Goldene Ähren - Philipp Kaul - E-Book

Goldene Ähren E-Book

Philipp Kaul

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Beschreibung

Italien 1924: Während politische Kräfte das Land immer weiter in die Diktatur treiben, beschließen ein italienischer Mafioso und eine französische Adelstochter, den Bund der Ewigen Liebe einzugehen. Doch anstelle der luna di miele erwartet das Brautpaar und seine Familien ein unheilvoller Bandenkrieg, der ihre Heimat Sizilien in Brand stecken wird. Zu ihrem Unglück erhebt sich aus der Asche dieser Flammen ein weiterer, unbekannter Feind, der ihnen vor allem eines bescheren wird: Schmerz. "Du denkst, du würdest alle Antworten auf deine Fragen bei mir finden? Welch ein Irrtum. Denn egal was man euch erzählt, ihr seid außerstande, es zu begreifen."

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Dramatis personae

Erster Akt: Initiation

Zweiter Akt: Weite Gefilde umgeben von Gold

Dritter Akt: Die Hochzeit

Vierter Akt: Sizilien in Flammen

Fünfter Akt: Niederlage

Anhang

Dramatis personae

Donatella della Rovere, Contessa – Oberhaupt der

Roverefamilie; Donna Tella genannt

Geronimo di Moro – Ehemann der Contessa und Oberhaupt

der di Moro Familie; Don Nimo genannt

Ernesto Salvatore di Moro – Sohn der Contessa und Don

Nimo

Laura/Laure Evangeline Rombrasteux – Verlobte von Ernesto

Rosa di Moro – Schwester von Ernesto

Luigi Palumbo – Waffenbruder von Ernesto

Celeste Marie Rombrasteux – Mutter von Laura; Madame

Celeste genannt

Robert Jean Rombrasteux – Vater von Laura; Roro genannt

Paullanna Papa, geb. della Rovere – Schwester der Contessa;

Lanna genannt

Antonio Papa – Sohn von Paullanna; Anno genannt

Quadri Giano – Consigliere der Casagrande, Vetter von Don

Nimo

Michelangelo Gennaro – Capo der Corleonesi

Violanda Greco – Consigliere der Grecos

Libero Lorravi – Clanoberhaupt der Lorravis

Ombretta Montanari – Clanoberhaupt der Montanaris

Cesare Mori – der eiserne Präfekt

Giacomo Matteotti – Politiker

und andere (bedeutungslose) Charaktere

Erster Akt

Initiation

Erste Szene – Roma im Mai 1924

Schauplatz: Palazzo Montecitorio. Im Plenarsaal finden feurige Debatten statt. Abgeordnete aller Fraktionen dröhnen, rufen sich zu, wedeln heftig mit den Händen, werfen wuchtig mit Papieren um sich, hämmern auf die Tische. Der Parlamentspräsident ruft mehrmals zur Ordnung auf und lädt den ehrenwerten Giacomo Matteotti, Generalsekretär des Partito Socialista Unitario, zum Rednerpult. Von rechts wird unzufrieden zugerufen.

MATTEOTTI: Meine sehr geehrten Parlamentskollegen und vor allem die wütenden Herren zu meiner Rechten, kein italienischer Wähler hatte in dieser Wahlperiode die Freiheit, nach eigenem Willen und Ermessen zu entscheiden. Kein Wähler hatte die Freiheit, sich die Frage zu stellen, ob er diese Politik, oder besser gesagt, das Regime der faschistischen Regierung billigen würde oder nicht.

Proteste und Zurufe auf der rechten Seite.

MATTEOTTI: Niemand war frei – weil jeder Bürger bereits im Voraus wusste, dass, selbst wenn er es gewagt hätte, für die Oppositionsparteien und ihre Politik zu stimmen, der Regierung eine höchst autokratische Macht zur Verfügung stand, mit der seine Stimme und seine Entscheidung annulliert würde.

Weitere Zurufe von rechts.

MATTEOTTI: Und um diesen Zweck der Regierung zu unterstützen, gibt es eine bewaffnete Miliz.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Ehrenwerter Abgeordneter Matteotti, bleiben Sie beim Thema.

MATTEOTTI: Aber ich spreche zum Thema, Herr Präsident. Ich spreche von den Wahlen – und es gibt eine bewaffnete Miliz. Ihr grundlegendes Ziel ist es, eine bestimmte Regierung und einen bestimmten Regierungschef, der einstweilen zum Oberhaupt des Faschismus ernannt wurde, mit Gewalt zu unterstützen. In ganz Italien, und besonders im ländlichen Raum, waren zahlreiche Soldaten stationiert, das konnten wir beobachten. Und um die Illusion der Einhaltung eines offen verletzten Gesetzes zu erwecken, waren den Gemeinden Listen und Wahlzettel hinterlegt worden. Diese Absicht der Regierung, sich die benötigte Mehrheit mit Gewalt zu erkämpfen, und die Tatsache, dass einer Partei, wie jene zu meiner Rechten, eine solche bewaffnete Miliz zur Verfügung steht, machen klar und deutlich: Die freie Meinungsäußerung des demokratischen Souverän, des Volkes, ist behindert – und die militärische Blockade der letzten Wahl macht sie schlicht und ergreifend ungültig.

FASCHISTISCHER ABGEORDNETER: Es ist Zeit für Sie, zum Ende zu kommen. Sie entwerten das Parlament!

MATTEOTTI: Dann lösen Sie es auf.

FASCHISTISCHER ABGEORDENETER: Sie respektieren die Mehrheit nicht und wollen nicht auf sie hören. Wieso sollen

wir Sie respektieren und Sie anhören, Herr Matteotti?

MATTEOTTI: Ich wiederhole. Die Wahl der Mehrheit ist unserer Meinung im Wesentlichen ungültig.

Weitere Zurufe von rechts.

MATTEOTTI: Ich möchte hier einmal deutlich darum bitten, dass zumindest die Kollegen, über deren Wahl wir hier und heute debattieren, keinen Lärm machen. Danke.

Gelächter von rechts.

MATTEOTTI: Eine Wahl beginnt immer mit einem Wahlkampf. Das heißt: Eine wesentliche Voraussetzung einer Wahl ist, dass jene Kandidaten, die sich zur Wahl aufstellen lassen möchten, ihre Meinung auf öffentlichen Kundgebungen und auch in privaten Veranstaltungen kundtun können. In Italien war dies an den meisten Orten, ja fast überall nicht möglich.

Zustimmung von mitte-links, Proteste von rechts.

MATTEOTTI: In achttausend italienischen Gemeinden wurden die Kampagnenrechte von tausend Oppositionspolitiker und -kandidaten eingeschränkt. Der Beginn des Wahlkampfes 1924 fand in Genua statt mit einer privaten Konferenz auf Einladung eines ehrenwerten Parteikollegen, des Herrn Gonzales. Nun, bevor diese Konferenz überhaupt begann, drangen die Faschisten in die Räume ein und hinderten den Redner mit Gewalt daran, überhaupt den Mund zu öffnen.

FASCHISTISCHER ABGEORDNETER: Das ist eine Lüge!Niemand wurde gehindert.

MATTEOTTI: Gut, dann korrigiere ich: Wenn der ehrenwerte Gonzales mehr als acht Tage im Bett verbringen musste,bedeutet das, dass er sich lediglich verletzt hat und nicht mit einer Brutalität zusammengeschlagen wurde.

Gekicher von links.

MATTEOTTI: Ich stelle hier bloß Fakten dar, meine ehrenwerten Parlamentskollegen. Sie sollten aufhören, sich selbst zu belügen, verehrte Kollegen zu meiner Rechten.

FASCHISTISCHER ABGEORDNETER: Fakten? Er

improvisiert doch nur – das sieht man seinem aufgeregten Gemüt an.

ENRICO GONZALES: Er improvisiert nicht.

MATTEOTTI: Fakten, meine ehrenwerten

Parlamentskollegen. So sage ich, dass den Kandidaten keine Freiheit gelassen wurde, ihre Gedanken der Öffentlichkeit gegenüber frei zu äußern, ja sie konnten nicht einmal frei in ihren Wahlkreisen zirkulieren; rund 60 von 100 unserer Kandidaten. Dies ist das Werk der bewaffneten Miliz, von der ich zuvor gesprochen habe.

Zurufe und Protest von rechts.

MATTEOTTI: Und kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass die faschistischen Soldaten lediglich Vergeltung geübt haben, weil wir, die Oppositionspolitiker, sie dazu provoziert haben. Ihre Miliz stiftet keine Ordnung, sie untergräbt sie.

Heftiger Protest von rechts; von links kommen Zurufe nach rechts.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Ehrenwerter Matteotti, bitte unterlassen Sie unnötige Zuspitzungen und Aufwiegeleien.

MATTEOTTI: Ich widerspreche. Nicht ich bin es, der zuspitzt und aufwiegelt, Herr Präsident. Wenn Sie aber glauben, dass ich das tue, werde ich mich hinsetzen und schweigen.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Also sind Sie fertig? Dann hat der ehrenwerte Rossi das Recht zu sprechen.

MATTEOTTI: Einspruch. Ich berichte nur Fakten, Herr Präsident, und ich habe das Recht, zu sprechen und angehört zu werden, solange ich etwas zu sagen habe.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: sichtlich genervt Nun denn, Herr Matteotti, wenn Sie sprechen möchten, dann fahren Sie fort – aber mit Bedacht.

MATTEOTTI: Ich werde nicht mit Bedacht sprechen, ich werde parlamentarisch sprechen.

Applaus von links und mitte-links, Gelächter von rechts.

MATTEOTTI: Die Kandidaten hatten also keine Bewegungsfreiheit. Viele von ihnen konnten nicht einmal in ihren eigenen Häusern wohnen, nicht einmal umziehen.

Diejenigen, die dort blieben, wo sie waren, sahen bald den Konsequenzen ins Auge. Viele haben die Kandidatur nicht angenommen. Sie waren sich dessen bewusst, dass die Annahme der Kandidatur bedeutet, am nächsten Tag keine Arbeit mehr zu haben, das Land zu verlassen und ins Ausland auswandern zu müssen. Natürlich…

Widerspruch von rechts und wenigen Abgeordneten von mitte-links.

MATTEOTTI: Natürlich, es gehört zum Alltag eines Wahlkämpfers und Politikers, das Schicksal ebenjenes Kampfes zu ertragen. Aber es ist ein schändliches Attentat auf die Demokratie, wenn jegliches oppositionelles Denken in unserem Königreich, ungeachtet dessen, ob es der Wähler oder der Gewählte ist, der oppositionell denkt, militärisch bekämpft und unterdrückt wird. Ja selbst die Presse, die den Bürger über das politische Geschehen und von unterschiedlichen Meinungen und Ansichten unterrichten sollte, ist nicht unabhängig. Denn wie jeder weiß, wurden auch während der Wahlen unsere Flugblätter beschlagnahmt, Zeitungen überfallen und Druckereien zerstört. Zustimmung bei den Oppositionsfraktionen.

MATTEOTTI: Doch in den meisten Fällen bestand keine Notwendigkeit für Sanktionen. Das arme Fußvolk wusste, dass jeglicher Widerstand nutzlos war – es musste sich dem Willen des Stärkeren unterwerfen, dem Gesetz ihrer Herrn, welche vor allen Dingen die Vertreter der faschistischen Bewegung sind.

GIACOMO SUARDO: Der ehrenwerte Matteotti beleidigt nicht uns freigewählte Abgeordnete, er beleidigt das italienische Volk. Im Interesse meiner Würde und der Bürger, die mich und uns gewählt haben, verlasse ich jetzt den Plenarsaal.

Heiterkeit ganz links.

GIACOMO SUARDO: Meine Stadt hat Duce Mussolini auf Knien gepriesen und gelobt. Herr Matteotti berichtet keine Fakten. Er ist ein Lügner. Und ich verlasse nun dieses Haus.

Unzufriedenes Geflüster von rechts.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Ehrenwerter Suardo, bitte kommen Sie zurück.

MATTEOTTI: Wie dem auch sei. Ehrenwerte Parlamentskollegen, wissen Sie, ich möchte mich nicht damit befassen, die faschistische Regierung und ihr politisches System mit einer Plakette zu versehen, die die Verhinderung des Rechts auf Meinung und die Verhinderung des Volkswillens bezeichnet. Tatsache ist, dass diejenigen Menschen, die noch und tatsächlich ihre Stimme frei abgeben konnten, eine sehr kleine Minderheit waren; hier glaubte man, sie seien keine Sozialisten. Denn unsere Männer waren es, wir Sozialisten, die mit Gewalt gehindert wurden. Wir danken dieser kleinen freien Minderheit, mit ihren Stimmen gegen die Unterdrückung des faschistischen Regimes abgestimmt und demonstriert zu haben.

Applaus ganz links. Lärm aus anderen Fraktionen.

MATTEOTTI: erhobener Stimme Deshalb, aus all diesen genannten Gründen, meine verehrten Parlamentskollegen, aus diesen Gründen fordern wir die pauschale Annullierung dieser Mehrheitswahl.

Lauter Applaus von rechts und der Mitte.

FASCHISTISCHER ABGEORDNETER: Müssen wir das ertragen? Einige Abgeordnete scheinen einen kurzen Aufenthalt in der Anstalt zu brauchen und nicht im Parlament.

SOZIALISTISCHER ABGEORDNETER: Da ist Ihre Partei

doch Stammkunde!

MONARCHISTISCHER ABGEORDNETER: Geht doch nach Russland.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Ruhe! Und Sie, Herr Matteotti, kommen zum Schluss.

MATTEOTTI: an die Abgeordneten des Partito Nazionale Fascista

Ihr Beifall zeigt doch nur, wie recht ich habe. Sie lachen über meine Forderungen – über die Forderungen der Opposition. Sie lachen über die Demokratie. Doch Sie werden es bereuen, hören Sie? Sie erklären jeden Tag, dass Sie die Autorität des Staates und des Gesetzes wiederherstellen wollen. Machen Sie

es, solange Sie noch die Zeit dazu haben; andernfalls ruinieren Sie all das, was das innere Wesen, die moralische Vernunft der Nation ausmacht. Machen Sie nicht länger damit weiter, unsere Nation in Herren und Untertanen zu spalten – ein solches System führt zu Zügellosigkeit und Aufruhr. Jedoch, wenn jedoch Freiheit gewährt wird und das Ausleben demokratischer Prinzipien, dann mag es zwar zu Fehlern und vorübergehenden Ausschreitungen kommen, ja, aber das italienische Volk hat bewiesen, dass es diese selbst korrigieren kann. Ja! Unsere Leute erholen sich, sie bilden sich weiter, auch durch unsere Arbeit hier. Aber Sie, die dort sitzen zu meiner Rechten, Sie wollen uns zurückdrängen.

Protest und Zwischenrufe der Abgeordneten des PNF.

MATTEOTTI: Wir, die Parlamentarier, wir, die Sozialisten, verteidigen die freie Souveränität des italienischen Volkes, dem ich im Namen meiner Partei herzlichste Grüße sende, und wir glauben, dass wir die Würde unseres Volkes wiederherstellen werden, indem wir den Wahlrat auffordern, die von Gewalt betroffenen Wahlen zu annullieren. Jetzt und unverzüglich. Vielen Dank.

Applaus vom linken Teil des Plenarsaals, Protest und Zurufe von rechts. Einige Abgeordnete des PNF stehen auf und verlassen empört den Saal. Der Parlamentspräsident wirft einen raschen, hilflosen Blick auf Benito Mussolini, der ihn bereits ansieht und ein Handzeichen gibt.

PARLAMENTSPRÄSIDENT: Danke, Herr Abgeordneter Matteotti. Ich erteile nun dem ehrenwerten Rossi das Rederecht.

Zweite Szene

Die Sitzung ist vorbei, die Abgeordneten verlassen den Palazzo. Giacomo Matteotti, Enrico Gonzales und zwei Leibwächter laufen eine Seitenstraße neben dem Palazzo entlang.

GONZALES: Mussolini hatte bei Ihrer Rede keinerlei Mimik gezeigt, Giacomo.

MATTEOTTI: Heute hat dieser sogenannte Duce del Fascismo sehenden Auges die Stärke und Robustheit der Opposition erfahren. Die Demokratie lässt sich nicht so leicht herunterkriegen, Enrico. Fürs Erste mag die Wahl so vonstattengegangen sein, aber wir werden nie aufhören, uns zu widersetzen. Ich hoffe auf den Rückhalt der Partei.

GONZALES: Wir stehen hinter Ihnen.

MATTEOTTI: Bereiten wir eine Tagung der Partei vor, es wird Zeit, dass wir Kampagnen gegen die Regierung und die Wahl starten.

Ihnen kommen zwei junge Männer mit ernster Miene und in dunklen Anzügen entgegen, ihre Namen lauten Ernesto und Antonio. Die Leibwächter stellen sich vor Matteotti und Gonzales.

ERNESTO: Ich gratuliere, Herr Matteotti, für die ergreifende Rede.

Die Leibwächter halten sie zurück.

MATTEOTTI: Meine Herren, was wollen Sie?

ERNESTO: Wir sind hier, um Sie abzuholen, Herr Matteotti. Sie erinnern sich an den Briefwechsel mit Don Nimo?

MATTEOTTI: grübelt

GONZALES: Giacomo, kennen Sie diese Männer?

MATTEOTTI: Don Nimo, der Name ist mir nicht unbekannt. Ich hatte vor längerem einen recht interessanten Briefverkehr.

ANTONIO: räuspert sich Vielleicht können wir uns unter acht Augen unterhalten.

MATTEOTTI: drängt sich durch die Leibwächter und die beiden Herren Es tut mir leid, aber ich habe derzeit Arbeit zu erledigen. Berichten Sie Ihrem Don Nimo, er könne in Zukunft nicht auf meine Unterstützung hoffen.

ERNESTO: Es ist sehr dringend, Herr Matteotti. Wollen Sie

wirklich ein Treffen mit Don Nimo verpassen?

MATTEOTTI: hält inne Ich möchte nichts mit Ihren Machenschaften zu tun haben.

ERNESTO: Selbst wenn es um die Sicherheit der Nation geht, um den… Erhalt der Demokratie?

MATTEOTTI: dreht sich um und tritt ganz nah an Ernesto heran Seit wann schert sich Ihresgleichen um den Erhalt der

Demokratie?

ANTONIO: Wir werden uns nicht wiederholen.

ERNESTO: Und im Übrigen ist die Einladung von Don Nimo keine Bitte.

MATTEOTTI: Keine Bitte? Das ist so lächerlich, dass es beinahe interessant ist. Wenn ich zusage, wohin bringen Sie

mich dann?

ERNESTO: Kennen Sie das Café Frutticello?

Dritte Szene

Ein schwarzer Bentley hält vor dem Café Frutticello, die Abenddämmerung lässt die Straßen erröten. Ernesto, Antonio und Giacomo Matteotti steigen aus dem Wagen aus.

MATTEOTTI: Nun denn, bringen Sie mich zu dem geheimnisvollen Don Nimo, der mich so dringend sehen möchte.

ERNESTO: Er befindet sich im Café. Hält Matteotti die Türen ins Café auf

MATTEOTTI: Werde ich dieses Café lebend verlassen? ERNESTO: Wir sind keine Mörder, Herr Matteotti. Wir sind Geschäftsleute.

MATTEOTTI: In Ihrem Jargon bedeutet Mord doch Geschäft. Die drei Herren betreten das Café Frutticello. Ein verdunkeltes, leicht geheimnisvolles Ambiente umfing das Interieur, die livrierten Kellner und Männern mit ernsten Blicken und in dunklen Anzügen, die entweder Canasta spielen oder sich bei Gläsern provenzalischen Sekts unterhalten, werfen alle gleichzeitig einen Blick auf die Eingetretenen und beenden kurzzeitig ihre Gespräche und Spiele.

ERNESTO: Wie Sie sehen, erwartet man Sie mit größter Neugierde.

MATTEOTTI: Neugierde? Der Mann dort drüben sieht aus, als würde er mir die Kehle durchschneiden wollen.

ERNESTO: Das ist Vittore – er ist blind.

MATTEOTTI: Ach so.

ANTONIO: Gehen wir weiter. Don Nimo erwartet uns. Die drei Herren schlängeln sich durch das Etablissement, bis sie an einen großen Tisch im hinteren Teil des Cafés ankommen, an dem mehrere Personen sitzen und sich dezent unterhalten. Sie sitzen alle um den Capo herum, der den drei angekommenen Herren mit dem Rücken gekehrt saß.

ERNESTO: spricht den Capo an Don Nimo, wir haben ihn hergebracht.

Don Nimo erhebt sich vom Tisch und dreht sich ohne auch nur Mimik zu zeigen um. Seine markanten Augenbrauen, kantigen Gesichtszüge und sein kalter, starrer Blick verleihen ihm den Habitus eines skrupellosen, sizilianischen Mafia-Bosses, der mit einer bloßen Fingerbewegung Berge räumen kann. Die Augen des Capo mustern den sozialistischen Abgeordneten. Dann spitzt er seinen moustachierten Mund und lächelt trocken.

DON NIMO: Es freut mich, Ihnen nun von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, ehrenwerter Herr Matteotti. Er reicht Matteotti die Hand Ich hoffe doch, Sie sind ohne Schwierigkeiten hierhergekommen und verkraften dieses unser kleines Intermezzo. Im Namen meiner Familie versichere ich Ihnen, es wird sich lohnen, für uns alle.

MATTEOTTI: schüttelt die Hand des Capo Nun denn, ich bin ein beschäftigter Mann. Aber Sie scheinen wirklich mit mir reden zu wollen. Fahren Sie fort, Don Nimo.

Don Nimo zeigt Matteotti einen Sitzplatz ihm gegenüber. Sie setzen sich, Ernesto und Antonio setzen sich neben Don Nimo.

DON NIMO: Es spricht sich bereits herum, Herr Matteotti. Ich meine Ihre Rede heute vor dem Parlament. Damit haben Sie wortwörtlich Wellen geschlagen. Aber nicht nur wir haben das mitbekommen – auch Ihre Gegner.

MATTEOTTI: Worauf wollen Sie hinaus?

DON NIMO: Benito Mussolini, einstweilen ein selbstproklamierter Duce, wird Ihre Rede als eine Saat empfinden, eine Saat, mit der Sturm geerntet wird.

MATTEOTTI: Was soll die Metaphorik?

DON NIMO: Meinen Informanten in der Regierungsebene ist es gelungen, einige wichtige Pläne zu entdecken, Pläne, die in

den Hinterzimmern Mussolinis geschmiedet werden und wurden. Ich rede nicht von harmlosen Politgeschäften. Es geht um mehr, um sehr viel mehr. Und all das hängt mit Ihnen zusammen, nicht nur mit der politischen Opposition im Parlament, sondern mit den Andersdenkenden im gesamten

Königreich.

MATTEOTTI: Es ist kein Geheimnis, dass die Regierung Mussolinis der Opposition gegenüber feindlich eingestellt ist.

DON NIMO: Herr Matteotti, es geht um viele Menschenleben. Denn Willkür ist auf dem Marsch, die bestehende Ordnung zu zerbrechen. Willkür gepaart mit militärischem Größenwahnsinn.

MATTEOTTI: Was meinen Sie damit?

DON NIMO: Mussolini wird nicht davor zurückschrecken, all diejenigen, die sich gegen seine Machenschaften erheben, aus

dem Weg zu räumen. Sie und Ihre Parteikollegen haben es selbst an den Wahlkämpfen gesehen. Das war erst der Anfang. Ich kann Ihnen alle Informationen über die Vorhaben der Regierung beschaffen, Herr Matteotti, damit Ihnen der Ernst der Lage bewusst wird. Und damit Sie zusammen mit meiner Familie diese Regierung aufhalten.

MATTEOTTI: Wollen Sie einen Putsch? Dann sind Sie nicht besser als Mussolini.

DON NIMO: Es geht nicht darum, besser oder schlechter zu sein, Herr Matteotti. Ich habe Ihnen soeben ein Angebot gemacht, ein Geschäft unter zivilisierten Leuten, die ein

gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich die Welt zivilisiert zu belassen.

MATTEOTTI: Ich bin mir nicht sicher, inwiefern ihre Familien zivilisiert sind. Aber Sie haben recht, was die Bewahrung der Zivilisation betrifft. Welche Art von Geschäft steht Ihnen denn im Sinn?

DON NIMO: Wir beide werden davon profitieren. Und ich komme gleich auf den Punkt.

Ernesto und Antonio stehen auf und distanzieren sich vom Tisch.

ANTONIO: Ist etwas, Cousin Erno?

ERNESTO: Vater weiß Bescheid, dass ich jetzt gehen muss. Ich

wollte, dass du mich begleitest.

ANTONIO: Wohin gehen wir?

ERNESTO: Du erinnerst dich doch noch an die Tochter der französischen Adelsfamilie?

ANTONIO: Familie Rombrasteux?

ERNESTO: Genau. Ich werde die Tochter zu meiner Frau nehmen. Und wir werden sie sogleich empfangen.

ANTONIO: überrascht Das hatte ich gar nicht gewusst. Aber ich gratuliere dir, Erno. Das ist eine noble Familie und gewiss wird es eine glückliche Ehe.

ERNESTO: Ich danke dir, Anno. Fahren wir jetzt zum Bahnhof. In wenigen Augenblicken müsste der Express hier sein.

Die beiden verlassen das Café Frutticello, während Don Nimo und Giacomo Matteotti weiterhin im Geschäftsgespräch vertieft sind.

ANTONIO: Bist du aufgeregt?

ERNESTO: Weshalb?

ANTONIO: Der Ehe wegen.

ERNESTO: Ich bin mir nicht sicher. Fängt an zu grinsen Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Ehe nicht so ist, wie alle immer sagen.

ANTONIO: Wie sagen alle denn immer?

ERNESTO: Die Alten sprechen natürlich von Verpflichtung, Anständigkeit und solcherlei. Gleichaltrige Genossen wirken skeptisch.

ANTONIO: Skeptisch?

ERNESTO: Ja, ich weiß nicht. Skeptisch. Oder vielleicht will die Jugend einfach nur rebellisch bleiben.

ANTONIO: lacht Na dann, los gehts.

Vierte Szene

Im Speisewaggon eines Metropolzuges, der sich eilend und zischend auf den Gleisen fortbewegt und der Roma Capitale nähert, sitzen an einem Tisch auf der einen Seite die prunkvoll und teuer bekleidete Familie Rombrasteux, bestehend aus Madame Celeste, Robert Jean Rombrasteux oder Roro genannt und Laure, auf der anderen Seite ein älteres, französisches Paar, das gebannt den Worten der sprachkräftigen Celeste Rombrasteux lauscht.

MADAME CELESTE: Wie dem auch sei. Da saß ich am Ende mit der Gräfin und habe diesen Kontrakt unterzeichnet.

Natürlich sind wir keine Autokraten. Laure durfte selbst entscheiden, ob ihr dieses Bündnis gefällt oder nicht. Und

siehe da, sie hatte nichts einzuwenden.

RORO: Nun sind wir auf dem Weg nach Sizilien. Der Sohn der Gräfin wird uns hier in Rom empfangen und zu ihrem Heimatort begleiten.

Das ältere Paar ist begeistert und gratuliert Laure.

MADAME CELESTE: Ich muss Ihnen noch die Bilder von Sizilien zeigen, die uns unser künftiger Schwiegersohn geschickt hat. Das Gefilde ist wahrlich betörend, das Meer ein hinreißender Anblick. Ich kann es kaum erwarten, mich zu entblößen und in das Dickicht von H Zwei O zu werfen.

Die ältere Dame des Pärchens zog die Brauen zusammen.

MADAME CELESTE: Aber nein, selbstverständlich ist unsere Reise rein geschäftlicher und »familiärer« Natur. Die Hochzeit

von Laure und – wie heißt noch einmal der Junge?

RORO: Ernesto.

MADAME CELESTE: Sehr richtig. Die Hochzeit von Laure und Ernesto muss erst geplant werden, es wurde schließlich überhaupt nichts vorbereitet.

Das ältere Paar nickte.

RORO: reibt sich die Hände Ach das wird ein Spaß. Die vielen Kleider, die vielen Blumen, die prickelnden Weine und die köstlichen Speisen.

MADAME CELESTE: Es wird ein einmaliges Erlebnis sein – für uns alle. Das ältere Paar gratuliert den Dreien. Der Zug pfiff auf einmal, es zischt und knirscht – allmählich verlangsamt sich der Zug.

RORO: schaut aus dem Fenster Wir sind sogleich da. Laure, halte Ausschau nach deinem Verlobten.

LAURE: Ich weiß doch nicht, wie er aussieht.

RORO: Ach ja, stimmt.

MADAME CELESTE: Die Gräfin und ihr Gatte sind anmutige Menschen mit namhafter sizilianischer Grazie. Schaut schlicht nach einem athletischen, jungen Italiener aus und wir haben unseren Emil.

LAURE: Er heißt Ernesto.

MADAME CELESTE: Aber ja doch. Der Metropolzug kommt im Bahnhof der Roma Capitale an und mit einem dampfenden Getöse zum Stillstand. Die Rombrasteux Familie und das ältere Paar verabschieden sich und gehen getrennte Wege.

MADAME CELESTE: Roro, sag diesem livrierten Herrn, er möge unser Gepäck holen und uns begleiten.

Roro bittet das Zugpersonal um Hilfe. Sie verlassen nun den Zug und stehen auf dem lebendigen Gleis voll Menschen, die mit ihren

Koffern und Taschen umherirren.

MADAME CELESTE: sieht sich um Laure, siehst du jemanden, der gebannt nach adligen Parisern sucht?

LAURE: sieht sich auch um Hier scheint uns jeder anzuschauen, und hier sehen nun mal alle sehr italienisch aus. Jemand erscheint hinter ihnen. Es sind Ernesto und Antonio.

ERNESTO: Wir sehen nicht italienisch aus, eher sizilianisch.

Überrascht begrüßt Familie Rombrasteux die beiden.

MADAME CELESTE: lässt sich von Ernesto die Hand schütteln Sieh an, genau so jemanden haben wir erwartet. Zwinkert Laure zu

ERNESTO: nimmt Laures Hand und führt sie an seine Lippen Schön, dich zu sehen.

LAURE: schmunzelt freundlich und schüchtern

ERNESTO: errötet und wirkt sprachlos bei dem Anblick ihres Lächelns

ERNESTO: in Gedanken Was ist das für ein Lächeln?

MADAME CELESTE: zu Antonio Und ich nehme an, Sie sind der Chauffeur?

ANTONIO: grinst Eher der Cousin. Aber ich kann auch den Wagen fahren, wenn Sie möchten.

ERNESTO: kann seinen Blick von Laures Lächeln nicht abwenden

MADAME CELESTE: Amüsant. Aber die Zugfahrt war alles andere als amüsant. Zwar hatten wir gute Gesellschaft, aber das Abteil und die Speisen – nun ja, Sie wissen sicher, was ich meine.

ANTONIO: nickt grinsend

ERNESTO: in Gedanken Wie kann… ein Lächeln so schön sein?

LAURE: sieht Ernesto nun etwas verwundert an Habe ich etwas in meinem Gesicht?

ERNESTO: errötet noch mehr Aber nein. Doch, eigentlich schon. Aber nein. Ich meinte…

MADAME CELESTE: Mein lieber Emmanuel, ich störe euch beide ja ungern beim Plaudern. Doch unsere Mägen

verlangen einen Tribut nach dieser langen Reise und den schlechten Speisen.

ERNESTO: Selbstverständlich. Bitte, kommt mit. Mein Vater hat einen Tisch in dem nobelsten Restaurant Italiens, wenn nicht sogar der ganzen Welt, reserviert.

Die Familie folgt Ernesto und Antonio aus dem Bahnhof.

LAURE: hält Madame Celeste auf Mutter, bitte. Er heißt Ernesto.

Nicht Emil, nicht Emmanuel. Ernesto. Das ist nicht nur unhöflich, sondern arrogant.

MADAME CELESTE: aufgebracht Du liebe Zeit, aber natürlich.

Verzeih mir. Ernesto – das merke ich mir. Ernesto. Ernesto.

Fünfte Szene

An einer Hauptstraße nahe des Ponte Sant’Angelo halten zwei Wägen vor dem höchstberühmten Ristorante da Maestro, ein livrierter Herr öffnet Madame Celeste und Roro die Tür, Ernesto steigt aus und öffnet Laure die Tür.

MADAME CELESTE: schaut sich die Fassade des Restaurantgebäudes an Das hat wahrlich Geschmack.

ERNESTO: Es gehört der Frau des Vetters meines Vaters. Von der Kritik in keiner Weise kritisiert – hier gibt es Speisen, die den Mägen der Familie Rombrasteux würdig sind.

RORO: Es ist sehr nett, dass dein Vater uns das gönnt, Ernesto. Kommt er denn auch?

ERNESTO: Ich bin mir nicht sicher, er hat noch Geschäftliches zu erledigen.

Der livrierte Herr öffnet die Türen ins Restaurant.

ERNESTO: Nun denn, tretet bitte ein. Die Familie Rombrasteux betritt das Ristorante da Maestro. Ernesto hält Antonio vor den Türen auf.

ERNESTO: Anno, hättest du geglaubt, dass Laure so ist, wie sie ist?

ANTONIO: grinst Wie ist sie denn, Erno?

ERNESTO: begeistert Wie aus einem Märchen.

Die beiden betreten nun das Ristorante. Drinnen erwartet sie ein langes Foyer mit Springbrunnen, porzellanen Statuetten, von Meisterauge erwählten Blütendekorationen, filigranen Arkaden und am Ende des Foyers ein offenes Tor, das in einen betischten Ballsaal führt. Familie Rombrasteux erstaunt bei diesem Anblick – natürlich sind Adlige ihres Kalibers an derartige Etablissements gewöhnt. Sie werden vom Oberkellner begrüßt und in den Ballsaal zu einem Rundtisch geführt. Im Zentrum des Saals befindet sich ein weiter Kaskadenbrunnen mit klarem Wasser, auf der Tribüne beginnt ein Orchester den ersten Satz Antonio Vivaldis »La primavera« zu spielen. Die Familie setzt sich hin, Ernesto und Antonio sitzen Laure gegenüber. Der Oberkellner verteilt die Menükarten.

ERNESTO: Diese Menükarten sind wirklich schön angefertigt, man könnte sie als Souvenir zu Hause aufstellen lassen. Ein wohlgenährter kleiner Herr mit spitzen Schuhen, Ziegenbart und einer runden Brille, die leicht verdunkelt ist und seine Augen weniger sichtbar macht, stolziert ihnen entgegen.

ERNESTO: erhebt sich erfreut von seinem Stuhl Das ist er, der Vetter meines Vaters und Gemahl der Restauranteigentümerin.

QUADRI GIANO: verbeugt sich Mesdames et Messieurs, bienvenue dans notre modeste restaurant. Cela est un honneur pour moi de pouvoir accueillir une si noble famille.

MADAME CELESTE: geschmeichelt O wie großzügig. Und Ihr Französisch ist wahrlich ausgefeilt.

QUADRI GIANO: Mein Name ist Giano, Quadri Giano. Im Namen meiner wundervollen Gemahlin Giano, Romina Giano, begrüße ich Sie alle und wünsche einen sehr schönen Aufenthalt im Ristorante da Maestro.

ANTONIO: Quadri, setz dich doch zu uns.

MADAME CELESTE: Wir werden uns an Ihrer Gegenwart sicher delektieren, Monsieur Giano.

QUADRI GIANO: greift sich einen Stuhl Ein Gläschen wird nicht schaden. Setzt sich zwischen Madame Celeste und Roro; zuRoro Trinken Sie Roten?

RORO: hustet grinsend Ich bin schließlich nicht umsonst Pariser.

Der Oberkellner erscheint erneut, um die Bestellungen und Wünsche aufzunehmen.

QUADRI GIANO: zum Oberkellner Holen Sie bitte unseren

Hauswein, den roten.

Der Oberkellner nickt.

LAURE: Ich hätte sehr gerne das »Piccolo Mediterraneo«.

ERNESTO: Ich nehme dasselbe.

Der Oberkellner nickt.

ANTONIO: Heute bitte den großen Salat und eine Limonade.

Der Oberkellner nickt.

MADAME CELESTE: blättert durch die Menükarte Ja, ich nehme ebenfalls den großen Salat und das »Grande Macellaio«, aber ohne die Champignons bitte, und ebenso das »Piastra Grande«, den gewürzten Taler und zwei »Estratto di

Lavanda«. Zu Roro Nehmen wir noch etwas zur Nachspeise? RORO: nickt

MADAME CELESTE: Also zwei Creme-Soufflés nach Nonna Fridas Art und diese hausgemachte Sahnetorte als Ganzes. Aber bringen Sie sie uns erst, nachdem wir mit dem Hauptgang fertig sind.

Der Oberkellner nickt, sammelt die Menükarten ein und verschwindet.

ERNESTO: Nach dem Essen werden wir mit dem Express in den Süden fahren und mit einer Fähre von Kalabrien nach Syrakus.

RORO: nickt Gut zu wissen.

MADAME CELESTE: stupst Quadri Giano mit dem Ellenbogen an Der junge Erwin, räuspert sich der junge Ernesto und meine bezaubernde Tochter werden den Bund eingehen.

LAURE und ERNESTO: ihre Blicke treffen sich, beide erröten QUADRI GIANO: Ich habe von der Vermählung gehört.

Meine Gemahlin und ich sind zu dem Hochzeitsfeste eingeladen. Zu Ernesto und Laure Und wir kommen sehr gerne.

ERNESTO: Danke, Quadri. Das wissen wir zu schätzen. Und mein Vater wird sich freuen.

MADAME CELESTE: schaut sich um Monsieur Giano, wie lange benötigen Ihre Köche für die Speisen?

Quadri Giano und Madame Celeste unterhalten sich über den Service, während Ernesto zu Laure spricht.

ERNESTO: Du, möchtest du vielleicht zu diesem Brunnen? LAURE: schaut abwechselnd zu Ernesto und dem Kaskadenbrunnen Nun ja, wieso nicht.

Sie stehen beide auf und begeben sich zum Brunnen. Ernesto lehnt sich an der Brunnenbrüstung an.

ERNESTO: Sehr schön, findest du nicht?

LAURE: betrachtet das ruhige Fließen des klaren Wassers, wie es leise rauschend von ganz oben Plattform um Plattform hinunterfließt und im großen Becken mündet, um dann wieder ganz oben von einem Speier fontänenhaft ausgespien zu werden Es ist sehr beruhigend. Aber auch schön, das stimmt. ERNESTO: Nicht vieles ist schön auf der Welt – aber vor kurzem bin ich etwas viel Schönerem begegnet.

LAURE: Wovon sprichst du?

ERNESTO: schmunzelt Das weißt du. Atmet auf Laure, ich muss dir etwas ehrlich und offen sagen.

LAURE: fährt sich mit ihrer Hand durch die Haare und richtet sie anschließend wieder

ERNESTO: Bisher kennen wir uns nur aus Briefen. Und selbst dadurch kennen wir uns kaum. Ich meine, natürlich kennen wir uns, aber nicht so wirklich. Das ist ja auch das erste Mal, dass wir uns sehen.

LAURE: verschränkt ihre Arme hinter dem Rücken und schaut sich weiterhin die Kaskade an

ERNESTO: wird verlegen Das heißt nicht, dass das schlecht ist.

Nein, ich finde dich sogar sehr sympathisch.

LAURE: hebt leicht die Brauen

ERNESTO: schluckt Ich meine, sympathisch und sehr anziehend. Wirklich, Laure, du bist eine sehr schöne Frau.

LAURE: schmunzelt leicht Du bist sehr direkt mit deinen Komplimenten.

ERNESTO: wird noch verlegener Ist das schlecht?

LAURE: beginnt leise zu lachen

ERNESTO: lächelt innerlich Ich sage eben, was ich auf dem Herzen habe.

LAURE: Natürlich. Ich habe das nicht als schlecht beschrieben. Deine Art amüsiert mich ein wenig.

ERNESTO: kratzt sich am Hinterkopf Das ist dann wohl ein Kompliment.

LAURE: Der Herr weiß seine Stimme zu benutzen, Ernesto. Die Dame weiß seine Worte zu hören. Ich verstehe, was du mir sagen möchtest. Und ich pflichte dir bei – es wäre für uns

beide das Beste, würden wir uns näher kennenlernen.

Letztlich werden wir in Bälde den Bund eingehen.

ERNESTO: freut sich Ja, lass uns das machen.

LAURE: schenkt Ernesto ihr Lächeln

ERNESTO: in Gedanken Nicht schon wieder dieses Lächeln. Wenn sie mich noch weiter so anlächelt, schmelze ich noch hin.

LAURE: sieht jetzt hinüber zu ihrem Tisch Unsere Speisen werden gebracht.

ERNESTO: Tatsächlich. Lass uns später noch einmal reden. Die beiden kehren zum Tisch zurück, an dem bereits der Oberkellner und zwei weitere Kellner die Speisen und Trunk auslegen. Ernesto setzt sich wieder neben Antonio hin.

ANTONIO: flüsternd Und? Was hat sie gesagt?

ERNESTO: sieht Laure zu, wie sie sich hinsetzt; stolz Wir sind einer Meinung.

ANTONIO: sieht ebenfalls zu Laure Verstehe.

MADAME CELESTE: sieht sich die gebrachten Speisen an Der Anblick ist wahrlich himmlisch. Ich kann es kaum erwarten, von all dem zu kosten.

QUADRI GIANO: Meine Gemahlin ist sehr geübt, was die Ästhetik und die Perfektion ihrer Arbeit angeht – in jeder Hinsicht geübt.

MADAME CELESTE: zu Laure Habt ihr etwas Wichtiges besprochen, du und macht eine kurze Pause Ernesto? LAURE und ERNESTO: ihre Blicken treffen sich und sie schmunzeln sich an

LAURE: Ich werde dir später davon erzählen.

MADAME CELESTE: hebt die Brauen O, wir sind nun

klandestin geworden?

RORO: lacht

OBERKELLNER: räuspert sich auf manierliche Weise Ich bitte um Entschuldigung für diese Unterbrechung. Eine Nachricht hat unser Büro erreicht. Don Nimo möchte Ihnen allen mitteilen, dass er es rechtzeitig zu dem Essen nicht schafft. Er wird erst später erscheinen können.

MADAME CELESTE: Ach, der beschäftigte Don Nimo wird uns mit seiner attraktiv ominösen Anwesenheit also doch noch beehren?

ERNESTO: sieht Antonio an Das wussten wir alle nicht – dass er überhaupt kommt.

RORO: zu Quadri Giano Dann brauchen wir eine weitere Flasche des Hausweins.

Sechste Szene An einem Tisch im hinteren Teil des Café Frutticello sitzen die Mafiosi und der Capo, Don Nimo, mit Giacomo Matteotti und beenden ihren Geschäftsdiskurs.

MATTEOTTI: Es tut mir leid. Ihre Vorschläge und Pläne sind möglich, aber nicht realisierbar. Zumindest nicht mit mir und meiner Partei.

DON NIMO: hebt die Brauen Sie haben noch nicht alle Seiten dieser Initiative beleuchtet, Herr Matteotti.

MATTEOTTI: Ich bin ein Demokrat, Don Nimo. Nicht nur bin ich der Menschlichkeit verpflichtet. Menschlichkeit, Don Nimo, ist Ihnen dieser Begriff bekannt? Ich bin auch und vor allem dem geltenden Recht verpflichtet und untergeordnet. Eher werde ich am helllichten Tage auf der Straße entführt und ermordet, als mich diesem Pakt von Gesetzlosen und Kriminalbesoffenen anzuschließen.

DON NIMO: immer noch ernst und kühl Ich bitte Sie, Herr Matteotti, beleidigen Sie mich nicht in meinem Hause.

MATTEOTTI: Sie haben mich in meinem Hause beleidigt, und mein Haus ist Italien. Erhebt sich vom Tisch und reicht Don Nimo die Hand Sehen Sie diese Verhandlung als gescheitert.

DON NIMO: ignoriert Matteottis Hand Wir sehen uns wieder, Herr Matteotti, ob Sie nun gehen oder nicht.

MATTEOTTI: Das brauche ich nicht. Lassen Sie mich meine Arbeit machen oder ich werde es sein, der Ihnen Probleme machen wird.

DON NIMO: Leere Worte, Herr Matteotti. Nun denn, er zeigt zum Ausgang Sie wollten gehen?

Matteotti verlässt das Café Frutticello. Die Mafiosi bleiben sitzen.

MAFIOSO: Was passiert jetzt, Don Nimo?

DON NIMO: grübelt

MAFIOSO: Gibt es denn irgendwelche Alternativen?

DON NIMO: Wir brauchen keine Alternativen. Wir werden unserer Sache nachgehen mit all den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wenn es uns beim zweiten Mal nicht gelingt, Giacomo Matteotti für uns zu gewinnen, müssen wir unsere Sache ohne die Unterstützung der Politik zu Ende bringen. Doch unser Sieg ist keine Frage der Bedingung, sondern lediglich eine Frage der Zeit.

ALLE MAFIOSI: nicken

DON NIMO: erhebt sich Matteotti wird sich zu dem Treffen begeben, in der Zwischenzeit werdet ihr die restlichen Dokumente vorbereiten, die wir Matteotti anschließend geben werden. Das sollte ihn umstimmen.

MAFIOSO: Was werden Sie machen, Don Nimo?

DON NIMO: Ich werde meinen Sohn und seine Verlobte aufsuchen.

Draußen vor dem Café Frutticello hat Giacomo Matteotti bereits ein Taxi herbeigepfiffen und steigt ein. Der Fahrer fragt nach dem Zielort.

MATTEOTTI: nimmt eine Notiz hervor, auf der eine Adresse gekritzelt steht, und atmet skeptisch auf Zum Palazzo

Montecitorio.Das Taxi bringt Matteotti vor den Palazzo und lädt ihn dort ab.

MATTEOTTI: reicht dem Fahrer das Geld Grazie.

Das Taxi fährt ab und Matteotti bleibt schweigend vor dem Gebäude des Palazzos stehen.

MATTEOTTI: Despotische Machenschaften in den Hinterzimmern des Palazzo? Schaut sich die Notiz mit der Adresse ein weiteres Mal an Don Nimo, Sie sind ein verrückter

Mann.

Matteotti betritt den Palazzo, im Foyer eilen einige Ministeriale und Beamte umher, sie tauschen flüchtig leise Worte und rascheln mit Papieren und Dokumenten. Zwei fraktionsfremde Abgeordnete grüßen Matteotti beim Vorbeigehen. Dieser begibt sich schweigend achtsam in den zweiten, dann in den menschenleeren, dritten Stock. Kurz vor einer Gabelung wird Matteotti von einer Sekretärin aufgehalten.

SEKRETÄRIN: Herr Abgeordneter Matteotti?

MATTEOTTI: hebt die Brauen Das ist mein Name.

SEKRETÄRIN: etwas verunsichert Werden Sie von jemandem erwartet?

MATTEOTTI: Was ist das für eine Frage?

SEKRETÄRIN: Es ist lediglich, zögert kurz Sie werden hier nicht erwünscht im Moment. Wäre es nicht möglich, dass Sie den Palazzo für einige Augenblicke verlassen könnten?

MATTEOTTI: Wie bitte?

SEKRETÄRIN: Sie sind hier-

MATTEOTTI: Ich habe Sie verstanden. Und wer sind Sie

denn? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.

SEKRETÄRIN: Ich bin-

MATTEOTTI: Sie sind wohl neu hier, das merkt man Ihnen an. Wenn Sie der Würde dieses hohen Hauses den nötigen Respekt zollen möchten, gehen Sie jetzt.

SEKRETÄRIN: Herr Abgeordneter Matteotti, es wäre besser, wenn Sie nicht-

MATTEOTTI: Gehaben Sie sich wohl.

SEKRETÄRIN: schweigt

MATTEOTTI: wendet sein Antlitz von ihr ab Die Sekretärin verschwindet. Nach wenigen Augenblicken geht Matteotti weiter und betritt einen engen, sehr spärlich beleuchteten Korridor. An seinem Ende ist eine Doppeltür, die einen schmalen Spalt weit offen ist, wodurch Licht auf den Boden fällt. Je näher Matteotti sich den Türen nähert, umso deutlicher werden tiefe, kratzige Stimmen. An den Türen angekommen, späht Matteotti in den Raum hinein. Er erkennt zwei auf einem Diwan sitzende Männer, den Kriegsminister Antonino di Giorgio und den Kolonialminister und Senatspräsidenten Luigi Federzoni, sowie einen am Fenster stehenden Unbekannten. Im Raum sind noch drei weitere Personen, die Matteotti nicht sieht: der Ministerpräsident und Duce Benito Mussolini, der Faschist Amerigo Dumini und Vittorio Emanuele III, der König von Italien, Re d’Italia.

MUSSOLINIS STIMME: Wie Minister di Giorgio bereits erwähnt hat, verlangt die Situation einen Eingriff unsererseits. Eine Verschärfung dieses oppositionellen Aufruhrs können wir uns unter keinen Umständen leisten.

FEDERZONI: Mit Verlaub, Antonino hat doch recht. Aber müssen wir denn gleich so offen verfahren? Damit die ganze Welt sieht, was wir im Schilde führen?

DI GIORGIO: Es geht nicht um die Welt, sondern um uns,

Luigi.

FEDERZONI: Italien ist die Welt. An Mussolini Bedenken Sie noch einmal meinen Vorschlag. Indes haben Sie die passende

Truppe dafür.

AMERIGO DUMINIS STIMME: Das stimmt. Meine Männer und ich sind bereit.

MUSSOLINIS STIMME: Ich pflichte dir bei, Luigi. Und dennoch, beide Varianten erscheinen mir notwendig.

FEDERZONI: Beide?

MUSSOLINIS STIMME: Ja. Wir müssen alle subversiven Elemente bekämpfen. Es ist mir gleich, ob wir nun für Aufsehen erregen oder hinterhältig sind.

DI GIORGIO: Wenn ich sagen darf, grundsätzlich bin ich nicht gegen Luigis Vorschlag. Aber Mord deucht mir wenig

parlamentarisch. Schließlich sind wir Träger hoher Würden und Verantwortung.

MUSSOLINIS STIMME: Wie vernünftig du bist. Jedoch wird uns bloßer Idealismus nicht zu unserem eigentlichen Ziel führen. Ich bin nun der festen Überzeugung, dass wir beide Vorschläge umgehend realisieren müssen.

FEDERZONI: Einverstanden.

DI GIORGIO: Nun gut, ich werde Ihnen mit meinen Mitteln zur Verfügung stehen.

MUSSOLINIS STIMME: an Dumini Hole deine Truppe her, zeige mir, wie scharf deine Messer sind.

AMERIGO DUMINIS STIMME: Ich werde sie alle umgehend benachrichtigen.

MUSSOLINIS STIMME: an den Re d’Italia Mein König?

DIE STIMME DES RE D’ITALIA: So sei es.

Die Herren nicken zufrieden.

MUSSOLINIS STIMME: Kommen wir zu unserem wichtigen Unterfangen, die Rechtsordnung in unserem Königreich wiederherzustellen.

Der Unbekannte am Fenster dreht sich zu den Herren.

MUSSOLINIS STIMME: Meine Herren, das hier ist Cesare Mori. Er ist sicher für seine Untaten bekannt, für die er in Rechenschaft gezogen worden ist, doch stets war ein treuer Mann des Staates.

CESARE MORI: verbeugt sich kurz

MUSSOLINIS STIMME: Minister Federzoni wird in Bälde sein Amt wechseln und für die Rekrutierung Moris sorgen.

FEDERZONI: Einverstanden.

MUSSOLINIS STIMME: Unser Augenmerk liegt auf dem Süden. Sizilien und Kalabrien.

CESARE MORI: Dort, wo sich der kriminelle Abschaum aufhält. Diejenigen, die sich als Ehrenmänner und Ehrenfrauen bezeichnen. Die Mafia.

MUSSOLINIS STIMME: Moris alter Erzfeind. Und genau deshalb werden wir ihn dort einsetzen. Die Kriminalität des Südens könnte unserer Rechtsprechung fatalen Schaden anrichten. Und wir müssen umso gewiefter und strategischer vorgehen, da der Untergrund vollkommen von der Mafia besetzt ist.

DI GIORGIO: Wie sieht der Plan konkret aus? Vielleicht kann ich behilflich sein – immerhin ist Sizilien meine Heimat.

CESARE MORI: Ihre Hilfe wird nicht benötigt, Herr Minister.

MUSSOLINIS STIMME: Das stimmt. An di Giorgio