Giganten 1: Die Magie erwacht - James Riley - E-Book

Giganten 1: Die Magie erwacht E-Book

James Riley

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Beschreibung

Monsterhafte Spannung auf einem Internat für Zauberschüler

Vor 13 Jahren tauchten sie wie aus dem Nichts auf: Sieben Zauberbücher wurden neben den Skeletten von Drachen auf der ganzen Welt entdeckt. Nur die, die nach dem „Discovery Day“ geboren wurden, sind in der Lage, die Bücher zu lesen.

Jetzt, 13 Jahre später, gibt es einen noch nie dagewesenen Angriff auf Washington: Eine Riesenkralle taucht aus der Erde auf und reißt Forts Vater in die Tiefe. Fort hat nur noch ein Ziel: Er will sich an dem Monster rächen. Die Gelegenheit scheint gekommen, als ihn Dr. Opps an seine Schule der besonderen Art holt. Fort soll hier die Magie aus den Zauberbüchern lernen. Sein Talent ist allerdings begrenzt. Oder ist die Aufgabe zu groß? Mit jedem Tag wird Fort tiefer in einen Strudel aus Geheimnissen und Intrigen hineingezogen, bis er schließlich nicht mehr weiß, was eigentlich wahr und was Illusion ist.

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Das Buch

Vor 13 Jahren tauchten sie wie aus dem Nichts auf: Sieben Zauberbücher. Nur die Kinder, die nach diesem Tag geboren wurden, sind in der Lage, sie zu lesen. Fort ist eines von ihnen.Jetzt, 13 Jahre später, taucht plötzlich eine Riesenkralle aus der Erde auf und reißt Forts Vater in die Tiefe. Fort hat ab sofort nur noch ein Ziel: Er will sich an dem Monster rächen. Die Gelegenheit scheint gekommen, als ihn ein gewisser Dr. Opps einlädt, an seiner Schule Magie aus den Zauberbüchern zu lernen. Doch Fort muss schnell feststellen, dass er kein willkommener Gast ist, und jeder an dieser Schule scheint etwas zu verbergen. Was weiß seine Klassenkameradin Jia über den Angriff? Und wieso versucht Dr. Opps plötzlich, ihn wieder loszuwerden? Fort muss dringend hinter das Geheimnis der Schule kommen, sonst wird es weitere Angriffe geben …

Der Autor

© Maarten de Boer

James Riley ist New York Times Bestsellerautor der »Weltenspringer«-Saga und der »Half Upon a Time«-Serie. Obwohl die Biographie in der »Weltenspringer«-Saga etwas anderes behauptet – James gibt es wirklich.

Mehr über James Riley: https://jamesrileyauthor.com/

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Dieses Buch ist, wie alles andere auch, Corinne gewidmet.

KAPITEL 1

Nur Minuten vor der Attacke in Washington, D. C., blamierte Forts Vater am Lincoln Memorial seinen Sohn bis auf die Knochen.

»Präsident Forsythe Fitzgerald!« Er zeigte auf die Stelle über der riesigen Abraham-Lincoln-Statue, über der bald der Name seines Sohnes stehen sollte. »Allerdings glaube ich, dass wir da eine größere Statue brauchen. Das Dach ist zwar hoch genug, um dir nicht den Kopf zu stoßen, aber du benötigst definitiv einen größeren Sessel.«

Fort verdrehte die Augen, auch wenn er insgeheim grinsen musste. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Zwölfjähriger gar nicht zur Präsidentschaftswahl antreten darf«, entgegnete er. »Dafür muss man erwachsen sein. Und hast du nicht gesagt, wenn ich groß bin, werde ich Kommandant einer Jupitermission? Und kann als Arzt Krebs heilen? Das hast du doch alles gesagt, oder? Du solltest dich endlich mal entscheiden, welche Version ich nun bin!«

»Du machst das alles und noch viel mehr«, rief sein Vater. Ein paar andere Besucher des Lincoln-Denkmals drehten sich bereits zu ihnen um, und Fort errötete. »Du darfst nur nicht auf der faulen Haut liegen, bei all diesen fantastischen Dingen, die du erreichen wirst! Und nicht vergessen: Ich will ein Flugauto. Das musst du auch noch erfinden!«

Fort versuchte, seinen Vater in eine weniger belebte Ecke zu zerren, aber er rührte sich nicht vom Fleck.

»Ich mach alles – aber nur, wenn du nicht mehr so rumschreist«, murmelte Fort, während zwei Mädchen, die nur ein bisschen älter waren als er selbst, sie beide anstarrten und anfingen zu tuscheln. Na toll.

»Also, ich bin mir recht sicher, dass ich als Erwachsener so laut reden darf, wie ich will«, sagte sein Vater. »Und hör auf, ständig vom Thema abzulenken, Fort! Wir reden hier von deiner Zukunft! Eines Tages bist du eine große Persönlichkeit, und ich kann es kaum erwarten, Fotos von Kindern zu schießen, die ehrfürchtig zu deiner Statue aufblicken.« Er zeigte in Richtung der beiden Mädchen. »Siehst du? Und da wären auch schon zwei Kandidatinnen!«

Die zwei grinsten breit, und Fort spürte, wie sein Gesicht lavarot anlief.

»Tut mir leid«, rief er ihnen zu. »Er findet es urkomisch, mich überall zu blamieren.«

»Na ja, ganz unkomisch war das nicht«, erwiderte eines der Mädchen.

»Kluge Kinder sind das«, kommentierte Forts Vater lautstark. »Hör ihnen gut zu, Fort! Ich hab mal gelesen, dass Kinder unsere Zukunft sind.«

»Ich bin deine Zukunft«, fauchte Fort ihn an. »Werd du erst mal alt, dann entscheide ich nämlich, in welches Altersheim ich dich stecke!«

»Das ging unter die Gürtellinie, junger Mann.« Sein Vater zeigte wieder auf Lincoln. »Glaubst du wirklich, unser geliebter sechzehnter Präsident hätte so mit seinem Vater gesprochen? Dabei ist er doch dein großes Idol!« Verschwörerisch beugte er sich zu den Mädchen vor. »Als mein Sohn noch in den Windeln gesteckt hat, ist er immer mit einem Zylinder auf dem Kopf rumgetapst und wollte von uns mit ›Fort Lincoln‹ angesprochen werden.«

Eins der Mädchen prustete sofort los, während das andere sich wegdrehte, damit niemand es lachen sah. Fort fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er in Flammen aufging.

»Das hat er sich bloß ausgedacht«, wandte er sich an die Mädchen. Seine Wangen glühten. »Außerdem müssen wir langsam los.«

»Ach was, wir haben noch jede Menge Zeit«, sagte sein Vater und zückte sein Handy. »Ich glaube, ich hab sogar noch ein Foto davon. Wollt ihr es sehen?«

»Ich bin echt hundemüde«, sagte Fort und zerrte seinen Vater am Arm in Richtung Treppe. »Vielleicht sollten wir allmählich in unser Hotel zurück.«

»Blödsinn!«, rief Forts Vater. »Wir haben Einstein doch noch gar nicht gesehen! Wusstest du nicht, dass gleich hier an dieser Straße auch eine Einstein-Statue steht? Und hier, die berühmte Gettysburg-Rede!« Er zeigte auf einen Text, der zur Linken des Präsidenten in die Steinwand gemeißelt worden war. »Guck dir das an – zweihundertundzweiundsiebzig Wörter! Knackig und auf den Punkt!«

Plötzlich ging ein leichtes Beben durch das Bauwerk, so, als würde gerade ein Schwerlaster vorbeifahren. Fort sah sich verunsichert um, doch das Beben dauerte nur ein paar Sekunden an, und von den anderen schien sich niemand groß Gedanken zu machen.

»Was meinst du – erwacht Präsident Lincoln jetzt gleich zum Leben?«, flüsterte sein Vater ihm breit grinsend zu. »Wusstest du, dass vor Lincoln noch jemand eine Rede gehalten hatte – und zwar über zwei Stunden?« Er streckte Fort eine Broschüre mit der Gettysburg-Rede in mehreren Sprachen entgegen. »Die Zwei-Stunden-Rede kann ich hier nirgends finden. Wenn das mal nicht der Beweis dafür ist, dass in der Kürze die Würze liegt, dann weiß ich auch –«

Ein zweites, heftigeres Beben erschütterte das Bauwerk. Mehrere Besucher schrien erschrocken auf, und fast hätte Fort das Gleichgewicht verloren. Er konnte nur knapp verhindern, mit beiden Knien auf dem Marmorboden aufzuschlagen. Alarmiert sah er seinen Vater an. War das ein Erdbeben? Was war hier los?

Noch während das Beben verebbte, legte sein Vater ihm die Hand auf die Schulter und wandte sich an die Mädchen: »Vielleicht solltet ihr eure Eltern suchen.« Dann drehte er sich wieder zu seinem Sohn um. »Alles in Ordnung, Kumpel?«

»Alles bestens«, antwortete Fort und hoffte, man würde ihm nicht ansehen, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. »War ja nicht so wild.«

»So gefällst du mir«, sagte sein Vater, wirkte dabei allerdings leicht verunsichert. »Aber womöglich sollten wir wirklich ins Hotel zurück und Abend essen. Einstein kann warten. Immerhin ist für ihn Zeit relativ, oder nicht? Und ich bin jetzt relativ hungrig.«

Fort konnte nicht mal mehr die Augen verdrehen. Stattdessen stopfte er sich die Gettysburg-Broschüre in die Gesäßtasche und ging zur Treppe, an der sich inzwischen zunehmend nervöse Leute tummelten. Als er die oberste Stufe erreicht hatte, bemerkte er aus dem Augenwinkel etwas Eigenartiges.

Um das Lincoln Memorial herum verlief ein Kreisverkehr. Dahinter erstreckte sich über mehr als sechshundert Meter bis zum Washington Monument das berühmte Reflexionsbecken. Im Wasser spiegelte sich das Gebäude.

Selbst aus einiger Entfernung konnte Fort sehen, wie unzählige Besucher vom Marmorturm weg in alle Richtungen davonliefen.

Das sah nicht gut aus. Das Merkwürdigste aber war, zumindest soweit Fort es aus der Ferne erkennen konnte, dass diese Leute allesamt in exakt demselben Tempo und in Einerreihen hintereinanderher das Denkmal verließen.

»Dad, siehst du das auch?« Fort wollte sich gerade zu seinem Vater umdrehen, als ein drittes Beben einsetzte, und dieses war noch viel heftiger als die beiden zuvor. Der Steinboden unter seinen Füßen schnellte in die Höhe und schleuderte Fort gute dreißig Zentimeter in die Luft. Er landete hart auf dem Boden – und vor ihm tat sich, quer durch die Steinstufen bis zum Fuß der Treppe, ein tiefer, zerklüfteter Riss auf.

»Weg hier!«, schrie Forts Vater und schubste die Mädchen, die wie angewurzelt neben ihnen standen, in Richtung Ausgang, bevor er Forts Hand packte und ihn die Treppe hinunterzog.

Während hinter ihnen ein grässliches Getöse zu hören war, schafften sie es bis zur Ringstraße, die rund um das Denkmal verlief. Die Erde bebte immer stärker. Inzwischen bewegte sich auch die Masse an Touristen entlang des Reflexionsbeckens – wieder in Einerreihen, einer hinter dem anderen, und sie schauten weder nach links noch nach rechts, als sie die Straße überquerten. Zum Glück waren inzwischen sämtliche Autos stehen geblieben, und die Leute waren ausgestiegen, um sich den flüchtenden Touristen anzuschließen.

So merkwürdig das alles war – noch viel seltsamer war, dass nicht ein einziger vor Angst laut schrie, niemand nach einem Freund rief oder auch nur ein Wort sagte. Im Gegenteil: Es war totenstill, und die Leute bewegten sich, als hätten sie sich abgestimmt und seit Monaten für eine Art Flashmob geübt. Allein die unheimliche Stille, die unter den Flüchtenden herrschte, bescherte Fort eine Gänsehaut.

Vom anderen Ende des Reflexionsbeckens war ein neuerliches grässliches Knirschen zu hören, als würde Fels über Fels schrammen, und dann schrie Forts Vater etwas, was in dem ohrenbetäubenden Getöse unterging. Als Fort herumwirbelte, zeigten alle auf das Washington Monument – und diese Leute schrien!

Zumindest ist das normaler als diese gruselige Stille, schoss es Fort durch den Kopf.

»Passt auf!«, rief jemand, als ein Auto sich über den Kreisverkehr näherte und direkt auf eine große Touristengruppe zusteuerte. Eins der Mädchen, die zuvor mit Fort das Monument besucht hatten, setzte im selben Augenblick einen Fuß auf die Straße. Die Freundin riss sie zurück, und das Auto raste an ihnen vorbei.

»Runter von der Straße!«, schrie Forts Vater und schubste sowohl Fort als auch die Mädchen auf den Rasen, der sich vor dem zerbröckelnden Lincoln-Denkmal erstreckte. »Und dann weg hier!«

»Meine Mutter ist noch da drin!«, kreischte die eine. »Ich muss zu ihr!«

»Ich komme …«, sagte ihre Freundin, bevor sie mitten im Satz verstummte, sich umdrehte und in Richtung einiger Nebenstraßen davonrannte.

»Megan?«, rief die Erste ihr nach. »Wo willst du hin?«

Forts Vater warf einen Blick zurück zum Denkmal.

»Du wartest hier«, sagte er zu Fort. »Beweg dich nicht vom Fleck, bis ich wieder da bin. Ich gehe ihre Mutter suchen.«

Sein Vater sprang immer zwei Stufen auf einmal die Treppe hoch und pflügte durch die Menge, als würde er einen Wasserfall hinaufschwimmen. Fort zögerte noch kurz, dann rannte er ihm hinterher – mit dem übrig gebliebenen Mädchen dicht auf den Fersen.

»Siehst du das?«, kreischte jemand hinter ihm.

»Das kann doch nicht wahr sein!«, schrie ein anderer, der alles mit dem Handy filmte.

Fort warf einen flüchtigen Blick über die Schulter – und blieb wie angewurzelt auf der Hälfte der Treppe stehen.

Unmittelbar neben dem Washington Monument bohrte sich etwas aus der Erde.

Etwas, das aussah wie … Klauen.

Drei Meter lange Klauen.

KAPITEL 2

»Was ist das?!«, schrie das Mädchen neben Fort mit vor Panik brüchiger Stimme.

Doch Fort konnte nicht antworten, bekam kaum noch Luft. Das konnte einfach nicht wahr sein! Solche Sachen passierten nur in Filmen, nicht im echten Leben! Und definitiv nicht mitten in Washington, D. C. …

Gigantische, schwarz geschuppte Finger schoben sich durch die Erde, sodass Gras, Steine und Dreck in alle Richtungen stoben. Aus der Tiefe war ein gedämpftes Brüllen zu hören, das Fort selbst durch den bebenden Boden hindurch spüren konnte.

»Kümmern Sie sich um den Mann, ich nehm das Mädchen!«, hörte Fort seinen Vater irgendwo innerhalb des Gebäudes schreien, während er selbst sich keinen Zentimeter rühren konnte. Mit jedem Herzschlag pulsierte Angst durch seine Adern. Seine Füße auf den Marmorstufen fühlten sich an, als wäre er dort als Statue eingemeißelt worden.

Über ihnen näherten sich Hubschrauber von Nachrichtensendern, drehten dann aber unvermittelt ab, um zurück in Richtung Stadtmitte zu fliegen. Aus der Ferne waren Sirenen zu hören, die jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht näher zu kommen schienen. Im nächsten Moment rannten die Menschen, die unter Fort auf den Stufen gestanden hatten, gruppenweise los, als ginge ein stummer Evakuierungsbefehl nach und nach durch die Reihen. Aber selbst angesichts des Befehls war es kaum möglich, sich über den bebenden Boden zu bewegen, ohne bei der Flucht zu stürzen.

»Das … Das kann doch nicht wahr sein!«, stammelte das Mädchen, als eine der Klauenhände sich nach dem Washington Monument ausstreckte und sich meterlange Finger darumlegten. Der Obelisk neigte sich gefährlich zur Seite.

Als er auf dem Boden aufschlug, bebte die Erde unter Forts Füßen, und er wurde in die Luft geschleudert, nur um ein, zwei Meter weiter auf die Stufen niederzukrachen.

»Lauren, wo ist Megan?«, schrie eine Frau von oben. Als Fort aufblickte, entdeckte er die Mutter des Mädchens, die einen alten Mann stützte. Fort hatte ihn zuvor in einem Elektromobil gesehen. »Wo ist sie hingerannt?«

Lauren wollte gerade antworten, verstummte dann aber, und ihr Blick wurde glasig. Ohne ein weiteres Wort machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte die Treppe hinunter.

»Lauren!«, schrie ihr die Frau fassungslos nach und strauchelte auf dem bebenden Boden.

»Dad?«, rief Fort nach oben.

»Fort, lauf weg!«, antwortete sein Vater aus dem Gebäudeinnern. »Ich komme sofort nach!«

Fort ließ den Blick über die zerstörte National Mall schweifen, drehte sich dann wieder zum Denkmal um und zwang sich, Schritt für Schritt die Treppe emporzusteigen. Schau dich einfach nicht um, redete er sich ein und biss die Zähne zusammen. Du schaffst das. Dad braucht deine Hilfe!

Ein Schritt, dann noch einer – er kämpfte darum, das Gleichgewicht zu halten, während er gleichzeitig verzweifelt versuchte, nicht über das Ungeheuer nachzudenken, das hinter ihm aus dem Boden kroch. Sein Vater brauchte ihn. Unter keinen Umständen würde er ihn jetzt im Stich lassen. Er musste …

LAUF!

Der Befehl traf ihn wie ein Hammerschlag. Augenblicklich richtete Fort sich auf. In seinem Kopf herrschte Leere. Im nächsten Moment wirbelte er herum und hetzte die Treppe hinunter. In einiger Entfernung lag das Washington Monument in Trümmern, aber das war jetzt egal. Nichts schien mehr wichtig zu sein – außer mit halbwegs heiler Haut davonzukommen.

LAUF!

Als er den Fuß der Treppe erreicht hatte, hielt er auf die Leute zu, die hintereinander …

»Fort!«, schrie sein Vater, und irgendwie drang der Schrei durch den Nebel in Forts Kopf. Er blieb auf der Stelle stehen. Ein Fuß hing immer noch halb in der Luft.

LAUF!

Die Wucht des Befehls schlug über ihm zusammen wie eine Welle und spülte sämtliche Gedanken davon. Er setzte sich erneut in Bewegung und schloss sich den anderen an, die in einer Reihe das Weite suchten. Erst als er die Front des Lincoln Memorials fast hinter sich gelassen hatte, wurde er erneut langsamer und blieb dann kopfschüttelnd stehen.

Was machte er denn da? Sein Vater war immer noch dort oben!

Eine junge Frau krachte von hinten in ihn hinein und stieß ihn zu Boden. Sie kam kurz ins Straucheln, rannte dann aber weiter, als wäre rein gar nichts passiert. Einen Moment lang starrte Fort ihr verwirrt hinterher, dann blickte er zurück zur Treppe, wo sein Vater eine ältere Frau nach unten trug, die zuvor mit dem Mann auf dem Elektromobil unterwegs gewesen war.

Fort stemmte sich hoch und rannte zur Treppe zurück. »Dad!«, rief er. »Alles okay? Ich kann mit anpacken!«

»Nein, verschwinde!«, schrie sein Vater und fuchtelte mit der freien Hand, während er versuchte, langsam die bebenden Stufen hinunterzusteigen.

Auf allen vieren machte sich Fort auf den Weg nach oben. Doch als er etwa auf halber Höhe war, explodierte der Marmor unter ihm und schleuderte ihn zurück auf den Rasen jenseits des Denkmals. Für einen kurzen Moment verschwamm alles vor seinen Augen, und er versuchte zu atmen. Sämtliche Luft war aus seiner Lunge gepresst worden.

Im nächsten Moment schoben sich zwei riesige Klauen durch das klaffende Loch in den Stufen, wo Fort gerade eben noch gestanden hatte. Ein Brüllen erschütterte die Umgebung – ein derart mächtiges Dröhnen, dass es in Forts Brust widerhallte.

Hinter ihm donnerte es, als würden sich reißende Stromschnellen ihren Weg durch den Boden bahnen, und als er sich umdrehte, sah er vor sich einen wahr gewordenen Albtraum … einen Albtraum, der aus der Mitte des Reflexionsbeckens aufstieg: ein riesenhafter, mit schwarzen Schuppen bewehrter Kopf, aus dem mehrere Hörner ragten, die wie eine Art Krone angeordnet waren. Das Wasser aus dem Becken schoss in das Loch hinab, das die Kreatur gerissen hatte. Erneut brüllte sie auf und bleckte Reihe um Reihe massiver, messerscharfer Zähne. Aus ihren rot glühenden Augen sprach rasender Zorn. Angesichts des Grauens völlig fassungslos blieb Fort wie angewurzelt stehen. Er konnte nicht mehr denken, geschweige denn begreifen, was er da vor sich sah.

Weitere Hubschrauber flogen herbei – diesmal waren es schwarz lackierte, und diesmal flogen sie näher an das Ungeheuer heran. Aus einem wurde eine Rakete abgefeuert, die in den Kopf der Kreatur einschlug – doch das Monster schien es nicht einmal zu bemerken.

»Fort!«, hörte er von weiter oben. Als er aufblickte, kauerte sein Vater auf den Stufen direkt unterhalb der Klauen. Inzwischen krachten Teile des Dachs um ihn herum zu Boden, und riesige Marmorblöcke zerschmetterten die Treppenstufen.

»Dad!« Fort versuchte, auf die Beine zu kommen, doch das Beben unter seinen Füßen war einfach zu heftig.

Rund um Forts Vater und die Frau, die er nach unten getragen hatte, wischte das Ungetüm mit der Pranke alles beiseite. Fort blieb fast das Herz stehen, als sein Vater hinter den schuppigen Klauen plötzlich nicht mehr zu sehen war.

Dann krabbelte die alte Frau zwischen den Klauen hervor. Vor Forts Augen ließ sie sich ins Gras fallen – und direkt hinter ihr tauchte endlich sein Vater auf.

»DAD!«, kreischte Fort, als das Monster sich brüllend nach unten beugte. Im nächsten Moment fiel erneut etwas zischend aus einem der Hubschrauber und explodierte auf der schuppigen Haut der Kreatur, aber das war jetzt egal – nichts war mehr wichtig, nur, dass sein Vater entkommen konnte. Er hatte es beinahe geschafft, hatte sich schon halb aus den Klauen des Monsters befreit …

Langsam zog die Pranke sich in die Tiefe zurück.

»Fort!«, brüllte sein Vater noch. Dann legten sich die schuppigen Finger fest um seinen Leib, und das Biest riss auch den Rest des Denkmals ein, als es zurück in der Erde verschwand. »FORT …«

Im nächsten Augenblick war die riesige Pranke der Kreatur weg – und sein Vater verstummt.

»NEIN!«, kreischte Fort, kroch auf das Trümmerfeld zu und versuchte, an das Loch heranzukommen, in dem sein Vater verschwunden war.

NICHT. HAU AB. LAUF!

»Ich kann nicht!«, schrie er, obwohl er keine Ahnung hatte, an wen er sich richtete. Er war einfach nur fest entschlossen, seinen Vater wiederzufinden. »Dad! Kannst du mich hören? Dad!«

Fort kletterte über die zerborstenen Steinblöcke und zog sich in Richtung des Lochs. Aus der Tiefe rollte eine Hitzewelle über ihn hinweg, die kaum auszuhalten war. Trotzdem zwang Fort sich weiter voran und starrte schließlich in den Abgrund.

»DAD!«, schrie er erneut …

Im nächsten Moment verlor er die Kontrolle über sich selbst, und etwas Fremdes beherrschte seinen Körper.

Seine Hände stießen sich wie von selbst von dem Abgrund ab, und seine Füße kletterten die Steinbrocken hinunter. Er fühlte sich einfach nur hilflos – als betrachtete er sich selbst aus weiter Ferne durch das falsche Ende eines Teleskops.

Innerlich brüllte er sich die Seele aus dem Leib, doch über seine Lippen kam kein Mucks, während sein Körper einfach weiterlief, ihn aus der Gefahrenzone hinausbrachte und er sich zu guter Letzt der Reihe der übrigen stumm fliehenden Touristen anschloss.

NEIN!, schrie er ins Leere und versuchte, sich mit aller Kraft der Macht zu widersetzen, die ihn von seinem Vater wegsteuerte. Er stemmte sich immer verzweifelter dagegen, bis ihm der Kopf zu platzen drohte und er kaum noch denken konnte. Der Anblick der Kreatur, die seinen Vater mit in den Abgrund gerissen hatte, feuerte ihn an, weiterzukämpfen, sich zu befreien, wieder die Kontrolle über seine Handlungen zu übernehmen, den Zwang abzuschütteln …

Und mit einem Mal hatte er sich wieder im Griff. Aus scheinbar unmöglich weiter Ferne konnte er einen Schrei hören, der in seinem Gehirn widerhallte. Es klang wie eine Mädchenstimme, und das Mädchen schien zu leiden, aber das spielte keine Rolle mehr, jetzt zählte nur noch, dass er sich befreit hatte und zu seinem Vater zurückkehren konnte …

Gigantische Schmerzen rollten über Fort hinweg, stürzten seinen Geist in Höllenqualen, bis urplötzlich alles schwarz wurde. Er ging zu Boden, während die Leute um ihn herum in einem stetigen Strom wortlos das Weite suchten.

KAPITEL 3

Durch einen grünen Feuerring schoss das riesenhafte Schuppenmonster auf ihn zu. Fort konnte sich nicht mehr bewegen und brachte vor Angst kein Wort heraus. Eine leise, grässliche Stimme irgendwo hinter ihm murmelte etwas, das er nicht verstehen konnte. Dann endlich konnte er wieder rufen, auch wenn seine Stimme nicht wie seine eigene klang. Sie klang wie die in seinem Kopf, wie die des Mädchens, das er vor Schmerzen hatte schreien hören …

Fort kam wieder zu sich. Diesmal erkannte er seine eigene, angsterfüllte Stimme. Irgendetwas packte ihn, und er schrie noch lauter und versuchte, sich von der Macht zu befreien, die seinen Körper übernommen hatte – was immer das war.

»Alles gut!« Hände legten sich auf seine Schultern, drückten sie leicht und versuchten, ihn unten zu halten. »Jetzt beruhige dich. Du bist in Sicherheit.«

Immer noch schreiend versuchte Fort, sich loszureißen, bis ihm allmählich dämmerte, dass er sich nicht mehr an der National Mall befand. Stattdessen sah er einen sterilen weißen Raum, und um ihn herum standen verschiedene piepsende medizinische Geräte und leuchtende Monitore. Eine Krankenschwester beugte sich über Fort, hielt ihn immer noch an den Schultern fest und blickte ihn besorgt an.

»Ich … Wo bin ich?«, wollte er wissen. Sein Kopf fühlte sich an wie mit Watte gefüllt. »Und wo ist mein Vater?«

»Du bist hier in der George-Washington-Uniklinik«, antwortete sie. Sie ließ ihn los und machte einen Schritt zur Seite. »Du hast bewusstlos neben der Einstein-Statue gelegen, wo dich jemand gefunden und hergebracht hat. Du hast riesiges Glück gehabt und bist ohne einen Kratzer davongekommen.«

»Wo ist mein Vater?«, fragte Fort zunehmend panisch. Vor seinem inneren Auge blitzten Bilder auf – eine Frau, die einen alten Mann die zerberstenden Treppenstufen hinunterführte, und sein Vater, der eine ältere Frau trug, eine monströse Pranke, die ihn packte …

»Wir finden ihn«, beruhigte ihn die Krankenschwester. »Draußen herrscht Chaos, und keiner weiß irgendwas, aber wir finden ihn. Er hat sich retten können, da bin ich ganz sicher.«

»Nein«, flüsterte Fort und schüttelte langsam den Kopf. »Hat er nicht.«

Stirnrunzelnd ließ sich die Krankenschwester auf der Bettkante nieder. »Sagst du mir, wie ihr beide heißt? Wahrscheinlich ist er ebenfalls irgendwo hier im Krankenhaus. Im Handumdrehen haben wir euch zwei wieder zusammengebracht.«

Erneut sah Fort seinen Vater vor sich, wie er in die Tiefe gezogen worden war, ehe irgendetwas ihn selbst von dort wegbeordert hatte; ehe eine Stimme ihm befohlen hatte, die Flucht zu ergreifen. Aber hatte es die Stimme wirklich gegeben? Ein Mädchen, das in seinem Kopf geschrien hatte? Oder hatte er einfach nur jemanden auf der Straße kreischen hören, war dann in Panik davongerannt und hatte seinen Vater diesem … diesem … Monster überlassen? Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, und musste sich die Fingernägel in die Handballen drücken, um sich zusammenzureißen.

»Fort«, flüsterte er so leise, dass die Krankenschwester sich vorbeugen musste. »Forsythe Fitzgerald.«

»Das ist aber ein ungewöhnlicher Name«, stellte sie fest und lächelte ihn sanft an. »Kommt der in deiner Familie häufiger vor?«

Fort nickte. »So hieß mein … mein Opa. Der Vater meiner Mutter. Aber der lebt nicht mehr.«

»War deine Mutter auch dabei – dort draußen an der Mall?«, wollte die Krankenschwester wissen.

Wortlos schüttelte Fort den Kopf. Die Krankenschwester wartete kurz, ehe sie aufstand.

»Und wie heißt dein Vater? Dann schau ich mal, ob ich ihn ausfindig machen kann.«

»John«, antwortete er langsam. Inzwischen liefen ihm Tränen übers Gesicht. »Oder auch J.D.«

»John oder J.D. Fitzgerald«, wiederholte die Krankenschwester und machte sich auf ihrem Klemmbrett eine Notiz. »Hab ich mir aufgeschrieben. Und jetzt ruh dich gut aus, Forsythe. Hier kann dir nichts passieren. Was immer draußen an der Mall geschehen ist – das ist vorbei. Alles wird gut.« Dann lächelte sie noch mal und verließ das Zimmer.

Ihr Lächeln war eine Lüge gewesen, genau wie alles andere auch. Was immer dort draußen passiert war – nichts würde gut werden. Jetzt nicht mehr.

Eine Weile blieb Fort allein, schlummerte wiederholt ein, wachte aber bei der Erinnerung an das Ungeheuer und seinen Vater, der seinen Namen rief, jedes Mal schreiend auf.

Bei einer solchen Gelegenheit spähten zwei Polizeibeamte, die gerade draußen vorbeigingen, in sein Zimmer. Als sie sichergestellt hatten, dass es ihm gut ging, ließen sie sich draußen auf dem Flur nieder.

»Wie sieht es eigentlich beim Geheimdienst aus?«, fragte einer der beiden.

»Eine Gebäudehälfte ist komplett zerstört«, antwortete der andere. »Da ist eins dieser Monster durch den Boden gebrochen.«

»Was sind das für Biester? Klingt wie etwas aus einem Godzilla-Film.«

»Wie auch immer – es war ein Anschlag. Die National Mall und das Geheimdienstgebäude exakt zur selben Zeit? Das riecht nach Planung.«

»Du glaubst ernsthaft, diese Monster hätten das geplant? Die könnten denken?«

»Keine Ahnung. Aber wie wahrscheinlich ist es bitte, dass es im gesamten Land ausgerechnet diese zwei Orte zufällig trifft?«

»Du machst wohl Witze! Wie wahrscheinlich ist es bitte, dass solche Biester überhaupt existieren?«

»Ich sag doch nur, dass es irgendetwas bedeuten muss. Ich weiß doch auch nicht, wer dahintersteckt oder wie das vonstattengegangen sein soll. Aber das sollten wir schleunigst herausfinden. Ich war drüben, an der Mall. Das Militär hat gegen das Monster Raketenwerfer eingesetzt, und das Vieh hat nicht mal mit der Wimper gezuckt.«

»Hat es wohl – es hat sich in die Erde zurückgezogen.«

»Doch nicht unseretwegen«, wandte der zweite Beamte ein. »Es kam durch die Mitte des Reflexionsbeckens, hat dann urplötzlich innegehalten und ist verschwunden. Irgendwas hat es zurückgepfiffen – und genau das Gleiche ist mit dem Monster vom Geheimdienstgebäude geschehen.«

»Wenn das stimmt, haben wir ein Riesenproblem.«

»Psst!« Die Krankenschwester lief an ihnen vorbei auf Forts Zimmer zu. »Da drin liegt ein Kind. Unterhalten Sie sich woanders.«

Die beiden Beamten nickten und gingen ein Stück den Flur hinab. Trotzdem konnte Fort sie weiter hören, bis die Krankenschwester seine Zimmertür ins Schloss schob und sämtliche Geräusche von draußen ausblendete. Dann trat sie an sein Bett. Sie sah aus, als würde sie ihm gleich eine unangenehme Nachricht überbringen müssen.

»Ich hab deinen Vater noch nicht finden können.« Sie setzte sich an die Bettkante und griff nach Forts Hand. »Aber das ist bestimmt bloß eine Frage der Zeit. Ich frag das nicht gern, aber … Wo hast du ihn denn zuletzt gesehen? Weißt du … Weißt du, was mit ihm passiert ist?«

Fort biss sich auf die Lippe und drehte sich weg, als ihm erneut die Tränen kamen.

Die Krankenschwester zögerte kurz, dann nickte sie. »Verstehe. Gibt es eine Möglichkeit, mit deiner Mutter Kontakt aufzunehmen?«

Fort schüttelte den Kopf. »Sie … Sie ist schon vor Jahren gestorben. Als ich zur Welt kam …«

Die Krankenschwester schluckte schwer. »Ach, Forsythe, das tut mir leid! Und was ist mit … Hast du Tanten oder Onkel oder irgendwen …«

»Es hat ihn verschleppt«, wisperte Fort. »Es hat ihn gepackt und unter die Erde gezerrt, als es sich zurückgezogen hat – wie die Polizisten gesagt haben. Da hat es meinen Vater einfach mitgenommen.« Tränen liefen ihm übers Gesicht, aber das war ihm inzwischen egal. Er wollte nur noch alles rauslassen, die Bilder aus seinem Kopf vertreiben, sodass er sie nicht mehr zu sehen brauchte. »Ich hab noch versucht, ihn zu retten und ihm hinterherzulaufen …« Dann erinnerte er sich wieder an die Stimme, und er klammerte sich daran, als wäre er ein Ertrinkender, der sich nach einem Rettungsring streckt. »Aber irgendwas hat … irgendwas hat mich von dort weggelotst. Ich konnte nicht anders. Als wäre ich nicht mehr Herr meiner selbst, als könnte ich meine Beine nicht mehr kontrollieren. Ich … Ich konnte nur noch zusehen, aber nichts mehr tun …«

»Du standest unter Schock«, erklärte die Krankenschwester leise und drückte seine Hand. »Du hattest Panik – und zwar zu Recht. Jeder dort draußen war panisch, sogar Leute, die viel älter sind als du. Dass du davongelaufen bist, wundert mich nicht – ich wäre auch davongelaufen. Dein Vater hätte gewollt, dass du dich in Sicherheit bringst.«

»Nein!« Fort war laut geworden. »Ich bin nicht davongelaufen. Die anderen schon – aber ich bin stehen geblieben. Ich wollte helfen! Ich konnte nicht zulassen, dass er einfach … Ich konnte ihn doch nicht dort lassen! Aber irgendwas war da in meinem Kopf, das mich von der Stelle weggelotst hat. Es war so, das weiß ich genau!«

Doch noch während er das sagte, fragte er sich erneut, ob die Stimme wirklich da gewesen war. Wie konnte er sich nach allem, was sich ereignet hatte, tatsächlich sicher sein, dass ihn nicht bloß die Angst vor dem Ungeheuer in die Flucht geschlagen hatte? Was, wenn er sich die Stimme nur ausgedacht hatte, um eine Erklärung zu haben, warum er seinen Vater im Stich gelassen hatte?

Fort konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen und ließ sich zurück ins Bett fallen. Er wusste nicht mehr, was er noch denken sollte.

Mit einem Seufzer stand die Krankenschwester auf und fing an, an einer Nadel und mehreren Schläuchen zu nesteln, die in Forts Arm steckten.

»Ich verstehe dich, Forsythe. Wir haben alle diese Stimme im Kopf, die uns sagt, was wir tun sollen. Aber du darfst dir dafür nicht die Schuld geben. Du hast genau das Richtige getan, indem du weggerannt bist. Jetzt schlaf erst mal, und in der Zwischenzeit finden wir heraus, was mit deinem Vater passiert ist.«

»Sie werden ihn nirgends finden«, entgegnete Fort, während um ihn herum das Zimmer vor seinen Augen verschwamm. »Er ist … in die Tiefe … verschwunden … mit dem Ungeheuer …«

»Mach dir keine Gedanken darüber, was das für ein Ungeheuer war«, sagte die Krankenschwester wie aus unendlich weiter Ferne. »Da draußen gibt es Leute, die für unsere Sicherheit sorgen. Die beschützen uns vor dem Bösen. Du wirst schon sehen.«

Und damit wurde es dunkel im Zimmer. Doch noch während Fort wegdämmerte, war ihm nur zu klar, dass sie ihn belogen hatte.

KAPITEL 4

»Es ist jetzt fast sechs Monate her, dass er aus dem Krankenhaus entlassen wurde«, sagte Forts Tante Cora, die in der Küche stand und telefonierte. »Ich kriege kaum etwas Nahrhaftes in ihn hinein – und jetzt hat er auch noch einen Verweis bekommen, ausgerechnet wegen einer Schlägerei! Der andere Junge hat wohl irgendeinen dummen Spruch über Washington fallen lassen und so getan, als wäre er dieses … dieses Monster, und da ist Fort ausgerastet. Im Nachhinein konnte er sich kaum daran erinnern.«

Fort fuhr mit dem Finger über die verschiedenen Übersetzungen der Gettysburg-Rede in seiner Broschüre – dem letzten Gegenstand, den er von seinem Vater bekommen hatte. Dann drehte er sich wieder zum stumm geschalteten Fernseher um, auf dem Bilder der Verwüstung nach den Angriffen vor sechs Monaten gezeigt wurden.

Erst war ein Kameraschwenk über das Hauptquartier des Geheimdiensts in Fort Meade im Bundesstaat Maryland zu sehen: ein riesiger Büroklotz mit getönten Scheiben, der zur Hälfte in Trümmern lag. Eins der Monster hatte sich anscheinend genau in der Mitte des Gebäudes nach oben gearbeitet, rundherum alles verwüstet und sich dann wieder in die Erde zurückgezogen. Inzwischen war das komplette Gelände verwaist und wurde von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht. Ein Militärhelikopter fing sogar den Hubschrauber eines Fernsehsenders ab und zwang ihn, das Areal zu verlassen.

Dann wurde nach Washington geschaltet, wo schwarze Kuppelzelte über dem Lincoln Memorial und den Überresten der National Mall errichtet worden waren und von Soldaten bewacht wurden. Unter den Kuppeln klaffte ein riesiges Loch, das wer weiß wo endete. Von der Regierung war darüber nichts bekannt gegeben worden; auch nicht, wie tief das Loch war.

Trotzdem – irgendwo dort hinunter hatte das Monster Forts Vater verschleppt.

»Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll, Lin«, fuhr seine Tante am Telefon fort. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, er schläft sogar nicht mehr als ein, zwei Stunden am Stück.«

Das entsprach der Wahrheit. Wann immer Fort die Augen schloss, sah er ein Monster aus einem grünen Feuerring aufsteigen und auf ihn zustürmen, während eine tiefe, gutturale Stimme etwas in einer Sprache brüllte, die er noch nie gehört hatte. Und immer wenn Fort versuchte zu schreien, war es nicht seine Stimme. Es war jedes Mal die Stimme eines Mädchens.

Und dann die Erinnerungen … Egal woran er dachte – alles erinnerte ihn an seinen Vater. Mehrmals am Tag ertappte er sich dabei, wie er sich vorstellte, dass sein Vater über irgendwas Witze machte oder ihn ohne jeden Grund für etwas Albernes in den Himmel lobte. Jedes Mal, wenn das passierte, fühlte er sich von der Qual und Trauer beinahe überwältigt, und …

Ein Stechen in seiner Hand riss ihn aus seinen Gedanken. Als er hinabblickte, stellte er fest, dass er die Broschüre vom Lincoln-Denkmal in der Faust zerknüllt hatte. Wann war das denn passiert? Behutsam strich er sie wieder glatt, legte sie beiseite und zappte dann wahllos durch die Fernsehkanäle. Ihm war völlig egal, was lief.

»Ein Internat hat angeboten, ihn aufzunehmen«, sagte seine Tante, und Fort spähte in Richtung Küche. »Der Direktor hat erfahren, was mit meinem Schwager … was vorgefallen ist. Er meinte, sie hätten Erfahrung darin, mit trauernden, traumatisierten Jugendlichen zu arbeiten, und könnten Fort vielleicht helfen. Allerdings klang das Ganze wie eine Art Militärakademie, und ich weiß wirklich nicht, ob ich ihn einfach so von hier wegschicken kann. Ich bin doch die einzige Angehörige, die er noch hat.«

Seine Tante dachte darüber nach, ihn wegzuschicken? Ja, das ergab Sinn. Fort nickte kaum merklich und bohrte die Fingernägel fester in seine Handballen. Immerhin war es zumindest teilweise seine Schuld, dass sie sich jetzt um ihn kümmern musste. Cora war die viel jüngere Schwester seiner Mutter und hatte gerade erst das College abgeschlossen. Seither hatte sie mehr oder weniger von der Hand in den Mund gelebt, stotterte ihre Studiengebühren ab und jobbte als Kellnerin, obwohl sie Informatik studiert hatte. Aus der Lebensversicherung seines Vaters war ein bisschen Geld geflossen, allerdings nicht genug. Und es wurde dadurch nicht besser, dass sie ihre Schicht absagen musste, weil sie Fort nach einer Prügelei aus der Schule abholen musste, so wie heute.

Erst hatte sie ihre Schwester – Forts Mutter – verloren, und dann hatte sie ihn ohne jede Vorwarnung bei sich aufnehmen müssen. Und alles nur, weil er davongelaufen war, statt seinem Vater beizustehen, der einer alten Frau die Treppe hinuntergeholfen hatte, bevor …

Fort kniff die Augen zu, biss die Zähne zusammen und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Nicht, dass es etwas verändert hätte. Seine Tante müsste sich ja doch weiter um ihn kümmern, auch wenn sie das nie gewollt hatte. Und er machte ihr das Leben allein dadurch schwer, indem er existierte.

Fort wandte sich wieder dem Fernseher zu. Ohne es zu wollen, hatte er zu einer Pressekonferenz im Weißen Haus gezappt. Irgendein Typ mit zig Orden und Streifen auf der Uniform stellte gerade einen anderen vor, der ebenfalls vom Militär zu sein schien. Stirnrunzelnd schaltete Fort den Ton wieder an.

»… bin Colonel Charles«, sagte der zweite Mann und lächelte grimmig. »Wie General Matheson gerade erwähnt hat, werde ich die behördenübergreifenden Maßnahmen gegen die Bedrohung leiten. Die Phänomenabwehrbehörde – kurz PAB – hat schon jetzt erste gezielte Abschreckungsmaßnahmen gegen weitere mögliche Angriffe entwickelt, die dem Umstand Rechnung tragen, dass wir in Washington mit herkömmlichen Waffen keine Wirkung erzielen konnten.«

Gezielte Abschreckungsmaßnahmen? Was sollte das denn heißen? Was wollten sie unternehmen, um diesen Monstern Einhalt zu gebieten?

»Wissen wir in der Zwischenzeit, woher die Monster kamen und was sie überhaupt wollten?«, rief ein Reporter dazwischen.

Colonel Charles starrte für einen Moment auf das Rednerpult hinab. »Die Herkunft dieser Ungeheuer ist nach wie vor ungeklärt. Wir können zurzeit nur mit Gewissheit sagen, dass wir mit so etwas nie zuvor konfrontiert worden sind. Allerdings gibt es Hinweise, dass hinter den Anschlägen eine höhere Triebkraft steckt – eine Macht, die die Monster entweder von außen zu steuern vermag oder sie gegen uns aufgehetzt hat. Wir gehen derzeit ausgedehnten Ermittlungen nach, aber Sie verzeihen mir hoffentlich, wenn ich darüber im Moment noch nicht reden kann. Sobald es spruchreif ist, bekommen Sie sämtliche Informationen, die ich rausgeben darf.«

»Steckt eine Terrorzelle oder ein verfeindeter Staat dahinter?«, wollte ein anderer Reporter wissen.

»Müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen?«, rief der nächste.

Colonel Charles zog die Stirn kraus. »Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Wir haben keinerlei Hinweise auf neuerliche Attacken und arbeiten Tag und Nacht daran, dass so etwas nicht noch einmal passiert.«

»Keinerlei Hinweise? Aber den ersten Angriff haben Sie doch auch nicht vorhergesehen, oder?«, fragte derselbe Reporter.

»Und was heißt das überhaupt – ungeklärte Herkunft?«, rief ein anderer. »Wo könnten sie denn hergekommen sein?«

»Und was sind das genau für Maßnahmen? Woher wollen Sie wissen, dass die beim nächsten Mal wirksamer gegen die Monster sind, wenn Sie nicht einmal wissen, womit wir es zu tun haben?«

»Ich fürchte, mehr kann ich Ihnen derzeit nicht sagen«, erwiderte Colonel Charles. »Sie bekommen weitere Informationen, sobald es die Lage erlaubt.«

Dann verließ er das Rednerpult, obwohl die Reporter ihm immer noch Fragen nachriefen, und Fort stellte den Fernseher stumm. Er fragte sich, warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte.

Sechs Monate war es jetzt her, und immer noch wollten sie nicht verraten, wer sie angegriffen hatte und warum. Ganz zu schweigen davon, dass jeder ständig nur noch darüber nachdachte, ob und wann die nächste Attacke bevorstand. In den Schulen wurden für den Fall, dass sich eins dieser Monster in nächster Nähe aus der Erde grub, Erdbebenübungen abgehalten. Im Internet kursierten unzählige Gerüchte und Verschwörungstheorien: was das für Kreaturen gewesen waren, wo sie herkamen und warum sie aufgetaucht waren. Im Grunde wussten alle nur eins: dass es beim ersten Angriff keine Vorwarnung gegeben hatte. Insofern war wohl nicht davon auszugehen, dass es bei der nächsten Attacke anders sein würde.

»Mag schon sein, aber man kann nicht auf Dauer in Angst leben, Fort«, hätte sein Vater gesagt. »Weil Angst kein Ort ist. Das Cape Fear, das Kap der Angst, wiederum – das ist ein echter Ort, und zwar in North Carolina. Dort kann man leben.«

»Du solltest dir das gar nicht ansehen.«

Seine Tante war in der Tür aufgetaucht, und Fort zuckte zusammen. Insgeheim war er dankbar, dass sie ihn aus seinen Gedanken riss.

»Alles okay mit dir?«, wollte sie wissen. »Ich weiß schon, dass solche Gedenktage … nach dem Motto: heute vor sechs Monaten …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

Fort nickte in ihre Richtung, um ihr zu verstehen zu geben, dass er sie gehört hatte. Ihm war schnell klar geworden, dass sie ihm umso mehr Fragen stellte, wenn er nicht reagierte. Er schaltete den Fernseher aus, ließ sich aufs Sofa zurückfallen und schloss die Augen. Vielleicht würde sie den Wink ja verstehen und ihn in Ruhe lassen. Zumindest würde er ihr so nicht ebenfalls die Laune verhageln.

»Ich bestelle Pizza zum Abendessen, einverstanden?« Im nächsten Moment spürte er, wie sie sich neben ihm aufs Sofa setzte. »Ganz egal welche. Komm, wir schlagen mal so richtig zu! Meine lasse ich gleich dreifach belegen.«

Er zuckte mit den Schultern. Für ihn schmeckte derzeit ja doch alles gleich. Da spielte es keine Rolle, was sie bestellte.

»Und anschließend will ich, dass du dich mit jemandem unterhältst, okay?«, fuhr sie fort. »Es handelt sich um … tja, also … um einen Doktor – allerdings nicht wie dieser Therapeut, den du nicht ausstehen konntest. Er leitet ein Internat, und er behauptet, er könnte dir helfen. Er hat von dir gehört, weißt du, aus den Nachrichten, und hat mich daraufhin kontaktiert. Er meint, seine Schule könnte das Richtige für dich sein.«

Mit einem neuerlichen Schulterzucken schlug Fort die Augen wieder auf. Doch diesmal zwang er sich zu einem schiefen Lächeln. Er wollte nicht, dass sie sich schlecht fühlte, weil sie ihn wegschickte. Zumindest würde sie so mit ihrem eigenen Leben wie bisher weitermachen können.

Sie nahm ihn behutsam in den Arm und lehnte den Kopf an seinen. »Mir fehlen sie auch – ganz schrecklich … dein Vater und deine Mutter. Es tut mir so leid, dass du nicht mehr Zeit mit deinem Vater verbringen oder deine Mutter kennenlernen konntest. Sie waren wirklich fantastische Menschen.«

Nein. Fort wand sich aus ihrer Umarmung, und ihm dämmerte, dass sie sich deshalb gleich wieder schlecht fühlen würde, aber er schaffte es einfach nicht. Jedes Mal, wenn sie es erwähnte … Nein. Er konnte sich das im Moment einfach nicht anhören.

Er schnappte sich die Broschüre mit der Gettysburg-Rede und steuerte die Küche an. »Ich hole mir eine Limo. Willst du auch etwas?«

Traurig sah sie ihm nach. »Nein, alles gut.«

Er nickte, verschwand in die Küche und dann in Coras Zimmer, wo er den kleinen Zweitfernseher einschaltete. Immer noch Nachrichten. Doch diesmal waren die Demos vor dem Kapitol dran, wo sich Tausende versammelt hatten und einen Militärschlag forderten – nur dass gar nicht klar war, welches Land für die Angriffe verantwortlich gewesen war. Dabei wusste irgendwer doch bestimmt, wer in Wahrheit dahintersteckte. Auf Demo-Schildern standen diverse Vermutungen – und zusehends wütende, verbitterte Kommentare.

Auf der verzweifelten Suche nach etwas, das ihn ablenkte, zappte er erneut durch die Fernsehkanäle, bis er bei einer Zeichentrickserie landete. Da musste er nicht nachdenken. Die Zeit verging quälend langsam, doch irgendwann hörte er, wie Cora den Pizzaservice anrief und nach einer Weile die Tür aufmachte, um die Bestellung entgegenzunehmen. Seine Tante hatte ihnen eine Familienpizza Salami bestellt, was schon in Ordnung war. Cora mochte Salami, und er selbst aß zurzeit sowieso kaum mehr als ein Stückchen.

»Fort, wenn du beschließen solltest, dass du dieses Internat nicht besuchen willst, ist das total okay«, sagte seine Tante und stellte die Teller fürs Abendessen auf den Tisch. »Es ist einzig und allein deine Entscheidung. Wenn du lieber hier bei mir bleiben willst, finden wir einen Weg. Dein Vater hat uns genug Geld hinterlassen, sodass wir vielleicht eine näher gelegene Schule suchen könnten. Oder womöglich versuchen wir es mal mit einem anderen Therapeuten?«

Fort antwortete nicht. Der letzte Therapeut hatte kaum mehr als Forts Namen aus ihm herausgekriegt. Insgeheim hatte er deshalb ein schlechtes Gewissen. Trotzdem war das Letzte auf der Welt, worüber er sprechen wollte – erst recht mit einem Fremden –, was in Washington geschehen war.

Schweigend machten sie sich über die Pizza her, und um die Stille in die Länge zu ziehen, kaute Fort sein Stück so langsam wie nur möglich. Wenn er nichts essen wollte, war seine Tante umso trauriger, also stopfte er immer ein paar Bissen in sich hinein. Außerdem stellte sie ihm, wenn er aß, keine weiteren Fragen.

Als Cora gerade die Pizzareste in den Kühlschrank räumen wollte, klingelte es. Sie streifte Fort mit einem nervösen Blick und lief zur Tür. Von draußen konnte er hören, wie ein Mann mit einer tiefen Stimme sich ihr vorstellte – und zu seiner Verblüffung ertönte außerdem die Stimme eines Mädchens. Als sie die Küche betraten, blickte Fort auf. Trotz des Nebels in seinem Gehirn meldete sich die Neugier.

Ein leicht untersetzter Mann, etwa im Alter von Forts Vater, kam lächelnd durch die Küchentür auf ihn zu. Fort zwang sich, das Lächeln zu erwidern. Der Mann trug einen schwarzen Anzug, und mit Handschellen war eine schwarze Aktentasche an seinem Handgelenk befestigt – was wohl nicht normal war für einen Schuldirektor! Aber vielleicht war das bei Internaten ja anders.

Hinter ihm tauchte ein dunkelhäutiges Mädchen mit kurz geschnittenen Locken auf, das in einer grünen Uniform steckte und sich neugierig in der Küche umsah. Als ihr Blick an Fort hängen blieb, grinste sie breit und winkte.

»Fort, das ist Dr. Oppenheimer«, sagte Tante Cora, und der Mann gab Fort die Hand. »Er ist hergekommen, um sich mit dir über die Schule zu unterhalten, die ich erwähnt habe.«

»Genau richtig«, sagte Dr. Oppenheimer. »Und das hier ist Rachel.« Er zeigte auf das immer noch grinsende Mädchen neben ihm. »Sie hat sich bereit erklärt, dir aus Schülersicht zu erzählen, wie es an unserer Schule zugeht. Erfahrungsgemäß ist das für künftige Schüler sehr hilfreich.« Er sah zu Rachel, die begeistert nickte.

»Ma’am, darf ich Sie erst noch um einen Gefallen bitten?«, fragte Rachel und trat von einem Bein aufs andere. »Wäre es okay, wenn ich kurz auf die Toilette gehe? Es war eine lange Reise.«

Forts Tante errötete. »Natürlich! Komm, ich zeig dir, wo die Toilette ist. Und bitte, sag nicht Ma’am zu mir!«

Rachel winkte Fort kurz zu und lief seiner Tante nach. Dr. Oppenheimer legte die Aktentasche auf den Küchentisch und ließ mit beiden Daumen die Schließen aufschnappen. Zum ersten Mal seit vielen Monaten packte Fort derart die Neugier, dass er näher trat. Als in der Tasche nur stapelweise Papiere lagen, war er enttäuscht.

»Du kannst mich übrigens Dr. Opps nennen«, sagte der Mann, dem es nichts auszumachen schien, dass Fort in seine Tasche spähte. »So wie die anderen Kinder auch.«

»Okay …«

Dr. Oppenheimer nahm die Unterlagen heraus und tastete dann über den Taschenboden. Es machte Klick, und er hob den Boden an, griff darunter und zog eine lange Silberkette mit einer Metallkugel am Ende heraus.

»Silber funktioniert besser als jedes andere Metall«, sagte er zu Fort und legte sich die Kette um den Hals. »Warum, können wir leider noch nicht sagen.«

Fort sah ihn verwirrt an. »Silber funktioniert wobei besser?«

»Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten, Dr. Oppenheimer?« Forts Tante war wiedergekommen, blieb aber abrupt stehen, als sie die leere Aktentasche und das Silbermedaillon sah. »Äh, was ist …«

Dr. Opps berührte sie am Arm, und im Bruchteil einer Sekunde ging Cora zu Boden wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Fort wich entsetzt zurück.

»Und jetzt«, sagte der Mann und setzte sich, »unterhalten wir zwei uns ein bisschen über die Oppenheimer-Schule.«