...
9. Kapitel
I
rgendwann wird auch
Sezer
mit einer Tat überraschen, die gar nicht überraschend war
…
10. Kapitel
J
a, wer durch den
Schwarzwald
reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig hinauszuschauen...
11. Kapitel
K
einer konnte
Edanur
davon abhalten,
Mücahit
auf ihre Weise zu lieben...
VIERTER AKT
Gib Gas, Canim!
Vier Kapitel
12. Kapitel
L
iebe hat immer Folgen, zum Beispiel Sex, das wissen auch
Daniel
und
Kalkan
und
Peter
13. Kapitel
M
iriam
entlarvt im geheimnisvollen
Schwarzwald
gerne Wölfe im Schafspelz...
14. Kapitel
N
och nie siegte jemand durch Bosheit, auch wenn
Yörük
und
Peter
und
Hedda
15. Kapitel
»
O
Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter«, sangen einst
Johny und Joe
…
ENDE
Alarm – bei der Feuerwehr! Am südwestlichen Stadtrand ein nächtlicher Hausbrand! Alarm! –
Gras, das ist es. Aber echtes, einfach über alles hinweg.
Es nieselt und er überlegt nicht, was er mitten in der Nacht hier solle, aber es ist ein Weg, sein Weg. Durch die Stadt zu fahren ist einfach sein Ziel – mit ruhiger Musik im Auto. Das ist sein Weg, ´mal den Stecker zu ziehen, ganz für sich zu sein. Genau wie Gras. Diese Musik ist Gras, das man aber mit Ohren raucht. Genau.
Und tief in der dunklen Nacht sein eigenes Auto zu fahren, das ist eben auch wie Gras rauchen, fühlt er immer wieder. So einfach ´mal wie ziellos fliegen dürfen. Ja, das ist Freiheit! Vielleicht seine einzige, seine jugendhaft männliche, eben nur im Rausch.
Während sein Auto auf den regennassen Straßen in einer schönen Wohngegend am Stadtrand langsam dahingleitet, muss er plötzlich an einer mehrstöckigen Villa hinter der meterhohen Gartenhecke ein großes, flackerndes, funkensprühendes Licht entdecken.
»Feuer!?«, schießt es augenblicklich durch seinen Kopf. Er bremst, stellt das Auto rechts am Gehweg ab und rennt mit seinem Smartphone in der Hand die Straße hinüber durch das geöffnete Gartentor. Zwei Gestalten stehen vor dem seitlich brennenden Haus unter ihrem Regenschirm und sehen tatenlos zu.
»Hallo! Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« schreit er aufgeregt. »Angerufen habe ich schon lange, die Feuerwehr!«, antwortet gelassen der Mann unter dem schützenden Schirm, den die Frau über den Köpfen beider hält. »Gehen Sie lieber wieder!«, meint die Frau streng zu ihm, »Zu Ihrer eigenen Sicherheit! Danke!«. »Na dann...«, sind seine nicht zufriedenen Worte, während er sein Handy einsteckt und sich umdrehen möchte, um zu seinem Auto zurückzugehen.
»Hilfe! Hallo! Hilfe!« ertönt mit aller Kraft eine Frauenstimme aus einem Fenster im ersten Stock. Da rennt er ohne Zögern zur großen Haustür, versucht sie zu öffnen, aber...
»Schließe sie ihm lieber schnell auf, Yörük!«, rät die Frau dem überraschten Mann, der sogleich zustimmt: »Ja, Hedda, du hast recht!« Und schon geht er in Ruhe ans Haus und sperrt mit seinem Schlüssel die Tür auf.
»Hilfe! Hilfe!«, hört man es aus den Rauchwolken. »Teresa, ja! Bleib, wo du bist! Ein Mann kommt zu dir hoch, Teresa!«, ruft die Frau zur Beruhigung hinauf.
Es dauert in der Tat nur noch wenige Minuten, bis die ersten Blaulichter der rotweißen Feuerwehrwagen nahend durch die Wohngegend blinken. Nach vier Uhr.
»Hast du die Haustür wieder richtig hinter ihm verriegelt?«, fragt die Frau fordernd den wieder neben ihr wartenden Mann. »Ja, aber das würde sogar den dümmsten Polizisten auffallen! Oder etwa nicht, Hedda?!«
»Natürlich! Aber so ist es uns heute vielleicht wieder nicht geglückt. Zu dumm! Wer ist dieser Idiot?«
»Weiß ich nicht. Warten wir ab. Geduld! Und denke daran, du weißt von gar nichts! Du hast niemanden gesehen, bist im Schlaf von mir überraschend geweckt worden. Und beide sind wir so schnell wie möglich aus Angst vor den Flammen aus dem Haus gelaufen.«
Teresa scheint ohnmächtig zu sein, als er sie in seinen Armen liegend zur Haustür hinausträgt. Da sind bereits einige Rettungsleute im Hof an der Arbeit. Teresa wird übernommen, die Feuerwehr beginnt zu löschen und tritt fragend an das Paar heran:
»Sind noch weitere Personen im Haus?« Der Mann meint dazu: »Nicht, dass wir wüssten! Wer sollte da noch sein?!« Die Frau bleibt stumm. Auch die Polizei ist im Anmarsch, fragt nach dem Geschehen, erfährt von dem Mann, dass er Geräusche gehört und eine dunkel gekleidete und maskierte Person im Garten davonrennen gesehen habe. Das sei ganz sicher so ein ausländerfeindlicher Anschlag gewesen. Zumindest hier in Pforzheim seien sie ja doch recht bekannte Leute. In der heutigen internationalen Geschäftswelt vieler millionenschwerer Immobilien gäbe es gewiss auch ernstzunehmende Feindschaften. Das ganze Jahr über und Tag und Nacht kämpfe die Konkurrenz mit harten Bandagen, das wüsste die Polizei doch besser als sie beide.
Und er schweift vielleicht wegen der nächtlichen Müdigkeit noch weiter ab, während hingegen die Frau behauptet, sie wüsste gar nichts, denn sie sei ja nicht Assistentin der Geschäftsführung so wie er, sondern früher das Kindermädchen der Tochter und heute mehr die Hauswirtschafterin der Familie. Ja und wer sei denn der Mann, der diese junge Frau aus dem brennenden Haus geholt habe. Das wüssten sie auch nicht, er sei zufällig vorbeigekommen und nun – ja und nun?! »Wo ist er denn?!« Das könnte doch nicht sein, dass er so unbemerkt verschwunden ist. »Hat ihn denn niemand von den vielen Leuten hier am Unglücksort aufgehalten und gefragt? Seltsam!« –
Gras, das ist es. Aber echtes, einfach über alles hinweg, heute über einen eigenartigen Donnerstag.
Es regnet und er überlegt nicht, was mit ihm mitten in der Nacht geschah, denn es ist ein Weg, sein Weg. Noch vor einer Stunde klingelte er an der Haustür eines widerlichen Kerls und schoss ihm wortlos zwei Kugeln ins Herz. Und dort in der Finsternis ruht die Leiche noch immer. Niemand weiß davon und seine Pistole mit Schalldämpfer ist längst in ihrem Versteck, dem Handschuhfach. Durch die Stadt zu fahren ist einfach sein Ziel – mit ruhiger Musik im Auto. Das ist sein Weg, ´mal den Stecker zu ziehen, nur einem ekelhaften Scheusal, dann ganz für sich zu sein. Genau wie Gras. Diese Musik ist Gras, das man aber mit Ohren raucht. Genau, das befreit. –
Aber wer diese gerettete Frau namentlich sei, das würde das Paar doch wohl erläutern können oder?! »Ja, selbstverständlich!«, erklärt die Frau der Polizei, »Das ist eben die volljährige Tochter des Hauses. Sie wohnt im ersten Stock und wir beide im Erdgeschoss. Eine erwachsene Frau, wir bemerken es meistens nicht, wenn sie nachts nach Hause kommt.«
Das Löschen des Brandes dauert noch einige Zeit. Weil der Regen zwischendurch stärker ist, verläuft es aber schneller als vorausgesagt. Alle sind sehr bald zufrieden. Das Paar müsse jedoch zum Beispiel in ein Hotel umziehen und erst bei Tageslicht könnte der Schaden und die Brandursache an der Villa genauer beurteilt werden. Jetzt würde das gesamte Gelände noch rundum polizeilich abgesperrt werden und das Betreten sei ab sofort verboten. Die Polizei fragt abschließend, wie sie den Eigentümer des Hauses um diese Zeit noch benachrichtigen könne.
»Das ist wirklich nicht nötig, ihn während seiner Heimreise zu schockieren. Er fährt auf der Autobahn und müsste jede Minute hier bei uns ankommen. Schon kurz nach Mitternacht wollte er zu Hause sein!«, so berichtet die Frau ihr Wissen, »Ja, wir regeln das auf jeden Fall selbst.« Die Polizei gibt sich vorerst zufrieden; denn Weiteres würde in ein paar Stunden vom Revier aus sowieso erfolgen. Die Tochter des Hauses, wieder bei Bewusstsein, wird in die Stadtklinik gefahren, nicht nur wegen des Schocks, sondern auch wegen ihrer Rauchvergiftung und der medizinischen Behandlung und Beobachtung. Deshalb tauscht man Kontaktdaten miteinander aus, bis schließlich immer mehr Personen und Fahrzeuge den Ort des Unglücks verlassen. Der Mann fährt mit einem Taxi fort in ein nahes Hotel, die Frau wartet im Gartenhaus auf den Hausherrn der beschädigten Villa, ihren Arbeitgeber. Nach Vorschrift bleibt von der Feuerwehr eine Brandwache auch noch da. Und er? Der Retter! Wo ist er denn geblieben?! –
Und nachts bei Dunkelheit sein eigenes Auto zu fahren, das ist eben auch wie Gras rauchen, fühlt er immer wieder. So einfach ´mal wie ziellos fliegen dürfen. Ja, das ist Freiheit! Vielleicht seine einzige, seine jugendhaft männliche, eben nur im Rausch.
Während sein Auto auf den regennassen Straßen aus der stillen Villengegend am Stadtrand schnell hinausgleitet, muss er plötzlich lachen – er lacht bei der Vorstellung, dass auch Johny in diesem Augenblick so etwas Ähnliches wie Gras ist, auch eine Möglichkeit, um den Stecker zu ziehen, eine Weile weit weg von allem Lästigen zu sein – von der alltäglichen Arbeit, den ewigen Verpflichtungen, von dieser unfreien Welt, die wirklich nicht Johny ist, nein, wirklich nicht. –
Als Nächstes nimmt sein Auto die ihm von so vielen Nächten bekannte schmale Einfahrt zum Drive-in eines Fast-Food-Restaurants. Er zögert dort nie, was er essen möchte: »Hallo! Ihre Bestellung bitte!«, wünscht eine sehr freundliche Frauenstimme aus dem in der Box mit dem Display versteckten Lautsprecher, die neben den beleuchteten Werbeschildern am Rand des Weges aufgestellt ist.
»Hallo! Das Spezial-Vanilleeis mit Schokosoße hätte ich gern«, antwortet er, weil ihm gerade nach diesem Eis mit Schokolade ist. Er kennt es ja. »Noch ´was dazu?« »Nein, danke, das ist alles!« Und schon drehen sich die Räder des Autos langsam weiter zur Kasse. Nur ein größerer Wagen steht dort kurze Zeit vor ihm. Von seinem Eis muss er gleich mit dem Handy ein Foto in seine Story posten; ´mal sehen, wer sich da alles melden würde.
Damit das Eis nicht wegschmilzt, bewegt sich sein Auto nicht weit, sondern nur wenige Minuten zu dem Haidacher Hügel mit der bemalten Mauerruine, einem Platz mit Aussicht über die ganze Stadt, seine Stadt Pforzheim. Der Wind von Vorhin, als das Auto begann, mit ihm wegzufahren, ist fast verschwunden und es regnet immer stärker. Er fährt wie im Traum, die Musik lässt ihn das träumen. Und es parkt bald auf dem kleinen Platz am Beginn der Römerstraße; sein Auto steht da nun ganz allein im Dunkeln. Das Eis schmeckt ihm wie immer sehr gut und die Schokosoße erst!
Nach einigen Minuten mit der Muzak in den Ohren, steigt er aus, schlüpft in seine geliebte Regenjacke und marschiert mit einer Taschenlampe den Hügel hinauf. Der schmale Weg verläuft geradeaus durch dichte Büsche und Bäume wie eine barocke Allee zu einem aufgrund irgendeiner steinalten Familienfehde verwunschenen Königsschloss. So empfindet er sich beinahe, ja wie ein König; da stört ihn der kalte Regen nicht im Geringsten, noch nie auf diesem kurzen Weg in die Höhe! Zum Sonnenaufgang dauert es immer.
Sein Eis ist gegessen wie die geplante Sache vorhin.
Wie ein freier Vogel genießt er vom Hügel aus die zahllosen Lichter seiner Stadt und denkt an die vielen Menschen dahinter, an schlafende und arbeitende – und denkt an Johny, was sie wohl gerade so mache. »Schlafend zu Hause oder Nachtdienst in der Klinik?«, fragt er sich. Ja, Johny, sie... Da vibriert sein Handy brummend. Schnell öffnet er es und sieht ihr Foto – Johny – blonde Haare mit lächelndem Gesicht. Es ist ihre Nachricht – »Natürlich wegen des Bildes vom coolen Eis mit der Schokosoße«, glaubt er nett:
»Weil du auch heute Nacht wie so häufig unterwegs bist, könntest du mich mit so einem leckeren Eis mit Schokosoße abholen und zu mir nach Hause fahren, Joe!« Überrascht schreibt er sofort zurück: »Zu dir nach Hause, aber das wolltest du noch nie!?« Er lächelt, denn er fühlt sich bei ihr, und er wartet, ob er sie vielleicht jetzt... Natürlich würde er in nur wenigen Minuten dort in ihrer Klinik sein können. Das ist ja nicht weit weg. Es kommen aber keine Worte mehr. Sie könne sicherlich im Augenblick nicht..., denkt er.
Joe nennt er sich im Internet, in Wirklichkeit heißt er Mustafa, in arabischer Sprache bedeutet das der Auserwählte. Unzertrennliche Freunde wurden sie, immer sind sie füreinander da, »in guten wie in schlechten Zeiten«, glaubt er. Sie lernten sich über das Internet wegen seiner vielen geposteten Fotos kennen. Sie meldete sich recht freundlich, weil ihr seine Aufnahmen sehr gefielen. Und da schrieb er diesem Johny zurück, wer das wäre, einer seiner ehemaligen Freunde vielleicht? Oder als Frauenname das rätselhafte Mädchen, dem er vor einigen Wochen versuchte, öfters zu schreiben? Aber das beendete er, weil es damals keine Antwort für ihn gab. Das machte ihn richtig wütend auf Johny.
Inzwischen verstehen sie sich so gut, dass sie sich mindestens einmal in der Woche schreiben. Für ihn heißt sie deshalb bis heute Johny. Das passt auch, weil das Wort aus der hebräischen Sprache vertraut sein bedeutet, wie der biblische »Johannes« eben; – und vertraut ist er ja mit seiner Johny schon seit einiger Zeit. Vielleicht sogar vertrauter als zu seinem jüngeren Bruder Sezer, habe er mittlerweile den Eindruck.
Natürlich schreiben sie sich auch sehr oft viel Überflüssiges. Wie sie heute gekleidet seien oder was sie heute Abend essen würden oder mit wem und wie sie ihre Freizeit verbringen würden oder was ihre Mütter gerade machten oder ob ihre Väter wieder an ihnen herummeckern würden oder welche Musik sie gerade hören würden, welchen Film sie trotz der Entfernung zugleich ansehen könnten oder... oder...
Nur der Sport ist kein Thema, denn Johny ist von ihrer körperlich sehr anstrengenden Arbeit meistens erledigt. Und auch noch die ewigen Wochenend- und Nachtschichten! Von den Überstunden gar nicht zu sprechen! Auch deshalb haben sie sich noch nie getroffen, um gemeinsam irgendetwas Schönes zu anzustellen. Joe vermisste das, nicht nur gerade.
»Wer beruflich in die Krankenpflege geht, muss echt nichts Anderes mehr nebenbei wollen!«, denkt Mustafa daher immer wieder, erst recht, wenn sie von ihrer manchmal sehr verrückten Arbeit berichtet. Mitlachen oder Trösten und wieder Aufmuntern, das sind dann seine Aufgaben. Allerdings gelingt ihm das Aufmuntern wegen eigener Sorgen bisweilen weniger gut, so dass er umgehend das Thema zu wechseln versucht.
Einmal schrieb sie ihm von einem wenige Stunden nach der Noteinlieferung verstorbenen Mädchen. Schuld habe da nur die junge Frau selbst gehabt: Sie hätte sich wegen der Liebe mehrmals heimlich mit einem `ungläubigen´ Mann, wie die Muslime sagen, getroffen. Und ein anderer junger Mann hätte das entdeckt und sie auf frischer Tat ertappt mit einem Schnappmesser niedergestochen. Ihr Liebhaber wäre eingeschritten, der maskierte Täter wäre dann in der Dunkelheit geflohen, so hätte er den Rettungswagen alarmieren können. Und nun hätte die Polizei den älteren Bruder des schwer verletzten Mädchens gesucht, weil er verdächtigt worden wäre, seine uneinsichtige Schwester zur Rettung der Familienehre mit dem Tod bestrafen zu wollen.
Joe verstand das nicht, dass Johny anscheinend die Schuld bei der ermordeten jungen Frau sah, das erinnerte ihn an die Meinungen seiner Großeltern, doch es genügte ihr, dass er für sie zwischendurch sanft beipflichtende Worte eintippte. Das beruhigte sie, das er so tat, als würde er genau so denken wie sie. Vertraute Gemeinsamkeit eben; die Grundlage jeder Beziehung, jeder Freundschaft, auch Partnerschaft.
»Geteiltes Leid ist halbes Leid«, das hat Johny ihm erst gelehrt. Ja, seine Johny!
Der Regen hört noch immer nicht auf. Mit dem leuchtenden Mond am Nachthimmel ist die Aussicht hier oben noch viel schöner, sagt er sich selbst zustimmend und spaziert den Hügel wieder hinab. Nass ist er jetzt genug. Das kalte Wasser tropft ihm von der Nase herab. Na ja. Unten an seinem Auto angekommen, steht da wie jeden Tag ein älterer Mann um diese Zeit und lässt seinen Hund an die niedrigen Büsche pinkeln. »Immerhin hat er ihn fest an der Leine«, denkt Mustafa, während er die nasse Jacke auszieht, sich hinter das Steuerrad setzt und die Tür schließt. Das Handy legt er auf den Beifahrersitz. Vielleicht würde Johny ihn ja noch einmal...
»Das Pinkeln dauert aber lange«, rätselt er vor sich hin. Da wendet der Mann seine Gesicht in Richtung Auto. Mustafa erschrickt so sehr, dass er sein Auto augenblicklich in Gang setzt und losfährt. Das Gesicht war das faltige Gesicht seines Großvaters Mücahit. Grimmig, streng und boshaft blickte es herüber. Wie ein greller Blitz schlug es in sein Gehirn ein. Furchtbar! Und seine Weisheit ist abscheulich: »Du weißt doch, dass diese deutschen Frauen das Böse sind! Niemals dürfen wir eine Ungläubige lieben! Allah wird dich dafür strafen! Allah weiß alles, er muss es nicht erst sehen wie wir Menschen!«
Sein Auto eilt davon. Erst im Stadtzentrum beruhigt es sich wieder. Diese Muzak wieder angeschaltet und an den Hund an den Büschen gedacht. Sein Großvater besaß niemals einen derartigen Hund. Was für ein Unsinn! Sein Großvater ist auch bereits seit wenigen Jahren für ihn und seine Eltern `gestorben´, das konnte er doch gar nicht gewesen sein! Er lebt ja mit Mustafas Großmutter Edanur noch in der Heimat, der Türkei. Und sie schweige seit Jahren nur noch, weil ihr Mücahit ein von den vielen Hassreden des Präsidenten Erdogan in der fernen Hauptstadt Ankara besessener Muslim geworden ist. Die freundlicheren Eltern seiner Mutter sind beide schon verstorben, bereits mit Mitte
60. Doch Mücahit ist 73 Jahre alt. Ein ungerechtes Trauerspiel – wie das ganze Leben, glaubt Mustafa.
Die Dunkelheit, seine Müdigkeit und die nassen Autoscheiben, da ist es gar nicht möglich, das Gesicht zu erkennen, weiß Mustafa jetzt endlich. Tanken müsste er noch, ja, das Tanken würde ihn ablenken. Welche Tankstelle hat denn jetzt noch geöffnet oder gerade wieder geöffnet?! Er war noch nie um diese Uhrzeit tanken. Nein, sonst fuhr er immer ohne Umwege nach Hause; denn er tankte jedesmal tagsüber, früher, schon abends. Also kann er auch noch morgen Abend tanken. Für die kleine Strecke bis dahin genüge das Benzin auf jeden Fall, redet er sich überzeugt zu und nimmt jetzt doch den kürzesten Weg nach Hause. Die meisten Ampeln sind noch auf das gelbe Blinken geschaltet; ein Rot und Grün sieht er nur selten, nur gelb, goldgelb wie der Sonnenaufgang. Ein paar Stunden müsste er ja auch noch schlafen. Müde sei er wie im Sterben, sagt man, todmüde. –
Zu gleicher Zeit nähert sich das Scheinwerferlicht einer schwarzen Limousine der angebrannten Villa. Es ist der neue, edle Wagen des erwarteten Akbay. Der diensthabende Feuerwehrmann mit der großen Taschenlampe in der Hand und in seiner leuchtend gelb gestreiften Uniform und danach die Hausdame Hedda empfangen Akbay auf dem Platz vor dem Haus, als dieser überrascht aussteigt.
»Was ist denn hier geschehen?«, fragt er entsetzt. »Ein Brand vor einiger Zeit! Haben wir bestens löschen können! Ich bin die Brandwache noch bis sieben Uhr.«
»Ja, Yörük und ich haben den Qualm und die Flammen entdeckt und sogleich die Feuerwehr angerufen. Gott im Himmel sei Dank, dass dabei nicht noch Schlimmeres geschehen ist!«
»Und wo ist meine Tochter?«, ruft Akbay aufgeregt, »Was ist mit Teresa?«, und noch lauter in die Richtung seines Hauses: »Wo bist du, Canim?«
»Sie ist gerettet in der Stadtklinik, schon wieder bei Bewusstsein dorthin zur Behandlung gebracht! Im Gartenhaus wohnen Yörük und...«
»Allah sei Dank!«, sagt Akbay, ohne das Ende ihrer erklärenden Sätze abzuwarten, steigt er rasch in sein Auto und fährt los, rückwärts durch das sich öffnende Tor hinaus und ohne Umwege zur städtischen Klinik!
Sehr müde vom anstrengend langen Arbeitstag rast er durch die allmählich erwachende Stadt. Der Regen hat zwischendurch eine kurze Pause eingelegt, Akbay jedoch nicht. –
»Guten Morgen, Canim!«, flüstert Akbay durch den Türspalt in das hygienisch riechende Krankenzimmer, hinter ihm eine Krankenpflegerin mit dem Frühstück. Vorsichtig fragt er zusätzlich: »Darf ich eintreten?«
»Baba, guten Morgen! Herein!«, Teresa sitzt längst im Bett und wartet hungrig auf das erste Essen, doch zunächst umarmen sie sich beide mit Tränen in den Augen vor Freude über ihr Wiedersehen. Nachdem Teresa ihre schnelle Rettung so genau wie möglich berichtet hat, schwärmt sie nur noch in höchsten Tönen von ihrem unbekannten Retter:
»Das muss ein Engel gewesen sein. So wie es Hedda mir schon als Kind oft gelehrt hat, weißt du! Ich habe seine großen Flügel im Rauch gesehen, mit denen er zur Tür hereingeflogen sein musste. Ein Engel rettete mich!«
»Also Teresa, denk´ ´mal nach! Wie alt bist du? Du bist doch kein Kind mehr! Ein Engel in Männergestalt?! Er trug gewiss eine große Jacke so mitten in der Nacht und bei dem Regen! Oder glaubst du an deinen Engel wegen deines Schocks?! Du bist doch Canim, mein Engel!«
»Nein, Baba! Er muss ein Engel gewesen sein, denn sonst wäre der Mann Yörük und Hedda namentlich bekannt! Und in unserem Haus!? Oder nicht! Sie riefen mir zu, dass `ein Mann´ zu mir hochkommen würde, um mich zu retten. Und wo befindet er sich jetzt, dieser unbekannte Mann? Weißt du das! Sag´ es mir! Los, sofort! Na, siehst du! Er muss ein Engel Gottes sein! Ich muss ihn wiedersehen, meinen Retter, denn ich liebe ihn!«
»Wie bitte? Du liebst ihn! Das muss der Schock sein. Lege dich besser wieder hin und ruhe dich aus. Schlaf´ noch einige Stunden, das wird dir gut tun, Canim!«
»Baba, warum nimmst du mich nicht ernst? Das sind wirklich meine Gefühle! Ich liebe ihn! Such´ ihn bitte!« Da weint sie und Akbay versucht sie zu trösten.
»Aber wenn Yörük und Hedda ihn nicht kennen, wie sollen wir ihn dann aufspüren können?! Ich war ja bei dem Unglück nicht einmal dabei! Was könnte ich tun, Teresa? Wenn du es weißt, dann werde ich sofort...«
»Du kennst doch so viele Leute! Kannst du nicht fragen, wer auch schon einmal einem rettenden Engel begegnet ist? Egal wo und wann! Oder im Internet!?«
»Wie meinst du das, `einem Engel begegnet´? Das kann nur ein Mensch gewesen sein, Canim, ein Mann! Weshalb er sofort wieder weggelaufen ist, das können wir nur vermuten. Meinst du, gleichzeitig hätte sich da etwas anderes Wichtiges ereignet, das ihn hinderte bei euch länger zu bleiben? Vielleicht könnten wir das nachforschen? Oder hatte er Angst vor der Polizei? Ist er ein Einbrecher? Ein nächtlicher Dieb!? Vielleicht ein entflohener Häftling oder ein gefährlicher Mörder!? Oh, Canim!« –
Bitterlich weint Teresa immer wieder, wenn sie an ihren unbekannten Retter denkt...
Bis zum Mittag hat Akbay eine Unterkunft für alle gefunden und es Yörük mitgeteilt. Und Hedda konnte vor einer Viertelstunde zu Besuch ins Krankenhaus kommen. Sofort bohrt Teresa nach, was sie über den Mann in Erfahrung gebracht habe: »Warum weißt du denn noch immer nichts über ihn, Hedda? Das kann ich nicht glauben! Habt ihr denn gar nichts Richtiges unternommen?!« Schon weint sie wieder.
»Aber Teresa! Es ist doch zu Hause bereits sehr viel geschehen! Die Polizei hat verschiedene Gegenstände gefunden, mit denen man ein Feuer legen könne. Sie seien in der Eile zurückgelassen worden. Der Täter habe wahrscheinlich Yörük und mich gehört oder auch gesehen und sei daher ohne Last in der regnerischen Dunkelheit verschwunden. Der Brand müsse folglich wieder ein Anschlag gewesen sein, stell´ dir nur vor!«
»Oh je! Und was sollen wir jetzt machen?«
»Dein Vater lässt seit ein paar Monaten nach und nach einige seiner Häuser in Büchenbronn renovieren und zum Glück ist eine freie, fertige Wohnung seit wenigen Tagen beziehbar. Da sollen wir hin! Möglichst unbekannt! Yörük hat bereits viele Sachen von uns dorthin gebracht. Die Schäden in der Villa müssen erst repariert werden, bevor wir alle wieder einziehen.«
Es klopft und eine Krankenpflegerin, die sich bereits im Stationsflur der Teresas Zimmer suchenden Hedda vorstellte und auch seit einigen Monaten als Teresas Kollegin zu deren Freundinnen zählt, tritt ein.
»Guten Tag! Teresa, ich habe gerade gehört, dass du entlassen werden kannst. Der Arzt kommt bald zu dir. Schreibst du deinem Joe nun doch, ob er dich abholen könnte?«
»Wer ist Joe, Teresa?«, fragt Hedda lächelnd.
»Ein Bekannter aus dem Internet. Er wohnt auch in Pforzheim. Ich habe ihm heute früh geschrieben. Aber dann machte ich mir Sorgen, weil ich ihm sicher von dem Unglück und verliebt schwärmend von meinem Retter berichtet hätte, und ich war verwirrt, weil ich nicht wusste, wie das auf ihn gewirkt hätte. Ich bekam plötzlich Angst, ihn damit kränken zu können. Deshalb schrieb ich ihm dann nicht mehr.«
»Das musst du ja auch nicht. Ich bringe dich wie geplant zu unserem neuen Zuhause. Yörük erwartet uns.«
Es klopft wieder kurz an der Tür, ein Arzt kommt herein, erklärt einige Dinge und erlaubt Teresas sofortige Heimfahrt. Sich freuend verabschieden sich alle voneinander. Hedda räumt sofort ihre »sieben Sachen« zusammen und schickt Teresa vor der Fahrt noch zur Toilette, damit sie das mitgebrachte Gift in Teresas Trinkglas mit dem auf dem Tisch stehenden restlichen Tee vermischen kann.
»Hedda, das ist aber toll, dass ich schon nach Hause darf, also in diese Wohnung, nicht!?«
»Warum? Dachtest du, dass man dich noch nicht entlassen würde? Welchen Grund gäbe es denn noch? Du bist doch nicht verletzt und völlig gesund!«
»Ja, das stimmt. Ich meinte es eben so, grundlos.«
»Gut. Haben wir alles beieinander?« Teresa, wieder im Zimmer zurück, blickt noch suchend hin und her. »Und trinke bitte noch schnell deinen Tee auf dem Tisch aus, während ich auch noch zur Toilette gehe!«
»Nein, danke. Er schmeckt leider überhaupt nicht. Nimm ihn bitte mit! Schütte alles in die Kloschüssel und lass uns dann von hier verschwinden, Hedda!«
Nachdem Hedda auch ihr Giftröhrchen ins Klo weggespült hatte, gelangen sie nach einigen Minuten mit Aufzug fahren und Treppen gehen zum Eingang, wo Teresa sich ordentlich abmeldet und drei Tage krankgeschrieben wird. Sie verlassen zusammen das Klinikgebäude, um zur Wohnung zu fahren. Hedda sendet Yörük mit ihrem Smartphone die Botschaft, dass sie beide auf dem Weg zu ihm seien: »Wir sind´s!«
»Und wo befindet sich mein Vater, Hedda?«, fragt Teresa beim Einsteigen. »Wie meistens ist er bei Terminen bei irgendwelchen Immobilien. Geschäft ist eben Geschäft.« Teresa ist traurig, denkt an Joe, den Mann im Internet, wo er wohl gerade sein könne.
»Ist mein Vater denn nicht bei unserer Villa?«
»Nein. Das wunderte mich auch heute Nacht. Die Schäden an der schönen, alten Villa sind ihm eher gleichgültig; wenn es nicht anders ginge, würde er eben eine neue kaufen. Wichtig seist nur du ihm, seine Tochter!« Sofort schwärmt Teresa von ihm: »Ach, Baba. Ich habe doch den besten Vater der Welt! Stimmt´s nicht, Hedda?!« »Doch, selbstverständlich, den allerbesten Vater, Teresa, auch wenn er viel zu wenig bei uns sein kann«, bestätigt sie Hedda. –
Teresa klingelt bereits in der frischen Wohnung in Büchenbronn, weil Hedda sie vorausschickte, nachdem sie das zugehörige Parkplatzschild erst gefunden hatte, als sie schon beim Ausladen und Teresa beim Erspähen des Hauseingangs waren. Deshalb räumt Hedda ihr Gepäck aus dem noch am Straßenrand geparkten Auto und trägt den Koffer und die Taschen zum Haus, um es anschließend passend abzustellen.
Dachwohnung. Zweiter Stock ohne Aufzug. An der Tür begrüßt sie Yörük mit den Worten: »Wo ist denn Hedda? Sie hat dich doch hergefahren! Oder?«
»Grüß dich, Yörük! Nein, die Polizei natürlich. Sie kommt gleich hoch und fragt dich etwas!«
»Polizei? Was?«, erschrickt er und spricht gehetzt weiter: »Schon ein Durchsuchungsbefehl? Das ist nicht meine Wohnung! Nein, besser ist, ich bin nicht hier, wenn sie ´was wollen! Auf den Dachboden verschwinde ich, Teresa. Den Laptop nehme ich mit, um dort zu arbeiten. Sprich du mit denen! Du kannst das besser und kennst dich aus, gehörst ja zur Familie Akbays. Und vom Brand der Villa wissen Hedda und ich auch nicht mehr als gestern Nacht! Wie auch?! Und ich sei in einem Hotel, sagst du sofort. Wenn sie wieder weg sind, dann...«
»Unsinn!«, lacht Teresa verwundert, »Was hast du denn?! Bist du durchgedreht? Das furchtbare Feuer! Oder? Das ist doch nur ein Witz! Hedda bringt unser Gepäck gleich zu uns herauf. Zu spät haben wir den richtigen Parkplatz entdeckt. Sie stellt ihr Auto erst noch um. Wo ist denn mein Zimmer?«
»Witz? Teresa, man macht mit der Polizei keine Witze! Schon gar nicht, wenn... – ja das furchtbare Feuer! Und du warst auch noch im Haus. Das ahnten wir doch nicht. Stell´ dir vor, wenn... Nein, lieber nicht! Vergiss es schnell wieder!«
»Yörük, ich bin ja wieder putzmunter und gesund, hat der Arzt in der Klinik bestätigt. Also beruhige dich. Wie viele Zimmer hat denn die Wohnung? – Ach, ich sehe mein Namensschild schon an der Tür dort hinten. Das ist aber nett, danke!«
»Du hast recht, ja. Rasch vergessen! Und wenn alles Beschädigte am Haus erneuert ist, dann ziehen wir mit Freude wieder zurück. Wo bist du, Teresa?«
»Hier hinten! Ein schöner Raum ist das. Sehr groß und hell. Viel Licht! Muss ich im Winter gar nicht so stark heizen! Oder? Und noch eine eigene Tür, ist das ein kleines Bad? Super! Hat es auch eine Badewanne wie meines zu Hause?«
Yörük steht nun auch an der Zimmertür und bejaht ihre neugierigen Fragen, während sie Heddas Klingeln hören können.
»Du, Teresa, ich helfe erst Hedda beim Tragen; bin gleich zurück! Sieh dich inzwischen genau um! Auch in der Küche und im Wohnzimmer!«
»Gut! Das mache ich bestimmt!«
Yörük rennt das Treppenhaus hinunter, hält Hedda zurück und spricht sie draußen leise an: »Hedda, warte, warum ist Teresa hier? Wolltest du sie nicht in der Klinik... du weißt schon! Ich dachte, du bist klug!«
»Bin ich auch, aber diese überhebliche Göre trinkt ja nicht jeden Tee! Ich habe mein Medikament in ihr Glas füllen können, aber der Tee schmeckte ihr bereits vorher nicht. Konnte ich das ahnen?! Daher sollte ich ihn wegschütten, befahl sie. Und Pech gehabt, weil sie gleichzeitig zur Zimmertür hinaus war – hierher in die neue Wohnung wollte, Yörük!«
»Dumm gelaufen, sagt man ja dazu. Gut, so muss uns leider wieder etwas Wirksames einfallen, Hedda.«
»Ja, das wird uns schon irgendwann gelingen, dieses zähe Biest. Der Teufel soll sie endlich holen! Lass uns zu ihr hinaufgehen.«
»Und Hedda! Wundere dich nicht! Ich habe ihr am hinteren Zimmer ein Namensschild angebracht, damit es so aussieht, als hätte ich sie auch erwartet.«
»Na, wo bleibt ihr denn?«, ruft Teresa die Treppe hinunter, ohne beide sehen zu können. »Wir kommen schon!«, erschallt die Antwort zurück.
Während Teresa verträumt ins Wohnzimmer wandelt, gibt ihr Smartphone das Zeichen einer Meldung: »Johny, wie geht es dir? Du hast gestern nichts mehr von dir hören lassen!« Joe schrieb diese Worte, aber Teresa meldet sich wieder nicht bei ihm. Bestimmt macht das Joe gerade fast verrückt.
»Yörük, das sind doch nur Heddas Sachen, die du da trägst. Wo sind denn meine?«, fragt sie ihn, als sie ihn im Flur vorbeigehen sieht.
»Ja, das stimmt, Teresa. Hedda meinte, wir warten, bis du hier bist, denn dann könntest du entweder eine Liste für deine wichtigsten Dinge schreiben, die wir noch holen, oder wir würden gemeinsam mit deiner Liste zur Villa fahren, damit du dann mit deinem beladenen Auto hierher zurückkommen könntest«, rettet sich Yörük lügend.
»Ja, dann! Wann fahren wir denn?«
»Lass Hedda erstmal auspacken! Du schreibst deine Liste. Und ich bringe uns allen gleich etwas zu trinken. Warst du auch schon in der Küche?«
»Nein, ich gehe und helfe dir mit den Getränken.«
Während die drei herumräumen, klingelt es an der Tür. »Wer kann das sein?«, denken sie gleichzeitig. »Geh du hin!«, sagt Hedda zu Yörük, »Du bist `der Mann im Haus´!« »Wenn du meinst!«, stimmt er zu.
»Hallo! Wer ist da, bitte?«, fragt er freundlich ins Sprechgerät neben der Wohnungstür.
»Polizei. Ist die Fahrzeughalterin des Autos mit dem Kennzeichen...?«, fragt eine ebenfalls freundliche, aber weibliche Stimme, während Yörük aufgeregt unterbrechend das Mikrofon mit seiner Hand zuhält und sofort Hedda herbeiruft: »Hedda! Eine Polizistin! Wegen deines Autos angeblich! Vergiss nicht, du weißt von nichts! Lauf schnell hinunter, damit sie nicht zu uns hochkommt! Hier, nimm den Schlüssel mit!«
»Ja, sie geht gerade die Treppe zu Ihnen hinunter!«, antwortet er der Polizistin, »Eine Minute, bitte!« und er hängt den Hörer wieder ein.
Vorsichtig schreitet Teresa mit einem Tablett mit Getränken aus der Küche und spricht Yörük an: »Yörük, was bedeutet dein Satz `Du weißt von nichts´? Das verstehe ich nicht.«
»Nichts Wichtiges für dich, Teresa! Uninteressant für dich!«