Glanz und Untergang der Familie Napoleons. Band 3 - Gertrude Aretz - E-Book

Glanz und Untergang der Familie Napoleons. Band 3 E-Book

Gertrude Aretz

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Beschreibung

“Glanz und Untergang der Familie Napoleons” ist eine intensive Biographie der gesamten Familie Napoleons. Sowohl die Eltern, insbesondere die Mutter, als auch die Brüder, Schwestern sowie die Geliebten und Frauen werden eingehend porträtiert und in ihrer Bedeutung und ihrem Einfluss auf Leben und Wirken des großen französischen Herrschers dargestellt. In vielen Briefzeugnissen und überlieferten Äußerungen erhält man einen lebendigen Eindruck vom Denken und Fühlen Napoleons sowie dessen engsten Verwandten und Vertrauten. Deutlich tritt hier auch der private Mensch Napoleon Bonaparte hervor, der scheinbar genauso viel Energie aufbringen muss, um seine Familie zu regieren, wie es benötigt, um sein großes Reich zusammenzuhalten. Das ist vielleicht die größte Leistung dieses monumentalen Werkes der renommierten Historikerin Gertrude Aretz – man lernt neben dem Machtmenschen auch den Privatmenschen Napoleon Bonaparte kennen. Das Werk ist reich bebildert mit den originalen Kupfertiefdrucken. Dieses ist der dritte Band der dreibändigen Reihe.

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Seitenzahl: 461

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GERTRUDE ARETZ

 

 

GLANZ UND UNTERGANG

DER FAMILIE NAPOLEONS

 

 

BIOGRAPHIE EINER FAMILIE

IN DREI BÄNDEN

 

ILLUSTRIERTE AUSGABE

 

 

BAND III

 

1. Napoleon I., als Kaiser.

Es gibt kein Märchen aus Tausend und einer Nacht, das märchenhafter wäre als die Geschichte der Familie Bonaparte. Daß aber dieses Märchen in den ganz nüchternen Tagen der modernsten Zeit Wahrheit geworden ist, muß man als eine große Tat der Geschichte und als ein großes Glück betrachten.

Aus: Ferdinand Gregorovius »Korsika«.

GLANZ UND UNTERGANG DER FAMILIE NAPOLEONS wurde zuerst veröffentlicht vom Bernina Verlag, Wien - Leipzig - Olten 1937.

 

 

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2023

 

V 1.0

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

Band 3 

ISBN 978-3-96130-584-1

Buchherstellung & Gestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

Alle Rechte vorbehalten.

© apebook 2023

 

Books made in Germany with

 

 

 

 

 

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Glanz und Untergang der Familie Napoleons. Band 3

Frontispiz

Impressum

Band III

Sechstes Kapitel. Elisa und Felix Baciocchi

Siebentes Kapitel. Pauline, General Leclerc und Fürst Borghese

Achtes Kapitel. Karoline und Joachim Murat

Nachwort

Eine kleine Bitte

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Zu guter Letzt

BAND III

Sechstes Kapitel. Elisa und Felix Baciocchi

I.

Nicht weniger als seine drei Brüder machten Napoleon die drei Schwestern zu scharfen. Ihre Ansprüche, ihre Verschwendungssucht, ihre Einbildungskraft, besonders aber der kleinliche Neid und die Intrigen, mit denen sie sich gegenseitig verfolgten, erschwerten ihm nicht nur die Herrschaft in seiner Familie, sondern oft auch die über seine Länder. Nicht selten vermengten sie die Ränke ihres Privatlebens mit der Politik ihrer Höfe. Der Familienzank zwischen den Beauharnais und den Bonaparte war zum großen Teil das Werk der Schwestern Napoleons. Jede trug ihr Scherflein der Verleumdung hinzu, wenn es sich darum handelte, Josephine oder Hortense in der Meinung ihres Bruders herabzusetzen. Sie glaubten, Napoleons wunderbares Emporkommen sei nur um ihretwillen geschehen, damit sie ihren Ehrgeiz oder ihre Ansprüche an das Leben leichter befriedigen konnten. Mag man auch der einen Schwester Weichheit des Charakters, der andern Bescheidenheit, der dritten Klugheit absprechen, in einem waren sie sich alle drei ähnlich: in der Leidenschaft ihres Temperaments. Alle drei betrogen ihre Männer mit königlicher Freiheit. Und merkwürdig: nur selten mischte Napoleon sich in ihre Privatangelegenheiten. Er hatte in dieser Beziehung für seine Schwestern eine Schwäche, die um so mehr auffällt, als er gegen andere Damen seines Hofes, die einen lockeren Lebenswandel führten, mit eiserner Strenge verfuhr.

Je mehr Nachsicht er aber seinen Schwestern bewies, desto größeren Widerspruch setzten sie ihm entgegen, desto mehr forderten sie von ihm. Und er gab mit vollen Händen. Napoleon tat unendlich viel für seine Familie; er stellte sich sogar um ihretwillen bloß. Dennoch gelang es ihm nicht, die Einigkeit unter den einzelnen Mitgliedern herbeizuführen. Eines oder das andere fühlte sich immer vernachlässigt. Er, der geglaubt hatte, durch unermeßliche Wohltaten ihre Herzen inniger zu verschmelzen, erreichte damit gerade das Gegenteil. Diese ganze korsische Familie, in der ein so ausgesprochener Sinn der Zusammengehörigkeit zu herrschen schien, wurde, je höher sie stieg, desto weiter voneinander entfernt! Nur im Unglück war sie einig und stark.

34. Elisa Bonaparte, Großherzogin von Toskana.Stich nach einer Zeichnung von Ermini. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Napoleons Schwestern haben, mehr als man annehmen sollte, Einfluß auf ihres Bruders Geschick gehabt und zu seinem endgültigen Sturz beigetragen. Im allgemeinen ließ er sich zwar nicht von Frauen beherrschen, gegen seine Schwestern war er von einer Nachgiebigkeit, die er mehr als einmal zu bereuen hatte. Mit größerer Festigkeit ihnen gegenüber hätte er sich manches Unangenehme ersparen können. Die kluge und ränkesüchtige Karoline hätte dann gewiß nicht so leichtes Spiel gehabt, und in Elisas Großherzogtum wäre manches anders gewesen.

Diese natürliche Schwäche Napoleons gegen seine Schwestern haben die Feinde des Kaisers zu einer abscheulichen Verleumdung ausgenutzt. Wie schon mehrfach erwähnt, beruhen diese verleumderischen Aussagen auf keinerlei Beweisen. Die Bonaparte waren zwar keine Familie, in der strenge oder keusche Sitten herrschten, aber es bedurfte doch der Beweise, um sie einer solchen Verirrung mit Recht anklagen zu können. Vor allem fehlen bei derartigen Anschuldigungen immer ebensowohl die Berichte der Augenzeugen als auch die Aussagen der Beteiligten selbst. Man müßte sich einzig und allein auf den Klatsch verlassen, an dem es allerdings an einem Hofe nicht mangelt. Leider gibt es Schriftsteller und sogar Geschichtsschreiber, die in jedem Brief, in jedem Wort eine Andeutung oder einen Beweis für die Wahrheit solcher Behauptungen zu finden wissen. Andere schreiben es dann nach. So glaubt man, seitdem die Memoiren der Frau von Rémusat erschienen sind, noch heute an die Legende, daß Napoleon der Geliebte seiner Schwestern gewesen sei. Besonders aber ist man davon überzeugt, seit man diese Behauptung in dem Werke Jungs wiederholt fand. Andere Zeitgenossen der Rémusat, wie Sémonville, Pasquier, Beugnot, sogar Lucien, der eigene Bruder Napoleons, haben sich nicht gescheut, ihn in dieser Hinsicht zu verdächtigen. Vor allem aber trug ein im Jahre 1888 erschienenes Werk: »Napoléon à l'Ile d'Elbe« von Marcellin Pellet dazu bei, das Gerücht als der Wahrheit gemäß zu verbreiten. Aber der darin angeführte Brief Paulines, in dem sie ihren Bruder einen »vieux puri« nennt, ist eine ganz gewöhnliche Fälschung, dazu angetan, die ganze Familie Bonaparte und im besonderen den Kaiser Napoleon zu beschmutzen. Der Brief ist ein Machwerk des bourbonischen Agenten, des Abbés Fleuriel.

35. Kaiserin Josephine.Stich von Cavalli nach einer Zeichnung von Bosco. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Um Ludwig dem XVIII. zu gefallen, suchte man auf alle mögliche Weise seinen Usurpator Napoleon bei ihm anzuschwärzen. Da man das nicht hinsichtlich seines Feldherrn- oder Herrschertalents tun konnte, denn es war unmöglich, ihm seine Siege streitig zu machen, so hielt man sich an seinem Privatleben schadlos. Und das war es gerade, was dem alten Lebemann Ludwig XVIII. am meisten gefiel. Er liebte es, wenn man ihm die skandalösesten Liebesgeschichten erzählte, und so tat man ihm keinen größeren Gefallen, als die alten Verleumdungen gegen Napoleon wieder aufzuwärmen und womöglich noch zu vergrößern. Sicher war Napoleon seinen Schwestern mehr Vater als Bruder. Und hätte er sich früher mit ihrer Erziehung beschäftigen können, so würde er vielleicht ihr moralisches Empfinden vorteilhaft beeinflußt haben, als sie zum erstenmal den Fuß auf das gefährliche Pflaster von Marseille setzten. Napoleon aber war damals ein vielbeschäftigter Offizier, dem allein die schlechte Vermögenslage seiner Familie große Sorgen und viel Mühe verursachte. Wie hätte er sich da noch um die moralische Entwicklung seiner jungen Schwestern kümmern können?

Da weder Elisa noch Pauline noch Karoline ihrer sittenstrengen, wahrheitsliebenden und keuschen Mutter ähnelten, eigneten sie sich damals nur das Schlechte, das Lasterhafte der verfeinerten französischen Kultur an, deren Genüsse sie in Korsika nicht kennen gelernt hatten. Letizia wußte wenig davon, was sich für ein junges Mädchen in Frankreich schickte oder nicht. Sie war viel zu einfach und urwüchsig, als daß sie ihre Töchter vor der Verderbtheit der Sitten hätte bewahren können. Um sie aber Erziehungsanstalten zu übergeben, dazu waren die Bonaparte zu jener Zeit zu arm. Und so gingen Elisa und Pauline – Karoline war noch sehr jung – ihre eigenen Wege. Bald kamen die Mädchen in sehr schlechten Ruf. Man schrieb ihnen eine Menge Liebesabenteuer zu, ja man scheute sich nicht, sie in Marseille zu den gewöhnlichsten Prostituierten zu rechnen. Der üble Ruf blieb an den Schwestern Napoleons haften. Selbst der Thron des Bruders und ihre eigene Macht und Größe vermochten ihn nicht ganz zu verwischen. Napoleon hat das den Marseillern nie verzeihen können.

Die Töchter Frau Letizias waren nicht nur hübsch und begehrenswert, sondern sie waren auch sehr kokett und elegant. Im Verkehr mit Männern gaben sie sich frei und unbefangen, vielleicht ein wenig zu unbefangen. Dazu kam bald ein berechnetes Spähen nach dem Manne, der sie heiratete. Dem hätte Frau Letizia Einhalt tun müssen. Aber ihr gerader korsischer Charakter begriff nicht, daß ihre Töchter sich dadurch schadeten. Sie ließ die Mädchen gewähren. Hatte das Leben ihnen doch bereits auch die rauhe Seite gezeigt. Sie waren ja so jung und so hübsch!

Nur eine von den drei Schwestern des späteren Kaisers der Franzosen machte, was die Schönheit anlangte, eine Ausnahme. Elisa, die Älteste, war zwar nicht gerade häßlich, aber keineswegs hübsch. Ihre Züge entbehrten der weiblichen Weichheit. Der Mund war groß, die Lippen waren dick und unschön. Aber die Augen waren ausdrucksvoll und klug. Sie besaß auch prachtvolles dunkles Haar und reizende kleine Füße. Äußerlich hatte Elisa viel Ähnlichkeit mit Lucien. Wie bei ihm waren auch bei ihr die Arme ungewöhnlich lang. Elisas Gestalt war schlank, fast überschlank und knochig, ihre Haut jedoch blendend weiß wie Marmor.

Im Charakter ähnelte sie am meisten von den Geschwistern ihrem Bruder Napoleon. Entschlossenheit und Kühnheit des Willens, unermüdliche Tätigkeit und unersättlicher Ehrgeiz waren in ihrem Körper aufgespeichert. Napoleon sagte von ihr: »Meine Schwester war ein männlicher Kopf, ein starker Charakter. Sie wird im Unglück viel Philosophie beweisen.« Allerdings trug Elisa den Sturz ihrer Familie mit einem gewissen Gleichmut, überlebte jedoch die Schmach nicht lange.

Von ihrer Kindheit in Korsika ist nichts Besonderes zu berichten. Sie wurde wie alle Kinder Letizias, mit Ausnahme Josephs, in Ajaccio geboren, und zwar am 3. Januar 1777. In der Taufe erhielt sie die Namen Maria Anna nach einer jüngeren Schwester, die im Jahre 1776 im Alter von fünf Jahren starb. Später erst nannte sie sich Elisa, da ihr dieser Name schöner und vornehmer schien.

In ihrem siebenten Jahre kam Maria Anna ins Kloster von Saint-Cyr, das von Ludwig XIV. zur Erziehung armer adeliger Töchter gegründet worden war. Gleich Napoleon genoß auch sie den Vorteil, auf Kosten des Königs von Frankreich erzogen zu werden. Herr Bonaparte hatte sich allerdings herablassen müssen, seine vollkommene Vermögenslosigkeit zu beweisen. Für dieses demütigende Armutszeugnis ward sein Stolz nur dadurch einigermaßen entschädigt, daß er gleichzeitig eine Urkunde einsenden mußte, in der er seine Ahnen nachwies. Ludwig XVI. gewährte ihm die Freistelle für seine Tochter bereits im November 1782; aber erst zwei Jahre später konnte Maria Anna die Schule besuchen.

Zu jener Zeit, als Carlo Bonaparte seine älteste Tochter nach Saint-Cyr bringen wollte, befand er sich dermaßen in Geldnot, daß er sich die fünfhundert Franken für die Reise nach Frankreich vom Generalleutnant und Gouverneur Du Rosel de Beaumanoir leihen mußte. Dann traten Vater und Tochter in Begleitung einer anderen jungen Korsin, einer Cattaneo, die ebenfalls in Saint-Cyr erzogen werden sollte, die Reise an. Am 21. Juni 1784 trafen sie in Autun ein. Dort befand sich Lucien auf der Schule. Da er aber seine Studien in Brienne fortsetzen sollte, brachte Carlo ihn selbst dahin, ehe er mit den beiden jungen Mädchen weiter nach Paris reiste.

Ende Juni schlossen sich hinter dem korsischen Kinde die Pforten von Saint-Cyr. Maria Anna verbrachte acht Jahre ihres Lebens in dieser Klosterschule. Im allgemeinen blieben die Zöglinge von Saint-Cyr vom siebenten bis zum zwanzigsten Jahre dort. Erst dann hielt man die Erziehung der jungen Mädchen, die eine sehr vielseitige war, für vollendet. Beim Verlassen der Anstalt erhielt jede Schülerin eine Mitgift von 3000 Franken und eine Aussteuer im gleichen Werte. Außerdem hatte sie Anspruch auf die Vergütung der Kosten für die Heimreise. Mitunter geschah es, daß ein junges Mädchen von der Schule weg in den Ehestand trat, denn viele Edelleute holten sich ihre Bräute aus diesen adeligen Stiften.

Leider kamen nicht alle diese Vorteile dem armen korsischen Mädchen zustatten. Die Revolution zerstörte auch in den königlichen Erziehungsanstalten althergebrachte Sitten und Gebräuche. Im August 1792 hob die Nationalversammlung alle aristokratischen Schulen und Klöster auf. So mußte auch Saint-Cyr, das einst unter Frau Maintenons Schutz in hoher Blüte gestanden hatte, seine Pforten schließen. Später machte Napoleon aus diesem Kloster eine seiner besten Kadettenanstalten, die noch heute besteht.

Im Jahre 1792 aber dachte der arme junge Artillerieoffizier gewiß nicht daran, daß er einst als Machthaber die Einrichtungen wiedererstehen lassen würde, die die Revolution zerstört hatte. Damals noch klopfte er bescheiden an die Türen der Schule, um seine fünfzehnjährige Schwester abzuholen und sie sicher mitten durch das von revolutionären Unruhen erfüllte Frankreich nach Korsika zu geleiten.

Seit des Vaters Tode war er Maria Annas Vormund. Er nahm es sehr ernst mit seinen Pflichten und kümmerte sich wirklich um die Erziehung seiner Schwester. Nur hätte er gewünscht, sie öfters besuchen zu dürfen. Aber die Vorschriften waren sowohl in Saint-Cyr wie in der Militärschule von Paris sehr streng. Man gestattete den jungen Mädchen nur an Festtagen, die Besuche ihrer Angehörigen zu empfangen. Napoleon wiederum hatte, solange er Militärschüler war, keinen Urlaub.

Als er sie im Juni 1792 besuchte, bat Maria Anna ihn, daß er sie mit nach Korsika nähme, ehe noch die Katastrophe über Saint-Cyr hereinbräche. Es sei ja auch nicht sicher, meinte sie, ob sie jemals eine Aussteuer erhalten werde. Erst kürzlich wären acht Schülerinnen von zwanzig Jahren ohne Mitgift entlassen worden. Man sieht, die Fünfzehnjährige war bereits eine echte Bonaparte! Schon tut sich in ihr das ehrgeizige Bestreben kund, aus jeglicher Lage Vorteil zu ziehen. Napoleon teilte die Ansicht der Schwester und schrieb darüber an Joseph. Gleichzeitig trugen er und die Mutter sich mit dem Gedanken, Maria Anna so schnell wie möglich zu verheiraten, damit sie der Familie in Korsika nicht zur Last falle. Da Napoleon aber alles mit seinem älteren Bruder zu besprechen pflegte, so fragte er Joseph auch in dieser Angelegenheit um Rat. »Wenn Du glaubst«, schrieb er am 18. Juni 1792, »daß man Maria Anna jetzt vorteilhaft verheiraten kann, so schreibe mir. Ich bringe sie dann nach Ajaccio.«

So schnell sollte sich jedoch kein Mann für das Mädchen finden. Die politischen Ereignisse in Frankreich zwangen Maria Anna zur Heimkehr. Alle Zöglinge von Saint-Cyr mußten bis zum 1. Oktober 1792 die Anstalt verlassen haben; selbstverständlich gab man ihnen keine Aussteuer. Nur eine Entschädigung für die Reise erhielten sie. Fräulein Bonaparte hatte das Glück, 352 Franken Reisegeld zu erhalten, die ihr und ihrem Bruder sehr zustatten kamen.

Sofort beschäftigte Napoleon sich mit den zu erledigenden Förmlichkeiten. Er war erst am 30. August zum Hauptmann ernannt worden und hatte einen Urlaub nach Korsika erhalten. Am nächsten Tag, am 1. September, reichte er ein Gesuch ein, um die Erlaubnis zu erwirken, daß er seine Schwester nach Korsika bringen dürfe. Maria Anna fügte diesem Schreiben einige Zeilen bei und bestätigte, daß »sie niemals einen andern Vater gekannt habe als ihren Bruder Napoleon. Es würde ihr unmöglich sein, später Saint-Cyr zu verlassen, wenn sie nicht jetzt mit nach Korsika zurückkehren dürfe.« Am Abend schon hatte der junge Offizier die Ermächtigung in Händen, seine Schwester aus der Anstalt zu nehmen.

Während in Paris der Schrecken in grauenvoller Weise wütete und in allen Gefängnissen Blutbäder stattfanden, holte Napoleon das junge Mädchen in einer dürftigen Mietskutsche von Saint-Cyr ab. Jeder mit einem Bündel Wäsche und Kleider auf dem Arme, verließen die Geschwister am Morgen des 2. September die Anstalt. Sie begaben sich zuerst nach Paris, wo Napoleon noch manches zu erledigen hatte. In dem bescheidenen Hotel de Metz, in der Rue du Mail, wo Napoleon bereits seit Anfang August ein kleines Zimmer bewohnte, stiegen sie ab. Erst am 9. September verließen sie die Hauptstadt, um die Heimreise anzutreten. In Lyon vertauschten sie die Postkutsche mit dem Schiff und fuhren die Rhone hinunter bis Marseille. Während das Fahrzeug in Valencia anlegte, erinnerten sich Fräulein Bou, bei der Bonaparte als Leutnant gewohnt hatte, und Frau Mésangère des jungen Offiziers. Sie brachten ihm und seiner Schwester einige Erfrischungen. Dann ging es weiter nach Marseille. Dort wütete der Aufstand, und es war den Geschwistern nicht leicht, durch die aufgeregten Volkshaufen zu kommen. Die geängstigte Maria Anna, die von der Welt nichts kannte als ein ganz klein wenig Korsika und die Klostermauern von Saint-Cyr, trug einen großen Federhut, der gewaltigen Anstoß bei den Demagogen erregte. Vor der Tür des Gasthofes, in dem der königliche Offizier mit seiner Schwester absteigen wollte, wurden sie von einigen Aufrührern umringt. Man rief und schrie ihnen zu: »Nieder mit dien Aristokraten!« Aber Napoleon verlor nicht einen Augenblick seine Kaltblütigkeit. Mit einer wundervollen freiheitlichen Bewegung riß er Maria Anna den Hut vom Kopfe und schleuderte ihn unter die vor Freude gröhlende Menge. »Nicht mehr Aristokraten wie Ihr!« rief er und ging stolz von dannen. Das Volk jubelte ihnen zu und ließ sie nun in Ruhe.

Während Napoleon und Maria Anna noch in Marseille auf die Gelegenheit warteten, sich nach Ajaccio einzuschiffen, traf die Nachricht ein, daß Ludwig XVI. seines Thrones entsetzt und gefangengenommen worden war. Das Königtum hatte aufgehört zu sein! Am 10. Oktober verließen die Geschwister Frankreich, das ihnen zur zweiten Heimat geworden war.

Frau Letizia war sehr glücklich, alle ihre Kinder wieder um sich vereint zu sehen. Maria Anna hatte sich sehr verändert. Aus dem kleinen unerzogenen Mädchen, das ihren Brüdern an Wildheit nichts nachgegeben hatte, war eine wohlerzogene junge Dame geworden. Sie schien ihrem Alter weit voraus zu sein. Ihr Wesen war ein wenig altklug und für eine Fünfzehnjährige viel zu ernst. Sie sprach nur von Kunst und Literatur und kramte alle ihre Schulweisheit aus. Ihren korsischen Dialekt schien sie ganz verlernt zu haben; sie sprach nur noch Französisch, und zwar sehr geläufig. Aber sie hatte eine häßliche südländische Aussprache, die ihr das ganze Leben lang anhaftete. Später ist sie ihr in den kaiserlichen Salons ihres Bruders und in ihren eigenen oft sehr hinderlich gewiesen. Damals aber, in Korsika, bewunderte man Maria Anna wegen ihrer Kenntnisse, denn die korsischen jungen Mädchen waren meist unwissend. Maria Anna bildete sich auch nicht wenig auf ihre vornehme Erziehung ein. Sie trug ein kaltes, hochmütiges Wesen zur Schau. Dadurch zog sie sich manch hartes Wort von seiten der einfachen, natürlichen Mutter zu.

Am meisten kränkte es das Fräulein aus Saint-Cyr, wenn Letizia sie nicht für erwachsen ansah und sie wie ein kleines Schulmädchen aus dem Zimmer schickte, sobald sie etwas Wichtiges mit ihren Söhnen zu besprechen hatte. Dafür wurde Maria Anna jedoch reichlich durch Lucien entschädigt, der ihr von allen Geschwistern am nächsten stand. Obwohl ihre Ansichten damals himmelweit voneinander verschieden waren, denn Maria Anna war ganz aristokratisch gesinnt und Lucien von kühnen republikanischen Ideen erfüllt. Sie schlossen dennoch jene enge Freundschaft, die sie bis ans Ende miteinander verband. Maria Anna fühlte sich nicht wenig geschmeichelt, daß der angehende Republikaner und Volksredner sie zur Vertrauten seiner Pläne und Ansichten machte, während Napoleon und Joseph sie noch immer wie ein Kind behandelten. Lucien deklamierte vor ihr, hielt in ihrer Gegenwart begeisternde revolutionäre Reden und sprach mit ihr über seine Lieblinge, die griechischen Schriftsteller. Und Maria Anna war ihm eine geduldige Zuhörerin, wenn sie auch nicht alles begriff und fassen konnte. Lucien sah in ihr die einzige in seiner Familie, die ihn verstand, denn seine Brüder hielten ihn noch nicht für reif, ein Republikaner zu sein. »Ich fühlte mich sofort zu Maria Anna hingezogen«, sagt er in seinen Memoiren. »Sie versprach nicht schön zu werden, obgleich sie eine gute Gestalt hatte. Aber ihre herrlichen, lebhaften Augen verrieten Geist.«

Diese Vorzüge schien auch der Konteradmiral François Truguet an dem Fräulein Bonaparte bemerkt zu haben. Er war Befehlshaber eines Geschwaders im Mittelmeer und sollte eine Expedition nach Sardinien unternehmen, an der sich auch Napoleon zu beteiligen gedachte. Am 15. Dezember 1792 hatte der Admiral im Hafen von Ajaccio Anker geworfen, um Verstärkungen aus dem Innern zu erwarten. Man bereitete ihm die herzlichste Aufnahme auf der Insel. Besonders gern verkehrte er im Hause der Bonaparte. Hier sprachen mehrere Mitglieder der Familie Französisch, was ihm äußerst angenehm war, denn er verstand nicht Italienisch. Die bemittelten korsischen Familien gaben ihm zu Ehren Feste und Bälle, an denen auch Maria Anna und ihre Brüder teilnahmen. Frau Letizia selbst war zu arm, um Festlichkeiten in ihrem Hause veranstalten zu können. Dennoch scheint der Admiral Truguet seine Blicke besonders auf die älteste Tochter geworfen zu haben, die nicht einmal ein anziehendes Äußere besaß. Da sie jedoch in Ajaccio fast das einzige junge Mädchen war, das gut Französisch sprach, so tanzte Truguet am meisten mit ihr. Frau Bonaparte machte die Zukunft ihrer Töchter große Sorge. Sie hätte eine Heirat Maria Annas mit Truguet gewiß sehr gern gesehen, ebenso die Brüder. Lucien nannte den Admiral geradezu das »Nec plus ultra« der Partien für seine Schwester. Alle schönen Träume aber zerflossen in ein Nichts, als die Familie den Admiral am 8. Januar 1793 absegeln sah, ohne daß er um die Hand Maria Annas angehalten hatte. Nun konnte Letizia wieder allabendlich, wenn die jüngeren Kinder schon schliefen, den Söhnen ihr Herzeleid klagen. Wie schwer werde es ihr einst werden, ihre drei Töchter zu verheiraten! Dann tröstete Napoleon sie scherzend und sagte: »Oh, Signora, ich werde nach Indien gehen und als Nabob wiederkehren. Meinen drei Schwestern bringe ich dann reiche Aussteuern mit.«

Lucien behauptete, es habe an Maria Anna gelegen, daß sie sich diesen Gatten entschlüpfen ließ. Sie sei zu einfältig, zu unerfahren gewesen. Sie habe sich auch nichts aus ihm gemacht. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, daß sich dieses kluge, berechnende Mädchen nicht von den Vorteilen einer solchen Heirat angezogen fühlte. Truguet war trotz seiner vierzig Jahre noch ein schöner Mann. Er hatte nichts von republikanischen Gewohnheiten an sich, sondern war sehr vornehm, ritterlich und aristokratisch. Ferner war er ein verdienstvoller Offizier. Er hatte einen äußerst angesehenen Posten inne und bezog ein gutes Einkommen. Mit einem Wort, er wäre eine glänzende Partie für das arme korsische Mädchen gewesen. Truguet aber überlegte es sich reiflich, ehe er das bindende Wort sprach. Sollte er nicht von dem herrischen, wenig verträglichen Charakter Maria Annas gehört haben? Vielleicht war sie ihm auch zu arm. Nach Luciens Behauptungen soll der Admiral es später bereut haben, nicht Napoleons Schwager geworden zu sein, nach andern hingegen soll er sich Glück gewünscht haben. Sicher ist, daß er der einzige Admiral war, der gegen Napoleon stimmte, als das Kaiserreich sich auftat.

 

II.

Bald sollte die Familie Bonaparte erfahren, welches Glück ihr mit dem Admiral Truguet entschlüpft war. Sie mußte aus Korsika fliehen. Not, Entbehrungen, Demütigungen aller Art, wirkliche Armut harrten ihrer. In Ajaccio waren die Bonaparte, wenn auch nicht reich, so doch geachtet gewesen. In Frankreich hingegen kannte kein Mensch diese armen korsischen Flüchtlinge. Man kümmerte sich nicht mehr um sie als um andere. Letizia und ihre jungen Töchter mußten manche Kränkung erfahren. Besonders fühlte sich die aristokratische Maria Anna gedemütigt, als die Mutter gezwungen war, Soldatenrationen zu erbitten, um nicht Hunger zu leiden. Die ehemalige Schülerin von Saint-Cyr empfand es bitter, auf dem Markt die kargen Einkäufe selbst machen zu müssen. Ihre feinen Hände, die in der vornehmen Erziehungsanstalt nicht an grobe Arbeit gewöhnt worden waren, mochten sich nur schwer dazu schicken, zu Hause zu waschen, zu putzen, zu kochen und zu nähen. Aber Frau Letizia, die Starke, kannte kein Erbarmen mit ihren Töchtern. Sie selbst fand sich mutig in die neue Lage und scheute keine Arbeit. Dasselbe verlangte sie auch von ihren Kindern. Ließ sie sich doch mit ihnen im Jahre III, um nicht als Adlige aufzufallen, als Schneiderinnen einschreiben, vielleicht aber auch in der Voraussicht, daß sie einmal gezwungen sein würde, ihr Brot durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen!

Seit Ende 1793 wohnte Letizia mit ihren Töchtern in Marseille, nachdem sie zuerst im Dorfe La Valette bei Toulon, dann in Bandol und Nizza eine Zuflucht gesucht hatten. Es waren elende Tage, die sie in Marseille verbrachten. Erst als Frau Bonaparte im Jahre 1794 im Schlosse Sallé bei Antibes und dann in Nizza lebte, kehrte wieder ein wenig Frohsinn und Sonnenschein in die Familie ein. Obgleich auch hier Letizia noch gezwungen war, ihre Wäsche selbst zu waschen und die öffentlichen Unterstützungen anzunehmen, so empfing sie doch in ihrem Hause eine Art Gesellschaft. Die Söhne brachten ihre Kameraden, junge lebenslustige Offiziere oder Armeebeamte zu ihr. Hübsche Frauen, wie Frau Turreau, die Gattin des einflußreichen Volksvertreters, Frau Haller, Frau Ricord, Frau Masséna, Frau Laborde und viele andere wetteiferten mit den Schwestern des Generals Bonaparte an Jugend und Schönheit. Auch Joseph Bonaparte genoß bereits gesellschaftlich ein gewisses Ansehen. Er hatte das reiche Fräulein Clary geheiratet und lebte in sehr guten Verhältnissen in Marseille. Napoleon war Brigadegeneral und mit dem Oberbefehl über die Artillerie des Italienischen Heeres betraut worden.

Nur Lucien, der Brausekopf, war noch sehr arm. Er bekleidete ein bescheidenes Amt in Saint-Chamans bei Cette und hatte eine unbemittelte Frau geheiratet. Wie Tausenden seiner Gesinnungsgenossen ereilte auch diesen eingefleischten Republikaner das Geschick. Nach dem Sturze Robespierres wurde er verhaftet und in den Kerker geworfen. Maria Anna, die sich jetzt, wahrscheinlich auf den Wunsch Luciens, Elisa nannte, stand Qualen der Angst und Sorge um den geliebtesten der Brüder aus. Sie beschwor die Mutter und Napoleon, man möchte ja alles versuchen, um Lucien wieder frei zu bekommen. Da Frau Letizia zu jener Zeit etwas leidend war, vielleicht auch, weil sie nicht die Sprache so gut beherrschte, konnte sie das Gesuch an den Volksvertreter Chiappe nicht selbst schreiben, und so beauftragte sie die sechzehnjährige Elisa damit. Das junge Mädchen war nicht wenig stolz, ihrem Bruder einen Dienst erweisen zu können. Aber trotz der achtjährigen Schulzeit in Saint-Cyr gelang es auch ihr nicht, das Schreiben fehlerfrei abzufassen. Es hatte übrigens keinen Erfolg. Dem General Bonaparte gelang es schließlich nach vielen Bemühungen, seinen Bruder aus der Gefangenschaft zu befreien.

Wie gern hätte es Frau Letizia gesehen, ihre beiden älteren Töchter, Elisa und Pauline, verheiraten zu können! Sie wohnte jetzt mit ihnen wieder in Marseille. Unter all den jungen Leuten, die in ihrem Hause verkehrten, schien jedoch keiner zu sein, der ernste Absichten auf die Mädchen hatte. Sie unterhielten sich wohl alle gern mit den lustigen, pikanten Schwestern, scherzten und tändelten mit ihnen aber das war alles. Der Ruf der jungen Mädchen war nicht der beste. Die Chronique scandaleuse behauptete, wie erwähnt, die Schwestern des Generals Bonaparte hätten sich nicht gescheut, ein schändliches Gewerbe aus ihrer Liebe zu machen, und Letizia hätte das geduldet. Keiner der Anschwärzer aber bringt einen Beweis dafür. Besonders sind die lügenhaften Berichte des Direktors Barras in Zweifel zu ziehen. Hätten Elisa und Pauline sich verkauft, so würde die Familie gewiß nicht gezwungen gewesen sein, die Unterstützungen anzunehmen, die sie noch immer zu jener Zeit bezog. Vom 21. November 1795 bis zum 29. Januar 1796 erhielt Frau Letizia 300 Franken. Jede ihrer Töchter und ein Dienstmädchen, Madeleine Nouvello, bekamen dieselbe Summe von der Regierung. Mit 1500 Franken in zwei Monaten konnten fünf Personen wenn nicht glänzend so doch anständig leben. Und dazu taten Napoleon und Joseph alles, um ihre Familie mit dem nötigen Geld zu versorgen.

Ein anderer Zeitgenosse, der spätere General Ricard, der, als er selbst noch ein junger Mann war, bei den Bonaparte in Marseille aus- und einging, ist gerechter. Er sagt: »Wenn auch das Verhalten der Schwestern Napoleons in Wirklichkeit tadellos war, so war es das doch nicht dem Scheine nach. Ich erinnere mich gewisser Vertraulichkeiten und Freiheiten, die wir, einige junge Marseiller und ich, uns ihnen gegenüber gestatteten.«

Die Mädchen waren leichtsinnig und nicht auf den Klatsch bedacht. Mancher junge Mann konnte sich rühmen, diese oder jene Gunst von Elisa und Paulette empfangen zu haben. Vor allem kannte Paulette keine Grenzen. Sie war damals in Fréron verliebt. Jedenfalls vergnügten sich die Töchter Letizias nach Herzenslust. Sie suchten sich gleichsam für die erlittenen Entbehrungen zu entschädigen. Man spielte in ausgiebigem Maße Theater, wobei es den jungen Damen nicht darauf ankam, auch die männlichen Schauspieler anzukleiden und die geringsten Einzelheiten ihres Anzugs mit geschickter Hand selbst zu ordnen. Die jungen Leute waren zwar mit den weiblichen Kammerdienern sehr zufrieden, jedoch nicht immer verschwiegen genug. Sie prahlten und erzählten mehr, als sie in Wirklichkeit empfangen hatten. Mit einem Wort, die Töchter der sittenstrengen Frau Letizia waren leichtsinniges Blut, Tollköpfe, die auf ihren guten Ruf nicht bedacht waren.

Das verhinderte sie aber nicht, sich nach dem ruhigeren Hafen der Ehe zu sehnen. Elisa und Paulette – Karoline war noch zu jung – schwärmten von einer zukünftigen Heirat. Durch Napoleon, der soeben Josephine geheiratet hatte, kam seine Familie immer mehr zu Ansehen, und endlich stellten sich auch die Freier um seine Schwestern ein. Es war ja eine Ehre, der Schwager des berühmtesten Generals der Republik zu sein! Napoleon war am 2. März 1796 zum Oberbefehlshaber der Italienischen Armee ernannt worden, und als er bald darauf, auf seiner Reise zum Heere, die Familie in Marseille aufsuchte, wurde er äußerst herzlich von seinen Schwestern empfangen. Sie hätten gar zu gern schon jetzt die Bekanntschaft der »Vicomtesse« de Beauharnais gemacht, nur um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob sie wirklich so schön, anmutig, vornehm und gut sei, wie er von ihr sagte. Sie glaubten nämlich nicht, daß eine 33 jährige Frau noch alle diese Vorzüge haben könnte. Und als sie Josephine später kennen lernten, da fanden sie an ihr, die sie aus ganzer Seele haßten, allerlei Mängel.

Aber auf ihren berühmten Bruder waren sie sehr stolz. Bald erfüllten die Nachrichten von seinen Siegen auf dem Kriegsschauplatz die halbe Welt mit Begeisterung, und die Strahlen seines Ruhmes fielen notwendigerweise auch auf seine Familie. Am 29. Mai 1796 veranstaltete die Stadt Marseille ein Nationalfest, das »Fest des Sieges und der Dankbarkeit«. Frau Bonaparte und ihre Töchter wohnten der Feierlichkeit bei und empfingen die Huldigungen von seiten der Behörden. Man überreichte ihnen Blumen und Palmenzweige als Zeichen, wie sehr man die Anwesenheit der Mutter und Schwestern des großen Generals zu schätzen wisse.

Natürlich fehlte es ihm auch nicht an Feinden. Trotz der vielen und glänzenden Siege, die Bonaparte in Italien davon trug, verleumdete man ihn in Marseille und setzte ihn in der öffentlichen Meinung herab. F19 In den Kaffeehäusern zerriß man die Zeitungen, die seine Siege meldeten. In Aubagne hing man einen Strohmann auf, der den General Bonaparte darstellte, der mit allen möglichen beleidigenden Abzeichen und Inschriften bedeckt war. In den Theatern und auf den Straßen wurden Letizia und ihre Töchter beschimpft, so daß es nötig war, vor ihrem Hause in der Rue de Paradis eine Schildwache aufzustellen, um sie zu beschützen. Und es waren nicht nur die Royalisten, die diesen Haß bezeugten, sondern auch republikanisch gesinnte Einwohner. Endlich hielt es die Sektion des Südens für nötig, dem so beschimpften General Genugtuung zu gewähren. Er hatte bereits viel Macht in Händen, und man fürchtete seinen Zorn. So bestrafte man die Journalisten, die falsche Gerüchte über Bonaparte und seine Familie verbreitet hatten, und erklärte in einer Versammlung öffentlich: »Die Einwohner von Marseille haben niemals aufgehört, für die Familie des ruhmreichen Bonaparte die Rücksicht und das Wohlwollen zu beweisen, die man ihr schuldig ist. Sollten irgendwelche schlechte Bürger sich die geringste Beleidigung gegen diese Familie erlaubt haben, so werden das nur Anarchisten gewesen sein.« Auch die Sektion des Nordens nahm es auf sich, den General über die wahren Gesinnungen der Marseiller aufzuklären. Man tat alles, um den großen Feldherrn nicht zu verletzen. Er und seine Familie konnten mit all diesen öffentlichen Beweisen von Achtung und Auszeichnung zufrieden sein. Napoleon aber trug sein ganzes Leben hindurch einen gewissen Groll gegen die Marseiller im Herzen, wenn er sich auch damals nichts merken ließ. Noch später mußte er erfahren, daß diese Stadt niemals aufrichtig bonapartistisch gesinnt war.

Auf die drei Schwestern des Generals Bonaparte machten die ehrenden Kundgebungen den größten Eindruck. Die Familie schien bereits alle Not und alles Elend weit hinter sich gelassen zu haben. Jetzt konnten sich die Mädchen, dank ihres Bruders, schöne Kleider und Hüte kaufen. Letizia und ihre Töchter waren nicht mehr arm. Kurz nach dem 13. Vendemiaire schon schrieb Napoleon an Joseph: »Ich habe der Familie 50–60.000 Franken in Silber, Assignaten und Modegegenständen gesandt.« Letizias Haus in der Rue de Paradis wurde der Treffpunkt der guten Gesellschaft. Alle Korsen, alle Offiziere der Italienischen Armee, die durch Marseille reisten, alle höheren Verwaltungsbeamten machten der Mutter und den Schwestern des Generals Bonaparte ihre Aufwartung. Sogar der Admiral Truguet, der einstige Bewunderer Elisas, versäumte nicht, im Hause Letizias wieder vorzusprechen, als er sich in Marseille aufhielt.

Elisa und Paulette teilten ihre Huld bereits wie Königinnen aus. Vor allem fühlte sich die Ältere, die Aristokratin, durch so viel Auszeichnung gehoben. Sie hatte jetzt auch einen ernsthaften Freier. Ein junger Offizier, namens Pasquale Baciocchi, machte ihr den Hof. Wie die Bonaparte selbst, so gehörte auch er einer aus Genua in Korsika eingewanderten alten Familie an, die mit vielen korsischen Patriziergeschlechtern durch Heiraten verbunden war. Aber ebenso wie die Bonaparte waren die Baciocchi nicht reich. Pasquales Vater diente als Oberst auf der Heimatinsel. Der Sohn stand im 34. Lebensjahre, als er um die Hand Elisas anhielt. F20 Obwohl er gerade keine intelligenten Züge hatte, so war sein Äußeres nicht unangenehm. Vor allem aber besaß er einen sehr verträglichen, gutmütigen Charakter. Lucien nannte ihn den »bon et rebon« Baciocchi.

Pasquale war ein stiller Mensch ohne Leidenschaften. Metternich hielt ihn für einen sehr beschränkten Kopf, der kein anderes Interesse hegte als für sein Geigenspiel. Es war daran etwas Wahres, denn Baciocchi liebte es sehr, anderen das zweifelhafte Vergnügen eines Vortrags auf seiner Geige zu gewähren.

Dieser zwar herzensgute aber schwache, unbedeutende, kraftlose Charakter war gerade der rechte Mann für die herrschsüchtige Elisa. Man sagte von ihr, sie habe sich bereits als Achtzehnjährige »mit einer für ihr Geschlecht ungewohnten Energie« ausgedrückt. Sie hätte sich die Herrschaft in der Ehe gewiß nicht streitig machen lassen. Und sicherlich wäre sie mit dem männlicheren Admiral Truguet öfters zusammengeraten. Pasquale hingegen hatte nie eine eigene Meinung. Alles, was Elisa tat, war ihm recht. Er schien ihr übrigens aufrichtige Neigung entgegenzubringen, denn zweifellos hätte er glänzendere Verbindungen eingehen können, wenn er gewollt hätte. Joseph stellte ihm das Zeugnis aus, daß er ein junger, in jeder Beziehung vornehmer Offizier sei.

Baciocchi hatte seit dem Jahre 1778 im Regiment »Royal Corse« gedient. Als er Elisa kennen lernte, war er Hauptmann. Übrigens war er der Familie Ronaparte kein Fremder. Ein Baciocchi hatte in früheren Zeiten eine Bonaparte geheiratet. Als daher Pasquale nach dem 9. Thermidor nach Marseille kam – er hatte, da er und seine Familie bourbonisch gesinnt waren, im März 1794 auswandern müssen –, empfing Letizia ihn wie einen Verwandten in ihrem Hause. Sie bot ihm Zuflucht und Fürsorge an. Der tägliche Umgang mit Frau Bonapartes Töchtern ließ in dem Offizier eine stärkere Zuneigung für die älteste entstehen, und Ende 1796 wurde das junge Mädchen seine Gattin.

Frau Letizia hielt es nicht für nötig, ihren Sohn Napoleon, der in Italien von Sieg zu Sieg eilte, um Rat zu fragen. Sie schrieb ihm wohl, verheiratete jedoch ihre Tochter, noch ehe seine Antwort eintraf. Ihr war der korsische Schwiegersohn recht, weit lieber als irgendein glänzender Offizier, den der General Bonaparte vielleicht aus seinem Generalstab für Elisa gewählt haben würde. Man sagt, Napoleon sei von dieser Heirat seiner Schwester nicht gerade entzückt gewesen; er habe andere, höhere Absichten mit Elisa gehabt. Es liegt indes kein Grund vor, dies anzunehmen. Baciocchi war kein zu verachtender Freier. Und zu jener Zeit hatte Bonaparte für seine heiratslustigen Schwestern noch keine Generale und Würdenträger in Bereitschaft. Höchstens hätte er sich einen Schwager gewünscht, der weniger aller intellektuellen Fähigkeiten bar gewesen wäre als Pasquale. Später sagte Napoleon freilich: »Meine Schwestern befragten, als sie sich verheirateten, nur ihre Leidenschaft und ihre Phantasie.« Übrigens brachte Napoleon seiner Schwester Elisa zur Zeit ihrer Heirat wenig Zuneigung entgegen. Ihr Geschick lag ihm nicht so sehr am Herzen wie das der beiden andern Schwestern. Elisas Charakter war dem seinen viel zu ähnlich, als daß sie miteinander in gutem Einvernehmen hätten stehen können. Deshalb herrschte auch niemals eine solche Vertraulichkeit zwischen ihnen wie zwischen Joseph und Napoleon oder Pauline und Napoleon. Es konnte ihm also gleich sein, wen Elisa heiratete, wenn nur ihr der Mann ihrer Wahl gefiel.

Die bürgerliche Trauung Elisas und Pasquales fand also ohne die Zustimmung des Generals Bonaparte am 1. Mai 1797 in Marseille statt. Von der Familie waren nur die Mutter und Karoline zugegen. Jérôme befand sich zu jener Zeit in der Schule des Irländers Mac Dermott; Paulette weilte bei Josephine in Mailand und Joseph in Mombello. Lucien, der Lieblingsbruder Elisas, dessen Abwesenheit sie am meisten beklagte, war in Korsika, gleichsam zur Strafe, daß er die Rheinarmee eigenmächtig verlassen hatte. Und Louis war Adjutant des Generals Bonaparte.

Wie üblich in der Familie Bonaparte, hatte man es auch bei Elisas Verheiratung mit der Prüfung der nötigen Papiere nicht so streng genommen. Pasquale gab sich als 29 jährigen »Hausbesitzer« aus und nannte sich Felix Baciocchi. Das Alter der Braut wurde mit 29 anstatt mit 20 Jahren angegeben. Das waren kleine Unregelmäßigkeiten, die man nicht beachtete. Von einer religiösen Trauung konnte damals in Frankreich nicht die Rede sein, da der Kultus noch nicht wiederhergestellt war.

Sobald Elisa verheiratet war, gedachte sie mit dem Gatten und der Mutter ihrem berühmten Bruder einen Besuch zu machen. In Mombello bei Mailand hielt der General Bonaparte bereits eine Art Hof. Da durfte die ehrgeizigste und ruhmsüchtigste seiner Schwestern nicht fehlen. Seine ganze Familie versammelte sich um ihn, nur Lucien fehlte im Clan, und aus guten Gründen, denn seit seinen dummen, bloßstellenden politischen Streichen war Napoleon nicht gerade gut auf ihn zu sprechen.

So machten sich Letizia, Elisa, Pasquale und Karoline Anfang Juni 1797 auf den Weg nach Mombello. Seit länger als einem Jahr hatten sie den Sohn und Bruder nicht mehr gesehen. Elisa war nicht wenig stolz, die Schwester eines so berühmten Feldherrn zu sein, und auch Letizia konnte die glückliche Zufriedenheit nicht verbergen, die ihr auf dem Gesicht geschrieben stand. Als sie in Genua anlangten, glaubten sie ruhig und ohne Gefahr durch das mit Krieg überzogene Italien bis nach Mailand reisen zu können. Bonaparte hatte für keinerlei Bedeckung Sorge getragen. Wie es schien, hatte er den Brief der Mutter, der ihm ihre Ankunft meldete, nicht rechtzeitig genug erhalten. Diese korsische Familie hatte jedoch das größte Vertrauen zu der Macht eines der Ihrigen. War Napoleon nicht der Sieger über das Land, das sie durchreisten? Was konnte ihnen begegnen? Mußte man der Mutter und der Schwester des Oberbefehlshaber nicht überall mit Ehrfurcht und huldigender Dankbarkeit begegnen? Das war man ihnen doch zum mindesten schuldig, daß man sie ruhig ihres Weges ziehen ließ! Fast schien die stolze Letizia beleidigt zu sein, als der Adjutant Lavalette, der sich zufällig auf einer Sendung an den Dogen in Genua befand, ihr seinen militärischen Schutz anbot. Er wollte selbst bei den Damen bleiben, um sie gegebenenfalls verteidigen zu können. Da antwortete ihm die Mutter des Generals Bonaparte: »Ich habe hier nichts zu fürchten, mein Sohn hat die bedeutendsten Personen der Republik (Genua) als Geiseln in seiner Hand. Brechen Sie nur rasch zu ihm auf, um ihn von meiner Ankunft zu benachrichtigen. Ich selbst werde morgen früh meinen Weg fortsetzen.« Dennoch hielt es der kluge Lavalette für geeignet, eine Abteilung Reiterei, die er gerade zur Hand hatte, den Reisenden vorauszuschicken. Und so kamen Letizia und die Ihrigen wohlbehalten iii Mombello an. Es schmeichelte Elisa, daß der General Bonaparte und seine Gemahlin sie und Pasquale außerordentlich höflich empfingen. Napoleon und Josephine kamen ihnen sogar ein Stück Wegs entgegen, um sie selbst in das schöne Schloß, das sie bewohnten, einzuführen.

Wie hatten sich die Zeiten geändert! Das waren nicht mehr die armen korsischen Flüchtlinge von Marseille, die hier in Mombello von einem Kreis glänzender Generalstabsoffiziere und schöner vornehmer Frauen umgeben waren! Elisa, Pauline und Karoline brauchten sich nicht zu verstecken. Sie trugen jetzt nicht mehr billige, selbstgemachte Kleider, dürftige Hüte und mangelhafte Schuhe. Sie waren mit Geschmack und Vornehmheit gekleidet. In ihrem Auftreten lag nichts von jener Schüchternheit, die gewöhnlich denen anhaftet, die Not und Elend kennen lernten. Die Aufmerksamkeiten und Auszeichnungen, die man ihnen erwies, nahmen sie alle wie selbstverständlich und ihnen gebührend hin.

Der General Bonaparte wünschte, daß die Ehe Elisas auch die kirchliche Weihe erhielt. Gleichzeitig mit Pauline und Leclerc wurden Elisa und Baciocchi am 14. Juni 1797 in der Kapelle San Francesco in Mombello kirchlich getraut. Um aber kein Aufhebens von dieser religiösen Feier zu machen, die sich mit einem republikanischen General nicht vereinbart hätte, setzte Napoleon die Einsegnung der beiden Paare auf 11 Uhr nachts an. Vielleicht war ihm auch seine Zeit tagsüber zu kostbar. Gleichviel, der Pfarrer Brioschi sprach den Trausegen über die Schwestern des Generals. Fesch und der General Leclerc dienten Elisa und Baciocchi als Zeugen. Merkwürdig ist es, daß weder Napoleon noch Josephine damals daran dachten, ihre eigene Verbindung durch die Kirche bestätigen zu lassen.

Das herrliche Leben im Schloß Mombello gefiel Elisa und ihren Schwestern sehr. Täglich waren sie von einem Schwarm junger liebenswürdiger Offiziere, Künstlern und Schriftstellern umringt. Staatsmänner und Würdenträger gingen im Hause des berühmten Bruders ein und aus. Feste, Bälle, Konzerte, Diners und Theater waren an der Tagesordnung; immer gab es neue Zerstreuungen. Das Schloß wurde von 300 polnischen Reitern bewacht, die sich in ihren schönen blauen und amarantroten Uniformen sehr malerisch und vornehm ausnahmen.

Der General Bonaparte selbst war der liebenswürdigste Wirt, den man sich denken konnte. Er liebte zu plaudern und zu scherzen, aber seine Witze waren nie verletzend, sondern immer taktvoll. Er schien sich im Kreise der Seinen sehr wohl zu fühlen. Man sah ihm das Glück an, das er darüber empfand, seiner Familie so viel Gutes und Schönes bieten zu können. Oft mischte er sich unter seine jungen Offiziere und Gäste, um an ihren Spielen und Vergnügungen teilzunehmen. Bisweilen forderte er auch die ernsten österreichischen Unterhändler auf, sich daran zu beteiligen. Man führte ein sehr gemütliches, angenehmes Leben in Mombello. Dazu trug viel bei, daß der General Bonaparte dort keine geregelten Arbeitsstunden hatte und für jeden zugänglich war. Noch gab es keine Etikette, wenn auch schon ein gewisses Zeremoniell vorherrschte.

Josephine machte mit jener verführerischen Anmut und Liebenswürdigkeit, die ihr eigen waren, die Honneurs im Schlosse. Ihr Takt und ihre Weltgewandtheit spornten auch die jungen Schwägerinnen an, es ihr nachzutun. Im tiefsten Innern freilich haßten sie diese Frau, die es so gut verstand, Herz und Sinne des Bruders zu erobern und zu fesseln. Oh, wie sie sie beneideten, diese »Vicomtesse«, deren Sohn Eugen bereits mit seinen fünfzehn Jahren die weiß und rote Adjutantenbinde trug! Elisa besonders haßte Josephine. Sie stand ja durch den Rang Napoleons viel höher über der einfachen Hauptmannsgattin Frau Baciocchi! Lange Zeit mußte Elisa unter diesem Rangneid leiden. Denn wenn auch Pasquale, oder besser Felix, bald befördert wurde, so ging das doch lange nicht so schnell wie etwa bei ihren Brüdern oder wie bei Eugen und Murat. Gegen seine Brüder war Napoleon schwach; seinen Schwägern gegenüber aber war er streng. Sie mußten sich die Auszeichnungen und Ämter, die er ihnen verlieh, verdienen. Und da stand es eben nicht gerade günstig mit Baciocchi; er war nicht einer der Klügsten.

In Mombello jedoch wußte man sich noch im Neide einigermaßen zu beherrschen. Die Schwestern des Generals Bonaparte waren gegen Josephine außerordentlich liebenswürdig. Nur Paulette vergaß bisweilen ihre guten Vorsätze. Elisa war vernünftiger. Sie wußte nur zu gut, daß ihre Familie dem General alles verdankte. Da mußte man gute Miene zum bösen Spiel machen und gegen die Frau Generalin ein freundliches Gesicht zur Schau tragen. Und so schien es, als wenn die Bonaparte und die Beauharnais die einigste und liebevollste Familie der Welt wären.

An Zerstreuungen fehlte es, wie gesagt, nicht im Schlosse. Zu den Mahlzeiten spielte ein Orchester der Guiden, und den Kaffee und das Eis nahm man auf der von schattigen Bäumen umgebenen Terrasse ein. Die Abende wechselten angenehm ab mit Theater- und Gesangsvorträgen, zu denen sich schöne Frauen, wie die Sängerin Giuseppina Grassini vom Scalatheater in Mailand, erboten. Diese junge Frau verschwendete alle ihre Kunst und die Blitze ihrer wunderschönen Augen, um dem gefeierten General Bonaparte zu gefallen. Der aber hatte nur Auge und Ohr für seine unvergleichliche Josephine. Erst später, als er das zweitemal siegend durch Italien zog, erhörte er die italienische Sängerin.

Überall wurde dem General Bonaparte und seiner Familie die ehrenvollste Aufnahme zuteil. Er schien besonders glücklich zu sein, all diesen Ruhm, alle diese Ehren seinen Angehörigen zeigen zu können. Und wo er ihnen Vorteile verschaffen konnte, tat er es.

Seinen neuen Schwager Baciocchi überraschte er am 11. Juni 1797 durch die Ernennung zum Bataillonschef und Kommandanten der Zitadelle von Ajaccio. Da Pauline an einen General verheiratet war, konnte Elisa, die Ältere, nicht nur die Frau eines Hauptmanns sein. Aber es hieß damit auch von Mombello scheiden. Einesteils mochte sie das glänzende Leben im Hauptquartier des Bruders nur ungern aufgeben, andernteils aber war sie stolz, daß ihr Gatte nun ebenfalls einen bedeutenden militärischen Posten innehatte. Vor allem aber empfand sie eine gewisse Genugtuung darüber, daß sie es ihren Landsleuten zeigen konnte. Sie, die einst mit ihrer Familie vor den Paolisten hatte fliehen müssen, sie kehrte jetzt gewissermaßen als eine Art Machthaberin in die Heimatstadt zurück!

Doch sie ging nicht sogleich mit ihrem Gatten und der Mutter nach Korsika. Zuvor begab sie sich nach Paris. Sie erlebte dort die Rückkehr des lorbeergekrönten Siegers aus Italien. Anfang 1798 jedoch finden wir die junge Frau Baciocchi in Ajaccio bei ihrem Gatten. Schon im Juni desselben Jahres war sie wieder in Frankreich, in Marseille, der Stadt, wo sie Not und Entbehrungen kennen gelernt hatte. Hier gebar sie ihr erstes Kind. Es war ein Sohn, den sie Felix Napoleon nannte. Er hatte kein langes Leben. Schon sieben Monate nach seiner Geburt, am 19. Januar 1799, starb er.

 

III.

Marseille war jetzt der Aufenthaltsort der Baciocchi. Auf Veranlassung seines Schwagers Napoleon war Felix am 25. August 1798 zum Kommandanten des Forts Saint-Nicolas ernannt worden. Frau Baciocchi war nicht gern in dieser Stadt. Die Erinnerung an frühere Zeiten war ihr unangenehm. Sie setzte es endlich durch, daß Felix am 6. Dezember 1799 als Generaladjutant zur 17. Militärdivision befohlen wurde. Ihr Hauptquartier lag in Paris. Drei Monate später, im März 1800, erfolgte dann seine Ernennung zum Generaladjutanten der Armee von Ägypten.

Als solcher wurde Baciocchi aufs neue nach Korsika gesandt, um sich an der Organisierung des Kontingents der Insel zu beteiligen.. Diesmal begleitete ihn Elisa nicht nach der Heimat. Sie schien ihrer jungen Ehe bereits müde zu sein. Auf ihres Mannes Einspruch erwiderte sie, daß sie die Erziehung der Kinder Luciens überwachen müsse. Seine Frau, Christine, war schon damals leidend und starb kurze Zeit darauf. Elisas Handeln war nicht ganz selbstlos. Zwar hat sie Lucien während der Witwerschaft tapfer zur Seite gestanden, sie ist auch seinen Kindern beinahe eine Mutter gewesen, aber für sie selbst kam vor allem in Betracht, daß sie das schöne Paris nicht mit Ajaccio oder irgendeiner andern langweiligen Stadt Korsikas vertauschen wollte. Elisa liebte außerordentlich Luciens Geselligkeit und Vergnügungen, besonders geistige Unterhaltung und Theater. Wo aber hätte sie das besser finden können als in Luciens gastfreiem, kunst- und geistliebendem Hause? Wo hätte sie besser ihre Vorliebe für das Komödiespielen befriedigen können als in Paris und in den Salons ihrer im Ansehen und Reichtum immer höher steigenden Brüder? Wo hätte sie eine geistreichere, elegantere Gesellschaft gefunden als in Frankreich? Nein, sie wollte nicht fort von ihrem geliebten Paris! Trotz ihrer zarten Gesundheit besuchte sie die meisten Bälle und Feste. Die schöne Madame Recamier, die leichtsinnige Therese Tallien, Madame Hainguerlot und andere Berühmtheiten, die unter dem Direktorium eine Rolle gespielt hatten, waren Elisas Freundinnen. Mit ihnen erschien sie auf den Bällen, und als schließlich der Erste Konsul seiner Familie den Umgang mit Frau Tallien und ihrem Anhang untersagte, traf man sich zufällig beim Morgenritt im Bois de Boulogne. Elisa war eine kühne Reiterin. Sie hatte immer die besten Reiter an ihrer Seite. Graf Roederer war ihr ständiger Begleiter und Bewunderer.

Alle diese Zerstreuungen würde Elisa nur ungern aufgegeben haben, zumal ihre Familie nach dem 18. Brumaire eine besondere Rolle zu spielen begann. So ließ sie Felix allein nach Korsika gehen. Sie blieb bei Lucien in Paris. In seinem Hause konnte sie schalten und walten, wie sie wollte. Er liebte die Schwester aufrichtig, und sie vergalt es ihm in gleicher Weise. Die gleichen Neigungen, die gleichen Interessen verbanden sie miteinander. Sie hatten dieselben Freunde und auch dieselben Feinde. Bei Lucien fand Elisa gelehrte und geistreiche Männer, vor denen sie ihr Wissen oder besser Halbwissen auskramen konnte. Mit Frauen liebte sie nicht zu plaudern. Im Gegenteil, sie zeigte sogar oft ein unliebenswürdiges Wesen in deren Gesellschaft. Mit Männern hingegen war sie lebhaft, liebenswürdig, geistreich und interessant. Die Unterhaltung mit einem Mann hatte für sie tausendmal mehr Reiz, nicht nur, weil sie mit ihm ernster, wissenschaftlicher sprechen, sondern weil sie ihm gegenüber neben ihrer Klugheit auch noch ihre weiblichen Eigenschaften entfalten konnte. Leider war Elisa einer von den unkritischen Menschen, die alles zu können, alles zu wissen glauben, ohne daß sie entweder die Reife des Studiums oder die Erfahrung des Alters besitzen. Die Zwanzigjährige hielt sich sowohl in den Wissenschaften als auch in den schönen Künsten für vollkommen fähig und berechtigt, über alles mit der Überzeugung des Fachmannes zu sprechen. Am liebsten hätte sie auch denen, die in ihren Berufen als Meister bekannt waren, Unterricht oder Lehren gegeben. Wie die meisten halbwissenden Menschen, wußte sie alles besser. Das Wort des Philosophen, daß man nichts weiß, je mehr man Kenntnisse besitzt, war ihr unbekannt. Sie hielt sich nicht allein für eine große Dichterin und Schriftstellerin, sondern auch für eine begabte Schauspielerin, eine talentvolle Malerin und später sogar für einen genialen Staatsmann. In dieser Hinsicht stellte sie sogar ihre Fähigkeiten mit den Herrschertalenten Napoleons auf die gleiche Stufe.

Elisa war allerdings nicht unbegabt. Zum mindesten war sie die klügste unter den Schwestern des Kaisers. Das will aber noch lange nicht heißen, daß sie ein Genie war. Sie besaß Fähigkeiten und auch manche gute Eigenschaft, die gewiß in einer weniger äußerlichen Stellung besser zur Entfaltung gekommen wären. So aber lebte Elisa an einem Hofe, an dem es an Schmeichlern und Schönrednern nicht fehlte. Alles, was die Schwestern Napoleons taten, wurde gelobt und über die Maßen hervorgehoben. Frauen nehmen leicht eine Schmeichelei für Wahrheit. Warum sollte Elisa an ihren Talenten zweifeln, da man ihr täglich zu verstehen gab, sie sei ganz wie ihr genialer Bruder? Ja, die Natur hatte sie sogar günstiger als Napoleon bedacht. Sie hatte Elisa mit einem schauspielerischen Talent ausgestattet, das sie über alle Begriffe künstlerisch dünkte! Aber ihre Bühnenleistungen waren nur in ihrer eigenen und in Luciens Einbildungskraft bedeutend. Trotzdem der Schauspieler Dugazon Elisa dramatischen Unterricht erteilte, ist Elisa nie eine gute Schauspielerin gewesen. Weder ihr Äußeres noch ihre Stimme noch ihr Vortrag eigneten sich dazu, auf den Brettern zu erscheinen. Ihre Gestalt war eckig und männlich, ihre Stimme schrill und ohne Wohllaut. Dazu hatte sie die unangenehme südfranzösische Aussprache. Alles, was sie sagte, klang gewöhnlich. Das einzige, wodurch sie sich auf der Bühne auszeichnete, waren die gewagten Kostüme. Sie erschien halb nackt vor den Augen der Zuschauer, wahrscheinlich um wenigstens in der Kleidung der Griechinnen, deren Rollen sie spielte, echt zu sein. Man vergaß aber dabei die Ästhetik und war mehr auf die Wirkung des überspannten bedacht. Der Erste Konsul verbot seiner Schwester sehr bald, so herausfordernd zu erscheinen.

Elisas Gesellschaften bei Lucien in Plessis-Chamant hatten stets großen Zuspruch, mehr als die Josephs in Mortefontaine. In Plessis konnte man sich ungezwungener bewegen als in Mortefontaine, wo man ernste Unterhaltung pflegte, oder als in Malmaison, wo bereits die Hofsitte begann. Bei Lucien scherzte, lachte, tanzte, musizierte oder spielte man. Manchmal erlaubte man sich auch ein wenig rohe Spässe. So legte man einst dem Dichter Fontanes, der zu Besuch in Plessis war, einen toten Fuchs ins Bett. Einem andern Gast tat man Jalappawurzel in die Suppe.

Man rechnete der Schwester des Ersten Konsuls vieles zugute, was man einer andern nicht verziehen hätte. Trotz aller ihrer Fehler hatte sie ja auch wirklich die Gabe, durch ihre Lebhaftigkeit und ihre außerordentlich leidenschaftliche Veranlagung die Leute zu fesseln. Geduldig hörte man ihre Vorträge und Deklamationen an, die sie mit Vorliebe aus den Werken Voltaires wählte. Da sie es bei den Unterhaltungen nicht liebte, daß andere auch ihre Meinungen kundtaten, so brauchte man nur zu schweigen und den Redestrom der lebhaften Frau über sich ergehen lassen. Das war immerhin ein Vorzug. Wie gerne schwiegen übrigens die jungen Künstler oder Schriftsteller, die durch Elisas Einfluß hochzukommen hofften!

Um diese Zeit lernte Elisa den Dichter Fontanes bei Luden kennen. Beide wurden bald sehr vertraut miteinander. Es waren nicht nur geistige Interessen, die sie zusammenführten. Anfangs freilich mag der sprühende Geist des Dichters auf die wissensdurstige Frau gewirkt haben. Später lernte sie den Menschen in ihm lieben. Leider entsprach seine Gestalt durchaus nicht dem Ideale eines Dichters. Er war ein kleiner dicker Mann mit einem runden Kopfe und einem ziemlich alltäglichen Gesicht, das indes äußerst interessant erschien, wenn er sprach. Und er war ein glänzender Redner, sowohl im Salon als im vertrauten Kreise. Er wußte zu bewundern und zu loben. Das gefiel Elisa. Die Herzogin von Abrantes konnte sich nicht genug wundern, daß dieser Mann sich in Frau Baciocchi verliebt hatte. Sie schrieb: »Am meisten erstaunt es mich, daß Herr von Fontanes mit seinem entzückend geistreichen Wesen, seinen vornehmen Manieren, kurz er, der die Geselligkeit selbst ist, sich mit Frau Baciocchi befreunden konnte.«

Andere führende Geister huldigten dieser modernen Aspasia entweder aus kluger Berechnung oder aus Eitelkeit. Zu Elisas Freunden zählten geistvolle Männer wie Chateaubriand, Tissot, Andrieux, La Harpe, der Mentor Alexanders I., Esmenard, Roederer, Stanislas de Bouflers, ein von den Frauen besonders verwöhnter Mann, Legouvé, Pigault-Lebrun, Volney, Delille, Morellet u. a. m. Und außer den Vertretern der Literatur und Wissenschaft zog Elisa viele Maler und Künstler in ihren Kreis. David, Isabey, Gros, Lethière und Fontaine waren ihre ständigen Besucher. Junge Dichter lasen ihr ihre Werke vor, und Frau Baciocchi kritisierte sie mit wichtiger Miene. Lucien war von den Fähigkeiten und der Klugheit der Schwester entzückt. Er behauptete sogar, sie habe etwas von einer Gelehrten an sich.