Gleann Comhann - Gefangen im Tal der Tränen - Daniela Vogel - E-Book
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Gleann Comhann - Gefangen im Tal der Tränen E-Book

Daniela Vogel

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Beschreibung

Die junge Studentin der schottischen Geschichte, Caitriona "Cat" Campbell, muss zu Samhain, der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November, für einen Aufsatz recherchieren. Ziel ist das Tal der Tränen in den Highlands, wie man den romantischen Ort Glencoe (gälisch Gleann Comhann), Schauplatz eines Clan-Massakers im 17. Jahrhundert, auch nennt. Sie glaubt nicht mehr an die große Liebe, geschweige denn an die Mythen von früher. Doch der Geist von Dusten MacDonald belehrt sie eines Besseren. Dusten wird im Feenreich gefangen gehalten und ist mit einem Fluch belegt. Nur zu Samhain ist es ihm erlaubt, sich den Sterblichen zu zeigen, um nach Erlösung zu suchen. Sie beschließt, ihm zu helfen. Allerdings landet sie nicht im Feenreich, wie ursprünglich geplant, sondern im 17. Jahrhundert. Dort trifft sie auf Dusten. Doch wie soll sie verhindern, dass das Unausweichliche geschieht?

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Gleann Comhann

Gefangen im Tal der Tränen

 

Kann Liebe Jahrhunderte überdauern?

 

 

 

Daniela Vogel

 Buchbeschreibung:

Die junge Studentin der schottischen Geschichte, Caitriona "Cat" Campbell, muss zu Samhain, der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November, für einen Aufsatz recherchieren. Ziel ist das Tal der Tränen in den Highlands, wie man den romantischen Ort Glencoe (gälisch Gleann Comhann), Schauplatz eines Clan-Massakers im 17. Jahrhundert, auch nennt. Sie glaubt nicht mehr an die große Liebe, geschweige denn an die Mythen von früher. Doch der Geist von Dusten MacDonald belehrt sie eines Besseren. Dusten wird im Feenreich gefangen gehalten und ist mit einem Fluch belegt. Nur zu Samhain ist es ihm erlaubt, sich den Sterblichen zu zeigen, um nach Erlösung zu suchen. Sie beschließt, ihm zu helfen. Allerdings landet sie nicht im Feenreich, wie ursprünglich geplant, sondern im 17. Jahrhundert. Dort trifft sie auf Dusten. Doch wie soll sie verhindern, dass das Unausweichliche geschieht?

Hinweise zum Urheberrecht

Das gesamte Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion, Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder andere Verfahren) sowie die Einspeicherung, Vervielfältigung und Verarbeitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt und auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.

Impressum

Texte:

            © Copyright by Daniela VogelUmschlag

            © Copyright by Casandra Krammer

Verlag

              Daniela Vogel

              Nordstraße 52

              47169 Duisburg

            [email protected]

            3. Auflage(Neuauflage)

Gleann Comhann

Gefangen im Tal der Tränen

 

Kann Liebe Jahrhunderte überdauern?

 

 

 

Daniela Vogel

 Prolog

Das Erste, was er unbewusst wahrnahm, war die melancholische Melodie einer Flöte, die von sanften Harfenklängen untermalt wurde. Wie immer, wenn er sich noch im Halbschlaf befand, drehte er sich auf den Bauch, ließ seinen rechten Arm aus dem Bett gleiten und betastete den Boden. Normalerweise lag dort sein Breitschwert, doch diesmal griff seine Hand ins Leere. Irritiert öffnete er seine Augen und streckte seinen Kopf über die Bettkante, um hinunterzusehen. Es lag nicht da! War er am Vorabend etwa so betrunken gewesen, dass er vergessen hatte, es dort abzulegen? Nein, beantwortete er sich seine Frage. Selbst in seinen wildesten Zeiten, damals vor den vier großen Schlachten, als er mit seinem besten Freund Gawyn versucht hatte, seine Grenzen auszuloten, sogar da war ihm niemals ein derartiger Fehler unterlaufen.

»Gib deine Waffe niemals aus der Hand und wenn doch, dann lass sie da liegen, wo du sie schneller erreichst als dein Feind! Wir haben schwierige Zeiten, und es ist für dich lebensnotwendig, dass du dir meine Worte zu eigen machst! Hast du mich verstanden?« Ihm war, als hallten die vor so vielen Jahren gesprochenen Worte seines Vaters immer noch durch seinen Kopf, denn er hatte ihnen äußerst schlagkräftig Nachdruck verliehen. Und das nicht nur einmal. Deshalb hatte er das allabendliche Ritual, sein Schwert auf dem Boden direkt unterhalb seines Bettes abzulegen, dermaßen verinnerlicht, dass selbst ein Vollrausch ihn nicht daran gehindert hätte, es durchzuführen.

»Du bist also endlich erwacht!« Die tiefe, rauchige Stimme einer Frau riss ihn aus seinen Gedanken, und er zuckte zusammen. Ruckartig warf er sich auf den Rücken, während seine Hand dabei erneut instinktiv über den Boden glitt, um nach seinem Schwert zu greifen, doch auch diesmal vergebens. Er zögerte kurz, aber nur, um sich mental auf einen Angriff vorzubereiten, den er notfalls mit seinen bloßen Fäusten abwehren musste. Während sich in seinem Kopf nun sämtliche Szenarien bevorstehender Attacken und deren Abwehr abspulten, brach sie in leises Gelächter aus. Ein kehliges Gelächter, das langsam lauter wurde und schließlich von den Wänden widerhallte. Abrupt hielt er inne.

»Was du suchst, wirst du hier nicht finden«, hörte er sie mit dem Glucksen eines unterdrückten Lachens in der Stimme sagen. »Und hier wirst du es auch nicht benötigen!« Erst in diesem Moment wurde er richtig wach und begrifft, dass er sich gar nicht in seiner eigenen Kammer befand, sondern … Verdammt, wo war er eigentlich? Irritiert sah er sich um, dabei ignorierte er die Gestalt, die am Fußende seines Bettes stand und erneut in Gelächter ausbrach.

Das Bett, auf dem er lag, war nahezu doppelt so breit wie sein eigenes. Das Bettzeug war auch nicht aus weißem Leinen, sondern aus einer Faser, die ihm völlig unbekannt war, und es schillerte rötlich wie flüssiges Metall. Auch war es so durchsichtig, dass seine bloße Haut hindurchschimmerte. Seine bloße Haut? Wieso war er entblößt? Verflucht, wo war er hier hineingeraten? Obwohl normalerweise nicht gerade schamhaft, raffte er den federleichten Stoff über einer gewissen Stelle zusammen, so dass sie von mehreren Stoffschichten bedeckt wurde. Die Unbekannte quittierte dies mit noch lauterem Gelächter, dann aber verstummte sie.

Sein Blick wanderte unwillkürlich zu ihr hinüber. Sie war in etwa einen Kopf kleiner als er, was für eine Frau erstaunlich war, denn er selbst überragte die meisten seiner Clansleute nur um eben jene Haupteslänge. Doch dabei wirkte sie nicht grobschlächtig oder unweiblich, wie es Frauen ihrer Größe normalerweise taten, ganz im Gegenteil. Sie war feingliedrig. Ihre Haut war weiß wie frisch gefallener Schnee und schillerte dabei silber-bläulich. Ihre engelsgleichen Züge wurden von pechschwarzen, seidigen Locken eingerahmt, die bis zu ihren Schenkeln reichten. Doch etwas an ihrer nahezu göttlichen Erscheinung verwirrte ihn. Etwas stimmte nicht mit ihr.

Die Unbekannte bewegte sich nun anmutig auf ihn zu, dabei fixierte sie ihn mit ihren Augen. Ihr Blick war so durchdringend, dass er merkte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Nicht vor Erregung, sondern eher vor Angst. Angst? Wieso hatte er Angst vor ihr? Sie war doch nur eine Frau! Und plötzlich wusste er, was mit ihr nicht stimmte. Ihren smaragdgrünen Augen fehlte jedweder Glanz. Sie wirkten eiskalt und erinnerten ihn an die Augen eines toten Frosches.

»Wer seid Ihr? Wo bin ich? Wie bin ich hierhergekommen und vor allen Dingen, was soll ich hier?« Anstatt ihm sofort zu antworten, ließ sie sich geschmeidig neben ihm auf dem Bett nieder, dabei umspielte ein unheimliches Grinsen ihre Züge. Er kam sich vor wie eine Maus, die von einer Katze belauert wird, und genau wie vermutlich bei einer solchen setzte sein Herzschlag kurz aus, bevor er dermaßen hämmerte, dass er ihn bis zu seinen Schläfen spüren konnte. Selbst in den Schlachten von Killiecrankie und Dunkeld, damals beim großen Aufstand, als sie erst einen Sieg und dann eine verheerende Niederlage erlitten und so viele gute Männer einen schnellen Tod gefunden hatten, hatte er sich nicht so gefühlt. Vielleicht lag es daran, dass er das Kämpfen von seiner Kindheit an als einen festen Teil seines Lebens kannte und gelernt hatte, mit den Auswirkungen, die daraus entstanden, zu leben. Aber das hier war etwas völlig anderes. Etwas, was sein Verstand einfach nicht begreifen konnte.

Obwohl sie ihn anlächelte und jede ihrer Bewegungen ein wenig mehr erahnen ließ, was sie wirklich von ihm wollte, wäre er am liebsten vor ihr davongerannt. Doch diese Blöße wollte er sich nicht geben, denn er war kein verschrecktes Kind mehr und schon gar nicht ihre willenlose Beute.

»Du willst wissen, wer ich bin?«, hauchte sie ihm in sein Ohr, als sie nahe genug an ihn herangekommen war, während er sich unwillkürlich in die Kissen drückte, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. »Man nennt mich Morgane.«

»Morgane? Etwa die Morgane?«

»Eben diese!«

»Wenn Ihr Morgane seid, dann bin ich Merlin!« Sie brach erneut in ihr kehliges Lachen aus.

»Nicht nur groß, stark und schön! Nein, du amüsierst mich auch! Ich habe eine wirklich gute Wahl getroffen!«, bemerkte sie daraufhin mehr zu sich selbst als an ihn gerichtet.

»Was soll das heißen? Ihr habt eine gute Wahl getroffen?«

»Glaubst du etwa, ich hätte dich aus einer Laune heraus zu mir geholt?« Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur an. »Ich bin zwar durchaus manchmal etwas launisch, aber deine Errettung hatte nichts mit meiner Laune zu tun. Ich beobachte dich schon eine ganze Weile. Ich habe dich in Killiecrankie und Dunkeld kämpfen sehen. Deine Wildheit und ungezügelte Kraft! Da habe ich mich gefragt, ob du sie auch in anderen Situationen nutzt.« Ihr Blick glitt von ihm auf das Bettlaken und dann wieder zurück zu seinen Augen. »Nicht immer, wie ich feststellen musste!«

»Ihr habt mich dabei beobachtet?« Anstatt ihm zu antworten, beugte sie sich nun komplett über ihn, dabei streifte ihr langes Haar seinen nackten Brustkorb, während sie leise seufzte. »Willst du mir nicht etwas von deiner Kraft zeigen?«

»Ich soll was?«, entgegnete er entrüstet, doch in demselben Moment drückte sie auch schon ihre Lippen auf die seinen. Dusten war völlig überrumpelt. Es dauerte eine Weile, bevor er überhaupt zu einer Reaktion fähig war, dann jedoch packte er sie bei den Schultern und drückte sie gewaltsam von sich weg. »Lasst das!«

»Zier dich nicht so! Wir werden sehr viel Zeit miteinander verbringen, und je eher du dich fügst, desto leichter wird es für dich.«

»Ich werde mich nicht fügen! Niemals! Ihr könnt mich wieder zurückschicken.«

»Zurückschicken? Wieso sollte ich? Und außerdem, was willst du dort oben? Du solltest besser meine Gastfreundschaft genießen, dankbar dafür sein, dass du dank meiner Weitsicht noch am Leben bist, und dich dafür erkenntlich zeigen!« Wieder rückte sie näher, doch diesmal war Dusten darauf vorbereitet. Er drehte sich ruckartig zur Seite, dabei riss er die Bettdecke mit sich. Morgane verlor den Halt und landete mit ihrem Gesicht auf dem Kissen anstatt auf ihm.

»Was soll das heißen?«

»Hätte ich dich nicht gerettet, dann wärst du jetzt genauso tot wie all die anderen!«

»Tot? Wovon redet Ihr? Welche anderen?«

»Dein Vater, deine Mutter, der Laird …«, erwiderte sie, als wäre es völlig belanglos.

»Was ist mit meiner Mutter, meinem Vater und dem Laird?« Morgane rollte sich elegant auf die Seite, stütze ihren Kopf mit einer Hand und sah ihm dabei erneut in die Augen.

»Das habe ich dir doch bereits gesagt! Alle tot!«

»Ihr lügt! Das kann nicht sein!«

»Ich lüge niemals!« In ihren lüsternen Blick mischte sich Wut. »Sieh selbst!« Mit ihrer freien Hand vollführte sie eine kreisende Bewegung direkt vor seinen Augen. Zuerst geschah nichts, doch dann begann die Luft innerhalb des Kreises zu flimmern. Alles, was er sah, verzerrte sich, wurde dunkler und schließlich formte sich ein Bild des Tales, in dem er sein halbes Leben verbracht hatte: Gleann Comhann!

Zunächst war es nur von Weitem erkennbar, so als stünde man auf einer Anhöhe, um es von dort aus zu betrachten, doch dann wurden Einzelheiten sichtbar. Erst konnte er den Signal Rock erkennen, auf dem ein Signalfeuer entfacht worden war, dann den kleinen Wasserfall, nahe der Three-Sisters-Bergkuppen und schließlich das kleine Wäldchen, das an ihre Ortschaft angrenzte. Dann wurde das Bild noch deutlicher. Sein Dorf war vollkommen verwüstet. Einige Häuser waren bis auf ihre Grundmauern niedergebrannt, von anderen stieg noch immer Rauch auf. Auf dem Vorplatz lagen die verkohlten Überreste einiger Mitglieder seines Clans, daneben weitere, allerdings erfrorene Leichen, vorwiegend Frauen und Kinder. Zu ihnen gesellten sich fast ebenso viele Männer, die auf grausame Weise gemeuchelt worden waren. Es war ein Bild des Grauens.

Dann sah er sie, seine Mutter und sein Vater lagen einträchtig nebeneinander. Seinem Vater hatte man die Kehle aufgeschlitzt und was mit seiner Mutter geschehen war, wusste nur Gott allein. Seine beiden jüngeren Schwestern knieten vor den beiden auf der nackten kalten Erde. Aileen, die Jüngere, schrie und weinte, während Ashleen völlig apathisch auf die Körper ihrer toten Eltern starrte. Verdammt!

»Ich muss zu ihnen! Das kann nicht sein! Das ist ein Trugbild!«

»Das ist kein Trugbild! Das, was du dort siehst, sind die Geschehnisse dieser Nacht. Hätte ich dich nicht zu mir geholt, würdest du jetzt neben deinem Vater liegen.«

»Zeig mir mehr! Wo ist sie? Was ist mit ihr?«

»Ich weiß nicht, von wem du redest.« Es war offensichtlich, dass Morgane die Unschuldsmiene, die sie jetzt aufsetzte, nur heuchelte.

»Das wisst Ihr ganz genau! Ihr habt mich doch schließlich beobachtet. Zeigt sie mir!«, gab er wütend zurück. In diesem Moment verblasste das Bild. Seine Wut war sofort wie weggeblasen. Stattdessen starrte er nur noch genauso apathisch auf die sich in Nebel auflösende Szene wie zuvor seine Schwester auf ihre Eltern, in der Hoffnung, sie mit seinem Blick halten zu können. Doch es gelang ihm nicht. Es dauerte noch eine Weile, bis er begriff, dass die Bilder endgültig verschwunden waren, dann jedoch schloss er seine Augen, um sie auf diese Weise wenigstens in seinen Gedanken noch etwas festzuhalten. Allerdings holte Morganes Stimme ihn schneller zurück, als ihm lieb war.

»Du hast mehr als genug gesehen! Glaubst du mir jetzt?« Auf ihrem Gesicht erschien ein diabolisches Grinsen. Dusten nickte, dabei öffnete er seine Augen.

»Wer?«, brachte er schließlich tonlos hervor.

»Du willst von mir wissen, wer für all das verantwortlich ist? Die Campbells!«

»Das kann nicht sein! Die Campbells waren Gäste des Laird. Sie würden niemals …«

»Was ist? Zeigst du mir nun deine Dankbarkeit?«, wechselte sie abrupt das Thema.

»Dankbarkeit? Wofür? Dass Ihr mich daran hindert, bei ihnen zu sein, um ihnen beizustehen?«

»Du könntest ihnen auch dort nicht beistehen. Ich sagte doch bereits, dass du, hätte ich dich nicht gerettet, neben deinem Vater liegen würdest.«

»Ich liege aber nicht neben ihm! Ich bin Euch durchaus dankbar, aber nun lasst mich gehen! Ich gehöre nicht hierher!«

»Ich? Dich gehen lassen?«, schrie Morgane ihn wütend an. »Was denkst du, was ich hier tue? Früher oder später wärst du auf jeden Fall hier bei mir gelandet. So war es eben ein klein wenig früher als ursprünglich geplant, und wenn du denkst, du würdest nicht hierhergehören, dann muss ich dich enttäuschen! Ich habe dich genau da, wo ich dich haben wollte!«

»Geplant? Ihr hattet geplant, mich hierher zu entführen?«, entgegnete er ebenso wütend.

»Entführen! Welch unschönes Wort!«

»Wie würdet Ihr es denn nennen, wenn man Euch im Schlaf aus seinem Bett zerrt, der Familie und den Freunden entreißt und Euch anschließend hierherbringt?«

»Sei nicht so dramatisch! Du bist meiner liebenswürdigen Einladung gefolgt.«

»Einladung? Ich bitte Euch!«

»Du vergreifst dich im Ton! Bedenke, wen du vor dir hast! Noch amüsierst du mich, doch das kann sich schneller ändern, als du es dir vorstellen kannst.«

»Sollte das eine Drohung sein?«

Sie zuckte völlig unfeminin mit ihren Achseln. »Nimm es, wie du willst.« Noch während sie sprach, kehrte sie ihm den Rücken zu, stand auf und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Ihr habt mir meine Fragen noch nicht beantwortet! Was soll ich hier und vor allen Dingen, was ist mit ihr?«, schrie er ihr durch ihre Reaktion noch zorniger hinterher.

»Genieße meine Gastfreundschaft«, gab sie zurück, ohne ihn noch einmal eines Blickes zu würdigen, bevor sie durch einen golddurchwirkten Vorhang verschwand. Er blieb alleine zurück. Alleine mit seinen unbeantworteten Fragen, seiner Trauer und einer solchen Wut im Bauch, dass er sie am liebsten laut hinausgeschrien hätte.

Dusten war fassungslos. War sie wirklich gerade einfach gegangen? Er war der Neffe des Lairds, und dieses verfluchte Weib behandelte ihn wie einen dahergelaufenen Stallburschen. Er sprang aus dem Bett, riss dabei das Bettzeug mit sich und wickelte es sich um die Hüften, dann stürmte er hinter ihr her. Wenn man das, was er tat, überhaupt als Stürmen bezeichnen konnte, denn er rutschte auf dem blank polierten Fußboden aus, stolperte über sein nur provisorisch zusammengerafftes, ungewöhnliches Plaid und landete schließlich auf seinem Hinterteil. Da der Stoff, der diesen nun umgab, genauso glatt wie der Boden war, schlitterte er unkontrolliert Richtung Ausgang. Doch der Vorhang, durch den Morgane vor ein paar Augenblicken noch einfach verschwunden war, gab bei ihm nicht nach. Ganz im Gegenteil, er war so hart wie die Klinge seines Schwertes. Deshalb prallte er schließlich mit voller Wucht dagegen. Dusten fluchte laut, als er sich mühsam aufrappelte.

»Verdammtes Frauenzimmer! Das also ist Eure angepriesene Gastfreundschaft!«, entfuhr es ihm, während er unzählige Male gegen den Vorhang anrannte. Schließlich musste er sich eingestehen, dass es vergebens war. Frustriert und schäumend vor Wut stampfte er zurück zum Bett und setzte sich auf die Bettkante. Dann sah er sich nach einem anderen Fluchtweg um. Die schmucklosen Wände waren genauso glatt wie der Fußboden und ohne Fenster. Also kein Fluchtweg! Auch der Rest der Kammer war völlig schmucklos. Das riesige Bett war der einzige Farbklecks in dem eintönigen, ihn umgebenden Braun. Er ballte seine Hände zu Fäusten und atmete einige Male, um einen klaren Kopf zu bekommen, tief ein und aus.

Er war also gefangen! Gefangen, wo auch immer, in einem Raum, der ihm keinen Ausweg ließ und der offensichtlich nur einem Zweck diente. Dusten sprang erneut auf und rannte unruhig hin und her. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Er musste dringend von hier verschwinden, schon wegen seiner Schwestern! Außerdem wusste er noch immer nicht, was mit ihr war! Verdammt! Irgendwann musste Morgane ja zurückkommen, und dann würde er ihr nicht nur sagen, sondern auch zeigen, was er von ihrer Gastfreundschaft hielt.

Doch Morgane erschien nicht. Er kam sich vor wie ein in einem Käfig eingesperrtes wildes Tier. Die Ungewissheit, was aus seinen Schwestern und aus ihr wurde, nagte an ihm, genauso wie die Gewissheit, dass er festsaß und zur Untätigkeit verdammt war. Die Flötentöne, die melancholisch auch weiterhin von fern zu ihm herüberwehten, klangen mittlerweile wie disharmonisches Geheul in seinen Ohren. Wie viel Zeit seit Morganes Verschwinden vergangen war, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Sekunden zogen sich wie Minuten, Minuten wie Stunden und Stunden wie Tage. Letztendlich legte er sich auf das Bett und döste schließlich ein.

Als er seine Augen aufschlug, saß Morgane auf seinem Bett und fixierte ihn.

»Hast du dich etwas beruhigt, oder brauchst du noch mehr Zeit?« Sie klang wütend.

»Ich soll mich beruhigen? So, wie ich das sehe, seid Ihr auch nicht gerade ruhig«, gab er gereizt zurück. »Wer wurde denn eingekerkert und musste dann hier schmoren? Ich habe allen Grund, wütend zu sein! Im Gegensatz zu Euch! Ihr habt doch, was ihr wollt! Ich bin doch hier! Gegen meinen Willen, wie ich noch einmal betonen muss!«

»Was erdreistest du dich? Ich hätte ein wenig mehr Anerkennung von dir erwartet!«

»Anerkennung? Anerkennung wofür? Ihr habt mich meinen Schwestern in der schlimmsten Stunde ihres Daseins entrissen. Ihr habt mich gezwungen, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen, und dafür erwartet Ihr auch noch meine Anerkennung? Ich kann mir denken, wie die aussehen soll! Für wen haltet Ihr mich?«

»Ich halte dich für etwas, was mir sehr viel Vergnügen bereiten wird!« Sie klang nicht mehr wütend, sondern eher amüsiert.

»Wenn Ihr Euch da mal nicht täuscht!« Morgane sah ihn einen Moment mit diesem Blick an, der ihn geradezu zu durchdringen schien. Ihre Augen funkelten dabei gespenstisch auf, dann erschien ein unheimliches Grinsen auf ihrem Gesicht.

»Du hast doch begriffen, was ich von dir will?« Ihre Frage irritierte ihn.

»Haltet Ihr mich für schwachsinnig?«

»Ganz im Gegenteil! Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass du mich auch richtig verstanden hast. Dann sehe ich das also richtig? Ich rette dich, mache dir ein unwiderstehliches Angebot, und du schlägst es aus?«

Er nickte.

»Du willst wirklich zurück in dein armseliges Tal und dein noch armseligeres kurzes Leben dort fristen?«

»Aye!« Wieder nickte er.

»Wie du willst! Aber so einfach ist das nicht. Normalerweise kann das, was einmal hier ist, nicht zurück. Doch eine Möglichkeit gibt es. Du musst mit mir einen Handel eingehen.« Dusten sah sie misstrauisch an, während Morgane unbeirrt fortfuhr. »Vielleicht habe ich doch ein wenig zu vorschnell gehandelt und hätte dich einfach deinem Schicksal überlassen sollen. Ein Anderer wäre wahrscheinlich wesentlich williger gewesen.

Wie dem auch sei, es war mein ärgerlicher Trugschluss, nicht der Deine. So ist geschehen, was geschehen ist. Da ich aber nicht das Ungeheuer bin, das du in mir siehst, werde ich dir die Chance geben zurückzukehren.« Ihr Lächeln veränderte sich zu einem dämonischen Grinsen, so dass Dusten kalte Schauer über den Rücken liefen.

»Hier nun mein Vorschlag: Ich werde dir erlauben, an jedem unserer Tage eine kurze Zeit in deinem Tal zu verbringen. Nutze sie weise! Deine Aufgabe wird es sein, dort eine Frau zu finden, die dich wirklich und wahrhaftig liebt. Ich meine damit nicht dein gutes Aussehen, deinen Ruhm, deinen Ruf oder deinen Stand als Neffe des Lairds, sondern dich ganz allein. Da du mich ja offenbar nicht willst, scheinst du etwas anderes zu suchen. Ich gebe dir die Möglichkeit, es auch zu finden.

Die Sache hat nur einen Haken. Solange du sie nicht findest, wirst du automatisch hierher zurückkehren. Ich spreche nicht von meinem Reich, sondern ich meine es wortwörtlich. Dieser Raum hier wird von jetzt an das Einzige sein, was du zu sehen bekommst! Glaub mir, die Ewigkeit kann verdammt lang sein, wenn man sie mit sich selbst verbringen muss. Solltest du mir aber entgegenkommen, dann kannst du dich in meinem Reich frei bewegen. Ich werde dich zu meinem Gefährten machen und dir angenehme Stunden bereiten. Du hast die Wahl!« Dusten sah sie lange schweigend an.

Welche Möglichkeiten bot sie ihm? Entweder er würde sich von ihr zu ihrem gefügigen Lakaien degradieren lassen, oder aber er würde die Gelegenheit, ihr zu entkommen, nutzen. Er würde schon eine Frau finden. Früher oder später! Höchstwahrscheinlich eher früher. Er war ja nicht gerade hässlich, und bisher hatte sich das weibliche Geschlecht ihm gegenüber nicht gerade ablehnend verhalten. Und außerdem gab es ja schon eine. Er musste nur unverzüglich nach Gleann Comhann zurückkehren, sie finden und da weitermachen, wo sie vor dem Massaker aufgehört hatten. So lange, wie Morgane dachte, würde diese Ewigkeit dann mit Sicherheit nicht dauern. Wenn er mit den richtigen Leuten Verbindung aufnahm, dann, so glaubte er fest, müsste sich die Angelegenheit binnen zwei Wochen erledigt haben. Sein Clan hielt zusammen, wenn es darum ging, einem aus ihren eigenen Reihen zu helfen. Und wenn er jeden Tag eine Stunde bei seinen Leuten verbringen konnte und ihnen seine Lage schilderte, dann …? Würde er diese Möglichkeit brach liegen lassen, würde er es sich vermutlich ein Leben lang vorwerfen. Warum überlegte er eigentlich noch? Weil das Ganze viel zu einfach erschien, beantwortete er sich selbst seine Frage.

»Was ist nun? Hast du dich entschieden?«, unterbrach Morgane seinen Gedankengang.

»Ich werde auf Euren Handel eingehen!«

»Das habe ich mir gedacht! So sei es!« Dusten hatte das Gefühl, dass in ihren drei Worten wesentlich mehr lag, als es den Anschein hatte, dennoch nickte er. »Hier!« Eine kaum erkennbare Handbewegung ihrerseits, und neben seinem Bett erschien ein einladend gedeckter Tisch, vor dem ein Stuhl, auf dem einige seiner Sachen ordentlich aufeinandergestapelt lagen, stand. »Ich denke, die wirst du brauchen!«, bemerkte sie grinsend. »Ich will es dir ja nicht zu einfach machen! Und iss etwas!« Mit diesen Worten löste sie sich vor seinen Augen in Luft auf, und er war wieder allein.

Er wartete noch einige Zeit, bis er sich sicher war, dass sie auch wirklich verschwunden war, bevor er sich seines behelfsmäßigen Plaids entledigte und endlich in seine eigenen Sachen schlüpfte. Nachdem das erledigt war, fühlte er sich schon um Einiges besser. Unbewusst wanderte anschließend sein Blick zu den Köstlichkeiten auf dem Tisch. Sein Magen knurrte, und er hatte plötzlich einen solchen Durst, als hätte er Wochen nichts mehr getrunken. Er griff nach der Karaffe, füllte einen Becher und trank. Schon während der erste Schluck seine Kehle hinunter rann, überkam ihn eine unerklärliche Müdigkeit. Der Becher fiel aus seiner kraftlosen Hand, seine Beine gaben unter ihm nach, und er sackte in sich zusammen. Noch im Fallen murmelte er: »Verfluchte Fee! Ich hätte es wissen müssen!«, dann umfing ihn nichts als Schwärze.

 1

»Mussten wir gerade heute hierherfahren? Es wird langsam dunkel, und ich muss mich noch für die Party umziehen.«

»Hör auf zu jammern! Wir haben noch mehr als genug Zeit!«, fauchte Cat sie wütend an, während sie das Tempo ihrer Schritte ihrer Laune anpasste. »Denkst du, ich habe mir das ausgesucht? Ich würde auch viel lieber zu Hause sitzen und mich für die verfluchte Party fertigmachen, als hier in der Kälte durch diese Einöde zu stiefeln. Aber wenn ich die Arbeit bis Donnerstag nicht abgebe, dann lässt Professor Schönling mich durchfallen, und ich kann den Master vergessen. Wenn du Angst hast, nicht rechtzeitig fertig zu werden, wieso bist du dann mitgekommen? Keiner zwingt dich!« Gwen packte Cats Arm, um sie auf diese Weise aufzuhalten, doch Cat hetzte einfach weiter.

»Caitriona Campbell, lass deine schlechte Laune nicht an mir aus! Ich kann auch nichts dafür, dass der Kerl dich nur verarscht hat! Du hättest den Blödmann besser abservieren sollen, bevor du dich überhaupt auf ihn eingelassen hast. Ich habe dir gleich gesagt, dass das nicht gut gehen kann.« Cat blieb abrupt stehen.

»Das musst gerade du sagen! Wer greift denn in Sachen Männer normalerweise immer ins Klo?«

»Cat, du wirst ungerecht!«

»So, werde ich das? Muss ich dich erst an Roger erinnern? Du weißt doch noch, der, der es noch nicht einmal für nötig gehalten hat, mit dir persönlich Schluss zu machen, sondern nur eine SMS geschickt hat. Oder Steven? Und jetzt Gordon! Mister Ich-bin-das-Nonplusultra-aller-Männer McAllister.«

»Cat, es reicht!«

»Tut es nicht! Willst du wirklich als eine seiner Trophäen enden? Du hast was Besseres verdient!«

»Solltest du das nicht mir überlassen? Außerdem hat er sich geändert!«

»Und der Papst ist Protestant!«

»Nein, Cat, diesmal ist es wirklich etwas anderes. Du weißt genau, dass ich mich nach all den Enttäuschungen etwas mehr zurückhalte, aber im Moment habe ich tatsächlich ein gutes Gefühl. Auch wenn Gordon früher nur auf Trophäenjagd gewesen ist, glaube ich, dass er es mit mir in jeder Beziehung ernst meint.«

»Es ist immer anders, doch dann bin ich es, die hinterher den Scherbenhaufen beseitigen muss. Ich bin es so leid! Warum suchst du dir nicht endlich einen richtig netten Jungen, der wirklich anders ist und es ernst mit dir meint?«

»Wenn du Liebeskummer hast, kannst du ein echtes Ekelpaket sein!« Gwen stampfte wutentbrannt an ihrer Freundin vorbei in Richtung Besucherzentrum davon.

»Gwen, warte! So habe ich das nicht gemeint! Es tut mir leid!« Gwendoline schnaufte laut, während Cat nun ihrerseits hinter Gwen herrannte. »Gwen, Gwenny, du hast ja recht!« Jetzt war es Gwen, die stehen blieb.

»Weißt du, Cat, ich kann ja verstehen, dass du total von der Rolle bist, aber mir dann die Dinge an den Kopf zu werfen, die du selbst nicht in den Griff bekommst, ist ätzend!«

»Ich weiß, und es tut mir ehrlich leid! Wirklich! Dieser Mistkerl hat mich vollkommen durcheinandergebracht. Erst spielt er mir die große Liebe vor, will sich von seiner Frau trennen und als er mir dann eröffnet, er könne sich nicht von ihr trennen, weil sie wieder schwanger ist und ich die Konsequenzen daraus ziehe, da tyrannisiert er mich an der Uni. Nicht nur, dass er mich völlig ungerechterweise durchfallen lassen will, er stalkt mich auch. Gestern hat schon wieder so ein beschissener Brief unter meiner Tür gelegen. Ich weiß nicht mehr weiter!«

»Wieder Drohungen? Oder nur sein übliches Gesülze?«

»Auch Drohungen! Diesmal will er nicht nur sich selbst etwas antun, sondern auch mir!«

»Na Klasse! Du solltest endlich mit deinem Vater reden. Der Mann ist ein Psychopath! Wer, wenn nicht dein Vater, könnte ihn aufhalten?«

»Ich kann meinen Vater nicht damit belasten! Erstens würde er mir die Hölle heißmachen, weil ich so dumm war, mich auf Andrew einzulassen, und zweitens ist mein Vater sein Dekan.«

»Eben! Darum sollst du ja auch mit ihm reden!«

»Was meinst du, welche Kreise es zieht, wenn mein Dad davon erfährt? Andrew würde suspendiert oder noch schlimmer, er müsste die Uni verlassen! Wer weiß, wozu er dann fähig ist! Wem, glaubst du, gibt er die Schuld? Meinem Vater? Nein, Gwen, ich habe mir die Suppe selbst eingebrockt, also werde ich sie auch alleine auslöffeln!« Gwen sah ihre Freundin schweigend an.

»Aber etwas müssen wir tun!«, bemerkte sie nach einer Weile.

»Sicher! Und ich habe mir auch schon überlegt, was! Ich werde die Uni wechseln!« Cat seufzte.

»Und du meinst, das kannst du deinem Vater erklären?«

»Ich werde ihm einfach erzählen, dass die irgendwo ein Projekt anbieten, das mich unheimlich interessiert.«

»Und du denkst, das kauft er dir so einfach ab?«

»Ich muss es ihm nur schmackhaft machen! Du weißt doch, dass er mich in allem unterstützt. Und jetzt lass uns von etwas anderem reden. Es reicht, dass Andrew mein Denken beeinflusst, er muss sich nicht auch noch in jede Unterhaltung einschleichen!« Gwen nickte, dann setzten sie sich erneut in Bewegung.

Caitriona fror, und das nicht nur wegen des eiskalten Windes, der ihr ins Gesicht wehte. Ihre Nerven lagen blank, und das nun schon seit Wochen. Sie hätte sich gar nicht erst auf Andrew einlassen sollen, doch im Nachhinein war man immer schlauer. Andrew Thomas war ihr Professor in Geschichte. Normalerweise hätte sie noch nicht einmal im Traum daran gedacht, eine Beziehung mit ihm anzufangen, doch nachdem er sie permanent mit Geschenken überhäuft und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, hatte sie einfach nicht anders gekonnt. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, weil er nicht nur ihr gutes Aussehen, sondern auch ihren Intellekt zu schätzen wusste. Die meisten seiner Vorgänger waren da anders gewesen. Oft genug hatte sie sich von ihnen zu ihrem Vorzeigepüppchen degradiert gefühlt, mit dem sie vor ihren Freunden nur angeben wollten. Andrew war das genaue Gegenteil. Er war niemals mit ihr ausgegangen, allein schon aufgrund der Tatsache, dass er sich mit ihr nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte, da niemand von ihrer Beziehung wissen durfte. Er hatte sie in ihrem Vorhaben bestärkt, sich mehr auf die schottische Geschichte zu konzentrieren und stundenlang das Für und Wider mit ihr diskutiert, bis sie schließlich seinen Vorschlag angenommen hatte, nach ihrem Master ihre Doktorarbeit bei ihm zu eben diesem Thema zu schreiben. Und dann war das passiert, was sowieso irgendwann einmal passieren musste.

Doch die rosaroten Wolken, auf denen sie während ihrer gemeinsamen Zeit geschwebt hatte, waren genauso schnell zerplatzt wie Seifenblasen. Wie man sich in einem Menschen nur so täuschen kann!, schoss es ihr durch den Kopf. All die anderen waren nur hirnlose Idioten gewesen, Andrew hingegen war ein hirnloser Idiot in Gestalt eines Intellektuellen, was das Ganze noch beschissener machte. Er verstand es ausgezeichnet, mit seinem guten Aussehen, seinem Wissen und seinem Einfühlungsvermögen zu blenden, doch dann …

Da waren ihr die guten alten Zeiten, als Männer sich noch anstrengen mussten, um von ihrer Angebeteten erhört zu werden, schon lieber. Damals gab es Turniere, in denen tapfere Ritter um eine holde Maid kämpften, oder Bälle, in denen die Debütantinnen auf den Heiratsmarkt eingeführt wurden, und in all den Geschichten, die ihr Vater ihr erzählt hatte, waren niemals psychopathische Stalker vorgekommen.

Aber diese Zeiten waren lange vorbei. Inzwischen wusste sie, dass ihr Vater bei seinen Erzählungen ganz bewusst einige Details verschwiegen hatte, um ihre kindlichen Illusionen nicht zu zerstören, dennoch fiel es ihr auch weiterhin schwer, sich endlich von ihnen zu verabschieden. Wenn der Alltag einem den Boden unter den Füßen wegzog, war es da nicht normal, sich in seine Mädchenträume zu flüchten?

Cat spürte den eiskalten Windzug genau in dem Moment, als sie sich wünschte, in ihre Kindheit zurückkehren zu können. War er ein Zeichen? Doch wofür? Vermutlich dafür, dass du dich langsam beeilen musst, wenn du dir nicht auch noch zu allem Überfluss eine Erkältung einhandeln willst. Sie zog sich ihren Schal über Mund und Nase und schloss dann zu Gwendoline auf, die ihr bereits einige Schritte voraus war.

»Gwenny, warte! Hast du das auch gespürt?« Ihre Freundin sah sie verständnislos an.

»Was meinst du?«

»Den eisigen Windzug eben?«

»Eisiger Windzug? Wie soll ich den noch spüren? Ich bin ja selbst schon fast ein Eisblock!«

»Gwenny, was meinst du? Sollen wir uns das Besucherzentrum schenken? Viel mehr als im Internet und in den einschlägigen Büchern werde ich da sowieso nicht erfahren. Ich würde vorschlagen, wir gehen nur noch das Stück bis zum Wasserfall, damit ich noch ein paar Fotos schießen kann, und dann verschwinden wir!«

»Das ist eine deiner besten Ideen seit langem! Ich habe mich sowieso gefragt, wieso du nicht gleich im Internet recherchiert hast.«

»Langsam frage ich mich das auch!«

Ihr Weg führte sie in östlicher Richtung, vorbei an dem kleinen Parkplatz, der an den Rundweg zum Signals Rock grenzte. Der Felsen hatte seinen Namen aus gutem Grund. In früheren Zeiten hatte man auf ihm das Signalfeuer entzündet, da es dort von beiden Seiten des Tals zu sehen war. Angeblich hatte Robert Campbell of GlenLyon, die ausführende Hand des Massakers, diesen Umstand damals für sich genutzt und seinen Männern mit Hilfe eines Feuers auf ebendiesem Felsen das Signal für den Angriff auf die Bewohner des Tales gegeben. Aber das waren reine Mutmaßungen. Es gab weder Belege dafür noch dagegen! Deshalb waren sich die einschlägigen Experten bis zum heutigen Tag uneins, wer von ihnen nun recht hatte und wer nicht.

Als sie den »Signals Rock« passiert hatten, schlugen sie den Weg zu der Straße ein, die sie zu den »Three Sisters«, den drei fast gleichförmigen Bergkuppen und zu dem kleinen Wasserfall brachte. Nebel zog auf.

»Ich war schon ewig nicht mehr hier!«, sagte Cat. »Aber trotzdem kann ich mich noch an alles erinnern.«

»Das habe ich bemerkt! Du hast nicht einmal auf den Plan sehen müssen!«

Cat nickte. »Irgendwie ist das alles hier noch so präsent, als wäre ich letztes Jahr hier gewesen.«

»Wann warst du denn hier?«

»Kurz nach dem Tod meiner Mutter, da war ich dreizehn. Ich war damals echt widerlich! Nicht nur zu meinem Dad, sondern auch zu meinen Freundinnen, meinen Großeltern und allen anderen. Du weißt ja, dass meine Mutter damals bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie war unterwegs, um mich abzuholen, als es passierte. Ich gab mir unbewusst die Schuld und ließ keinen mehr an mich heran. Irgendwann hat es meinem Vater dann gereicht. Er hat unsere Sachen gepackt und ist mit mir durch halb Schottland gefahren.

Wir waren an sämtlichen geschichtsträchtigen Orten. Bannockburn, Scone, Killiecrankie, Dunkeld, Culloden und schließlich hier in Glencoe. Ich glaube heute, dass er mir dadurch auf seine Art zeigen wollte, dass nicht nur unserer Familie schreckliche Dinge widerfahren waren. Damals jedoch fand ich seine Geschichten einfach nur spannend. Du kennst ihn ja und weißt, dass er, wenn er erzählt, ganze Hörsäle in seinen Bann schlägt. Du hättest ihn erleben sollen, wie er Robert the Bruce zum Leben erweckte, seinen Sieg in Bannockburn und wie er sich damals in Scone zum König krönen ließ. Oder die Jacobitenaufstände, der Sieg in Killiecrankie, die Niederlage in Dunkeld und das Desaster von Culloden. Als wir schließlich hier ankamen, war ich dermaßen in seine Geschichten abgetaucht, dass ich an jedem neuen Ort, zu dem wir kamen, förmlich nach wilden, halbnackten Kämpfern in Kilt und Plaid Ausschau hielt.«

»Und hast du wirklich einen gesehen?«

»Du wirst lachen, aber ja, ich habe einen gesehen! Wir waren hier in Glencoe. Mein Dad erzählte mir von den unschuldigen Opfern des Massakers, das Wilhelm III. von Oranien hier anrichten ließ. Wie stolze Clanmänner einfach in ihren Betten ermordet wurden und Clansfrauen mit ihren Kindern entweder in ihren Hütten verbrannten oder aber auf der Flucht erfroren. Dann wies er mich darauf hin, dass es an einem Tag wie heute, am 31. Oktober, Samhain, oder Halloween, eine Chance für die verlorenen Seelen gäbe, an den Ort, der ihnen mehr als ihr Leben bedeutet hatte, zurückzukehren.«

»Deshalb wolltest du gerade heute hierher?«

Cat nickte. »Ich schätze schon! Ich bin momentan genauso mies drauf wie damals, und als Andrew mir dann den Aufsatz aufgedrückt hat, da habe ich darin eine Möglichkeit gesehen, mich noch einmal in meine Kindheit zu flüchten. Damals habe ich es hier in Glencoe auch geschafft, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Ich habe gehofft, dass es mir auch jetzt wieder gelingt, wenn ich nur all die Erinnerungen wieder aus den hintersten Winkeln meines Gehirns hervorhole, die mich damals so weit gebracht haben.«

»Und hilft es?«

»Irgendwie schon! Ich kann wieder etwas klarer denken!«

»Wie sah er aus?«

»Wer?«

»Na, dein Highlander! Oder kannst du dich nicht mehr an ihn erinnern?« Cat hielt einen Moment inne. Sollte sie wirklich erzählen, dass …

»Nun sag schon!«, unterbrach Gwen ihren Gedanken. »Erst machst du mich neugierig und wunderst dich dann, dass ich alles wissen will! Ich meine wirklich alles! Jedes Detail!« Cat zögerte noch einen Moment, dann jedoch gab sie nach.

»OK, aber du darfst nicht lachen!«

»Tu ich schon nicht!«

»Also gut! Wir waren unten am Wasserfall. Nebel zog auf, und plötzlich tauchten seine Schemen direkt neben meinem Vater auf. Er war einen Kopf größer als mein Dad. Er trug ein Plaid und ein weißes Hemd, unter dem sich seine erstaunlichen Muskelberge deutlich abzeichneten.« Gwen kicherte leise. »Du hast versprochen, nicht zu lachen!«

»Ich lache doch auch nicht!«, erwiderte Gwen, die das Glucksen ihrer Stimme kaum unterdrücken konnte. »Los! Erzähl schon weiter!« Cat sah ihre Freundin noch einmal prüfend an, dann fuhr sie fort.

»Sein Gesicht wurde von pechschwarzen Haaren eingerahmt, die ihm bis auf die Schulterblätter fielen!« In Cats Augen trat ein verträumter Glanz. »Seine Gesichtszüge waren, wie soll ich es ausdrücken, wie von einem Bildhauer erschaffen. Aber das Faszinierendste an ihm waren seine tiefblauen Augen. Sie waren so blau wie das Meer, wenn es an einem warmen Sommertag hinten am Horizont von der Sonne beschienen wird.«

Gwendoline versuchte verzweifelt, ernst zu bleiben, doch bei Cats letztem Satz prustete sie los. Sie lachte dermaßen, dass ihr Tränen in die Augen traten. Cat sah sie ernst an.

»So viel zum Thema, ich werde nicht lachen! Hätte ich mir auch denken können!« Caitriona war sichtlich wütend.

»Ach Cat«, bemerkte Gwen daraufhin leise, als sie sich etwas beruhigt hatte. »Ich wollte wirklich nicht lachen, aber du hättest dich hören müssen. Ein Kitschroman ist nichts dagegen. Von einem Bildhauer erschaffen? So blau wie das Meer an einem Sommertag? Cat, wirklich! Du hast vielleicht deinen Beruf verfehlt und solltest besser Liebesschnulzen schreiben.«

»Hack auch noch darauf herum! Ich dachte, ich könnte dir alles erzählen!« Cat beschleunigte erneut ihre Schritte. Gwendoline, die damit gerechnet hatte, ließ sich dieses Mal jedoch nicht so leicht abhängen, sondern hielt mit ihr Schritt.

»Cat, so habe ich das wirklich nicht gemeint! Aber du hörst dich echt so an, als würdest du einen Romanhelden beschreiben.«

»Ich weiß!« Cat musste unwillkürlich grinsen. »Vielleicht liegt es ja daran, dass ich ihn noch immer mit den Augen der Dreizehnjährigen betrachte, die definitiv zu viele Kitschromane gelesen hat.«

Den Rest des Weges schwiegen sie. Erst als sie die kleine Schlucht mit dem Wasserfall erreichten, richtete sich Caitriona wieder an Gwendoline.

»Warte du hier oben! Ich klettere nur eben herunter, mache ein paar Fotos, und dann können wir abhauen!«

Gwen nickte. »Sei bloß vorsichtig! Der Abstieg ist auch schon ohne Nebel ziemlich schwierig.«

»Ich weiß!« Cat lächelte ihre Freundin noch einmal an, dann machte sie sich vorsichtig daran, den steilen Pfad hinabzuklettern. Es war wirklich nicht einfach. Die Feuchtigkeit des Nebels hatte sich auf die schroffen Steine gelegt, sodass sie weitaus glitschiger waren, als sie es in Erinnerung hatte. Bis zur Hälfte schaffte sie den Abstieg dennoch ohne Probleme, doch dann verlor sie den Halt. Sie rutschte unkontrolliert einen Teil des Abhangs herunter, bevor sie zu Boden ging, noch ein Stück weiter schlitterte, sich ihren Kopf an einem Felsen anstieß und schließlich, vollkommen benommen, am Fuße des Abhangs liegen blieb. Sie hörte noch Gwennies spitzen Schrei und wie sie ihr völlig panisch »Bleib liegen! Ich hole Hilfe!« zurief, dann verlor sie das Bewusstsein.

 2

Dusten saß auf seinem Bett, starrte auf die glatte braune Wand und ballte seine Hände zu Fäusten. Gleich war es wieder so weit. Er hatte mittlerweile ein gutes Gefühl dafür, wann er aus Morganes Reich gerissen und in sein Tal zurückgeschleudert wurde. Nur, dass er nicht vollständig zurückkehrte. Sein Geist fand den Weg nach Hause, aber sein Körper blieb hier. Was hatte Morgane ihm damals noch, bei ihrer ersten Begegnung gesagt? Niemand konnte aus ihrem Reich zurückkehren. Was einmal dort war, blieb für immer dort! Im Grunde genommen war es bei ihm nicht anders. Er hätte sich niemals auf ihren Handel einlassen dürfen!

Das erste Mal, als Morgane ihn zurückgeschickt hatte, war er noch bester Laune gewesen. Er hatte sich ausgemalt, einfach einige seiner Freunde aufzusuchen, ihnen seine Lage zu erklären, und alles Weitere würde sich dann wie von selbst regeln. Doch da hatte er die Rechnung ohne Morganes Hinterlist gemacht. Als Erstes war er durch ihren Schlaftrunk, den er so achtlos getrunken hatte, eine ganze Zeit bewusstlos gewesen. Als er dann schließlich erwacht und binnen eines Wimpernschlages aus Morganes Reich nach Gleann Comhann katapultiert worden war, da hatte er mit Erschrecken feststellen müssen, dass nicht nur wenige Tage, sondern bereits einige Jahre vergangen waren. Nichts erinnerte mehr an das Massaker, zu dessen Zeuge er durch Morganes Zauber geworden war. Die niedergebrannten Häuser hatte man wieder aufgebaut. Die Felder wurden bewirtschaftet, und alles wirkte so friedlich wie eh und je. Doch nicht nur das Tal an sich entsprach so gar nicht seiner jüngsten Erinnerung. Auch sonst hatte sich Einiges verändert.

Aileen war inzwischen, wie er durch die Gespräche der Dorfbewohner untereinander erfahren hatte, Mutter dreier Kinder, und Ashleen hatte einen MacLeod von der Isle of Skye geheiratet, zu dem sie gezogen war. Das Schlimmste an seiner damaligen ersten Ankunft, war allerdings nicht vorrangig, dass so viel Zeit verstrichen war, sondern dass man ihn nicht beachtete. Egal, zu wem er auch ging oder wen er ansprach, niemand nahm Notiz von ihm. Zunächst hatte er nur angenommen, dass die meisten einfach befremdet von seinem Erscheinen gewesen waren, doch in diesem Fall hätten sie wenigstens auf irgendeine Weise auf ihn zugehen müssen. Doch sie alle taten nichts dergleichen. Ein jeder sah einfach nur durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht vorhanden.

Da hatte er verstanden, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Als er dann die bereits leicht verwitterten Gräber seiner Eltern besuchte und sein eigenes neben dem ihren entdeckte, hatte er gewusst, dass Jedermann in Gleann Comhann ihn für tot hielt. Dort war er dann auf die weinende Aileen getroffen. Aber auch sie hörte weder seine tröstenden Worte, noch begriff sie, dass er direkt neben ihr stand. Er hatte sie schützend in seine Arme nehmen wollen, doch seine Arme waren einfach durch sie hindurchgeglitten. In diesem Moment hatte er erkannt, was mit ihm nicht stimmte. Er war zwar nach Gleann Comhann zurückgekehrt, aber nicht vollständig. Sein Körper war in Morganes Reich geblieben, während sein Geist nun für eine kurze Zeit auf der Erde wandelte. Was er bei seiner Erkenntnis empfunden hatte, das bedurfte auch jetzt noch keiner Worte. Er war in Morganes Falle getappt wie ein unbedarftes Kind.

Dusten seufzte. Wie in drei Teufels Namen sollte er auf diese Weise ein Mädchen finden? Noch dazu eine, die ihn lieben würde. Damals hatte er noch das unbestimmte Gefühl gehabt, dass es eine gegeben hätte, von der er gehofft hatte, dass sie ihn erlösen würde. Doch selbst, wenn sie existiert hätte und nicht bloß seiner Einbildung entsprungen war, dann hatte das Massaker und vor allen Dingen Morganes Einmischung, ihnen beiden die Möglichkeit geraubt, jemals wieder zueinanderzufinden. Trotz der Ausweglosigkeit, die seine Lage mit sich brachte, war er jedoch nicht bereit gewesen, so schnell aufzugeben.

Aber in all den darauffolgenden Jahren, in denen er jetzt schon nach Gleann Comhann zurückkehrte, hatte nicht eine Kenntnis von ihm genommen. Jedenfalls keine Erwachsene! Bei Kindern war das etwas anderes. Kinder spürten und sahen oft die Dinge, vor denen Erwachsene oftmals ihre Augen verschlossen. Doch Kinder wurden ebenfalls zu Erwachsenen und dann … Er hatte es mehrfach erlebt. Wenn sie klein waren, beschrieben sie ihren Müttern den Geist des großen Highlanders, den sie im Dorf, am Wasserfall oder auf dem Friedhof an Samhain gesehen hatten. Dann wurden die Mütter meist ganz still, nahmen ihre Kleinen auf den Schoß und erzählten ihnen eine Geschichte. Eine Geschichte von Verrat, Mord und unendlich viel Leid, die sich vor vielen Jahren in Glencoe, wie sie das Tal inzwischen nannten, zugetragen hatte. Meist schlossen sie ihre Erzählung mit den Worten: »Der Geist, den du gesehen hast, ist einer der Wächter. Er kommt jedes Jahr an Samhain hierher zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Damals konnte er uns nicht beschützen, deshalb will er es wieder gut machen. Er passt auf uns auf, damit so etwas Schlimmes nie wieder geschieht. Du brauchst also keine Angst zu haben. Er tut dir nicht weh. Wenn du ihn noch einmal sehen solltest, dann danke ihm für das, was er für uns tut, und sag ihm, dass wir alle es zu schätzen wissen, dass er noch immer seine Aufgabe erfüllt.«

Er hatte danebengestanden und ihnen am liebsten zugeschrien: Ich bin kein Wächter und auch kein Geist! Ich bin noch immer ein Mann aus Fleisch und Blut, der dank einer List nur nicht er selbst sein kann! Doch er hatte nur schweigend da gestanden. Meist hatten die Kinder dann kurz zu ihm herübergesehen. Er hatte ihnen zugelächelt und war gegangen. Kinder! Erneut seufzte er. Es war höchst unwahrscheinlich, dass er selbst irgendwann einmal Kinder haben würde. Jedenfalls solange er auch weiterhin in Morganes Reich gefangen war.

Wie lange lebte er nun schon hier unten, wenn man das, was er hier tat, überhaupt Leben nennen konnte? Hier war noch nicht einmal ein Jahr vergangen, während oben auf der Erde… Er versuchte verzweifelt, nachzurechnen. Als Morgane ihn hierher verschleppt hatte, schrieb man das Jahr 1692. Als er das letzte Mal in Glencoe gewesen war, da hatte er anhand eines Kalenders, der in dem – wie nannten sie es? – Besucherzentrum, in dem man mehr über die Geschichte des Tals erfahren konnte, hing, gesehen, dass man dort das Jahr 2016 schrieb. Zählte man heute mit, dann waren es inzwischen 324 verdammte Jahre, in denen er zwischen den Welten hin und her geworfen wurde, ohne im eigentlichen Sinne zu einer der Beiden zu gehören. Noch während er über all diese Dinge nachdachte, spürte er das leichte Zittern, das durch seinen Körper fuhr, als sein Geist seinen Körper verließ.

 3

Dustens Geist nahm mitten auf einer der Straßen Form an. Es war Morganes Art, ihn auf diese Weise zu verspotten, denn oft genug war genau bei seinem Erscheinen eines dieser neumodischen Gefährte, die sie Autos nannten, aufgetaucht und einfach durch ihn hindurch gefahren. Auch diesmal wappnete er sich schon innerlich gegen das, was kommen würde, doch es blieb aus. Vermutlich lag es an dem dichten Nebel, der sich wie ein weißer Schleier über das gesamte Tal gesenkt hatte. Er hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, warum diese Dinger sich überhaupt bewegen konnten, aber eines war klar: Sie wurden von Menschen gelenkt und wenn Menschen sie lenkten, dann behinderte der Nebel ihre Sicht und keiner, der nicht unbedingt musste, würde sich bei diesem Wetter weiter als bis vor seine Tür trauen.

Dusten konnte den Nebel zwar sehen, aber nicht riechen, schmecken oder auf seiner Haut spüren, wie er es vor seiner Entführung gekonnt hatte. Es war immer wieder ein komisches Gefühl, etwas wahrzunehmen, das er nicht fühlen konnte. Er seufzte leise, dann setzte er sich in Bewegung. Sein erstes Ziel war seit jeher der kleine Friedhof. Generationen seiner Familie lagen mittlerweile hier begraben, doch ihn interessierten hauptsächlich drei Gräber: Die seiner Eltern und das seiner Schwester! Wie immer verharrte er vor ihren verwitterten Grabsteinen und gab ihnen das Versprechen, irgendwann einmal wieder mit ihnen vereint zu sein. Schließlich beteuerte er noch, dass es niemals seine Absicht gewesen war, sie in ihren schwersten Stunden alleine gelassen zu haben, dann wandte er sich ab und ging.

Das Ganze war seine Art, mit all den Verlusten umzugehen, die er allein durch Morganes Schuld erlitten hatte. Sein Anker, der ihm half, die Hoffnung nicht ganz zu verlieren, denn langsam schwand sie genauso dahin wie die verblassten Schriftzüge auf den Grabsteinen.

Sein nächster Weg führte ihn zu Fionas Haus. Fiona war die letzte Nachfahrin seiner Schwester und ihr so ähnlich, dass es ihm jedes Mal, wenn er sie sah, einen Stich ins Herz versetzte. Auch sie war inzwischen in einem Alter, in dem man mit allem rechnen konnte. Deshalb musste er sich einfach vergewissern, dass es ihr gut ging und sie noch lebte. Das war er seiner Schwester einfach schuldig. Auf jeden Fall redete er sich das immer wieder ein. Doch eigentlich war es etwas komplizierter.

Zum einen stimmte es, dass er Fiona aus sentimentalen Gründen immer wieder aufsuchte, schließlich war sie der einzige Mensch seines Blutes, der ihn noch mit seinem einstigen Leben verband. Aber Fiona war noch mehr. Sie war eines der Kinder, die ihn hatten sehen können und wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann kehrte er jedes Mal mit der Hoffnung zu ihr zurück, sie könne ihn auch jetzt noch auf irgendeine Weise spüren. Doch auch diese Hoffnung hatte sich bisher nicht erfüllt.

Als Dusten das kleine Haus, das etwas abseits des eigentlichen Dorfes lag, erreichte, hielt er einen Moment inne. Etwas war anders als all die Male zuvor, doch was es genau war, konnte er nicht sagen.

War er vielleicht zu spät gekommen und Fiona nicht mehr am Leben? Oder …? Er war innerlich so angespannt, dass seine Hände zitterten, als er vorsichtig nach der Tür tastete und durch das Holz ins Innere des Hauses schlüpfte. In dem Haus war es totenstill und stockdunkel. Normalerweise saß Fiona immer in der kleinen Küche, meist vor einer dampfenden Tasse Tee und las in einem Buch. Diesmal jedoch war es in der Küche genauso still und dunkel wie in dem Rest des Hauses. Er wollte schon umkehren, als er den schwachen Lichtschimmer unter einer der Türen entdeckte. Er zögerte nicht lange, sondern schwebte direkt durch die Wand in den kleinen Raum. Durch Wände gehen und die Tatsache, dass ihn niemand verletzen konnte, waren die einzigen Vorteile, die sein Dasein als Geist ihm bot. Und vielleicht noch, dass er in seinem unsichtbaren Zustand Dinge sah und hörte, die er sonst niemals erfahren hätte. Doch das war im Moment vollkommen unwichtig. Das, was zählte, war Fiona.

Der kleine Raum, in dem er sich jetzt befand, war eine Art Arbeitszimmer. Es musste neu sein, denn bei seinen bisherigen Besuchen war es ihm noch nicht aufgefallen. In der Mitte stand ein riesiger Sekretär, auf dem unzählige Papiere und Bücher lagen. Auch an den Wänden hingen Papiere, auf denen jedoch einige Textstellen rot unterstrichen waren. Eine einzelne, nicht gerade helle Lampe stand auf dem Tisch und tauchte die Szene in ihr gedämpftes Licht. Von Fiona fehlte auch hier jegliche Spur.

Merkwürdig!, schoss es Dusten durch den Kopf. Für wen oder was hatte Fiona die Lampe entzündet, wenn sie selbst gar nicht anwesend war? Einen Grund musste das Ganze hier ja haben. Neugierig betrachtete er einige der Papiere an der Wand. Es handelte sich um verschieden Berichte, die sich alle mit der Geschichte Glencoes befassten. Einige alte Federzeichnungen hingen neben farbigen Bildern, von denen er mittlerweile wusste, dass man sie Fotografien nannte. Jeweils paarweise stellten sie exakt dieselben Stellen des Tals dar, nur zu verschiedenen Zeiten. Dusten runzelte verwundert seine Stirn. Was sollte das alles hier? Hatte Fiona während seiner Abwesenheit den Verstand verloren? Er hatte schon oft davon gehört, dass Leute, wenn sie ein bestimmtes Alter überschritten, wunderlich wurden, aber das hier war mehr als wunderlich.

Er betrachtete die rotmarkierten Stellen etwas genauer, doch den Sinn darin konnte er nicht erkennen. Wieso, in drei Teufels Namen, hatte Fiona Sätze wie: »Oftmals wurden auf alten Friedhöfen nur Kreuze aufgestellt, um Verschollener zu gedenken« oder: »Die Anzahl derer, die bei dem Massaker vor dreihundert Jahren getötet wurden, variiert in den Aufzeichnungen, da auch Verschollene als tot galten«, markiert? Daneben hingen Bilder des kleinen Friedhofs. Verdammt! Was sollte das?

Unwillkürlich wanderte Dustens Blick auf die Dokumente und Bücher, die neben der Lampe auf dem Tisch lagen. Die Bücher waren allesamt Sammelbände der Sagen und Legenden Schottlands. Bei dem größten Dokument, das fast die gesamte Tischbreite einnahm, handelte sich um Fionas Stammbaum, den sie akribisch handschriftlich aufgezeichnet hatte. Dusten beugte sich über das Papier und verfolgte die verschiedenen Äste und Gabelungen, bis er schließlich bei seinen Schwestern, sich selbst und seinen Eltern landete. Seinem Namen hatte Fiona rot eingekreist. Die Sache wurde immer geheimnisvoller!

Des Weiteren lagen auf dem Tisch noch diverse Auszüge aus dem Kirchenregister, bei denen wieder einige Passagen rot unterstrichen waren: Sein Geburtsdatum und ein Eintrag, in dem man ihn für tot erklärte. Als hätte all dies nicht schon ausgereicht, ihn vollkommen aus der Fassung zu bringen, lag auf seiner Geburtsurkunde auch noch ein weiteres Schriftstück, dessen Nachricht an ihn gerichtet war.

Mein lieber Geist,

Ich glaube, ich weiß jetzt endlich, wer du bist, auch wenn ich dich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe.

Obwohl noch wesentlich mehr auf dem Papier stand, hatte Dusten genug gelesen. Sein Puls raste, und er brauchte dringend frische Luft. Wie von Dämonen gehetzt, stürmte er durch die Wand ins Freie und rannte Richtung Wasserfall davon. Dort angekommen ließ er sich auf einem der Felsen nieder und starrte in die tosenden Fluten.

 4

Cat schlug die Augen auf. Wenn man einmal von den unzähligen Blessuren und ihrer zerrissenen Jacke absah, dann musste sie sich eingestehen, dass sie verdammt noch mal Glück im Unglück gehabt hatte. Allein ihr Kopf dröhnte und hämmerte, als hätte man ihn mit einem Presslufthammer bearbeitet. Vorsichtig versuchte sie sich aufzurichten, doch schon bei dieser kleinen Bewegung wurde ihr schwindelig.

Verdammt! Sie musste sich eine Gehirnerschütterung zugezogen haben.

---ENDE DER LESEPROBE---