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Sie schaut durch ein Mikroskop auf Schmetterlinge, er durch ein Teleskop auf Sterne. Doch sehen beide dasselbe: die Unvereinbarkeit ihrer Liebe.
Millie liebt ihren Job als Insektenforscherin und zaubert den Besuchern des Wilhelmina Naturkundemuseums mit ihrer mitreißenden Art stets ein Lächeln ins Gesicht. Der Einzige, bei dem ihr das nicht gelingt, ist ihr Kollege Finn Ashford, der das Astronomie-Department leitet. Millie ist fest entschlossen, sich von seiner mürrischen Art, dem finsteren Blick und seinen nerdigen Planeten-Krawatten nicht irritieren zu lassen, und von seinen strahlend blauen Augen und seinem sportlichen, muskulösen Körper schon gar nicht. Stattdessen muss sie sich auf ihre Beförderung im Museum konzentrieren. Doch zu ihrem Leidwesen wird ausgerechnet Finn mit über die Besetzung der offenen Stelle entscheiden. Die seltsamen Schmetterlinge, die plötzlich in ihrem Bauch umherflattern, kann sie daher gar nicht gebrauchen. Denn als Arbeitskollege ist Finn absolut tabu – oder?
– Grumpy meets sunshine – Found Family – Forced Proximity – Forbidden Love – Good Guy – Office Romance – Opposites Attract –
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Seitenzahl: 429
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jillian Meadows bringt ihre Leser*innen mit ihren Liebesgeschichten regelmäßig zum Schwärmen, Lächeln und Freudentränen weinen. Sie lebt mitten im Wilden Westen, Texas, zusammen mit ihren vier Töchtern und drei Hunden. Wenn sie nicht gerade schreibt, verschlingt sie einen Liebesroman nach dem anderen, spielt Brettspiele oder genießt die Natur mit ihrer Familie. Give Me Butterflies ist ihre erste Romance, die auf Deutsch erscheint. Drei weitere berührende Romane sind in Planung.
www.penguin-verlag.de
Jillian Meadows
Sie findet Schmetterlinge faszinierend. Ihren Kollegen nicht.
Roman
Aus dem Englischen von Juliane Zaubitzer
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel Give Me Butterflies bei Avon, New York.
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Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Personen, Orte und Ereignisse sind nicht real, sondern der Fantasie der Autorin entsprungen oder fiktiv abgewandelt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Orten, Organisationen oder Personen ist rein zufällig.
Copyright © 2024 der Originalausgabe by Jillian Meadows
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
Pflichtinformationen nach GPSR)
Published by arrangement with Avon, an imprint of HarperCollins Publishers LLC.
Genehmigtes Zitat von Maya Angelou, Mit jedem Schlag unserer Flügel.
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1973.
Redaktion: Larissa Bendl
Covergestaltung: bürosüd
Coverabbildungen: Cover Illustration © Chloe Quinn
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-32835-1V001
www.penguin-verlag.de
Für alle, die sich ständig entschuldigen:
Lasst den Scheiß.
Entschuldigt euch nicht für Dinge, für die ihr nicht verantwortlich seid.
Entschuldigt euch nicht für Dinge, die ihr nicht bereut.
Und entschuldigt euch schon gar nicht dafür, wer ihr seid.
Wir erfreuen uns an der Schönheit des Schmetterlings, aber selten würdigen wir die Veränderungen, die er durchlaufen hat, um diese Schönheit zu erlangen.
Maya Angelou
Liebe Leser*innen,
es könnte sein, dass einige Passagen des Buches euch persönlich nahegehen, wenn ihr ähnliche Erfahrungen macht oder gemacht habt. Deshalb findet ihr auf Seite 428 eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch. Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.
Jillian Meadows und der Penguin Verlag
Ich bin ein großzügiger Mensch, der einen schrecklichen Fehler begangen hat, und der alte Mann in den weißen Skechers lässt mich bitter dafür büßen.
Als er Maggie’s Bakery betrat, habe ich ihm die Tür aufgehalten, weil ich offenbar eine Schwäche für Opas habe. Und er hat es mir gedankt, indem er mir das letzte Mandelcroissant vor der Nase weggeschnappt hat. Noch nie im Leben hatte ich so hässliche Gedanken.
Zwei Dinge brauche ich für einen erfolgreichen Start in die Woche: eine beliebige Variation von koffeinhaltigem Kaffee und ein Mandelcroissant.
Beides ist heute unentbehrlich, denn das Impostor-Syndrom ist nichts für schwache Nerven, und Koffein und Mandelcroissant hätten mir den Zuckerrausch beschert, den ich dringend benötige, um mich davon abzulenken.
Der alte Mann mir gegenüber beißt in sein fluffiges Croissant, und ich bin kurz davor, mit ihm darum zu kämpfen.
Gebt uns eine Arena für die Schlacht um das letzte Croissant! Ich wette, ich könnte ihn besiegen.
Oder vielleicht auch nicht. Er wirkt noch recht rüstig in seinem braunen Strickpullunder.
»Wir müssen anfangen, unsere Croissants selbst zu backen«, murmle ich, während ich in meinen Blaubeermuffin beiße und den Croissant-Dieb mit Blicken durchbohre. »Ich kann so nicht leben.«
Lena fuchtelt mit ihren regenbogenfarbenen Fingernägeln vor meiner Nase herum und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf ihre karamellbraunen Augen. »Hör auf, den armen Mann so anzustarren.« Sie packt mein Gesicht und quetscht meine Wangen zusammen, bis sich meine Lippen vorwölben. »Iss deinen Muffin. Du brauchst Zucker, damit die nette Millie wieder zum Vorschein kommt.«
Die Kaffeemühle hinter dem Tresen surrt und intensiviert den Espressoduft in der Luft, während ich widerwillig an dem Muffin knabbere. Mein Bein wippt unter dem Tisch und verrät die innere Unruhe, die mich schon den ganzen Morgen plagt.
Lena bemerkt es und stupst mich mit dem Fuß an. »Mach dir keine Sorgen. Du wirst da erhobenen Hauptes reingehen und ihnen zeigen, dass du es verdienst, Abteilungsleiterin zu werden.«
Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen. Jeder, der unter Ängsten leidet, weiß, dass gut gemeinte Worte nicht das Geringste bringen.
Heute habe ich zum ersten Mal Gelegenheit, bei der Konferenz dabei zu sein, an der sonst immer Calvin, mein frisch pensionierter Chef und ehemaliger Leiter der entomologischen Abteilung des Wilhelmina Naturkundemuseums, teilgenommen hat – während er mit seiner Frau im Urlaub das Leben eines Mannes ohne berufliche Verpflichtungen genießt.
Und morgen habe ich ein Vorstellungsgespräch für Calvins Stelle.
Mein Bein zuckt, wenn ich nur daran denke.
»Ich wünschte, ich könnte dich in meine Tasche stecken und mitnehmen«, sage ich zu Lena und trinke einen Schluck von meinem Americano. »Dann könntest du mich den ganzen Tag coachen.«
»Du schaffst das schon. Du brauchst mich nicht, obwohl ich gern deine persönliche Polly Pocket wäre.« Sie schürzt die knallroten Lippen und stützt das Kinn auf die Faust. »Kannst du mir das Strandhaus mit dem Delfin und der Meeresschildkröte besorgen? Das wollte ich schon immer haben.«
»Klar.« Ich beiße in meinen Muffin, um meinen Magen zu beruhigen.
»Gesäßtasche oder vorn? Dein süßer Hintern wäre sicher bequemer.«
Ich muss lachen. »Auf jeden Fall die Gesäßtasche. Du brauchst Platz für die ganzen Accessoires.«
***
Meine flachen Schuhe quietschen auf dem gebohnerten Boden, als ich das Wilhelmina Naturkundemuseum betrete. Ich gebe mein Bestes, den Rest meines Americanos nicht zu verschütten, während ich meine große Tasche über der Schulter zurechtrücke. Der Himmel beschert uns einen wolkenlosen Sommertag in Washington, und die Eingangshalle glitzert im Sonnenlicht, das durch die großen Fenster fällt. Octavius, unser riesiger versteinerter Quetzalcoatlus, schwebt mit seinen breiten Flügeln und scharfen Zähnen über den eintreffenden Museumsbesuchern.
Eleanor winkt von ihrem kreisförmigen Empfangstresen, die runden Wangen zu einem Lächeln verzogen. »Guten Morgen, Millie. Schönes Kleid. Sieht aus wie etwas, das ich in den Siebzigern getragen hätte«, sagt sie und steht auf, um über den Tresen zu spähen.
»Danke.« Ich stelle meinen Kaffee ab und drehe mich langsam im Kreis, damit sie das Vintage-Kleid mit den kleinen Schmetterlingen am Kragen bewundern kann. »Lena und ich haben dieses Wochenende unseren Gilmore-Girls-Marathon unterbrochen, um in einem unserer liebsten Secondhandläden zu stöbern«, erzähle ich ihr und bleibe stehen. »Ich habe es hinter einem Ständer mit alten Jeans gefunden.«
Eleanor nickt, während sie sich wieder setzt. »Klingt nach einem schönen Wochenende.«
»War es auch«, sage ich lächelnd. »Wie war deins?«
»Schatz, ich glaube, ich habe dir noch gar nicht von meinem neuen Book Boyfriend erzählt«, flüstert sie mit funkelnden Augen.
Den Begriff »Book Boyfriend« habe ich ihr vor ein paar Wochen beigebracht, als sie mir von dem Helden ihres historischen Romans vorschwärmte. Sie hat einen Buchclub mit einigen anderen Witwen in ihrer Nachbarschaft, und ich lasse mir von ihnen gerne Empfehlungen geben. Ihre Ansprüche an Männer sind hoch.
Sie erzählt mir von ihrer Wochenendlektüre, und ich lache über die Dreistigkeit des grüblerischen Herzogs und seine Liebesaffäre mit einem Küchenmädchen, bis sie plötzlich innehält.
Ihre Augen hinter der Brille blitzen auf.
»Geh lieber zu deinem Meeting. Ich will nicht, dass du zu spät kommst.« Etwas zu eifrig reicht sie mir meinen Kaffeebecher. »Keine Sorge, ich erzähl nächstes Mal weiter. Du musst los.«
»Okay.« Ich verenge die Augen, als sie mit den Händen gestikuliert, um mich zu verscheuchen.
Als ich mich umdrehe, stoße ich auf eine Wand aus Muskeln, und der Geruch von Salbei und Seife überwältigt meine Sinne.
Zwei große Hände packen meine Arme, und mein Kaffeebecher wird zwischen unseren Körpern zerquetscht, bevor er auf den Boden platscht.
»O Gott …«, quietscht Eleanor hinter mir, aber es hat einen zufriedenen Beiklang.
Ein resignierter Seufzer entweicht meiner Lunge, und ich lasse meine Stirn auf das knittrige weiße Hemd vor mir sinken. Eine Schweigeminute für den verschütteten Kaffee zu meinen Füßen. Ohne diesen Americano hängt meine mentale Gesundheit am seidenen Faden.
Die lauwarme Brühe sickert bis in meinen BH und holt mich in die Realität zurück. Ich richte mich auf und entdecke einen dunklen Fleck auf meinem Kleid. So viel dazu, heute Morgen einen guten Eindruck zu machen.
Widerstrebend fällt mein Blick auf die graue Krawatte mit Planeten vor mir. Ein kleiner Kaffeespritzer trübt das Blau des Neptuns.
Shit! Mir läuft ein Schauer über den Rücken, denn ich weiß genau, wem diese Krawatte gehört: einem verboten attraktiven Mann, dessen ewig finsterer Blick jedoch jede Faszination zunichtemacht.
Ich schlucke, um meine trockene Kehle zu befeuchten. Da ich mich nirgends verstecken kann, setze ich mein strahlendstes Lächeln auf und fasse den Mut, nach oben zu schauen.
Von der Krawatte über die kräftige Kehle, den gestutzten Bart … in die graublauen Augen hinter der schwarz umrandeten Brille.
Beim Anblick der Falte zwischen seinen dunklen Brauen und der strengen Linie seines Mundes zieht sich mir der Magen zusammen.
Dr. Finn Ashford sieht mich immer finster an, aber noch nie so finster wie jetzt.
Sämtliche Luft scheint aus dem Museum zu entweichen, und mir wird klar, dass ich mich geirrt habe. Der finstere Blick tut der Faszination keinen Abbruch. Der Leiter der astronomischen Abteilung ist attraktiver, als es für einen Mann mit seinem Auftreten erlaubt sein sollte.
Unsere Leben sind ein Füllhorn der Gegensätze. In meinem Beruf geht es um kleine, nahe Entdeckungen direkt unter unseren Füßen, während er sich auf große, ferne Dinge konzentriert, die Menschen vielleicht nie erreichen werden.
Wir sind Mikroskop und Teleskop. Lächeln und Stirnrunzeln. Warm und kalt.
Gab es für uns überhaupt eine Chance, jemals einen gemeinsamen Nenner zu finden?
Ich kriege eine Gänsehaut, als sein Atem auf die Haare trifft, die sich aus meinem Zopf gelöst haben. Ihm scheint aufzufallen, dass er meine Arme noch hält, denn er lässt mich so abrupt los, dass ich einen Schritt zurücktaumle. Dann lässt er die Hände sinken und spreizt die Finger, bevor er sie in die Hosentaschen steckt.
Der Abstand zwischen uns erlaubt mir, tief einzuatmen, um meine Lunge wieder mit Sauerstoff zu füllen. »Tut mir leid«, murmle ich mit Blick auf seine Krawatte.
»Ja«, sagt er knapp. Er senkt den Kopf und reibt mit den Fingern über Neptun, als wollte er den Fleck wegwischen.
Der Kerl hat Nerven. Frechheit.
»Es ist nicht allein meine Schuld«, sage ich, und mein Puls rast vor Wut. »Du hast dich viel zu dicht hinter mich gestellt.«
Sein Blick bleibt finster, huscht jedoch zu meinen Haaren, meinen Wangen und dann zu meinem Mund, bevor er wieder zu meinen Augen zurückkehrt. Er räuspert sich. »Solltest du nicht arbeiten, statt mit Eleanor über Herzöge und geheime Affären zu tratschen?«
Mir sträuben sich die Nackenhaare, und meine übliche Konfliktvermeidungsstrategie zerfällt zu Staub. Stattdessen spucke ich aus, was mir als Erstes einfällt: »Solltest du nicht lieber Star Trek schauen, damit du heute bei der Arbeit was Schlaues zu sagen hast?«
Bevor er es unterdrücken kann, huscht der Anflug eines Lächelns über Finns Mund. Das ist die positivste Reaktion, die ich je von ihm bekommen habe.
Ich glaube, das wäre ein Punkt für mich, wenn wir zählen würden.
Sein Kiefer zuckt, als er den Blick verengt. »Ich bin eher der Star-Wars-Typ.«
Mein Lachen verwandelt sich in ein wenig damenhaftes Schnauben, als ich versuche, es zu unterdrücken.
Ein Punkt für ihn. Verdammt.
Finn verschränkt streitlustig die Arme. »Ich muss mit Eleanor reden. Das könnte längst erledigt sein, wenn ich nicht warten müsste, bis ihr beide endlich fertig seid.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust, um es ihm gleichzutun, und sehe ihm in die Augen. Dass ich mir den Hals verrenken muss, um ihn anzusehen, macht es wahrscheinlich weniger einschüchternd als erhofft, aber ich spiegele seinen Gesichtsausdruck und seine Körpersprache trotzdem. »Oh, bitte. Verzeihen Sie uns Frauen, dass wir so höflich sind, uns nach dem Wochenende zu erkundigen. Nicht jeder kann wie Kylo Ren mit wehendem Umhang durch die Tür stürmen und jeden niederstarren, der ihm über den Weg läuft.«
Diesmal muss er sich auf die Lippen beißen, um seine Belustigung zu verbergen. »Beobachtest du mich jeden Morgen, wenn ich reinkomme?« Er legt den Kopf schief und zieht eine Augenbraue hoch.
Mir stockt der Atem, und ich hasse es, dass dies ein weiterer Punkt für ihn ist – in einem Kampf, dessen er sich nicht mal bewusst ist.
Ein paar Leute schlurfen an uns vorbei, um ihren Arbeitstag zu beginnen, leises Gemurmel hallt durch die Weiten des Museums, doch wir lassen einander nicht aus den Augen. Wir sind zwei gegnerische Offiziere zwischen Kapitulation und Blutvergießen.
Sein Blick fällt kurz auf meinen Mund. »Kann ich jetzt mit Eleanor sprechen, oder müsst ihr noch länger die Attraktivität des Herzogs diskutieren?«
Blutvergießen also.
Ich balle die Fäuste wie ein trotziges Kleinkind, ohne mich dafür zu schämen. Keine Ahnung, wer ihm heute Morgen in die Cornflakes gespuckt hat, aber er sollte es nicht an mir auslassen.
»Unbedingt. Bitte sehr«, knurre ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und lasse ihn vor.
Er bückt sich, um meinen Kaffeebecher aufzuheben, und nickt mir kurz zu, bevor er an Eleanors Tresen tritt.
***
Der Händetrockner bringt nichts. Mein grünes Kleid hat immer noch einen dunklen Fleck.
Angst füllt meinen Magen mit der vertrauten Übelkeit, und mich verlässt der Mut. Kann man mich ernst nehmen, wenn ich aussehe wie das Handtuch eines Baristas?
Das bisschen Selbstvertrauen, das ich noch hatte, schwimmt jetzt in einer Kaffeepfütze auf dem Boden.
Ich sehe in den Spiegel und stöhne beim Anblick meiner Wangen, die immer noch gerötet sind von dem Zusammenstoß mit Finn.
Jedes Mal, wenn ich in der Nähe dieses Mannes bin, frage ich mich, was zum Teufel ich ihm getan habe, um diese Blicke zu verdienen. In meiner ersten Woche im Museum hielt ich ihm den Aufzug auf, als ich ihn, in sein Handy vertieft, kommen sah. Als er schließlich den Kopf hob, blickte er mir mit seinen marineblauen Augen ins Gesicht und dann in den leeren Aufzug hinter mir.
»Ich nehme den nächsten«, murmelte er.
Ein paar Wochen später saßen Calvin und ich in seinem Büro und gingen die Pflanzenbestellungen für das Schmetterlingsvivarium durch, als Dr. Schwarzes Loch hereinkam. Er rückte seine Brille zurecht und starrte mich an. »Ich muss mit Calvin unter vier Augen sprechen«, sagte er und widmete sich seinem Handy, während ich meine Sachen zusammenpackte. Ich musste mich an ihm vorbeizwängen, während er wie eine Statue dastand und keinen Zentimeter Platz machte.
Von Erinnerungen überwältigt, verspüre ich plötzlich den Drang, ihn zu verfluchen. Er verdient Rache dafür, wie er mich behandelt.
Möge sein Kaffee heute über ihn gekippt werden. Mögen seine Socken nass werden, wenn es das nächste Mal regnet. Möge sein Autofenster sich nie ganz schließen, sodass es bis in alle Ewigkeit nervtötend pfeift.
Die weichen Ärmel meiner Strickjacke streicheln meine Arme, als ich sie anziehe und zuknöpfe, um den Kaffeefleck zu verdecken. Dann atme ich tief ein und beobachte im Spiegel, wie die Luft aus meinen Wangen weicht.
Aufmunternde Worte für mich selbst zu finden, ist nicht meine Stärke. Lena kann das viel besser. Aber wenn ich versuche, mir ihre positive Energie zu eigen zu machen, ist mein Kopf ein leeres Blatt Papier, und ich habe keine Ahnung, womit ich die Seite füllen soll.
Als ich eine SMS bekomme, ziehe ich das Handy aus der Tasche und sehe ein schiefes Selfie von meiner Mutter mit einer schwarz-weißen Ente in unserem Familien-Chat.
Die Oaks
Mom: Alfred sagt: Ente gut, alles gut, Millie!
Mom: *Das ist ein Wortspiel. Keine Autokorrektur.
Tess: Ich amüsiere mich ohne Ente.
Fabes: Dad sitzt in der Küche und kichert, während er seine Nachrichten liest.
Fabes: Er schreibt schon seit fünf Minuten an einer Antwort.
Dad: Haha. Schluss, aus, Ente.
Mom: Millie, bist du da? Alfred wartet auf eine Antwort. Oder bist du mit deiner Weisheit am Ente?
Was wollte ich noch gerade tun?
Das Display meines Handys wird schwarz, und das Hintergrundbild von meinen Nichten verschwindet, weil ich so lange darauf gestarrt habe. Ich bin sicher, dass es wichtig war. Eine E-Mail beantworten? Gabriella anrufen?
Ich drücke auf die Taste an der Seite meines Handys und sehe wieder das Bild von Avery und Eloise, die sich anlächeln, während ihnen Eiscreme vom Kinn tropft.
Ihr Anblick ist erfreulicher als der meiner Umgebung.
Alle Stühle im Konferenzraum sind von plaudernden Menschen besetzt, bis auf den leeren neben mir. Niemand hat sich getraut, ihn einzunehmen. Alle meiden mich wie die Pest.
Dieses Meeting hätte mit einer Rundmail vermieden werden können, und mein Ärger steht mir sicher deutlich ins Gesicht geschrieben.
Ein Luftzug streift meinen Nacken, gefolgt von einem vertrauten Vanille-Zitronen-Duft.
Der Stuhl zu meiner Rechten wird vom Tisch zurückgezogen, und Millie Oaks lässt sich seufzend darauf nieder. Ihr kastanienbraunes Haar tanzt, als sie den Stuhl vorzieht und ein mit Insekten übersätes Notizbuch und einen orangen Glitzerstift auf den Tisch legt.
Ich stecke mein Handy wieder ein.
Millie streicht ihr Kleid glatt und schlägt das Notizbuch auf, das Kinn vorgereckt, um ja nicht in meine Richtung zu sehen. Ihre Finger gleiten über die leere Seite, während sie oben das Datum einträgt, gefolgt von einer schnörkeligen Überschrift.
Offenbar hat sie einen Pullover gefunden, um den Kaffeefleck zu verdecken. Ehrlich gesagt, fühle ich mich ein bisschen schlecht deshalb. Wahrscheinlich stand ich wirklich zu nah, aber als ich sie und Eleanor über einen gleichermaßen charmanten wie übellaunigen Mann sprechen hörte, war meine Neugier geweckt. Sobald ich begriff, dass sie sich über ein Buch unterhielten, trat ich einen Schritt zurück, aber nicht weit genug, um das Chaos abzuwenden.
Ich sehe wieder auf ihr Notizbuch, in das sie zwei kleine Marienkäfer gemalt hat. Dann setzt sie den Stift ganz unten auf der Seite an und schreibt in aller Seelenruhe:
Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Spock.
Mir entfährt ein verächtliches Schnauben. Ich hab ihr doch gesagt, dass ich kein Star-Trek-Fan bin. Der Vergleich mit Kylo Ren hat mir besser gefallen.
Ihre rosigen Lippen verziehen sich zu einem zufriedenen Lächeln, bevor sie ihr Notizbuch nimmt und ihren Stuhl von mir wegdreht.
Die Tür geht auf. Sharon, die Museumsdirektorin, und Reva, die Museumspädagogin, kommen rein.
»Guten Morgen zusammen. Können wir anfangen?« Sharon legt einen Ordner auf den Tisch und setzt die Brille auf, die um ihren Hals hängt. Ihr kurzer grauer Bob wippt um ihr Gesicht, während sie allen zunickt, bis ihr Blick auf Millie fällt. »Oh, die meisten von euch wissen es wahrscheinlich schon, aber das ist Millie aus der Entomologie.«
Millie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her und lächelt in die Runde.
»Sie ist hier, weil Calvin in Costa Rica seinen wohlverdienten Ruhestand genießt.« Es wird neidisch gemurmelt.
Millie legt ihr Notizbuch wieder vor sich auf den Tisch. Sie hat kleine Blumen gekritzelt, um die Worte zu kaschieren, die sie für mich geschrieben hat, und aus irgendeinem Grund macht sich Enttäuschung in meiner Brust breit.
»Okay. Der erste Punkt auf der Tagesordnung ist unser jährliches Ferienprogramm nächste Woche. Ich übergebe an Reva.« Sharon lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.
»Ich hoffe, ihr seid alle auf den Besuch unserer kleinen Wissenschaftler vorbereitet.« Beglückt faltet sie die Hände. »Wie ihr wisst, werden die Kinder von Montag bis Freitag hier sein und verschiedene Abteilungen des Museums durchlaufen. Ihr solltet alle eine Kopie des detaillierten Zeitplans in eurem Posteingang haben, aber ich habe ein paar ausgedruckte Exemplare mitgebracht, um ihn gemeinsam durchzugehen.« Sie gibt den Stapel mit den Plänen nach rechts weiter.
Ich nehme ein Blatt und reiche Millie den Rest des Stapels. Als sie danach greift, streifen ihre weichen Fingerspitzen meinen Handrücken, und sie zuckt so zusammen, dass sie den Stapel fallen lässt und über dem Tisch verteilt.
Reva fährt fort, während ich Millie helfe, die Zettel einzusammeln, ohne meinen Unmut zu verbergen. »Wir haben einige Crossovers, wie ihr auf dem Plan sehen könnt. Technik und Astronomie bauen zusammen Raketen, und Entomologie und Ökologie machen eine Exkursion. Ich hoffe, ihr habt euch schon mit den jeweiligen Fachbereichen kurzgeschlossen.«
Ich habe Schwierigkeiten, Reva zu folgen, denn ich bin abgelenkt von den welligen Strähnen, die sich aus Millies Zopf gelöst haben, und den Knochen in ihrer linken Hand, die sich sanft bewegen, während sie schreibt.
Der weiche, melodische Klang ihrer Stimme reißt mich aus meiner Trance. »Ja, wir werden die Kinder gut beschäftigen.« Ihr Blick wandert durch den Raum. »Wir haben einige Schmetterlinge, die nächste Woche schlüpfen sollen, das können die Kinder dann beobachten.« Sie knetet ihre Oberschenkel. »Außerdem haben wir ein paar Setzlinge, um vor dem Museum einen Bestäubergarten anzulegen. Und am Donnerstag machen wir einen Ausflug zum Stafford’s Pond.«
Alle Augen sind auf den Leiter der Paläontologie gerichtet, während er seine Idee vorträgt, aber mein Blick bleibt auf Millie gerichtet. Sie spielt mit dem Bleistift in ihrem Schoß und kaut auf ihrer vollen Unterlippe.
Meine Haut kribbelt, als der plötzliche Drang, etwas zu sagen, mich durchströmt, und mein Gehirn verliert die Kontrolle über meinen Körper. Ich beuge mich zu ihr und gestatte mir kurz, den Vanille-Zitronen-Duft ihrer Haare einzuatmen, bevor ich ihr leise ins Ohr flüstere: »Bist du nervös?«
Millie schreit auf, fährt aus ihrem Stuhl hoch und knallt mit dem Kopf gegen meine Nase.
Fuck.
Sofort bedecke ich mein Gesicht und ziehe das Kinn zurück, um tief durchzuatmen. Meine Nase brennt und pocht, als ich meine Hand darunterhalte.
Kein Blut, aber es tut weh.
Als Millie mir ihr Gesicht zuwendet, sind ihre Augen zusammengekniffen, ihre Lippen zu einer flachen Linie zusammengepresst. »Arschloch«, sagt sie tonlos.
»Nein«, flüstere ich und schüttle den Kopf. »Ich meinte …«
»Finn, möchtest du noch etwas hinzufügen?« Ich zucke zusammen, denn Sharon blickt zwischen uns hin und her wie eine Schuldirektorin, die ihre Schüler gerade beim Rauchen auf der Toilette erwischt hat.
»Nein. Millie und ich haben nur unsere Pläne für das Camp besprochen.« Ich setze mein bestes Pokerface auf.
»Oh, schön. Die würde ich gerne hören.« Reva lächelt aufmunternd.
O Shit. Der schlimmste Albtraum eines jeden ungezogenen Schülers. Auch noch mit vierunddreißig.
Während ich versuche, etwas zum Gespräch beizutragen, sehe ich, dass Millie sich auf die Lippen beißt, als würde sie sich das Lachen verkneifen.
Angesichts unserer misslichen Lage will ich auch lachen, doch ich übertünche es mit meinem bösen Blick.
Monatelang bin ich dieser Frau aus dem Weg gegangen, denn irgendetwas an ihrem sonnigen Wesen lässt mich zurückschrecken.
Sie strahlt die ganze Zeit, erhellt alles um sich herum, und das gleißende Licht fühlt sich an wie ein Sonnenbrand dritten Grades für einen Mann, der zu lange im Dunkeln war.
***
Als ich in mein Büro zurückkehre, habe ich zwei verpasste Anrufe von meiner Mutter.
Ich drücke ihren Namen auf dem Display, um sie zurückzurufen, und sie nimmt nach dem ersten Klingeln ab.
»Finneas, wie überaus reizend von dir, dass du mich zurückrufst.«
Ich verdrehe die Augen angesichts des Sarkasmus in ihrer Stimme. Wenn ich freundlich bleiben will, muss ich dieses Gespräch schnell beenden.
»Nun, ich habe einen Job.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagt sie wegwerfend. »Sag mal, kommst du Freitag zum Essen? Ich habe dir mehrere Nachrichten geschickt, aber du hast nicht geantwortet. Der Caterer muss wissen, mit wie vielen Leuten zu rechnen ist. Es ist nicht sonderlich höflich, mich so lange hinzuhalten.«
Höflich. Weiß sie überhaupt, was das Wort bedeutet?
Ich würde sogar eine Wurzelbehandlung einem Abendessen mit den Freunden meiner Eltern vorziehen.
»Wir kommen nicht, Mom. Das ist kein gesundes Umfeld für uns.« Diese Taktik funktioniert bei ihr normalerweise nicht, aber ich versuche es trotzdem.
»Ja, mein Sohn. Ich weiß, dein Therapeut hat gesagt, du sollst Grenzen setzen.« Sie sagt Therapeut und Grenzen, als wäre es Dreck, den jemand in ihr makelloses Haus getragen hat. »Aber wir sind deine Eltern, verdammt noch mal. Die Vorstellung, dass dir jemand sagt, was du tun sollst, ist absolut lächerlich.«
»Mein Therapeut sagt mir nicht, was ich tun soll.« In meinem Schädel pocht es. Ich nehme die Brille ab, lege sie auf den Schreibtisch und presse meine Finger zwischen die Augenbrauen. »Wir finden gemeinsam heraus, was mir hilft, mit größtmöglicher mentaler Gesundheit durchs Leben zu gehen.«
Es entsteht eine lange Pause. Eine manipulative Pause. Und ich weiß, sie sucht nach wunden Punkten, in die sie ihre Finger bohren kann, um mich zum Nachgeben zu zwingen.
»Finneas, du warst schon ewig nicht mehr zu Hause, und deine Schwester …« Mit einem leisen Schniefen verstummt sie. Ich hasse es, dass ich sofort von Schuldgefühlen überwältigt werde. Sie hat gefunden, wonach sie gesucht hat.
Die Worte deine Schwester zwingen mich zum Nachgeben, denn ich bin nicht in der Lage, mit ihr über Clara zu sprechen, und das weiß sie.
»Na gut, Mom. Ich komme. Allein.«
Mach dir keine Sorgen, mein Schatz.« Die tiefe Stimme meines Vaters ertönt über die Freisprechanlage. »Dein Vorstellungsgespräch wird super.«
Ich setze den Blinker und lenke den 4Runner auf die Hauptstraße, die zum Museum führt. Normalerweise würde ich zu Fuß zur Arbeit gehen, aber ich wollte nicht, dass ich vor dem Vorstellungsgespräch von der Luftfeuchtigkeit krauses Haar bekomme.
»Ach, Dave«, sagt meine Mutter schwärmerisch. »Weißt du noch, wie sie die ganzen Raupen vor den Hühnern gerettet hat? Ich habe immer noch Albträume davon, wie ich eine davon auf meinem Kopfkissen gefunden habe.«
Ich zucke zusammen. »Danke, dass du mich daran erinnerst, Mom.«
»Nun, ich denke oft an diesen Tag zurück. Ich habe mich zwar geekelt, aber ich war so stolz auf dich«, gurrt meine Mutter. »Das bin ich schon seit dem Tag deiner Geburt.«
Die Bremsen quietschen, als ich an einer Ampel halte. »Na, ich hoffe, ihr seid auch noch stolz auf mich, nachdem ich versucht habe, das Aufsichtsgremium und die anderen Abteilungsleiter davon zu überzeugen, dass ich diesen Job verdiene.«
Mein Vater brummt nachdenklich. »Wenn du willst, dass ich komme und sie zur Vernunft bringe …«
»Nein«, falle ich ihm ins Wort. »Auf keinen Fall. Die wissen schon, was sie tun.«
Mom seufzt. »Ein Wort, und wir kommen. Mitsamt deinen Schwestern.« Bei dem Gedanken wird mir ganz warm ums Herz. Das würden sie tatsächlich tun. Alles stehen und liegen lassen und eine Stunde fahren, nur um mir zu helfen.
»Das weiß ich zu schätzen, aber ich will diesen Job bekommen, weil ich qualifiziert bin. Nicht, weil meine Eltern im Museum einen Aufstand gemacht haben«, scherze ich.
»Okay, Schatz. Mach dir keine Sorgen, und vergiss nicht, dass du etwas ganz Besonderes bist«, ermahnt mich meine Mutter.
Ich verdrehe die Augen. »Danke. Das werde ich ihnen auf jeden Fall ausrichten.« Blinkend biege ich auf den Parkplatz des Museums.
»Und wir sind immer stolz auf dich«, sagt mein Vater mit Nachdruck.
Unwillkürlich zuckt ein Lächeln um meine Mundwinkel. »Ich hab euch beide lieb«, sage ich und nehme mein Handy aus der Konsole, um das Gespräch zu beenden.
Als ich mit dem Daumen auf das Display tippe, rutscht es mir aus den Fingern und landet mit einem dumpfen Aufprall zwischen meinen Füßen. »Scheiße«, fluche ich und bücke mich, um es aufzuheben, während ich mit einem Auge über das Lenkrad schiele. Als mir ein SUV den Weg abschneidet, trete ich auf die Bremse und höre etwas splittern.
Es klingt verdächtig nach dem Display meines Handys.
»Fuck.« Mal sehen, wie viele Schimpfwörter ich an diesem Morgen noch aus meinem Hirn zaubern kann. Ich sehe die Bremslichter des Geländewagens, also senke ich den Kopf, nehme den Fuß vom Bremspedal und ziehe das Handy darunter hervor.
Die Stille in meinem Auto wird von einem lauten Knirschen beendet, und meine Stirn schlägt gegen das Armaturenbrett, als ich in das Auto vor mir fahre.
»Shit. Fuck. Verdammt«, knurre ich, drücke den Schaltknüppel aggressiv in die Parkposition und reibe mir mit der Hand die Stirn, um den Schmerz zu lindern.
Ausgerechnet heute.
Wie soll eine Frau, die so in den Tag startet, beim Vorstellungsgespräch überzeugen?
Zentimeter für Zentimeter hebe ich den Kopf. Die Motorhaube meines Wagens kommt in Sicht, und mir dreht sich der Magen um, als mein Blick auf den anderen Fahrer fällt.
Er gibt wieder den Kylo Ren und stürmt auf mich zu, sein Blick so verbissen, dass ich um seine Zähne fürchte, seine Schritte so entschlossen, dass sein dunkles Haar weht, während die Wut förmlich aus ihm heraustrieft und auf den Parkplatz sickert.
Sein Blick bohrt sich wie ein Laser durch die Windschutzscheibe, als wäre ich die feindliche Macht, die er auslöschen soll.
Ich habe ihn mit Kaffee bekleckert, ihm die Nase gebrochen und bin ihm hinten aufgefahren.
Vielleicht hab ich die Laseraugen verdient.
Finn baut sich vor meinem Auto auf und verschränkt die Arme vor der Brust. Er wartet still, und seine Nasenlöcher blähen sich mit jedem Atemzug.
Ich richte mich ganz auf, und sein Blick fällt auf mein Gesicht. Seine Miene verrät nicht, ob er wusste, wer in diesem Auto sitzt. Mit zitternden Fingern nehme ich mein Handy, stoße die Tür auf, steige aus und schließe sie mit der Hüfte.
Ich streiche meinen schwarzen Bleistiftrock glatt und gehe unsicher auf meinen Absätzen auf Finn zu. Sein Gewitterblick mustert mein Gesicht, meine Schultern, huscht dann flüchtig an meinem Körper hinab und wieder hinauf.
Mir zieht sich der Magen zusammen, als ich vor ihm stehe. »Es tut mir so leid. Ich habe mit meinen Eltern telefoniert. Sie haben mir viel Glück für mein Vorstellungsgespräch gewünscht. Und ich hab aus Versehen mein Handy fallen lassen.« Während meines nervösen Gestammels verzieht er keine Miene. »Ich hab gehört, wie das Display zerbrochen ist.« Ich zeige ihm den Riss, der mitten durch mein Handy geht. »Und als ich mich gebückt hab, um es aufzuheben, bin ich wohl auf dich draufgefahren.«
»Wohl?«, grummelt er und zieht eine Augenbraue hoch. »Ich würde sagen, definitiv.«
Ich atme tief durch, während ich unauffällig zu seinem Auto sehe und eine tiefe Delle mit einem dunklen Kratzer entdecke.
»Vielleicht solltest du wieder zu Fuß zur Arbeit gehen. Du scheinst aus der Übung zu sein.« Seine Lippen verziehen sich zu einem klitzekleinen Grinsen, und er scheint sich auf die Innenseite der Wange zu beißen, um es zu unterdrücken.
Hitze schießt durch meine Adern, während ich mich aufrichte. »Und wer beobachtet jetzt wen, wenn er morgens zur Arbeit kommt?« Ich kippe die Hüfte zur Seite und verschränke die Arme vor der Brust. »Außerdem wäre es eine Qual, in diesen Stöckelschuhen zu Fuß zur Arbeit zu gehen.«
Finns prüfender Blick wandert meinen Rock und meine nackten Waden hinunter, bis zu meinen purpurfarbenen Pumps. Er schluckt schwer, bevor er murmelt: »Unpraktisch.«
Statt einer Antwort gehe ich um ihn herum, um den Schaden zu begutachten. Ich bücke mich und fahre mit den Fingern über Finns beschädigte Stoßstange.
So ein Mist, das wird teuer.
Hinter mir schnauft Finn verärgert. Ich richte mich auf und blicke in seine dunklen Augen, sein finsteres Gesicht.
»Es tut mir wirklich leid. Ich werde für den Schaden aufkommen«, murmle ich.
Sein Blick verengt sich. »Statt nur für ein neues Display, hast du dafür gesorgt, dass du auch noch für zwei kaputte Stoßstangen aufkommen musst.«
»Das nennt man Fehler machen«, sage ich frech und stemme die Hände in die Hüften. »Passiert uns niederen Primitivlingen manchmal.« Ich deute mit dem Kinn auf den leeren Parkplatz neben uns. »Wenn du mich hier parken lässt …«
»Da wollte ich gerade reinfahren.« Finn verschränkt die Arme vor der schwarzen Krawatte mit winzigen Astronauten, sodass sich der mitternachtsblaue Stoff seines Hemdes über den Schultern strafft.
»Okay«, erwidere ich mit einem Schnauben. »Ich suche mir einen anderen Parkplatz, und dann können wir unsere Versicherungsdaten austauschen.«
Finn brummt etwas Unverständliches, während er auf seine Uhr schaut. Sein Auge zuckt, bevor er sagt: »Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Das regeln wir später.«
Dann macht er auf dem Absatz kehrt und schlendert zu seiner offenen Wagentür zurück.
***
Der Marmorboden glänzt, als ich durchs Museum zu meinem Vorstellungsgespräch eile. Mein Schwung erzeugt eine Brise, die hoffentlich den Schweiß auf meiner Haut trocknet.
Seit dem Blechschaden vor zwanzig Minuten bin ich selbst ein Wrack. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, meine Gedanken vor dem Gespräch zu ordnen, weil der Vorfall auf dem Parkplatz mein Gehirn einnimmt.
Warum habe ich das Handy nicht einfach liegen lassen?
Dann wäre ich jetzt nicht völlig aufgelöst und mit den Nerven am Ende. Niemand will so in ein Vorstellungsgespräch gehen, schon gar nicht eine Frau in einem männerdominierten Wissenschaftsbereich, wo ich sowieso schon schief angesehen werde.
Ich war an der Uni die einzige Frau im Fachbereich Entomologie und musste ständig darum kämpfen, als Wissenschaftlerin ernst genommen zu werden. Ein Professor präsentierte unserer Klasse einen Hirschkäfer und sagte: »Ich bin sicher, Millie wird ihn nicht anfassen wollen, aber der Rest von Ihnen bestimmt.«
Herablassendes Arschloch.
Als ob ich wegen meines Geschlechts keine Insekten anfassen würde. In einem Akt feministischen Widerstands bastelte ich an jenem Wochenende in meinem Wohnheimzimmer ein Biotop für Hirschkäfer.
Bis ich von der Aufsicht erwischt wurde und sie dem Professor schenken musste, der mich gedemütigt hatte. Wenigstens hatte ich die Genugtuung, dass ihn einer gebissen hat.
Mich haben sie nie gebissen, Dr. Hibbard.
Die meisten Leute dachten, ich würde meine Meinung über Insekten irgendwann ändern. Dass ich eines Tages aufwachen und schreien würde, wenn ich sie sehe, wie die Quotenblondine in einem billigen Horrorfilm.
Stattdessen schloss ich mein Studium mit einer Eins ab und bekam einen Job im National Butterfly Center angeboten. Die herablassenden Kommentare, die hinter meinem Rücken geflüstert wurden, konnten mich nicht aufhalten.
Vor dem Raum, in dem das Vorstellungsgespräch stattfinden soll, bleibe ich kurz stehen und zwinge mich, tief durchzuatmen, während sich mein Magen zusammenzieht – das erste Anzeichen der bevorstehenden Angstspirale.
Ich fahre mir mit den Händen durchs Haar und versuche, das Zittern meiner Hände durch pure Willenskraft zu stoppen. Der Sauerstoff wirbelt in meiner Lunge, während ich langsam einatme und mir vornehme, beim Ausatmen alles, was heute Morgen passiert ist, hier im Flur zurückzulassen. Sobald ich den Raum betrete, werde ich nicht mehr an Blechschäden und ungehaltene Kollegen denken. Ich starte den Tag neu und muss alles andere vergessen.
Ich atme aus und greife nach der Türklinke.
Beherzt öffne ich sie, und sofort fällt mein Blick auf dunkelblaue Augen.
In einem Meer von acht Menschen sind diese Zwillingsflammen für einen Moment das Einzige, was ich sehe.
Meine Knie werden weich, ich stolpere über die Schwelle, kann mich aber auf den Beinen halten. Finns Blick verengt sich. Er neigt den Kopf und verzieht überheblich die Mundwinkel, fast so, als würde er sich auf das, was da kommt, freuen.
Über die Kuppel des Planetariums wabert ein buntes Spinnennetz aus Galaxien, und ich versinke im Anblick der Lichtjahre entfernten Sternhaufen.
Von meinem Platz am Kontrollbildschirm klicke ich mich zu Claras Lieblingsansicht: dem Schmetterlingshaufen an der Spitze des Sternbilds Skorpion. Das Planetarium beamt mich fünfzehnhundert Lichtjahre weit weg, und es erscheint eine kleine Gruppe von Sternen, deren Anordnung vage an einen Schmetterling erinnert.
Manchmal, wenn abends keine Vorstellung läuft, komme ich allein ins Planetarium. Die Schmetterlingsformation ist schwer auszumachen, doch das hat meine Schwester nie davon abgehalten, sich daran zu erfreuen.
Sie sagte immer: »Wenn man hart für etwas arbeitet, weiß man das Endergebnis umso mehr zu schätzen.«
Ursprünglich wollte sie mich damit überzeugen, dass sich meine Mathehausaufgaben eines Tages auszahlen würden. Später wandte ich denselben Spruch bei ihr an, wenn sie sich über die Krankenpflegeschule beschwerte.
Als ich sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal ins Planetarium mitnahm, wollte sie diesen Sternhaufen sehen. Ich meinte, man könne die Schmetterlingsform kaum erkennen, und sie ermahnte mich, mich mehr anzustrengen, ich würde den Anblick am Ende zu schätzen wissen.
Und jetzt, Jahre später, schätze ich diesen Anblick mehr, als ich sagen kann, denn er erinnert mich an Clara, und in der Erinnerung an sie finde ich den inneren Frieden, der mir in letzter Zeit etwas abhandengekommen ist.
Mit dem Parkplatzdrama und fünf Vorstellungsgesprächen war es ein langer Tag, daher gönne ich mir diesen Moment der Ruhe, bevor ich nach Hause muss.
Die Vorstellungsgespräche sind seit einer Stunde vorbei, und wir haben zwei großartige Kandidaten. Millies Leidenschaft und Begeisterung für ihre Arbeit waren ansteckend, und das gesamte Gremium ist sich einig, dass sie eine fantastische Abteilungsleiterin abgeben würde. Aber auch der andere Kandidat konnte mit seiner Arbeitserfahrung und Motivation überzeugen.
Sharon wird sich etwas ausdenken, um zwischen den beiden zu entscheiden, aber nach dem beschissenen Start heute Morgen hoffe ich, Millie geht mit dem Gefühl nach Hause, dass sie sich gut geschlagen hat, denn das hat sie.
Gott, das Flackern in ihren Augen, als sie zum Vorstellungsgespräch kam und mich dort sitzen sah, war so befriedigend. Der Mann, den sie gestern noch ein Arschloch genannt hat und dem sie heute hinten aufgefahren ist, gehört zu den Leuten, die über ihre Beförderung entscheiden. Unbezahlbar.
Aber nachdem sie sich von ihrem ersten Schock erholt hatte, machte sie ihre Sache gut. Sie war locker und gesprächig, und das ganze Gremium schien an ihren Lippen zu hängen.
Ich eingeschlossen. Leider.
Fast eine Stunde lang vermied sie es, mich anzusehen, aber als ich an der Reihe war, eine Frage zu stellen, musste sie. Und ich habe es genossen, als sie ein breites Lächeln aufsetzte, auch wenn es wahrscheinlich in ihr brodelte.
Die Tür des Planetariums öffnet sich quietschend, und Rachel schlüpft durch den Spalt. Im Licht der Sterne über mir erkenne ich das breite Lächeln auf dem Gesicht meiner Assistentin.
»Ich wusste, dass ich dich hier finde. Brauchst du noch was, bevor ich gehe?«
Ich drücke ein paar Knöpfe. »Nein. Ich glaube, das war’s für heute.«
Der Raum verdunkelt sich, als ich alles ausschalte, und Rachel hilft mir, die letzten Schalter an der Tür umzulegen. Ich folge ihr nach draußen und blinzle, als das helle Flurlicht meine Augen trifft.
»Wie laufen die Vorbereitungen für das Ferienprogramm nächste Woche?«, frage ich, als wir durch den Museumseingang in Richtung Parkplatz gehen.
»Super. Ich habe die Pläne für den Bau der Rakete mit der Technikabteilung abgesprochen und alle Materialien organisiert.«
»Ausgezeichnet. Tut mir leid, dass ich den ganzen Tag Gespräche hatte, aber den Rest der Woche sollte ich Zeit haben.«
Wir erreichen mein Auto, und Rachel stutzt beim Anblick der verbeulten Stoßstange. »Scheiße. Was ist passiert?«
Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen und begutachte den Schaden. »Ein Blechschaden auf dem Weg zur Arbeit«, brumme ich.
Ehrlich gesagt, sieht es im gedämpften Abendlicht gar nicht so schlimm aus wie in meiner Erinnerung. Millie hat mir heute Nachmittag ihre Versicherungsdaten gemailt, aber ich weiß noch nicht, ob ich sie überhaupt benutzen werde.
»Was für ein Start in den Tag«, sagt Rachel und wendet sich ihrem Auto zu.
»Ja«, murmle ich und drehe mich um, um die Tür aufzuschließen.
Als ich mich in meinen Sitz fallen lasse und den Wagen starte, denke ich mit einem kleinen Lächeln an Millies rosige Wangen heute Morgen. Und an das Funkeln in ihren grünen Augen, als sie pampig wurde.
Und dann, heilige Scheiße, die nächste Erinnerung ist gefährlich. Der perfekte Blick auf ihre Kurven in dem engen schwarzen Rock, als sie sich gebückt hat, um die Stoßstange zu begutachten.
Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange, um das Bild zu verdrängen.
Sie ist meine Kollegin. Ich entscheide über ihre berufliche Zukunft, verdammt noch mal. Ich sollte mich professionell verhalten, statt ihr auf dem Parkplatz auf den Hintern zu schielen.
Auf dem Heimweg sehe ich das Schild von Maggie’s Bakery und erinnere mich an Millies Kaffeebecher gestern. Ich war noch nie dort, aber wenn ihre emotionale Reaktion Rückschlüsse zulässt, muss der Kaffee dort gut sein.
Vielleicht sollte ich ihn morgen früh mal probieren. Nur um zu sehen, ob er das Drama wert ist.
Die Polster geben unter mir nach, als Pepper, mein verwöhnter Tierschutzhund, neben mir aufs Sofa springt. Sie lässt sich neben meinem Kopf nieder und stupst mich mit ihrer weißen Schnauze an, bis ich nachgebe und sie streichle.
Seit ich von der Arbeit nach Hause gekommen bin, befinde ich mich in genau dieser Position, ausgestreckt auf dem Sofa, und versuche, nach der emotionalen Achterbahnfahrt dieses Tages runterzukommen.
Das Vorstellungsgespräch lief ganz gut, denke ich, abgesehen von der ständigen Ablenkung durch Finns Anwesenheit. Ich habe alles darangesetzt, nicht in seine Richtung zu schauen, doch ich konnte seinen Blick auf meiner Haut spüren wie einen heißen Schürhaken.
Ein Schlüsselbund klimpert an der Haustür, bevor Lena sie aufstößt. Sie tritt sie hinter sich zu und lässt ihre Taschen einfach fallen.
»Was gibt es zum Abendessen? Ich bin so am Verhungern, ich würde auch eine Gabel essen«, sagt sie mit einem Stöhnen.
Ich habe Lena an der Uni kennengelernt, in dem Café, in dem ich für meine Abschlussprüfung über Shakespeare gelernt habe, ohne zu wissen, dass dort ein Open-Mic stattfand. Mein Lerneifer verpuffte, als meine zukünftige beste Freundin die Bühne betrat. Lenas dunkle Locken und ihre Smokey Eyes im schummrigen Scheinwerferlicht zogen mich völlig in ihren Bann, während sie fünf Minuten lang mit verschiedenen Stimmen und enthusiastischen Bewegungen eine auswendig gelernte Gruselgeschichte vortrug. Sie wirbelte über die Bühne, und als sie sich schließlich in der Todesszene zu Boden warf, tobte das Publikum.
Nachdem sie sich von ihrem vorgetäuschten Tod erholt hatte, verbeugte sie sich, kam schnurstracks an den Tisch, an dem ich allein mit meinem Laptop saß, und ließ sich auf den leeren Stuhl fallen.
Seitdem sind wir beste Freundinnen.
»Wollen wir was bestellen und Gilmore Girls gucken?«, frage ich, ohne mich von der Stelle zu rühren.
Sie zieht ihr schwarzes T-Shirt aus, sodass sie nur noch in einem glitzernden roten BH und Leggings im Wohnzimmer steht. »Fuck, ja. Die Kinder haben mir heute alles abverlangt. Meine Füße tun weh, und ich will meinen Schlafanzug nie wieder ausziehen.«
Lena ist Kunstlehrerin an einer Grundschule und gibt im Sommer Kurse im Gemeindezentrum.
Ich lege den Kopf schief und beäuge misstrauisch ihren BH. »Komische Wahl für die Arbeit.«
Sie zuckt die Schultern. »War das Einzige, was sauber war. Höchste Zeit, das Ding auszuziehen. Die Freiheit naht.« Sie stolziert an mir vorbei in ihr Zimmer.
»Lasst die Titten frei«, rufe ich, die Faust in die Luft gereckt.
»Ehrlich, wenn ich aus diesem Ding rauskomme, sind wahrscheinlich schon alle meine Probleme gelöst«, ruft sie aus ihrem Zimmer. »Vielleicht habe ich gar keinen Hunger – es liegt nur am BH.«
Ohne BH, aber im Schlafanzug, Thai-Essen und Wolldecken auf dem Schoß, Mineralwasser in der Hand, machen Lena und ich es uns auf dem Sofa gemütlich. Pflanzen bedecken jede Oberfläche und hängen in den Fenstern unseres Wohnzimmers. Unsere kleine Dschungeloase, versteckt vor dem Rest der Welt.
»Wie war dein Tag?«, fragt Lena, während sie sich über ihr Pad Thai mit Huhn hermacht.
Ich erzähle, was auf dem Parkplatz passiert ist, und Lenas Augen werden immer größer, bis sie sich nicht mehr zurückhalten kann. »Mills. Das ist doch irre.« Sie stellt ihr Essen ab und sieht mich an. »Dr. Schwarzes Loch entscheidet über deine Beförderung?«
Ich schlucke meinen Bissen hinunter. »Er entscheidet nicht darüber, aber er ist im Gremium, ja.«
Lena quietscht erfreut. »Perfekt. Könntest du ein Foto von ihm für mich machen?«, fragt sie mit traurigem Hundeblick. »Ich will ihn vor Augen haben, wenn ich die Geschichten über ihn höre. So wie du ihn beschreibst, klingt er hot.«
Entschieden ignoriere ich die Tatsache, dass sie ein bisschen recht hat, und verdrehe die Augen. »Ja, klar. Wenn er das nächste Mal die Stirn runzelt, sage ich ihm, er soll so bleiben, damit ich ein Foto machen kann.«
»Super. Danke.« Sie tätschelt mein Bein. »Und jetzt erzähl mir von dem Vorstellungsgespräch.«
***
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit komme, verleihen die schweren Wolken draußen dem Museum eine düstere, beschauliche Atmosphäre. Winkend husche ich an Eleanor und der Leiterin des Souvenirshops vorbei – keine Zeit zum Plaudern.
Ich eile den Gang der entomologischen Abteilung entlang, vorbei am Ausstellungsraum, der Archivsammlung und den Laborräumen, und stolpere in unser Büro. Als ich am Schreibtisch meines Assistenten Micah vorbeikomme, fällt mein Blick auf einen Kaffeebecher mit dem Logo von Maggie’s Bakery und einem grünen Post-it mit sauberer Handschrift.
Das mit dem Kaffee tut mir leid.
– F
Ich stelle meine Tasche auf den Boden und greife nach dem Becher. Die Wärme des Inhalts durchdringt meine Finger, als ich ihn umdrehe, um die Aufschrift zu lesen.
Americano mit Vanillesirup und Kaffeesahne. So wie ich es mag.
Ich runzele die Stirn. Er muss es gesehen haben, als er am Montagmorgen meinen Becher weggeworfen hat.
Zaghaft trinke ich einen Schluck, und der erdige, süße Geschmack auf meiner Zunge ist perfekt.
Seltsame Geste für einen Mann, der mich seit unserer ersten Begegnung immer nur angeraunzt hat. Die plötzliche Wandlung fühlt sich an wie ein Schleudertrauma.
Mit einer Bewegung meiner Computermaus wecke ich den Monitor und öffne eine neue E-Mail.
AN: Finn Ashford
VON: Millie Oaks
BETREFF: Kaffee
Guten Morgen!
Ich bin gerade ins Büro gekommen und habe einen Becher Kaffee auf meinem Schreibtisch gefunden. Die Notiz ist mit »F« unterschrieben. Bist das eventuell du? Ich habe diese Woche schon so viele Leute mit Kaffee bekleckert, dass ich nicht sicher bin.
Falls du es nicht warst, ist mir das sehr unangenehm, und bitte ignoriere diese Mail.
Falls der Kaffee von dir ist, vielen Dank. Er ist köstlich.
Mit freundlichen Grüßen
Millie Oaks
Kuratorin Entomologische Abteilung
Ich lese den Text ein paarmal durch, um sicherzugehen, dass mein Ton möglichst neutral ist, dann klicke ich auf Senden.
Zu meiner Überraschung bekomme ich wenige Minuten später eine Antwort.
AN: Millie Oaks
VON: Finn Ashford
BETREFF:AW: Kaffee
Hallo Millie,
ich bekenne mich schuldig, dir heute Morgen Kaffee auf deinen Schreibtisch gestellt zu haben. Ich hatte gehofft, dich persönlich anzutreffen, aber Eleanor sagte, du seist noch nicht da.
Normalerweise hole ich meinen Kaffee woanders, aber der von Maggie hat mir heute sehr geschmeckt. Kannst du sonst noch was empfehlen?
Meine nächste Star-Trek-Folge fängt an. Ich muss in Galaxien vordringen, die noch nie ein Astronom zuvor gesehen hat.
Herzlich
Finn Ashford
Leiter Astronomische Abteilung
Ich lese seine E-Mail dreimal, verblüfft über seinen Humor – eine Seite von ihm, die ich noch nicht kenne.
Dann führe ich den Pappbecher an die Lippen und grinse, bevor ich daran nippe. Ich stelle mir vor, wie seine große, grüblerische Gestalt bei Maggie in der Schlange steht, um mir einen Kaffee zu holen. Sein Blick ist unverändert finster, als er bestellt, aber irgendwie haben sein Stirnrunzeln und die nach unten gezogenen Mundwinkel etwas Liebenswertes.
Mit einem Kopfschütteln versuche ich, das verwirrende Bild zu verdrängen, und konzentriere mich auf eine unverfängliche Antwort.
AN: Finn Ashford
VON: Millie Oaks
BETREFF:AW: AW: Kaffee
Finn,
bei Maggie kann man nichts falsch machen. Der Laden ist nicht von dieser Welt! 😉 Man könnte mir dort alles servieren, und ich würde es essen, aber mein persönlicher Favorit ist das Mandelcroissant. Es gibt keine bessere Art, den Morgen zu beginnen, als mit einem Kaffee und einem Croissant von Maggie.
Ist deine Nase in Ordnung? Und hast du dein Auto reparieren lassen? Es tut mir immer noch sehr leid.
Ich bin froh, dass du ein paar Folgen Star Trek guckst, bevor die Kinder nächste Woche kommen. Sie erwarten, dass du ihnen etwas beibringst.
Schönen Tag noch
Millie Oaks
Geht doch. Ich klinge normal. Stinknormal. Fast langweilig.
Senden.
AN: Millie Oaks
VON: Finn Ashford
BETREFF:AW: AW: AW: Kaffee
Millie,
dann muss ich noch mal hin, um mir ein Mandelcroissant zu holen.
Meine Nase ist trotz allem unbeschadet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schon schief war, bevor du sie mir gebrochen hast, also mach dir keine Vorwürfe.
Mein Auto ist in Ordnung. Ich habe es mir noch mal angesehen, und vielleicht lohnt sich eine Reparatur gar nicht.
Du musst dich nicht entschuldigen. Unfälle passieren jedem.
Finn
Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Unfälle passieren jedem? Sein Ernst? Gestern noch hat er keinen einzigen höflichen Satz rausgekriegt, und jetzt tut er die ganze Sache ab? Was hat sich seitdem verändert?
Ich lasse die Schultern hängen, als mir klar wird, was genau seitdem passiert ist. Mein Vorstellungsgespräch.
Ist das ein Friedensopfer, um den Schock zu mildern, wenn ich erfahre, dass ich die Stelle nicht bekommen habe? Was, wenn es ein Trick ist, um mich einzulullen, bevor er mir meinen Traumjob wegnimmt?
Seufzend blicke ich auf den Kaffeebecher, bevor ich den letzten Schluck trinke und ihn in den Mülleimer neben meinem Schreibtisch werfe. Ich straffe die Schultern und atme scharf aus. Ich bin schon einmal in meinem Leben auf ein manipulatives Arschloch reingefallen, und das wird mir nicht noch mal passieren. Egal, wie gut der Kaffee ist.
Die Bastelsets sind fertig.« Micah lächelt breit, als er mit einem Wäschekorb voller Papiertüten im Arm den Laborraum betritt. Die langen sandblonden Haare hat er zu einem Man-Bun gebunden, und das grüne Sommercamp-T-Shirt mit Insekten auf dem Rücken ziert seine breiten Schultern.
Ich werfe einen Blick auf die Fernglas-Bastelsets, die er und Emil für die Kinder zusammengestellt haben. »Du bist meine Rettung.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. »Nur noch eine Stunde, bis die Kinder kommen.«
»Gut. Noch reichlich Zeit für mein Frühstück.« Micah stellt den Wäschekorb auf einen Tisch, bevor er eine Thermoskanne und eine Stulle aus seiner Tasche zieht. Er hockt sich auf einen Kinderstuhl in der Mitte des Raumes, der durch seine Größe noch winziger wirkt. »Hat Emil frisch gemacht, kurz bevor ich gegangen bin.« Er grinst gierig, während er sein Frühstück auspackt, und der Duft von Zwiebeln und Knoblauch lockt mich an.
»Du Glückspilz.« Ich stütze den Ellbogen auf seine Schulter und atme den köstlichen Duft seines mit Ei, Speck und Käse belegten Mehrkorn-Bagels ein. »Das sieht göttlich aus.« Dann zücke ich mein Handy und mache ein Foto von Micah, der den ersten Bissen mit einem Gesichtsausdruck verschlingt, den ich nur als orgastisch bezeichnen kann. Ich poste das Bild in unseren Gruppenchat mit Emil.
Millie: Wo ist meiner? Außerdem wusste ich gar nicht, dass ein Bagel-Sandwich so geil machen kann. Ich fühle mich gerade extrem einsam.
Emil: Micah, schön, dass es dir schmeckt, Schatz. 🧡
Emil: Millie, morgen mache ich dir einen mit.
Lena: Kann ich auch eins? Lieferst du auch? Ich wohne nur ein paar Straßen weiter!
Micah hält mir sein halb aufgegessenes Sandwich hin, und ich stürze mich praktisch darauf, um einen Bissen zu ergattern.
***
»Ich glaube, das gehört hierhin«, belehrt mich ein Siebenjähriger, während ich neben einem Tisch knie und Oliver und seinem Bruder Noah helfe, ein Puzzle über den Lebenszyklus des Schmetterlings zusammenzusetzen. Die beiden waren die ersten Kinder, und ich muss zugeben, ich bin ihre Zankereien schon ein bisschen leid.
»Nein, das ist falsch.« Noah schiebt die Hand seines Bruders zur Seite.
»Okay, Jungs, ich glaube, unsere Zeit ist um.« Ich dirigiere sie zu den Insektenhabitaten.
In der Mitte des Ausstellungsraums stehen kleine Tische, die Wände sind mit Plexiglasbehausungen für eine Vielzahl von Insekten bedeckt. Schaukästen bringen die strahlenden Farben der Insekten, Motten und Schmetterlinge zur Geltung.
Die Jungs machen großen Augen. Sie springen auf und laufen die Wand entlang, bis sie das größte Habitat erreicht haben.
Ich gehe in den Laborraum und muss grinsen, als Micah einer Mutter erklärt, dass wir ihre Tochter nicht davon abhalten können, sich die Hände schmutzig zu machen, solange sie hier ist. Er lächelt geduldig, während die Frau eine Tirade über das nagelneue Kleid ihrer Tochter hält.
Ich werfe einen Blick in den Flur, und mir klappt die Kinnlade runter, als ich sehe, wer da im Anmarsch ist.
Finn Ashford schlendert gelassen auf mich zu, in schwarzer Hose und schwarzem Hemd, das seinen gebräunten Hals und sein Gesicht fast strahlen lässt.
Wenn es je den richtigen Zeitpunkt für ein heimliches Foto für Lena gab, dann jetzt. Er sieht aus, als wäre er direkt einem Modemagazin entsprungen.
Verdammt.