Gorki Park - Martin Cruz Smith - E-Book
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Martin Cruz Smith

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Beschreibung

Arkadi Renkos erster Fall

Moskau, 1980: Im verschneiten Gorki Park werden zwei Männer und eine Frau erschossen aufgefunden. Die Identifizierung der Toten ist schwierig. Chefinspektor Arkadi Renko, ranghöchster Ermittler in der Sowjetmetropole, übernimmt den Fall – und ahnt noch nicht, in welche Lage ihn seine Ermittlungen zwingen werden. Denn je näher er der Wahrheit hinter den grausigen Morden kommt, desto heikler wird seine eigene Position.
Was hat die geheimnisvolle Irina mit den Toten im Gorki Park zu tun? Obwohl Arkadi weiß, dass er seine Objektivität wahren muss, gibt er seinen Gefühlen nach und lässt sich auf eine Affäre mit Irina ein. Als er ihr schließlich zur Flucht außer Landes verhilft , riskiert er sogar seine eigene Karriere – und gelangt dabei selbst ins Ausland: Im Dschungel der New Yorker Großstadt wird der Jäger zum Gejagten.

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Martin Cruz Smith

GORKI PARK

Thriller

Mit einem Nachwort von Tobias Gohlis

Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 1981 unter dem Titel »Gorky Park« bei Random House, Inc., New York.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1982 im Scherz Verlag, Bern.

Copyright © 1981 by Martin Cruz Smith

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12770-1

www.cbertelsmann.de

MOSKAU

1

Der Einsatzwagen ruckte, wühlte sich fest und blieb in einer Schneewehe stecken. Die Mordkommission stieg aus: Milizbeamte in Lammfellmänteln, die sich mit ihren kurzen Armen und niedrigen Stirnen alle merkwürdig ähnlich sahen. Der einzige Zivilist war ein hagerer, blasser Mann – der Leitende Ermittler. Er hörte sich geduldig den Bericht des Parkwächters an, der die Leichen im Schnee entdeckt hatte. Der Wächter hatte bei seinem nächtlichen Rundgang den Fußweg verlassen, um auszutreten, die drei dort liegen gesehen und wäre vor Schreck und Kälte beinahe selbst erstarrt. Die Mordkommission folgte dem Strahl des Suchscheinwerfers ihres Einsatzwagens.

Der Ermittler vermutete, die armen toten Teufel seien lediglich eine Wodkatroika, die fröhlich besoffen erfroren war. Wodka, eine flüssige Steuereinnahmequelle, wurde ständig teurer. Drei Partner pro Flasche galten deshalb als Idealzahl – sowohl in Bezug auf Wirtschaftlichkeit als auch auf den gewünschten Effekt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung kamen Scheinwerfer näher. Baumschatten huschten über den Schnee, bis zwei schwarze Wolga-Limousinen auftauchten. KGB-Agenten in Zivil stiegen aus und kamen unter Führung des stämmigen Majors Pribluda heran. Miliz und KGB stampften gemeinsam im Schnee, um sich zu wärmen. Auf Mützen und Mantelkragen glitzerten Eiskristalle.

Die Miliz – die Polizeiabteilung des MWD (Innenministerium) – lenkte den Straßenverkehr, jagte Betrunkene und war für gewöhnliche Leichen zuständig. Das Komitee für Staatssicherheit – der KGB – hatte größere, subtilere Aufgaben: den Kampf gegen in- und ausländische Staatsfeinde, Schmuggler und Dissidenten, und obwohl alle KGB-Agenten Uniformen besaßen, traten sie lieber anonym in Zivil auf. Major Pribluda war in dieser frühen Morgenstunde gut gelaunt und polternd darum bemüht, die professionelle Animosität abzubauen, die das gute Verhältnis zwischen Volksmiliz und Komitee für Staatssicherheit beeinträchtigte. Er grinste freundlich, bis er den Ermittler erkannte.

»Renko!«

»Genau.« Arkadi Renko marschierte sofort auf die Leichen zu und überließ es Pribluda, ihm zu folgen.

Die Spuren des Parkwächters, der die Toten entdeckt hatte, führten durch den Schnee zu eigenartigen Bodenerhebungen mitten in der Lichtung. Ein Leitender Ermittler hätte eigentlich eine teure Zigarettenmarke rauchen sollen; Arkadi jedoch zündete sich eine billige Prima an und sog den Rauch tief ein – seine Angewohnheit, wenn er mit dem Tod konfrontiert wurde. Vor ihnen lagen drei Tote. Sie wirkten friedlich, wie kunstvoll arrangiert unter ihrer Schneedecke: Der mittlere lag mit gefalteten Händen auf dem Rücken, die beiden andern rechts und links daneben mit ausgebreiteten Armen wie Schildhalter eines Wappens. Alle drei trugen Schlittschuhe.

Pribluda drängte sich an Arkadi vorbei. »Sie können anfangen, sobald ich festgestellt habe, dass keine Belange der Staatssicherheit betroffen sind.«

»Staatssicherheit? Major, wir haben’s hier mit drei erfrorenen Säufern in einem Stadtpark …«

Der Major winkte bereits einen seiner Männer mit einer Kamera heran. Bei jedem Blitz leuchtete der Schnee bläulich auf, und die Toten schienen zu schweben. Die ausländische Sofortbildkamera lieferte die Farbbilder schnell, und der Fotograf zeigte sie Arkadi voller Stolz. Das vom Schnee reflektierte Blitzlicht ließ die Leichen kaum erkennen.

»Na, was halten Sie davon?«

»Sehr schnell.« Arkadi gab die Fotos zurück. Um die Toten herum wurde der Schnee zertrampelt. Er rauchte irritiert und fuhr sich mit langen Fingern durch sein glattes schwarzes Haar. Dann fiel ihm auf, dass der Major und sein Fotograf nur Halbschuhe trugen. Vielleicht verschwanden die Männer vom KGB, wenn sie nasse Füße bekamen. Was die Leichen betraf, so rechnete er damit, in ihrer Nähe eine oder zwei leere Flaschen zu finden. Im Osten wurde es bereits merklich hell. Arkadi sah Lewin, den Gerichtsmediziner, am Rand der Lichtung stehen und missbilligend den Kopf schütteln.

»Die Leichen scheinen schon lange hier zu liegen«, stellte Arkadi fest. »In einer halben Stunde können unsere Spezialisten sie bei Tageslicht ausgraben und untersuchen.«

»Wir sind nicht hier, um uns von Ihnen belehren zu lassen«, blaffte Pribluda kurz angebunden zurück. Er zog seine Handschuhe aus, stellte sich mit gespreizten Beinen über einen der Toten und begann, mit beiden Händen den Schnee von dessen Kopf wegzuräumen.

Da glaubt ein Mann, der Tod habe für ihn alle Schrecken verloren; er ist schon zu unzähligen Mordopfern gerufen worden und inzwischen abgebrüht genug, um sich nüchtern zu sagen, dass steif gefrorene Leichen immerhin die am wenigsten abstoßenden sind. Doch hier wurde eine Totenmaske unter dem Schnee sichtbar, wie Arkadi noch keine gesehen hatte. Er wusste, dass er diesen Anblick niemals vergessen würde. Aber er ahnte noch nicht, dass dies der entscheidende Augenblick seines Lebens war.

»Das ist Mord«, sagte Arkadi.

Pribluda reagierte nicht darauf. Er legte sofort auch die beiden anderen Köpfe frei. Sie glichen dem ersten. Dann stellte er sich wieder mit gespreizten Beinen über die mittlere Leiche, bearbeitete mit beiden Händen den steif gefrorenen Mantel, bis er auseinanderbrach und sich ablösen ließ, und öffnete auf diese Weise dann auch das Kleid darunter.

»Man kann immerhin noch erkennen, dass es eine Frau ist«, sagte Pribluda und lachte.

»Sie ist erschossen worden«, wandte Arkadi ein. Zwischen ihren blutleeren weißen Brüsten war eine schwarze Einschusswunde zu erkennen. »Sie vernichten Spuren, Major.«

Pribluda riss auch die Kleidungsstücke der beiden anderen Toten auf. »Erschossen, alle drei erschossen!« Er jubelte wie ein Grabräuber. Der Fotograf hielt in einer Serie von Blitzlichtaufnahmen fest, wie Pribludas Hände steifes Haar zur Seite schoben und eine Kugel aus einem Mund holten. Arkadi sah, dass nicht nur die Gesichter verstümmelt waren, sondern dass den drei Toten auch sämtliche Fingerspitzen fehlten.

»Bei den Männern kommen noch Kopfschüsse dazu.« Pribluda säuberte seine Hände im Schnee. »Drei Leichen, das ist eine Glückszahl, Renko. Da ich jetzt die Schmutzarbeit für Sie erledigt habe, sind wir quitt. Es reicht!«, befahl er dem Fotografen. »Wir gehen.«

»Für die Schmutzarbeit sind immer Sie zuständig, Major«, sagte Arkadi, als der Fotograf davongestapft war.

»Wie meinen Sie das?«

»Drei Erschossene, die verstümmelt im Schnee liegen? Das ist ein Fall für Sie, Major. Wer weiß, wohin meine Ermittlungen führen könnten?«

»Wohin denn?«

»In die falsche Richtung, Major. Haben Sie daran gedacht? Sollten Sie und Ihre Männer den Fall nicht übernehmen, damit ich und meine Leute nach Hause fahren können?«

»Ich sehe hier keine Anzeichen für ein Verbrechen gegen den Staat«, wehrte Pribluda ab. »Ein etwas komplizierterer Fall als üblich – sonst nichts.«

»Vor allem deshalb kompliziert, weil jemand die Spurensicherung erschwert hat.«

Der Major zog sich die Handschuhe an. »Sie bekommen meinen Bericht und die Fotos, damit Sie von meinen Bemühungen profitieren können.« Er sprach so laut weiter, dass die anderen ihn hören mussten. »Sollten Sie allerdings auf etwas stoßen, das in den Aufgabenbereich des Komitees für Staatssicherheit fällt, müssen Sie natürlich veranlassen, dass die Staatsanwaltschaft mich sofort benachrichtigt. Verstanden, Ermittler Renko? Wir wollen augenblicklich benachrichtigt werden.«

»Ja, ich verstehe«, antwortete Arkadi ebenso laut. »Sie können sich auf uns verlassen.«

Hyänen, Aasgeier, Schmeißfliegen, Würmer, dachte er, während er beobachtete, wie Pribludas Wagen zurücksetzten, wendeten und davonfuhren. Nachtgetier. Die Morgendämmerung machte sich deutlicher bemerkbar. Er zündete sich eine weitere Zigarette an, um den schalen Geschmack, den der Wortwechsel mit Pribluda hinterlassen hatte, aus dem Mund zu bekommen. Die Kriminalbeamten gafften noch immer. Sie hatten zugesehen, wie die Gesichter der Toten freigelegt wurden.

»Das ist jetzt unser Fall«, erklärte Arkadi seinen Leuten. »Wollt ihr nicht langsam was unternehmen?«

Er veranlasste, dass einige der Männer die nähere Umgebung der Lichtung absperrten, und ließ den Kriminalbeamten vom Einsatzwagen aus über Funk weitere Männer, Schaufeln und Metalldetektoren anfordern. Etwas geheuchelte Betriebsamkeit munterte seine Leute meistens ein bisschen auf.

»Das heißt also, dass wir …«

»Wir machen weiter. Bis auf Widerruf.«

»Herrlicher Morgen«, feixte Lewin.

Der Gerichtsmediziner war älter als die anderen. Er stand im Rang eines Milizhauptmanns. Er hatte kein Mitleid mit Tanja, der Expertin für Spurensicherung, die den Blick nicht von den Gesichtern der Toten wenden konnte. Arkadi nahm sie beiseite und schlug ihr vor, eine Skizze der Lichtung anzufertigen und die Lage der Ermordeten so genau wie möglich einzuzeichnen.

»Vor oder nach der Wühlarbeit unseres guten Majors?«, fragte Lewin.

»Vorher«, entschied Arkadi. »Als wäre der Major nie hier gewesen.«

Lewin suchte den Schnee um die Leichen herum nach Blutspuren ab. Wirklich ein herrlicher Morgen, dachte Arkadi. Auf dem jenseitigen Moskwaufer sah er die Gebäude des Verteidigungsministeriums im ersten Tageslicht aufleuchten – dem einzigen Augenblick, in dem diese endlosen grauen Mauern leicht belebt wirkten. Ein Tag, an dem es schien, als wollte der Winterschnee schmelzen.

»Scheiße.« Er starrte erneut die Leichen an.

Der Fotograf wollte wissen, ob sein Kollege vom KGB nicht bereits Aufnahmen gemacht habe.

»Bestimmt schöne Souvenirfotos«, antwortete Arkadi, »aber für unsere Ermittlungen ungeeignet.«

Der Fotograf lachte geschmeichelt.

Der Kriminalbeamte Pascha Pawlowitsch kam mit dem Dienstwagen des Ermittlers: einem fünf Jahre alten Moskwitsch, keinem eleganten Wolga, wie Pribluda einen fuhr. Pascha war ein halber Tatar, muskulös, mit einem dunklen Haarschopf.

»Drei Leichen, zwei Männer und eine Frau.« Arkadi stieg in den Wagen. »Steifgefroren. Vielleicht eine Woche alt, vielleicht einen Monat oder ein Vierteljahr. Keine Ausweise, kein Tascheninhalt, nichts. Alle mit einem Herzschuss, zwei mit einem zusätzlichen Kopfschuss. Geh hin und sieh dir die Gesichter an.«

Arkadi wartete im Auto. Mitte April war der Winter normalerweise noch nicht vorbei; meistens hielt er sich bis in den Mai hinein. Er hätte diese verstümmelten Leichen ruhig etwas länger für sich behalten können – dann läge Arkadi jetzt noch in seinem warmen Bett.

Pascha kam empört zurück. »Was für ein Verrückter kann das gewesen sein?«

Arkadi nickte ihm zu, er solle einsteigen.

»Pribluda war da«, sagte er, als Pascha wieder am Steuer saß. Er beobachtete amüsiert, wie der Kriminalbeamte unwillkürlich etwas tiefer in den Sitz rutschte. »Dieser Fall ist nichts für uns«, fügte Arkadi hinzu. »Den nehmen sie uns bald ab, verlass dich drauf!«

»Aber hier, im Gorki Park!«, meinte Pascha betroffen.

»Verrückt, was? Tu jetzt, was ich dir sage, kriegen wir keine Schwierigkeiten. Du fährst zu der für den Park zuständigen Milizstation und holst einen Plan der Schlittschuhwege. Außerdem lässt du dir die Namen aller Patrouillen und Straßenverkäuferinnen geben, die im Winter in diesem Teil des Parks eingesetzt sind. Desgleichen brauchen wir die Namen der Parkwächter, die hier herumgeschnüffelt haben könnten. Wichtig ist, dass wir möglichst viel Wirbel veranstalten.« Arkadi stieg aus und beugte sich zu Pascha herab. »Ist mir übrigens ein zweiter Kriminalbeamter zugeteilt worden?«

»Fet.«

»Kenne ich nicht.«

Pascha spuckte in den Schnee. »Ein Vögelein, das singt so fein …«

»Aha!« Bei einem Fall dieser Art wurde ihnen unweigerlich ein Spitzel aufgedrückt; mit dieser Tatsache fand Arkadi sich nicht nur ab, sondern er begrüßte sie sogar: »Wenn alle zusammenhelfen, sind wir den Fall bald wieder los.«

Nachdem Pascha weggefahren war, kamen zwei Lastwagen mit jungen Milizrekruten an, die mit Schaufeln bewaffnet waren. Tanja hatte die Lichtung in Quadrate unterteilt, damit der Schnee Meter für Meter weggeschaufelt werden konnte und man nicht befürchten musste, dass der Fundort von Beweismaterial sich nicht mehr rekonstruieren ließe. Arkadi rechnete nicht ernsthaft damit, dass noch etwas gefunden würde. Ihm ging es lediglich um den äußeren Eindruck. Wenn die Farce glaubhaft genug war, rief Pribluda vielleicht schon im Laufe des Tages an.

Warum gerade im Gorki Park? In Moskau gab es größere Parks, in denen man Leichen verstecken konnte. Der Gorki Park war nur zwei Kilometer lang und an seiner breitesten Stelle kaum einen Kilometer breit. Aber er war der beliebteste Park von Moskau. Hierher kamen alle: Angestellte, um ihre mitgebrachten Brote zu essen, Großmütter mit Kinderwagen, Liebespaare. Im Gorki Park gab es ein Riesenrad, Brunnen, Kindertheater, Spazierwege, Restaurants und im Winter Eisbahnen und Schlittschuhwege.

Fet, der junge Kriminalbeamte, meldete sich bei Arkadi. Er war fast so jung wie die Rekruten und blickte mit eisblauen Augen durch eine Nickelbrille.

»Sie sind für den Schnee zuständig.« Arkadi deutete auf die wachsenden Schneeberge. »Schmelzen und durchsuchen Sie ihn.«

»In welchem Labor?«, fragte Fet.

»Oh, ich glaube, dass heißes Wasser an Ort und Stelle genügt.« Weil das vermutlich nicht eindrucksvoll genug klang, fügte Arkadi hinzu: »Ich verlange, dass hier keine Schneeflocke auf der anderen bleibt!«

Arkadi nahm Fets beige-roten Dienstwagen, fuhr davon und überquerte die Krim-Brücke nach Norden. Es war neun Uhr; vor zwei Stunden war er aus dem Bett geholt worden und hatte noch nicht gefrühstückt, nur Zigaretten geraucht. Am Ende der Brücke hielt er seinen roten Dienstausweis hoch, sodass der Milizmann, der den Verkehr regelte, ihn sehen konnte, und hatte sofort freie Fahrt. Ein Privileg, das er seinem Dienstrang verdankte. Arkadi fuhr auf dem Marx-Prospekt um den Kreml herum, bog in die Petrowka-Straße ab und erreichte den fünfstöckigen gelben Bau des Hauptquartiers der Moskauer Miliz. Dort parkte er in der Tiefgarage und fuhr mit dem Lift zur Einsatzzentrale im zweiten Stock hinauf.

An einer Wand der Zentrale hing ein riesiger Stadtplan, auf dem Moskau in 30 Bezirke unterteilt war. 135 Lämpchen bezeichneten die Milizstationen. An einem Pult mit Mikrofonen und Kippschaltern saßen Beamte, die über Funk Verbindung zu Streifenwagen (»Fünfneun, hier Wolga, kommen«) und Milizstationen (»Omsk, hier Wolga, kommen«) hielten. Auf dem ganzen Stadtplan blinkte lediglich ein Lämpchen auf, das anzeigte, dass in der Hauptstadt mit ihren sieben Millionen Einwohnern in den vergangenen 24 Stunden nur ein Kapitalverbrechen gemeldet worden war – im Gorki Park. Der Milizdirektor, eine imposante Erscheinung mit breiter Ordensschnalle auf der grauen Generalsuniform, beobachtete dieses Blinken von der Mitte der Einsatzzentrale aus. Bei ihm standen zwei Männer im Rang eines Oberst, seine Stellvertreter. In seinem Zivilanzug wirkte Arkadi dagegen geradezu schäbig.

»Ermittler Renko meldet sich zur Stelle, Genosse General«, sagte Arkadi vorschriftsmäßig. Bin ich rasiert? fragte er sich. Er widerstand der Versuchung, sein Kinn zu betasten.

Der General nickte kaum merklich.

»Den General interessiert Ihre erste Reaktion«, stellte der eine Oberst fest. »Wie beurteilen Sie die Aussichten, dass der Fall rasch gelöst werden kann?«

»Mit der besten Miliz der Welt und der Unterstützung durch das Volk wird es uns sicher gelingen, die Täter zu ermitteln und festzunehmen«, antwortete Arkadi automatisch.

»Wie kommt es dann«, fragte der andere Oberst, »dass nicht längst alle Stationen aufgefordert worden sind, bei der Identifizierung der Toten mitzuhelfen?«

»Bei den Leichen wurden keine Ausweise gefunden, und da sie gefroren sind, ist schwer zu sagen, wann sie erschossen wurden. Außerdem sind sie zum Teil verstümmelt. Eine normale Identifizierung scheidet deshalb aus.«

Der erste Oberst wechselte einen Blick mit dem General, bevor er fragte: »Am Tatort ist ein KGB-Vertreter erschienen?«

»Ja.«

Der General murmelte: »Im Gorki Park – das verstehe ich nicht.«

Arkadi frühstückte in der Kantine, bevor er ein Zweikopekenstück in den Münzfernsprecher steckte, um zu telefonieren. »Ist die Genossin Lehrerin Renko da?«

»Genossin Renko ist bei einer Besprechung mit einem Ausschuss der Bezirkspartei.«

»Wir wollten uns zum Mittagessen treffen. Richten Sie Genossin Renko aus … sagen Sie ihr, dass ihr Mann heute wahrscheinlich erst etwas später nach Hause kommt.«

In der nächsten Stunde wälzte Arkadi Ermittlungskarten und überzeugte sich davon, dass Fet, der bebrillte junge Kriminalbeamte, stets nur Fälle bearbeitet hatte, die für den KGB interessant gewesen waren. Arkadi verließ das Hauptquartier durch den zur Petrowka-Straße hinausführenden Hof, nickte dem Wachposten zu und betrat das gerichtsmedizinische Institut.

An der Tür des Autopsieraums blieb er stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden.

»Ihnen ist wohl schlecht?« Lewin sah auf, als er das Zündholz aufflammen hörte.

Arkadi schüttelte den Kopf. Er inhalierte tief, bevor er den nach Formalin riechenden Raum betrat. Die drei Mordopfer mochten als Persönlichkeiten äußerst unterschiedlich gewesen sein; als Leichen waren sie einander erstaunlich ähnlich. Albinoweiß, über jedem Herzen eine Einschusswunde, Finger ohne Spitzen und Köpfe ohne Gesichter. Vom Haaransatz bis zum Kinn und von einem Ohr zum anderen war alles Fleisch entfernt worden, sodass nur Masken aus Knochen und schwarzem Blut zurückgeblieben waren. Auch die Augen fehlten. So waren die Ermordeten aufgefunden worden. Lewins Assistent, ein Usbeke mit laufender Nase, war eben dabei, die Brustkörbe mit einer Handkreissäge aufzuschneiden.

»Wie lösen Sie Mordfälle, wenn Sie den Anblick von Toten nicht ertragen?«, erkundigte Lewin sich spöttisch.

»Ich verhafte Lebende.«

»Und darauf sind Sie wohl stolz?«

Arkadi nahm die Karteikarten von den Seziertischen und las:

Männlich. Europäer. Haar braun. Augen unbekannt. Alter ca.20 bis 25 Jahre. Tot seit mindestens zwei Wochen/höchstens sechs Monaten; Verwesung durch Kälteschock aufgehalten. Todesursache Schusswunden. Gesichtsgewebe und dritte Fingerglieder beider Hände fehlen. Zwei möglicherweise tödliche Schussverletzungen. Wunde A: Einschuss im Oberkiefer, Austritt am Hinterkopf. Wunde B: Einschuss zwei Zentimeter links des Brustbeins; Kugel GP1-B im Brustkorb aufgefunden.

Männlich. Europäer. Haar braun. Augen unbekannt. Alter ca. 20 bis 30 Jahre. Tot seit mindestens zwei Wochen/höchstens sechs Monaten; Verwesung durch Kälteschock aufgehalten. Todesursache Schusswunden. Gesichtsgewebe und dritte Fingerglieder beider Hände fehlen. Zwei möglicherweise tödliche Schussverletzungen. Wunde A: Einschuss im Oberkiefer; Kugel GP2-A im Gesichtsschädel aufgefunden. Wunde B: Einschuss drei Zentimeter links des Brustbeins; Kugel GP2-B im linken Schulterblatt steckend aufgefunden.

Weiblich, Europäerin. Haar braun. Augen unbekannt. Alter ca. 20 bis 23 Jahre. Tot seit mindestens zwei Wochen/höchstens sechs Monaten; Verwesung durch Kälteschock aufgehalten. Todesursache Schusswunde: Einschuss drei Zentimeter links des Brustbeins, rechter Herzvorhof und obere Hohlvene durchschlagen; Austritt zwischen dritter und vierter Rippe zwei Zentimeter links des Rückgrats. Gesicht und Hände wie bei GP1 und GP2 verstümmelt. Kugel GP3 hinter Austrittswunde im Kleid aufgefunden. Keine Anzeichen für eine Schwangerschaft.

Arkadi lehnte an der Wand, inhalierte, bis ihm fast schwindlig wurde, und konzentrierte sich auf die Karteikarten.

»Wie kommen Sie auf die Altersangaben?«, fragte er.

»Das ergibt sich aus dem jeweiligen Gebisszustand.«

»Sie haben also ein Zahnschema angefertigt?«

»Richtig, aber damit ist nicht viel anzufangen. Der zweite Tote hat eine Stahlkrone.« Lewin zuckte mit den Schultern.

Der Usbeke gab Arkadi drei ausgefüllte Zahnschemata und eine Schachtel mit teilweise zersplitterten Vorderzähnen, die wie die Kugeln bezeichnet waren.

»Einer fehlt«, stellte Arkadi fest.

»Pulverisiert. Die Überreste sind in der kleinen Schachtel. Aber es gibt ein paar hochinteressante Punkte, die nicht in dem vorläufigen Bericht stehen. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen, wenn Sie wollen.«

Arkadi trat zögernd zwei Schritte vor.

»Wie Sie sehen«, begann Lewin, »ist der erste Mann grobknochig und muskulös gewesen. Der zweite Mann weist einen leichteren Körperbau und einen alten Splitterbruch des linken Schienbeins auf. Höchst interessant.« Lewin griff nach einem abgeschnittenen Haarbüschel. »Der zweite Mann hat sich die Haare gefärbt. Von Natur aus war er rothaarig. Das steht alles im abschließenden Bericht.«

»Auf den wir gespannt warten.« Arkadi nickte dankend und ging.

Das Ballistiklabor war in einem Raum untergebracht, der zum größten Teil von einem vier Meter langen Wassertank eingenommen wurde. Arkadi gab die Kugeln zur Untersuchung ab und betrat das forensische Zentrallabor, einen fast saalartigen Raum mit Parkettboden, Marmortischen und altertümlichen Stehaschern, die von gusseisernen Nymphen hochgehalten wurden. Die Kleidungsstücke der drei Ermordeten wurden an Einzeltischen untersucht. Leiter des Labors war der Milizoberst Ljudin, ein Mittvierziger mit pomadeglänzendem Haar und rosigen Patschhändchen.

»Außer Blut haben wir bisher nicht viel gefunden«, verkündete Ljudin lächelnd.

Die Labortechniker sahen kaum auf, als der Leitende Ermittler hereinkam. Einer von Ljudins Männern saugte die Taschen der Kleidungsstücke aus; ein anderer säuberte die Schlittschuhe. Hinter ihnen stand ein ganzes Wandregal mit Gläsern voller bonbonbunter Reagenzien.

»Woher stammen die Kleidungsstücke?«, erkundigte Arkadi sich. Er wünschte sich ausländische Qualitätsware, die darauf hätte schließen lassen, dass die drei Toten Schwarzhändler gewesen waren und somit in den Zuständigkeitsbereich des KGB fielen.

»Hier!« Ljudin zeigte auf ein Etikett in einer Jacke. Auf dem Etikett stand Jeans. »Einheimische Ware. Minderwertiges Zeug, das in jedem Geschäft zu kaufen ist. Oder sehen Sie sich den BH an.« Der Oberst nickte zu einem anderen Tisch hinüber. »Kein französisches, nicht mal ein deutsches Erzeugnis.«

Arkadi sah, dass Ljudin unter seinem offenen Laborkittel eine italienische Seidenkrawatte trug. Sie fiel auf, weil es solche Krawatten nirgends zu kaufen gab. Der Oberst genoss Arkadis Frustration wegen der Kleidungsstücke der Ermordeten; je frustrierter die Kriminalbeamten waren, desto wichtiger waren die Labortechniker.

»Wir müssen natürlich noch die Gaschromatografen, das Spektrometer und weitere Geräte einsetzen, aber solche Untersuchungen sind in dreifacher Ausfertigung immer sehr teuer.« Ljudin hob hilflos die Hände. »Ganz zu schweigen von der notwendigen Computerzeit.«

Arkadi war klar, dass das nur Theater war. »Für die Gerechtigkeit darf nichts zu teuer sein, Oberst.«

»Ganz recht, aber ich brauche einen schriftlichen Auftrag, eine Anforderung für diese ganzen Untersuchungen, verstehen Sie?« Arkadi unterzeichnete schließlich einen Blankoauftrag. Oberst Ljudin würde überflüssige Untersuchungen einsetzen, die er gar nicht durchführen würde, und die nicht verbrauchten Chemikalien privat verkaufen. Aber er verstand seine Sache. Arkadi hatte keinen Grund, sich über seine Arbeit zu beschweren. Der Techniker im Ballistiklabor hatte zwei Kugeln unter dem Vergleichsmikroskop, als Arkadi zurückkam.

»Wollen Sie sich’s mal ansehen?«

Arkadi beugte sich über das Binokular. Unter beiden Objektiven lag je eine Kugel aus dem Gorki Park. Eine von ihnen hatte einen Knochen durchschlagen und war dabei ziemlich deformiert worden, aber beide ließen erkennen, dass sie aus einem Lauf mit Linksdrall abgeschossen worden waren, und als Arkadi sie von mehreren Seiten betrachtete, konnte er zahlreiche weitere Gemeinsamkeiten feststellen.

»Dieselbe Waffe.«

»Immer dieselbe Waffe«, bestätigte der Techniker. »Bei allen fünf Geschossen. Das Kaliber 7.65 Millimeter ist sehr selten.«

Arkadi hatte nur vier Kugeln von Lewin mitgebracht.

Er nahm die beiden Kugeln aus der Halterung unter dem Mikroskop. Die rechte war unbezeichnet.

»Eben aus dem Park reingekommen«, sagte der Techniker. »Mit dem Metalldetektor gefunden.«

Drei Menschen im Freien aus nächster Nähe mit einer einzigen Waffe von vorn erschossen. Erschossen und aufgeschnitten. Genau wie vor sechs Wochen im Fluss Kliasma. Und auch damals war er auf Pribluda gestoßen.

Vor sechs Wochen waren zweihundert Kilometer östlich von Moskau bei Bugolubowo, einem Dorf von Kartoffelbauern, am Ufer der Kliasma zwei Leichen gefunden worden. Die nächste Stadt war Wladimir, aber keiner der Ermittlungsbeamten der dortigen Staatsanwaltschaft war bereit gewesen, die Ermittlungen zu führen; sie waren alle »krank« gewesen. Daraufhin hatte der Generalstaatsanwalt den Moskauer Leitenden Ermittler für Sonderfälle nach Bugolubowo entsandt.

Die Opfer waren zwei junge Männer, deren Münder merkwürdig offen standen und deren Mäntel und Oberkörper aufgeschnitten worden waren. Lewin entdeckte außerdem rote Gummispuren an den Zähnen der beiden und Natriumaminat in ihrem Blut, was Arkadi die »Krankheit« der Wladimirer Kollegen verständlich machte. Denn außerhalb von Bugolubowo – und in keiner Karte eingezeichnet, obwohl die Zahl der Insassen die der Dorfbewohner überstieg – lag eine geschlossene Anstalt für politische Gefangene, und Natriumaminat war ein dort häufig verwendetes Beruhigungsmittel.

Arkadi war zu dem Schluss gekommen, die Toten seien nach ihrer Entlassung von Komplizen ermordet worden. Als die Anstaltsleitung sich weigerte, telefonische Auskünfte zu geben, hätte er den Fall »zur weiteren Erledigung« an die Kollegen in Wladimir abgeben können. Stattdessen war er in Uniform vorgefahren, hatte Einblick in die Häftlingskartei verlangt und festgestellt, dass ein Major Pribluda vom KGB am Tag vor dem Leichenfund zwei Männer abgeholt hatte. Arkadi hatte den Major angerufen, der diese Tatsache leugnete.

An diesem Punkt hätten die Ermittlungen eingestellt werden können. Stattdessen war Arkadi nach Moskau zurückgefahren, hatte sich in Pribludas Büro in der schäbigen KGB-Zweigstelle in der Petrowka-Straße begeben und dort auf dem Schreibtisch des Majors zwei rote Gummibälle mit elliptischen Bissspuren gefunden. Arkadi ließ eine Empfangsbestätigung für die Bälle zurück und nahm sie mit ins forensische Labor, wo festgestellt wurde, dass die Bissspuren genau den Zähnen der beiden Ermordeten entsprachen.

Pribluda musste die betäubten Anstaltsinsassen zum Fluss gefahren, ihnen die Gummibälle als Knebel in den Mund gesteckt und sie erschossen haben. Um die Spuren zu verwischen, hatte er die Kugeln aus den Leichen herausgeschnitten. Die verstümmelten Leichen waren sofort gefroren.

Da Haftbefehle vom Staatsanwalt ausgestellt wurden, meldete Arkadi sich bei Jamskoi, klagte Pribluda wegen Mordes an und beantragte zunächst einen Durchsuchungsbefehl für Pribludas Büro und seine Wohnung. Noch während Arkadi mit dem Staatsanwalt sprach, kam ein Anruf, dass der KGB aus Gründen der Staatssicherheit die Ermittlungen in diesem Fall an sich ziehe. Sämtliche Ermittlungsunterlagen seien Major Pribluda zu übergeben.

Vom Ballistiklabor aus machte sich Arkadi auf den Weg in sein Büro im Gebäude der Moskauer Staatsanwaltschaft. Diese befand sich südlich der Moskwa in der Nowokusnezkaja-Straße, in einem Viertel mit Geschäftshäusern aus dem 19. Jahrhundert, und zwar in zwei nebeneinanderstehenden Gebäuden. Die Ermittlungsbehörde war in einem gelben einstöckigen Bau untergebracht, die Anklagebehörde in einem zweistöckigen grauen Gebäude. Arkadi betrat den gelben Bau und nahm auf der Treppe zum ersten Stock je zwei Stufen auf einmal. Oben im Korridor kamen ihm die Leitenden Ermittler Tschutschin (Sonderfälle) und Below (Industrie) entgegen.

»Jamskoi hat nach dir gefragt«, warnte Tschutschin ihn.

Arkadi ignorierte ihn und verschwand in seinem Büro am Ende des Korridors. Der Raum, drei mal vier Meter groß, hatte ein altmodisches Doppelfenster und war mit abgestoßenen Büromöbeln eingerichtet. Der Wandschmuck bestand aus einem Kalender mit einem ungewöhnlichen Foto, das Lenin im Liegestuhl zeigte.

Below kam herein. »Du behandelst Tschutschin ziemlich schlecht«, stellte er fest. Below war der älteste Ermittler und hegte laut eigener Aussage »unerschütterliche Zuneigung« für Arkadi.

»Er ist ein Schwein!«

»Er leistet notwendige Arbeit.« Below kratzte sich sein kurzes, etwas schütteres Haar. »Wir spezialisieren uns alle.«

»Ich habe nie behauptet, dass Schweine überflüssig sind.«

»Genau das meine ich. Er befasst sich mit gesellschaftlichem Abschaum.«

Wsewolod Below, der Mann mit den ausgebeulten Anzügen. Der Veteran, der den Großen Vaterländischen Krieg nicht vergessen konnte. Großmütig – und zugleich ein instinktiver Reaktionär. Mit Fragen, die bestimmte Kreise betrafen, konnte Arkadi sich stets an Below wenden.

»Onkel Sewa, wer färbt sich die Haare und trägt ein Sportsakko mit einem gefälschten ausländischen Etikett?«

»Da hast du Pech«, antwortete Below mitfühlend. »Musiker oder Rocker. Jazzfanatiker und dergleichen. Von denen hast du keine Unterstützung zu erwarten.«

»Erstaunlich! Du tippst also auf Gammler?«

»Bei deiner Intelligenz musst du das selbst am besten wissen. Eine Maskerade mit gefärbtem Haar und ein gefälschtes Etikett lassen jedenfalls auf Gammler oder jemanden mit starker Neigung zum Musiker- und Gammlermilieu schließen.«

»Drei Leute sind mit derselben Waffe erschossen worden. Danach hat jemand sie mit einem Messer verstümmelt. Sämtliche Taschen sind ausgeleert. Und Pribluda ist sofort zur Stelle, um die Leichen zu beschnüffeln.«

Below schüttelte den Kopf. »Persönliche Differenzen zwischen Justizorganen sollten unsere gemeinsame Arbeit nicht behindern dürfen«, meinte er bekümmert.

Arkadi legte seine Hände flach auf die Schreibtischplatte und lächelte. »Danke, Onkel Sewa. Du weißt, wie sehr ich dein Urteil schätze.«

»Ah, das klingt schon besser …« Below ging erleichtert zur Tür.

Er wollte nicht daran denken, weshalb Pribluda und Arkadi einander hassten. »Hast du deinen Vater in letzter Zeit wieder einmal besucht?«

»Nein.« Arkadi breitete die vorläufigen Autopsieberichte auf seinem Schreibtisch aus und zog die Schreibmaschine zu sich heran.

»Richtest du ihm einen Gruß von mir aus? Aber nicht vergessen!«

»Bestimmt nicht.«

Arkadi begann, einen ersten Ermittlungsbericht zu tippen. Während er die wenig aussagekräftigen Blätter noch einmal durchlas, kamen Pawlowitsch und Fet herein. Pascha trug eine Aktentasche.

»Augenblick, ich bin gleich wieder da.« Arkadi zog seine Jacke an. »Du weißt, was zu tun ist, Pascha.«

Arkadi musste auf die Straße hinunter, um nach nebenan zur Staatsanwaltschaft zu gelangen. Der Staatsanwalt besaß ungewöhnlich große Autorität: Ihm unterstanden alle Ermittlungen von Straftaten, wobei er zugleich die Anklage wie den Angeklagten vertrat. Er genehmigte Haftbefehle, billigte oder verwarf Gerichtsurteile und veranlasste Berufungsverfahren. In allen diesen Fragen entschied er selbstständig und war nur dem Generalstaatsanwalt verantwortlich.

Staatsanwalt Andrej Jamskoi saß hinter seinem Schreibtisch. Sein glatt rasierter Schädel glänzte rosa – ein verblüffender Gegensatz zu seiner dunkelblauen, maßgeschneiderten Uniform mit den goldenen Generalssternen. Jamskois Gesicht mit den starken Augenwülsten, der fleischigen Nase und den dicken Lippen erinnerte Arkadi an einen Neandertaler – ein Eindruck, der durch seinen überproportionierten Brustkorb und die auffällig langen Arme noch verstärkt wurde.

»Warten Sie.« Er las weiter in der vor ihm liegenden Akte.

Arkadi stand auf dem grünen Teppich drei Meter vor dem Schreibtisch des Staatsanwalts. An den holzgetäfelten Wänden hingen gerahmte Fotos: Jamskoi an der Spitze einer Delegation von Staatsanwälten bei Generalsekretär Breschnew, Jamskoi, wie er dem Generalsekretär die Hand schüttelte, Jamskoi bei einem Vortrag auf einem Juristenkongress in Paris und – ein einmaliges Bild Jamskois aus der Prawda – bei einer Berufungsverhandlung vor dem obersten Gerichtshof, in der er sich für einen fälschlich wegen Mordes angeklagten jungen Arbeiter eingesetzt hatte.

»Ja?« Jamskoi klappte die Akte zu und hob den Kopf. Seine Stimme war wie immer so leise, dass man sich konzentrieren musste, um zu verstehen, was er sagte.

Arkadi legte den Bericht auf den Schreibtisch, und der Staatsanwalt überflog ihn.

»Major Pribluda war am Tatort«, stellte er fest. »Sie haben seinen Namen nicht erwähnt.«

»Er hat uns die Arbeit erschwert und ist dann zum Glück verschwunden. Hat er angerufen, um mich ablösen zu lassen?«

Jamskoi warf Arkadi einen prüfenden Blick zu. »Sie stehen als Leitender Ermittler der Mordkommission vor, Arkadi Wassiljewitsch. Warum sollte er Ihre Ablösung betreiben?«

»Sie kennen die Schwierigkeiten, die wir vor Kurzem mit dem Major hatten.«

»Was für Schwierigkeiten? Der KGB hat in jener Sache lediglich seine Zuständigkeit geltend gemacht – damit war der Fall erledigt.«

»Entschuldigung, aber heute haben wir drei junge Leute aufgefunden, die in einem Stadtpark mit einer 7.65-mm-Pistole erschossen worden sind. Moskauer können sich normalerweise nur 7.62- oder 9-mm-Armeewaffen besorgen, die keine Ähnlichkeit mit der Tatwaffe haben. Außerdem sind die Gesichter der Ermordeten verstümmelt worden. Ich habe es absichtlich vermieden, daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.«

»Danke«, sagte der Staatsanwalt. Damit war Arkadi vorerst entlassen.

Fet und Pascha hatten einen detaillierten Plan des Gorki Parks, eine Tatortskizze, mehrere Fotos und die Autopsieberichte mit Klebestreifen an der Wand befestigt. Arkadi ließ sich auf einen Stuhl fallen und riss eine neue Packung Zigaretten auf. Zwei Streichhölzer brachen ab, bevor das dritte brannte. Fet beobachtete ihn stirnrunzelnd. Arkadi stand auf, nahm die Fotos der Ermordeten ab und legte sie in eine Schreibtischschublade. Unnötig, sie ständig vor sich zu haben. Dann nahm er wieder Platz und spielte mit den Zündhölzern.

»Habt ihr schon jemanden vernommen?«

Pascha schlug sein Notizbuch auf. »Zehn Leute von der Miliz, die nichts gehört oder gesehen haben. Wahrscheinlich bin ich diesen Winter beim Schlittschuhlaufen selbst mindestens zwanzigmal an der Lichtung vorbeigekommen.«

»Dann bleiben noch die Imbissverkäuferinnen. Diese alten Frauen sehen oft mehr als die Miliz.«

Fet war offenbar anderer Auffassung. Arkadi sah zu ihm hinüber. Da der junge Kriminalbeamte keine Pelzmütze mehr trug, fielen seine abstehenden Ohren umso mehr auf.

»Sie waren dabei, als die letzte Kugel gefunden wurde?«, fragte Arkadi ihn.

»Jawohl. GP1-A ist unmittelbar unter dem Hinterkopf von GP1, dem ersten Mann, entdeckt worden.«

»Immer diese Nummern!« Pascha schüttelte den Kopf. »Gorki Park eins? Der große Kerl? Das ist der ›Muskelmann‹.«

»Nicht deutlich genug«, widersprach Arkadi. »Die ›Schönheit‹ und das ›Ungeheuer‹ – das passt eher, finde ich. ›Kümmerling‹ für den zweiten.«

»In Wirklichkeit hat er rote Haare gehabt«, warf Pascha ein.

»Ich schlage vor, dass wir ihn ›Rotschopf‹ nennen.«

»›Schönheit‹, ›Ungeheuer‹ und ›Rotschopf‹. Unsere erste wichtige Entscheidung, Fet«, sagte Arkadi. »Weiß jemand, wie das Labor mit den Schlittschuhen vorangekommen ist?«

»Die Sache mit den Schlittschuhen könnte ein Trick sein«, meinte Fet. »Ich halte es für kaum vorstellbar, dass man im Gorki Park drei Menschen erschießen kann, ohne dass jemand etwas davon hört. Die Ermordeten können anderswo erschossen worden sein; danach hat man ihnen Schlittschuhe angezogen und sie nachts in den Park geschafft.«

»Es ist tatsächlich schwer zu glauben, dass drei Leute unbemerkt im Gorki Park erschossen werden«, antwortete Arkadi. »Aber versucht mal, einem Toten Schlittschuhe anzuziehen! Außerdem ist gerade der Gorki Park der einzige Ort, der sich zu keiner Zeit als Versteck für drei Leichen eignet.«

»Aber wir haben die letzte Kugel in der Erde gefunden«, wandte der junge Kriminalbeamte ein. »Das beweist doch, dass die drei dort erschossen worden sind.«

»Das beweist lediglich, dass der Mann dort – tot oder lebendig – einen Kopfschuss erhalten hat«, stellte Arkadi richtig. »Wir haben keine Patronenhülsen gefunden. Hätte der Täter eine Pistole benutzt, wären die Hülsen ausgeworfen worden.«

»Er könnte sie aufgesammelt haben«, protestierte Fet.

»Wozu? Die Geschosse sagen ebenso viel aus wie die Hülsen.«

»Er könnte aus einiger Entfernung geschossen haben.«

»Das hat er aber nicht«, stellte Arkadi fest.

»Vielleicht hat er die Hülsen aufgesammelt, weil er Angst hatte, jemand würde sie finden und daraufhin nach einer Leiche suchen.«

Arkadi schüttelte den Kopf. »Die nach dem Schuss glühend heißen Hülsen wären längst im Schnee verschwunden, bevor die Leichen einschneiten. Aber mich interessiert etwas anderes.« Er warf Fet einen fragenden Blick zu. »Warum gehen Sie von einem Einzeltäter aus?«

»Wir haben es nur mit einer Waffe zu tun.«

»Soweit wir wissen, sind alle Schüsse aus derselben Waffe abgegeben worden. Können Sie sich vorstellen, wie schwierig es für einen einzelnen Schützen wäre, drei Menschen dazu zu bringen, stillzuhalten und sich aus kürzester Entfernung erschießen zu lassen – es sei denn, er hätte bewaffnete Komplizen bei sich?« Arkadi zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls fassen wir den Täter! Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit!« Er sah auf seine Uhr. »Ein langer Tag, was? Eure Schicht ist längst zu Ende.«

Fet verschwand hastig.

»Da fliegt unser Vögelchen«, sagte Pascha, bevor er ebenfalls ging. »Hoffentlich erweist er sich als Papagei.«

Als Arkadi allein war, rief er das Hauptquartier in der Petrowka-Straße an und veranlasste, dass in der Sowjetunion westlich des Urals ein Fahndungsaufruf verbreitet wurde, damit der Milizdirektor zufrieden war. Dann versuchte er, erneut in der Schule anzurufen. Aber die Genossin Lehrerin Renko leitete eine Kritikversammlung für Schülereltern und konnte nicht an den Apparat kommen.

Die anderen Ermittlungsbeamten verließen ihre Büros und setzten ihre Freizeitgesichter auf. Arkadi hatte keinen Hunger, aber er wusste, dass ein Spaziergang ihm Appetit machen würde. Er zog seinen Mantel an und verließ das gelbe Gebäude.

Er ging bis zum Paweletser-Bahnhof und suchte dann einen Schnellimbisss auf, in dem es am Büfett Weißfisch und in Essig schwimmenden Kartoffelsalat gab. Arkadi trat an die Bar und bestellte ein Bier. Auf den anderen Hockern saßen Eisenbahner und junge Soldaten, die sich mit billigem Sekt betranken.

Zu seinem Bier wurde Arkadi eine Scheibe Roggenbrot mit Butter und Kaviar serviert. »He, woher kommt das?«

»Vom Himmel«, sagte der Geschäftsführer.

»Es gibt keinen Himmel.«

»Doch, für uns ist dies hier jetzt der Himmel.« Der Geschäftsführer grinste Arkadi mit blitzendem Stahlgebiss an und schob ihm das Kaviarbrot hin.

»Na ja, ich hab heute noch keine Zeitung gelesen«, gab Arkadi zu. Die Frau des Geschäftsführers, eine zwergenhafte Gestalt in einem weißen Kittel, kam aus der Küche. Als sie Arkadi sah, lächelte sie so strahlend, dass ihr verhärmtes Gesicht beinahe schön wirkte. Ihr Mann stand stolz neben ihr.

Die beiden waren Wiskow, F. N., und Wiskowa, I. L., die 1946 eine »konterrevolutionäre Zelle« gebildet hatten, indem sie in ihrem Antiquariat Schmierer wie Montaigne, Apollinaire und Hemingway angeboten hatten. Nach einem »verschärften Verhör«, das Wiskow verkrüppelt und seine Frau fast ohne Stimme (nach einem Selbstmordversuch mit Lauge) zurückgelassen hatte, waren sie zu je 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Im Jahre 1956 wurden die Wiskows entlassen und erhielten sogar die Möglichkeit, eine Buchhandlung aufzumachen, was sie allerdings ablehnten.

»Ich dachte, Sie seien Geschäftsführer des Schnellrestaurants am Zirkus«, sagte Arkadi.

»Dort ist meiner Frau die Arbeit zu anstrengend geworden. Hier braucht sie nur auszuhelfen.« Wiskow zwinkerte Arkadi zu. »Manchmal kommt auch unser Junge vorbei und hilft mit.«

»Das haben wir Ihnen zu verdanken«, formte Genossin Wiskowa mühsam mit den Lippen.

Großer Gott, dachte Arkadi, ein Apparat klagt zwei Unschuldige an, verschleppt sie in Arbeitslager und raubt ihnen die besten Jahre ihres Lebens – und wenn ein Apparatschik sie auch nur halbwegs anständig behandelt, bezeugen sie ihm rührend ihre Dankbarkeit. Welches Anrecht habe ich auf ein freundliches Wort von ihnen? Er aß sein Kaviarbrot, trank sein Bier und verließ die Schnellimbissstube, so rasch er konnte, ohne unhöflich zu wirken. In seinem Büro setzte Arkadi sich vor den Karteikasten und ging systematisch seine Unterlagen durch. Er begann mit Straftaten, bei denen Schusswaffen verwendet worden waren. Aber er fand keinen brauchbaren Hinweis.

Als Nächstes blätterte Arkadi in den Karteikarten mit Eintragungen über Morde und suchte nach Verbrechen, die er vielleicht vergessen hatte: Morde, deren Ausführung sorgfältige Planung und kühnen Wagemut verriet. Aber in dreijähriger Tätigkeit als Ermittler und zweijähriger als Leitender Ermittler hatte er keine fünf Morde erlebt, die nicht aus kindischer Eifersucht, Habgier oder Rachsucht verübt worden waren oder nach denen sich der Täter oder die Täterin nicht betrunken, prahlend oder reumütig der Miliz gestellt hatte.

Arkadi gab auf und knallte den Karteikasten zu.

Nikitin öffnete die Tür, ohne anzuklopfen, kam herein und setzte sich auf Arkadis Schreibtisch. Der Leitende Ermittler für interbehördliche Zusammenarbeit hatte ein rundes Gesicht und schütteres Haar. Wenn er betrunken war, verengten seine Augen sich bei jedem Lächeln zu orientalischen Schlitzen. »Du machst wohl Überstunden?«

Wollte Nikitin damit sagen, dass Arkadi fleißig, übereifrig, sinnlos, erfolgreich arbeitete, dass Arkadi clever oder ein Narr war? Das alles ließ sich aus seiner Frage heraushören.

»Wie du«, sagte Arkadi nur.

»Ich arbeite nicht – ich kontrolliere nur, was du tust.« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich wirklich, dass du nicht das Geringste von mir gelernt hast.«

Ilja Nikitin hatte die Mordkommission vor Arkadi geleitet; in nüchternem Zustand war er der beste Ermittlungsbeamte, den man sich nur vorstellen konnte. Wäre der Wodka nicht gewesen, hätte Nikitin es längst zum Staatsanwalt gebracht, aber der Ermittler war ein unverbesserlicher Trinker. Einmal pro Jahr wurde er quittegelb zur Entziehungskur nach Sotschi geschickt.

»Ich weiß immer, was du gerade tust, Wassiljewitsch. Ich behalte Sonja und dich ständig im Auge.«

An einem Wochenende, an dem Arkadi auf Dienstreise gewesen war, hatte Nikitin versucht, sich an Arkadis Frau heranzumachen. Bei Arkadis Rückkehr hatte Nikitin sich sofort nach Sotschi schicken lassen, von wo aus er täglich lange Entschuldigungsbriefe geschrieben hatte.

»Willst du eine Tasse Kaffee, Ilja?«

»Irgendjemand muss dich vor dir selbst beschützen. Entschuldige, Wassiljewitsch …« Nikitin bestand darauf, den Vaternamen leicht herablassend zu gebrauchen »… aber ich bin möglicherweise – obwohl du vielleicht anderer Meinung bist – ein bisschen intelligenter oder erfahrener oder zumindest besser informiert als du. Das bedeutet keine Kritik an deinen Leistungen, die allgemein bekannt und kaum verbesserungsfähig sind.« Nikitin legte grinsend den Kopf zur Seite. Er roch geradezu nach Heuchelei. »Dir fehlt im Grunde genommen nur der große Überblick.«

»Gute Nacht, Ilja.« Arkadi zog seinen Mantel an.

Nikitin folgte ihm auf den Gang hinaus. »Aber das kapierst du wahrscheinlich nie«, sagte er statt eines Abschiedsgrußes.

Arkadi fuhr mit einem Dienstwagen Richtung Osten. Der Moskwitsch war ein träges, untermotorisiertes Fahrzeug; trotzdem hätte er gern einen als Privatwagen gehabt. Auf den breiten Straßen waren um diese Zeit fast nur noch Taxis unterwegs. Arkadi dachte während der Fahrt an Major Pribluda, der bisher noch nicht angerufen hatte, um die Ermittlungen an sich zu ziehen.

Er fuhr zur Kalajewskaja-Straße 43: zum Moskauer Stadtgericht, einem alten Klinkerbau. In Moskau gab es insgesamt 17 Volksgerichte, aber Kapitalverbrechen wurden vor dem Stadtgericht verhandelt, das deshalb das Privileg genoss, von der Roten Armee bewacht zu werden. Arkadi zeigte den beiden blutjungen Soldaten am Eingang seinen Dienstausweis. Im Keller weckte er einen Korporal auf, der an seinem Tisch zusammengesunken schlief.

»Ich muss in den Käfig.«

»Jetzt?« Der Korporal sprang auf und knöpfte seinen Uniformrock zu.

»Wenn’s keine Umstände macht!« Arkadi hielt ihm den Schlüsselring und die Pistole hin, die der Korporal auf dem Tisch liegen gelassen hatte.

»Käfig« wurde das Archiv im Keller des Gerichtsgebäudes genannt, weil es mit einem Eisengitter gesichert war. Arkadi zog die Fächer Dezember und Januar auf.

»Wollen Sie uns nicht eine heiße Tasse Tee auf Ihrer Kochplatte machen?«, schlug Arkadi dem verlegen dastehenden Korporal vor. Er suchte nach Belastungsmaterial gegen Pribluda. Mit drei Leichen und einem Verdacht gegen den Major war nicht viel anzufangen; ganz anders sähe die Sache aus, wenn er drei Straftäter fände, die vom Stadtgericht an den KGB überstellt worden waren. Arkadi überflog eine Karteikarte nach der anderen, sonderte die zu jungen und zu alten Personen aus und achtete auf Familienstand und Arbeitsverhältnis der Straftäter. Die drei Leichen im Gorki Park waren wohl monatelang weder von Familienangehörigen noch Arbeitskollegen vermisst worden.

Bei einer Tasse Tee machte er sich über den Februar her. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitete die Tatsache, dass zwar alle Kapitalverbrechen vors Stadtgericht kamen, aber bestimmte Straftäter, an denen der KGB ebenso interessiert war – Dissidenten und sogenannte Parasiten –, manchmal von Volksgerichten abgeurteilt wurden, weil sich dort das Publikum leichter kontrollieren ließ. Arkadi schloss die Schubfächer und stand auf.

»Haben Sie gefunden, was Sie suchen?« Der Korporal schloss hinter Arkadi ab.

»Nein.«

Der Korporal salutierte, und Arkadi verließ den Keller.

Streng nach Vorschrift hätte Arkadi den Dienstwagen zurückbringen müssen. Stattdessen fuhr er nach Hause. Es war schon nach Mitternacht, als er im Osten der Stadt von der Taganskaja-Straße in einen Innenhof zwischen Wohnblöcken abbog. In seiner Wohnung brannte kein Licht mehr. Arkadi schloss die Haustür auf, stieg die Treppe hinauf und öffnete seine Wohnungstür so leise wie möglich.

Er zog sich im Bad aus, putzte sich die Zähne und nahm seine Sachen mit ins Schlafzimmer, dem größten Raum der Wohnung. Auf dem Schreibtisch stand eine Stereoanlage. Arkadi nahm die Schallplatte vom Plattenteller und las den Titel im schwachen Licht am Fenster: Aznavour à l’Olympia. Neben der Stereoanlage standen zwei Wassergläser und eine leere Weinflasche.

Sonja schlief. Sie hatte ihr langes, goldblondes Haar zu einem Zopf geflochten. Die Bettwäsche duftete nach dem Parfüm »Moskauer Nacht«. Als Arkadi unter die Decke schlüpfte, öffnete Sonja kurz die Augen.

»Du kommst spät!«

»Tut mir leid, aber wir haben einen Mord aufzuklären. Sogar drei Morde.«

Er beobachtete, wie Sonja auf diese Mitteilung reagierte.

»Asoziale«, murmelte sie verschlafen. »Deswegen warne ich die Kinder davor, Kaugummi zu kauen. Zuerst Kaugummi, dann Rockmusik, danach Rauschgift und …«

»Und?« Arkadi erwartete, dass sie Sex sagen würde.

»Und Mord.« Nachdem Sonja diese Grundregel formuliert hatte, sank sie wieder in tiefen Schlaf. Sonja, das Rätsel, mit dem er schlief.

Eine Minute später schlief auch Arkadi von Müdigkeit überwältigt ein. Im Traum schwamm er in schwarzem Wasser und tauchte mit geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen in noch dunklere Tiefen hinab. Als er eben daran dachte, an die Oberfläche zurückzukehren, gesellte sich eine schöne Frau mit langem dunklem Haar und blassem Gesicht zu ihm. Sie nahm ihn – wie jedes Mal – an der Hand. Die Unbekannte, das Rätsel, das er träumte.

2

Sonja stand nackt in der Küche und schälte sich eine Orange. gen, eine schmale Taille und kleine Brüste mit winzigen Warzen, kaum größer als Impfnarben. Da sie viel Gymnastik trieb, hatte sie sehr muskulöse Beine. Ihre Stimme war hoch und kräftig.

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