4,99 €
Ein Spion, ein U-Boot-Offizier, ein Journalist – und jede Menge skurrile Erlebnisse inmitten des Kalten Krieges und des russischen Bürokratie-Wahnsinns. Grüße aus der Fünften Kolonne erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte von Ivan Uibo – ehrlich, spannend und mit einem Augenzwinkern.
Klappentext: Ivan Uibo begann sein Leben in der Sowjetunion der 1970er Jahre als Offizier auf einem U-Boot, doch schnell wurde ihm klar, dass nicht alles so war, wie es schien. Eine Ausbildung zum Spion in Moskau führte ihn in die DDR, wo er die Widersprüche der Politik hautnah miterlebte. Nach dem Fall der Berliner Mauer kehrte er zurück nach Kaliningrad – und wurde Teil eines Systems, das von Korruption, Intrigen und Inkompetenz durchzogen war. Schließlich zog er sich als Journalist den Unmut der Mächtigen zu. Mit Witz und Scharfsinn erzählt er von einer Welt voller Absurditäten – und lädt Sie ein, hinter die Kulissen des russischen Staates zu blicken.
Was Sie erwatet: Authentische und spannende Einblicke: Ivan Uibo berichtet aus erster Hand über das Leben in der Sowjetunion, die DDR und das moderne Russland – so nah wie selten zuvor. Perfekte Mischung aus Humor und Tiefgang: Die humorvollen Anekdoten und scharfsinnigen Beobachtungen machen das Buch zugleich unterhaltsam und nachdenklich. Relevanz und Aktualität: Grüße aus der Fünften Kolonne bietet eine Perspektive auf Russland, die gerade heute von großer Bedeutung ist.
Erleben Sie mit „Grüße aus der Fünften Kolonne“ eine Biografie, die Geschichte und persönliche Erlebnisse perfekt verbindet. Bestellen Sie jetzt und tauchen Sie ein in diese außergewöhnliche Lebensgeschichte!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Ivan Uibo
Grüße aus der Fünften Kolonne
Von Kaliningrad in die DDR und zurück
EK-2 Militär
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!
Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!
Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.
Schreiben Sie uns: [email protected]
Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!
Moni & Jill von EK-2 Publishing
Grüße aus der Fünften Kolonne
von Ivan Uibo
Fünfte Kolonne1
Krankenzimmer Nr. 62
Von gerissenen Maulwürfen, cleverer Spionageabwehr,
diebischen Beamten, deutschen, einflussreichen Agenten,
russischen Landesverrätern und der glorreichen Stadt Königsberg.
Die Sowjetunion in den späten siebziger Jahren (des letzten Jahrhunderts, natürlich). Slogans wie „Unser Ziel ist der Kommunismus“ sind allgegenwärtig. Die absolute Mehrheit der Bürger zweifelte die offizielle Propaganda an, die Menschen drängelten in den Schlangen um die knapper werdende Wurst und erzählten ohne Scheu politische Witze: „Wir marschieren in einem halsbrecherischen Tempo auf den Kommunismus zu, doch die Kühe und Schweine lassen wir links liegen“. Die Blütezeit der Breschnew‘schen Stagnation in ihrer ganzen Pracht.
Die Nachrichtensendungen im Fernsehen wurden von allen offen belächelt: „Alles über ihn und ein wenig über das Wetter“. Jedem Sowjetbürger war klar, dass mit „er“ Leonid Breschnew gemeint war, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU3, Marschall und vierfacher Held der Sowjetunion.
Im Großen und Ganzen hatte man den Eindruck, dass im Land nichts mehr heilig war.
Wobei, nein. Die letzte ideologische Bastion hatte überlebt. Der einfache Mann glaubte weiterhin naiv daran, dass der erste sozialistische Staat der Welt von allen Seiten von bösen und heimtückischen Feinden umgeben sei: Den Imperialisten. Diese Teufel der Hölle dachten auch an nichts anderes als an die Eroberung des Landes der Sowjets. Die Feinde bereiteten sich schließlich gezielt und systematisch auf einen Angriff vor. Zum Beispiel schickten sie ständig Spione in die UdSSR.
Damals bemerkte jedes Schulkind, dass es nur so von ausländischen Agenten wimmelte. Einige Jungs prahlten sogar damit, dass sie sie persönlich bei der Arbeit gesehen hätten.
„Er steht da mit einem Fotoapparat“, teilten die aufmerksamen Jungen ihren Freunden mit, „ich habe ihn gesehen. Er hat Fotos von der Fabrik gemacht!“
Die jungen Pioniere4wussten aus Filmen und Büchern, dass die Feinde buchstäblich jede Industrieanlage in der UdSSR filmten, egal ob Wasserturm oder Nudelfabrik. Aber auch die sowjetische Spionageabwehr schlief nicht – die glorreichen Tschekisten5 fingen ausländische Spione reihenweise ein und brachten sie hinter Gitter.
Mit dieser Überzeugung machte ich meinen Mittelschulabschluss6, trat in die Pazifische Marinehochschule7ein, wurde zum Leutnant befördert und habe meinen Dienst auf einem U-Boot angetreten. Hier hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, an einer echten Tschekisten-Operation zum Schutz der heiligen Interessen unseres Vaterlandes teilzunehmen.
Während das U-Boot am Pier stationiert war, besuchte uns oft ein Herr aus der Sonderabteilung, ein erfahrener Spionageabwehroffizier. Er setzte sich immer in die Kabine des Politkommissars8 und rief nacheinander die Besatzungsmitglieder zu sich: Matrosen, Fähnriche, Offiziere. Alle durcheinander. Und mit jedem von ihnen unterhielt er sich eine ganze Weile lang. Es war klar, dass ich bald an der Reihe sein würde. Also beschloss ich, auf diesen Tag vorbereitet zu sein – nur für den Fall der Fälle.
Die Kabinen auf dem U-Boot waren klein, eng und durch hauchdünne Sperrholzplatten voneinander getrennt. Ideal zum Lauschen, was der Spionageabwehroffizier nicht bedacht hatte. Wie auch immer, ich setzte mich also in den Nebenraum und hörte mit. Oder besser gesagt, lauschte mit.
Der Tschekist befragte alle nach dem gleichen Schema: Familie, Eltern, Freunde, Hobbys. Nichts von Belang. Ich wollte meinen Posten gerade verlassen, als es plötzlich spannend wurde. Der Mann von der Spionageabwehr rief unseren Navigator herein, einen jungen Leutnant namens Schura, der gerade frisch aus der Militärschule kam.
„Du willst doch sicherlich weiterhin im Dienst bleiben, oder?“, fragte der Spionageabwehroffizier freundlich.
„Jawoll!“, antwortete Schura heiter.
„Und du würdest auch gerne befördert werden, nicht wahr?“
„Aber natürlich!“
„Warum hast du dann das Vorstrafenregister deines Bruders verschwiegen, bevor du deine Ausbildung in der Militärschule angetreten hast? Dachtest du, du kannst die Behörden täuschen?“
Hinter der Sperrholzwand lag eine drückende Stille. Der Navigator schwieg …
„Ich sag dir jetzt was, Freundchen“, fuhr der Offizier, nun nichtmehr so freundlich fort, „du wirst mir ab sofort über jedes Gespräch, das die Offiziere auf diesem Schiff führen berichten. Andernfalls kannst du deine Karriere an den Nagel hängen! Dann wirst du bis zur Rente Leutnant bleiben …“
Schura verließ die Kabine völlig abwesend. Er ging hinaus aufs Pier, um eine zu rauchen. Ich ihm hinterher.
„Spuck schon aus“, sagte ich, „was ist denn los?“
„Nichts“, antwortete er.
Doch Unwohlsein zeichnete sein Gesicht.
„Lüg nicht, ich bin doch nicht blind …“
Da packte der Navigator schließlich aus. Völlig offen und ehrlich. Zusammen suchten wir dann die restlichen Offiziere der Besatzung auf, um uns mit ihnen zu beraten. Bei dem kniffligen Problem half uns der älteste und erfahrenste von allen – der Mechaniker (er war etwa Anfang 30).
„Ablehnen kannst du es nicht“, dachte „der Alte“ laut, „der Abwehroffizier frisst dich sonst mit Haut und Haaren.“
„Was soll ich denn sonst machen?“, heulte der Navigator auf. „Etwa meine Freunde verpfeifen?!“
„Warum verpfeifen?“, grinste der Mechaniker. „Du berichtest einfach nur das, was wir dir sagen.“
Seitdem informierte Schura den Tschekisten regelmäßig über alle „geheimen“ Unterhaltungen der Offiziere unseres U-Boots. Genauer gesagt: Wie viele Pinnchen der Mechaniker ohne Häppchen gesoffen hat9, auf welches Niveau der Starpom10wieder mal durch sein Rumgefluche gesunken ist und wie viele Frauen der verknallte Schiffsarzt erneut verführt hat. Jeder, der oben genannten „Übeltäter“ zählte Schura persönlich und ein wenig überspitzt seine Erfolge auf. Insgeheim hofften alle, dass ihre Heldentaten in den entsprechenden Berichten des Abwehroffiziers, bis ins letzte Detail niedergeschrieben und als Dokumente von besonderer Wichtigkeit, mit der Aufschrift „Geheim“, für immer verewigt werden würden. Unterm Strich waren alle zufrieden. Vor allem der Abwehroffizier.
Ich weiß nicht mehr genau, wie lange diese „Gegenspionage“ andauerte, aber schon bald bot man mir eine Lehrstelle an der Militärakademie des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR in Moskau an. Was genau mich nach meinem Abschluss an dieser mysteriösen Einrichtung erwarten würde, konnte ich bereits vage erahnen. Aber die Möglichkeit, drei Jahre lang friedlich in Moskau zu leben, war zu verlockend. Nach sieben Jahren Dienst auf dem U-Boot waren solche Aussichten schlichtweg atemberaubend.
Ein Mann auf einem Unterseeboot fühlt sich wie eine Ameise in einem Wecker – die Abteile sind eng und voll von Maschinerie. Sich lange unter solchen Bedingungen aufzuhalten, geschweige denn, auch noch auf offener See, ist selbstverständlich kein Vergnügen.
Erwähnenswert ist auch, dass unsere Aufenthalte recht langwierig waren, von etwa drei Monaten bis hin zu einem Jahr. Durch den Kalten Krieg, der im Gange war, wurden den U-Booten Patrouillengebiete in allen Teilen der Weltmeere zugewiesen. Sie mussten diese von den Marinestützpunkten aus unbemerkt erreichen, von wo aus sie Schiffe der USA verfolgen sollten, allzeit bereit, diese, wenn es sein muss, zu versenken.
So waren die sowjetischen Unterseeboote ständig in bestimmten Quadranten im Einsatz und wechselten sich unter einander ab. Nach den Vorstellungen unserer Admiräle, sollten die Amerikaner so daran gehindert werden, einen plötzlichen Krieg zu beginnen und unsere Schiffe in den Stützpunkten fest zu setzen.
Die amerikanischen Seemänner ihrerseits, hatten die Aufgabe, sowjetische U-Boote aufzuspüren und nicht aus den Augen zu lassen. Die See entwickelte sich also zu einem regelrechten Jagdgebiet. Und durch die gewaltige Anzahl der Schiffe und Flugzeuge, über die die USA verfügte, hatten es die sowjetischen U-Boot-Fahrer erst recht nicht leicht – verstecken stand auf der Tagesordnung. Falls man jedoch entdeckt wurde erhielt die gesamte Besatzung ein „mangelhaft“ für den Militärdienst und einen dicken Denkzettel von den Vorgesetzten verpasst. Kurzum, die Arbeit war sinnlos und dennoch nervenaufreibend.
Nicht zufällig sprach unser Starpom auf einer der langen Seefahrten nachdenklich über die ermüdende Weite des Meeres: „Nein, das Meer gehört den Fischen …“
Dennoch kann man nicht behaupten, dass das U-Boot nur düstere Erinnerungen hinterlassen hat.
Eines Tages, bevor wir wieder einmal in See stechen sollten, kam unser Oberleutnant Razumovsky zu spät. Er wurde immer in die unglaublichsten Geschichten verwickelt. Auch dieses Mal eilte der Oberleutnant zum Pier, als das U-Boot bereits die Mitte der Bucht erreicht hatte. Dort musste das Boot für eine letzte Kontrolle vor der Fahrt kurz abtauchen und erst dann an der Oberfläche hinter dem Auslegertor auslaufen.
Das war Razumovsky bewusst. Zügig gabelte er einige Fischer mit ihrem kleinen Beiboot am Ufer auf, die den Oberleutnant dann am U-Boot „rauslassen“ sollten, das bereits auftauchte. Der erste, der auf den Turm geeilt war, war der Kommandant. Er wusste von Razumovskys Abwesenheit auf dem Schiff und war tierisch sauer. Nachdem er die Luke geöffnet hatte, erblickte der Seewolf den Oberleutnant in weißem Hemd und mit einer schicken Aktentasche in der Hand auf dem noch nassen Rumpf des Bootes. Das Beiboot mit den Fischern, die Razumovsky an Deck gebracht hatten, schaffte es derweil, sich weit vom U-Boot zu entfernen, so dass das unerklärliche Auftauchen des Oberleutnants den Kommandanten in Schock versetzte.
„Razumovsky?!“, stammelte der Seebär hervor.
„Was denn?“ Der Oberleutnant machte ein unschuldiges Gesicht. „Ich bin nicht zu spät. Ich warte hier schon lange …“
An Bord liebte man lustige Geschichten einfach. Wenn sich die einfachen, unwissenden Bürger nach dem Gesundheitszustand eines U-Boot-Fahrers erkundigen, erzählt dieser meist von „blauen Zehen“.
„Wenn man Uran in den Ofen eines Atomreaktors wirft“, erklärte der Seemann mit ernster Miene, „trägt man zum Schutz Bleiunterhosen. Die Arbeit ist sehr hart, der Körper schwitzt stark, die Unterhose sitzt recht locker und … Peng! Mitten auf die Zehen!“
Ansonsten, erzählt man, sei alles in bester Ordnung …
Der Dienst auf einem U-Boot ist im Allgemeinen ein sehr einzigartiger Beruf. Nach einer langen Fahrt wird man den sogenannten „U-Boot-Gestank“ lange Zeit nicht los. Was natürlich verständlich ist, immerhin waren Duschen in den U-Booten zu jener Zeit ein Luxus. Selbst um sich morgens frisch zu machen musste man das Wasser von draußen verwenden, und im Winter war das besonders spaßig. Jeden Tag gab der Schiffsarzt allen Matrosen alkoholgetränkte Tampons zum Abwischen des Gesichts. So wurde die Mischung aus Aromen wie Eisen, Schmieröl und Modergeruch buchstäblich von der Haut aufgesogen – selbst ein ordentliches Bad nach der Rückkehr vom Dienst half da nicht. So lief man einen Monat lang mit dem Gestank herum, bis er endlich verweht war.
Ein diesel-elektrisches U-Boot bleibt etwa drei Tage lang unter Wasser. Dann, in der Regel nachts, muss es auftauchen, um die Batterien aufzuladen. In diesem Moment wechseln sich alle nacheinander ab um auf dem Turm zu rauchen, frische Luft zu schnappen und auf die Überwasser-Latrine zu gehen. Natürlich kann man sein Geschäft auch unter Wasser verrichten, aber der Gestank verschwindet dort nicht – er bleibt im Rumpf des Schiffes.
Auf See ist die Routine sehr zermürbend: Wache stehen, essen, schlafen, und wieder Wache stehen. Daher wird jede Art von Unterbrechung dieser Monotonie mit offenen Armen empfangen. Es genügte schon, dem neu eingetroffenen Politkommissar auf unserem Schiff zu nötigen, dass er sich mit unserer unflätigen Ausdrucksweise herumschlagen musste. Das wurde in Handumdrehen zur allgemeinen Belustigung betrieben.
Ich würde nicht behaupten, dass die Offiziere es nicht wussten, sich gekonnt auszudrücken, aber von Zeit zu Zeit entwischte ihnen schonmal ein Schimpfwort. Doch nach einem ernsten Vortrag des Politkommissars über die Schädlichkeit von Schimpfwörtern begannen alle erst recht damit. Die Offiziere und Mannschaftsdienstgrade an Bord fluchten nun mit einer nie dagewesenen Begeisterung. Sogar der kluge Schiffsarzt, der diese schrecklichen Ausdrücke bisher vermieden hatte, machte bei diesem Spiel mit. Infolge dessen kam es im Aufenthaltsraum immer wieder zu hitzigen Debatten, bei denen die Offiziere dem Kommissar ständig die ewige Bedeutung von Schimpfwörtern für die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit des Vaterlandes predigten. Ernsthaft und tiefgründig theoretisierend, gaben die Offiziere Beispiele und untersuchten „Fälle aus dem Alltag“. Allgemein waren Schimpfwörter viel häufiger zu hören als vor dem Kampf gegen sie. Der Politkommissar war genervt und bemerkte nicht, dass die Mannschaft sich einen Mordsspaß erlaubte. Die „Verschwörung“ wurde erst eine Woche später aufgedeckt.
In dieser Nacht fuhr das Boot über Wasser. Auf dem Turm waren der wachestehende Offizier Kapitänleutnant Rezyapkin und der Ausguck – ein Matrose – anwesend. Sie spielten dem Politkommissar, der zum Rauchen nach oben gegangen war, einen weiteren Streich. Der Anlass war ein harmloses, umhertreibendes Objekt auf dem Meer.
„Genosse Ausguck!“, begann Rezyapkin feierlich und offiziell. „Warum haben Sie nicht über das Objekt über Bord berichtet? Wissen Sie nicht, welche ernsten Folgen ein solches Versehen haben kann?“
„Genosse Wachoffizier!“, stieg der aufgeweckte Seemann mit ein. „Ich entschuldige mich für meine Fehlkalkulation. Es ist schwer für mich, eine Entschuldigung für meine Schandtat zu finden …“
Selbst wenn der Politkommissar mitgehört hätte, dass der Offizier mit dem Matrosen in einem seltenen, chinesischen Dialekt sprechen würde, wäre er weit weniger überrascht gewesen. Der Umgang zwischen den Mitgliedern der U-Boot-Besatzung war schon immer für ihre Demokratie und Einfachheit bekannt.
Eine vergessene Zigarette schwelte in der Hand des Kommissars, der durch diesen seltsamen Dialog in einen tranceähnlichen Zustand versetzt wurde. Doch dann ertönte Rezyapkins mehrstöckiger Satz, von dem nur „Augen auf“ und „du mieses Stück“ deutlich waren, der wie ein Hammerschlag auf die entspannte Seele des Bekämpfers der Flüche donnerte.
Die Antwort des Ausgucks fiel ähnlich aus, mit der Ausnahme, dass er „du“ durch „ich“ ersetzte (die Disziplin auf dem Schiff war trotz der, nach außen hin locker wirkenden Beziehungen, immer noch eisern).
Der Politkommissar warf seine halb gerauchte Zigarette weg, fluchte sich zum ersten Mal ordentlich aus und verschwand in der offenen Luke. Als er schließlich merkte, dass er ausgetrickst worden war, stellte er zum Entsetzen aller seinen edlen Kampf ein.
U-Boote wurden von unkonventionellen Menschen bemannt. Sie meinten ernsthaft, sie hätten Neptun fest am Bart und wären unantastbar. Besonders vor den obersten Befehlshabern – U-Boot-Fahrer fühlten ihnen gegenüber keinerlei Unterwürfigkeit.
Eines Tages kehrte unser Schiff von einem Einsatz zurück. Eine Gruppe von Admirälen mit dem Befehlshaber an der Spitze kam vom Flottenhauptquartier, um uns zur erfolgreich ausgeführten Gefechtsaufgabe zu gratulieren. Die Besatzung reihte sich auf dem Pier auf. Die Offiziere zogen bei dieser Gelegenheit an Stelle der öligen Arbeitskleidung cremefarbene Hemden an. Nur ohne Krawatte und mit offenem Kragen, was gegen die Vorschriften war – es war recht warm. Der Befehlshaber ging ruhig die Reihe entlang, aber irgendein Admiral aus seinem Gefolge beschloss, idealtreu zu sein und wand sich dem U-Boot-Kommandanten mit einer Bemerkung zu.
„Warum sind ausgerechnet Sie, Genosse Kapitän zweiten Ranges11, ohne Krawatte“, sagte der Hüter der gesetzlichen Ordnung vorwurfsvoll. „Knöpfen Sie wenigstens Ihren obersten Knopf zu …“
Nach diesen Worten streckte der Vorgesetzte seine Hand nach dem Kragen unseres Kommandanten aus. Die Mannschaft erstarrte. Für die U-Boot-Fahrer war der Kommandant der Erste nach Gott12. Und hier wurde so locker mit ihm umgegangen. Doch wie aus dem Nichts drehte der Kapitän zweiten Ranges urplötzlich seinen Kopf zur ausgestreckten Hand des Admirals, fletschte die Zähne und bellte: „Hamm!“ Der dicke Admiral sprang völlig überrascht mehrere Meter zurück, doch der Kommandant stand da, als wäre nichts gewesen.
Der Befehlshaber kommentierte diese Aktion nicht weiter und zog mit seinem Gefolge ab. Die Besatzung hingegen war absolut begeistert.
Die Mannschaft stand für ihren Kommandanten ein. Dieser wiederum erlaubte es niemandem, seine Untergebenen schlecht zu behandeln. Natürlich nur solange sie keine besonders dummen Fehler machten.
Als unser U-Boot im Indischen Ozean unterwegs war, machten wir Urlaub in Äthiopien. Auf unbekannte Weise gelang es zwei Offizieren, dem Navigator und dem Schiffsarzt, sich der Überwachung des Politkommissars zu entziehen und einen Blick in ein örtliches Billigbordell zu werfen.
Die Jungs hatten eine tolle Zeit. Doch einige Tage später, als das U-Boot auf dem Weg zur Heimatbasis war, spürten beide Anzeichen einer „schlimmen Krankheit“. Der Arzt stellte geschult fest, dass es sich um Gonorrhö handelte. Bald wusste die ganze Besatzung von ihrem Leiden. Der Kommissar war empört und verlangte eine Erklärung.
„Sehen Sie“, erklärte der Navigator und schaute dem Politkommissar ehrlich in die Augen, „in der Nacht, als das Boot an der Oberfläche lag, fand ich etwas im Wasser treiben. Ich sah es mir genauer an und da: Eine Frau! Eine aufblasbare, natürlich …“
„Sie muss wahrscheinlich von einem amerikanischen Flugzeugträger gefallen sein“, warf der Arzt ein. „Sie wissen ja, wie die Sitten dort sind. Völlig maßlos …“
„Ich konnte nicht anders“, fuchtelte der Navigator mit den Händen. „Ich musste Druck abgelassen. Sieben Monate Abstinenz sind kein Zuckerschlecken. Ich konnte nicht widerstehen … Dann habe ich den Doktor gerufen … Ich bin doch kein Dreckskerl.“
„Ich konnte auch nicht widerstehen!“, meldete freudig das zweite Opfer der unsittlichen Leidenschaft. „Und dann, ähm … tat es weh beim Pinkeln. Sie wissen schon …“
„Es ist nur offensichtlich, dass die Gummifrau bereits auf dem Flugzeugträger infiziert war“, seufzte der Navigator. „Die Amerikaner haben keine Moral, geschweige denn Sittlichkeit. Sie haben es uns im Politunterricht13 selbst gesagt …“
„Und wir haben nicht gehört“, schüttelte der Arzt bedauernd den Kopf, „und das ist dabei rausgekommen!“
So sehr sich der Kommissar auch bemühte, die Wahrheit aus ihnen raus zu quetschen, die beiden U-Boot-Fahrer blieben ihrer Geschichte treu. Und der Kommandant gab vor, selbst an die „aufgeblasene“ Geschichte zu glauben und überzeugte sogar den Politkommissar. Dieser hatte schon beinahe vor die beiden Prostituiertenliebhaber bei ihrer Rückkehr zum Stützpunkt wegen moralischer Entgleisung, die eines sowjetischen Offiziers unwürdig wäre, hart zu bestrafen.
Bei der aufblasbaren Frau wäre es natürlich auch dazu gekommen, wenn doch nicht so hart.
Dank unseres schneidigen Kommandanten bin ich übrigens auch einer Menge Schlamassel entgangen. Man könnte sogar sagen, einem tödlichen.
Einmal, noch bevor ich meinen Lehrgang angeboten bekam, schlug mir das Personalamt vor, zu einem anderen U-Boot zu wechseln. Sie sagten, dass es dort bessere Karriereaussichten gäbe. Ich war begeistert, aber mein Kommandant war strikt dagegen – er wollte mich nicht gehen lassen. Damals war ich sehr verärgert darüber.
Eineinhalb Monate später sank das U-Boot, in das ich „gelockt“ worden wäre. Auf einen Schlag sind 18 Menschen verstorben. Vier Matrosen waren im hinteren Teil des Schiffes eingeschlossen, konnten die Notluke nicht öffnen und hatten vier Stunden später den Funkverkehr eingestellt. In dem vorderen Teil überlebten die U-Boot-Fahrer. Einen Tag später begann eine Rettungsaktion.
Vizeadmiral Golosov, Stabschef der Pazifikflotte, leitete die Rettungsmaßnahmen. Er sagte den in Not geratenen Matrosen immer wieder: „Haltet durch, meine Söhne!“ Sie wollten das U-Boot an die Oberfläche bringen, doch einen Befehl, mithilfe von Atemgeräten rauszukommen, gab es nicht. Sie wollten es nicht riskieren.
Kapitänleutnant Kubynin, der Kommandant des Schiffes, hatte inzwischen in einer der Kabinen Alkohol gefunden und schenkte allen U-Boot-Fahrern bis zum Rand ein, um ihre Stimmung zu heben. Die Tiefe betrug nur 32 Meter – nicht gerade viel. Doch es war dunkel, kalt und beengt. Die Männer saßen seit 24 Stunden in einer halb untergetauchten Kabine fest. Mit den Nerven völlig am Ende.
„Gib uns einfach nur den Befehl, Papa!“, antwortete er dem Admiral klagend. „Wir schaffen es aus dieser Tiefe auch mit einem Topf auf dem Kopf heraus!“
Der Admiral gab schlussendlich das Kommando und die Seemänner stiegen durch die Torpedorohre aus. Kubynin als letzter.
U-Boot-Unfälle sind in der Tat keine Seltenheit. Unser U-Boot tauchte einmal in der Philippinischen See auf. Natürlich nachts, zur Tarnung. Da sah der Kommandant bereits, dass ein großes Schiff auf uns zukam. Wir spielten also “Nottauchen“ und mussten uns beeilen, sonst würde das U-Boot in der Dunkelheit regelrecht zertrampelt werden.
Man sollte wissen, dass ein U-Boot sinkt, indem spezielle Tanks mit Wasser gefüllt werden. Dadurch entsteht sogenannter „null Auftrieb“. Das heißt, die archimedische Auftriebskraft wird mit der Schwerkraft ausgeglichen. In der Tiefe wird das U-Boot durch Propeller und Ruder angetrieben. Im Notfall wiederum gibt es einen Schnelltauchtank. Wenn dieser mit Wasser gefüllt ist, sorgt er für „negativen Auftrieb“. Dieser muss jedoch sehr vorsichtig eingesetzt werden, aber unser Kommandant ging jenes Mal ein höheres Risiko ein – jede Minute war kostbar. Das Boot sank wie ein Stein.
Ich erfuhr es erst später. In diesem Moment befand ich mich mit meinen untergeordneten Matrosen im vorderen Torpedoraum und schaute auf den Tiefenmesser. Der Zeiger des Messgerätes begann rasant zu fallen. Alle 10 Meter sollte man eine Sondermeldung an die Zentrale – an den Kommandanten – senden. Ich versuchte es also einige Male, doch als Antwort wurde ich lediglich angeflucht. Es wurde klar, dass die Lage ernst wurde. Und die Tiefe auf dem Messgerät nahm vor meinen Augen immer weiter zu …
Meine Matrosen saßen zusammengekauert auf den Torpedos, wie die Spatzen auf ihren Stangen und konnten den Blick nicht vom Tiefenmesser abwenden. Ich bedeckte ihn mit einem Lappen und ließ die Matrosen Atemgeräte vorbereiten. Die waren nutzlos, denn wenn wir zu tief fallen würden, würde der Rumpf des Bootes wie eine Eierschale zerdrückt werden. Doch es war notwendig, die Jungs mit irgendetwas abzulenken.
Schlussendlich gelang es der Zentrale mit der Situation fertig zu werden und wir tauchten wieder auf …
Aber sowas erlebte man nicht jeden Tag. Der Alltag war eher nüchtern. Vor allem an Land, wenn alle möglichen Vorgesetzten Politunterricht für die Besatzung forderten oder befahlen, persönliche Einzelgespräche mit jedem unserer Untergebenen einen Monat im Voraus zu planen. Ja! Genau mit den gleichen Matrosen, mit denen wir monatelang im selben Abteil zusammengepfercht waren. Deshalb kamen wir selbstverständlich nicht dazu, mit ihnen zu quatschen. Wie denn auch.
Nicht umsonst pflegte unser strenger Starpom zu sagen: „Ich wäre schon längst aus der Marine ausgetreten, aber im Dienste zu leiden macht ihn erst spaßig.“ Damals wusste ich noch nicht, dass ich im militärischen Nachrichtendienst genauso viel zu lachen haben würde.
Moskau, 1984. Die Militärdiplomatische Akademie ist die Schmiede der Spionagekader des sowjetischen Landes. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine großen Hoffnungen, in diese Bildungseinrichtung aufgenommen zu werden. Schließlich konnte ich nicht einmal gut Englisch – es hat gerademal für eine Drei auf dem Schulzeugnis gereicht. Als ich daher im Sommer 1984 einen Aufruf nach Moskau zu den Prüfungen erhielt, beschloss ich, die Gelegenheit zu nutzen und eine Pause vom Dienst zu einzulegen. Ich erhielt Fahrkarten samt Plan für den Zug: Sieben Tage von Wladiwostok in die Hauptstadt und sieben Tage wieder zurück sollte die Reise gehen. Ich gab etwas von mein persönlichen Geld hinzu und nahm stattdessen ein Flugzeug. So konnte ich vierzehn Tage lang in Moskau bleiben – vor und nach meinen Prüfungen.
Der erste Besuch in der Akademie bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass ich keine Chance hätte, aufgenommen zu werden. In einem großen Raum versammelten sie unseren Durchgang. Dort tummelten sich hauptsächlich Offiziere – Absolventen des Militärischen Instituts für Fremdsprachen14. Professionelle Übersetzer also.
„Für welche Sprachen haben Sie sich eingeschrieben?“, wandte der grauhaarige Oberst sich an das Publikum.
„Sprachen?!“ Ich war entsetzt. „Mehrere?!“
„Arabisch und Französisch“, stand ein junger Hauptmann auf.
„Englisch und Chinesisch“, fuhr ein hochgewachsener Oberleutnant fort.
Und so weiter …
Wohin sollte ich also mit meinen erbärmlichen Englischkenntnissen?!
Die Prüfungen waren recht ungewöhnlich – Es gab eine Menge verschiedenster Tests. Das ist heute normal, aber damals war es völlig neuartig für uns. Zum Beispiel erschien eine Tabelle mit sechzehn Zellen auf einem Bildschirm, die jeweils zweistellige Zahlen in beliebiger Reihenfolge enthielten. Nach kurzer Zeit erlosch der Bildschirm und die Tabelle musste auf Papier reproduziert werden. Während die Offiziere arbeiteten, war ständig über den Lautsprecher folgendes zu hören: „Schreiben Sie siebzehn in die obere rechte Ecke! Schreiben Sie siebzehn in die obere rechte Ecke!“
Naja, und so ging es dann eben weiter.
Zur Sprachprüfung ging ich mit einem Offizier des Militärischen Instituts für Fremdsprachen. Dieser fing direkt an fröhlich mit dem Prüfer zu plaudern. Auf Englisch, natürlich. Mir wurde irgendein ausländischer Text vorgelegt. Da sich meine Kenntnisse auf die Formulierung „Moskau is the capital of Soviet Union“ beschränkten, erkannte ich in diesem Stoff nur den Namen John Reed und die Bezeichnung Petrograd.
„Das ist doch ,Zehn Tage, die die Welt erschütterten‘!“, bemerkte ich.
„Werden Sie es auf Englisch zusammenfassen“, interessierte sich die Prüferin, „oder werden Sie uns den Inhalt auf Russisch wiedergeben?“
Natürlich wählte ich die zweite Option und erzählte fröhlich alles, was ich über den amerikanischen Journalisten John Reed und seinen Besuch im revolutionären Petrograd wusste. Vieles stand, wie sich später herausstellte, gar nicht im Text.
Dennoch behandelte mich die Frau mit Nachsicht. Sie testete mich auf meine Sprachlernfähigkeit, woraufhin ich den Prüfungsraum mit der klaren Überzeugung verließ, dass ich keinesfalls bestanden haben könnte.
Die letzte Etappe war die mündliche Befragung. Der Ausschuss – bestehend aus zehn Personen, alles Oberste und Generäle – sprach mit jedem einzelnen.
„Sie werden uns auf jeden Fall auf unsere Achtsamkeit prüfen“, merkte der junge Hauptmann, der mir bereits bekannt war und Arabisch und Französisch sprach, besorgt an. „Man muss sich alles merken, was man auf dem Weg zu ihrem Büro sieht: Die Anzahl der Stufen, die Farbe der Vorhänge, wie viele Stühle im Empfangsbereich stehen …“
Ich tat es nicht. Warum auch? Es war doch sowieso schon klar, was mit mir passieren würde.
Ich ging also rein, stellte mich vor und wartete.
„Wie viele Torpedos sind auf Ihrem U-Boot?“, fragte plötzlich der stämmige General.
„Achtzehn.“
„Machen Sie sich zu Ihrem Boot auf, geben Sie Ihre Akte ab und Zuständigkeiten weiter, und machen Sie sich bereit für die Verlegung. Sie sind angenommen …“
Die GRU15-Akademie. Das erste, worüber ich erstaunt war, waren die Würstchen am Buffet. Keine Schlange! Eine solche Delikatesse konnte man in der UdSSR weder in einem normalen Geschäft noch im Café bekommen. Es war klar, dass man uns auf eine Dienstreise ins Ausland vorbereitete, denn die sowjetischen Bürger sollten nicht versehentlich von den dortigen kulinarischen Ausschweifungen in Schockstarre verfallen.
Neben den Würstchen gab es in der Bibliothek frische Ausgaben ausländischer Zeitschriften und Zeitungen. Für mich als Germanistikstudent: „Spiegel“, „Stern“, „Die Welt“ und „Die Zeit“. Auf all diesen Ausgaben befanden sich Stempel in Form eines blauen Fünfecks. Das bedeutete, dass nur eine begrenzte Anzahl von Personen sie lesen durfte – es war also strengstens verboten, sie Außenstehenden zu zeigen.
Warum diese Geheimhaltung nötig war, war schwer zu sagen. Immerhin tauchten in den deutschen Medien Bilder von alten und gebrechlichen sowjetischen Führern auf. Zu dieser Zeit durchlief die UdSSR die so genannten „Fünf Jahre der prunkvollen Beerdigungen“. Nach dem Tod von Generalsekretär Leonid Breschnew (November 1982) ging ein „namhafter Staatsmann“ nach dem anderen ins Jenseits: Juri Andropow (Februar 1984), Dmitri Ustinow (Dezember 1984) und Konstantin Tschernenko (März 1985).
Der körperliche Zustand dieser Ältesten war bedauernswert. Übrigens, Spiegel veröffentlichte ein Foto von Tschernenko und einen Artikel über sein Treffen mit dem König von Spanien. Damals war das Oberhaupt der atomaren Supermacht nicht in der Lage, seinen Mantel anzuziehen und eigenständig zuzuknöpfen.
Ja und? Wir haben diesen Mann jeden Tag im Fernsehen gesehen. Warum soll Spiegel wegen solcher Lappalien geheim gehalten werden? Zumal die Mehrheit der Sowjetbürger sowieso eine sehr kühle Haltung gegenüber den „Kreml-Ältesten“ hatte.
1982, als ich noch auf dem U-Boot diente, wurden wir in Alarmbereitschaft versetzt – ein Kampfeinsatz, keine Übung! Natürlich eilten die Offiziere mit düsterster Vorahnung zum Dienst. Der Mechaniker rannte vor mir her.
„Was ist passiert?“, rief er dem Wachoffizier zu, der am Kontrollpunkt der U-Boot-Staffel stand. „Hat es einen Krieg gegeben?!“
„Nein, Breschnew ist tot!“
„Na, da haben wir nochmal Schwein gehabt!“
Deutsch wurde jeden Tag unterrichtet. Es gab einen Lehrer für jeweils vier Personen. Daneben jede Menge anderer Kurse. Wir gingen oft in die Stadt, liefen durch die Straßen und lernten Autonummern auswendig. Wir haben auch versucht, mit Passanten ins Gespräch zu kommen, um Kontakte zu knüpfen.
Unser Psychologielehrer brachte uns bei, wie man Ausländer anwirbt. Er war früher beim militärischen Nachrichtendienst in Großbritannien tätig. Dort hat er offenbar etwas verbrochen und wurde an unsere Akademie verbannt. Er führte seine früheren „Meisterleistungen“ sehr gerne als Beispiel an.
„Die Engländer haben großen Respekt vor guten Autofahrern“, sagte der Psychologe leise und schaute nachdenklich aus dem Fenster. „Einmal habe ich perfekt eingeparkt. Die Lücke war sehr eng … Aber ich habe es geschafft … Daraufhin zwei Anwerber …
Hiernach haben wir einen neuen Spruch eingeführt: „Zwei Parkplätze – drei Anwerbungen“.
Natürlich war das Ausbilden eines Aufklärers eine Hausnummer für sich. Ich hatte wiederum den Eindruck, dass viele der Ausbilder selbst nicht recht wussten, wie sie es anstellen sollen. Es war kein Zufall, dass wir im Marxismus-Leninismus-Unterricht (was wären wir denn ohne ihn!) gezwungen waren, Aufsätze zum Thema „Die Grundfrage der Philosophie und ihre Rolle im Militärischen Nachrichtenwesen“ zu schreiben.
Wie sich Ersteres auf die Spionage auswirkt, ist mir immer noch ein Rätsel.
1985 kam der junge, energische Gorbatschow mit seiner „Perestroika“ an die Macht. Für uns begann sie plötzlich – in einer Vorlesung über Volkswirtschaft. In der letzten Vorlesung hatte der Dozent leidenschaftlich „die Vorteile einer Planwirtschaft“ dargelegt und den bevorstehenden Zusammenbruch des Kapitalismus fachkundig begründet. Und diesmal erzählte dieselbe Person den verblüfften Zuhörern, dass die UdSSR „den wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem Westen verliert“, dass unser Land sich an „das Erdöl klammert, so dass die Notwendigkeit von Reformen längst überfällig wären“.