Goodbye, Cowboy - Freya Miles - E-Book

Goodbye, Cowboy E-Book

Freya Miles

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Beschreibung

Für die toughe New Yorkerin Eve Jones bricht eine Welt zusammen, als sie Post aus ihrer alten Heimat Clarence Springs bekommt. Wenige Zeilen, die ihr Herz für einen kurzen Moment aussetzen lassen und sie dazu bringen, an den Ort zu reisen, an dem so viele schmerzhafte Erinnerungen auf sie warten. Vor allem jetzt nach Eriks Tod ... Doch Eve muss sich nicht nur dem aktuellen Schmerz stellen, denn mit ihrer Rückkehr kann sie sich nicht länger vor Eriks Bruder Clint verstecken. Dem Cowboy, dem Frauenheld, dem Mann, den sie niemals wiedersehen wollte. Dass ausgerechnet er ihr Halt gibt und ihr zeigt, was es bedeutet, wieder zu atmen, sorgt bei Eve für Gefühlschaos pur. Wie soll sie einem Mann vertrauen, mit dem sie die dunkelste Zeit ihres Lebens für immer verbinden wird? Einem Mann, der genau wie sie seinen Lebensmut vor all den Jahren verloren zu haben scheint. Selbst, wenn die Zeit einige Wunden heilt – manche sind zu tief ...

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GOODBYE, COWBOY

FREYA MILES

Copyright © Freya Miles 2020

Freya Miles c/o TEXTWERKSTATT

Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund

[email protected]

Cover: Shutterstock

Lektorat: Textwerkstatt - Sabrina Cremer

Korrektorat: Nicole Bauer, Sabrina Grabowski

Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp) Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.

INHALT

1. Eve

2. Clint

3. Eve

4. Clint

5. Eve

6. Clint

7. Eve

8. Clint

9. Eve

10. Clint

11. Eve

12. Clint

13. Eve

14. Clint

15. Eve

16. Clint

17. Eve

18. Clint

19. Eve

20. Clint

21. Eve

22. Clint

23. Eve

24. Clint

25. Eve

26. Clint

27. Eve

28. Clint

29. Eve

30. Clint

31. Eve

32. Clint

Epilog

Leseprobe

Leseprobe

Summerside Beach Cafe

Über die Autorin

1

EVE

»Innenarchitektur?«

Meine Mitbewohnerin Hannah prustete laut los, als ich ihr von dem Artikel erzählte, den ich irgendwie noch heute fertigkriegen musste. Komme, was wolle. »Die haben dir wirklich einen Artikel überlassen, der sich um Innenarchitektur dreht? Meine Güte, Eve. Wenn wir hier nicht zusammen wohnen würden, dann gäbe es in der gesamten Wohnung kein einziges Dekoelement«, prustete sie noch einmal los, während ich die Augen verdrehte.

»Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich habe keine Ahnung, wie ich diesen verdammten Artikel schreiben soll. Das ist die Strafe dafür, dass ich beim Meeting nicht da war.«

»Du hättest am Vorabend vielleicht nicht mit diesem charmanten Kerl aus dem Club verschwinden sollen. Dann hättest du es mit Sicherheit auch zu dem Meeting geschafft.«

»Dann schreibe ich lieber einen Artikel über Innenarchitektur«, erwiderte ich mit einem Grinsen auf den Lippen.

Es war mittlerweile eine Woche her, dass ich mit Hannah durch die Clubs der Stadt gezogen war, wobei ich meine Begegnung mit Prince Charming definitiv nicht so schnell vergessen würde. Er war mein erster One-Night-Stand gewesen, aber durch diese positive Erfahrung würde es garantiert nicht mehr lange dauern, bis ich ein solches Abenteuer wiederholte.

»Ich kann noch immer nicht glauben, dass du einfach mit zu ihm gegangen bist«, sagte Hannah lächelnd, während ich die Schultern zuckte.

»Geht mir genauso! Es war der absolute Wahnsinn! Aber ich hatte bei diesem Kerl wirklich von der ersten Sekunde an keine Bedenken.«

»Trotzdem.« Hannah schüttelte den Kopf und seufzte. »Ach, vergiss es! Eigentlich bin ich nur neidisch, weil ich mich sowas niemals trauen würde.« Meine beste Freundin zuckte lächelnd mit den Schultern, während das Grinsen auf ihrem Gesicht ihre Grübchen hervortreten ließ, für die ich sie so sehr beneidete. Wir kannten uns schon seit gefühlten Ewigkeiten, allerdings zuerst nur über das Internet.

Sie lebte in New York das Leben, von dem ich träumte, während ich in meiner kleinen Heimatstadt Clarence Springs festsaß und versuchte, das Beste aus meinem Scherbenhaufen zu machen.

Bis zu dem einen Tag vor zwei Jahren, als ich einfach von heute auf morgen meine Sachen gepackt hatte, um nicht länger nur von New York zu träumen. Gott sei Dank hatte Hannah mir sofort angeboten, bei ihr zu wohnen, da sie sich die Miete für diese Wohnung kaum leisten konnte.

Sie arbeitete in einem großen Designunternehmen und entwarf dort die schrägsten Outfits, was sich auch in ihrem eigenen Kleiderschrank widerspiegelte, während ich noch immer eher wie das Mädchen vom Land aussah. Zumindest fühlte ich mich im Vergleich zu ihr so.

»Das habe ich bis letzte Woche auch gedacht und jetzt wäre ich sofort bereit, es zu wiederholen. Wobei ich nicht die Illusion habe, dass alle Kerle so sind wie er. Aber es war auf jeden Fall ein sehr positiver Anfang.«

»Ich muss immer noch lachen. Das brave Mädchen vom Land. Was ist eigentlich aus dir geworden?«

Ich lächelte, obwohl mir nicht danach zumute war. Das brave Mädchen ... Ich kannte einige Menschen, die über diese Worte mit Sicherheit anders denken würden.

Menschen, mit denen ich nie wieder sprechen würde. Mit denen ich auch nie wieder sprechen wollte .... Es reichte schon, wie oft meine Gedanken zu ihnen wanderten, weil ich es einfach nicht verhindern konnte.

Und das trotz all der Dinge, die geschehen waren.

Hoffentlich hatten sie mich längst vergessen. Niemand in diesem kleinen, gottverdammten Kaff sollte jemals mehr an mich denken.

Seitdem ich vor knapp zwei Jahren nach New York gezogen war, gab es für mich keinen Weg mehr zurück. Ich hatte alle Kontakte abgebrochen. Selbst den zu meinen Eltern, die noch immer dort lebten. Auf der kleinen Farm, die langsam, aber sicher immer weiter verfiel, weil mein Vater nicht mehr in der Lage war, sich um alles zu kümmern, allerdings auch gleichzeitig zu geizig, um einen Arbeiter einzustellen.

Mit fast siebzig Jahren stand er noch immer jeden Morgen um sechs auf und arbeitete, bis das letzte Sonnenlicht verschwunden war und er einfach aufhören musste. Meine Mutter hatte schon oft gesagt, dass er irgendwann einfach auf dem Feld zusammenbrechen würde und das war es dann. Eine traurige Prognose, der ich allerdings nur zustimmen konnte. Dad war schon immer ein eigenbrötlerischer Mensch gewesen. Oft, wenn ich hier in New York in einem Café saß, dachte ich über die beiden nach. Darüber, dass sie noch nie irgendwo hingereist waren.

Was für ein Leben war das bitte? Die ganze Zeit nur an einem Ort, mit denselben Menschen. Sie kannten nichts von der Welt. Deshalb konnten sie natürlich auch meinen Wunsch, nach New York zu gehen und die Welt zu entdecken, rein gar nicht nachvollziehen.

Ich selbst hatte mir das alles hier einfacher vorgestellt, glitzernder. Wie in den Fernsehserien. Doch dass es verdammt teuer war, hier überhaupt überleben zu können, war mir dabei nie in den Sinn gekommen.

Mit fünftausend Dollar Startkapital war ich damals bei Hannah angekommen, die mich Gott sei Dank mit offenen Armen empfangen hatte. Ihre alte Mitbewohnerin war ausgezogen und sie suchte jemand Neues, damit ihr die Kosten für die Wohnung nicht über den Kopf wuchsen. Und genau da kam ich ins Spiel.

Sie erzählte mir am Telefon davon und ich wusste, dass jetzt oder nie meine Chance gekommen war. Und so packte ich meine Sachen, verkündete meinen Eltern den Entschluss und reiste ab.

Ich konnte mich noch immer an das Gesicht meiner Mutter erinnern, während mein Vater das Ganze eher desinteressiert aufnahm. Schließlich war ich nicht der Junge, den er sich immer gewünscht hatte, und auch einen vernünftigen Mann, der auf der Farm helfen konnte, hatte ich nicht mit nach Hause gebracht. Meiner Mutter riss es allerdings den Boden unter den Füßen weg. Ich hatte den Schmerz und die Enttäuschung in ihren Augen ablesen können.

Für sie war ich immer die einzige Gesellschaft gewesen, denn all ihre Freundinnen vom Farmer-Club waren auf den eigenen Höfen beschäftigt, genau wie sie es war. In mir hatte sie wenigstens eine Freundin gehabt und doch war es für mich klar gewesen, dass ich gehen musste. Ich konnte nicht nur bei ihr bleiben, weil sie mir leidtat. Ganz im Gegenteil. Sie war mein warnendes Beispiel dafür, was passieren würde, wenn ich nicht ging.

Ich wollte nicht enden wie sie. Auf einem Hof gefangen für den Rest meines Lebens, ohne wirkliche Zukunftsaussichten. Außerdem hatte ich mich in der Schule dermaßen abgemüht, um einen vernünftigen Abschluss hinzukriegen. Und auch das Fernstudium sollte nicht umsonst gewesen sein. Doch wie sollte ich als Journalistin in diesem Kaff etwas werden? Sollte ich Artikel über die Ernte schreiben oder darüber, dass einer der Clenton-Brüder besoffen mit seinem Auto in einen Zaun gefahren war?

Erik und Clint. Natürlich dachte ich sofort wieder an die beiden, wenn ich meine Gedanken zurück nach Clarence Springs wandern ließ. Erik, mit dem ich aufgewachsen war, und sein älterer Bruder Clint. Uns drei verband so viel, weshalb es besser war, dass ich jetzt hier in New York lebte.

All das, was wir getan hatten ... Hoffentlich waren die Geheimnisse tief genug vergraben. Das hoffte ich zumindest für die beiden. Ich würde mein Leben lang unter dieser Sache leiden und mit den Folgen leben müssen.

»Hey, Eve, alles in Ordnung?«, hakte Hannah nach, während ich schnell aufblickte. Ich wollte nicht, dass sie etwas erfuhr, auch wenn das natürlich Blödsinn war. Von einem Blick in meine Augen würde sie nicht erfahren, was für ein grauenvoller Mensch ich war. Obwohl sie vielleicht als einzige ein Anrecht darauf hatte, zu wissen, welch ein Monster sie hier beherbergte.

»Ich mache mir nur gerade ernsthafte Gedanken über den Artikel. Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte ich damit noch ewig Zeit.«

»Okay, komm. Wir werden uns jetzt zusammen dransetzen. Ich hab noch ein bisschen Zeit, bevor ich losmuss. Alleine wirst du das niemals schaffen.«

»Wem sagst du das?«, fragte ich lachend, bevor ich den Laptop aufklappte.

Bereits von Clarence Springs aus hatte ich mir einen Job als freie Journalistin hier in New York verschafft. Bei meinem guten Abschluss war es Gott sei Dank kein Problem gewesen, zumal ich mit einer Kolumne bei einem der größten New Yorker Lifestyle Magazine punkten konnte. Für »New York – New Life« schrieb ich jetzt die »Land – Stadt – Leben« Kolumne, die wöchentlich mehr und mehr Leserinnen in den Bann zog, was mich sehr freute.

Nebenbei arbeitete ich noch bei einem anderen Magazin, wo ich ganze Artikel verfasste, denn nur die Kolumne zu schreiben, reichte weder zum Leben noch erfüllte es mich.

Normalerweise konnte ich immer selbst Vorschläge einreichen, über was ich gerne schreiben würde. Doch dank des fulminanten One-Night-Stands hatte ich das Pitchmeeting verpasst und nur das bekommen, was übriggeblieben war.

Innenarchitektur.

Und so musste ich jetzt einen Artikel zu einem Thema abliefern, das mir rein gar nicht lag. Wenigstens konnte ich aber in der Kolumne aus vollen Zügen über mein neustes New Yorker Abenteuer berichten, das es auf dem Land für mich definitiv nicht gegeben hätte.

Sex mit einem Unbekannten.

Auf dem Land kannte man ja jeden ...

Am nächsten Morgen war ich für meine Verhältnisse schon früh auf den Beinen, da ich es mir wie immer nicht nehmen lassen wollte, ein paar Runden im Pool unseres Appartementkomplexes zu drehen, bevor ich in die Redaktion musste.

Es war für gewöhnlich vollkommen egal, wann ich dort auftauchte. Doch seitdem die ehemalige Chefin den Rang an Mister Drainor abgeben musste, gab es feste Termine.

Ein unangenehmer, alter Kerl, der meine Artikel allerdings Gott sei Dank liebte, sodass mein Job dort wenigstens sicher war.

Mister Drainor liebte die Artikel sogar so sehr, dass er mir eine feste Anstellung angeboten hatte. Eigentlich ein Traum, den ich nie gewagt hatte zu träumen, doch dafür lief es bei mir einfach zu gut, als ihn anzunehmen. Die Kolumne einzustampfen wäre das Letzte, was mir in den Sinn kommen würde.

Garantiert kam heute wieder ein neues Angebot seinerseits. Mal sehen, wie lange ich noch standhalten könnte.

Auf dem Weg zur Redaktion, den ich wie immer mit dem Rad zurücklegte, nahm ich eine Strecke quer durch den Central Park, selbst wenn es ein Umweg war. Manchmal vermisste ich das saftige Grün der Wiesen, den Geruch von Heu, die vielen Blumenfelder ...

Hier gab es nur Beton und dieses Fleckchen Erde, das mich für einige Minuten gedanklich entführen konnte. Auch wenn es nicht einmal ansatzweise zu vergleichen war. Wer schon einmal auf einem Feld gestanden hatte, dessen Ende über den Horizont herauszureichen schien, würde es verstehen. Hier war alles begrenzt und selbst durch die Baumwipfel konnte man die Hochhäuser sehen.

Ich hatte mich für dieses Leben entschieden. Für diese Stadt. Und das würde ich auch nicht bereuen!

Vielleicht wäre ich ja irgendwann so weit, wieder nach Clarence Springs zurückzukehren, um wenigstens meine Eltern zu besuchen. Ich haderte schon seit einigen Tagen mit mir, sie anzurufen. Meine Mutter hatte nächste Woche Geburtstag. Sie würde sich mit Sicherheit sehr darüber freuen.

Außerdem wurde sie auch bald siebzig. Das Leben war nicht unendlich und der Gedanke daran, dass wir so auseinandergehen würden ... Nein, das war nicht auszuhalten. Meine Eltern trugen keine Schuld daran, wie mein Leben verlaufen war. Diese Schuld lag ganz alleine bei mir ... und bei Clint. Sie ahnten ja nicht einmal etwas davon.

Drei Tage später nahm ich das Telefon zur Hand, um die Nummer meiner Eltern zu wählen. Ich hatte extra bis spät abends gewartet, weil ich wusste, dass sie dann beide zuhause waren. Ich rechnete nicht damit, dass mein Vater überhaupt mit mir sprechen wollte.

»Hallo?«, meldete sich meine Mutter am Telefon, während ich mir ein leises Seufzen nicht verkneifen konnte, als ich ihre Stimme hörte. Ich vermisste sie so sehr!

»Mom?«

»O mein Gott, Eve, Liebes. Bist das du?«, fragte sie sofort aufgeregt.

»Ja, ich bin‘s.«

»Ich habe jeden Abend auf deinen Anruf gewartet und jede Nacht zum lieben Gott gebetet, dass es bald so weit ist.«

»Heute ist es soweit, Mom. Wie geht es euch?«

»Hier ist alles wie immer. Das weißt du ja. Bist du gut in New York angekommen?«, fragte sie, als ob ich gerade gestern erst aufgebrochen wäre.

Ich fühlte mich schuldig, bei der Freude in ihrer Stimme und bei dem Gedanken daran, wie verzweifelt sie gewesen sein musste, nichts mehr von mir zu hören, doch ich hatte diesen klaren Cut gebraucht. Ich wollte nicht, dass sie mir irgendetwas über das Leben zuhause erzählte. Oder über Clint ... oder Erik ...

»Ich bin sehr gut hier angekommen und habe mich eingelebt. Auch einen tollen Job habe ich gefunden. Es läuft sehr gut für mich hier.«

»Das freut mich, mein Schatz! Das tut es wirklich.« Ich wusste, dass sie diese Worte ernst meinte, auch wenn sie mich mit Sicherheit gerne wieder zuhause hätte. Vielleicht war ihr tief in ihrem Inneren bewusst, dass dieser Schritt der einzige Ausweg für mich aus der Tristesse des Lebens war, das sie führte. Sie war nicht glücklich und genauso wenig wäre ich glücklich gewesen, wenn ich dortgeblieben wäre.

»Ich weiß. Wie geht es dir und Dad? Ist bei euch alles in Ordnung?«

»Ach ja, du weißt doch, wie das ist. Die ganze Arbeit auf der Farm. Es wird nicht leichter«, gab sie zu, während ich tief durchatmen musste. Es könnte so viel einfacher sein, wenn mein Vater nicht zu stolz dafür wäre, Hilfe anzunehmen. Doch diese Vorhaltungen musste ich meiner Mutter nicht machen. Sie wusste es selbst ganz genau und würde mit Sicherheit sofort etwas ändern, wenn sie nur könnte.

Die Beziehung meiner Eltern war nie gleichberechtigt gewesen. Mein Vater hatte das Sagen und meine Mutter die Nachsicht, so lange ich denken konnte.

Und dann verstarb mein Bruder, als wir noch sehr jung waren – ein Schicksalsschlag, von dem meine Eltern sich niemals wieder erholt hatten. Seitdem sprachen sie kaum noch miteinander und mein Vater hörte auf, sich für mich zu interessieren oder sich gar mit mir zu beschäftigen. Unsere Familie war zerrüttet und verdammt kaputt, doch das hatte ich erst mit Ende zwanzig eingesehen, als ich die Koffer packte, um zu gehen. Ich musste diesem System entfliehen, bevor ich selbst ein Opfer wurde und ein Leben lebte, wie sie es taten. »Hast du denn eine gute Anstellung in der Stadt gefunden?«

»Ja, ich verdiene gutes Geld, wobei man in New York kaum damit über die Runden kommt. Die Stadt ist unfassbar teuer. Ich wohne noch immer mit Hannah zusammen. Die Wohnung ist sehr schön und wir verstehen uns wirklich gut.«

»Also hast du noch keinen Mann kennengelernt?«

Wenn meine Mutter von meinem One-Night-Stand wüsste. Gut, dass sie nie etwas davon erfahren würde. Sie war so erzogen worden, dass schon der pure Gedanke an Sex vor der Ehe wahrscheinlich bestraft worden war.

»Nein, Mom. Kein Mann in Sicht«, erwiderte ich und hätte am liebsten laut geseufzt. Es würde in meinem Leben auch nie einen Mann geben. Nicht nachdem, was damals in Clarence Springs geschehen war.

»Ach wie schade. Eve, wenn du wieder nach Hause kommen willst ...« Ich wusste, dass sich meine Mutter diese Hoffnungen machte, doch das würde niemals passieren. Eine Rückkehr nach Clarence Springs, zumindest dauerhaft, war für mich einfach vollkommen ausgeschlossen. Dort gäbe es zu viele Dinge, denen ich mich stellen müsste und für die ich keine Antworten hatte. Außerdem würde es mich zerreißen, ihm noch einmal gegenüberstehen zu müssen.

»Vielleicht komme ich euch mal besuchen. Aber du musst aufhören, darauf zu hoffen, dass ich ganz zurückkehre. Das ist ausgeschlossen, Mom.« Ich hatte Angst, ihr wehzutun, und doch wollte ich es aussprechen, damit sie sich keine falschen Hoffnungen machte, die auf Dauer auch schmerzhaft sein würden.

»Aber ein Besuch wäre wundervoll«, sagte sie leise und traurig zugleich.

»Ich werde nächste Woche wieder anrufen. Und ich gebe dir meine Handynummer, dann kannst du mich ebenfalls erreichen, wenn du möchtest, okay?«

»Das klingt sehr schön, Liebes. Es hat mir sehr wehgetan, so lange nichts von dir zu hören und nicht zu wissen, wie es dir geht.«

»Ich weiß und es tut mir leid, aber ich brauchte diesen Abstand einfach. Es war besser für mich.« Verdammt, wie selbstsüchtig sich das anhörte ... Nein, es hörte sich nicht nur so an, es war verdammt selbstsüchtig gewesen.

»Kann ich dir auch schreiben?«, hakte meine Mutter nach, was das Lächeln zurück auf meine Lippen trieb. Sie schrieb für ihr Leben gerne Gedichte und kleine Geschichten, doch niemand durfte sie lesen. Nicht mal ich. Wahrscheinlich wollte sie mir schreiben, weil sie auf diese Art einfach besser ausdrücken konnte, was sie fühlte und beschäftigte.

Geduldig diktierte ich ihr meine Adresse, bevor ich mich nach meinem Vater erkundigte, der allerdings nicht mit mir sprechen wollte. Es enttäuschte mich nicht einmal, denn genau mit diesem Verhalten hatte ich gerechnet.

»Bis bald, Mom«, sagte ich und legte auf, bevor ich mich auf mein Bett zurücksinken ließ. Ich vermisste sie. Ich vermisste ihren selbstgekochten Pudding, den Streuselkuchen, mein altes Zimmer, das Farmhaus, die Aussicht ...

Verflucht!

Genau das war es gewesen, wovor ich Angst hatte. Heimweh. Und das, obwohl ich hier meinen absoluten Traum lebte. Für mich würde es nie wieder ein Zurück geben – zumindest nicht, solange er noch dort war.

»Du hast mit deiner Mutter telefoniert?«, fragte Hannah überrascht, als ich ihr am nächsten Morgen von dem Gespräch erzählte und schloss mich für einige Sekunden in ihre Arme. »Gott sei Dank! Ich hab so sehr darauf gehofft, dass du diesen Schritt irgendwann wagen wirst.«

»Ich weiß. Ich habe sehr viel über sie und Clarence Springs nachgedacht in den letzten Wochen und jetzt war ich einfach bereit. Es fühlte sich richtig an, mit ihr zu sprechen. Ist es nicht vollkommen paradox, Heimweh zu haben, nach einem Ort, an den man auf gar keinen Fall zurückkehren möchte?« Ich hatte die halbe Nacht lang nicht geschlafen, weil mir all diese Gedanken nicht mehr aus dem Kopf gingen. Als ich gegen Morgen endlich für ein paar Stunden eingeschlafen war, hatte ich von den saftig grünen Wiesen geträumt.

Und von Erik.

Alles war so unglaublich perfekt und schön gewesen. Wir waren glücklich, hatten vor zu heiraten, bis die Sache mit Clint geschehen war und unsere gemeinsame Zukunft zerstört hatte.

»Ich kann dir keine Antwort darauf geben, denn du weißt, dass ich mir nie vorstellen könnte, aus New York wegzuziehen. Ich kenne allerdings auch nichts anderes und kann nicht hin- und hergerissen sein zwischen dem Großstadtleben und dem Land. Gleichzeitig kann ich mir aber schon vorstellen, dass es schwierig ist, alles hinter sich zu lassen, was einem lieb und vertraut war.«

Ich vermisste die Aussicht, die Freiheit, die Weite des Landes, mein altes Zimmer, meine Mom ... und Erik, doch es gab kein Zurück mehr. Das alte Leben existierte nicht mehr. Mein altes Ich existierte nicht mehr.

Dafür war zu viel vorgefallen und ich hatte mich zu sehr verändert. »Vielleicht könntest du ja hinfahren und sie einfach mal besuchen. Sonst wirst du dir noch tausend Gedanken darüber machen, ohne je eine Antwort zu finden.«

Ich nickte stumm bei Hannahs Worten. Antworten auf all meine Fragen würde mir nur ein Besuch in meiner alten Heimat bringen ... Doch die Gefahr, dort Fragen auszulösen, auf die ich keine Antworten hatte, war einfach zu groß.

Ich wollte niemanden verletzten und nicht selber wieder verletzt werden.

»Übrigens ist der Innenarchitektur Artikel genauso angekommen, wie ich es erhofft hatte. Gut, aber nicht so überfliegermäßig, dass ich mich jemals noch mal mit diesem Thema beschäftigen müsste«, lenkte ich ab, denn ich wollte nicht riskieren, dass Hannah nachbohrte. Obwohl sie das für gewöhnlich auch nicht tat. Sie wusste, dass es damals ein Ereignis gegeben hatte, was mich hierhergetrieben hatte, doch dass ich gleichzeitig auch nicht darüber reden wollte. Und das respektierte sie.

»Ach schade. Und ich dachte schon, mir würde eine große Karriere als Ghostwriterin an deiner Seite blühen.«

Ich lachte auf und nahm den Kaffee entgegen, den Hannah mir reichte und den ich heute verdammt dringend gebrauchen konnte. Irgendwie musste ich nach der Nacht mit wenig Schlaf ja wach werden. Und dann war heute auch noch Kolumnentag, bei dem ich mich eigentlich immer voll und ganz konzentrieren musste.

Zur Not würde ich einfach noch mal eine Runde schlafen und dann heute Nacht schreiben. Das war das Gute am freien Arbeiten.

Auch wenn ich es heute vorgezogen hätte, in einem Büro voller Menschen zu sitzen, um mich ablenken zu lassen. Es würde mir schwerfallen, all meine aktuellen Gedanken zur Seite zu schieben, um die Kolumne zu schreiben und mich darüber zu freuen, jetzt ein Stadtmensch zu sein. Doch vielleicht musste ich das auch gar nicht. Ich könnte einfach meine Zweifel einfließen lassen.

Den Kolumnenteil über den One-Night-Stand konnte ich auch später noch schreiben. Schließlich redete mir niemand in die Themenauswahl rein.

Und so endete ich an meinem Schreibtisch und ließ meinen Gedanken freien Lauf, was trotz des Schlafmangels so gut klappte, dass ich gleich vier Kolumnenteile schrieb. Weniger Arbeit für die nächsten Wochen.

Wenn es nur immer so einfach laufen würde.

2

CLINT

Es war ein heißer Tag, doch das würde mich nicht davon abhalten, heute die Zäune auf der nördlichen Weide zu reparieren. Was blieb mir auch für eine Wahl?

Die Rinder waren jetzt schon zum dritten Mal abgehauen und irgendwann würden wir es nicht mehr rechtzeitig bemerken.

»Erik, wie viele verdammte Extraeinladungen brauchst du heute Morgen noch?«, rief ich nach oben, wo von meinem Bruder noch immer nichts zu hören war. Wir lebten zusammen auf der Ranch unserer Eltern, die vor mittlerweile acht Jahren verstorben waren. Seitdem lag die komplette Verantwortung für dieses riesige Anwesen mit all den Angestellten, den Tieren und dem Ackerland, auf unseren Schultern. Etwas, dass man sich mit vierundzwanzig definitiv nicht wünschte, wobei Erik gerade mal zweiundzwanzig war. Doch wir stemmten die Aufgabe gut, was nicht zuletzt an unseren unterschiedlichen Begabungen lag.

Während ich der Typ fürs Grobe war, konnte mein Bruder den organisatorischen Kram unglaublich gut bewerkstelligen. Vermutlich weil er schon immer der Schlauere von uns gewesen war.

Ich hätte damals am liebsten erst gar keine Schule besucht, sondern auf der Ranch mit angepackt, während Erik garantiert Anwalt oder Bänker geworden wäre, hätte ihm die Zukunft so offengestanden, wie man es sich für einen jungen Kerl wünschte.

»Was willst du von mir? Ich hab noch massig Zeit oder glaubst du, das Papier im Büro läuft mir weg wie dir die Rinder auf der Weide?«, rief er von oben.

In den vergangenen Tagen war er nicht gut drauf gewesen. Etwas, dass mich nicht zu Unrecht immer in Sorge versetzte, doch heute Morgen schien alles besser zu sein. Ich atmete tief durch und blickte kurz noch einmal nach oben.

Er war aufgestanden. Er scherzte. Ich konnte meine Sorgen hoffentlich zur Seite schieben, auch wenn ich es meistens nicht schaffte. Schließlich war er mein kleiner Bruder.

»Alles klar. Wenn was ist, ich hab das Walkie-Talkie dabei.«

»Um mir beim Steuerrecht zu helfen?« Okay. Erik war wieder auf dem Damm und ich konnte mich auf all die anstehenden Arbeiten konzentrieren.

Nachdenklich ging ich zu den Stallungen, wo ich mein Pferd Shadow sattelte. Ein Name, der zu diesem Tier passte, denn es war schwarz wie die Nacht und verdammt schnell. Außerdem hatte es seinen ganz eigenen Kopf. Erik würde niemals auf dieses Biest steigen, während ich es liebte, mit ihr auszureiten. Auch wenn immer ein kleiner Hauch Gefahr mitschwebte, dass sie wieder einmal durchgehen würde.

Es wäre nicht das erste Mal, doch bis jetzt war ich immer an einem Stück geblieben und ich plante auch, es dabei zu belassen.

Auch heute ritt ich nicht auf direktem Weg raus zu der Stelle, wo ich meine Arbeiten erledigen musste, sondern nahm einen kleinen Umweg. Ich musste den Kopf freikriegen. Das war mir so bewusst geworden wie nie in den Minuten, in denen Erik mir nicht geantwortet hatte.

Ich machte mir Sorgen um ihn. Verdammt große Sorgen, doch er sprach nicht mit mir darüber. Etwas, das ich ihm nicht verübeln konnte, so angespannt wie unser Verhältnis seit vielen Jahren war. Zusammen zu arbeiten, zusammen zu leben, zusammen den Hof am Laufen halten. Wir hätten das niemals für möglich gehalten, doch es war genau das, was das Schicksal von uns verlangte.

Auch wenn ich Erik ein Leben in der Stadt, als was auch immer, gegönnt hätte, doch dieser Hof hier wirtschaftete sich nicht von alleine. Auch nicht mit all den Angestellten, die wir beschäftigten.

Der Clenton-Hof war der mit Abstand größte in Clarence Springs und auch im Umkreis. Unsere Rinder waren heiß begehrt und wurden in alle Teile der Staaten verkauft, weshalb wir natürlich auch nicht zu den ärmsten Leuten gehörten. Zumindest finanziell nicht.

Doch was war der Preis, den wir dafür zahlten? Was war der Preis, den Erik dafür zahlte?

Ich war kein Überflieger, kein Mensch, der sich nach mehr sehnte. Kein Mensch, der das Glück suchte. Ich nahm das, was mir gegeben worden war und versuchte, das Beste daraus zu machen.

All die Jahre, als ich noch ein Kind war und auch später als Jugendlicher, hatte ich beobachten müssen, wie sich meine Eltern für diesen Hof abrackerten, damit der Familienbesitz weiterlief, damit wir ihn weiterführen konnten ...

Der Hof blickte zurück auf eine bewegte Geschichte, befand er sich doch mittlerweile in der achten Generation. Ein Erbe, das man nicht einfach vernachlässigen oder gar ausschlagen konnte.

Ich wäre schon alleine deshalb hiergeblieben, damit Erik sein Traumleben irgendwo weit weg hätte leben können ... wäre das Schicksal nicht so ein mieses Arschloch.

Jetzt saßen wir beide hier fest – und lebten unser Leben ohne viel Freude.

Es gab an unserer Seite keine Frauen, keine Familienplanung, keine Kinder, sondern nur uns beide. Wie sollen wir auch jemanden kennenlernen? Die einzige Frau, die Erik je interessiert hatte, war vor zwei Jahren von heute auf morgen in die Stadt gezogen und hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet.

Ein Umstand, an dem ich rein gar nicht unschuldig war, doch darüber wollte ich nicht mehr nachdenken. Ich durfte nicht mehr darüber nachdenken, denn es würde mich zerreißen.

Auf der Weide angekommen nahm ich den desolaten Zaun in Augenschein und machte mich an die Arbeit. So wie jeden Tag. Egal ob Wochentag, Wochenende oder Feiertag. Die Arbeit auf der Ranch ruhte nie.

Selbst wenn ich zwischendurch das Gefühl hatte, Licht am Ende des Tunnels zu sehen, so ging doch irgendwo wieder etwas kaputt und musste repariert werden. Zusätzliche Arbeit zu den eh schon viel zu vielen Aufgaben, die jeder Tag von uns verlangte.

An Urlaub oder eine Pause war hier nicht zu denken. Gut, dass es für mich nicht diesen Traum gab, etwas anderes sehen zu müssen oder in den Urlaub zu fahren. Damit hatte ich lange abgeschlossen, wozu ich im Gegensatz zu meinem Bruder in der Lage war. Ich brauchte diese Träume und Wünsche nicht, denn ich würde sie mir eh niemals erfüllen können.

Warum dann also erst davon träumen?

Es war bereits kurz nach Mittag, als ich auf die Ranch zurückkehrte, wo die Haushälterin wie immer das Mittagessen vorbereitet hatte. Etwas, worum Erik und ich uns nicht auch noch kümmern wollten, weshalb wir Maggie, eine Frau von einer benachbarten, sehr kleinen Farm, eingestellt hatten. Sie war froh um jeden Cent, den sie dazuverdienen konnte, und wir waren froh um alles, worum wir uns nicht auch noch selber kümmern mussten.

Hoffentlich war Erik heute so gut drauf, dass wir einige Bestellungen und Ausgaben besprechen konnten, die dringend anstanden.

Meine Hoffnungen darauf verpufften, als ich ihn nicht am Esstisch vorfand.

»Ihr Bruder hat keinen Appetit«, sagte Maggie, als sie meinen Blick bemerkte. Keinen Appetit. Schon wieder nicht ...

Ich musste der Sache auf den Grund gehen. Tatenlos war ich nun schon viel zu lange gewesen. Selbst wenn Erik mittlerweile alt genug war. Irgendetwas stimmte nicht – und ich musste dringend verhindern, dass es schlimmer wurde.

3

EVE

»Eve?« Es war Hannah, die an meine Tür klopfte und mich damit aus dem Schlaf riss. Ein Blick auf meinen Wecker signalisierte mir, dass es bereits neun Uhr morgens war. Da ich fast die ganze Nacht lang an einem Artikel gesessen hatte, war das allerdings nicht ungewöhnlich für mich. Normalerweise weckte Hannah mich nie.

»Ja«, antwortete ich verschlafen und zwinkerte gegen die Helligkeit an, da Hannah vollkommen unvermittelt das Licht eingeschaltet hatte. In meinem Zimmer war es dank der Verdunklungsrollos so wunderbar dunkel gewesen. Ich hätte mit Sicherheit noch stundenlang geschlafen.

»Eve, es tut mir leid, dass ich dich wecken muss.« Ihre Stimme klang bedrückt, weshalb ich mich im Bett aufsetzte.

»Nein, nein, schon gut. Was ist denn los?«, fragte ich besorgt und musterte meine beste Freundin. Gestern Abend war die Welt noch in Ordnung gewesen.

»Ich war unten am Briefkasten, weil ich doch auf diese Zusage oder im schlimmsten Fall Absage für die neue Kollektion warte, und darin war das hier.« Sie reichte mir einen Brief, der nichts Gutes verheißen ließ. Ein Trauerschreiben. Aus Clarence Springs, wie man am Poststempel erkennen konnte.

»O nein«, flüsterte ich leise und schloss die Augen. Wenn mein Vater verstorben wäre ... meine Mom hätte doch angerufen. Für eine Sekunde blieb mein Herz stehen. Wenn meine Mom … Nein! Nein, nein, nein! Ich war viel zu lange nicht dort gewesen und jetzt ... Nein! Das durfte nicht passiert sein.

Mit zittrigen Fingern riss ich den Brief auf, zögerte dann allerdings doch, die Karte herauszuholen. Ich wollte es nicht wissen. Ich würde den Schmerz nicht ertragen können.

»Vielleicht ist es ja auch nur eine Nachbarin oder ein Nachbar«, sagte Hannah aufmunternd. Auch das war möglich. In Clarence Springs war es üblich, diese Karten dann zu versenden. Und da meine Mom jetzt meine Adresse hier in New York hatte ...

Noch immer vollkommen verunsichert zog ich die Karte heraus, doch nichts auf dieser Welt hätte mich auf diesen Moment vorbereiten können, als ich den Namen darauf las.

Es waren nicht meine Eltern.

Es war nicht irgendeine Nachbarin oder irgendein Nachbar.

Erik.

Erik Clenton.

Nein!

Meine Augen füllten sich mit Tränen, während meine Kehle einen erstickten Laut von sich gab. O Gott, nein!

Hannah zog mich in ihre Arme und hielt mich fest, während heiße Tränen über meine Wangen liefen und der pure Schock Besitz von meinem Körper ergriff.

Erik.

Wie konnte das passieren?

Er war so alt wie ich. Man starb nicht so jung!

O Gott!

Es gab noch so viele Dinge, die ich mit ihm besprechen wollte. Irgendwann. Wenn ich mich wieder in der Lage fühlte, mit ihm zu reden. Ich war damals einfach aufgebrochen, ohne ihm Lebwohl zu sagen. Ohne zu erklären, was mit mir los war.

Ob er es gewusst hatte?

Ob er verstanden hatte, warum ich gegangen war?

Wegen Clint.

Wegen der Dinge, die geschehen waren ...

»Hannah«, brachte ich atemlos hervor, während sie mich nur noch fester hielt. Sie wusste, wie sehr ich Erik geliebt hatte.

»Ich bin hier«, flüsterte sie leise und strich über meine Haare.

Ich musste los. Mich anziehen. Meine Sachen packen. Die Reise nach Clarence Springs organisieren ... Doch eigentlich konnte ich nicht dorthin zurückkehren. Ich wollte nicht.

Erik würde nicht wieder lebendig.

Clint ...

Er war jetzt ganz alleine und hatte schon den Verlust seiner Eltern kaum verkraftet.

Von der Sache, die passiert war, ganz abgesehen.

Egal wie ich mich entscheiden würde, es wäre mit Sicherheit niemals richtig.

Nicht dort aufzutauchen, Erik nicht die letzte Ehre zu erweisen ...

Ich musste wissen, was mit ihm geschehen war. Ich brauchte Antworten. Antworten, die ich nur erhalten würde, wenn ich mit Clint sprach.

Vielleicht wusste meine Mutter auch etwas. Vielleicht war es ein Unfall auf der Ranch ...

»Lass uns in den Park gehen, ein wenig frische Luft schnappen und durchatmen«, hörte ich Hannah sagen. Genau das war es, was ich jetzt brauchte. Ich konnte diese Entscheidung nicht überstürzen. Der Schock saß dafür viel zu tief.

Wir sprachen kein einziges Wort auf dem Weg zum Park, doch Hannah war an meiner Seite. Sie sorgte dafür, dass ich an der Ampel stehen blieb, um nicht von einem Auto überfahren zu werden, während ich selbst noch gar nicht mitbekommen hatte, dass die Ampel rot war. Mein Gehirn funktionierte nicht.

Ich war viel zu gefangen in all den Gedanken und dem Schmerz, der vollkommen Besitz von meinem Körper ergriffen hatte. Seelischer Schmerz, der fließend in körperlichen übergegangen war und es mir unmöglich machte, zu atmen, zu denken, zu funktionieren.

Wie konnte er so plötzlich aus dem Leben gerissen worden sein? In so einem Alter? Niemand war geschützt vor Unfällen oder plötzlichen Krankheiten … Wir hatten so viele Zukunftspläne gehabt … Pläne, die wir so oder so niemals zusammen verwirklicht hätten, denn ich war abgehauen. In die Stadt gegangen, in die er eigentlich irgendwann mitkommen wollte. Wenn es der Hof denn zuließ, wenn er sich mit Clint einigen konnte, wenn es einen Nachfolger für seine Aufgaben gab. Wenn, wenn, wenn ...

Und jetzt war er dort gestorben. Auf dem Hof. Davon ging ich zumindest aus. Ohne einen seiner Träume zu verwirklichen. Ohne diesem Zwang, dortzubleiben und zu arbeiten, zu entfliehen.

Erik war so unglaublich schlau gewesen und hätte es im Leben weit bringen können. Ein Leben, das nun vorbei war. Ohne dass er es genossen hatte.

»Ich kann es nicht verstehen«, waren die ersten Worte, die meinen Mund wieder verließen. Wir saßen mittlerweile auf einer der Parkbänke direkt am See, wobei ich die Hälfte des Weges hierher gar nicht wahrgenommen hatte.

»Ich weiß«, erwiderte Hannah und drückte meine Hand, die sie die ganze Zeit über gehalten hatte. »Das kann niemand verstehen. Aber vielleicht wirst du Antworten bekommen, wenn du deine Mutter anrufst.«

»Ich muss hinfahren, oder?«

»Das kannst nur du selbst entscheiden und ich wäre keine gute Freundin, wenn ich dir irgendetwas raten würde.«

Ich wusste, dass Hannah recht hatte, doch das machte mir die Entscheidung natürlich nicht einfacher. Vermutlich würde es mich in noch mehr Einzelteile zerreißen, wenn ich nach Clarence Springs zurückkehrte.

Doch mir blieb keine andere Wahl.

Ich musste es tun.

Für Erik.

Durch meinen verdammten Weggang hatte ich ihm so viel Schmerz zugefügt. Zumindest glaubte ich das. Ich würde auch auf diese Frage niemals eine Antwort bekommen, denn er konnte mir nicht mehr sagen, wie es ihm ergangen war, und ich konnte mich nicht mehr für meine Entscheidung rechtfertigen und für das, was ich getan hatte.

»Ich werde ihm nicht mehr erklären können, warum ich gegangen bin«, brach es aus mir heraus, obwohl das eigentlich vollkommener Schwachsinn war. Selbst, wenn ich noch mit ihm darüber hätte reden können ... was wären denn meine Worte gewesen? Schließlich war Clint sein Bruder.

»Ich denke, er wird es verstanden haben. Er kannte doch deine Träume und nur, weil er dort nicht wegkam, konntest du ja nicht ewig auf ihn warten.«

Ich nickte stumm, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Doch ich konnte es Hannah nicht erklären, genauso wenig, wie ich es Erik je hätte erklären können.

Wir saßen bereits zwei Stunden im Park, bevor ich Hannah erschrocken ansah.

»Du musst doch zur Arbeit!«, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

»Ach was. Ich hab mir schon längst freigenommen. Oder glaubst du wirklich, dass ich dich heute alleine lasse? Wenn du willst, dann fahre ich auch mit nach Clarence Springs und das meine ich vollkommen ernst. Du musst da nicht alleine durch. Dafür sind beste Freundinnen schließlich da, richtig?«

»Hannah ...«

»Du entscheidest. Wenn du hinfahren willst, dann werde ich dich unterstützen und wenn ich dich begleiten soll, dann werde ich mitfahren. Okay?«

»Danke, Hannah. Wirklich. Ich weiß es sehr zu schätzen, was für eine gute Freundin du bist. Ohne dich ...«

»Hey, nicht solche Gedanken. Ich will gar nichts hören. Ohne mich gibt es nicht, okay?«

Ich nickte und vergrub meinen Kopf an ihrer Schulter, während ein neuer Schwall Tränen mich überwältigte.

»Ich kann mir nicht vorstellen, nie wieder mit ihm zu reden. Es gab noch so viele Dinge, die ich ihm sagen und erklären wollte ... Wieso habe ich über zwei Jahre gewartet? Es ist meine eigene Schuld und jetzt hasse ich mich so sehr dafür.«

»Ich weiß«, flüsterte Hannah leise und strich mir beruhigend über meinen Arm. »Aber du hattest auch deine Gründe, weshalb du diesen Abstand und diesen Kontaktabbruch gebraucht hast.«

»Beides hatte nichts mit Erik zu tun. Nie! Ja, es hat mich genervt, dass er unsere Pläne, irgendwann aus Clarence Springs wegzugehen, immer weiter nach hinten geschoben hat, aber ... Ach verdammt. Ich kann es nicht rückgängig machen!«

»Nein, das kannst du nicht. Komm, wir werden jetzt etwas essen gehen. Wie klingt das? Und komm mir jetzt nicht mit dem Argument, dass du keinen Hunger hast. Das ist verständlich, lasse ich aber nicht durchgehen.«

»Ich kann so nicht irgendwo essen gehen. Ich bin komplett verheult.«

»Dann bestellen wir was, okay?«

Nickend hakte ich mich bei Hannah ein, wobei ich das Gefühl hatte, dass mein Kopf etwas klarer war als noch auf dem Hinweg. Zumindest musste sie jetzt nicht mehr verhindern, dass ich überfahren wurde.

Die Frage danach, was ich jetzt tun sollte, blieb allerdings genauso, wie der unmenschliche Schmerz, der wahrscheinlich nicht so schnell wieder vergehen würde.

Erik war meine erste und bis jetzt einzige große Liebe gewesen. Mit ihm hatte ich mir eine gemeinsame Zukunft vorstellen können, fernab von Clarence Springs. Wenn, ja wenn er nur mitgekommen wäre. Wir hatten viel zu lange um den heißen Brei herumgeredet. Geplant, aber nie Taten folgen lassen.

Und dann war geschehen, was geschehen war und mich zur Flucht getrieben hatte ...

Wie sollte ich Clint nur gegenübertreten? Wie sollten wir uns je wieder in die Augen sehen können, nachdem, was wir getan hatten? Seine Worte, sein Verhalten, seine Taten, das alles saß noch viel zu tief.

Clint hatte seinen Bruder verloren ...

»Ruf deine Mom an, Eve«, ermutigte mich Hannah am Abend, während ich noch immer vollkommen verloren auf der Couch saß und die meiste Zeit tief in meinen Gedanken versunken war.

»Und dann was? Was soll ich sie fragen?«

»Das wird sich beim Telefonat ergeben.«

»Ich frage mich die ganze Zeit, warum sie mich nicht anruft. Sie wird es ja wohl schon wissen und ...«

»Auch darauf kann nur sie dir eine Antwort geben. Na los. Was ist schon dabei, dass du dich so davor drücken musst?« Seufzend nickte ich und nahm mein Handy zur Hand. Meine Mom meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln.

»Liebes?«, fragte sie sofort.

»Mom, ich habe heute die Karte bekommen mit der Nachricht, dass ...« Meine Stimme versagte. Ich konnte es nicht aussprechen. Dann würde es noch realer werden.

»O Liebes, ich weiß. Ich habe die ganze Zeit mit mir gerungen, ob ich dich anrufen soll, aber wie sagt man denn so etwas am Telefon?«

»Ich weiß selbst nicht, ob es mir lieber gewesen wäre, es von dir zu erfahren oder aus dieser Karte.«

»Maggie Dorethy, sie arbeitet noch immer als Haushälterin bei den Brüdern, hatte mich um deine Adresse gebeten, damit sie dir eine Karte schicken konnte.« Also war die Karte von Maggie gekommen, nicht von Clint. Ich hätte mir so etwas schon denken können. Er wollte mich mit Sicherheit genauso wenig wiedersehen, wie ich ihn. Doch Erik war meine erste große Liebe gewesen ... meine einzige große Liebe. Ich hatte das Recht, zu erfahren, was mit ihm geschehen war. So legte ich es zumindest aus.

»Was ist denn überhaupt geschehen?«

»Ich weiß von Maggie, dass Erik wohl krank war und zwar schon eine ganze Weile. Wie ernst sein Zustand war, haben die Brüder wohl immer für sich behalten. Zumindest hat man nie etwas darüber gehört. Bis es jetzt zu der Todesnachricht kam. Es ist ein Schock für uns alle hier. So ein junger Kerl. Und jetzt steht Clint mit dieser großen Ranch ganz alleine da. Er ist ja auch gerade erst Anfang dreißig.«

Zweiunddreißig. Das wusste ich ganz genau. Der verschwiegene Clint, den niemand wirklich kannte. Der eiskalt auf jeden wirkte, der ihn traf. Ich kannte sein wahres Gesicht. Ich wusste, wie es in ihm aussah, obwohl ich es lieber nicht wissen würde.

Eine Krankheit also ... kein Unfall. Ob sie geahnt hatten, dass es zu Ende ging? Ob Erik es gespürt hatte? Weitere Fragen in meinem Katalog der Fragen, auf die ich wahrscheinlich niemals eine Antwort bekommen würde.

»Ich weiß nicht, ob ich nach Clarence Springs kommen soll, Mom.«

»Die Beerdigung ist am Samstag. Es hätte Erik bestimmt viel bedeutet. Ich meine, ihr zwei ... Wir haben ja alle immer gedacht, dass ihr irgendwann heiraten und Kinder bekommen würdet. Bis du weggegangen bist.«

Für die meisten Menschen in Clarence Springs sah es mit Sicherheit so aus, als wäre ich einfach weggerannt und hätte Erik sitzenlassen, doch nur Clint wusste, dass es nicht so war.

In all den Jahren hatte ich mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie es sich wohl für Erik angefühlt hatte, als ich einfach weg war? Ich hatte es oft genug angedroht, aber eines Morgens war er aufgestanden und hatte von meinen Eltern oder von sonst wem erfahren, dass ich nach New York gegangen war. Nicht gerade die feine Art, eine Beziehung zu beenden, auch wenn an dieser Beziehung schon lange nichts mehr gestimmt hatte.

Es war selbstsüchtig und eigensinnig von mir gewesen. Schon gegenüber meinen Eltern war es nicht fair gewesen, doch gegenüber Erik erst recht nicht.

Ich wusste, dass er noch an unsere gemeinsamen Pläne geglaubt hatte, während für mich die Zukunft mit ihm immer weiter weggerückt war. Ständig hatte er eine Ausrede parat gehabt. Nur noch dies und nur noch das, was er auf der Ranch regeln wollte, bevor er mit Clint über seinen Wegzug reden wollte. Er hatte es nie getan und vermutlich wäre es dabei auch egal gewesen, wie lange ich gewartet hätte.

Ich glaubte nicht, dass er jemals wirklich mit mir gegangen wäre.

Im Gegensatz zur Farm meiner Eltern waren die Brüder Herr über eine gigantische Ranch, mit Umsätzen an einem Tag, die die Farm meiner Eltern in einem ganzen Leben nicht einbringen würde.

All das Geld, all die Arbeit, sie hatte nie etwas Gutes für die Familie bereitgehalten. Die Eltern waren viel zu früh bei einem Unfall ums Leben gekommen und jetzt war auch Erik nicht mehr da.

Und in den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren seines Lebens hatte er nur gearbeitet. Gearbeitet, gearbeitet und wieder gearbeitet.

Ich hatte es eingesehen und geduldet, kannte ich doch das Arbeitspensum meines Vaters. Für mich war es normal gewesen, bis ich irgendwann überlegt hatte, ob das das Leben war, welches ich mir erträumte. Zuhause sitzen und darauf warten, dass der Mann irgendwann mal nach Hause kam. Wie meine Mutter.

Nur in absolutem Wohlstand.

Natürlich hätte ich auch arbeiten können, doch was gab es schon für Möglichkeiten in einem gottverlassenen Kaff wie Clarence Springs? Die rasende Dorfreporterin? Danke, aber nein.

Auch in der nächsten Stadt war wirklich nichts los, weshalb auch das keine Perspektive für mich dargestellt hatte.

Und etwas anderes als Journalistin zu werden konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Es war mein Traumberuf gewesen und das war er noch immer. Dass ich es natürlich wirklich schaffen und irgendwann in New York für die großen Zeitungen arbeiten würde, davon hätte ich garantiert nicht zu träumen gewagt.

»Und was ist, wenn mich seine Familie gar nicht dabeihaben möchte?« Meine Mom konnte mir keine Antwort auf diese Frage geben, die ich auch eher mir selbst als ihr stellte. Sie kannte nicht die Wahrheit hinter allem.

»Du meinst Clint? Ich denke, er ist froh um jede Unterstützung und jedes Wort, das er gerade bekommt. Schließlich ist er jetzt ganz alleine.«

Ganz alleine ... genau so, wie man es sich bei Clint vorstellte. Dem harten Kerl, dem kaltherzigen Mann, dem Cowboy, der sie alle haben konnte und davon gerne Gebrauch machte. Wahrscheinlich hatte er jede Frau, die sich in seinem Alter befand, schon gevögelt. Zumindest sagte man ihm das nach. Doch dieser Mann war so undurchsichtig, dass selbst ich es nicht wusste.

Fest stand, dass er sie mit seinem Aussehen und natürlich auch mit seinem Geld alle haben konnte. Und doch war er noch immer Single. Zumindest hörte ich das aus den Worten meiner Mutter heraus.

Vielleicht hatte er ebenfalls damals aufgehört zu leben, als ich auch aufgehört hatte. Wobei, bei mir war es nicht richtig. Ich lebte mein Leben weiter, erfüllte mir meine Träume, doch räumte ich der Liebe keinen Platz mehr ein. Ich hatte sie nicht verdient. Genauso wenig wie er.

»Ich werde kommen«, hörte ich mich selbst sagen. Auch wenn ich noch immer mit mir haderte. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich nicht hinfahren würde und es gab weiß Gott schon genug Dinge, die ich mir niemals verzeihen konnte.

---ENDE DER LESEPROBE---