Grace Valley - Im Licht des Tages - Robyn Carr - E-Book
SONDERANGEBOT

Grace Valley - Im Licht des Tages E-Book

Robyn Carr

4,8
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willkommen zurück in Grace Valley, wo jeder für den anderen da ist!

In dem kleinen Ort Grace Valley ist es nahezu unmöglich, ein Geheimnis zu wahren - doch Dr. June Hudson ist es gelungen. Noch ahnt niemand etwas von ihrer Beziehung mit dem gut aussehenden Jim Post. Deshalb freuen sich auch alle, dass Junes Jugendliebe zurückkehrt - denn nichts wünschen sich die Bewohner des Tals mehr, als dass ihre Ärztin endlich den Mann fürs Leben findet. June weiß die warmherzige Fürsorge der Talbewohner zu schätzen, aber auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden, ist auch ein wenig anstrengend. Doch zum Glück haben auch noch andere Bewohner Geheimnisse, die die Dorfgemeinschaft in Atem halten. Bald geht es in Grace Valley drunter und drüber …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 436

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Robyn Carr

Grace Valley – Im Licht des Tages

Roman

Aus dem Amerikanischen von Gisela Schmitt

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Just Over The Mountain

Copyright © 2002 by Robyn Carr

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images München; Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-341-6

www.mira-taschenbuch.de

Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Für Carla Neggers, voller Zuneigung.

1. KAPITEL

June Hudson hatte Nerven wie Drahtseile. Sie war siebenunddreißig Jahre alt und seit über zehn Jahren Ärztin in Grace Valley. Ihr Job war einfach nichts für Leute mit schwachen Nerven. Sie hatte auf dem Rücksitz eines Pick-ups ein Baby zur Welt geholt, neben einer Kühlbox, in der das abgetrennte Bein eines Holzfällers lag, auf den Rettungshubschrauber gewartet und einfühlsam, beruhigend auf einen Marihuana-Anbauer eingeredet, der mit einer geladenen Waffe auf sie zielte. Sie war eine Frau. Aber sie war auch tough. Stark. Furchtlos.

Das heißt, natürlich war sie nicht völlig furchtlos – doch sie hatte gelernt, furchtlos zu erscheinen. Ein alter Arzttrick.

Und dann erreichte sie an einem frühen Morgen der unheilvolle Anruf, der ihren Puls in die Höhe und ihr den Schweiß auf die Stirn trieb. Ihre Beine gaben nach, und sie sank hilflos auf den Küchenstuhl.

Eigentlich begann es ganz harmlos. Ihre Freundin Birdie erzählte ihr, ihr Sohn Chris käme mit seinen zwei Jungs nach Hause. Die Jungs waren vierzehnjährige Zwillinge.

„Aber nur zu Besuch?“, meinte June.

„Nein, sie wollen bleiben. Er und Nancy lassen sich scheiden.“

June schwieg. Sie war schockiert und irritiert. Scheidung?

„Er hat übrigens gefragt, ob du noch Single bist …“, plapperte Birdie weiter. In ihrer Stimme schwang Hoffnung mit.

In diesem Moment bekam die furchtlose June Angst. Chris war ein Exfreund von ihr, genau genommen ihre erste Liebe. Und der Erste, der ihr das Herz gebrochen hatte. Damals hatte sie sich geschworen, wenn sie Chris Forrest je wiedersähe, würde sie sich an ihm rächen für das, was er ihr angetan hatte.

Er war das einzige Kind von Birdie und Judge Forrest und hatte die letzten achtzehn Jahre in Südkalifornien gelebt. Mit seiner Frau, die er ebenfalls noch von der Schule kannte: Junes ehemaliger Rivalin Nancy Cruise. Er hatte sich nur selten in Grace Valley blicken lassen, denn seine Eltern hatten ihn lieber in San Diego besucht. Wann immer er hier war, versuchte June ihm aus dem Weg zu gehen. Falls sie ihm dennoch begegnete, behandelte sie ihn äußerst reserviert. Mit ihrer Haltung wollte sie ihm beweisen, dass sie die Vergangenheit hinter sich gelassen hatte und er ihr gleichgültig war.

Allerdings stimmt das leider nur teilweise. Natürlich dachte sie nicht ständig an ihre Beziehung, die zwanzig Jahre her war und unschön geendet hatte. Doch immer, wenn sie ihn sah, erinnerte sie sich unwillkürlich an zwei Dinge: Erstens, dass Chris kurz nach dem Schulabschluss wegen Nancy Cruise mit ihr Schluss gemacht hatte, ohne überhaupt noch mal mit ihr zu sprechen. Und zweitens, dass er immer noch so gut aussah wie damals. Sie hasste ihn für beides.

Und jetzt, wo er so gut wie geschieden war, erkundigte er sich, ob June immer noch zu haben war? Davon träumst du wohl, Chris Forrest, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie plauderte noch eine Weile mit Birdie, die natürlich sehr aufgeregt war wegen der bevorstehenden Veränderungen. Nachdem sie aufgelegt hatten, blieb June noch einen Moment sitzen und fantasierte darüber, wie sie Chris einen langsamen, schmerzhaften und qualvollen Tod bereiten könnte. Da klingelte das Telefon wieder.

„Schon gehört? Chris Forrest zieht zurück nach Grace Valley“, berichtete ihr Vater Elmer ihr.

„Ach wirklich?“ June tat so, als wüsste sie von nichts. „Da werden sich Birdie und Judge aber freuen.“

„Offensichtlich hat er sich von Nancy getrennt und hat das Sorgerecht für die Kinder.“

„Wie schön.“

„Er ist geschieden“, betonte Elmer noch einmal.

„Das meinte ich nicht“, erwiderte June. „Sondern, dass er mit seinen Söhnen hierher zurückkommt. Für seine Eltern ist es zumindest schön.“

„Findest du das nicht spannend?“, bohrte Elmer weiter nach. „Dass er wieder Single ist?“

Ihre Wangen glühten, doch ganz bestimmt nicht vor Leidenschaft. Ihr Vater ging ja wohl nicht allen Ernstes davon aus, dass sie diesen Mistkerl mit offenen Armen empfangen würde? „Ganz sicher nicht. Das ist hundert Jahre her. Ich war damals noch ein halbes Kind!“

„Ach so. Gibt’s heute Abend Hackbraten bei dir?“

„Dad? Weißt du zufällig, wann sie eintreffen werden?“

„Ich glaube, Judge sagte, so bald wie möglich, denn Chris muss die Jungs ja in der Schule anmelden. Was ist denn nun mit heute Abend? Es ist doch Dienstag, oder nicht?“

„So bald wie möglich?“ Abwesend berührte sie ihr Haar, das noch feucht vom Duschen war. Sie konnte binnen kürzester Zeit einen entzündeten Blinddarm herausoperieren und dabei eine so winzige Narbe hinterlassen, dass jeder plastische Chirurg vor Neid erblasste, doch was das Bändigen ihres schulterlangen, dunkelblonden Haares – straßenköterblond, wie ihre Mutter es genannt hatte – betraf, hatte sie keinerlei Geschick.

Sie hatte immer Nancy um ihr volles, braunes, glänzendes Haar beneidet.

June betrachtete ihre Hände. Es waren Arzthände. Kurze Nägel, raue Fingerknöchel, weil sie sich dauernd die Hände waschen musste und … O nein! War das etwa ein Altersfleck?

Sie erfuhr noch, dass Chris, Nancy und ihre Söhne Mitglieder in einem Country Club waren.

„Wir sehen uns dann so gegen sechs hier bei mir, Dad.“

„Ist alles in Ordnung mit dir, June? Du klingst so müde. Wurdest du letzte Nacht viel rausgeklingelt?“

In diesem Moment meldete sich ihr Pager im Schlafzimmer, der auf Vibration gestellt war, und fing an, auf dem Nachttisch zu tanzen. Grrrr. Rasch rannte sie hin, das Telefon noch am Ohr. „Nein, niemand hat mich rausgeklingelt. Die Nacht war ruhig. Ich muss los, Dad. Man piept mich an. Bis später!“

„Bis dann“, erwiderte er.

Der Pager zeigte die Nummer der Polizeistation, dazu die 911, damit June wusste, dass es sich um einen dringenden Notfall handelte. Chris Forrest war vergessen. „Hier June.“

Deputy Ricky Rios hatte sie angefunkt. „Chief Toopeek wurde wegen einer Schießerei zu den Culley-Stallungen gerufen. Er sagt, du sollst so schnell wie möglich kommen.“

„Brauchen wir auch einen Notarzt oder einen Hubschrauber?“, erkundigte sie sich, während sie in ihre Schuhe schlüpfte.

„Er hat nur nach dir gefragt.“

June schnappte sich ihre Handtasche und band sich rasch die Haare zusammen, pfiff ihren Collie Sadie herbei und hatte binnen fünfzehn Sekunden das Haus verlassen. Sie teilte sich die Rufbereitschaft mit ihrem Kollegen John Stone, dem anderen Arzt vor Ort, und momentan stand ihr der neue Rettungswagen zur Verfügung. Das Auto war so neu, dass sie noch immer Respekt vor ihm hatte, und trotz Blaulicht und eingeschalteter Sirene raste sie nicht wie eine Verrückte los. Es war früh am Morgen. Sie wollte nicht mit Wildtieren zusammenstoßen oder mit einem langsam fahrenden landwirtschaftlichen Fahrzeug zusammenprallen.

Obwohl June auch ein Funkgerät im Wagen hatte, meldete sie sich nicht bei Tom Toopeek. Denn viele Leute in Grace Valley besaßen ebenfalls Funkgeräte, und June wollte ihn deswegen nicht über Funk zu näheren Einzelheiten ausfragen, sonst würde es schnell in der Stadt die Runde machen. Im Grunde genommen konnte man den Leuten allerdings auch gleich mitteilen, was Sache war – spätestens zur Mittagszeit würden alle Bescheid wissen.

Daniel und Blythe Culley wohnten auf einer mittelgroßen Ranch mit vielen Hektar Land, auf dem sich zwei Pferdeställe und fünf Pferche befanden und das ausreichend Weidefläche für die Tiere in den Ausläufern des kalifornischen Küstengebirges bot. Ursprünglich stammten sie aus Kentucky und hatten klein angefangen. Aber vor knapp zehn Jahren hatten sie mit einem ihrer Hengste große Erfolge bei Pferderennen in San Francisco und San Diego gefeiert, und ihr Stall wurde berühmt. Sie beschäftigten Züchter, Trainer und manchmal auch Jockeys, bis zu zwanzig Personen, je nachdem, wie viele Pferde bei ihnen standen. Ihre Kunden kamen von überall, und die Culleys hatten das ganze Jahr über gut zu tun.

June machte sich nicht die Mühe, Vermutungen darüber anzustellen, was geschehen sein könnte. Hier besaß fast jeder eine Waffe, vor allem die Leute, die in der Bergen lebten und in Kontakt mit Wildtieren kamen. Vielleicht war einem der Stallhelfer ein Missgeschick passiert oder eine Meinungsverschiedenheit war ausgeartet – was allerdings eher unwahrscheinlich war. Die Culleys waren bodenständige Leute. Still, doch freundlich und hilfsbereit. Einen Stall wie den ihren aufzubauen erforderte eiserne Disziplin und stetiges Engagement, deswegen sah man die beiden nicht oft in der Stadt. Farmer, Rancher, Winzer, Holzfäller – sie alle arbeiteten von früh bis spät, nur um abends früh schlafen zu gehen und am nächsten Morgen früh aufzustehen und weiterzuarbeiten. Die Culleys führten eine solide Ehe. Gemeinsam hatten sie alles aufgebaut. June fand es ein bisschen traurig, dass die beiden keine Kinder hatten – sicher wären sie auch tolle Eltern gewesen.

Es war sieben Uhr morgens, und ein dünner Frühnebelschleier umgab das Haus, obwohl die Sonne schon durch die Bäume schien. Toms Range Rover parkte knapp hundert Meter vom Haus entfernt. Tom stand neben seinem Auto, das Gewehr in der Hand. Auf einem umgekippten Fass lag Daniel, seine Hose bis zu den Oberschenkeln heruntergelassen, den nackten Hintern in die Luft gereckt, weil er mit Schrotkugeln gespickt war.

„Daniel, was zum Teufel …“ Sie stieg aus dem Rettungswagen.

„Die Alte hat den Verstand verloren!“, antwortete er.

„Willst du sagen, Blythe war das?“

„Wohnt hier eine andere Alte?“

„Na ja, ich …“ Eigentlich sind sie doch noch gar nicht so alt, dachte June. Blythe durfte etwa fünfundfünfzig sein und Daniel vielleicht etwas älter. Schwer zu schätzen. Als sie nach Grace Valley gezogen waren, waren sie noch ein junges Paar gewesen. June hatte sie nie behandelt – was ihr erst in diesem Moment auffiel. Suchten die beiden wohl in einer anderen Stadt einen Arzt auf? Wieso hatten sie sich nie von Elmer behandeln lassen? Sie kannten ihren Vater gut. Doch vielleicht war gerade das der Punkt – das ging vielen Menschen in der Stadt so: Sie wollten mit ihrem Arzt nicht persönlich befreundet sein.

„Wo ist Blythe denn?“, erkundigte sie sich.

Tom sprach kein Wort, sondern deutete nur mit dem Gewehr aufs Haus. Im Morgennebel sah June Blythe in einem Schaukelstuhl auf der Veranda sitzen, eine Schrotflinte lag auf ihren Beinen.

„Hast du schon mit ihr geredet?“, fragte June Tom.

„Nur aus sicherer Entfernung. Mir scheint, sie braucht ein bisschen Zeit zum Nachdenken.“

„Wenn sie noch sehr viel länger nachdenken darf, wird sie hier rüberstapfen und mir die Knarre an den Kopf halten, den ich mir vor über dreißig Jahren besser hätte untersuchen lassen! Bevor ich mich auf all das eingelassen habe!“, murmelte Daniel.

June begutachtete sein verletztes Hinterteil. „Ich muss Sie wohl mit in die Praxis nehmen, Daniel. Da habe ich eine feine Pinzette und das entsprechende Verbandsmaterial. Alles halb so schlimm.“ Sie hustete hinter vorgehaltener Hand und meinte dann: „Es könnten allerdings Narben zurückbleiben.“

„Aber Sie können mich nur in die Praxis schaffen, wenn ich auf dem Bauch liegen kann!“

„Schon klar. Meinen Sie, Sie können alleine auf die Liege steigen?“

„Ich will’s versuchen.“

„Und ich überlege mir, was wir für Blythe tun können.“

„Für sie tun können?“, stieß ihr Mann hervor.

„Soll ich sie vielleicht einsperren?“, mischte Tom sich ein.

„Was machen Sie denn üblicherweise, wenn jemand auf eine Person schießt? Schmeißen Sie ’ne Party?“

„Kommen Sie, Daniel“, sagte June beruhigend. „Mal schauen, ob Sie aufstehen und zum Wagen laufen können. Was haben Sie denn eigentlich getan, um Blythe so auf die Palme zu bringen? Ich kenne sie nur als liebe, freundliche Person.“

„Tja, da kennen Sie sie schlecht“, erwiderte er knurrend und hievte sich von dem Fass. Rasch steckte er die Hände in die Hosentaschen, damit ihm die Hose nicht noch weiter herunterrutschte, und humpelte mit Junes Hilfe und mit kleinen Schritten zur Heckklappe des Krankenwagens.

„Wirklich, ich habe sie nur als reizende, entzückende Person erlebt. Versuchen Sie nicht meinen brandneuen Rettungswagen allzu sehr vollzubluten.“

Der Mann blieb stehen und starrte sie an.

„Also …“ Entschuldigend zuckte sie die Schultern. Vorsichtig gingen sie weiter.

Obwohl June die Fahrertür offen gelassen hatte, thronte Sadie majestätisch auf dem Beifahrersitz. Sie war ein Arbeitshund und unternahm nichts von sich aus, ohne Kommando. „ Sadie, braves Mädchen. Komm, du darfst kurz auf die Wiese.“ Der Collie schien sie anzulächeln, als er aus dem Auto ins Gras sprang.

„Ich wüsste zu gern, was Sie angestellt haben“, wiederholte June.

„Ja, das wüssten Sie gern.“

Mit dem Gewehrkolben nach vorne gerichtet ging Tom langsam auf die Veranda zu. Jetzt, wo Daniel und June mit dem Krankenwagen verschwunden waren, traute er sich, sich Blythe zu nähern. Er erkannte, dass sie erschöpft und traurig aussah. Vielleicht hatten die beiden die ganze Nacht gestritten, möglicherweise dauerte ihr häuslicher Zwist schon seit Tagen oder Wochen an.

Blythe Culley war nicht eigentlich eine Schönheit, doch sie hatte ein süßes Gesicht, das strahlte, wenn sie lächelte, und rosige Wangen. Nur tat sie das gerade nicht. Sie war ein bisschen pummelig geworden im Lauf der Jahre, und ihr einst schwarzes Haar durchzogen ein paar Silberfäden. Ohne die dunklen Ringe unter den geröteten Augen sah sie eigentlich sehr hübsch aus.

„Sie hatten einen stressigen Morgen“, sagte er zu ihr.

„Ich war wohl etwas gereizt.“

Er hob die Augenbrauen. Tom Toopeek war Cherokee. Als kleiner Junge war er von Oklahoma nach Kalifornien gekommen. Er war nicht in einem Reservat aufgewachsen. Seine Eltern Philana und Lincoln, die immer noch bei ihm und seiner Familie lebten, hatten ihn dennoch in der Tradition ihres Volkes erzogen. Deswegen hörte Tom eher zu, als dass er redete, und wartete eher ab, als übereilt zu handeln. Diese Taktik hatte sich bewährt.

„Ich denke, jetzt ist alles geklärt“, erwiderte Blythe, wobei ihr eine dicke Träne über die Wange lief.

Tom lehnte das Gewehr gegen das Verandageländer. Mit zwei Schritten stand er vor Blythe und nahm ihr die Schrotflinte ab, die sie immer noch auf dem Schoß liegen hatte, und überprüfte, ob sie noch geladen war. Anschließend stellte er sie neben seine eigene Waffe. „Nein, Blythe, es ist noch nicht geklärt. Ich habe mit Daniel gesprochen.“

„Was hat er gesagt?“ Sie sah verblüfft aus, als hätte sie Angst, Einzelheiten ihres Streits könnten an die Öffentlichkeit dringen.

„Er hält Sie für verrückt, um es mal so auszudrücken.“

Die Furcht in ihren Augen verschwand und wich einem wütenden Ausdruck. „Aha. Das war ja klar.“

„Wollen Sie mir verraten, wieso Sie Ihrem Mann eine Ladung Schrot in den Hintern gejagt haben?“

„Weil er mir Dinge an den Kopf geworfen hat, die er besser nicht gesagt hätte.“

„Zum Beispiel?“

„Ich glaube nicht, dass das etwas zur Sache tut.“

„Vielleicht doch“, entgegnete Tom. „Ich wüsste gern, was ein Mann sagen muss, damit seine Frau auf ihn schießt. Daniel ist kein Trinker. Er war also sicher nicht betrunken und hat im Haus randaliert. Er ist nicht gewalttätig, im Gegenteil – ich halte ihn für eher sanftmütig, obwohl er natürlich sehr viel Kraft hat. Wenn Sie mich fragen, gehört er zu den guten Ehemännern hier im Valley. Sie können doch froh sein, ihn zu haben.“

Blythe begann leise zu weinen. Ihr Kinn sank nach unten, ihre Miene war gequält, sie erbebte, und Tränen tropften auf ihren Busen. „Sie sagen es. Ich kann froh sein, ihn zu haben. Und jetzt wird eine andere ihn haben statt mir.“

Und damit stand sie auf, marschierte ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu.

Tom konnte sie in diesem Zustand unmöglich allein lassen. Womöglich tat sie sich etwas an. Er überlegte, welche von ihren Freundinnen er wohl anrufen könnte, damit sie vorbeikäme und sich um sie kümmerte, allerdings fiel ihm partout niemand ein. Daniel und Blythe lebten recht abgeschieden auf ihrer Ranch. In Grace Valley kannte und mochte man die beiden zwar, doch hatten sie auch Freunde?

Als die Stallhilfen bemerkten, dass der Streit vorbei war, trauten sie sich wieder raus. Tom fragte drei von ihnen, ob sie jemanden wüssten, der sich um Blythe kümmern könnte. Doch die Männer zuckten nur ratlos die Achseln und schüttelten den Kopf.

Tom konnte natürlich einfach eine Nachbarin bitten vorbeizuschauen. Allerdings ging es hier ja nicht darum, dass die Scheune brannte oder jemand krank war. Hier ging es um einen ernsten Streit zwischen den Eheleuten. Da musste sich schon jemand der Sache annehmen, der mit den beiden befreundet war – oder ein Profi.

Schließlich rief er Jerry Powell an, den Therapeuten.

„Will sie denn mit mir sprechen?“, wollte dieser als Erstes wissen.

„Das ist mir egal, Jerry. Entweder sie redet mit dir, oder sie muss auf die Polizeiwache. Komm doch bitte her.“

June hatte mittlerweile mit ihrem Patienten die Praxis erreicht, wo sie ihm die Schrotkugeln aus dem Hintern zog. Sie löcherte Daniel, womit er Blythe so in Rage versetzt hätte. Aber er wiederholte die ganze Zeit nur stur: „Die Frau ist verrückt geworden.“

Später holte ihn einer seiner Arbeiter in einem Pick-up ab, dessen Ladefläche mit Heuballen bedeckt war. Daniel war froh, sich für die Heimfahrt darauflegen zu können.

June versorgte nun die anderen Patienten, von denen sich ziemlich viele nach Daniel erkundigten. In einer freien Minute löste June ihren Zopf und bürstete sich die Haare. Es war hoffnungslos. Die Strähnen standen wild nach allen Seiten ab, und ihre leichte Naturwelle machte das Ganze auch nicht besser. Seufzend band sie den Wust an Haaren wieder zusammen.

Heute kam sie erst sehr spät zu ihrer Tasse Kaffee in Fuller’s Café. Normalerweise schaute sie immer gegen sieben rein, bevor sie die Praxis öffnete. Der verspätete Koffein- und Zuckerstoß hatte Auswirkungen auf ihre Laune gehabt, denn eigentlich war June ein ausgeglichener Mensch.

„Viel zu tun heute Morgen, was?“, begrüßte George Fuller sie. „Erst Daniel Culley mit seiner Ladung Schrot im Hintern, und gleich wird Chris Forrest zurückerwartet. Stehst du eigentlich immer noch auf ihn, June?“

„George! Werd bitte nicht albern! Wir reden von einer Highschool-Liebe!“

„Wieso sollte er denn sonst nach Grace Valley zurückkehren?“

„Woher soll ich das wissen? Vermutlich, weil seine Eltern hier leben? Oder weil es hier besser für die Kinder ist? Oder ganz einfach, weil es ihm hier gefällt?“

George grinste blöd. „Vielleicht will er ja wieder mit dir zusammen sein.“

„George! Highschool!“

„Ob er schon gehört hat, was für eine übellaunige Zicke du geworden bist?“

„Halt einfach die Klappe und gib mir meinen Kaffee und eine Bärentatze, dann bessert sich meine Laune schlagartig. Es ist halt schlimm, wenn du mir jeden Morgen die Ohren volljammerst.“

„Du kriegst seit zehn Jahren jeden Morgen Bärentatzen und Kuchenteilchen von mir, June, und trotzdem bist du noch so dünn wie damals auf der Schule. Stimmt mit deinem Stoffwechsel irgendwas nicht?“

„Wahrscheinlich.“

George klopfte sich mit einer Hand auf den Bauch, über dem das Hemd spannte. Er sah aus, als wäre er im siebten Monat schwanger. „Dann ist meiner sicher völlig hinüber.“ Er grinste.

„Und nicht nur dein Stoffwechsel“, entgegnete June und griff nach ihrem Kaffeebecher und dem Gebäck.

Sie drehte sich um und hörte ihn sagen: „Ich nehme es dir nicht übel, June. Ich hätte vermutlich auch schlechte Laune, wenn ich den Morgen damit zugebracht hätte, einem alten Kerl Schrot aus dem Hintern zu pulen.“

Mal was anderes, dachte sie und wollte zurück in die Praxis gehen. Doch da entdeckte sie Tom, der mit ein paar Leuten am Tresen stand, und ging zu ihm.

„Wir haben eine Wette laufen, Doktor“, meinte Ray Gilmore zur Begrüßung. „Ich schätze, Blythe hat Daniel dreißig Splitter in den Hintern gejagt, aber Sam sagt, er hätte Dan damals die Flinte verkauft, und sie würde sich nicht dafür eignen, gleich vier ganze Ladungen auf ein so kleines Ziel zu feuern. Er tippt deswegen auf maximal zwölf Splitter. Also, wer muss den Kaffee zahlen?“

„Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun?“, entgegnete sie.

Sam und Ray schauten sich an, zuckten mit den Schultern und meinten: „Nein. Du etwa?“

„Diese Stadt“, stieß sie kopfschüttelnd hervor und blickte Tom an. „Was hast du mit Blythe gemacht?“

„Sie scheint sich wieder beruhigt zu haben“, informierte er sie, was ihre Frage nicht wirklich beantwortete.

„Einen so heftigen Streit hätte ich den beiden niemals zugetraut“, meinte June. „Mit einer Waffe, die zum Einsatz kam!“

„Da hast du recht“, pflichtete Tom ihr bei.

„Tja, die Ehe ist eben eine delikate Angelegenheit“, mutmaßte sie.

Tom, Sam und Ray waren alle verheiratet. Alle drei schüttelten den Kopf. Einer stieß einen Pfiff aus, der andere lachte reuevoll, und der dritte murmelte: „Da hast du verdammt recht.“ Das kam ausgerechnet von Sam, dem energiegeladenen Siebzigjährigen, der vor Kurzem die sechsundzwanzigjährige Justine geheiratet hatte.

„Apropos, June“, wechselte Ray das Thema, „du bist doch bestimmt schon ganz aufgeregt, weil dein alter Lover bald wieder in der Stadt ist. Und er ist wieder Single, wie erzählt wird.“

Es würde noch ein langer Tag werden.

2. KAPITEL

June, Tom Toopeek, Chris Forrest und Greg Silva waren zusammen aufgewachsen. Als beste Freunde, Vertraute. Bis zur Pubertät schien es den Jungs gar nicht aufzufallen, dass June ein Mädchen war. Ab dann musste sie gewisse Dinge mit sich allein ausmachen. Doch die Jungs zeigten sich wenig sensibel. Sie kletterten auf den großen Baum vor ihrem Zimmer und versuchten, einen Blick auf sie zu erhaschen. Einmal fiel Chris dabei herunter und brach sich den Arm. Elmer machte den Gipsverband etwas schwerer als nötig, und Chris lief sechs Wochen mit Schlagseite herum.

Ab Ende der Mittelstufe waren Chris und June ein Paar – und sie blieben auch bis zu ihrem Highschool-Abschluss zusammen. Sie war Cheerleaderin, er Quarterback in der Football-Mannschaft. Allerdings gab es da noch eine Cheerleaderin, die ein Auge auf Chris geworfen hatte: Nancy Cruise. Ihr war es egal, dass er eine Freundin hatte. Und Chris zeigte sich empfänglich für ihre Avancen. Er fragte sich immer, ob es wirklich das Wahre war, sich so früh zu binden. Und wenn er dann loszog, landete er meistens bei Nancy, die sich darüber hämisch freute. Doch Chris kehrte jedes Mal reumütig zu June zurück und versprach ihr, es nie wieder zu machen, während Nancy weiter daran arbeitete, sie auseinanderzubringen. Vier Jahre ging dieses Tauziehen um Chris weiter. Obwohl June eindeutig mehr Zeit mit Chris verbrachte, lauerte die Gefahr in Form von Nancy immer und überall.

Noch unerträglicher als Nancy war allerdings ihre Mutter. Eine dominante, herrische Frau, die in der Stadt gefürchtet war. Sie hatte den Vorsitz in jedem Komitee und war drei Jahre hintereinander die Vorsitzende des Lehrer-Eltern-Ausschusses. Sie war eine Tyrannin. Egal was Nancy versuchte, June anzutun, Mrs Cruise setzte immer noch einen drauf.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!