Grundrechte-Report 2019 -  - E-Book

Grundrechte-Report 2019 E-Book

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Beschreibung

Polizeigewalt, Abschiebungen, Demonstrationsverbote, Diskriminierung, Vorratsdatenspeicherung. Der neue Grundrechte-Report deckt schonungslos Verletzungen der Menschen- und Grundrechte in Deutschland auf. In mehr als 40 Beiträgen dokumentieren und analysieren Expertinnen und Experten Verstöße in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Dabei zeigen sie, dass in einer Zeit, in der die Sicherheit über allem steht, unsere Freiheit in Gefahr gerät. Der wahre Verfassungsschutzbericht!

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Seitenzahl: 223

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Grundrechte-Report 2019

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

Bellinda Bartolucci / Iris Burdinski / Marie Diekmann / Rolf Gössner / Julia Heesen / Martin Heiming / Hans-Jörg Kreowski / Britta Rabe / Rosemarie Will

FISCHER E-Books

Ein Projekt der Humanistischen Union, des Komitees für Grundrechte und Demokratie, des Bundesarbeitskreises Kritischer Juragruppen, von Pro Asyl, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, der Internationalen Liga für Menschenrechte, der Neuen Richtervereinigung und des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung

Inhalt

Tauziehen um die grundlegenden Werte70 Jahre Grundgesetz – Eine Erfolgsgeschichte mit PotentialKampf um TrojaNutzung von Schadsoftware durch deutsche BehördenDie aktuelle Zunahme staatlichen HackingsKollateralschädenBig Data bei der Polizei»Hessen-Data« und die informationelle SelbstbestimmungMassendatenauswertung und PräemptionStudierendendaten unter GeneralverdachtAnforderungen an die Durchsuchung von DatenträgernDas verfassungsrechtliche TrennungsgebotRechtsstaatliche Erosion durch neue PolizeigesetzeÜberall lauert die drohende GefahrDie Grundlage der MissinterpretationenNiedrige Eingriffsschwelle für neue repressive MaßnahmenFehlender Rechtsschutz für BetroffeneRechtsstaatliche ErosionPsychisch krank gleich gefährlich?Unterbringung zur GefahrenabwehrDer erste Vorschlag der Bayerischen LandesregierungDas neue GesetzWas bleibt?»Frauen können heute fast alles werden«Finger weg von meinen PrivilegienTradiertes PatriarchatDer »unvoreingenommene und verständige Durchschnittsrezipient«Das Frauenwahlrecht ist nicht genugKontextlose DemokratieGeschlechtergerechte DemokratieVerpflichtende Quotenregelungen!Ostdeutsche als diskriminierte GruppeUrsachen und Wirkungen der Ungleichheit zwischen Ost und WestStrukturelle Diskriminierung Ostdeutscher als GrundrechtsproblemZeitenwende im kirchlichen ArbeitsrechtPaukenschlag aus LuxemburgNeun Jahre LeidenswegBayerns »Kreuz-Erlass«: Ein VerfassungsverstoßKreuz-Pflicht für den Eingangsbereich von DienstgebäudenVerstoß gegen das Gebot zur weltanschaulichen NeutralitätVerletzung der negativen Religionsfreiheit»Die Meinung nehm’ ich Dir!«Worum geht es?Eine politische Kontroverse …… mit grundrechtlichem GehaltAkkreditierungsentzug: Pressefreiheit auf Widerruf?Massiver Eingriff in die PressefreiheitKlagen gegen AkkreditierungsentzugKonsequenzen aus der AffäreFriedensklausel/Zivilklausel – Schranke oder inhaltliche Bestimmung der Wissenschaftsfreiheit?Versuch einer AbschaffungKontroverse Diskussion um den Gehalt der Wissenschaftsfreiheit»Friedensfinalität« als VerfassungszielBefreiung von Krieg und UnmenschlichkeitG20: Verurteilungen um jeden Preis?Unvergleichliche Videosammlung und -auswertungWidersprüche zu polizeilichen AussagenDer Zugang zu entlastendem Material wird verweigertThis is what democracy looks like!BlackBox VerfassungsschutzÜberlegenes WissenVerklärung statt AufklärungGrenzen für das Social-Media-Team der PolizeiBildaufnahmen nur unter engen Voraussetzungen möglichKeine Aufnahmen für ÖffentlichkeitsarbeitSocial-Media-Arbeit der Polizei ist kritisch zu sehenKein Mindestlohn für Zeitungszusteller_innen?Von tariflichen und gesetzlichen AusnahmenKuriose Begründung: Ausgerechnet die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit soll Niedrigentlohnung rechtfertigenBundesarbeitsgericht bestätigt RechtmäßigkeitVon der Ausnahme zur Regel: Minderjährige im Dienst an der WaffeUmfassende Rekrutierung und Anwerbung von MinderjährigenRechtliche Standards zur Rekrutierung MinderjährigerBesondere Risiken für Minderjährige bei der BundeswehrTrendwende in Sicht?Ellwangen und die BrandstifterAbschiebung als StrafeMit Schaum vor dem MundDer Innenminister als Vater aller ProblemeZugang zum Asyl in der EU: ein unerfülltes VersprechenDas Recht auf Asyl wird gewährleistet …… aber nicht in der EUAbschieben der VerantwortungDie »Wiedereinführung« des Familiennachzugs – eine RegelungsattrappeSubsidiärer SchutzFamiliennachzug bei subsidiärem SchutzRegelungsattrappenStaatliche LagerhaltungDauerhaftes Leben in der GroßeinrichtungAbschottung von Beratung und HilfeDer »Masterplan« des BundesinnenministeriumsAbschiebungen nach Afghanistan: Triumph der postfaktischen PolitikPrüfung rechtlicher Voraussetzungen …… fernab der RealitätÖffentliche Hetzdebatten fernab des eigentlichen ProblemsKünstliche Intelligenz im WahlkampfMikrotargetingDatenschutz ist Demokratieschutz»Hin zu einer nationalen Bevölkerungspolitik«Völkische Ideologien sind unvereinbar mit dem System der GrundrechteDas Programm der AfD wendet sich gegen das System der GrundrechteNeue Normenarchitektur unter dem Leitbild einer nationalen BevölkerungspolitikAuf dem Weg zur Ich-AG in der DaseinsvorsorgeBeschädigung der DaseinsvorsorgeVermarktlichung des SozialenKein effektiver Schutz der natürlichen LebensgrundlagenShowdown in BayernJustitia ohne Schwert?Hilfe aus Luxemburg?Pflanzenschutzrechtliche Zulassung von Glyphosat und BiodiversitätSelbe Behörde, anderes Ergebnis?Die RealitätGeld statt KlimaZahnlose KlimapolitikZielkonflikt: Fossile Wirtschaft vs. KlimaKommission für die Wirtschaft statt Entscheidung für das KlimaDer »Verfassungsschutz« – ein VerfassungsfeindDie Sammelwut des VerfassungsschutzesMeinungsfreiheit auch für StaatskritikAbsage an die »Kontaktschuld«Der »Verfassungsschutz« wird arbeitslos?NSU-Komplex ungeklärtDie unhaltbare These vom »Trio«Erwartungen an den Prozess und Reaktionen auf das UrteilTödliche ExporteZögerliche JustizUntaugliches KontrollsystemExtralegale Tötung durch Drohnen und autonome WaffenKampfdrohnen heute – letale autonome Waffen morgenVom Grundgesetz nicht gedecktFazitDer Kadi-Justiz ausgeliefert: Whistleblowerinnen und WhistleblowerEin Beispiel unter vielen: Friedensaktivist TheisenGeschäftsgeheimnis-Richtlinie der EUMeinungsfreiheit verbietet GesinnungstestsDeformation der Rechtsrationalität»Die Kleinen hängt man …«LiteraturKurzporträts der herausgebenden OrganisationenAutorinnen, Autoren und RedaktionsmitgliederAbkürzungenSachregister

Vorwort der Herausgeber*innen

Tauziehen um die grundlegenden Werte

Die Grundrechte stehen immer unter Druck. Schließlich sind sie primär Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Das Grundgesetz kennt jedoch auch kollektive und soziale Rechte und bringt die Grundrechte darüber hinaus auch gegen Gefährdungslagen aus Wirtschaft oder Zivilgesellschaft in Stellung. Und das scheint nötiger denn je: Der Tonfall in den öffentlichen Debatten hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft; Freiheit, Gleichbehandlung und Menschenwürde werden in Frage gestellt. 70 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird deren Universalismus immer offener relativiert. Vor 70 Jahren trat auch das Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Im ersten Artikel der diesjährigen Ausgabe des Grundrechte-Reports zieht daher Gregor Gysi Bilanz und stellt heraus, dass die Grundrechte nicht einfach nur gegebene Rechte sind, sondern immer wieder erkämpft, verteidigt und weiterentwickelt werden müssen.

Die Angriffe auf Grundrechte waren auch 2018 wieder zahlreich und gingen von unterschiedlichen Akteur*innen aus. Der Grundrechte-Report nimmt in mehreren Artikeln neue Gesetze bzw. Gesetzesänderungen in den Blick, die direkt und intensiv in bestehende Grundrechte eingreifen:

 

Mittlerweile ist es fünf Jahre her, dass Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die unfassbare Missachtung der Bürger*innenrechte durch Geheimdienste an die Öffentlichkeit trat. Und trotzdem: Online-Durchsuchungen sowie Bundes- und Landestrojaner werden erlaubt, angeschafft oder erweitert. Daten, die staatlichen Behörden in die Hände fallen, werden fleißig ausgewertet, zum Beispiel die des AStA Freiburg, die im Zuge des Linksunten-Verbots einfach mit beschlagnahmt wurden. Dazu werden derzeit in fast allen Bundesländern die Polizeigesetze verschärft. Der Grundrechte-Report 2019 gibt einen Überblick über die aus grundrechtlicher Perspektive gefährlichsten Änderungen. Auch das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern wurde der Sicherheitslogik entsprechend reformiert – auf Kosten der Freiheit der Betroffenen. Gleichzeitig verweigert ausgerechnet der DGB einer polizeikritischen Veranstaltung die Räumlichkeiten. Und wer demonstrieren geht, muss damit rechnen, auf dem Instagram-Kanal der Polizei zu sehen zu sein. Auch die Bundeswehr greift zu Social Media, um am Diskurs teilzunehmen: So setzten die Werbekampagnen der Bundeswehr vermehrt auf YouTube und Co. – wo sie sich vor allem an Minderjährige richten. Passend dazu werden an immer mehr Universitäten die Zivilklauseln aus den Satzungen gestrichen, und wer sich über geleaste israelische Drohnen, die Umgehung der Rüstungskontrolle durch Rheinmetall oder die Spenden der Rüstungsindustrie an SPD und CDU informieren will, wird selbst zum Gegenstand polizeilicher Ermittlungen.

Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielten die Anti-G20-Proteste. Details der weitgehenden Eingriffe in die Pressefreiheit durch den Entzug der Akkreditierungen zahlreicher Journalist*innen im Zuge des G20-Geschehens oder die Grundrechtsverletzung von Demonstrierenden durch die »Soko Schwarzer Block« bleiben jedoch unaufgeklärt. Immerhin: Die jahrzehntelange Überwachung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner – einer der Herausgeber des Grundrechte-Reports – durch den Verfassungsschutz wurde nunmehr auch im Berufungsverfahren für rechtswidrig erklärt.

Besondere Missachtung erfuhren wieder einmal die Grundrechte von Geflüchteten. Die Abschiebung von Menschen in Krisengebiete sowie die geplanten Ankerzentren und die institutionelle Unterlaufung des eigentlich rechtlich garantierten Schutzniveaus für Familien geben schlaglichtartig Auskunft über den Zustand der Grundrechte von denjenigen, die besonders dringend auf rechtlichen Schutz angewiesen sind. Mit der Reform des europäischen Asylsystems soll nun noch der letzte Zugang auf europäischen Boden verhindert werden.

Die Maßnahmen gegen Geflüchtete gehen konform mit weitverbreiteten rassistischen Haltungen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat geurteilt, dass eine vielkritisierte Maßnahme der Bundespolizei in Bochum kein Racial Profiling war – obwohl die Bundespolizist*innen zugaben, den Entschluss zu ihrer Maßnahme auch auf die Hautfarbe des Betroffenen gestützt zu haben. Anstatt sich mit rassistischen Vorfällen zu beschäftigen, diffamierte der Bundesinnenminister Anwält*innen, die für die Rechte von Geflüchteten einstehen. Gleichzeitig etabliert sich mit der AfD eine rassistische Programmatik im Parteiensystem, und die Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Parlamenten und vor Gericht bleibt unvollständig.

Die Gefängnisse füllen sich mit Menschen, die ihre Bußgelder nicht bezahlen können. Wenig Geld haben auch zukünftig Zeitungszusteller*innen: Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass ihre Branche nicht unter die Tarifbindung fällt.

Der BGH vertritt die Auffassung, das generische Maskulinum stelle keine Ausklammerung von Frauen dar. Aber angesichts der komplett männlichen Führungsebene im Bundesinnenministerium – 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts – wird klar, wie wichtig Gleichstellung in allen Bereichen nach wie vor ist.

Das gilt auch 30 Jahre nach dem Mauerfall für die Gleichstellung von Ost- und Westdeutschen. Neben den Einkommensunterschieden erleben Ostdeutsche immer noch Benachteiligungen im Alltag.

Die Entscheidung des EuGH zum kirchlichen Arbeitsrecht und die Diskussion um Kreuze in Amtsstuben zeigen, wie schwer es in Deutschland nach wie vor ist, die allgemeinen Rechtsbindungen der Kirchen und die religionspolitische Neutralität des Staates durchzusetzen.

 

Auch ökologische Themen rücken aus grundrechtlicher Sicht immer mehr in den Fokus. Während für Arbeitsplätze in der Kohleindustrie die Klimaziele aufgegeben werden, weist die Zulassung von Chemikalien – hier am Beispiel von Glyphosat nachgezeichnet – strukturelle Probleme der europäischen Politik auf. Gleiches gilt mit Blick auf Dieselfahrverbote und die Rodung des Hambacher Waldes. Wirtschaftlichen Interessen wird in der Politik vielfach rechtswidrig der Vorrang gelassen. So ist es für Facebook ein Leichtes, Wahlkämpfe zu beeinflussen. Auch werden immer mehr öffentliche Güter – oder solche, die in öffentliche Hand gehören – privatisiert.

 

Doch all diese Missstände und Angriffe bleiben nicht unbeantwortet. Die #unteilbar-Demo brachte zehnmal mehr Menschen auf die Straße als »Pegida« zu ihren Hochzeiten. In der Bewegung »FridaysForFuture« setzen sich Hunderttausende Schülerinnen und Schüler für eine effektive Klimapolitik ein. Das Jahr 2018 hat auch gezeigt, dass die Menschen sich die Verletzung und den Rückbau ihrer Grundrechte nicht gefallen lassen. Der Grundrechte-Report wird die Entwicklung auch in den nächsten Jahren kritisch beobachten.

Gregor Gysi

70 Jahre Grundgesetz – Eine Erfolgsgeschichte mit Potential

Schon zu früheren Jubiläen der Verfassung herrschte in einer Frage meist Einigkeit: Das Grundgesetz ist die beste in Geltung gekommene Verfassung in der Geschichte Deutschlands. Sein Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 besagt bekanntlich: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Dieses Bekenntnis war die einzig richtige Antwort auf die Nazibarbarei. Es ist auch wichtig, dass dieser Satz an erster Stelle steht. Er bestimmt, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt gemacht werden darf. Jeder Mensch hat einen Eigenwert, unabhängig von seinem Entwicklungsstand und seinen Taten. Damit geht ein bestimmtes Staatsverständnis einher: Der Mensch existiert nicht um des Staates, sondern der Staat um des Menschen willen.

Die Garantie des Artikel 1 Absatz 1GG umfasst alle Menschen. Er unterscheidet nicht zwischen ihrer Nationalität und Herkunft, ihrem Glauben, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder einer Behinderung. Dieser Satz ist der bei Bürgerinnen und Bürgern am tiefsten ins Bewusstsein eingedrungene. Bei allen Formen sozialer und kultureller Diskriminierung, wirtschaftlicher Ungleichheit oder Unterdrückung berufen sich die Bürgerinnen und Bürger auf die Verletzung der Menschenwürde. Der Satz erhebt einen hohen moralischen Anspruch und prägt den jeweiligen Zeitgeist. Denn was die Würde eines Menschen ausmacht, ist selbst wieder das Ergebnis sozialer und kultureller Auseinandersetzungen. Allerdings: Zu viele nehmen den ersten Satz des Grundgesetzes nur für sich in Anspruch, nicht für andere, schon gar nicht für alle anderen.

Auch die Rechtsetzung des Bundestages muss sich die Würde des Menschen zum Maßstab nehmen. Mehrfach musste das Bundesverfassungsgericht den Bundestag korrigieren, zum Beispiel in der Frage des Abschusses von Passagierflugzeugen zur Terrorbekämpfung oder bei Hartz IV. Natürlich ist die Wirkung des Satzes immer auch begrenzt; denn täglich wird die Menschenwürde auch bei uns verletzt, in der höchsten Form übrigens durch Kriege. Wir wissen, dass dieses unveräußerliche Grundrecht nie vollständig erfüllt wird. Es ist aber nicht nur eine Utopie, sondern auch Ansporn, gegen alle Formen der Verletzung und Missachtung der Würde des Menschen vorzugehen.

Die Entscheidung für die Würde als höchsten, alles überstrahlenden Wert des Grundgesetzes war zentral, aber nicht selbstverständlich. Es gehört zu den verbreiteten Argumentationsmustern, die Menschenwürde als dem Grundgesetz systematisch vorgängig zu betrachten. Dahinter steckt meist der Versuch, die Menschenwürde zu stärken und zu schützen: Weil sie existiere, müsse sich die staatliche Ordnung an ihr messen lassen. Dieses Vorgehen ist nobel, es birgt aber auch Gefahren. Indem es die Menschenwürde enthistorisiert und verdinglicht, geht unter, dass es sich um eine Idee handelt, die erst mühsam erarbeitet werden musste. Die Menschenwürdegarantie ist eine kulturell-zivilisatorische Errungenschaft. Nur indem wir uns der historischen Gewordenheit dieses und anderer Werte bewusst werden, leben wir in dem Bewusstsein, dass an ihnen nichts Selbstverständliches ist und wir sie gegebenenfalls entschieden zu verteidigen haben.

Wichtige Fortschritte brachte das Grundgesetz auch für die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR. Die Verfassung der DDR beinhaltete sowohl die klassischen Freiheitsrechte als auch viele soziale Rechte, in denen sie über den Kanon der Bundesrepublik hinausging. Allerdings wurden die Grundrechte ihrer Abwehrfunktion gegen den Staat beraubt. Diese macht aber, historisch betrachtet, ihr Herz aus. Damit war die Verfassung zwar ein Dokument, nicht aber ein Instrument bei der Kontrolle und Beeinflussung staatlicher Macht. Folglich bedurfte es auch keines Verfassungsgerichts – ein beträchtlicher Konstruktionsfehler in der staatlichen Ordnung der DDR. In ähnlicher Weise fehlte eine Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Das Grundgesetz hat viele Väter und nur wenige Mütter. In Artikel 3 Absatz 2 steht dennoch seit 1949: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt.« Das war ein gewaltiger Fortschritt. Denn die Kriegsgeneration war von einem reaktionären Frauenbild geprägt. Das Grundgesetz erteilte dem Bundestag, der natürlich überwiegend aus Männern bestand, den verfassungsrechtlichen Auftrag, bis zum 31. Dezember 1953 die der Gleichberechtigung widersprechenden ehe- und familienrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu überarbeiten. Aber es tat sich zunächst nichts. Das Bundesverfassungsgericht musste den Bundestag ausdrücklich darauf hinweisen, seine Pflichten zu erfüllen. Erst vier Jahre später, am 18. Juni 1957, wurde das erste Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet. Das Recht des Ehemannes, ein Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau fristlos zu kündigen, wurde aufgehoben. Bis dahin konnte der Ehemann seiner Frau sogar verbieten, einen Beruf auszuüben und ein eigenes Konto zu führen. Die Frauen durften fortan auch gegen den Willen des Ehemannes arbeiten, aber nur, wenn der Ehemann und die Kinder nicht darunter litten. Frauen erhielten ein Mitspracherecht in Familienangelegenheiten. In der Erziehung der Kinder behielten Männer aber das alleinige Entscheidungsrecht. Gesetzliche Vertreter minderjähriger Kinder blieben allein die Väter.

Einige dieser Regelungen wurden selbstverständlich vom Bundesverfassungsgericht – das zeigt, wie wichtig es ist – wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verfassungswidrig erklärt. Erst seit 1977, also 28 Jahre nach Annahme des Grundgesetzes, das die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festschreibt, dürfen Frauen auch gegen den Willen des Ehemannes erwerbstätig sein, wechselte das Hausfrauenmodell zum Partnerschaftsprinzip. 1994 gab es dann eine wichtige Bekräftigung im Grundgesetz durch Aufnahme folgenden Satzes in Artikel 3 Absatz 2: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« Nach wie vor sind Frauen benachteiligt. Sie verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Sogenannte Frauenberufe werden immer schlecht bezahlt, was bei Kindertagesstätten und Pflege ein besonderer Skandal ist.

Artikel 14 Absatz 2 besagt: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Das sind zwei Sätze, die fast genauso tief im Bewusstsein unserer Bevölkerung verankert sind wie der Satz über die Würde des Menschen. Auch dies war ein Schluss aus der Nazidiktatur.

Dann gibt es noch den Artikel 15 Absatz 1; den kennt kaum jemand:

»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Das ist kein linkes Wahlprogramm; das ist das Grundgesetz. Zeitweise hielt man Artikel 15GG für totes Recht. Er entstamme einer Zeit, in der die CDU mit dem Ahlener Programm eine andere wirtschaftspolitische Ausrichtung gehabt habe als heute. Nun hingegen zeigt sich, dass der Artikel seinen Realbereich bewahrt hat. In Berlin kämpft jetzt zum Beispiel ein Volksbegehren für die Enteignung von Immobilienriesen, die mit ihren absurden Renditezielen an den Wohnbedürfnissen der Menschen hemmungslos verdienen.

Die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland war nicht die des Grundgesetzes, sondern die Weimarer Republik. Die Weimarer Verfassung hatte aber entscheidende Schwächen, die mit zu ihrer Abschaffung durch die deutschen Faschisten und Faschistinnen beitrugen. Aus ihnen hat man für die Bundesrepublik Deutschland gelernt. Unter anderem muss eine Demokratie Mechanismen entwickeln, um ihren eigenen Missbrauch zur Abschaffung der Demokratie zu verhindern. Dabei muss sie die Balance finden zwischen der notwendigen Bekämpfung von Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat, die im äußersten Fall nach der Einschränkung von Freiheiten verlangen kann, und der Gewährung von größtmöglichen Freiheitsgraden.

Das Grundgesetz reagiert auf diese Herausforderung unter anderem mit seiner Ewigkeitsklausel des Artikels 79III. Dieser erklärt eine Änderung der in den Artikeln 1 und 20GG niedergelegten Grundsätze für unzulässig. Mit diesem Schritt kreiert das Grundgesetz etwas, das gelegentlich ein Paradoxon genannt wird: Es entzieht der Demokratie die Möglichkeit zu ihrer Abschaffung auf demokratischem Wege.

Ich halte diesen Schritt für richtig. Allerdings müssen wir zugleich die Schwierigkeiten solcher Vorgehensweisen erkennen. Bestimmungen wie die des Artikels 79III GG müssen eine absolute Ausnahme bleiben. Sie können nur für die grundlegendsten Werte des Zusammenlebens angewandt werden.

Das Grundgesetz ist auch deshalb so beachtlich, weil es eine maßvoll lernende Verfassung ist. Immer wieder hat das Grundgesetz auf neue Herausforderungen reagiert. Dabei hat es im Wesentlichen den schmalen Grat zwischen zu vielen, dem Zeitgeist geschuldeten Ad-hoc-Änderungen und einem zu geringen Anpassungsgrad gefunden. Die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in Artikel 20a GG zeigt, dass neue Herausforderungen auch erkannt und auf Verfassungsebene umgesetzt werden. Andererseits wurde mit der Aushöhlung des Asylrechts durch den Artikel 16a GG dem Zeitgeist Anfang/Mitte der 1990er Jahre mehr entsprochen, als es für den von Artikel 1 bestimmten Charakter des Grundgesetzes gut war. Dieser Kotau legte den Grundstein für den aktuellen menschenunwürdigen Umgang der herrschenden Politik mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage.

An anderer Stelle geht die Positivierung nicht weit genug. Das Bundesverfassungsgericht musste zum Beispiel das allgemeine Persönlichkeitsrecht erst in richterlicher Rechtsfortbildung ab 1954 über die letzten Jahrzehnte hinweg in mehreren Schritten entwickeln. Im Rahmen der Volkszählungsdebatte entstand so 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bis heute wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Artikel 2 I i.V.m. Artikel 1 I GG gestützt. Unsere Welt verändert sich rasant, und die Digitalisierung bringt neue Herausforderungen mit sich, die die Politik bisher nur teilweise erkannt hat. Gerade jetzt muss dem Einzelnen ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung gesichert werden, damit er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Es wäre ein wichtiges Signal der Stärkung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die anderen Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, darunter das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und das Recht am eigenen Bild, ausdrücklich in den Verfassungswortlaut aufzunehmen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses zentrale Grundrecht aus Artikel 1 I i.V.m. Artikel 20 I und Artikel 28 I GG hergeleitet. Es gewährt dem Einzelnen, was für ein Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe unerlässlich ist. Dabei hat das Gericht die Balance zwischen der Vorgabe harter, inhaltlicher Kriterien einerseits und der unbefriedigenden Selbstkasteiung durch völlig fehlende Vorgaben andererseits ausgezeichnet gestaltet. Indem es die Konzeption prozeduraler Gerechtigkeit mobilisiert, hat es dem Einfachgesetzgeber Leitplanken aufgestellt: Der Regelsatz muss durch ein sachgerechtes Verfahren entwickelt werden, nach dem tatsächlichen Bedarf bemessen sein und jede Abweichung muss ebenso sachlich gerechtfertigt sein. Außerdem trägt es dem Gesetzgeber die stetige Überprüfung und Weiterentwicklung auf. Wo die Leistungen evident unzureichend sind, sieht das Gericht eine Grenze überschritten. Auch dieses Grundrecht sollte positiviert werden. Die Positivierung solcher Grundrechte bedeutet auch, sich in solchen gesellschaftlichen Fragen als Legislative ausdrücklich zu bekennen und die Legitimationslast nicht anderen obersten Bundesorganen aufzubürden. Auch die Diskussion, in welchem Maße das Bundesverfassungsgericht eigentlich rein erkennend oder auch schöpferisch tätig wird, wäre damit für diese Grundrechte wesentlich weniger relevant.

Die Lernfähigkeit der Verfassung, die beiden Grundrechten zugrunde liegt, hat ihre Möglichkeitsbedingung auch in einem bestimmten Institutionengefüge. Die spezifische Form, auf die das Grundgesetz den Gedanken der Checks and Balances in seiner eigenen Gewaltenteilung umsetzt, ist für die Bundesrepublik Deutschland sehr fruchtbar geworden. Dies führt mich zum Bundesverfassungsgericht. Natürlich hat ein Richter ein anderes Denken und Handeln als ein Politiker. Er unterliegt anderen Bindungen, sein Argumentieren geht von anderen Prämissen aus. Aber in bestimmter Hinsicht ist die Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht die Krone der Verbindung von Jura und Politik. Das Spezifikum dieser Richterposition besteht, im Unterschied zu anderen Richtertätigkeiten, darin, in besonderer Weise für die gesellschaftlichen Tatsachen sensibel sein und das Verfassungsgewebe entsprechend fruchtbar machen zu müssen. Auch die Richterinnen und Richter unterliegen allerdings dem Zeitgeist, was nicht immer gut ist. Das Verfassungsgericht benötigt die Legitimation in der Bevölkerung. Hier wäre es hilfreich, das Bundesverfassungsgericht auch durch eine entsprechende personelle Besetzung zu einer gesamtdeutschen Institution zu machen. Bis heute ist kein einziger Richter, keine einzige Richterin dort ostdeutscher Herkunft. Die Transparenz des Wahlverfahrens muss weiter erhöht, der Frauenanteil ausgebaut und die Repräsentanz aller nennenswerten politischen Richtungen gesichert sein.

Nachholbedarf hat das Grundgesetz bei den sozialen Grundrechten. Ob zukünftig ein Recht auf Arbeit existieren kann, soll als sehr voraussetzungsvolles Recht hier nicht Gegenstand meiner Ausführungen sein. Für mich liegt aber auf der Hand, dass neben dem Schutz der Wohnung auch ein Recht auf Wohnung in unserer Gesellschaft möglich sein muss. Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, standen nach der Nazidiktatur politische Grundrechte im Vordergrund, nicht die sozialen. So lassen sich soziale Grundrechte nur indirekt über Artikel 1 Absatz 1 Satz 1, Artikel 2, Artikel 20 Absatz 1 gestalten, was nicht genügt.

Artikel 146 regelt, dass das Grundgesetz so lange gilt, bis eine Verfassung in Kraft tritt, »die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist«. Das zeigt, dass das Grundgesetz zunächst nur als Übergangsverfassung konzipiert worden war. Es wäre sicher in jeder Hinsicht angemessen gewesen, die Chance einer Verfassungsdebatte bei der Vereinigung zu nutzen, um eine von breiten Bevölkerungsschichten in West und Ost getragene Antwort auf die Herausforderungen zu finden, vor denen die Bundesrepublik im Zuge dieses Prozesses stand. Die konkrete Umsetzung der Einheit als Anschluss des Ostens an den Westen, der dadurch weitgehend unverändert seine alten Strukturen bewahrte und auf den Osten übertrug, hat schon die Debatte über die Notwendigkeit einer politischen Neuorientierung verhindert. Es wird Zeit, den Auftrag des Artikels 146 zu erfüllen und das Volk über seine Verfassung abstimmen zu lassen. Dabei sind die wichtigsten Artikel des Grundgesetzes unbedingt zu übernehmen: die Artikel 1ff. über die Grundrechte, auch die Artikel 14 und 15 über das Eigentum, Artikel 20 und viele andere mehr. Politische und soziale Grundrechte müssen eine Einheit bilden.

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit

Art. 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Stefan Hügel / Rainer Rehak

Kampf um Troja

Verwundbarkeit der vernetzten Gesellschaft durch Nutzung von Schadsoftware

Im Lauf der Jahre 2017 bis 2018 wurden auf Bundesebene die Strafprozessordnung und in mehreren Bundesländern die Polizei- und Verfassungsschutzgesetze reformiert. In den meisten Fällen wurde damit auch die Online-Durchsuchung und die technisch davon kaum zu unterscheidende Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) eingeführt. Der Koalitionsvertrag für die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD sieht außerdem ein neues Musterpolizeigesetz vor, das dafür bundesweit einheitliche Standards schaffen soll. Für das staatliche Hacking wird Schadsoftware zur Ausspähung von IT-Systemen verwendet, in der öffentlichen Debatte auch »Staatstrojaner« genannt.

Nutzung von Schadsoftware durch deutsche Behörden

Bereits im Januar 2007 entschied der 3. Strafsenat des BGH, dass die Online-Durchsuchung eine spezielle Grundlage benötigt und weder auf die Regelung zur Wohnraumdurchsuchung (§ 102 StGB) noch der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) gestützt werden kann. Am 27. Februar 2008schuf das BVerfG das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – umgangssprachlich IT-Grundrecht – aus Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1GG und verwarf damit damals eine Befugnisnorm, die dem Landesverfassungsschutz Nordrhein-Westfalen seit 2006 die Online-Durchsuchung erlauben sollte. Das Gericht anerkannte, dass informationstechnische Systeme nicht einfach optionale Spielereien von Einzelnen sind, sondern die wesentliche digitale Infrastruktur unserer Gesellschaft bilden. Angriffe darauf und Unsicherheiten darin betreffen den Kern unseres modernen Lebens, vom Handynetz über das Bahnsystem bis hin zu Verkehrs- und Krankenhaus-IT.

In einer vernetzten Gesellschaft mit Cloud, Industrie 4.0, Internet of Things und smarten Infrastrukturen muss immer auch die damit einhergehende gegenseitige Abhängigkeit und Verwundbarkeit mitgedacht werden. Wird also ein Hersteller oder ein Softwareprodukt durch bestimmte Maßnahmen und Regelungen geschützt, umfasst dies parallel dazu auch die anderswo eingesetzten Systeme, NutzerInnen und Nutzungsarten. Im Gegenzug bedeutet es, dass Schädigungen oder Schwächungen von bestimmten Softwarekomponenten gleichermaßen auch alle anderen Einsatzweisen betreffen und damit unsicherer machen. Aus diesem Grunde war es beispielsweise möglich, dass die Schadsoftware Wannacry sowohl private Laptops als auch ganze Krankenhaus-, Eisenbahn- und Providersysteme lahmlegen konnte. Auch staatliches Hacking – wie die verdeckte Quellen-TKÜ oder die geheime Online-Durchsuchung – nutzen Sicherheitslücken, die die allgemeine (IT-) Sicherheit schwächen.

Die aktuelle Zunahme staatlichen Hackings

Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene sehen Gesetze die Anwendung der Quellen-TKÜ bzw. der Online-Durchsuchung vor bzw. sollen Änderungen dahingehend aufgenommen werden. Im Urteil zur Novellierung des BKA-Gesetzes (BKAG) im April 2016 hat das BVerfG wesentliche Grundsätze für heimliche Überwachungsmaßnahmen aufgestellt und die entsprechenden Befugnisse für verfassungswidrig erklärt. 2018 wurde das BKAG entsprechend dem Urteil nochmals geändert; bereits 2017 wurde die StPO entsprechend neu gefasst. Gegen §§ 100a, 100b und 100d StPO, die den Einsatz von Staatstrojanern regeln, hat u.a. die Humanistische Union gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Gleichzeitig werden die Polizeigesetze mehrerer Bundesländer novelliert. Bereits 2017 wurde die Quellen-TKÜ in Baden-Württemberg eingeführt; 2018 wurden die Polizeigesetze in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überarbeitet; alle sehen nun die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung vor. In Bremen ist eine entsprechende Initiative nach Protesten am Widerstand der Grünen gescheitert; auch in Sachsen soll zunächst auf die Quellen-TKÜ verzichtet werden.