Glutnester - Gabriele Diechler - E-Book

Glutnester E-Book

Gabriele Diechler

3,8

Beschreibung

Kriminalpsychologin Elsa Wegener fühlt sich in der bayerischen Provinz noch immer nicht heimisch. Die nervenaufreibende Scheidung von ihrem Mann tut ihr Übriges. Und dann bekommt sie es auch noch mit einem besonders perfiden Verbrechen zu tun: Die zuckerkranke Luise Gasteiger aus Unterwössen im Chiemgau ist in ihr Zimmer eingeschlossen worden und schließlich an Unterzucker gestorben. Als Elsa die Familie der Toten genauer unter die Lupe nehmen will, stirbt auch noch Luises Schwester Veronika - vollgepumpt mit Schmerz- und Narkosemitteln …

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Seitenzahl: 314

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Cover

Titel

Gabriele Diechler

Glutnester

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2011–Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2011

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Korrekturen: Doreen Fröhlich, René Stein

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von tschanga / photocase.com

ISBN 978-3-8392-3608-6

Prolog

Zu Elsas Füßen ruht ein stiller See aus brauner, zäher Brühe. Widerstrebend tritt sie näher. Der Gestank frisst sich durch Finger und Kleidung. Dringt ungefiltert in die Poren ihres Körpers. Ein Gewässer ohne Fische, denkt Elsa. Stattdessen eine Leiche als schwimmender Inhalt.

Der Verwesungsprozess eines Menschen findet in einer Jauchegrube seinen Anfang.

Fehler schleichen sich in die Tage, wenn wir uns – rein urteilsgesteuert – einen Weg durch die Wirrnisse des Lebens bahnen.

Erst weil wir alles in Passform zwingen, verkommen die Stunden zu unüberwindbaren Barrieren.

Das Leben ist keine Hypothese. Es ist das Schloss, in dem wir der Schlüssel sind. Verharre ruhig. Hab Vertrauen. Das Schicksal führt die Drehung aus. Denn immer, wenn eine gewaltsame Umdrehung erfolgt, wird der Fluss des Lebens gestört. Dann stockt uns der Atem und das, was vom Leben übrig bleibt, wird stranguliert.

Alles findet seinen Anfang, als Elsa die Scheidungspapiere in Händen hält. Ein neuer Fall rollt sich vor ihr auf. Ein Mord, der sich erst auf den zweiten Blick als solcher entpuppt und der sie an nie geahnte Auswüchse verkannter Liebe heranführt.

1. Kapitel

Elsa tritt aus dem Gerichtsgebäude und lässt den Blick ziellos umherschweifen. Auf die graubraunen Fassaden der Häuser, die schwarzsilberne Einheitsfläche fahrender, stockender und hektisch einparkender Autos, schließlich nach oben, wo seichte gelb gefärbte Wolken am babyblauen Himmel ruhen. Ein welker, unbeweglicher Himmel, der der Hast der Stadt zu trotzen scheint. Dazu eine Brise bärbeißigen Geruchs nach etwas Undefinierbarem. Der Geruch sucht zwischen den Straßen und in Elsas Nase nach einem Zuhause. Elsa niest, schüttelt den Kopf und murmelt dann: »Das Leben beginnt an beliebiger Stelle« vor sich hin. Ihr Statement des Tages. Sie hat diesen Satz irgendwann einmal aufgeschnappt. Kaum verstanden, aber immerhin behalten. Man behält, woran man sich noch die Zähne ausbeißt, weiß Elsa. Der Satz, dass das Leben nicht an besonderer, sondern an irgendeiner Stelle anfängt, tröstet. Zumindest einen kurzen Moment lang. Heute, am Tag ihrer Scheidung, versteht sie plötzlich, was er bedeutet. Ihr bisheriges Leben lang hat Elsa dieses als eine Abfolge einzelner Begebenheiten, die letztendlich in ein Ganzes münden, betrachtet. Eine Wegstrecke, die irgendwann beginnt, andauert und einmal endet. Doch wenn es so ist, dass das Leben an beliebiger Stelle beginnt, kann es nur so gemeint sein, dass immer nur der jeweilige Moment das Leben ist. Das einzige Leben, das man hat. Also ist Leben nicht die lange Wegstrecke, das große Insgesamt, sondern ein flüchtiger Moment. Und mit einem Moment, der frei von der Schwere des Gestern und der Unwägbarkeit des Morgen ist – denn sonst wäre es ja kein Moment mehr! – wird wohl klarzukommen sein, durchzuckt es Elsa. Kaum zu Ende gedacht, sonnt sie sich in ihrer neuen Leichtigkeit. Jubelt innerlich und saugt die Luft ein, die wie Sekt schmeckt. Bis ihr ein weiterer Gedanke einen Strich durch die Rechnung macht.

Ihre beruflichen Erfolge, das passable Verhältnis zu Anna, ihrer pubertierenden Tochter, alles, worauf sie stolz ist, kann ihr mit einem Mal gestohlen bleiben. Nichts täuscht über das Zugeständnis hinweg, das sie diesem Augenblick entgegenbringt. Dem des Scheiterns. Geschieden! Endgültig einen Schlussstrich unter ein privates Dilemma gezogen. Eine Geschichte, die damit endet, dass ein Mann, der mit zwei Frauen rummachte, einer überlassen wird. »Du bist diejenige, die übrig bleibt«, murmelt Elsa, als müsse sie es sich erst wieder in Erinnerung rufen. Dabei ist diese Tatsache alles, was sie zurzeit weiß. Dass sie übrig bleibt.

Die erfolgreiche Kriminalpsychologin mit einer in Rekordzeit absolvierten Zusatzausbildung in Grafologie, die Köln fluchtartig verließ, um in Oberbayern, in der Einöde, neu zu starten, bleibt allein zurück. Elsa schüttelt den Kopf, hebt das rechte Bein, zögert und belässt es für einen Moment in der Luft. So steht sie da wie eine Schauspielerin, die auf die nächste Anweisung des Regisseurs wartet.

Hartmut ist von hinten auf sie zugekommen. Drängt sich, an einem Einsneunzig-Riesen vorbei, neben sie. Er schmiegt seine Hände in ihre Hüften. Ihr Bein tänzelt, aus ihren Augenwinkeln heraus betrachtet, durch ein weiter hinten wahrgenommenes Auto in Rot. Durchschneidet es und widmet sich zu guter Letzt einem anderen Bild. Der Schrittfolge eines älteren Mannes, der an ihnen vorbeispaziert und den ihr Bein stört. Erst danach, nach diesen Aktivitäten, kommt Elsas ungestümes Bein auf dem Asphalt zum Stehen. Sie positioniert sich. Atmet laut aus.

»Zufrieden?«, raunt ihr Hartmut mit spitzem Unterton ins Ohr. Es klingt wie ein Verhör. Nicht wie eine Frage. Er hat sie zu sich umgedreht und schaut sie durchdringend an. Seine Augen huschen auf und ab. Ringen um Halt in ihrem Gesicht. Vergebens.

»Und du!«, schießt Elsa zurück. Ihre Lippen verweigern selbst ein kühles Lächeln. Da ist nichts, was sich weich anfühlt. Alles rau und grob in ihr drin.

»Von mir kam kein Impuls zur Scheidung!«, versucht Hartmut einzulenken. Als ginge das noch. Einlenken. Jetzt. Wo längst alle Nebenstraßen des Lebens gesperrt sind.

»Als Richter weiß man schließlich, wie schmerzhaft so was ist. Das wollte ich uns ersparen. Dir, Anna, und mir natürlich auch.«

»Das hättest du dir vorher überlegen müssen. Bevor du zwei Frauen flachlegst. Am selben Tag. Wohlgemerkt!« Elsa merkt, wie sich die Tatsache seines Seitensprungs plötzlich verwischt. Fast so, als kapsle sich der Schmerz ab, damit sich eine rigide Lust dazugesellen kann. Auskosten ist das Wort, das Elsa mit dem Moment verbindet. Seltsamerweise und ganz unvermittelt. Jetzt, nachdem sie das Ärgste überstanden hat, geht das. Hartmuts Affäre fällt in einen tiefen Brunnen. Ein schwarzes Loch der Vergangenheit. Elsa steht davor, starrt hinunter und grinst. Dieses Bild und dieser Umstand ringen ihr doch noch ein hastiges Lächeln ab. Kein echtes, tiefes, freudiges, aber zumindest ein schadenfrohes, erleichtertes.

»Lass mal, Hartmut. Es ist, wie’s ist. Wir beide gehören geschieden. Das haben wir uns redlich verdient.«

»Blödsinn! Wir hätten die Kurve gekriegt. Wenn du nicht so verbohrt gewesen wärst und uns eine zweite Chance abgesprochen hättest.« Er schaut sie mit einem Mal traurig an. Ernsthaft und ehrlich traurig. Sein Gesicht kommt näher, verschwimmt vor ihren Augen. Sie sieht die beigefarbenen Poren seiner Haut übergroß. Spürt seinen immer noch vertrauten Atem. Obwohl er nach einem anderen Parfüm riecht. Das hat sie ihm gekauft. Die Neue. Um alles Vergangene endgültig auszumerzen. Seine Seife ist immerhin gleich geblieben. Als feinen Hauch wahrnehmbar, erschnuppert Elsa außerdem die eine oder andere Zigarette zwischendurch, die er wohl auf dem Gang, hinter sich die geschlossene Tür seines Büros, raucht, obwohl das nicht gern gesehen wird. Dann fühlt sie, ohne Ankündigung oder Vorahnung, die Kälte seiner Lippen auf ihrem Fleisch. Ein verunglückter Kuss. Wie so viele zuvor auch. Entweder zum falschen Zeitpunkt oder in falscher Art und Weise, oder aber, als Höhepunkt, der falschen Frau aufgedrückt. So war es oft, wenn Hartmut küsste. Dieser hier ist lediglich ein neuer in einer Reihe unzähliger verunglückter Küsse. Der erste und einzige, den er ihr als ihr geschiedener Mann gibt. Elsa bringt ihre Hände in Position und schiebt Hartmut energisch weg.

»Keine gute Idee!«, meint sie. Dann fährt sie sich mit der rechten Hand über die Lippen. Als müsse sie seinen Speichel wegwischen. Infiziertes Nass.

»Liebe hört doch mit einer Unterschrift auf einem Stück Papier nicht auf«, wehrt Hartmut sich. Er schaut sie groß an. Wie ein Junge, der unbedingt im Frühjahr schon wissen will, was es zu Weihnachten gibt. Irgendwo in sich drin glaubt er, damit durchzukommen. Unfassbar, denkt Elsa.

»Meine schon!« Elsa hebt die Hand, formt sie plötzlich zu einem Gefäß und legt sie Hartmut, nie und nimmer geplant, auf die Wange. Sie fühlt die Kälte unter seinen Augen. Rechts und links des Mundes. Kälte, die sich von innen nach außen vorpirscht. Vorwitzige, dumme, innere Kälte. Seelenkälte.

»Pass auf dich auf«, entkommt es ihr. Ein Satz wie auf einer Medikamentenschachtel. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker oder Ihre Ex-Frau und passen Sie auf sich auf.

»Elsa?«, krächzt Hartmut mit letzter Kraft. »Elsa! Ich … ich glaub, ich … lieb dich noch immer oder schon wieder, oder …«

»Pssst! Schweig!« Sie spürt, wie ihr eine Träne in den Augenwinkeln sitzt. Sie drückt sie weg. Mit aller Gewalt. Tränen haben heute keine Genehmigung von ihr erhalten. Und als sie sie erfolgreich hinuntergeschluckt hat, fühlt sie, dass sie nicht nur frustriert, sondern auch erleichtert ist. Irgendwo in ihr drin. In einer ihrer seelischen Nischen. »Gönn uns wenigstens einen guten Abschied«, flüstert sie. Dann nimmt sie ihre Hand aus Hartmuts Gesicht, dreht sich um und geht davon.

Elsa steht am Rheinufer und schaut dem Kahn hinterher, der sich durch das dichte Grau des Wassers pflügt. Einem Ziel entgegen, das sie nicht kennt. Sie hat in Bayern ein neues Zuhause gefunden. Ein Ziel allerdings noch nicht. Worauf soll sie ihr Leben auch abzielen, außer darauf, möglichst viele Kriminalfälle aufzuklären und mit Anna gut durch die Zeit der Pubertät zu kommen? Ein neuer Mann? Ben Fürnkreis etwa? Der wesentlich jüngere Kollege vom Kommissariat 3 für Spurensicherung und Tatortarbeit. Soll sie etwas mit ihm anfangen? Soll er das Fehlen warmer Hände auf ihrem Körper wiedergutmachen? Darauf hat sie sich längst mit Nein geantwortet. Elsa bückt sich, nimmt einen Stein auf, fährt mit der weichen, hellen Fläche ihr Handinneres ab und wirft ihn laut klatschend ins Wasser. Der Stein geht unter wie ihre Ehe zuvor im Saal des Gerichtsgebäudes. Elsa seufzt, dreht sich um und geht auf die Häuser, gar nicht weit entfernt, zu.

Ihre schlanke Silhouette spiegelt sich in der Auslage eines Geschäfts für exklusive Tischkultur wider. Sie überquert mit wenigen ausholenden Schritten den Platz, an dessen Ende sich die Imposanz des Doms auftut.

Über ihr zieht ein Flugzeug seine einsame Bahn am Himmel. Ein weicher, weißer Faden im himmlischen Blau des frühen Tages. Sie schaut auf die Scheidungsurkunde in ihrer Hand. Ein Stück Vergangenheit, das bisher bis in die Gegenwart reichte.

»Schluss! Aus! Vorbei!«, meint Elsa entschieden und zerreißt das Papier in lauter kleine Stücke. Wie köstliche Happen für die Tauben liegt die Schwere vergangener Jahre in ihrer Hand. Sie öffnet die Handinnenflächen, holt tief Luft und pustet die Papierfetzen energisch in den Tag hinaus.

Im Dom ist es kühl und friedlich. Elsa bekommt nichts mit von dem, was um sie herum passiert. Sie filtert lediglich die Geräuschkulisse sanfter Gebete heraus. Hört das Klacken dutzender Absätze auf dem Boden. Ein leises Absatzkonzert. Das Klicken zahlreicher Kameras gesellt sich dazu. Alles wirkt wie von Ferne an sie herangetragen.

Die prachtvollen bunten Fenster des Doms sind ganz nah. Sie tauchen sie in eine andere Wirklichkeit. Drücken ihre Seele tief hinein in die neue Frische der Erkenntnis und der Erlösung, die die Fenster jedem Einzelnen zu versprechen scheinen. Elsa geht sie ab. Eins nach dem anderen. Ihre Schritte scheinen zu schweben. Staunend und nach Luft ringend wegen der erhabenen Schönheit der Gläser, legt sie den Kopf in den Nacken. Die Augen pflügen nach oben, auf eins gerichtet. Das moderne Fenster Gerhard Richters kleidet diesen Moment, wie das schönste Kleid es am Körper einer Frau nicht besser könnte. Elsa haucht, plötzlich ungestüm, einen Kuss in die Luft. Danach einen in Richtung Altar. Ihre Mundwinkel spielen mit ihr. Ziehen sich hoch und hinunter. Sie lächelt leise, schreitet das Kirchenschiff ab und spürt, wie alles ihr von der Seele rutscht. Der ganze Ballast. Hartmut. Sein wiederholter Ehebruch. Die einsamen Tage. Aber vor allem die stillen Nächte ihres Neubeginns. Hier findet der Anfang ihrer Absolution statt. Sie ahnt endlich, was Hoffnung ist. In dieser Kirche ist sie zu Hause. Einige friedliche Herzschläge lang.

Bis es in ihrer Jacke brummt.

Elsa verwehrt sich einen letzten heilenden Blick auf ein weiteres Fenster in grandiosen Farben und eilt, an einer Gruppe Japaner vorbei, Richtung Ausgang. Draußen treffen sie eine fremde Wärme und eine Ladung Taubenkot. Ihre Nase versinkt unter übel aussehender Vogelscheiße, während sie flucht und gleichzeitig lacht.

Elsas Flüche, ihr Gelächter und die Suche nach einem Taschentuch wechseln sich ab. Sie findet nichts, womit sie sich säubern könnte, und greift schließlich nach einem benutzten Fetzen, den ihr ein Kind hinhält. Hinterhältig grinsend. Elsa wischt sich über den Nasenrücken und geht gleichzeitig an ihr Handy, während der Junge vor ihr das breiteste Grinsen der Welt übt.

»Wegener!«, presst sie hervor, während sie sich noch über die klebrige Haut wischt und das Taschentuch anschließend in einem der Abfalleimer entsorgt. Der Junge hat genug von ihr und ihrem Schauspiel und trollt sich.

»Was halten Sie davon, Ihren Golf mal wieder von innen zu begutachten und zurückzukommen?«, schlägt Karl Degenwald, ihr Kollege in Traunstein, vor. In einem Ton, als lade er sie zu einem Fest ein. Einem lange geplanten, das sie allerdings vergessen hat.

»Was steht an?«, fragt Elsa. Ahnend, dass Degenwalds Ton nur schöner Schein ist.

»Wir haben eine Tote. Genaueres wissen wir noch nicht.«

»Wer und wo?«, will Elsa wissen. Das Wesentliche hat sie noch nie auf die lange Bank geschoben. Dafür ist sie zu engagiert. Und zu neugierig.

»Luise Gasteiger, 72. War mit Roland Gasteiger, einem Landwirt, verheiratet. Luise ist in ihrem Schlafzimmer gefunden worden. In Kruchenhausen.«

»Ich komme!« Elsa schluckt, drückt die Aus-Taste und hastet Richtung Parkhaus davon.

»Wieso müssen wir Köln schon wieder fluchtartig verlassen? Ich hatte mit Philipp und den anderen noch ziemlich heiße Sachen vor!«, regt Anna sich auf. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz. Neben Elsa. Kaut auf ihrer Nagelhaut herum und zieht eine Schnute. Draußen ziehen verschiedenfarbige Strichhäuschen, putzig kleine Autos, Mini-Felder, Bäumchen, Fabriken und allerlei Sonstiges vorbei. Je schneller Elsa fährt, umso kleiner wird draußen alles.

»Degenwald hat mich zurückgepfiffen. Was macht Lars?«, fragt Elsa nach. Sehr darum bemüht, einen normalen Tonfall hinzukriegen und den Wechsel zu einem anderen Thema.

»War ’ne blöde Idee, ihn noch mal angrapschen zu wollen«, gesteht Anna, ungewöhnlich ehrlich.

»Du wolltest mit der Vergangenheit abschließen«, erinnert Elsa Anna an ihren Plan. »Das find ich schwer in Ordnung.«

»Vergangenheit ist was für Alte. Ich hab höchstens gelebtes Leben. Das ist mir inzwischen klar geworden«, entgegnet Anna, als riefe sie sich keine Sekunde von dem ins Gedächtnis, was sie mal vorhatte. Nämlich zu überprüfen, ob ihre erste Liebe, Lars, ihr noch Gefühle entlockt oder endgültig weg vom emotionalen Fenster ist.

»Dann bist du immerhin um eine Erkenntnis reicher«, freut Elsa sich. »Gelebtes Leben ist übrigens der Grund, weshalb ich zurück muss. Falsch gelebtes, um genau zu sein«, erklärt sie und schaut ihre Tochter, die kein Wort versteht, von der Seite an. Gut sieht Anna aus. Die dunklen Haare, die sie neuerdings kinnlang trägt, schmeicheln sich um ihr zartes Gesicht, das wild geschminkt ist. In einer Intensität, die nicht zu ihrer Jugend passt. Die neue Jeans und der figurbetonte Pullover mit kleinen, mit Strass besetzten Schweinchen drauf scheint etwas zu verdeutlichen, was Elsa schmerzlich verspürt, wenn sie Anna anschaut. Figurbetont. Rosa Schweinchen. Eine Mischung aus Frau und Kind. Kindfrau. Anna ist beides oder nichts von allem. Vor allem ist sie rebellisch. Mit kurzen Pausen der Einsicht, die schneller in Wort-Vulkane mutieren, als Elsa lieb ist.

Sie fährt sich instinktiv mit den Händen durchs eigene Haar. Ahnt, dass die Idee, die Haare wachsen zu lassen, lediglich ein Versuch ohne Plan dahinter ist. Vielleicht sollte sie morgen gleich zum Friseur gehen und kurzen Prozess machen?, grübelt sie.

»Der nächste Mord?«, mutmaßt Anna, presst die Lippen aufeinander, um den Lipgloss zu verteilen, den sie gerade aufgetragen hat, und schüttelt den Kopf dabei. Sie zerrt einen Kaugummi aus ihrer Jeans, reißt das silberne Papier ab und steckt ihn sich in den Mund. »Kaum zu glauben, dass bei uns Morde stattfinden. Im hintersten Winkel Bayerns. Das glaubt in Köln niemand.«

Elsa weiß, dass Anna das Kaugummipapier, zu einem kleinen Kügelchen zusammengedrückt, irgendwohin fallen lässt. Vermutlich auf die Fußmatte. Eine Methode, Abfall zu entsorgen, die sie ihr einfach nicht abgewöhnen kann und gegen die kein Argument etwas ausrichtet. Elsa seufzt, verwirft den Gedanken, sich zu ärgern, und spricht weiter.

»In dem Moment, wo zwei Menschen über einen längeren Zeitraum aufeinandertreffen, schätze ich die Wahrscheinlichkeit, dass früher oder später ein Gewaltverbrechen stattfindet, auf 50 Prozent.«

»Die Hälfte überlebt? Tatsächlich? Praktizierst du neuerdings positives Denken?« Anna boxt Elsa sanft in die Seite, hält ihr das Kaugummipapier-Kügelchen entgegen, lässt es mit kleiner Geste in den Ascher plumpsen und grinst dabei übers ganze jugendliche Gesicht.

2. Kapitel

Elsa parkt ihren Wagen gleich um die Ecke von Degenwalds Haus. Die wenigen Male, die sie ihren Kollegen vom Kommissariat 1, das sich um Tötungs- und Sexualdelikte kümmert sowie Brandsachen bearbeitet, zu Hause besucht hat, hat sie es sich, weshalb auch immer, zur Angewohnheit gemacht, nicht vor seinem Wohnhaus zu parken. Obwohl es gegenüber davon genügend Haltemöglichkeiten gibt. Vielleicht will sie im Gedanken aussteigen, keinesfalls vom Fenster aus beobachtet zu werden. In Ruhe in den Mantel schlüpfen. Sich ein letztes Mal die Haare richten. Und die Augenbrauen mit den Fingerkuppen glatt streichen. Darauf scheint es ihr anzukommen. Erst danach mag sie ihm unter die Augen treten. Blöde Angewohnheit!, murrt Elsa innerlich, als ihr aufgeht, wie idiotisch sie sich verhält. Kaum zu Ende gedacht, schimpft sie weiter, eben weil sie sich ausschimpft. »Idiotisch, dass ich immer an mir rummäkeln muss!«, setzt sie ihr zuvor stummes Schimpfen laut fort. Eine Frau bleibt immer eine Frau. Eine geschiedene besonders!, hört sie Degenwald referieren und ist bereits, bevor sie ihm gegenübersteht und obwohl er nichts getan oder gesagt hat – höchstens ausgedacht in ihrem Gehirn –, gegen ihn eingenommen. Die Angst vor der Angst.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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