Goethe ruft an - John Düffel - E-Book

Goethe ruft an E-Book

John Düffel

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Beschreibung

Es gibt zwei Sorten von Schriftstellern: die strahlenden Zauberer und die erfolglosen Zweifler. Der Erzähler von John von Düffels neuem Roman gehört zweifellos zu den Erfolglosen. Seit Jahren schon sitzt er »an etwas Größerem«. Doch er hat einen Förderer: Goethe. Der heißt natürlich nicht wirklich so – doch wenn irgendjemand heute Goethes Format hat, dann er. Ein Klassiker zu Lebzeiten, ein Literaturgott. Seine Lesungen gleichen Messen. Oder Rockkonzerten. Goethe überredet den Freund, ihn bei einer Veranstaltung in der Lausitz zu vertreten. Seine Assistentin bringe ihm den Ordner mit den Unterlagen gleich vorbei, der alles enthalte, was zum erfolgreichen Schreiben nötig sei. Aber Vorsicht: Es ist sein einziges Exemplar. So kommt der Erzähler in den Besitz der Goethe-Formel. Und macht gleichzeitig die Bekanntschaft von Frau Eckermann. Sind Formel und Frau bei ihm in guten Händen? ›Goethe ruft an‹ erzählt die ebenso rasante wie charmante Jagd nach dem Geheimnis des Erfolgs – und nähert sich darin auf augenzwinkernde Weise dem Schnittpunkt von Lesen und Leben.

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John von Düffel

Goethe ruft an

Roman

Erste Auflage 2011 © 2011 DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten

Für Katja und Greta

1

Goethe ruft an. Er heißt nicht Goethe, aber ich nenne ihn Goethe, weil er so sehr Goethe ist, wie man heute nur sein kann. Ein Klassiker gleichsam zu Lebzeiten. Alles von ihm, nicht nur seine Romane, Dramen und Gedichte, auch die aus dem Ärmel geschüttelten Zeitungsartikel, Interviews, Kommentare, sogar die Servietten, auf die er etwas kritzelt – alles, was er von sich gibt, ist klassisch. Für jede Lebenslage, jeden Anlass findet man bei ihm die passende Bemerkung. Wohin ich auch denke, Goethe war immer schon da. Schwant mir eine Idee, gibt es sie längst bei Goethe, schreibe ich an etwas, hat Goethe es schon geschrieben, auf die gültigste Weise. Und wenn ich das Gefühl habe, mir ist wirklich einmal ein Satz gelungen, stellt sich heraus, es ist ein Goethe-Zitat. Im Grunde ist ihm nichts hinzuzufügen. Wie Goethe zu seiner Zeit, hat er zu unserer alles gesagt und seinen Autorenkollegen nichts zu sagen übrig gelassen. Deswegen nenne ich ihn Goethe, und ich meine es nicht mal ironisch oder boshaft, auch wenn es so klingt – was Goethe selbstverständlich nie passieren würde. Wenn sich also jemand mit Fug und Recht als Goethe von heute fühlen darf, dann er, und vielleicht fühlt er sich auch so, wenn er zu Hause vor dem Spiegel steht, aber das ist natürlich eine Unterstellung. Wahrscheinlicher ist, dass er ein ganz entspanntes Verhältnis zu sich hat. Und zu Goethe.

Wir haben zusammen angefangen zu schreiben, Goethe und ich, über zwanzig Jahre ist das her. Inzwischen füllen seine Veröffentlichungen eine Gesamtausgabe in zwölf Bänden, ich fülle nicht einmal einen. Darüber hinaus hat Goethe geforscht, sich politisch engagiert, Theater gemacht, Filme, Reportagen, er hat Debatten angeregt, Diskurse gestiftet, Maßstäbe gesetzt und überhaupt so universell gewirkt wie kein Zweiter in Zeiten des Spezialistentums, während ich eigentlich immer nur geschrieben habe, und nicht einmal viel, von dem Qualitätsunterschied ganz zu schweigen. Ich habe still und hartleibig vor mich hingearbeitet, während Goethe auf tausend Hochzeiten getanzt hat, was kein Vorwurf sein soll, weil seine Beiträge, ganz gleich auf welchem Gebiet, wertvoll bis unbezahlbar sind und er auf jeder dieser tausend Hochzeiten tanzt, als wäre es die einzige. Seine Startauflagen, selbst bei Gedichtbänden, sind astronomisch. Seine Lesungen, die Messen oder Rockkonzerten gleichen, sind brechend voll – er gibt ständig Lesungen, Messen, Rockkonzerte! Und nicht zuletzt ist er, ohne aufdringlich zu sein, in dem ganzen Zirkus von Talkshows, Vorträgen und Workshops einer der gefragtesten und beredtesten Gäste, international. Goethe kennt Gott und die Welt, und Gott und die Welt kennen Goethe, was ich von Gott, der Welt und mir nicht behaupten kann.

Und doch hat Goethe mich nicht vergessen. Gott und die Welt haben mich vergessen, Goethe nicht, dabei hat er wahrlich genügend andere Dinge im Kopf. Aber er ist eben nicht nur ein großer Dichter und Denker, sondern auch ein wahrer Freund. Ich wünschte manchmal, es wäre nicht so. Manchmal wünschte ich, er würde mich vergessen. Ich betreibe sogar mein Vergessenwerden insgeheim, mache mich noch unauffälliger, als ich ohnehin schon bin, sofern das überhaupt möglich ist, lasse jede Gelegenheit verstreichen, mich in Erinnerung zu bringen, tue so, als wäre ich gar nicht da. Und das kann ich gut: von sämtlichen Bildflächen verschwinden, untertauchen und die Löschtaste drücken. Meinen Namen kann sich kein Mensch merken, mein Gesicht kommt niemandem bekannt vor. Wenn ich eine Party verlasse, weiß im selben Augenblick keiner mehr, dass ich überhaupt dagewesen bin. Gott und die Welt könnten schwören, sie hätten mich noch nie gesehen, nur Goethe sieht mich, ihm entgeht nichts.

Würde er mich vergessen, könnte ich ihm vorwerfen, er kenne seine Freunde von früher nicht mehr, habe die Bodenhaftung verloren, sei überheblich geworden und abgehoben. Aber das ist nicht wahr. Er ruft mich an, im Gegensatz zu mir, der ich ihn nie anrufe. Er ist offen und freundlich, während ich ausweichend antworte und mürrischer klinge, als ich es meine, wieder mal. Doch er nimmt mir das nicht übel, sondern versteht vielmehr, dass es nicht leicht für mich ist. Er kann sich in mich hineinversetzen, ich nicht in ihn. Er denkt an mich, aber nicht so, wie ich an ihn denke. Er vergleicht mich nicht mit sich, wie ich mich mit ihm vergleiche, und begegnet mir stets ohne Herablassung und falsches Mitleid, auch wenn ich ihn dessen permanent verdächtige. In dem Punkt bin ich empfindlich. Er hingegen lässt mich den Unterschied nicht spüren, die Fallhöhe zwischen uns beiden, wenn man bei einem Gefälle von hundert Prozent überhaupt von Fallhöhe sprechen kann und nicht von Abgrund. Doch für ihn scheint das keine Rolle zu spielen. Er mag mich wirklich, fürchte ich, mehr jedenfalls, als ich mich mag. Wenn ich er wäre, hätte ich mich längst nicht mehr angerufen. Ich hätte meine Nummer niemals ins nächste Adressbuch übertragen und Funkstille einkehren lassen. Und es wäre mir an seiner Stelle völlig egal, ob ich ihn für überheblich, abgehoben oder sonst etwas halte, denn auf einen Freund wie mich, der sich nie meldet, aber beleidigt ist, wenn man ihn nicht regelmäßig anruft, könnte ich gerne verzichten. Wenn ich er wäre. Aber er ruft mich an. Immer wieder. Immer freundlich und offen. Er ist mir ein Rätsel.

*

Er hätte da etwas für mich, sagt Goethe am Telefon, nachdem er sich offen-freundlich nach mir erkundigt hat und ich ihm ausweichend-mürrisch geantwortet habe, natürlich nur, sagt er, wenn es in meine literarischen Pläne passe und ich nicht gerade an etwas Größerem sitzen würde. – Ich sitze an etwas Größerem, aber nicht gerade, sondern seit Ewigkeiten, daher sage ich erst einmal nichts.

Es liege ihm fern, fährt Goethe fort, die Arbeit anderer zu stören, und er wolle auch keinesfalls seinen Ballast bei mir abladen, das Autorenleben sei so schon schwer genug, aber es könne ja sein, sagt er, dass sich das Ganze glücklich für mich füge, jedenfalls habe er sofort an mich denken müssen und ihm sei auch bei längerem Nachdenken niemand eingefallen, der dafür richtiger wäre als ich, sofern ich, wie gesagt, nicht an etwas ganz Großem säße, kurzum, die Frage sei, ob ich mir vorstellen könne, ihn bei einem Sommerkurs zu vertreten, keine große Sache, beeilt er sich hinzuzufügen, wenig Arbeit, viel Freizeit, ein Ferienjob, mehr Ferien als Job, dafür lege er die Hand ins Feuer, er habe den Kurs selber schon zweimal gegeben und sich bestens dabei erholt, erfrischt geradezu, er sei dadurch sogar auf einige neue Ideen gekommen, um das Wort Inspiration zu vermeiden, und er würde den Kurs sehr gern ein drittes Mal abhalten, jederzeit, nur gehe es im Moment leider nicht, obwohl er, das wolle er nicht verhehlen, voller Vorfreude und in gutem Glauben zunächst zugesagt habe, aber ihm sei nun doch etwas dazwischengekommen, bedauerlicherweise, ein Angebot, wie man so sage, das man nicht ablehnen könne, sagt er, wobei ich für meinen Teil natürlich die Wahl hätte, selbstverständlich könne ich auch nein sagen, das stehe mir frei, ich bräuchte im Moment eigentlich gar nichts zu sagen, er bitte mich nur, es mir einmal durch den Kopf gehen zu lassen, das sei alles.

Aha, sage ich, sonst sage ich nichts.

Die Sache sei die, sagt Goethe und holt tief Luft, es gebe da dieses Hotel, unweit von Berlin, in das er sich verliebt habe, es sei sein ausgesprochenes Lieblingshotel, obwohl er auf seinen Reisen Hotels eher hassen als lieben gelernt habe, aber dieses Hotel sei eben nicht wie jedes andere und auch nicht wie jene Hotels, die es sich auf die Fahnen geschrieben hätten, nicht wie jedes andere zu sein, dieses Hotel fühle sich nicht einmal an wie ein Hotel, die ganze Philosophie dieses Hotels sei keine Hotelphilosophie, keine des Kommens und Gehens, sondern des Verweilens in einer Landschaft, am Wasser, inmitten von etwas und am Rande der Zeit, man betrete, wenn man dort ankomme, genau genommen kein Hotel, sondern eine eigene Sphäre, eine in sich runde, ruhende Welt, wobei er mich damit nicht langweilen wolle, sagt Goethe, doch er könne mir nur empfehlen – ganz unabhängig von dem Sommerkurs und meiner Entscheidung, ob ich ihn freundlicherweise vertreten würde –, dieses Hotel einmal zu besuchen, es sei ein Muss, er müsse das so sagen, sagt er, auch wenn er Menschen nicht möge, die laufend irgendwelche Dinge zum Muss erklärten, aber dieses Hotel sei wirklich eins, besonders für Schriftsteller, das sage er mir als Kollege und Freund, sagt er, bevor man den Hunderten Hotelromanen dieser Welt einen weiteren Hotelroman hinzufüge oder den tausendundeins Hotelkapiteln der Weltliteratur das tausendundzweite, müsse man in diesem Hotel gewesen sein, sonst habe man keinen Begriff davon, wie oder was Hotel auch sein könne, er hätte es selbst nicht für möglich gehalten, sagt Goethe, man müsse es einfach erlebt haben.

Verstehe, sage ich und klinge verständnislos.

Im Übrigen, wenn er das noch sagen dürfe, sagt Goethe, sei die eigentliche Sensation dieses Hotels, dass es sich nicht als Sensation dar- oder verstelle, die eigentliche Sensation sei die Stille, es sei sensationell still, dieses Hotel, nicht nur im akustischen Sinn, vielmehr sei es in keiner Weise laut, lärmend, marktschreierisch, es spiele sich nicht in den Vordergrund, sondern nehme sich völlig zurück, noch nie habe er ein Hotel erlebt, sagt Goethe, das sich so sehr zurücknehme, anstatt zu renommieren und zu repräsentieren, ein Hotel, das einen nicht mit seiner Hotelhaftigkeit überfalle, in das man sich vielmehr fallen lassen könne im Vertrauen, aufgefangen zu werden, nirgendwo sei er so aufgefangen worden, so sacht, so behutsam, noch nie, denn dieses Hotel wolle eben kein Höhepunkt oder schlimmer noch »Highlight« sein, kein in Anführungsstrichen »Event«, vielmehr sei es das Gegenteil des Eventhaften, des Erregungs- und Ereignisversprechens unserer Tage, es verspreche nicht Spannung, sondern Entspannung, nicht Aufregung, sondern Unaufgeregtheit, und es mache auch kein Aufhebens von diesem Versprechen, sondern gebe es stillschweigend und selbstverständlich, ja, im Gegensatz zu allem anderen, das uns umgebe, umwerbe, umgarne, beanspruche dieses Hotel so gut wie keine Aufmerksamkeit, sondern schone und schenke sie einem für sich, falls ich wisse, was er meine, sagt Goethe, oder anders gesagt, sagt er, der Gast, der in dieses Hotel komme, komme gleichsam zu sich selbst, und zwar nicht in einem Fühlen-Sie-sich-wie-zu-Hause-Sinne, sondern ohne die Beschwernis des Alltags, das Hinderliche, Herunterziehende des Häuslichen, es sei, mit einem Wort, leicht, sagt Goethe, einfach unglaublich leicht, dort zu sein, und genau das sei auch der Unterschied zwischen dem Nachhausekommen und dem Ankommen in diesem Hotel, es sei die totale Erleichterung, das Abfallen aller Dinge, aller Lasten, man komme zu sich, aber auf die leichteste, unbekümmertste Weise.

Was er nicht sage, sage ich. Doch je mehr ich Goethe reden höre, desto weniger traue ich mir zu, ihn zu vertreten, schließlich ist alles, was er sagt, ein potentielles Goethe-Zitat, und ich habe nicht ein Wort mitgeschrieben.

Entschuldigung, es tue ihm leid, sagt Goethe, er sei ein wenig ab- und ins Schwärmen gekommen, das liege in der Natur der Sache, ich möge bitte nichts Falsches denken, er wolle mich auf keinen Fall zu irgendetwas überreden, aber ich müsse das Hotel verstehen, um diesen Kurs zu verstehen, bei dem ich ihn möglicherweise vertreten würde, nach reiflicher Überlegung, wobei ich es mir, ohne ein gewisses Verständnis der Philosophie des Hotels, die auch die Philosophie dieses Kurses sei, gar nicht überlegen könne, jedenfalls nicht reiflich, ich müsse wenigstens eine ungefähre Ahnung haben, in welcher Atmosphäre – mit Betonung auf Sphäre – dieser Sommerkurs stattfinde, in welchem Geist, mit was für Menschen, die auf ihre Art alle dasselbe in dem Hotel suchten wie er, wie, hoffe er, wir, eben nicht die Aufregung und Sensation, sondern den Ausgleich, die Glättung, das Gleichgewicht, und mehr habe es mit diesem Kurs auch nicht auf sich, sagt Goethe, wie das Hotel, so wolle auch der Kurs kein Event, kein Highlight, keine Kurs-Sensation sein, sondern vielmehr eine Art ruhiges, entspanntes, zurückgelehntes Kamingespräch, wenn ich wisse, was er meine, nur eben ohne Kamin, da dieser Sommerkurs der Jahreszeit entsprechend im Freien stattfinde, in der freien Natur unter weißen Sonnenschirmen, Sonnensegeln, auf luftig weißen Tuchstühlen, an einem schlichten weißen Tisch, ja, es sei geradezu Bestandteil dieses Kurses, dass er im Freien stattfinde und nicht in der Geschlossenheit von Räumen mit vier mehr oder weniger fensterlosen Wänden, dieser Kurs solle die Beobachtungsgabe, die Wahrnehmung nicht einengen, sondern öffnen, ausweiten, entgrenzen, sagt Goethe am Telefon, es sei ausdrücklich ein die sinnliche Wahrnehmung bejahender, sich ihr überlassender Kurs, was für den Kursleiter genauso gelte wie für die Teilnehmer, niemand erwarte von ihm oder mir, wenn ich ihn denn vertreten würde, ein Programm, eine Belehrung in Lektionen, eine Anleitung in irgendeiner Form, sondern eben wie bei einem Kamingespräch Gedanken, Erinnerungen, Assoziationen, wie sie beim Blick in die Flammen von selber kämen, dieser Kurs, könne man sagen, sagt er, sei im Grunde nichts als ein gemeinsames Ins-Feuer-Schauen, das nachdenkliche, unaufgeregte Gespräch Ins-Feuer-Schauender, nur ohne Feuer, sondern mit Wasser, mit Blick aufs Wasser, stilles, spiegelndes, sanft dahingleitendes Wasser, ob er schon erwähnt habe, unterbricht sich Goethe, dass das Hotel sozusagen von Wasser umgeben sei, von Flüssen und Fließen, es sei im Wesentlichen ein Wasserhotel, wobei es natürlich auch Kaminfeuer gebe, großzügige, tiefsinnige, raumflutende Feuerstellen, Feuerbühnen mit allen Arten von Flammenspielen, hell lodernden, spitz züngelnden, still glimmenden, das ganze Hotel sei durchzogen von einem feinen Holz- und Kaminfeuerduft, einer unverkennbar wohligen Holz- und Kaminfeuerwärme, und dennoch sei es von seinem Wesen her ein Wasserhotel, Wasser sei das Element, von dem es beseelt sei, an das es sich anschmiege, so wie Wasser auch das Element der Landschaft sei, mit der sich das Hotel zu einer Umarmung des Wassers verbinde, zu einer Heimstatt der Feuertheater und Wassergedanken, und genau darum gehe es auch bei diesem Sommerkurs im Grünen: um Wassergespräche nach Kaminfeuerart, bei denen übrigens gar nicht vom Wasser die Rede sein müsse, im Gegenteil, wenn er von Wassergesprächen spreche, sagt Goethe, meine er das Wasser nicht als Gesprächsstoff, sondern als Ursprung, als Quelle und Welle des Gesprächs, wofür er als Kursleiter noch nie etwas habe tun müssen, genauso wenig wie ich etwas dafür würde tun müssen, wenn ich ihn verträte, denn es ergebe sich so wie der gesamte Kurs aus dem Hotel, da es sich, wie gesagt, um ein Wasserhotel handele, ja, im Grunde sei der ganze Hotelaufenthalt nichts anderes als ein einziges Wassergespräch, sei jeder Gedanke am Tag, jeder Traum in der Nacht vom Wasser inspiriert – jetzt habe er das Wort Inspiration doch nicht vermeiden können, aber das liege in der Natur der Sache, wie gesagt, sagt Goethe, ob ich sonst noch Fragen hätte.

Äh, Fragen, frage ich, ja, ich hätte da schon ein paar Fragen, nur wüsste ich dummerweise im Moment nicht, welche, irgendwie sei ich, höre ich mich sagen, im Laufe unseres Gesprächs unwiderruflich ins Zuhören geraten, in eine Art Empfangsmodus, und vor lauter Antworten auf Fragen, die ich mir noch nie gestellt hätte, seien mir die wenigen Fragen, die ich hätte stellen wollen, leider entfallen.

Ob mir die Aufgabe Sorgen mache, der Inhalt und die Leitung dieses Kurses, fragt Goethe nach einem Moment.

Ja, sage ich, ja, genau.

Oder seien es eher die Leute, die immerhin zahlenden und sich das Hotel leisten könnenden Kursteilnehmer mit ihren Ansprüchen und Erwartungen.

Ja, ja, sage ich, das auch.

Oder hätte ich noch Fragen zu dem Hotel als solchem?

Nein, sage ich, danke, zum Hotel nicht direkt.

Also, sagt Goethe, wiederum nach einer Weile, was die Aufgabe betreffe, könne er mir nur versichern: ein Kinderspiel für jemanden mit meiner Erfahrung, meiner Nähe zu ihm als Schriftsteller und Freund, ja, er sei überzeugt davon, dass ich das aus dem Stand könne, mit einem beherzten Sprung ins kalte Wasser, bei dem ich augenblicklich feststellen würde, dass es eben nicht kalt sei, dieses Wasser, sondern körperwarm und tragend, es schwimme sich sozusagen von selbst, ich müsse weder strampeln noch steuern, um gleichsam den Kurs zu finden, dafür lege er seine Hand ins Feuer.

Ich muss ihm absagen, denke ich.

Und dennoch, sagt Goethe, unabhängig davon, dass ich seine Hilfe nicht benötigen würde, habe er zufällig vorgesorgt, wenn man überhaupt von Vor-Sorge sprechen könne, da er ja nicht vorgehabt habe zu sorgen, weil er fest davon ausgegangen sei, dass er diesen Kurs auch ein drittes Mal geben würde, aber er habe vorgearbeitet, ja, der dritte Sommerkurs stehe bereits, wenn ich so wolle, stehe fix und fertig auf dem Papier, eine seiner leichtesten Übungen, da die beiden ersten Male so inspirierend gewesen seien, um das Wort »fruchtbar« zu vermeiden, inspirierend übrigens für beide Seiten, Kursleiter und Teilnehmer gleichermaßen, um die Formulierung »wechselseitig befruchtend« zu vermeiden, die eine der schlimmsten geisteswissenschaftlichen Sprachentgleisungen überhaupt sei, da würde ich ihm sicher recht geben, er habe sogar früher, wie durch eine Art legasthenischen Schutzreflex, statt »fruchtbar« immer »furchtbar« gelesen, wie anders solle man diese an Hirnrissigkeit nicht zu überbietende Metapher auch verstehen, »furchtbare« Geister seien ihm in seinem Leben zuhauf begegnet, einen »fruchtbaren« Geist habe er noch nie getroffen, Erde sei fruchtbar, Frauen seien fruchtbar, keine Frage, aber welche Art der Besamung, mit Verlaub, solle man sich im Reich der reinen Ideen vorstellen, noch dazu »wechselseitig«, spätestens da müsse sich doch jeder denkende Mensch an den Kopf fassen und fragen, wie das denn gehen solle, bitteschön, Bienen befruchteten Blumen, männliche Samen weibliche Eizellen, einseitig, wenn man so wolle, aber, »wechselseitig«, wo, in Gottes Namen, gebe es denn so was, frage er sich, fragt Goethe.

Ich muss ihm definitiv absagen, denke ich, besser jetzt als gleich.

Damit wolle er keineswegs gesagt haben, beeilt er sich hinzuzufügen, dass der Kurs nicht inspirierend sei, für beide Seiten, er, Goethe, frage sich nur immer wieder, warum die deutsche Sprache sich jedes Mal derart verrenke, wenn es um kreative Prozesse gehe, ausgerechnet eine so Geistes-nahe, so Geist-reiche Sprache wie die deutsche, die es eigentlich besser wissen müsste, und diese Frage habe er im Kurs auch ausdrücklich gestellt, wobei er mit den Kursteilnehmern schließlich darauf gekommen sei, dass sich die deutsche Sprache nicht trotz, sondern gerade wegen ihres Geist-Reichtums so verschämt und stilblütenreich um die eigene Achse winde, wenn sie vom Geist spreche, weil sie dabei immer auch von sich spreche und sich selbst gleichsam peinlich berühre –

Pardon, ich wolle ihn nicht unterbrechen, höre ich mich Goethe ins Wort fallen, das klinge wirklich alles sehr interessant, aber leider, aus Gründen, die weder mit ihm noch mit dem Kurs zu tun hätten, müsse ich absagen, will ich sagen, aber Goethe unterbricht wiederum mich –

Gleich, sagt er, er wolle den Gedanken eben noch zu Ende führen, die wechselseitige Furchtbarkeit der Geister sei nur ein Beispiel dafür, dass man in und mit dem Kurs praktisch über alles reden könne, der nicht mehr und nicht weniger sei als ein sehr offenes Gespräch, nicht nur zwischen allen Beteiligten, sondern darüber hinaus mit der Sprache als solcher, ein Selbstgespräch sozusagen der deutschen Sprache mit sich, und das sei fällig, überfällig, für jeden von uns, ja, gerade als erfahrener Schriftsteller mache man sich in der täglichen Arbeit so vieles nicht bewusst, er nehme sich da keineswegs aus, man schreibe ständig, denke aber nicht mehr über das Schreiben nach, man ringe Tag und Nacht mit der deutschen Sprache, trete aber meist nicht den entscheidenden, erkenntnisbringenden Schritt zurück, bis man den Satz vor lauter Wörtern nicht mehr sehe, die Sprache nicht mehr vor lauter Sätzen, stimmt’s oder habe er recht, und dieser Sommerkurs sei der beste, wenn nicht gar einzige Weg, sich und anderen wieder die Augen und Ohren zu öffnen für eine Sprache, die gerade von der sogenannten »schönen Literatur« am meisten verkannt werde, sagt Goethe und klingt dabei einmal mehr wie ein Zitat seiner selbst, man müsse nicht verschönern, was schön sei, man müsse auch nicht verbessern, was eine viel tiefere Weisheit besitze, es gehe in der, wie er lieber sagen würde, »wahren Literatur« vielmehr darum, die Sprache sprechen zu lassen, ihren ureigenen, unvordenklichen Reichtum an Geist, der vor lauter Formulieren auf Biegen und Brechen viel zu selten zu Wort komme –

Sicher, sage ich, das sei alles hochinteressant, aber ich hätte gar kein Problem mit dem Kurs und schon gar nicht mit ihm, Goethe, oder der Vorstellung, ihn zu vertreten, im Gegenteil, es wäre mir eine Ehre, doch mein Problem sei –

Warum ich nicht »Schwierigkeit« sagen würde, fällt mir Goethe ins Wort.

Warum, tja, frage ich mich selbst, es sei mir in dem Kontext nicht eingefallen, das Einfachste falle einem oft nicht ein, nicht wahr, das sei ja das Problem – oder besser, die Schwierigkeit, ha, ha, lache ich etwas dümmlich.

Und aus dem Grunde hätte ich auch Kontext gesagt statt Zusammenhang, erkundigt sich Goethe, ohne mitzulachen.

Habe ich Kontext gesagt, frage ich, wann?

Gerade eben, sagt Goethe.

In welchem Kon-, in welchem Zusammenhang?

Als ich von »Problem« gesprochen hätte.

Pardon, sage ich, oder dürfe ich auch nicht mehr »pardon« sagen, bestehe er auf »Verzeihung«?

Nicht doch, er bestehe auf gar nichts, sagt Goethe, es falle ihm nur auf, weil es ihm selber so gegangen sei, damals, vor dem ersten Kurs, er habe seinerzeit vor lauter Formulierungsmühen, vor Schreibanstrengung und -erschöpfung kaum noch auf seine Sprache gehört, geschweige denn in sie hineingehorcht, und gerade deshalb sei ihm das Schreiben immer schwerer gefallen, ja, nichts sei kräftezehrender, als gegen die Sprache anzuschreiben, gerade das Missverständnis der eigenen Sprache koste beim Schreiben am meisten Kraft, und je mehr Kraft es koste, desto gewaltigere Missverständnisse bringe es wieder hervor und so fort, kurzum, sagt Goethe, er habe in einem Teufelskreis gesteckt, als Autor stecke man ja ständig in Teufelskreisen, weshalb so ein Kurs nie schaden könne, doch der erste sei für ihn, Goethe, damals der Durchbruch gewesen, der Ausbruch aus dieser Abwärtsspirale von immer größeren Schwierigkeiten und immer tieferer Erschöpfung, und zwar so prinzipiell, dass sich sein Schriftstellerleben seither teilen würde in die Zeit vor dem ersten Kurs und die Zeit danach, in eine schwergängige und eine leichthändige Zeit, denn damals habe er ein für alle Mal aufgehört, der Sprache Gewalt anzutun, er schreibe nicht länger gegen sie, sondern mit ihr, schreibe ihr nichts mehr vor, sondern lausche ihr nach, er sei vom Sprachkünstler und -verkünstler zum Zuhörer und Horcher dessen geworden, was die Sprache ihm sage, sagt er, und das, neben vielen anderen Dingen, habe ihn dieser Kurs gelehrt, jawohl, gelehrt, ohne im Geringsten belehrend zu sein, denn die ganze Natur dieses Sommerkurses sei mitnichten eine belehrende, sondern eine Lernen ermöglichende, er, Goethe, habe in diesem Kurs stets mehr gelernt als gelehrt, er habe ihn stets weniger geleitet als sich von ihm leiten lassen, zu seinem eigenen Vorteil, zum Vorteil aller, denn das hätten sämtliche Teilnehmer bestätigt: Ihnen sei das Schreiben noch nie so leicht gefallen wie in und nach diesem Kurs, noch nie hätten sie sich, nach eigenen Worten, im und beim Schreiben dermaßen erholt, erfrischt und wohlgefühlt, dieser Kurs, habe es ein Journalist einmal auf den Punkt gebracht, sei im Grunde eine Art, Zitat, »Wellness für Schriftsteller«, Zitat-Ende, was das falsche Wort sei an der richtigen Stelle, er selbst spreche lieber von einem Bad in der Sprache, einem sprachlichen Jungbrunnen.

Schön, sage ich, schön und gut das alles, nein, wirklich, ich fände es faszinierend – falls ich »faszinierend« überhaupt sagen dürfe –, oder spannend, auf gut deutsch, was er da sage und wie er es sage, mit welcher Offenheit, Hut ab, nur sei, offen gesagt, meine Schwierigkeit in dem Zusammenhang eine ganz andere, leider, und das sei keine Floskel, sondern so gemeint, wie man ein »leider« nur meinen könne, es tue mir wirklich leid, mir sicher noch mehr als ihm, aber ich könne nicht, sage ich, ich säße an etwas Größerem.

Goethe sagt nichts.

Gut, sage ich, er könne mich jetzt natürlich fragen, warum ich das nicht gleich gesagt habe, mit Recht, aber ich hätte im ersten Moment gar nicht anders gekonnt als ihm zuzuhören, ich sei durch seinen Anruf, wie gesagt, in diesen Zuhörmodus geraten, und ich würde es für meinen Teil auch keineswegs bereuen, ihm zugehört zu haben, im Gegenteil, aber ich würde eben leider an etwas Größerem sitzen, schon seit Längerem, ich säße sogar jetzt, in diesem Moment, daran und ein Ende dieses Sitzens sei nicht absehbar.

Na und, fragt Goethe.

Na ja, sage ich, er habe doch vorhin selbst gesagt, dass ich ihn bei diesem Kurs nur vertreten könne, wenn ich nicht an etwas Größerem säße, aber ich würde an etwas Größerem sitzen, etwas ziemlich Großem sogar, leider –

Wie groß?

Wie bitte?

Wie groß denn das Größere sei, an dem ich sitzen würde, will Goethe wissen.

Verdammt groß, sage ich.

Zu groß, fragt er.

Das wolle ich nicht hoffen, sage ich.

Aber ich wisse es nicht, fragt er weiter.

Wer wisse das schon, frage ich zurück.

Na, dann passe es ja, höre ich Goethe sagen, dann sei der Kurs genau das Richtige, weil er den idealen Abstand schaffe zu dem Größeren, an dem ich säße, nicht zu viel und nicht zu wenig, nicht die Frosch-, aber auch nicht die Vogel- oder besser Storchenperspektive, um mit der Wasserlandschaft des Hotels zu sprechen, ja, gerade dieser Frosch-Storch-Doppelblick setze das Größere ins rechte Verhältnis und erleichtere das Sitzen daran ungemein, es sei denn, es schreibe sich im Moment ohnehin so leicht, dass ich an Schreiberleichterungen keinerlei Bedarf hätte …

Nein, nein, sage ich, nicht doch.

Dann sei ich also gerade in der schwergängigen Phase, erkundigt sich Goethe.

Das könne man so auch wieder nicht sagen, sage ich.

Aber leicht gehe es mir auch wieder nicht von der Hand, oder?

Von der Hand gehe es mir, ehrlich gesagt, gar nicht, sage ich.

Das verstehe er gut, sagt Goethe, genau das habe er sich früher auch immer gesagt, aber man solle sich das Schreiben auch nicht schwerer machen, als es sei, wenn ich wisse, was er meine …

Was er meine, wisse ich schon, sage ich, ich wisse nur nicht, wie.

Na, durch den Kurs, ruft Goethe aus, davon rede er doch die ganze Zeit, genau wie das Hotel dazu da sei, mir das Leben zu erleichtern, sei der Kurs dazu da, mir das Schreiben so leicht wie möglich zu machen!

Aber, sage ich und klinge kläglich, ich könne hier jetzt nicht weg, ich hätte viel zu viel Angst, dass ich, wenn ich einmal aufstünde, mich nie wieder an das Größere setzen würde, an dem ich säße, eben weil es so schwer sei, und dann wäre es um dieses Größere und all die Arbeit und Jahre, die ich schon hineingesteckt hätte, ein für alle Mal geschehen!

Genau seine Rede, sagt Goethe, genauso sei es ihm auch gegangen, dieselben Ängste habe er auch gehabt, damals, vor dem ersten Mal, aber wenn es etwas gebe, das es ihm leichtgemacht hätte, sich wieder an das Schwere zu setzen, dann sei es dieser Kurs, den er nicht umsonst »Leichtschreiben« nenne –

Leichtschreiben, frage ich.

Ja, Leichtschreiben, das sei anfangs nur so eine Art Arbeitstitel oder Phantasiename gewesen, doch inzwischen heiße der Kurs so, ganz offiziell.

Aber Leichtschreiben, rufe ich aus, wenn man von mir etwas nicht lernen könne, dann, wie man leicht schreibt!

Ach, sagt er, das mache gar nichts, bisher sei noch bei jedem in diesem Kurs der Knoten geplatzt, und er spreche da keineswegs nur von den verhältnismäßig gut zahlenden Kursteilnehmern, sondern auch von dem verhältnismäßig gut bezahlten Leiter.

Das sei natürlich ein Aspekt, denke ich laut.

Was denn, fragt er.

Nun ja, ganz wie er sage, sage ich, ein bisschen mehr, äh, Leichtigkeit könne nicht schaden.

Ob das jetzt ein Ja sei, erkundigt sich Goethe.

Es sei zumindest kein Nein, sage ich.

Na also, er habe es doch gewusst, freut er sich, auf mich sei Verlass!

Sicher, sage ich, im Übrigen, ganz nebenbei, wie verhältnismäßig gut sei sie denn, die Bezahlung, nur um das Thema abzuhaken.

Habe er »verhältnismäßig gut« gesagt, fragt er.

Etwas in der Art, sage ich vage.

Ja, also, da habe er sich nicht ganz richtig ausgedrückt, befürchte er, sagt Goethe, die Bezahlung sei eigentlich überhaupt nicht verhältnismäßig, sondern im Gegenteil völlig unverhältnismäßig …

Oh, sage ich.

Gut, beeilt er sich hinzuzufügen, unverhältnismäßig gut.

Ah, sage ich, nicht schlecht.

Aber er wolle mich natürlich nicht drängen oder gar bestechen, sagt Goethe, wenn ich ihm lieber absagen wolle, weil ich seit Längerem an etwas Größerem säße und Angst hätte aufzustehen, weil ich mich sonst nie wieder dransetzen würde, dann müsse er das respektieren.

Ach was, winke ich ab, halb so wild.

Ganz sicher, fragt er.

Darauf könne er Gift nehmen, sage ich.

Danke, sagt Goethe, das werde er mir nicht vergessen, vielen Dank, ob ich denn sonst noch Fragen hätte, zur Leitung oder zum Inhalt des Kurses?

Fragen, frage ich, nein.

Oder zu den Leuten, den zahlenden Kursteilnehmern, darüber hätten wir noch gar nicht gesprochen …

Ach das, sage ich, das würde ich auf mich zukommen lassen, obwohl, fällt mir ein, eine Frage zu den zahlenden Teilnehmern hätte ich doch noch, ähm, wie, also, wie viel müssten sie denn für den Kurs, er wisse schon …

Ob sie so unverhältnismäßig gut zahlen würden, wie ich bezahlt werde, wolle ich wissen, fragt Goethe.

So in etwa.

Das würde er mir lieber nicht sagen, sagt er.

Weil es so viel sei oder so wenig?

Weil ich es, wenn ich es wüsste, lieber nicht wissen wollen würde, sagt Goethe.

Ah ja, sage ich, auch gut.

Entschuldigung, Sekunde, er müsse kurz unterbrechen, unterbricht mich Goethe, er bekomme gerade einen dringenden Auslandsanruf auf der anderen Leitung, da müsse er eben rangehen, natürlich nur, wenn es mir nichts ausmache, er sei gleich wieder da –

Kein Problem, sage ich noch, doch da hat Goethe zum Glück schon aufgelegt. Einen Moment lang betrachte ich den Hörer in meiner Hand, dann stehe ich von dem Größeren auf, an dem ich vermutlich die längste Zeit gesessen habe, und trete hinaus auf den kleinen Balkon mit den Blumentöpfen, aus denen Zigarettenkippen wachsen. Mir ist ein wenig feierlich zumute, als wäre soeben jemand gestorben, der bedeutend größer und lebendiger war als mein Roman. Doch tiefer noch als die Trauer ist die Erleichterung, ab sofort nicht mehr zu den als Schriftsteller getarnten Arbeitslosen nebenan und gegenüber zu gehören, sondern zu der größtenteils werktätigen Bevölkerung auf der Straße unter mir. Wenigstens für die Dauer eines Sommerkurses.

*

Goethe ruft wieder an, Stunden später, nachdem ich mit seinem Anruf und dem Auftrag schon gar nicht mehr rechne, es tue ihm leid, sagt er grußlos, jetzt habe es doch etwas länger gedauert, aber wir seien ja auch so gut wie fertig, oder, fragt er weiter, sei noch irgendetwas unklar mit dem Kurs und dem Hotel …

Nein, nein, sage ich nur.

Dann könne es ja losgehen, sagt er.

Von mir aus, sage ich, jederzeit.

Und morgen passe mir auch wirklich?

Morgen, frage ich.

Habe er das nicht erwähnt, fragt Goethe, dass es schon morgen losgehe?

Doch, doch, sage ich, jetzt, wo er es sage …

Er finde das nämlich keineswegs selbstverständlich, dass ich so von heute auf morgen für ihn in die Bresche springen würde, noch dazu so früh am Morgen, mit Betonung auf »Morgen« und mit Betonung auf »früh«, nicht wahr, sagt Goethe, es gebe sicherlich den einen oder anderen Autorenkollegen, der ihn auch gern vertreten würde, vor allem für das Honorar, aber nicht um die Uhrzeit.

Das spiele keine Rolle, sage ich so bestimmt wie möglich, wie früh am Morgen sei es denn?

Kursbeginn sei um zehn, aber ich müsse ja noch anreisen, und das Hotel sei nicht gerade um die Ecke.

Aber es sei noch immer in der Nähe von Berlin, frage ich schon etwas weniger bestimmt.

Es habe genau den richtigen Abstand, nicht zu nah und nicht zu fern, sagt er, allerdings zähle um die Uhrzeit bekanntlich jeder Kilometer …

Was soll’s, sage, seufze ich, da ich sowieso aufstehen müsse, also von dem Größeren, an dem ich säße, könne ich auch früh aufstehen, man könne sogar sagen, je früher, desto besser.

Richtig, gibt Goethe mir recht, genau so müsse man das sehen, und früher gehe es ja auch kaum, er werde mir noch heute Abend seine Assistentin vorbeischicken für alles Weitere, leider, und das bedauere er mindestens so sehr wie ich, könne er nicht persönlich kommen …

Klar, äh, welche Assistentin?

Die mit der Mappe.

Ah, äh, welche Mappe?

Die vom ersten Mal, mit allen Details, Inhalten und Leitsätzen des Kurses, im Prinzip müsse ich mich nur daran halten, dann könne nichts schiefgehen, das habe er beim zweiten Mal auch so gemacht, aber ich könne es natürlich auch ganz anders machen.

Iwo, sage ich, woher denn.

Wie dem auch sei, fährt er fort, in dieser Mappe stehe alles, was es zum Thema Leichtschreiben zu sagen und zu schreiben gebe, er habe beim ersten Mal buchstäblich die Tinte nicht halten können, eben weil es sich so leicht geschrieben habe, es, wohlgemerkt, habe sich geschrieben, ganz von selbst, er habe nichts erzwingen, nichts ersitzen und ertrotzen müssen, alles übers Leichtschreiben sei ihm, wie zum Beweis seiner Richtigkeit, im Laufe des Kurses einfach so aus der Feder geflossen, aber selbstverständlich handele es sich nur um eine Denkschrift, keine Vorschrift, sagt Goethe.

Selbstverständlich, wiederhole ich, aber man müsse das Rad ja nicht noch einmal erfinden.

Genau das habe er auch gedacht, und deshalb habe er beim zweiten Kurs nicht noch eine zweite Mappe geschrieben, sondern gleich ein Buch, nichts Größeres, einen kleinen Roman, in fünf Tagen, der Mappe sei Dank, aber das wolle ich wahrscheinlich lieber nicht wissen.

Och, sage ich.

Das Beste übrigens sei gewesen, es hätte ihn überhaupt nicht angestrengt und erschöpft, sondern im Gegenteil angeregt und aufgefüllt, er habe den Federhalter nicht einmal abgesetzt, um den einen Roman zu beenden und den nächsten zu beginnen, aber das wolle ich wahrscheinlich noch weniger wissen …

Na, jetzt wisse ich es ja, sage ich.

Doch keine Sorge, sagt Goethe, selbst ein chronischer Schwerschreiber würde mit Hilfe der Mappe oder des Kurses anhand der Mappe zum Leichtschreiber werden, dafür garantiere er, bis zum Beweis des Gegenteils, ja, er selbst, wenn er ins Schwerschreiben verfalle – wovor niemand, auch er nicht, gefeit sei –, würde bisweilen in der Mappe nachschlagen, und er versichere mir, sie habe ihn stets vor jeglicher Schreibhemmung oder Blockade bewahrt, eine Zeitlang sei der Griff zur Mappe geradezu ein Reflex gewesen, wenn er mitten im Satz oder Absatz gestockt oder festgesteckt habe, inzwischen genüge ihm allein das Wissen, dass er jederzeit nachschlagen könne, um so manchen Stau zu lösen und den Schreibfluss wiederherzustellen, und nur darum gehe es, das sei im Grunde das ganze Geheimnis: den Fluss des Schreibens zu entdecken, in ihn einzutauchen, sich von ihm tragen und treiben zu lassen, und nirgendwo auf der Welt, das schwöre er mir, finde man dafür idealere Bedingungen als in dieser Wasserlandschaft, dieser von Flüssen durchzogenen Sphäre, in der alles fließe, auch die Sprache, der Gedanke, das Wort, denn das könne man nur vom Wasser lernen, alles, was man über den Fluss des Schreibens lernen könne, lerne man vom Wasser, sagt Goethe, aber er müsse jetzt wirklich Schluss machen und packen.

Ja, sage ich, ich auch.

Wir verabschieden uns, während ich aus den Augenwinkeln bereits nach meinem Koffer suche, der in irgendeiner Ecke verschimmelt, seitdem ich mich an etwas Größeres gesetzt und nicht mehr getraut habe aufzustehen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, eine sehr lange, sehr dunkle Zeit.

Übrigens, kleiner Tipp, lass den Laptop zu Hause, ruft Goethe mir noch zu, wir haben schon halb aufgelegt.

Wie bitte, frage ich.

Er habe gesagt, ich solle den Laptop zu Hause lassen, sagt Goethe, wenn ich wirklich lernen wolle, leicht zu schreiben, ginge das nur ohne Laptop oder Schreibmaschine, das stehe auch in der Mappe ganz oben auf Seite eins, nicht wahr, ich würde doch mit Laptop oder Schreibmaschine schreiben …

Nun ja, wenn ich schriebe, sage ich, würde ich meist mit Laptop oder Schreibmaschine schreiben, aber die meiste Zeit, wenn ich an etwas Größerem sitzen würde, säße ich einfach nur da.

Sicher, sagt er, jeder habe da so seine eigenen Methoden, und es liege ihm fern, sich in mein Schreiben einzumischen, aber er, Goethe, würde an meiner Stelle Laptop und Schreibmaschine unbedingt zu Hause lassen, nicht nur weil sie buchstäblich zu schwer seien, sondern vor allem weil sie auch das Schreiben erschwerten, in fast jeder Hinsicht, ja, es handele sich dabei bildlich wie buchstäblich um Schwerschreibgeräte, scheinbare Erleichterungen wie so viele technische Errungenschaften, die das Schreiben aber in Wahrheit schwerer machen würden, es entsinnlichten und damit sinnentleerten, es körperlos und damit letztlich auch geistlos werden ließen und den Schreibenden seinem Schreibfluss entfremdeten, sagt Goethe, und genauso habe er das den Teilnehmern beider Kurse auch gesagt, woraufhin übrigens die meisten von ihnen, alle, soweit er sich entsinne, ihre Laptops und Schreibmaschinen im Hotel gelassen hätten, manche sogar für immer.

So, sage ich.

Es sei natürlich nur ein Ratschlag, wie gesagt, ich könne das alles auch ganz anders machen, aber wenn ich gemäß der Mappe vorgehen wolle, womit er, Goethe, immer gut gefahren sei, dann sei das der erste Schritt auf dem Weg zum Leichtschreiben, die allererste und allerwichtigste Lektion: Tinte.

Tinte, frage ich.

Ja, Tinte, sagt Goethe, Tinte sei elementar, wer in den eigenen Schreibfluss eintauchen wolle, müsse in Tinte eintauchen, der müsse zurück zu den Ursprüngen des Schreibens, zurück zum Füllfederhalter, den ersten Bögen und Schwüngen der ins Fließen kommenden Handschrift, so und nur so, so Goethe, bekomme man wieder ein Gefühl für den Fluss des Schreibens, haptisch, händisch, hautlich, man müsse das Fließen der Tinte zwischen den Fingern spüren, in Tuch-, in Fingerspitzenfühlung bleiben mit diesem Strom und Strömen, auf dass es nie abreiße, auf dass ein Wort das andere nach sich ziehe, so wie die Tinte im Fluss und Sog der Niederschrift immer mehr Tinte nach sich ziehe …

Tja, also, einen Füllfederhalter, frage ich mich mehr oder weniger selbst, ich wüsste gar nicht, ob ich so etwas noch hätte, und wenn ja, ob er nicht über die Jahre völlig ein- oder ausgetrocknet sei, und das meine ich nicht metaphorisch, mein Gott, wo solle ich denn jetzt auf die Schnelle einen Füller herkriegen, frage ich mehr oder weniger uns beide, Goethe und mich, oder reiche zur Not auch ein Kuli, ein besserer Kugelschreiber oder feinerer Filzstift.

Ob das mein Ernst sei.

Nein, doch, keine Ahnung, sage ich achselzuckend.

Er habe durchaus etwas übrig für Humor, sagt er, aber nicht in dem Punkt, und er hoffe, er drücke sich klar aus: Wenn er Tinte sage, meine er auch Tinte, und falls ich das Gespür für den Fluss der Sprache wiedererlangen wolle, diesen siebten Sinn dafür, wie sie beim Schreiben nicht nur von der Hand gehe, sondern die Hand auch führe, dann würde er an meiner Stelle auf sich hören.

Natürlich, sage ich.

Es müsse Tinte sein, fährt er fort, nichts anderes, kein »Kuli«, kein »Filzstift«, und Tippen schon gar nicht, es sei eine der größten Verirrungen und Verarmungen unserer Zeit, dass alle Welt nur noch tippen würde und keiner mehr wirklich schreibe, deswegen sei Humor hier völlig fehl am Platz, im Gegenteil, man könne dem Getippse, das man allenthalben sehe oder lese, gar nicht humorlos genug begegnen, alles sei heute getippt, Nachrichten, Mitteilungen, öffentlichste und intimste Bekenntnisse, von der Literatur ganz zu schweigen, gleich welchen Text man heutzutage zur Hand nehme, man könne sicher sein, dass er getippt sei, nicht unbedingt übel, nicht notwendigerweise schlecht, das wolle er gar nicht behaupten, sagt Goethe, aber eben getippt und nicht geschrieben und damit nur eine von Millionen und Abermillionen Zufallsäußerungen dieser weltweiten Tippgemeinschaft, in die wir alle zwangseingemeindet seien, dieser unentwegten Wort- und Informations-Lotterie, bei der man mal so tippe und dann wieder anders, dieses tippe oder jenes, mal richtig, mal falsch, aber immer beliebig und immer beliebiger, wir seien Zufallstipper allesamt, Wortverantwortungslose mit unseren Glückstreffern und Nieten, die uns nicht anzulasten seien, weil wir uns im Zweifelsfall ja nur vertippt hätten, alles, was wir tippen würden, schramme am Rand des Vertippens entlang, und mehr als alles andere sei dies ein Zeichen für das Verschwinden von Bedeutung, für den Schwund von Tiefe und Gewicht: Es gebe auf dieser sich um Sinn und Verstand tippenden Welt keine großen Irrtümer mehr, nur noch Flüchtigkeitsfehler und Flüchtigkeitswahrheiten, ja, was wir vor lauter Tippen und Tappen im Halbdunkeln völlig verlernt und verloren hätten, sei das Gefühl für die Notwendigkeit, die Verbindlichkeit, für die Richtung und Richtigkeit eines Satzes.

Okay, dann wolle ich mir jetzt mal einen Füller anschaffen gehen, sage ich.

Wobei wir nicht glauben dürften, dass es so einfach sei, höre ich ihn fortfahren, vielmehr sei es das Schwerste überhaupt, dem Getippe zu entkommen, weil es uns nicht nur in Fleisch und Blut übergegangen sei, sondern auch unser Denken in einer Weise ver- und umgeformt habe, dass wir zum Schreiben im eigentlichen Sinne kaum noch imstande seien, denn ebenjene technischen Erleichterungen, die er, Goethe, Schwerschreibgeräte nenne und die längst selbstverständlich geworden seien, würden allesamt auf demselben Trugschluss beruhen: der Verwechslung von Leichtigkeit mit Leichtfertigkeit, alles, was der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte gebracht habe, so Goethe, habe das Tippen erleichtert, aber das Schreiben erschwert, habe Leichtfertigkeit verbreitet, aber Leichtigkeit vernichtet, denn was sei ein Wort auf dem Bildschirm anderes als da und gleichzeitig nicht da, es sei überhaupt nur hingetippt und halberschaffen worden in dem Bewusstsein, dass es gleichzeitig da und nicht da stehen würde, dass es zwar auf dem Bildschirm erscheine, aber ebenso schnell auch wieder verschwinde, dass man es hin und wieder weg tippen könne, zurück ins Nichts, aus dem es gekommen sei, so rest- und mühelos, als wäre es nie dagewesen, jedes Wort, sagt er, sei ebenso leicht ausgelöst wie ausgelöscht, jeder Satz ebenso leicht eingegeben wie zurückgenommen, im Grunde sei alles Getippte immer auch seine eigene Zurücknahme, in jedem Hintippen sei das Wiederwegtippen schon enthalten, in jedem Akt des Schreibens schon das Ungeschriebenmachen, und dieses Schreiben und Nichtschreiben, dessen Unsinnigkeit und Unsinnlichkeit man sich in ihrem Ausmaß nicht klarmache, dieses Hinschreiben, ohne geschrieben zu haben, führe immer mehr zu einer Sprache der Spur- und Bedeutungslosigkeit, zu Worten ohne Gewicht, Sätzen ohne Setzung, zu einem Schreiben ohne Bleiben, was in Wahrheit das genaue Gegenteil des Schreibens sei.

Sicher, sage ich, aber da ich mich beim Einkaufen immer etwas schwer täte, ginge ich jetzt besser mal los und –

Heutzutage, übergeht mich Goethe, sei das Wort ja nur noch eine Eventualität, der Satz keine Tatsache, kein Sagen mehr, was Sache sei, sondern nur noch die Möglichkeitsform eines Satzes, wir würden nur noch mit möglichen Sätzen operieren, mit Satzoptionen handeln, was natürlich leicht sei, viel leichter, als selbst Hand an einen Satz zu legen, ihn niederzuschreiben und dingfest zu machen, weil man sich nicht festlegen müsse, auf nichts festgelegt werden könne und den Bereich des Möglichen nie verlasse –

Möglicherweise, flechte ich ein, könne mir auch seine Assistentin, wenn sie sich ohnehin auf den Weg mache, einfach einen Füller mitbringen, irgendeinen, um wie viel Uhr wolle sie denn vorbeikommen?

Und genau das sei der Fehler, redet Goethe unerbittlich weiter, all das wirke zwar leicht, sei aber nicht wirklich leicht, es fühle sich leicht an, sei aber nicht wahre Leichtigkeit, die eben deshalb so schwer zu schreiben sei, weil sie die Wirklichkeit ein- und nicht ausschließe, wahrhaft leicht sei nicht der x-beliebige Satz, sondern der, der gesagt werden müsse, der im Bunde sei mit der Verbindlichkeit, der einer Notwendigkeit folge und ihr entspreche, ja, Leichtigkeit sei im Grunde nichts anderes als beflügelte, fließende Notwendigkeit und damit das Gegenteil einer Zufallsoption, einer nur so dahingetippten, anheimgeschriftstellerten Möglichkeitshülse und Hohlform von Satz, mit der man zwar leichter fertig werde, die aber jedem, der an etwas Größerem sitze, das Schreiben zur Hölle mache und die Hölle zum Schreibtisch, weil sie nichts Zwingendes habe angesichts der unendlichen Fülle von Möglichkeiten und der immer größer werdenden Wahl der Qual, in Wahrheit nämlich sei das Zwingende das Erlösende, so wie in Wahrheit das Notwendige die Seele des Leichten, Spielerischen sei, aber das wisse ich genauso gut wie er, das wisse jeder, dem das Größere, an dem er gesessen habe, schon einmal über den Kopf gewachsen sei, die Möglichkeitsmasse der Varianten und Versionen, dieses Vielzuviel von allem, spätestens dann, so Goethe, lerne man sie wieder zu schätzen, die gute alte Einfachheit, spätestens dann sehne man sich nach der Notwendigkeit in der Leichtigkeit, dem Müssen im Können, dem Satz als Gesetz, der auf dem Papier stehe wie in Stein gemeißelt, o ja, o doch, auch er, Goethe, könne ein Lied davon singen, wie schnell die Vielzahl der Möglichkeiten umschlage in Unmöglichkeit, Leichtsinn in Schwermut, Alleskönnen in Ohnmacht, nicht wahr, zu guter Letzt zeige die Leichtfertigkeit der Tippmaschinen ihr wahres Gesicht, die Fratze der ewigen Unfertigkeit, das könne ich sicher bestätigen, denn wer leicht fertig werde, der werde in Wahrheit nie fertig, weil das Leichtfertige ebenso gut immer so weitergehen könne, weil ohne das Notwendige nichts wirklich endige, sondern sich immer nur um sich selbst drehe in einem Teufelskreis, in dem es keine Richtung, kein Richtig und kein Falsch mehr gebe, sondern nur noch diesen Tanz um eine hohle, sich immer weiter aushöhlende Mitte, sie komme dann so etwa um neun.

Wie, was, wer, frage ich.

Na, seine Assistentin, das sei doch die Frage gewesen, die mit der Mappe.

Ja, richtig, sage ich.

Oder würde es mir so um neun herum nicht passen?

Doch, doch, mit Mappe um neun herum sei prima, höre ich mich Goethe nach dem Mund reden, und er könne ganz sicher sein, dass ich mich von Laptop und Schreibmaschine fernhalten und überhaupt in völliger Tipp-Abstinenz üben würde …