Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz - Ödön von Horváth - E-Book

Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz E-Book

Ödön von Horváth

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Beschreibung

Horváths 1932 erschienener Theaterklassiker, dessen Uraufführung die Nationalsozialisten zunächst verhinderten, ist heute von den Bühnen nicht wegzudenken: In Anlehnung an das berühmte Zitat aus dem 1. Korintherbrief des Paulus "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen" handelt das Stück vom Schicksal der alleinstehenden, arbeitslosen Elisabeth, die immer wieder von Männern verstoßen, verlassen, verraten wird, und von ihrem Kampf um ein bisschen Glück im Leben. Diese Ausgabe, die auch Vorstufen des Stücks enthält, wird zusammen mit Martin Vejvar herausgegeben und kommentiert von Klaus Kastberger, dem Gesamtherausgeber der neuen historisch-kritischen Horváth-Ausgabe. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 213

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Ödön von Horváth

Glaube Liebe Hoffnung

Ein kleiner Totentanz

Herausgegeben von Klaus Kastberger und Martin Vejvar

Reclam

Die Arbeiten an diesem Band wurden im Rahmen eines vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF; P 28127 G23) unterstützten Projektes am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz durchgeführt. Dank für die Zurverfügungstellung der Faksimiles an die Österreichische Nationalbibliothek, Wien, und die Wienbibliothek im Rathaus.

 

Glaube Liebe Hoffnung erscheint als Band 5 der historisch-kritischen Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Ödön von Horváths, Berlin: de Gruyter 2009 ff.

 

 

2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

 

© Thomas Sessler Verlag GmbH, 1932. Alle Rechte vorbehalten. Insb. bedürfen sämtliche bühnenmäßige Aufführungen der gesonderten Genehmigung durch die Thomas Sessler Verlag GmbH. Die Aufführungsgenehmigung muss vor Probenbeginn eingeholt werden.

 

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961707-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019682-3

www.reclam.de

Inhalt

Glaube Liebe HoffnungMaterial zur TextgeneseMaterial zum KontextEditorische NotizAnmerkungenLiteraturhinweiseNachwort

[5]Glaube Liebe Hoffnung

Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern von Ödön Horváth

Dieses Theaterstück wurde unter Mitarbeit von Lukas Kristl verfasst.

[7]Randbemerkung

von Ödön Horváth

Februar 1932 traf ich auf der Durchreise in München einen Bekannten, namens Lukas Kristl, der schon seit einigen Jahren Gerichtssaalberichterstatter ist. Er sagte mir damals ungefähr folgendes: ich (Kristl) verstehe die Dramatiker nicht, warum nämlich diese Dramatiker, wenn sie Tatbestand und Folgen eines Verbrechens dramatisch bearbeiten, fast immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ selten begangen werden -- und warum sich also diese Dramatiker fast niemals um die kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf-landab tausendfach und tausendmal begegnen, und deren Tatbestände ungemein häufig nur auf Unwissenheit basieren und deren Folgen aber trotzdem fast ebenso häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ja selbst der Todesstrafe ähneln.

Und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis -- und aus diesem alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz »Glaube Liebe Hoffnung«. Die Personen Elisabeth, den Schupo (Alfons Klostermeyer), die Frau Amtsgerichtsrat und den Oberinspektor hat Kristl persönlich gekannt. Es ist mir ein Bedürfnis, ihm auch an dieser Stelle für die Mitteilung seiner Materialkenntnisse und für manche Anregung zu danken.

Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben -- aber natürlich in der Erkenntnis, dass es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in jeder wie auch immer gearteten sozialen Gemeinschaft geben muss. Zuguterletzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, dass man jene kleinen Paragraphen vielleicht (verzeihen Sie bitte das harte Wort!) humaner anwenden könnte.

[8]Und dies war auch meine Absicht, allerdings war ich mir jedoch dabei im Klaren, dass dieses »gegen kleine Paragraphen« eben nur das Material darstellt, um wiedermal den gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll -- höchstens, dass mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst.

Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich auch bei diesem kleinen Totentanz befleissigt, es nicht zu vergessen, dass dieser aussichtslose Kampf des Individuums auf bestialischen Trieben basiert, und dass also die heroische und feige Art des Kampfes nur als ein Formproblem der Bestialität, die bekanntlich weder gut ist noch böse, betrachtet werden darf.

Wie in allen meinen Stücken habe ich auch diesmal nichts beschönigt und nichts verhässlicht. Wer wachsam den Versuch unternimmt, uns Menschen zu gestalten, muss zweifellos (falls er die Menschen nicht indirekt kennengelernt hat) feststellen, dass ihre Gefühlsäusserungen verkitscht sind, das heisst: verfälscht, verniedlicht und nach masochistischer Manier geil auf Mitleid, wahrscheinlich infolge geltungsbedürftiger Bequemlichkeit -- wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht, wird wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können, und hier möchte ich mir erlauben, rasch folgendes zu betonen: ich habe und werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische ab.

Wie in allen meinen Stücken versuchte ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl die vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der es sich manchmal einbildet nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne Dich bitte selbst! Auf dass Du Dir jene Heiterkeit erwirbst, die Dir Deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem Dich nämlich die liebe [9]Ehrlichkeit gewiss nicht über Dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter Dich stellt, so dass Du Dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! --

»Glaube Liebe Hoffnung« könnte jedes meiner Stücke heissen. Und jedem meiner Stücke hätte ich auch folgende Bibelstelle als Motto voraussetzen können, nämlich:

Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf; und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles was da lebet, wie ich getan habe. So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

    Mos. I. 8,21.

[10]Personen

ELISABETH

ein Schupo (Alfons Klostermeyer)

Oberpräparator

Präparator

Vizepräparator

der Baron mit dem Trauerflor

IRENE PRANTL

Frau Amtsgerichtsrat

Er selbst, der Herr Amtsgerichtsrat

ein Invalider

eine Arbeiterfrau

ein Buchhalter

MARIA

ein Kriminaler

der Oberinspektor

ein zweiter Schupo

ein dritter Schupo

JOACHIM, der tollkühne Lebensretter

 

 

[11]Erstes Bild

Szene Nummer 1

Schauplatz: Vor dem Anatomischen Institut mit Milchglasfenstern.

Elisabeth will es betreten und sieht sich noch einmal fragend um, aber es ist nirgends eine Seele zu sehen.

In der Ferne intoniert ein Orchester den beliebten Trauermarsch von Chopin und nun geht ein junger Schupo (Alfons Klostermeyer) langsam an Elisabeth vorbei und beachtet sie scheinbar kaum.

Es ist Frühling.

Szene Nummer 2

ELISABETH(spricht den Schupo plötzlich an, während der Trauermarsch in der Ferne verhallt). Entschuldigens bitte -- aber ich suche nämlich die Anatomie.

SCHUPO. Das anatomische Institut?

ELISABETH. Dort wo man halt die Leichen zersägt.

SCHUPO. Das dort ist das hier.

ELISABETH. Dann ist es schon gut.

  (Stille.)

SCHUPO(lächelt). Gebens nur acht, Fräulein --- da drinnen stehen die Köpf in Reih und Glied.

ELISABETH. Ich habe keine Angst vor den Toten.

SCHUPO. Ich auch nicht.

ELISABETH. Mir graust es noch lange vor nichts.

SCHUPO. In diesem Sinne --- (er salutiertlegere und ab).

[12]Szene Nummer 3

Elisabeth sieht dem Schupo spöttisch nach --- dann fasst sie sich ein Herz und drückt auf den Klingelknopf des Anatomischen Instituts. Man hört es drinnen klingeln und schon erscheint der Präparator in weissem Mantel. Er steht in der Türe und fixiert die anscheinend unschlüssige Elisabeth.

Szene Nummer 4

PRÄPARATOR. Sie wünschen?

ELISABETH. Ich möchte hier jemand Zuständigen sprechen.

PRÄPARATOR. In was für einer Angelegenheit?

ELISABETH. In einer dringenden Angelegenheit.

PRÄPARATOR. Haben Sie einen angehörigen Toten bei uns?

ELISABETH. Es dreht sich um keinen angehörigen Toten, es dreht sich um mich selbst persönlich.

PRÄPARATOR. Wieso denn das hernach?

ELISABETH. Sind der Herr hier eine zuständige Instanz?

PRÄPARATOR. Ich bin der Präparator. Sie können sich mir ruhig anvertraun.

  (Stille.)

ELISABETH. Man hat mich nämlich extra darauf aufmerksam gemacht, dass man hier seinen Körper verkaufen kann -- das heisst: wenn ich einmal gestorben sein werde, dass dann die Herren da drinnen mit meiner Leiche im Dienste der Wissenschaft machen können, was die Herren nur wollen -- dass ich aber dabei das Honorar gleich ausbezahlt bekomme. Schon jetzt.

PRÄPARATOR. Das ist mir neu.

ELISABETH. Man hat mich aber extra darauf aufmerksam gemacht.

PRÄPARATOR. Wer denn?

[13]ELISABETH. Eine Kollegin.

PRÄPARATOR. Was sind Sie denn von Beruf?

ELISABETH. Jetzt habe ich eigentlich nichts. Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.

  (Stille.)

PRÄPARATOR. Seine eigene Leiche verkaufen -- auf was die Leut noch alles kommen werden?

ELISABETH. Man möchte doch nicht immer so weiter.

PRÄPARATOR. Ein krasser Irrtum -- (er holt aus seiner Tasche eine Tüte Vogelfutter und füttert damit die Tauben, die vom Dache des Anatomischen Instituts herabfliegen – die Tauben kennen den Präparator gut und setzen sich auf seine Schulter und fressen ihm aus der Hand).

Szene Nummer 5

Jetzt begleitet der Oberpräparator einen Baron mit Trauerflor aus dem Anatomischen Institut in das Freie.

OBERPRÄPARATOR. Wird prompt erledigt, Herr Baron, und abermals mein innigstes Beileid.

BARON. Danke, Herr Oberpräparator. Ich mache mir die heftigsten Vorwürfe.

OBERPRÄPARATOR. Aber die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen haben doch die völlige Haltlosigkeit der gegen Herrn Baron erhobenen etwaigen Beschuldigungen ergeben! Wir alle sind in Gottes Hand.

BARON. Trotzdem ich stand vor Verdun und an der Somme, aber nichts hat mich so erschüttert, wie diese Katastrophe gestern. Wir waren ja erst seit drei Monaten verheiratet und ich steuerte den Unglückswagen -- in der Unglückskurve. Zwischen Lechbruck und Steingaden. Nur gut, dass der Leichnam freigegeben ist.

[14]OBERPRÄPARATOR(entdeckte inzwischen den Präparator). Augenblick bitte! (Er nähert sich dicht dem Präparator und schreit ihn an.) Sie füttern schon wieder die Tauben? Was bilden Sie sich denn ein? Saustall sowas! Drinnen liegen die Finger und die Gurgeln nur so herum, dass es eine wahre Freud ist! Tuns die beiden Herzen und die halberte Milz gefälligst in die Schublad! Kreuzkruzifix, ist das aber eine Schlamperei!

PRÄPARATOR. Aber das Fräulein dort wollte doch ihre Leiche verkaufen, Herr Oberpräparator --

OBERPRÄPARATOR. Ihre Leiche? Schon wieder?

  (Stille.)

BARON. Beispiellos.

OBERPRÄPARATOR. Wir haben es zwar schon weiss Gott wie oft dementiert, dass wir keine solchen lebendigen Toten kaufen, aber die Leut glauben halt den amtlichen Verlautbarungen nichts! Die bilden sich gar ein, dass der Staat für ihren Corpus noch etwas daraufzahlen wird -- gar so interessant kommen sie sich vor! Immer soll nur der Staat helfen, der Staat!

BARON. Eine völlig beispiellose Ansicht über die Pflichten des Staates.

OBERPRÄPARATOR. Wird schon noch anders werden, Herr Baron.

BARON. Hoffentlich.

Szene Nummer 6

DER VIZEPRÄPARATOR(erscheint mit dem Hute des Oberpräparators rasch in der Tür des Anatomischen Instituts). Telefon, Herr Oberpräparator!

OBERPRÄPARATOR. Wer? Ich?

VIZEPRÄPARATOR. Es dreht sich etwas um das Gutachten in [15]Sachen Leopoldine Hackinger aus Brünn. Herr Oberpräparator sollen sofort in die Klinik zum Professor -- (er überreicht ihm seinen Hut).

OBERPRÄPARATOR. Sofort! (Er zieht hastig seinen weissen Mantel aus und übergibt ihn dem Vizepräparator, der wieder im Anatomischen Institut verschwindet; zum Baron) Pardon Baron! Die Kapazitäten kriegens mir scheint nicht heraus, an was dass diese Sudetendeutsche gestorben ist. Die Pflicht ruft --

BARON. Oh bitte!

OBERPRÄPARATOR. -- und abermals mein innigstes Beileid!

BARON. Oh danke!

OBERPRÄPARATOR. Habe die Ehre, Herr Baron! (rasch ab nach rechts).

BARON. Wiedersehen -- (langsam ab nach links).

  (Und wieder ertönen in weiter Ferne einige Takte des Chopinschen Trauermarsches. Langsam fängt es an zu dämmern, denn es ist bereits spät am Nachmittag.)

Szene Nummer 7

PRÄPARATOR(sieht dem Oberpräparator nach). Ein schlechter Mensch. Die armen Tauben. Glaubens mir, Fräulein: Das Beste ist, Sie springen zum Fenster hinaus.

ELISABETH. Sie sind aber ein sehr freundlicher Mann, Herr Oberpräparator.

PRÄPARATOR. Ich mein es gut mit Ihnen. Wer kauft eine Leiche? Heutzutag!

ELISABETH. Morgen ist auch ein Tag.

PRÄPARATOR. Es wird nicht anders.

ELISABETH. Das glaub ich nicht.

PRÄPARATOR. Sondern vielleicht?

  (Stille.)

ELISABETH(lächelt). Nein -- das lasse ich mir auch von Ihnen [16]nicht nehmen, dass ich noch einmal Glück haben werde. Sehens zum Beispiel, wenn ich jetzt meine Leiche hätt verkaufen können, nämlich um hundertfünfzig Mark --

PRÄPARATOR(unterbricht sie). Hundertfünfzig Mark?

ELISABETH. Jawohl.

  (Stille.)

PRÄPARATOR(grinst). Sie Kind -

ELISABETH. Wie belieben?

PRÄPARATOR. Was ist denn Ihr Vater von Beruf?

ELISABETH. Ein Inspektor.

PRÄPARATOR. Inspektor? Respekt!

ELISABETH. Aber er kann mir halt auch nicht unter die Arme greifen, weil meine Mama im März das Zeitliche gesegnet hat und da hat er gleich soviel Ausgaben gehabt damit.

PRÄPARATOR. Was ist schon so ein lumpiger Oberpräparator neben einem Inspektor? Respekt, Fräulein!

ELISABETH. Sehens, wenn ich jetzt hundertfünfzig Mark hätt, dann könnt ich jetzt meinen Wandergewerbeschein haben und dann würde sich mir die Welt wieder öffnen --- weil ich mit einem Wandergewerbeschein schon morgen eine sozusagen fast selbständige Position bekommen tät in meiner ursprünglichen Branche, aus der ich herausgerissen worden bin durch die Zeitumstände.

  (Stille.)

PRÄPARATOR. Was war denn das für eine Branche?

ELISABETH. Hüftgürtel, Korsett. En gros. Auch Büstenhalter und dergleichen.

PRÄPARATOR. Interessant.

  (Stille.)

ELISABETH. Wo bist Du, goldene Zeit?

  (Stille.)

PRÄPARATOR(kramt aus seiner Brieftasche eine Photographie hervor). Da schauns mal her --

[17]ELISABETH(betrachtet die Photographie). Ein netter Hund.

PRÄPARATOR. Mein Rehpinscher -

ELISABETH. Aufgeweckt.

PRÄPARATOR. Und scharf! Leider ist er mir verreckt.

ELISABETH. Schade.

PRÄPARATOR(pfeift). Das war sein Pfiff. Da ist er dann immer gekommen. (Er spricht nun mit der Photographie.) Burschi, Burschi, jetzt bist hin -- aus ist es mit dem Gassi-Gassi ---. (er steckt die Photographie wieder ein, zu Elisabeth). Aber das freut mich von Ihnen, dass Sie mit dem armen Burschi sympathisieren. Wie heissen denn Sie mit dem Vornamen?

ELISABETH. Elisabeth.

  (Stille.)

PRÄPARATOR. Die Kaiserin Elisabeth von Österreich, das war auch ein gutes braves Weiberl - aber trotzdem ist sie halt einem ruchlosen Attentat zum Opfer gefallen. In Genf. Überhaupt der Völkerbund -- alles ruchlos! Jetzt hab ich halt noch meine Schmetterlingssammlung und den Kanari und gestern ist mir eine Katz zugelaufen. -- Interessiert Ihnen ein Aquarium?

ELISABETH. Wie belieben?

PRÄPARATOR. Ich hätte auch ein Terrarium.

ELISABETH. Terrarium eher.

PRÄPARATOR. Also dann kommens halt mal zu mir, Sie Fräulein Inspektor.

ELISABETH. Vielleicht.

Szene Nummer 8

Jetzt kehrt der Oberpräparator aus der Klinik zurück und zwar überraschend … sein Zeigefinger ist dick verbunden, er erblickt den Präparator, stutzt empört und fixiert ihn, der retirieren möchte, während Elisabeth sich zurückzieht.

[18]Szene Nummer 9

OBERPRÄPARATOR(nähert sich langsam dem Präparator und hält dicht vor ihm). Schon wieder? Sie füttern schon wieder die Tauben? (Er fährt ihn plötzlich an.) Jetzt schauens aber, dass Sie verschwinden! (zu Elisabeth). Verstanden!

ELISABETH. Gewiss. (ab).

Szene Nummer 10

OBERPRÄPARATOR(sieht Elisabeth nach). Na das sind ja saubere Zustände. Statt die Tumors endlich zu katalogisieren, treiben Sie sich da mit dem schönen Geschlecht herum!

PRÄPARATOR. Irrtum, Herr Oberpräparator! Das Fräulein ist eine verarmte Zollinspektorstochter.

OBERPRÄPARATOR. Zollinspektor?

PRÄPARATOR. Jawohl. Und wenn jetzt diese Zollinspektorstochter hundertfünfzig Mark hätte, dann hätte sie auch ihren Wandergewerbeschein und die Welt würde sich ihr wieder öffnen -- Ich weiss, dass Sie mich für unfähig halten, Herr Oberpräparator, weil ich ein Aquarium habe und weil ich die Tauben füttere und weil ich ein gutes Herz habe --

OBERPRÄPARATOR. Zur Sache!

PRÄPARATOR. Zur Sache: Ich werde dieser Zollinspektorstochter unter die Arme greifen. Das steht bei mir felsenfest. Hundertfünfzig Mark.

OBERPRÄPARATOR. Hundertfünfzig?

PRÄPARATOR. Das Fräulein wird es mir schon zurückerstatten.

OBERPRÄPARATOR. Mir scheint, Sie glauben noch an Wunder, Sie leichtsinniger Patron. Sie sollten meine Frau sein, Sie schlaget ich ja tot -- (er droht ihm neckisch mit seinem dickverbundenen Zeigefinger).

[19]PRÄPARATOR. Was haben Sie denn da mit dem Finger? Verletzt?

OBERPRÄPARATOR. Infiziert.

PRÄPARATOR. Doch nicht an einem Leichnam?

OBERPRÄPARATOR. Natürlich. Eben zuvor. An diesem komplizierten Fall aus Brünn.

PRÄPARATOR. Passens nur auf, Herr Oberpräparator!

  (Stille.)

OBERPRÄPARATOR(betrachtet seinen dickverbundenen Zeigefinger). Es tut nicht weh, das ist verdächtig --

PRÄPARATOR. Wenn ich mir zum Beispiel meine Schmetterlingssammlung betrachte, dann denk ich immer, es dreht sich halt alles nach einer höheren Ordnung.

OBERPRÄPARATOR. Zur Sache: Kommens, die Pflicht ruft! (ab mit dem Präparator in das Anatomische Institut).

  (Dunkel.)

 

 

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[20] Zweites Bild

Szene Nummer 1

Schauplatz: Kontor der Firma Irene Prantl.

Die Prantl ist besonders in ihrem geschäftlichen Leben eine geschwätzige Person. Jetzt hantiert sie auf ihrem Schreibtisch mit Abrechnungen, und zwar hat sie es recht wichtig. Vor ihr sitzt eine Frau Amtsgerichtsrat. Im Hintergrunde stehen Wachspuppen mit Korsett, Hüfthalter, Büstenhalter und dergleichen – in Reih und Glied, ähnlich wie die Köpf im Anatomischen Institut.

DIE PRANTL. Allerhand Hochachtung, Frau Amtsgerichtsrat! Sieben Hüfthalter, sechs Korsetts, elf Paar Straps in knapp drei Tagen -- gratuliere, gratuliere! Sie haben es los! Besser als manche Berufsverkäuferin! Ein Talent!

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Mein Gott, unsereins hat halt so seine bestimmten gesellschaftlichen Bekanntenkreise, die wo einer Frau Amtsgerichtsrat kaum einen Korb geben wollen ---

DIE PRANTL. Zu bescheiden, zu bescheiden! Das Verkaufen ist heutzutage kein Kinderspiel, die Leut schlagen einem die Tür vor der Nase zu!

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Aber es bleibt doch dabei: Wenn jemand fragen sollte, dann sagen Sie selbstredend, ich verkaufe das nur von wegen persönlicher Zerstreuung und so --

DIE PRANTL. Ist doch sonnenklar, wollte sagen: bleibt unter uns!

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Bei diesen schweren Zeiten muss man auch dem eigenen Manne unter die Arme greifen, der verdient jetzt noch ganze sechshundert Mark. Da wird abgebaut und abgebaut, aber die Herren Landgerichtsdirektoren und Ministerialräte -- (sie stockt, da das Telefon klingelt).

DIE PRANTL(am Telefon). Ja. Soll nur gleich herein! -- Nur eine Sekunde, Frau Amtsgerichtsrat, wir sind gleich quitt!

[21]Szene Nummer 2

ELISABETH(tritt ein).

DIE PRANTL. Grüss Gott, tritt ein zeigens her - habens Ihr Pensum hinter sich?

ELISABETH. Hier -- (sie überreicht der Prantl ihrBestellbuch).

DIE PRANTL(blättert). Was? Zwei Paar Straps, einen Hüfthalter und ein Korsett, das ist doch radikal nichts!

ELISABETH. Das Verkaufen ist heutzutage kein Kinderspiel, die Leut schlagen einem die Tür vor der Nase zu.

DIE PRANTL. Also nur keine Gemeinplätze! Sie als Vertreterin müssen bei der Kundschaft den Schönheitssinn entwickeln! Jetzt wo das ganze Volk Gymnastik treibt und wo man überall nackerte Weiber sieht, das ist doch für unsere Branche die beste Reklame! Sie müssen Ihnen halt mehr an die Herren der Schöpfung halten, mir ist noch kein Mannsbild begegnet, das wo keinen Sinn für Strapsgürtel gehabt hätte! Wie war es denn in Kaufbeuren?

ELISABETH. In Kaufbeuren war nichts.

DIE PRANTL. Wieso hernach nichts? Kaufbeuren war doch immer phänomenal!

ELISABETH. Ich war aber nicht in Kaufbeuren.

DIE PRANTL. Sondern?

ELISABETH. Ich wollte nämlich Zeit sparen und bin mit einem Auto gefahren und zwar direkt in der Luftlinie - aber plötzlich hat die Ölzufuhr ausgesetzt und ich habe in einer Scheune im Walde übernachtet.

DIE PRANTL(fährt sie an). Im Wald? Meinens ich zahl umsonst?! Wenn Sie da mit derartigen Luftlinien weitermachen, haben Sie bis zum jüngsten Gericht die hundertfünfzig Mark noch nicht hereingearbeitet, die wo ich Ihnen für Ihren Wandergewerbeschein vorgestreckt habe!

ELISABETH. Aber das war doch eine höhere Gewalt.

[22]DIE PRANTL. Wenn die Angestellten jetzt auch noch mit der höheren Gewalt anfangen, dann höre ich auf! Dann bring ich mich um! Eine Blutvergiftung oder von der Trambahn herausfallen und einen Haxen brechen, das lass ich mir noch gefallen, aber den Luxus von einer höheren Gewalt habe ich Irene Prantl mir noch nicht geleistet!

ELISABETH. Ich kann doch schliesslich nichts dafür.

DIE PRANTL. Schauns nur nicht gar so geschmerzt, Sie Fräulein höhere Gewalt! Schauns doch nur die Frau Amtsgerichtsrat an! Frau Amtsgerichtsrat hätten es gar nicht so notwendig und machen es aus purer Zerstreuung und haben den vierfachen Umsatz.

Szene Nummer 3

Der Präparator stürzt herein und fährt sogleich auf Elisabeth los. Er ist ausser Rand und Band.

PRÄPARATOR. Da sind Sie ja, Sie Betrügerin Sie! Sie Hochstaplerin Sie! Ihr Vater ist ja gar kein Zollinspektor. Wenn Sie mir das gleich gesagt hätten, dass der kein Zollinspektor ist, sondern bloss so ein Versicherungsinspektor, ja glaubens denn, ich hätte Ihnen hernach eine Existenz verschafft?

ELISABETH. Aber das hab ich doch niemals behauptet -

PRÄPARATOR(unterbricht sie). Jawohl haben Sie das behauptet!

ELISABETH. Nein! Nie!

PRÄPARATOR(schlägt mit seinem Spazierstock auf der Prantl ihren Schreibtisch, dass die Geschäftspapiere nur so herumflattern und brüllt). Zollinspektor! Zollinspektor! Zollinspektor!

DIE PRANTL(rettet ihre Geschäftspapiere und kreischt). Halt! Halt!!

  (Stille.)

[23]PRÄPARATOR(verbeugt sichchevaleresk zur Prantl und zur Frau Amtsgerichtsrat hin). Entschuldigens meine Herrschaften, dass ich so aus heiterem Himmel, aber neben einem Versicherungsinspektor ist ja sogar noch ein lumpiger Oberpräparator eine Kapazität und diese gefährliche Person dort hat mir mein gutes bares Geld herausgelockt --

ELISABETH(unterbricht ihn). Ist ja gar nicht wahr!

DIE PRANTL. Ruhe!

PRÄPARATOR. Ruhe!

DIE PRANTL(droht mit dem Zeigefinger). Fräulein, Fräulein -- wer schreit hat Unrecht.

PRÄPARATOR(schreit). Unrecht! Jawohl!!

  (Stille.)

ELISABETH. Jetzt sage ich kein Wort mehr.

PRÄPARATOR(gehässig). Tät Ihnen so passen --

DIE PRANTL(zum Präparator). Nehmen Sie Platz bitte!

PRÄPARATOR. Danke -- (er setzt sich). Ich bin nämlich ein herzensguter Mensch, aber ich vertrag es halt nicht, dass man mich belügen tut.

ELISABETH. Ich habe nicht gelogen.

DIE PRANTL. Geh so haltens doch endlich den Mund, Fräulein --

PRÄPARATOR. Bitte ich mir aus!

DIE PRANTL(bietet nun dem Präparator Zigaretten an). Bitte --

PRÄPARATOR. Ich bin so frei -- (er steckt sich eine an, lehnt sich bequem zurück und bläst geniesserisch den Rauch von sich). Alsdann meine Herrschaften -- kommt diese Person da zu mir in die Wohnung, schleicht sich in meine väterlichen Gefühle hinein und ich zeig ihr mein Aquarium und habe ihr ein Buch über Tibet geliehen und obendrein kauf ich ihr auch noch einen Wandergewerbeschein -- und derweil ist der ihr Vater gar kein Zollinspektor! Ich habe mich nämlich erkundigt, schon wegen meiner inneren Sicherheit als [24]Mensch, weil sich meine Umgebung immer lustig gemacht hat über mein weiches Herz.

DIE PRANTL. Wandergewerbeschein? Was denn für Wandergewerbeschein? Den hat doch die dort von mir.

PRÄPARATOR. Was?! Von Ihnen auch?!

DIE PRANTL. Das ist doch der Usus im Betrieb. Die Firma streckt den Angestellten die Möglichkeit zum Arbeiten vor und die Angestellten arbeiten es ab. Hundertfünfzig Mark.

PRÄPARATOR(ausser sich). Hundertfünfzig Mark?!

  (Stille.)

DIE PRANTL. Das ist Betrug.

ELISABETH(fährt plötzlich los). Ich bin doch keine Betrügerin!

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Darauf kommt es auch nicht an, Fräulein! Sondern ob der Tatbestand des Betruges erfüllt ist, darauf kommt es an! Sonst würd sich ja die ganze Justiz aufhören!

DIE PRANTL. Richtig.

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Mich geht es ja nichts an und ich persönlich habe mit dem Gericht gottlob nur insoferner etwas zu tun gehabt, als wie dass ich mit einem Richter verheiratet bin. Aber Sie haben ja Ihren Wandergewerbeschein nicht um das Geld dieses Herrn da gekauft, also -- ich höre meinen August schon sagen: Vorspiegelung falscher Tatsachen - Tatbestand des Betruges.

PRÄPARATOR(ist verzweifelt in sich zusammengesunken; weinerlich). Ich bin doch ein armer Präparator der etwas Gutes getan hat --

ELISABETH. Herr Präparator! Sie werden Ihr Geld schon wiedersehen.

PRÄPARATOR. Nein.

ELISABETH. Doch, jeden Pfennig.

[25]PRÄPARATOR. Wann?

ELISABETH. Ich werd es schon abarbeiten.

DIE PRANTL. Wieso? (Sie liest aus Elisabeths Bestellbuch.) Zwei Paar Straps, ein Hüfthalter und ein Korsett. Und höhere Gewalt.

PRÄPARATOR(fährt hoch). »Höhere Gewalt«! Betrug! Gebens mir auf der Stell mein Geld zurück, Sie!

ELISABETH. Ich habe es jetzt nicht.

DIE PRANTL. Aber Ihren Wandergewerbeschein haben Sie doch von mir!

ELISABETH. Das schon.

PRÄPARATOR. Na also!

ELISABETH. Aber das Geld von dem Herrn habe ich zu etwas Dringenderem gebraucht.

DIE PRANTL. Das wird ja immer interessanter!

ELISABETH. Meinetwegen. Ich habe es zu einer Geldstrafe gebraucht.

PRÄPARATOR(wieder ausser sich). Was?! Sie haben mit der Justiz schon etwas gehabt?! Eine Vorbestrafte sind Sie also?! Aber Ihnen bring ich noch in das Zuchthaus, das garantier ich Ihnen! Ich war Ihr letztes Opfer! (Er rast ab.)

Szene Nummer 4

DIE PRANTL. Gediegen! Sehr gediegen!

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Wenn der Herr da jetzt das beschwört, das mit dem Zollinspektor und Versicherungsinspektor, dann werden Sie verurteilt.

DIE PRANTL. Zuchthaus.

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Aber was! Nur Gefängnis und sonst nichts! Zirka vierzehn Tag.

ELISABETH. Jetzt werden alle denken, dass ich die grösste Verbrecherin bin.

[26]DIE PRANTL. Gedanken sind zollfrei und besonders wenn man es einem verschweigt, dass man schon vorbestraft ist.

ELISABETH. Ich bin doch nicht verpflichtet, Ihnen das zu sagen.

DIE PRANTL. Also nur nicht so von oben herab! Dieser Skandal ist eine Affenschand. Sie gehen natürlich fristlos --- jetzt bleibens aber nur da, bis dass die Polizei kommt! (ab).

Szene Nummer 5

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Mich geht es ja nichts an, aber vorbestraft ist immer schon arg.

ELISABETH(sagt es auf wie ein Schulmädchen). Ich bin vorbestraft, weil ich ohne Wandergewerbeschein gearbeitet habe -- und da hat man mir eine Geldstrafe von einhundertundfünfzig Mark hinaufgehaut, bezahlbar in Raten. Aber dann ist alles fällig geworden und ich hätt dafür in das Gefängnis müssen und meine Zukunft wäre wieder in das Wasser gefallen -- und so habe ich dafür dem Herrn Präparator sein Geld aufgebraucht.

FRAU AMTSGERICHTSRAT. Also tuns nur nicht viel leugnen und zeigens Ihnen nicht gescheiter als wie der Richter ist. Mein Mann ist ja ein braver Mensch, aber tuns die Verhandlung nur ja nicht in die Länge ziehn durch unnötige Verteidigung!! Wenn ich zuhaus beim Mittagessen sitz und vergeblich auf ihn wart und er kann nicht weg, weil die Sitzung so lang dauert, dann hört auch bei ihm das Verständnis auf -- Wissens, die Angeklagten müssen halt auch ein Einsehen haben, dass schliesslich der Richter auch nur ein Mensch ist.

  (Dunkel.)

 

 

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