Gossip Girl - Alte Liebe, neue Lügen - Cecily Ziegesar - E-Book

Gossip Girl - Alte Liebe, neue Lügen E-Book

Cecily Ziegesar

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Beschreibung

Good golden boy, bad, bad girls

Weihnachtswunder an der Upper Eastside: Serena, Blair und Nate are back! Eigentlich wollte jeder von ihnen seine eigenen Wege gehen, doch das Schicksal will es, dass golden boy Nate von seinem Weltumseglungstrip wieder in New York strandet – direkt in den Armen von Blair. Deren neuer Freund Peter muss derweil anderweitigen familiären Verpflichtungen nachkommen. Aber deswegen braucht sich Blair ihm noch lange nicht verpflichtet fühlen, oder? Doch kaum sieht Serena ihre Dauerflamme Nate mit Blair herumturteln, entflammt der alte Neid zwischen den beiden Traumgirls. Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte – in diesem Fall It-Girl Jenny. Die würde nur allzu gerne an Nates Seite in die weite Welt hinaussegeln … Als auf der Silvesterparty die Champagnerkorken knallen, feiern, küssen, intrigieren und lieben sie weiter, als gäbe es kein Morgen. Schließlich ist das Leben da, um gelebt zu werden!

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Seitenzahl: 542

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Inhaltsverzeichnis
Widmung
Inschrift
I.
gossipgirl.net
ho, ho, ho!
eure mails
gesichtet
traditionen …
regeln sind dazu da, gebrochen zu werden
freunde kann man nie genug haben …
auch die längste reise hat einmal ein ende
liebe und andere unmöglichkeiten
Copyright
cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House
Für Anna
Liebe ist wie Krieg: leicht zu beginnen, aber schwer zu beenden.
- H. L. MENCKEN
I.
gossipgirl.net
themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
erklärung: sämtliche namen und bezeichnungen von personen, orten und veranstaltungen wurden geändert bzw. abgekürzt, um unschuldige zu schützen. mit anderen worten: mich.
ihr lieben!

ho, ho, ho!

schon bald schlittert der weihnachtsmann mit seinen rentieren die 5th avenue entlang, klingglöckchen klingen und frau holle kleidet die ganze welt in weiß. die ganze welt? aber nein. wir lassen uns unsere festtagsgarderobe dann doch lieber von den fleißigen weihnachtselfen bei givenchy, ysl oder oscar de la renta anfertigen. wer wir sind, fragt ihr? ich bitte euch - als wüsstet ihr das nicht ganz genau. wir sind die junge erbengeneration, die in den prachtvollen, portierbewachten apartmenthäusern wohnt, die manhattans goldene meile säumen - diesen glamourösen new yorker bezirk zwischen der 59. und der 86. straße, der auch upper east side genannt wird. es weihnachtet mal wieder heftig, und damit ist es höchste zeit, unsere weitläufigen penthouse-apartments mit mundgeblasenen glaskugeln zu schmücken, blinkende lichterketten aufzuhängen, alles mit grünen und roten samtschleifen zu verzieren und unseren gästen (und uns) directement aus paris importierte feine pralinés zu kredenzen. die feiertage sind hier immer eine spur funkelnder, einen hauch strahlender und … na ja, eben einfach besser als anderswo. ah, es tut so gut, endlich wieder zu hause zu sein!
ich weiß, ich weiß, ihr fiebert danach zu erfahren, wo meine wenigkeit die vergangenen monate verlebt hat, aber ich muss euch leider enttäuschen. das sage ich nämlich nicht. dafür verrate ich euch gern, dass es - entgegen landläufiger behauptungen - definitiv ein leben nach der highschool gibt. ja, stellt euch vor: wir sind endlich an der uni! im vergangenen semester waren wir von menschen umgeben, die uns (zumindest bisher) noch nie nackt gesehen haben und nicht wissen, wie wir im einstufungstest abgeschnitten haben, die sich nicht daran erinnern, dass wir in der grundschule in die hose gepinkelt haben oder wann wir uns ohrlöcher stechen ließen. wir haben einiges dazugelernt, ein paar neue freunde gefunden und sind möglicherweise sogar der liebe unseres lebens begegnet. wir haben uns alle verändert - hoffentlich nur zum positiven - und sind trotzdem genauso fabelhaft geblieben, wie wir es immer waren.
nehmen wir nur mal B, die gerade mit ihrem perfekten neuen freund, den sie in yale kennengelernt hat, perfekte urlaubstage bei seiner perfekten familie auf deren malerischen landsitz in vermont verbringt. was soll man dazu noch sagen? das mädchen zieht einfach immer das große los. apropos hauptgewinn, wo treibt sich S eigentlich dieser tage herum? nachdem ihr jetzt kein rudel hysterischer unterstuflerinnen mehr hinterherdackelt, wird sie stattdessen von paparazzi und einer meute von möchtegern-schauspielerinnen gestalkt, während sie ihre in ihren louboutins heiß gelaufenen füße kühlt und darauf wartet, für die sag-awards nominiert zu werden. ganz egal, wo S ist oder was sie tut: wir werden sie ganz bestimmt niemals aus den augen verlieren.
und dann wären da noch diejenigen, die alles gegeben haben, um aus ihrer haut zu kommen: N zum beispiel, der die letzten vier monate mehr oder weniger einsam um die welt schipperte. aber seit unserem einführungsseminar in englischer literatur wissen wir, was schon john donne gewusst hat: »kein mensch ist eine insel«, und gehen deshalb getrost davon aus, dass unser aller liebling früher oder später zurückkehren wird. hoffentlich früher. oder D, der ganz im norden der westküste hockt und existenzialistische gedichte in sein schwarzes notizbuch kritzelt. auch wenn es so aussehen mag, als hätte er sein leben gründlich umgekrempelt, trinkt er sogar in seattle (wo starbucks einst das licht der welt erblickte) immer noch lieber pulverkaffee als espresso und verbringt außerdem jede wache minute vor seinem laptop, um mit V zu skypen, seiner kahl rasierten independentfilme-drehenden freundin. sie studiert an der nyu und hat mittlerweile beinahe so etwas wie haare - und freunde (!). nicht zu vergessen C, der zuletzt mit einer horde karierte flanellhemden tragender, holzbalken wuchtender und mächtig wettergegerbt aussehender burschen aus nevada oder montana (oder einem anderen bundesstaat ohne urbanes zentrum, dafür mit umso mehr rindern) gesehen wurde. hat er nur sein beuteschema geändert oder hat er sich etwa wieder mal selbst neu erfunden? der typ lässt sogar madonna unkreativ aussehen.
unter weihnachtlichen mistelzweigen und am silvesterabend wird erfahrungsgemäß gern und viel geküsst, und mein gefühl sagt mir, dass in diesem jahr ganz besonders ausgiebig geknutscht werden wird. zu eurem glück werde ich vor ort sein und über alles berichten, was sich berichtenswertes ereignet, nachdem die lichterketten ausgeschaltet und die hübsch verpackten geschenke ausgepackt wurden. schließlich ist weihnachten nicht umsonst das fest der liebe.

eure mails

omg, gossip girl, ich bin über weihnachten zu besuch bei meiner großtante in nyc und hab gehört, dass serena van der woodsen hier lebt und dass du alles über sie weißt oder sie vielleicht sogar selbst bist!!! falls du sie bist, kannst du mir dann bitte ein autogramm schicken oder vielleicht hast du ja sogar lust, mal abends was mit mir zu machen? i[❤]svdw
hallo i[❤]usw, ich persönlich verbringe mein leben zwar lieber außerhalb des scheinwerferlichts, habe mir aber aus gut unterrichteten kreisen sagen lassen, dass das objekt deiner begierde fast jede nacht auf der piste ist. sie ist ganz leicht zu finden, wenn man weiß, wo man suchen muss. petri heil. gg
hallo, gossip girl, bei uns an der uni gibt es in der mensa nur so schweinereien wie frittierte käsebällchen mit remouladensoße, und es kann gut sein, dass ich ein bisschen zugenommen hab. jetzt die große frage: soll ich silvester trotzdem mit meiner alten clique feiern oder lieber so tun, als hätte ich grippe? kannschlechtwiderstehen
liebe kannschlechtwiderstehen, obwohl ich weder therapeutin noch diätberaterin bin, kann ich dich trösten: du bist mit deinem problem nicht allein. allerdings hat aussehen vor allem etwas mit ausstrahlung zu tun, also zieh dein kleines schwarzes an und zeig der welt deine kurven. gg

gesichtet

B, die im zug von new haven nach montpelier, vermont, in ihrem designermäntelchen in einem meer von wetterfesten goretex-jacken nicht zu übersehen war. tja, das mädchen hat einfach stil. S mit drei absolut austauschbaren magersüchtigen, blondgefärbten mädchen im schlepptau auf dem roten teppich bei einer filmpremiere. V und ein paar ihrer freunde (!) von der nyu, unter denen sich auch ein extrem attraktiver junger dozent befand, bei einer filmparty in bushwick. versucht da etwa jemand, extrapunkte beim lehrkörper zu ergattern? D und seine kleine schwester J in einem dieser widerlich überfüllten diners auf dem upper broadway, wo sie sich eine portion klebriger schokopfannkuchen teilten. C und seine cowboys derweil in der lounge des tribeca star hotels, lautstark nach »cokes« verlangend. sollte die hotelleitung etwa in erwägung ziehen, in der tiefgarage pfosten zum anbinden der pferde aufzustellen?

traditionen …

theoretisch lebt ihr nicht mehr unter dem dach eurer eltern, und ihr habt eure familiären weihnachtspflichten mehr als erfüllt, indem ihr geduldig scrabble mit ihnen gespielt und lebkuchenmännchen verziert habt - darum wird jetzt nach allen regeln der kunst gefeiert! nach dem 1. januar ist immer noch genug zeit, ein gesundes leben zu beginnen. zu irgendwas müssen neujahrsvorsätze ja da sein. also gehet hin und habet spaß und zeigt euren ehemaligen besten freundinnen und ehemaligen geheimen odbs, wie fabelhaft ihr euch gemacht habt.
außerdem wisst ihr ja, dass ich zusehen werde. ich wette, ihr brennt schon darauf, eine kleine showeinlage zu geben, stimmt’s? na eben.
ihr wisst genau, dass ihr mich liebt
gossip girl
regeln sind dazu da, gebrochen zu werden
»Hey, Scout. Es ist schon zwölf Uhr mittags. Schläfst du noch?«
Blair Waldorf stöhnte wohlig, wälzte sich auf den Rücken und blickte direkt in die Augen ihres Freundes Pete Carlson, der sich zärtlich lächelnd über sie beugte. Sie waren tiefblau und von sanft gebogenen Wimpern umkränzt, die genauso weißblond waren wie Petes dichter Haarschopf.
Während Blair ihre Mundwinkel diskret nach eventuellen Speichelspuren abtastete, strampelte sie sich von der karierten Kaschmirdecke von Black Watch frei und schob sie ans Fußende des Sofas. Sie liebte es, von Pete geweckt zu werden, ganz besonders wenn er einen der supersüßen Kosenamen benutzte, die er sich immer wieder für sie ausdachte. Aktuell nannte er sie Scout, weil sie ihn und seine drei älteren Brüder mit sicherem Gespür zur prächtigsten Douglas-Tanne im Wald des riesigen Anwesens der Carlsons in Montpelier geführt hatte. Heute Morgen hatte die Familie in aller Frühe unter ebendieser Tanne im Wohnzimmer ihre Weihnachtsgeschenke ausgepackt. Pete hatte Blair ein Paar lederne Wanderstiefel von North Face geschenkt und ihr versprochen, ihr seine liebsten Wanderrouten zu zeigen, sobald das Wetter es zuließ. Für Pete gab es nichts Schöneres, als in der Wildnis umherzustreifen, und seit Blair ihn kannte, erschien ihr die Vorstellung, an seine starke Brust geschmiegt unter dem Sternenhimmel zu schlafen, auf einmal beinahe romantisch, auch wenn sie ansonsten nicht sonderlich naturverbunden war.
»Nein, nein, ich bin schon eine ganze Weile wach«, schwindelte sie und setzte sich auf. Petes entzückende, aber hyperaktive Nichten und Neffen hatten die gesamte Familie um fünf Uhr morgens zum Geschenke-Auspacken geweckt und Blair hatte sich anschließend noch mal ein Stündchen aufs Ohr gelegt.
»Meine Süße.« Pete setzte sich neben sie auf das etwas durchgesessene blaue Sofa und strich ihr eine Haarsträhne aus dem schmalen Gesicht mit dem spitzen Kinn, das ihr das Aussehen eines scheuen kleinen Fuchses gab. Ihre Haare waren länger als sonst und der Schnitt war völlig herausgewachsen, aber sie misstraute den Frisören im provinziellen New Haven zu sehr, um sich in ihre Hände zu begeben. Egal. Was machte es schon, eine ungepflegte Mähne zu haben, wenn man mit einem Mann zusammen war, der einen über alles liebte?
»Hast du geträumt? Du hast im Schlaf leise gegrunzt. Das hat sich niedlich angehört.« Pete griff nach der Wolldecke und breitete sie fürsorglich wieder über ihre Beine.
Blair runzelte die Stirn. Sie hatte gegrunzt?
Seit einigen Tagen hatte sie merkwürdige Träume. Letzte Nacht war sie aufgewacht und hatte im ersten Moment geglaubt, sie läge neben ihrer Uralt-besten-Freundin Serena van der Woodsen in deren Bett im Penthouse in New York. Schnell war ihr allerdings klar geworden, dass sie mutterseelenallein im stockdunklen, herrschaftlich eingerichteten Gästezimmer des riesigen Landhauses der Carlsons schlief.
Vielleicht war es ja nur Heimweh. Sie hatte Serena seit Monaten nicht mehr gesehen und in New York auch kein wirkliches Zuhause mehr, seit ihre Mutter im August mit ihrem neuen Mann nach Pacific Palisades, L.A., in eine geschmacklose Protzvilla gezogen war, die sie gerade so umbauen ließ, dass sie noch geschmackloser aussah. Im Moment befanden sich alle ihrer engsten Familienmitglieder im Ausland. Ihr Vater Harold Waldorf feierte Weihnachten zusammen mit seinem Lebenspartner Giles und ihren aus Kambodscha adoptierten Zwillingen auf seinem Weingut in der Provence. Ihr Stiefbruder Aaron war in einem Kibbuz in Israel. Und ihre Mutter unternahm mit Blairs Stiefvater, ihrem jüngeren Bruder Tyler und ihrer kleinen Halbschwester Yale eine Kreuzfahrt zu den Privatinseln im Pazifik, die sie in einem Anfall hormonell ausgelösten Irrsinns während ihrer Schwangerschaft für jedes ihrer Kinder gekauft hatte.
Blair hatte eine Weile sogar mit dem Gedanken gespielt, mitzufahren, und sei es nur, um ihre geliebte kleine Schwester - das bisher noch am wenigsten durchgeknallte Mitglied ihrer fast schon tragisch absurden Familie - wiederzusehen.
Aber dann hatte sie die Weihnachtskarten gesehen, die ihre Mutter an alle Freunde und Bekannte verschickt hatte. »DIE WALDORF-ROSES FUSIONIEREN DIE FEIERTAGE UND SENDEN BESTE WÜNSCHE« stand in goldener Schnörkelschrift auf einem Foto, das ihren glatzköpfigen Stiefvater Cyrus Rose in einem knallroten Weihnachtsmannkostüm aus Samt zeigte. Er grinste über sein ganzes feistes Gesicht und hielt die als Weihnachtsengel verkleidete Yale in der einen und einen siebenarmigen Menora-Leuchter in der anderen Hand. Bei der Aussicht auf diese Feiertagsfusion war Blair alle Lust vergangen, mitzufahren. Als Pete sie dann auch noch eingeladen hatte, die Weihnachtstage mit seiner Bilderbuchfamilie in Vermont zu verbringen, hatte sie es geradezu für ihre Pflicht als seine Freundin gehalten, mitzukommen.
»Ich habe von dir geträumt. Von uns. Ich bin wahnsinnig glücklich.« Blair seufzte und blickte versonnen in das lodernde Feuer, das in dem Backsteinkamin am anderen Ende des Zimmers prasselte. Draußen war alles von einer glitzernden weißen Schneeschicht bedeckt.
»Und ich erst.« Pete zog sie an sich und küsste sie.
»Mhmm, du schmeckst gut«, hauchte Blair. Sie schälte sich mit einer geschmeidigen Drehung aus ihrem schwarzen Kaschmir-Cardigan von Loro Piana, unter dem sie lediglich ein hauchdünnes apricotfarbenes Trägerhemdchen von Cosabella trug, und schmolz in Petes muskulösen Armen dahin.
Erstaunlich, wie sich in den vergangenen vier Monaten in ihrem Leben auf einmal alles zum Guten gewendet hatte. Dabei hatte es anfangs gar nicht danach ausgesehen. Sie hatte schnell feststellen müssen, dass Alana Hoffman, ihre gnadenlos dauerfröhliche Zimmernachbarin im Studentenheim in Yale, eine ebenso begeisterte wie talentfreie Sängerin war. Schon frühmorgens trällerte sie ihren auf dem Bett aufgereihten Teddybären »Son of a Preacher Man« vor. Aus nachvollziehbaren Gründen verbrachte Blair so wenig Zeit wie möglich in ihrem Zimmer und dafür umso mehr in der Unibibliothek, wo Pete an einer Hausarbeit über den magischen Realismus in der Literatur und der bildenden Kunst schrieb. Blair hatte kein männliches Wesen mehr ansehen können, seit Nate Archibald - ihr Sandkastenfreund und lange Zeit auch die vermeintliche große Liebe ihres Lebens - sie am Tag ihrer gemeinsamen Abfahrt nach Yale an der Grand Central Station schmählich sitzen gelassen hatte, weil er spontan beschlossen hatte, doch nicht zusammen mit ihr zu studieren.
Aber an dem Tag, an dem Blair Petes gut geschnittenes Gesicht, seinen Drei-Tages-Stoppelbart, die stets von einem leichten Lächeln gekräuselten Mundwinkel und den konzentrierten Blick seiner dunkelblauen Augen gesehen hatte, war in ihr zum ersten Mal die Hoffnung gekeimt, dass es auch ein Leben nach Nate geben könnte. Sie und Pete hatten zunächst nur mit Blicken geflirtet, dann hatte er sie zu einem Kaffee eingeladen, und seitdem waren sie unzertrennlich.
Seit Thanksgiving lebte sie sogar mehr oder weniger bei ihm und seinen fünf Gin trinkenden, athletisch gebauten WG-Genossen in einer gemütlich verwohnten Stadtvilla in der Chapel Street. Anfangs hatte sie der Gedanke etwas nervös gemacht, mit so vielen Männern unter einem Dach zu wohnen, aber mittlerweile hatte sie festgestellt, dass es durchaus Vorteile hatte, auf einmal viele Brüder zu haben und meistens das einzige Mädchen im Haus zu sein. Zum Beispiel durfte sie das Badezimmer in der oberen Etage ganz allein benutzen, und es fand sich immer jemand, der ihr bei den Statistik-Übungen half.
Blair staunte immer noch darüber, wie harmonisch und problemlos die Beziehung mit Pete verlief. Sie hatte zum ersten Mal seit achtzehn Jahren das Gefühl, dass ihr Leben endlich dem Hollywoodfilm ihrer Tagträume entsprach. Das Jura-Vorstudium machte ihr Spaß, sie wohnte in einem Haus voller Jungs, die sie anbeteten, hatte einen Freund, der fantastisch aussah und sie liebte, und jetzt hatte sie in den Carlsons sogar die perfekte Familie gefunden, die sie selbst nie gehabt hatte.
Die Carlsons würden auf ihren Weihnachtskarten niemals einen trockenen BWL-Begriff wie Fusion verwenden. In den vergangenen Tagen hatten sie und Pete jede wache Minute im Kreise der Familie verbracht, die aus seinem Vater Chappy, einem ehemaligen Senator, seiner Mutter Jane, die einer der vornehmsten Familien Bostons entstammte, seinen drei älteren Brüdern sowie deren Frauen mitsamt einer Rasselbande von Neffen und Nichten im Kleinkindalter bestand, die Blair beim besten Willen nicht auseinanderhalten konnte. Was für andere ein Albtraum wäre, war für sie der Himmel auf Erden. Chappy hatte einen Brustkorb wie ein Bär und ein rotes Gesicht und erzählte pausenlos abgedroschene Witze, über die sich alle totlachten. Seine Frau zitierte während des Abendessens - ohne betrunken zu sein - Gedichte von Anne Sexton. Die Brüder sahen alle gut aus und waren wahnsinnig nett. Ihre Frauen waren gepflegt und herzlich und selbst die Kinder waren höflich. Bis jetzt hatte Blair die perfekten Weihnachtsfeiertage verlebt.
Und es sollte sogar noch besser kommen. Chappy hatte für die gesamte Familie Bungalows in einem exklusiven 5-Sterne-Resort in Costa Rica gebucht, um dort Silvester zu feiern. Auf die Wanderungen durch den Regenwald konnte Blair natürlich gerne verzichten, aber sie hatte gehört, dass die Strände jungfräulich, die Sonne heiß und die Betten unglaublich bequem sein sollten.
Während sie an Pete geschmiegt vor sich hin träumte, klopfte es an der Tür. »Seid ihr gerade dabei, unzüchtige Handlungen zu begehen, oder kann ich reinkommen?«, rief Petes Bruder Jason und riss gleichzeitig die Tür auf. Er war genauso lang und schlaksig wie Pete, hatte die gleichen weißblonden Haare und sah genauso gut aus. Die vier Carlson-Brüder - Everett, Randy, Jason und Pete - hätten leicht als Vierlinge durchgehen können, obwohl sie im Abstand von jeweils zwei Jahren zur Welt gekommen waren. Jason, der an der University of Pennsylvania Jura studierte, war der Zweitjüngste, und Blair hätte sich sofort in ihn verknallt - wenn sie nicht schon mit Pete zusammen gewesen wäre.
Aber es ist immer gut, noch einen Trumpf in der Hinterhand zu haben.
»Die Familie hat sich zum traditionellen Scharade-Spiel versammelt. Eure Anwesenheit wird erwünscht.«
»Müssen wir?« Blair unterdrückte ein Stöhnen. Theoretisch fand sie es ja süß, dass die Carlsons so viel zusammen unternahmen, aber sie hatten schon die letzten drei Abende Scharade, Pictionary und Scrabble gespielt. Blair war extrem ehrgeizig, und es strengte sie unendlich an, bis aufs Blut zu kämpfen und gleichzeitig den Eindruck zu vermitteln, als wäre es ihr völlig egal, wer gewann.
Hm, vielleicht sollten sie es mal mit »Wahrheit oder Pflicht« versuchen?
»Und jetzt rate mal, wer dich wieder in seinem Team haben will?« Jasons breites Grinsen ließ seine perlweißen Zähne blitzen, mit denen alle Carlsons gesegnet waren. »Unser Vater liebt dich!«
»Hurra!«, rief Blair mit aller Begeisterung, die sie aufbringen konnte. Sie stand vom Sofa auf, warf sich ihr Jäckchen über und folgte Pete und Jason durch den langen Flur zur Wohnküche. Das gesamte Haus war ein einziger Widerspruch: Die Wände waren mit rohem Holz getäfelt, aber auf den glänzenden Parkettböden lagen feinste, über hundert Jahre alte Orientteppiche. In der Küche stand ein uralter, unförmiger, mit Holz beheizter Herd zwei gigantischen, hypermodernen Edelstahlkühlschränken gegenüber.
Die Carlsons hatten es sich bereits in den dick gepolsterten gelben Sesseln und Sofas im Wohnzimmer gemütlich gemacht, die vor dem riesigen Panoramafenster standen. Chappy, der einen cremeweißen handgestrickten Aran-Pullover mit Zopfmuster trug, stand in der Mitte und gab den Spielleiter.
»Ah, Scout!«, rief er, als er Blair und Pete kommen sah. Er fing Blair ab und drückte sie überschwänglich an sich.
»Hallo, Mr Carlson.« Blair schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln.
»Du spielst mit mir. Ihr Jungs braucht gar nicht mehr zu versuchen, sie in euer Team zu bekommen«, verkündete Chappy in Richtung seiner Söhne, die alle höflich lächelten, obwohl Everett den Blick dabei nicht von seinem iPhone nahm. »Gott«, seufzte Chappy. »Was soll ich nächste Woche nur ohne dich machen?«
»Aber man kann doch auch am Strand miteinander spielen«, sagte Blair und lief sofort knallrot an, weil sich das irgendwie zweideutig anhörte. »Also Scharade spielen, meine ich«, schob sie eilig hinterher.
»Das schon, aber ohne meine Lieblingsmitspielerin bin ich trotzdem aufgeschmissen.« Chappy schüttelte sorgenvoll das Haupt. »Nichts gegen dich, Jane, aber du schummelst nun mal.«
»Natürlich schummle ich«, gab Jane Carlson bereitwillig zu. Sie trug ihre weizenblonden Haare zu einem praktischen Bob geschnitten, war groß und sportlich und hatte den gleichen Pulli an wie ihr Mann. »Aber ich bin froh, dass wenigstens eine aus dieser Runde auf dem Pfad der Tugend wandelt.« Sie zwinkerte Blair zu, die jedoch viel zu verstört war, um zu reagieren. Was hatte Petes Vater gerade gesagt? Ohne meine Lieblingsmitspielerin …? Bedeutete das etwa, dass sie nicht mit nach Costa Rica fahren durfte? Dabei hatte sie sich doch extra fünf neue Bikinis von Eres gekauft, in denen die drei Kilo, die sie durch das widerwärtige Mensa-Essen in Yale zugenommen hatte, aufs Vorteilhafteste zur Geltung kamen.
»Heißt das, ich darf nicht mitkommen?«, brach es aus ihr hervor, bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte.
»Ich würde dich ja gerne dabeihaben, aber wir Carlsons haben nun einmal eine Familienregel, die noch niemals gebrochen wurde …« Chappy setzte eine staatstragende Miene auf, als würde er gleich eine Rede vor dem Senat halten: »Ohne einen Ring am Finger gibt es auch kein Urlaubszimmer.«
»Tja, da mussten wir alle durch«, seufzte Jason und stieß Blair mitleidig in die Rippen. Sie trat einen Schritt zurück. Was sollte der Blödsinn? Okay, Pete hatte sie zwar nicht offiziell nach Costa Rica eingeladen, aber sie hatte immerhin Weihnachten mit den Carlsons verbracht. War das nicht viel bedeutungsvoller als ein paar Tage Familienstrandurlaub? Warum durfte sie nicht mit? Nate war jahrelang mit ihr und ihren Eltern in den Urlaub gefahren und sie waren nicht verheiratet gewesen.
Außer in ihren Träumen.
»Wir haben dich sehr in unser Herz geschlossen, Blair, und wünschen uns nichts mehr, als dass du bald ein vollwertiges Mitglied unserer Familie wirst, aber in dieser Beziehung muss ich leider hart bleiben«, erklärte Chappy ihr geduldig, als wäre sie eine Wählerin, die sich weigert, irgendein obskures politisches Verfahren zu verstehen. »Ich habe vier Jungs großgezogen, und auch wenn Pete sich dir gegenüber hoffentlich immer wie ein Gentleman benommen hat, habe ich mit den Kerlen, was die Frauenwelt angeht, schon Dramen erlebt, die alles übersteigen, was das Studententheater in Yale jemals auf die Bühne gebracht hat.« Er schüttelte sorgenvoll den Kopf.
»Warum tust du dich nicht mit ein paar Freundinnen zusammen, und ihr macht so richtig einen drauf!«, regte Petes Schwägerin Sarah an, die in einer Ecke des Raums saß und ihren gigantischen Achtmonatsbauch streichelte. »Als ich von der Familienregel erfahren habe, bin ich mit den Mädchen aus meiner Studentenverbindung nach Cancún gefahren!« Bei der Erinnerung daran flog ein versonnenes Lächeln über ihr dezent gebräuntes herzförmiges Gesicht.
»Ach?« Ihr Mann Randy warf ihr einen überraschten Blick zu. »Das wusste ich gar nicht.«
»Tut mir leid, Junge!« Chappy klopfte Pete auf den Rücken. »Und du, Scout, nimmst es mir hoffentlich auch nicht krumm!«
Blair starrte hasserfüllt auf das Gemälde über dem Kamin, das ein Schiff in einem tosenden Sturm zeigte. Wie konnte man sich bloß ein so dermaßen langweiliges, völlig nichtssagendes Bild an die Wand hängen? Und was war das überhaupt für ein debiler Spitzname - Scout?
Aber gut, dann würde ihr Spürsinn sie eben auf direktestem Weg aus diesem Kaff wieder in zivilisierte Gebiete führen. »Es tut mir leid, Blair«, sagte Pete tröstend, als er ihr enttäuschtes Gesicht sah. »Aber du verstehst doch sicher, dass …«
»Kein Problem, Pete. Ich bin doch sowieso nie davon ausgegangen, dass ich mit euch nach Costa Rica fahren würde«, log Blair und rang sich ein Lächeln ab. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Einen kurzen Moment dachte sie daran, sich zu entschuldigen, nach oben ins Bad zu rennen und alles wieder herauszuwürgen, was sie die letzten fünf Tage hier zu sich genommen hatte.
»Blair, Liebes. Hier ist deine heiße Schokolade mit extra vielen Marshmallows - genau wie du sie magst.« Jane drückte ihr einen dampfenden Becher in die Hand. »Willst du dich nicht setzen?« Sie deutete auf einen der dick gepolsterten sonnenblumengelben Sessel.
»Danke.« Blair nickte tapfer, straffte die Schultern und wandte sich den übrigen Carlsons zu, die sie erwartungsvoll ansahen. Sie würde sich vor diesem Klon-Clan auf gar keinen Fall anmerken lassen, wie zutiefst gedemütigt sie war. »Wollen wir spielen?« Sie schaffte es, halbwegs glaubwürdig zu lächeln, während in ihrem Kopf bereits ein Plan Gestalt annahm.
»Ich werde nach New York fahren und ein richtig krasses Partywochenende einlegen«, flüsterte sie Pete ins Ohr. »Ich bin ja dieses Jahr praktisch nicht dort gewesen. Die beiden Wochenenden mit dir zählen nicht, weil wir ja so gut wie nie aus dem Hotelbett rausgekommen sind.«
Petes Gesicht verfärbte sich kalkweiß, während er sich vorstellte, wie diese krassen Partys aussehen würden. Blair hob vielsagend eine Augenbraue.
sen Aus … dem Scharade-Spielen ist sie jedenfalls rausgewachsen...
freunde kann man nie genug haben …
Der magersüchtige Barmann im grotesk geschmacklosbunten Ed-Hardy-T-Shirt, der offensichtlich darauf hoffte, als Model entdeckt zu werden, stellte ein Glas Veuve Clicquot auf die dunkle Eichenholztheke. »Mit den besten Empfehlungen des Herrn dort hinten.«
»Danke.« Serena van der Woodsen drehte sich um und warf einen neugierigen Blick ans andere Ende der Saucebox, der Lounge im kürzlich neu eröffneten T Hotel auf der Thompson Street. Breckin O’Dell, ein gut aussehender, aber todlangweiliger Jungschauspieler, mit dem sie ein paarmal auf irgendwelchen Veranstaltungen geredet hatte, hob sein Champagnerglas und prostete ihr zu. Serena grüßte ihn mit einem Nicken und nahm einen durstigen Schluck, obwohl ihr Wodka eigentlich lieber gewesen wäre.
»Oh! Mein! Gott!« Amanda Atkins zupfte begeistert am Schalkragen von Serenas schwarzem Jerseykleid von Row. »Das ist Breckin! Den solltest du dir unbedingt warmhalten. Sein Agent hat die irrsten Connections - der kennt echt jeden. Absolut jeden! Hey? Hey, Typ!« Sie winkte dem Barmann. »Kriegen wir noch eine Runde Wodka?«
Serena lächelte verlegen. Amanda war eine achtzehnjährige Schauspielkollegin, die kürzlich von L.A. nach New York gezogen und durch eine Rolle in einer dämlichen Sitcom bekannt geworden war. Sie spielte ein junges Mädchen aus Paris, das zu ihrem stockkonservativen Onkel Hank auf dessen Farm im hinterwäldlerischsten Tennessee zieht. Ein erfolgreiches, aber ziemlich biederes Konzept. Jetzt war sie gerade für einen Indie-Film über drogenaffine Snowboarder gecastet worden, mit dem sie ihren Ruf als braves Blondchen abzuschütteln hoffte.
Noch ein paar Wodkas, und sie hat es geschafft.
»Ja, mal sehen«, murmelte Serena ohne große Überzeugung. Sie starrte auf die perlenden Bläschen in ihrem Glas, als fände sich darin die Antwort auf alle Rätsel des Universums. In der Bar wimmelte es nur so von Breckin-O’Dell-Doubles mit viel Gel im Haar und Designerhemden von Thomas Pink, von denen sich ganze Horden um Serena und Amanda und deren beide Freundinnen Alysia und Alison scharten, die ebenfalls blonde Nachwuchsschauspielerinnen waren. Die drei legten es darauf an, unter dem Namen »Das A-Team« zu einem klatschspaltenkompatiblen Begriff zu werden, obwohl Alysia in Wirklichkeit Jennifer hieß.
Die Mädels vom A-Team waren zwar tödlich erfolgsfixiert und materialistisch, aber auch ziemlich lustig und jederzeit bereit, die Nacht zum Tag zu machen. Serena hatte schon aberwitzige Abstürze mit ihnen erlebt, aber heute fühlte sie sich etwas … feierunlustig. Es war zwei Tage nach Weihnachten, ihre Eltern waren nach St. Barts geflogen, und ihr Bruder Erik war schon wieder nach Melbourne zurückgekehrt, wo er ein Auslandssemester absolvierte. Nicht dass Serena Lust gehabt hätte, Silvester mit ihrer Familie zu verbringen, aber es war doch ein bisschen einsam, jeden Morgen mutterseelenallein in dem riesigen Penthouse in der Fifth Avenue aufzuwachen. Sie leerte den Champagner mit einem Schluck, um die düsteren Gedanken abzuschütteln und sich endlich in Partylaune zu bringen.
Kein Problem. Darin ist sie schließlich Expertin.
»Du … äh … bist du nicht das Mädchen, das auf diese Farm ziehen musste?«, sagte ein Typ mit braunen, platt an den Schädel gegelten Haaren ehrfürchtig zu Amanda. Er trug ein rosa-weiß gestreiftes Hemd, hatte ultragebleichte Zähne und war zu verklemmt, um ihr in die Augen zu schauen.
»Stimmt«, seufzte Amanda. »Genau die bin ich. Sorry, dass ich mich nicht weiter mit dir unterhalten kann, aber ich muss mich jetzt leider da drüben hinstellen.« Sie trat zwei Schritte von ihm weg und lehnte sich an die Bar. Alysia und Alison prusteten vor Lachen. Serena warf dem armen Kerl ein mitfühlendes Lächeln zu. Sie war zwar wunderschön, aber niemals gemein.
Eine jede andere Frau zur Weißglut reizende Kombination.
»Gott, ich kapier echt nicht, wieso Knowledge solche Schlaftabletten hier reinlässt. Habt ihr seine Haare gesehen? Die sahen aus wie aufgesprayt!« Amanda schleuderte leicht angenervt ihre langen blonden Extensions nach hinten. Knowledge war der bullige Türsteher, der eigentlich dafür sorgen sollte, dass das Saucebox zu einer der exklusivsten Bars der Stadt wurde, obwohl es sich in nichts von allen anderen Szene-Läden unterschied.
»Serena?«
Serena drehte sich unwillig um und bereitete sich innerlich darauf vor, das x-tausendste »Und was machst du zurzeit so?«-Gespräch mit irgendjemandem aus der Filmbranche zu führen, den sie vage von irgendwoher kannte. Doch stattdessen blickte sie in ein vertrautes lächelndes Gesicht, das sie sofort an einen Ort ihrer Vergangenheit etwa achtzig Blocks nördlich der Saucebox zurückkatapultierte.
»Ich fass es nicht!« Sie rutschte begeistert vom Barhocker und umarmte Isabel Coates, ihre ehemalige Mitschülerin von der Constance-Billard-Schule, die inzwischen am Rollins College in Florida studierte. Isabels Haut war tief gebräunt, in ihre dunklen Haare mischten sich helle Strähnchen, und ihre Brüste schienen verdächtig gewachsen, seit Serena sie das letzte Mal gesehen hatte. Während sie Isabel an sich drückte, hielt sie automatisch nach Kati Farkas - Isabels bester Freundin und ständigen Begleiterin - Ausschau. Isabel und Kati waren seit der vierten Klasse immer nur im Doppelpack unterwegs gewesen. Kati hatte sogar auf ihren Studienplatz in Princeton verzichtet, nachdem Isabel dort abgelehnt worden war, damit sie sich nicht trennen mussten. Doch statt Kati stand eine Unbekannte mit Stupsnase und kinnlangen glatten braunen Haaren neben Isabel. Sie trug ein enges ärmelloses Etuikleid aus schwarzem Satin und hätte Katis etwas ältere Schwester sein können, wenn Kati eine Schwester gehabt hätte.
»Meine Freundin Casey«, stellte Isabel sie vor und schob sich ihre weiße Tasche von Marc Jacobs höher auf die Schulter.
Freundin oder Freundin? Serena bemerkte, dass Isabel nach Caseys Hand gegriffen hatte und sie zärtlich drückte.
»Ich hab sie in meinem Seminar über Geschlechterforschung kennengelernt.« Isabel bedachte Casey mit einem stolzen Blick.
Damit wäre der Fall ja geklärt.
»Und das ist Serena van der Woodsen. Wir waren auf derselben Schule.« Isabel legte Casey den Arm um die Taille.
»Nett, dich kennenzulernen.« Serena streckte ihr lächelnd die Hand hin.
Casey ergriff sie zögernd. »Freut mich auch. Ich habe aber keinen deiner Filme gesehen.«
Als hätte irgendjemand danach gefragt.
Serena setzte sich wieder auf den Barhocker. »Wie geht es Kati?«, erkundigte sie sich.
Isabel schüttelte seufzend den Kopf. »Ach, die hat sich unsterblich in einen Footballer verliebt und ist jetzt in eine Studentinnen-Verbindung eingetreten, bei der alle nur in pinkfarbenen Oberteilen rumrennen. Echt schlimm. Casey und ich haben eigentlich kaum noch Kontakt mit ihr. Aber erzähl du doch mal, wie es dir geht? Ich hab den Film gesehen. Du warst echt ziemlich gut«, sagte sie großzügig.
»Danke.« Serena errötete. »Bei mir läuft es eigentlich ganz okay. Ich hab eine Menge zu tun. Wir drehen gerade ›Kaffee im The Palace‹, die Fortsetzung von ›Frühstück bei Fred‹, die im Sommer rauskommen soll. Ich kann mich nicht beklagen …« Serena wusste nicht, was sie sonst noch erzählen sollte. Obwohl eigentlich genug passiert war und sie im Oktober sogar auf dem Cover der Vanity Fair gewesen war, hatte sie das Gefühl, sich in einer Warteschleife zu befinden. Sie hatte sich wahnsinnig auf die Premiere ihres ersten Films gefreut und geglaubt, es würde der tollste Abend ihres Lebens werden. Aber als sie anschließend wieder zu Hause in ihrem Mädchenzimmer im Himmelbett lag, hatte sie sich plötzlich viel weniger erwachsen gefühlt als noch während ihrer Schulzeit. Möglicherweise hatte das auch etwas damit zu tun, dass sie jetzt eine Agentin und eine PR-Beraterin hatte, die ihr minutiös vorschrieben, was sie anzuziehen und zu sagen hatte und mit wem sie sich sehen lassen sollte. Das wahre Leben war nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Ach, ihr dreht schon die Fortsetzung? Das ist ja cool«, sagte Isabel ziemlich desinteressiert. »Ich will Casey in den nächsten Tagen zeigen, wo wir früher immer abgehangen haben. Wenn ich dran denke, wie oft wir bei Barneys nach Klamotten gestöbert oder oben bei Fred’s gesessen und Spaghetti gegessen haben! Und jetzt kommt es mir so vor, als wäre das alles schon Jahre her!« Sie schmiegte den Kopf an Caseys Schulter, und alle Jungs um sie herum bekamen Stielaugen, weil in ihren Kopfkinos sofort reflexartig Lesbenpornos abliefen.
»Geht mir genauso«, stimmte Serena ihr aus vollem Herzen zu. Es war erst ein paar Monate her, dass sie, Blair, Kati und Isabel sich allmorgendlich auf den Stufen des Met getroffen, geraucht und von ihrem künftigen Leben als Studentinnen geträumt hatten. Jetzt studierte Blair in Yale, Isabel hatte sich offenbar geoutet, Kati war zum pinkfarbenen Cheerleader mutiert und sie selbst war ein angehender Hollywoodstar.
»Sag mal, hast du in letzter Zeit irgendeinen von den anderen gesehen?«, erkundigte sich Isabel.
Serena schüttelte den Kopf. Für sie zählten sowieso nur zwei Mitglieder der alten Clique: Blair und Nate. Mit Blair hatte sie auch nach deren Umzug nach New Haven weiter Kontakt gehalten. Einmal hatte sie ihr als Erinnerung an das, was sie an New York am meisten liebte, eine Tüte von Barneys mit Wolford-Strümpfen und Black-and-White-Cookies geschickt. Blair hatte sich mit einer Plüsch-Bulldogge im Yale-T-Shirt revanchiert. Der Hund saß jetzt auf Serenas Wäschekommode und bewachte ein silbergerahmtes Foto, das sie und Blair als Zehntklässlerinnen mit wagenradgroßen Hüten beim Kentucky Derby zeigte. Sie mailten sich immer mal wieder oder schrieben SMS, die aber nie besonders lang oder ausführlich waren. Das war auch gar nicht nötig. Blair und Serena waren schon so lange befreundet, dass sie wochenlang - manchmal sogar monatelang - nicht miteinander reden konnten und dann trotzdem genau da wieder ansetzten, wo sie aufgehört hatten.
Und Nate … Seit er die Segel gehisst hatte, um ein Jahr lang über die Weltmeere zu kreuzen, hatte Serena nichts mehr von ihm gehört. Nach seiner Abschieds-SMS war sie am Boden zerstört gewesen und hatte sich gefragt, ob sie ihn überhaupt jemals wiedersehen würde. Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken.
Jetzt nicht und auch später nicht.
»Gehst du zu Chucks Silvesterparty?« Isabel leerte ihren Grey Goose mit Cranberrysaft in einem Zug. »Der Typ ist zwar der schlimmste Frauenhasser, den ich kenne, aber seine Partys sind einfach legendär. Ich hab Casey schon auf ihn vorbereitet.«
»Heißt das, er hat Urlaub von der Militärakademie bekommen und durfte über die Feiertage nach Hause?«, fragte Serena. Plötzlich interessierte es sie doch, was die anderen machten. Seit dem Schulabschluss hatte sie Chuck mit seinem weißen Äffchen und seiner nicht ganz geklärten sexuellen Orientierung völlig aus den Augen verloren. Sie hatte nur gehört, dass er von allen zwölf Unis, an denen er sich beworben hatte, abgelehnt worden war und daraufhin auf eine extrem straff geführte Militärakademie irgendwo im Nirgendwo gegangen war. Natürlich begegneten sich ihre und Chucks Eltern ständig bei irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen, aber dabei wurde nie ein Wort über Chuck verloren. Auf der Upper East Side hielten sich alle an das unausgesprochene Gesetz, dass über die weniger erfolgreichen Sprösslinge diskret geschwiegen wurde.
»Sieht so aus.« Isabel zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls macht er seine Party. Ich hab heute Morgen Laura Salmon in der City Bakery getroffen, und die hat mir erzählt, dass sie mit Rain Hoffstetter auf irgendeinem lahmen Ehemaligen-Treffen der Constance Billard war, das Mrs M organisiert hat. Gott sei Dank hab ich davon nichts mitgekriegt, sonst hätte ich auch hingehen müssen. Jedenfalls war Chuck anscheinend auch dort und hat ihr erzählt, dass er Silvester wieder groß in der Suite seiner Eltern im Tribeca Star feiert. Alte Tradition und so. Aber jetzt, wo du Filmstar bist, musst du wahrscheinlich bei MTV den Countdown bis Mitternacht zählen oder bist auf irgendeiner anderen wichtigen Party und kannst sowieso gar nicht kommen, oder?«
»Na ja …« Serena wurde nachdenklich. Sie hatte zwar tatsächlich schon eine Einladung zur Silvesterparty von Thaddeus Smith - ihrem Filmpartner bei »Frühstück bei Fred« -, aber Thad war mittlerweile ein echter Freund geworden und würde es ihr sicher nicht übel nehmen, wenn sie nur kurz in seinem Loft im West Village vorbeischaute. Vielleicht würde es sie aufheitern, ein paar Leute aus ihrer alten Clique wiederzusehen.
»Hey, Serena?« Alysia tippte ihr ungeduldig auf die Schulter. »Lass uns hier abhauen, okay? Ich schlaf gleich ein.«
Amanda, die neben ihr stand, nickte zustimmend.
»Und zwar subito, wenn’s geht. Ich halt’s in diesem Gruselkabinett keine Sekunde länger aus!« Alison schob ihre mit Stila-Gloss hochglanzlackierte Unterlippe vor, bis sie einem schmollenden Shih-tzu ähnelte.
Serena nickte und drehte sich dann noch einmal zu Isabel. »Wir sehen wir uns bei Chuck«, versprach sie lächelnd, bevor sie vom Hocker glitt und dem A-Team zur Tür folgte.
Natürlich würde sie hingehen. Wie könnte sie Silvester irgendwo anders als im Kreis ihrer ältesten Freunde feiern? Dass sie in letzter Zeit nicht an sie gedacht hatte, bedeutete nicht, dass sie sie vergessen hatte.
Genauso wenig, wie sie vergessen worden war.
auch die längste reise hat einmal ein ende
Nate Archibald schreckte aus dem Schlaf, als er mit dem Ellbogen schmerzhaft gegen einen Holzbalken knallte. Er war während seiner Nachtwache im Krähennest der Belinda - der Segeljacht, die nun schon seit einigen Monaten sein Zuhause war - eingedöst. Stöhnend richtete er sich in dem engen Mastkorb auf, räkelte den muskulösen braun gebrannten Körper und sog die salzige Meeresluft in seine Lungen.
Der ausgedehnte Segeltörn mit seinem väterlichen Freund Captain Chips, dem alten Mentor seines Vaters aus dessen Marinezeit, gehörte schon jetzt zu den unvergesslichsten Erlebnissen seines Lebens. In den vergangenen vier Monaten hatten sie sich nur vom Wind, den Sternen, dem Mond und Chips altem silbernen Kompass leiten lassen. Nate war schon immer ein leidenschaftlicher Segler gewesen und im vergangenen Juni sogar einen ganzen Monat lang mit seiner Freundin Blair auf der Charlotte, der Jacht seines Vaters, vor der Ostküste geschippert. Aber das hier - das war etwas völlig anderes.
Kurze Zwischenfrage: Müsste es nicht Ex-Freundin heißen?
Nate rieb sich den Schlaf aus den Augen und gähnte herzhaft. Mittlerweile kreuzten sie irgendwo vor den Bahamas, und er hatte das Gefühl, Lichtjahre von der Upper East Side entfernt zu sein. Das tropische Klima und der raue Alltag auf See hatte sein altes Leben völlig in den Hintergrund rücken lassen. Manchmal versuchte er sich an ein bestimmtes Ereignis zu erinnern - wann hatte er sich eigentlich zum ersten Mal in der Pizzabude an der Lexington Avenue Pizza mit extra viel Oregano (der Geheimcode für feinste jamaikanische Rauchware) bestellt? Wer von seinen Freunden war mit an Bord gewesen, als sie damals die Charlotte gekapert und Bong rauchend und Oreos futternd mit einer Geschwindigkeit von einer halben Seemeile pro Stunde Richtung Bermudas gesegelt waren? - Aber die Bilder, die dann vor seinem geistigen Auge erschienen, waren immer verschwommen. Es war wie die Erinnerung an einen Film, von dem zwar einzelne Szenen aufblitzen, aber niemals die zusammenhängende Handlung.
Er lehnte sich gegen den Mastbaum und seufzte. Andererseits gab es Erinnerungen, die in seinem inneren DVD-Player in glasklarer HD-Qualität fast jede Nacht in Endlosschleife liefen. In den Minuten, bevor das sanfte Schaukeln des Meeres ihn in den Schlaf wiegte, sah er jedes Mal Blair und Serena - an die er in einer wilden Nacht einst seine Jungfräulichkeit verloren hatte - vor sich. Blair, wie sie strahlend vor dem Eisbärengehege im Zoo posierte; Serena, wie sie den blonden Kopf in den Nacken legte und über einen Witz lachte, den nur sie selbst komisch fand; Blair vor Tiffany, wo sie eine perfekte Audrey-Hepburn-Imitation gab; Serena, wie sie praktisch nackt im Brunnen mit der Venusstatue im Garten der Villa seiner Eltern planschte und der Göttin ernsthaft Konkurrenz machte. Ob die beiden manchmal auch an ihn dachten?
Keine Sorge: Falls nicht, gibt es genügend Mädchen, die es tun.
Natürlich wusste er, dass sie sich bestimmt nicht gerade vor Sehnsucht nach ihm verzehrten und ihn höchstwahrscheinlich sogar hassten. Das Problem war, dass er sie beide liebte und sich nie zwischen ihnen hatte entscheiden können. Im vergangenen Sommer hatte er Blair sogar mit Serena betrogen. Und als ihm verzweifelt klar geworden war, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er mit Blair nach Yale gehen oder bei Serena in New York bleiben sollte, hatte er beschlossen, stattdessen bei Chips anzuheuern und mit ihm um die Welt zu segeln. Er war verwirrt gewesen und voller Angst, eine Entscheidung zu treffen, die sich dann als falsch entpuppen könnte.
Mittlerweile sah alles anders aus.
Sogar er selbst. Die Monate auf See hatten seiner Haut einen bronzenen Schimmer verliehen und die Sonne und das Salz hatten seine honigbraunen Haare stellenweise fast platinblond gebleicht. Sein Gesicht war kantiger und männlicher geworden, blonde Barthaare bedeckten Kinn und Wangen und seine smaragdgrünen Augen strahlten heller denn je. Seit sie in See gestochen waren, hatte er - wenn auch eher unfreiwillig - keinen einzigen Joint mehr geraucht und fühlte sich gut. Irgendwie klarer im Kopf.
Nate kletterte behände den Mast herunter und sprang auf das glänzend polierte Deck. Am Horizont ging gerade die Sonne auf und ließ den Himmel zartrosa leuchten. »Chips?«, rief er. »Sind Sie schon wach?«
»Nathaniel!«, ertönte eine dröhnende Bassstimme vom Bug der Jacht. Der alte Seebär stand neben einem großen Haufen verschlungener Taue, sein wettergegerbtes Gesicht war ernst. Mit seiner weißen Leinenhose, der marineblauen Windjacke und dem silbernen Haarschopf hätte Chips den perfekten Werbekapitän für Fischstäbchen abgegeben. Unter seiner rauen Schale verbarg sich ein ziemlich cooler Typ - besonders wenn er ein paar Gläser Scotch getrunken hatte.
»Hier.« Er reichte Nate das Fernglas, das er in der Hand hielt, und kniete sich hin, um die Taue zu entwirren. In der Ferne war undeutlich ein dünner Streifen Land zu erkennen. »Silvester sind wir im Breakers«, verkündete er, als würde er mit sich selbst reden.
»Wie bitte?« Nate sah ihn verwundert an. Breakers? Irgendwo hatte er den Namen schon mal gehört. War das nicht der Name eines Hotels in Palm Beach? Natürlich hatte er nichts dagegen, mal wieder an Land zu kommen, und sei es nur, um ein paar Telefongespräche zu führen. Da er sein Handy im August, als er die Entscheidung getroffen hatte, mit Chips loszusegeln, über Bord geworfen hatte, hatte er nur ein paar wenige Male zu Hause anrufen können, wenn sie vor einer Insel geankert hatten, um ihre Vorräte aufzustocken. Er hatte seinen Eltern noch nicht einmal fröhliche Weihnachten wünschen können. Aber natürlich hatte er für Silvester auf ein etwas exotischeres Ziel gehofft, Costa Rica zum Beispiel. Da hatte er immer schon mal hingewollt.
Willkommen im Club.
»Heißt das, wir legen einen Zwischenstopp in Palm Beach ein?«, erkundigte er sich. »Und wo geht es anschließend hin?« Seit sie losgefahren waren, hatte er dem alten Mann überlassen, welchen Kurs sie einschlugen, aber allmählich begann er sich zu fragen, wie Chips’ Masterplan aussah.
Statt seine Frage zu beantworten, richtete Chips sich ächzend auf. »Als ich in deinem Alter war, Junge, war ich bei der Marine. Da hatte ich nicht den Luxus, mir zu überlegen, wo ich leben wollte, es ging nur darum, wie ich überlebe, klar?«, brummte er. Sein kehliger schottischer Akzent erinnerte Nate immer an Mel Gibson in seiner Rolle als William Wallace in »Braveheart«, wo er die Kämpfer der verschiedenen Clans um sich schart, um mit ihnen in die legendäre Schlacht zu ziehen.
»Klar, verstehe.« Nate nickte, obwohl er keine Ahnung hatte, was Chips ihm damit sagen wollte. »Und wenn wir in Palm Beach waren, segeln wir … wohin?«
»Wenn wir in Palm Beach waren, segeln wir nirgendwohin. Danach fährst du schön nach New York zurück, Junge. Es wird höchste Zeit, dass du wieder nach Hause kommst. Ich habe dir die Welt gezeigt, jetzt zeig du mir, ob du darin leben kannst.«
Nate hatte das Gefühl, als gäben die Planken des Decks unter ihm nach und er stürze ins Bodenlose. Er hatte natürlich gewusst, dass diese Reise irgendwann zu Ende sein würde, aber mit einem so abrupten Abbruch hatte er nicht gerechnet.
So ähnlich haben sich vermutlich vor ein paar Monaten zwei Mädchen gefühlt, als ein gewisser Jemand beschloss, ohne sie in den Sonnenuntergang zu segeln.
Nate lehnte sich Halt suchend gegen die Kajütenwand, rutschte langsam daran herunter und versuchte zu begreifen, was er soeben erfahren hatte. Er würde nach New York zurückkehren. Zurück in sein altes Leben. Zurück zu Blair und Serena und seinem Vater, der ihn für einen Versager hielt und keine Gelegenheit ausließ, ihn das spüren zu lassen. War das Chips’ Masterplan?
»Steh auf!«, befahl Chips ihm und begann, ein unendlich langes Tau über dem Arm aufzuwickeln.
Nate sprang hastig auf die Füße. »Soll ich Ihnen helfen?«, fragte er.
»Nicht nötig, das schaff ich schon noch allein«, knurrte der Alte unwillig. Nate nickte, obwohl ihm aufgefallen war, dass Chips sein rechtes Bein seit ein paar Tagen noch steifer hinter sich her zog als sonst. »Hör zu, Junge«, sagte Chips, und seine Stimme klang auf einmal ganz mild. »Die letzten paar Monate haben definitiv zu den besten meines Lebens gehört … aber ich werde alt. Ich muss jetzt Kurs auf Palm Beach nehmen. Manchmal braucht ein Mann im Leben eben doch mehr als die See und den Himmel.« Er schlang das aufgewickelte Tau zu einem perfekten Knoten, den er mit einem Ruck zuzog, als wolle er seinen Worten damit Nachdruck verleihen. »Du kannst nicht den Rest deines Lebens damit verbringen, vor deinen Problemen davonzusegeln, Junge. Irgendwann musst du dich ihnen stellen.«
Nate fühlte sich ertappt. Auch wenn Chips manchmal zu viel Scotch trank und schwadronierte, gelang es dem alten Mann immer wieder, seine Gedanken zu lesen. Er dachte schuldbewusst an die Entscheidung, die er jetzt schon viel zu viele Jahre vor sich her schob.
»Ich weiß doch, dass dir diese beiden Bräute nicht aus dem Kopf gehen. Die beiden Mädchen, die immer wieder auf dich reinfallen, ganz egal wie mies du sie behandelst. Ich weiß, dass da eine große Entscheidung ansteht, vor der du dich drückst, als ginge es um Leben und Tod.«
Nate nickte unglücklich. Chips hatte in drei Sätzen überraschend treffend die Krise zusammengefasst, die sein Leben bestimmte, seit er fünfzehn war.
»Ich sag dir was, Junge. Wenn es so weit ist, wirst du wissen, wie du dich entscheiden musst. Aber herausfinden musst du es ganz allein. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass du dir Eier wachsen lassen musst. Aber ich hab keine Zeit, die Glucke zu spielen und sie für dich zu auszubrüten, verstanden?« Chips kniff die Augen zusammen und blickte zu den geblähten Segeln hinauf. »Und jetzt entschuldige mich bitte, ich brauch meinen Morgentee. Du hast noch den ganzen Tag Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.«
Er zwinkerte Nate zu, bevor er in der Kombüse verschwand und ihn inmitten der endlosen Weite des Meeres und des Horizonts allein ließ.
»Vielen Dank auch«, murmelte Nate. Er stellte sich an die Reling und hielt sein Gesicht in den rauen, salzigen Wind. Aber vielleicht hatte Chips recht. Er hatte weiß Gott genug Zeit gehabt, in Ruhe nachzudenken, sich in der Welt umzusehen und sich Eier wachsen zu lassen. Er konnte sich nicht ewig so treiben lassen.
Jetzt war es an der Zeit, zurückzukehren und zu entscheiden, was er wirklich mit seinem Leben anfangen wollte. Und wenn er Blair und Serena wiedersah, würde er wissen, welche Entscheidung er zu treffen hatte. Vielleicht war es sogar besser, vorher nicht zu sehr darüber nachzudenken, sondern sich aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Er würde seinen Instinkten folgen. Sich weder an der Vergangenheit noch an der Zukunft orientieren, sondern nur am Hier und Jetzt. Er war bereit.
Okay, er vielleicht - aber was ist mit den beiden?
liebe und andere unmöglichkeiten
Dan Humphrey füllte heißes Leitungswasser in den mit Pulverkaffee gefüllten abgeplatzten weißen Keramikbecher und schlurfte in das Wohnzimmer des weitläufigen Altbauapartments auf der Upper West Side, in dem er aufgewachsen war. Er ließ sich so schwer auf die abgewetzte, durchgesessene beige Couch fallen, dass Marx, der fettleibige Familienkater, mit einem empörten Maunzer zu Boden sprang.
Es war noch frühmorgens, aber Dan war zu aufgeregt, um weiterzuschlafen. Er war vor einer Woche nach Hause zurückgekehrt, nachdem er am Evergreen College in Washington - dem Staat, nicht der Stadt - mehr oder weniger erfolgreich sein erstes Studiensemester hinter sich gebracht hatte. Im Laufe der letzten Monate war ihm klar geworden, dass er nach den Weihnachtsferien nicht dorthin zurückgehen würde.
Nie mehr.
Noch von Washington aus hatte er sich für das zweite Semester an der Columbia University in New York beworben und vor zwei Wochen Bescheid bekommen, dass er angenommen worden war. Nach der Abschlussprüfung in
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2010
© 2009 für den Originaltext Alloy Entertainment © 2010 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »I will always love you« bei Little, Brown and Company, New York Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen. Übersetzung: Katarina Ganslandt Lektorat: Stefanie Rahnfeld
eISBN 978-3-641-04620-0
www.cbt-jugendbuch.de
Leseprobe

www.randomhouse.de