Giulia: Dein Weg zu mir - C. M. Spoerri - E-Book

Giulia: Dein Weg zu mir E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Eine Traumhochzeit am Strand von Kalifornien. Eigentlich das Letzte, was Giulia aus dem Napa Valley locken könnte, ganz abgesehen davon, dass die Hochzeit ausgerechnet in dem Hotel stattfindet, in welchem sie ihren Ex-Mann geheiratet hat. Als sich jedoch ihr aktueller Freund als Arschloch herausstellt und auch noch ein flirtender Wikinger namens Cley in ihrer Modeboutique auftaucht, lässt sie sich umstimmen. Dabei ahnt sie nicht, dass sie eine Clique kennenlernt, die es in sich hat. Denn Cley ist kein Kind von Traurigkeit und scheut sich nicht davor, Giulia bis an die Grenzen ihrer Geduld zu reizen. Er will ihr wahres Gesicht sehen, das sie bisher hinter ladyliker Contenance verbergen konnte.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Nachwort

Bonusmaterial

 

C. M. Spoerri

 

 

Giulia

Dein Weg zu mir

 

 

New Adult Liebesroman

 

 

Giulia – Dein Weg zu mir

Eine Traumhochzeit am Strand von Kalifornien. Eigentlich das Letzte, was Giulia aus dem Napa Valley locken könnte, ganz abgesehen davon, dass die Hochzeit ausgerechnet in dem Hotel stattfindet, in welchem sie ihren Ex-Mann geheiratet hat. Als sich jedoch ihr aktueller Freund als Arschloch herausstellt und auch noch ein flirtender Wikinger namens Cley in ihrer Modeboutique auftaucht, lässt sie sich umstimmen. Dabei ahnt sie nicht, dass sie eine Clique kennenlernt, die es in sich hat. Denn Cley ist kein Kind von Traurigkeit und scheut sich nicht davor, Giulia bis an die Grenzen ihrer Geduld zu reizen. Er will ihr wahres Gesicht sehen, das sie bisher hinter ladyliker Contenance verbergen konnte.

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Juli 2019

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2019

Umschlaggestaltung: Rica Aitzetmüller & Jasmin Romana Welsch

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-091-1

ISBN (epub): 978-3-03896-092-8

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

Schreibt eure eigenen Regeln.

C.

 

Kapitel 1 - Giulia

 

Es gab drei Dinge, auf die ich stolz war: Meinen Laden, meine Figur und dass ich die einzige in meiner Yoga-Gruppe war, die ohne Hilfe einen Kopfstand hinbekam. Gut, Letzteres war jetzt nicht so eine Leistung, das hatte ich schon als kleines Kind geschafft. Aber in meinem Laden und meiner Figur steckten viel Arbeit, viele Entbehrungen, einige Tränen, Geld, Leidenschaft und Disziplin.

Ich hatte schon immer in Modeboutiquen gearbeitet und damals, als ich mein eigenes Geschäft vor drei Jahren im Touristenzentrum am Napa River eröffnet hatte, nahm mich keiner ernst. Alle sagten, dass dieses blonde Püppchen wohl kaum länger als einen Monat durchhalten würde.

Diese Vorurteile … bloß, weil man darauf achtete, was man aß und sich regelmäßig die Zähne putzte, bedeutete das nicht, dass man nichts im Kopf haben konnte. Nicht jeder kam mit meinem Aussehen klar, das war mir durchaus bewusst. Und auch meine Art, die manchmal etwas … wählerisch sein konnte (okay, einige nannten es ›divenhaft‹), war nicht jedermanns Sache. Aber wenn ich eines in meinem Leben gelernt hatte, dann, dass ich nicht jedem gefallen musste und es auch nicht wollte. Ich war eine selbstbewusste Frau, die einen erfolgreichen Laden führte, einen gutaussehenden Freund hatte und mit beiden Beinen im Leben stand.

Alles prima, eigentlich.

Eigentlich.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es den Zustand ›zufrieden‹ in meinem Leben nicht gab. Ich war ein Mensch, der immer mehr wollte und alles dafür tat, bis er dieses ›Mehr‹ erreicht hatte – um dann zu erkennen, dass es doch nicht genügte. Diese Eigenschaft war ein Erfolgsgarant, ja, aber auch ein Hindernis, das man selbst zwischen sich und jenes legte, was jeder anstrebte: Glück.

Seufzend schaute ich auf das Display meines Handys und betrachtete noch einmal die Nachricht, die Sven mir geschickt hatte.

 

Tut mir leid, ich kann dieses Wochenende nicht mit dir nach Aspen fahren, Süße. Aber das holen wir nach. Kuss.

 

Ja, so war Sven. Er hatte mich schon so oft versetzt, dass ich mit dem Zählen aufgehört hatte. Wir waren seit einem halben Jahr zusammen und eigentlich lief alles gut.

Eigentlich.

Meine Gedanken glitten zu meinem Ex-Mann, der mich kein einziges Mal in unserer nur knapp zwei Jahre dauernden Ehe versetzt hatte. Er war immer für mich da gewesen – bis zu dem Moment, als ich geglaubt hatte, ›mehr‹ in einem anderen Mann zu entdecken … Ich war so dämlich gewesen. Dämlich, viel zu jung und undankbar, hatte nicht gemerkt, dass mein Ex mich ebenso gebraucht hätte, wie ich ihn. Ich war ein dummes zweiundzwanzigjähriges Mädchen gewesen, hatte ihn betrogen, war mit meinem Lover nach Europa gereist, nur um nach einem halben Jahr reuevoll zurück ins Napa Valley zu kehren, denn dieses ›mehr‹ hatte sich als Fehleinschätzung erwiesen. Es war nicht ›mehr‹ gewesen, sondern viel zu wenig.

Klar, dass mich mein Ex-Mann nicht mehr haben wollte, zumal er selbst so einige Probleme am Hals hatte. Probleme, an denen ich nicht ganz unschuldig war. Denn wäre ich nach dem Tod seines Vaters für ihn da gewesen, hätte er nicht zum Alkohol greifen müssen, um mit dem Druck klarzukommen, der mit einem Mal auf seinen Schultern lastete, als er in dessen Fußstapfen treten musste. Aber ich war einfach zu jung gewesen, um ihm zu helfen – hatte nur den ständig betrunkenen Ehemann gesehen, der mir nicht die Liebe gab, die ich suchte. Und geglaubt, sie bei einem anderen Mann gefunden zu haben. Irrtum.

Nach meiner Rückkehr war es zu spät für uns. Ich hatte alles zerstört und sein Vertrauen verloren.

Tja, wer konnte mit sechsundzwanzig schon von sich behaupten, dass er seit fast drei Jahren geschieden war? Aber darauf war ich definitiv nicht stolz.

Nachdem ich ins Napa Valley zurückgekehrt war, hatte ich begonnen, mich auf mein eigenes Leben zu konzentrieren. Darauf, endlich mal etwas auf die Reihe zu kriegen, etwas zu erschaffen, worauf ich stolz sein konnte: meine Mode-Boutique ›You‹.

Ich legte mein Handy auf den Verkaufstresen, ohne auf Svens Nachricht zu antworten. Was hätte ich schreiben sollen? Dass ich enttäuscht war, konnte er sich ja wohl selbst denken. Und dass er nicht mal einen Grund angegeben hatte … nun, das war eben Sven.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken, drehte ihn von rechts nach links und ließ meine Schultern kreisen, während ich auf die Eingangstür meiner Boutique starrte. Es war zwar Juli und damit Hochsaison, aber es war auch Mittwoch. Und mittwochs lief so gut wie nie etwas – nicht einmal in meinem Laden, obwohl ich nicht nur teure Designerkleider, sondern durchaus erschwingliche Klamotten für jedermann verkaufte. Dafür kamen die Kunden am Wochenende scharenweise, allerdings meist Touristen, die Preiswertes als Andenken suchten.

Etwas Gutes brachte es mit sich, dass ich dieses Wochenende jetzt für mich hatte: Ich konnte hier im Laden sein und Geld verdienen.

Mein Blick glitt über die neuste Prada-Kollektion, die einfach zum Niederknien aussah. Manchmal stellte ich mir die – meist weiblichen – Kunden vor, die diese Kleider kaufen würden. Vielleicht eine schlanke Brünette mit etwas zu wenig Busen? Ihr würde das Rüschenoberteil hervorragend stehen. Ich würde sie … Kelly nennen. Oder Monica. Ja, eine Monica würde gut in das dunkle Etuikleid passen.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als eine junge Frau förmlich in meinen Laden stürzte. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte – irgendwie passte nichts an ihr wirklich zusammen. Weder die dunkelroten Haare mit den hellen Strähnchen, die teuer wirkende grüne Jeans, das gelbe Oversized-Shirt noch die riesige Handtasche. Alles in allem wirkte es, als wäre ein Farbtopf vor mir explodiert und sie hätte dann noch unpassend pinke High Heels über die Füße gestülpt.

Ihr gehetzter Blick fand mich und ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf ihrem hübschen Gesicht aus, das nur von einem Piercing in der Augenbraue etwas verunstaltet wurde. Sie mochte Ende Zwanzig sein.

»Hey!«, rief sie und kam durch den Laden zielstrebig auf mich zu. »Ich brauche ein Kleid. Ein weißes Kleid. Oder beige. Oder … keine Ahnung. Es soll einfach ein Brautkleid sein.«

»Ein … Brautkleid?« Ich starrte sie entgeistert an. »Ich führe keine Brautkleider, tut mir leid.«

Der Papagei schüttelte den Kopf und machte mit der Hand eine wegwerfende Geste. »Ganz egal. Es muss einfach für eine Hochzeit durchgehen.« Sie drehte sich einmal im Kreis und ließ ihren Blick durch mein Sortiment schweifen. »Da drüben, das sieht doch gut aus.«

Stirnrunzelnd trat ich hinter dem Verkaufstresen hervor und hob beruhigend die Hände, um ihr zu signalisieren, dass sie einen Gang runterschalten sollte. »Also nochmals von vorn: Sie suchen ein Brautkleid? Für … sich?«

Sie warf mir einen raschen Blick zu, dann nickte sie. »Ja. Kann ich das dort mal anprobieren?«

In meiner Boutique hatte ich schon so einiges erlebt, aber noch nie eine Braut, die ein Kleid suchte. Das war selbst fürs Napa Valley schräg und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit der Kundin umgehen sollte.

Diese allerdings ließ sich nicht von meinem Zögern abhalten, sondern trat kurzerhand auf die Sommerkollektion eines aufstrebenden Designers aus Los Angeles zu und griff nach dem Bügel, an dem ein eierschalenfarbenes, etwas weiter geschnittenes Kleid hing. »Gibt es das nur in dieser Größe?«, fragte sie, während sie es musterte.

Ich trat neben sie und nickte. »Das ist reine Seide mit einigen Stickereien am Ausschnitt und dem Saum«, erklärte ich. »Es gibt nur diese eine Größe, aber ich könnte es anpassen lassen, wenn Sie sich dafür entscheiden.«

Wieder warf mir die bunte Frau einen Blick zu und jetzt erst fiel mir auf, dass ihre Augen von einem warmen dunklen Blau waren. Nicht so wie meine, die eher die Farbe eines wolkenlosen Himmels hatten, sondern eher wie die Tiefe eines Sees. Mit Farben kannte ich mich bestens aus, sie waren Teil meines Lebens und ich wusste, was zusammenpasste und was eher nicht. Daher war mir die Kombinierfreude meiner Kundin auch ein bisschen ein Dorn im Auge, aber das ließ ich mir natürlich nicht anmerken.

»Wie lange dauert es, das Kleid anzupassen?«, fragte sie jetzt, während sie mit der Hand darüber fuhr.

»Nun, nicht allzu lange«, meinte ich schulterzuckend. »Vielleicht drei, vier Wochen?«

Jetzt wurden die Augen der Kundin groß und sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich brauche es in drei Tagen.«

Meine Kinnlade wollte runterklappen, aber ich hielt mich gerade noch zurück. Dennoch konnte ich ein Entgleisen meiner Gesichtszüge nicht gänzlich verhindern. »In … drei Tagen?«, wiederholte ich. »Wieso denn so kurzfristig, wenn ich fragen darf?«

Sie verzog den Mund, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Ich hatte ein Kleid aus New York bestellt, aber das ist … es ist weg und ich habe keine Zeit, mir ein neues zu bestellen, da ich am Wochenende heirate.«

»Oh«, stieß ich aus. »Ja, also dann sollten Sie vielleicht mal in dieses hier reinschlüpfen und wir schauen, ob es passt. Wenn es kleinere Änderungen sind, kann ich diese auch selbst vornehmen. Aber bei größeren …« Ich ließ den Rest ungesagt, die Arme hatte so schon genug Stress.

Damals, als ich vor fünfeinhalb Jahren geheiratet hatte, hatte ich alles penibel geplant und wir hatten ein rauschendes Fest veranstaltet, das von unseren Eltern finanziert wurde, da mein Ex und ich noch viel zu jung waren, um das Geld dafür aufbringen zu können. Ich war mit meinen zwanzig Jahren sogar zu jung, um mit Champagner anzustoßen auf der Hochzeit … es war eine typische College-Liebe gewesen.

Aber ich hatte mich wie eine Prinzessin gefühlt und wäre mein sündhaft teures Brautkleid kaputt oder verloren gegangen … ich hätte die ganze Hochzeit wahrscheinlich abgesagt. Niemals hätte ich es geschafft, mir einfach mal rasch ein Ersatzkleid zu kaufen – dafür war ich viel zu perfektionistisch.

»Sind dort die Kabinen?« Die Kundin, die anscheinend aus einem gänzlichen anderen Holz geschnitzt war als ich, deutete neben die Kasse und ich nickte bestätigend.

»Rufen Sie mich, wenn Sie etwas brauchen«, sagte ich noch, aber da war sie schon in Richtung Umkleidekabine verschwunden.

Ich wartete die obligatorischen vier Minuten, dann trat ich zum zugezogenen Vorhang.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja, danke«, antwortete sie. »Ich glaube, das könnte ganz gut passen, es ist hinten etwas zu weit, aber sonst …«

Sie schob den Vorhang zurück und sah mich erwartungsvoll an.

Oh, in dem Oversizeshirt hatte ich es gar nicht bemerkt, aber …

»Sie sind schwanger?« Ja, vielleicht wäre es professioneller gewesen, ihr ein Kompliment zu machen, wie gut ihr das Kleid stand (das wirklich überraschend gut passte), aber mein Blick wurde sofort auf ihren Bauch gezogen.

Jetzt huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht und sie streichelte den mindestens fünfmonatigen Babybauch, der nun in edle Seide gehüllt war. »Ja, aber das ist nicht der Grund, wieso wir heiraten wollen. Mein Verlobter hat mir schon im Winter einen Antrag gemacht.« Sie zwinkerte mir zu und jetzt fiel mir der Verlobungsring auf, der ziemlich … ungewöhnlich war.

»Ein Goldfisch?«, fragte ich stirnrunzelnd und betrachtete den Ring eingehender.

»Ja.« Die Kundin lachte leise auf. »Längere Geschichte, aber ich mag den Ring total. Ist er nicht süß?« Sie hielt ihn mir unter die Nase. »Der Ehering wird allerdings ein ganz normaler werden.«

»Sieht wirklich süß aus«, meinte ich schmunzelnd. »Und das Kleid steht Ihnen hervorragend«, schickte ich das verspätete Kompliment hinterher. »Drehen Sie sich doch jetzt mal, ich schau, ob ich hinten noch etwas verändern kann, sodass das Kleid besser sitzt.«

Sie tat mir den Gefallen und hob ihre langen bunten Haare etwas an, sodass ich besser ihren Rücken betrachten konnte. Eigentlich warf der Stoff nur über ihrem Po ein paar unschöne Falten, ansonsten passte das Kleid wie angegossen. Ich ergriff mit geübten Fingern die Seide und zog sie in die richtige Position. »Das kann ich sogar selbst anpassen«, meinte ich, während ich an dem Stoff zupfte. »Bis Samstag brauchen Sie es?«

»Eigentlich bis Freitag, am Samstagmittag heirate ich«, erwiderte sie.

»Okay … das wird sportlich, aber sollte machbar sein«, nickte ich. Dann holte ich ein paar Stecknadeln, um den Stoff abzustecken, den ich anpassen sollte. »Wo heiraten Sie denn?«, fragte ich, während ich vorsichtig die Nadeln in die Seide drückte.

»In Half Moon Bay«, antwortete sie.

Ich unterdrückte ein Seufzen. Genau dort, wo ich auch geheiratet hatte … na, ich hoffte, dass das ein besseres Omen für sie war als für mich. Half Moon Bay war ein kleines, für Hochzeiten beliebtes Küstenstädtchen, denn es verfügte über eine große Hotelanlage, die sich für solche Feiern spezialisiert hatte.

»Und bis wann brauchen Sie das Kleid denn ganz genau?«, fragte ich weiter, während sie sich wieder zu mir umdrehte.

Sie legte den Kopf schief und überlegte. »Wissen Sie was? Ich schicke einen der Groomsmen bei Ihnen vorbei, denn ich werde mit meinen Brautjungfern schon morgen nach Half Moon Bay aufbrechen, um dort zu feiern. Und mein Verlobter darf das Kleid natürlich nicht sehen. Wäre es Ihnen recht, wenn einer seiner Freunde am Freitagmorgen bei Ihnen vorbeikäme, und das Kleid holt?«

Ich nickte. »Das sollte zu schaffen sein.«

Meine Worte ließen ihr Gesicht vor Erleichterung strahlen. »Sie sind meine Rettung, danke! Warten Sie, ich rufe kurz den Freund an, der ohnehin erst am Freitag nachkommen wollte, da er vorher noch bei seiner Schwester in San Francisco vorbeischaut. Da kann er bestimmt noch einen kleinen Abstecher hierher machen.« Sie fischte mit erstaunlicher Zielsicherheit ihr Handy aus der riesigen Handtasche und wählte eine Nummer. Während sie wartete, warf sie mir ein dankbares Lächeln zu, dann wurde ihre Miene etwas ernster, denn am anderen Ende konnte ich eine tiefe Stimme hören. »Hi Cley«, rief sie und das Lächeln kehrte schlagartig auf ihr Gesicht zurück. Anscheinend hatte er sie mit einem lustigen Spruch begrüßt oder so. »Du, ich hab eine kleine Aufgabe für dich, wenn du … nein, nicht so … ach komm schon. Versuch kurz, ernst zu sein.« Wieder schenkte sie mir ein Lächeln und verdrehte die Augen dabei. »Hör zu, ich hab hier ein Ersatzkleid, das allerdings noch etwas angepasst werden muss … Ja, es ist echt superschön, war ein richtiger Glücksgriff. Könntest du es am Freitagmorgen hier in Napa abholen? Die Boutique heißt …« Sie sah mich hilfesuchend an und ich formulierte ihr mit den Lippen ›You‹. »Uh?«

»You«, schmunzelte ich.

»You«, wiederholte sie. »Schreib es dir bitte auf, das ist wichtig.«

Dann entstand eine Pause, ehe sich die tiefe Stimme am anderen Ende wieder meldete. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen, aber die Kundin grinste breit. »Jaja, ich dich auch. Danke auf jeden Fall. Dafür hast du was gut bei … Nein, DAS bestimmt nicht, ich heirate in drei Tagen.« Sie lachte erneut. »Also, ich muss auflegen. Danke vielmals, bye Cley.«

»Scheint zu klappen«, bemerkte ich, nachdem sie aufgelegt hatte und deutete auf das Kleid. »Also, ich gebe mein Bestes. Aber einen kleinen Aufpreis muss ich für die Anpassung leider schon berechnen.«

»Ach, Geld ist kein Problem«, erklärte sie immer noch lächelnd. »Wie teuer ist das Kleid denn?«

»Tausendzweihundert Dollar. Mit den Änderungen wird es Tausenddreihundert.«

Sie schluckte zwar kurz, nickte dann aber. »Darauf kommt es nun auch nicht mehr an«, meinte sie schulterzuckend. »Ich danke Ihnen vielmals.«

»Sehr gern«, lächelte ich und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Ziehen Sie sich in Ruhe um, ich öffne einen Orangensaft. Auf ein Brautkleid muss man gebührend anstoßen.«

»Das stimmt allerdings«, lachte sie. »Schade, dass ich keinen Alkohol trinken kann. Ich bin gerade so erleichtert, dass ich eine ganze Prosecco-Flasche alleine runterschütten würde.«

»Na, dann ist es wahrscheinlich sogar besser, dass Sie das nicht tun können«, lachte ich und sie stimmte darin ein, ehe sie den Vorhang zuzog.

Zum Glück hatte ich immer gekühlte Getränke für meine Kunden bereit, sowie ein paar Chips, denn man konnte ja nie wissen, wer den Laden betrat und gut Betuchte mochten es nun mal, so richtig verwöhnt zu werden.

Kurz darauf standen wir mit einem Glas Orangensaft am Tresen und prosteten uns zu.

»Auf den schnellsten Brautkleider-Kauf in der Geschichte des Napa Valleys«, schmunzelte ich.

»Oja«, lachte sie. »Cheers. Ich bin übrigens Kate.«

»Freut mich, ich bin Giulia«, antwortete ich und ließ unsere Gläser gegeneinander klirren. »Na dann, bleibt mir ja nur, Ihnen alles Gute zu wünschen. Für die Hochzeit und die Geburt.«

»Danke.« Sie warf ihre dunkelrot gefärbten Haare zurück und strahlte mich an. »Wenn Sie Zeit und Lust haben, können Sie sonst sehr gern zur Hochzeit kommen. Je mehr Leute, desto besser.«

Ich zögerte, da ich Kate ja erst seit ein paar Minuten kannte. Aber irgendwie … selten war mir ein Mensch auf den ersten Blick schräg und doch sympathisch erschienen und so wie sie gerade lächelte, glaubte ich ihr, dass sie sich freuen würde, wenn ich dort auftauchte. »Nun, mal schauen«, meinte ich dennoch ausweichend. »Ich verbinde mit Half Moon Bay nicht die besten Erinnerungen, da ich dort meinen Ex geheiratet habe.«

»Oh wirklich?«, fragte sie. »Nun, das tut mir leid, aber vielleicht ist es Zeit für neue Erinnerungen.«

Sie sagte es ganz nebenbei, aber dennoch hakte sich der Satz wie eine Klette in meinen Gedanken fest und hallte noch nach, nachdem Kate die Boutique verlassen hatte.

Ja, vielleicht war es wirklich Zeit für neue Erinnerungen … aber … ich wusste nicht, ob ich schon bereit dafür war.

Kapitel 2 - Giulia

 

Es war Freitagmorgen und Sven hatte sich seit seiner WhatsApp-Nachricht nur noch zwei Mal gemeldet. Einmal davon telefonisch, aber da war er so kurz angebunden gewesen, dass ich das Gefühl bekam, ihn bei irgendetwas zu stören – obwohl er mich angerufen hatte. Dafür war seine nächste Nachricht voller Entschuldigungen … brachte mir auch nichts, mein Wochenende in Aspen war ohnehin ruiniert.

Ich hatte Kates Brautkleid angepasst und es lag in einem Kleidersack neben dem Tresen, während ich in meiner Boutique auf den Mann wartete, der es abholen würde.

Als mein Handy klingelte, spannte ich mich kurz an, da ich dachte, es wäre vielleicht Sven mit weiteren Entschuldigungen. Aber es war …

»Nate, hi.« Ich lehnte mich an die Wand hinter dem Tresen und spürte das Lächeln, das stets auf meinem Gesicht erschien, wenn mein Bruder mich anrief.

Eigentlich hieß er Nathaniel, aber Nate passte eindeutig besser zu ihm. Sein Vater hatte ihm die Führung eines Hotels hier in Napa übertragen, was für meinen gerade mal siebenundzwanzigjährigen Bruder eine Herausforderung darstellte. Aber er mochte Herausforderungen, also hatte er sich damit arrangiert und führte das Hotel jetzt schon seit fast einem Jahr als erfolgreicher Manager. Ich kannte seinen Vater nicht sonderlich gut, da wir uns auch nicht sonderlich gut verstanden hatten die wenigen Male, als ich ihm begegnet war. Dafür bestand zwischen Nate und mir von Anfang an diese Verbindung.

Unsere Familiengeschichte war … kompliziert: Mein Vater und seine Mutter hatten sich kennengelernt, da war ich gerade mal vier Jahre alt gewesen. Meine leibliche Mutter hatte Papa und mich direkt nach meiner Geburt verlassen. Ich hatte sie nie kennengelernt und Papa sprach auch nie über sie. Daher war es ein Segen, als Nates Mutter in unser Leben trat. Sonja war für mich die Mama, die ich niemals gehabt hatte. Der damals fünfjährige Nate stammte aus der ersten Ehe von Sonja mit Nates Vater, der ein Hotel besaß, das er damals noch selbst leitete. Ich hatte mich riesig gefreut, endlich ein Geschwisterchen zu haben und so waren Nate und ich wie ein Herz und eine Seele in unserer Patchworkfamilie aufgewachsen. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich Sonja von meinem Vater trennte. Damals war ich aber schon fünfzehn und unheimlich froh, dass sie nicht mehr zusammen waren – die ganzen Streitereien konnte keiner aushalten … bei aller Liebe zu Sonja und Papa.

Jetzt lebte mein Vater seit fast fünf Jahren mit einer anderen Frau zusammen, die ich ebenso wenig mochte, wie Nates Vater. Der Kontakt zu Papa war entsprechend abgeflaut und wir sahen uns nur noch zu besonderen Feiertagen oder Geburtstagsfesten. Geblieben war mir aber Nate, mein bester Freund und tollster Bruder der Welt.

»Hi Schwesterchen«, begrüßte er mich wie immer mit einem Schmunzeln in der Stimme. »Ich dachte, ich frag dich mal, wie es dir geht. Hab vorhin gerade deine Nachricht gesehen. Sven ist so ein Arsch.«

Jap, auch das war Nate: direkt und unverblümt.

Ich wusste, dass er meinen Freund nicht mochte – eigentlich mochte niemand aus meinem engeren Freundeskreis Sven. Und dennoch hatte ich mich nicht davon abbringen lassen, mit ihm zusammen zu sein, hatte regelrecht darum gekämpft, dass wir diese Beziehung führten. Dass ich es nicht schon wieder mit einem Mann vermasselte.

Nate hatte einmal gemeint, dass ich die Beziehung mehr wollte als ich Sven wollte – damals hatte ich ihm den Vogel gezeigt. Aber womöglich war genau das der Grund, wieso es mir so schwerfiel, mich von ihm zu trennen. Klar, ich war selbstsicher und wusste eigentlich, was ich wollte und was nicht. Aber irgendwie schaffte es Sven dennoch immer wieder, mich mit seinen Hundeaugen dazu zu bringen, ihm zu verzeihen. Da konnte ich noch so wütend und enttäuscht von ihm sein.

Ich seufzte leise. »Vielleicht hat er einen guten Grund, dass er so kurzfristig abgesagt hat.« Selbst ich hörte, wie vage das klang. Fast schon verzweifelt – peinlich.

Entsprechend erntete ich ein lautes Auflachen, das jedoch nicht fröhlich klang. »Jetzt mal im Ernst, was findest du nur an dem Kerl?«

Ich hörte, dass er irgendetwas zu kochen schien – zumindest vernahm ich das Klirren von Kochtöpfen. Freitagmorgen hatte Nate immer frei und ging einem Hobby nach. Aktuell war sein Ziel, eines der Kochbücher von Jamie Oliver quer durchzukochen, da ihm eine seiner Exfreundinnen vorgeworfen hatte, dass er nicht kochen könne. Tja, mein Bruder war mindestens so ehrgeizig wie ich, also hatte er sich vorgenommen, seinem Sternekoch im Hotel Konkurrenz zu machen.

»Hast du Lust auf einen Pokerabend morgen mit mir und den Jungs?«, fragte er jetzt.

Mit den ›Jungs‹ meinte er seinen Kumpel Dan, der die Bar in seinem Hotel leitete, sowie Luke, den stellvertretenden Hotelmanager. Ich mochte beide, allerdings waren die Abende mit den Dreien stets ausufernd, weswegen ich jetzt den Kopf schüttelte.

»Nein, ich denke, ich werde mir einen gemütlichen Abend daheim machen«, murmelte ich.

»Ach komm schon, Schwesterchen.« Nate hörte auf, mit seinen Töpfen zu klappern. »Du bist jung und hübsch. Und dein Kerl hat dich versetzt – lass drei andere Männer sich um dich kümmern.«

Diese anzüglichen Bemerkungen durfte er machen, denn sie waren nie anzüglich gemeint, wie ich sehr wohl wusste. Er hätte seinen besten Freunden vielmehr den Hals umgedreht, wenn sie auch nur mit dem Gedanken gespielt hätten, mir näherzukommen. Er war eben mein großer Bruder mit dem Beschützerinstinkt eines Rottweilers.

»Ich geh vielleicht zu einer Hochzeit«, wich ich aus und strich mit den Fingern über den fliederfarbenen Umschlag, der heute in der Post lag. Kate hatte mich offiziell eingeladen.

»Oh, wer heiratet denn?« Nate klang erstaunt, da er normalerweise über meinen Freundeskreis im besten Bilde war.

»Niemand, den du kennst«, erklärte ich. »Eine Kundin von mir hat mich zu ihrer Hochzeit nach Half Moon Bay eingeladen.«

»Ausgerechnet Half Moon Bay«, stöhnte Nate. »Willst du da hingehen?«

Ich zuckte mit den Schultern, während ich die Karte nochmals aus dem Umschlag zog. Sie war ebenfalls fliederfarben mit weißen Blumenmustern. Sehr schlicht und edel. »Mal sehen.«

»Ich mein, es ist dein Leben, Kleine. Aber ich glaube, ein Abend bei mir würde dir eindeutig besser tun als ein Abend in Half Moon Bay«, erwiderte Nate und ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, wie er die dunklen Augenbrauen zusammengeschoben hatte.

»Vielleicht würde mir ein Tapetenwechsel guttun«, meinte ich und legte die Einladung zurück in den Umschlag.

»Dagegen kann ich nichts einwenden«, seufzte mein Bruder. »Alles ist besser, als wenn du das Wochenende in deiner Boutique verbringst.«

Er kannte mich viel zu gut und wusste, dass ich ansonsten nur hier stehen und auf Kunden warten würde.

»Vielleicht ist es Zeit für neue Erinnerungen«, wiederholte ich Kates Worte. »Zudem … auch die alten Erinnerungen in Half Moon Bay sind nicht schlecht. Wir hatten damals eine schöne Hochzeit und …«

»Mich musst du nicht überzeugen«, unterbrach mich Nate. »Geh hin, genieße es, flirte und vergiss Sven für ein paar Stunden. Der Arsch hat dich eh nicht verdient.«

In dem Moment klingelte die Ladenglocke. »Ich muss Schluss machen, Kundschaft«, erklärte ich meinem Bruder.

»Wenn du doch noch zur Pokernacht kommen willst, melde dich einfach, bye Kleine«, verabschiedete er sich, dann legte er auf.

Ich hob den Kopf, um den Kunden zu begrüßen, während ich die Einladung zur Seite legte. Doch die Worte blieben mir ungesagt im Hals stecken, denn was meine Augen erblickten, war ein Hüne von einem Mann, der irgendwie eine Mischung zwischen Brock O’Hurn und Chris Hemsworths’ Interpretation des Thor darstellte. Seine dunkelblonden Haare glichen einer wahren Löwenmähne und fielen ihm offen bis über die muskulöse Brust. Betont wurde sein Wikinger-Aussehen durch einen gepflegten Kurzbart und breite Schultern. Die Oberarme waren so stark trainiert, dass sie das schwarze Shirt, das er trug, spannten und der Oberkörper verlief in einer V-Form bis zur Hüfte, die in schwarzen Biker-Hosen steckte.

Da er ganz und gar nicht meinem Kundenstamm entsprach, konnte es sich hierbei nur um den Freund von Kate handeln – oder er hatte sich verfahren und wollte nach dem Weg fragen.

»Cley?«, fragte ich und ärgerte mich, dass meine Stimme viel zu piepsig klang.

Verdammt, normalerweise war ich es, die Männer sprachlos machte, nicht umgekehrt. Aber der Kerl, der da gerade meinen Laden betreten hatte, sah wirklich gut aus.

Sein Blick fiel auf mich und für einen kurzen Moment wurden seine Augen, die irgendeine helle Farbe besaßen, welche ich von hier aus nicht erkennen konnte, etwas größer. Auch ihm schien zu gefallen, was er sah – eine Tatsache, die mich wieder etwas lockerer werden ließ.

Er hob eine Augenbraue, dann erschien ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht. »Richtig geraten.« Die tiefe Stimme passte perfekt zu seinem Äußeren. »Und Sie sind?«

»Giulia«, antwortete ich und wollte mir die Haare über die Schulter zurückwerfen, merkte aber im letzten Moment, dass ich sie heute zum Zopf trug, was eine unfreiwillig komische Kopfbewegung zur Folge hatte. Doch meinem Gegenüber schien das nicht aufzufallen – oder er war zu taktvoll, um sich etwas anmerken zu lassen. »Sie sind wegen dem Brautkleid hier, richtig?«, fügte ich rasch hinzu.

»Nochmals richtig geraten.« Er lachte ein polterndes Lachen und fuhr sich mit der Hand von vorne nach hinten durch die Haare. Brachte nichts, sie fielen ihm gleich wieder über die Brust.

Als er nähertrat, erkannte ich, dass seine Augen eine goldbraune Farbe besaßen … faszinierend, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Erst als er leise schnaubte, bemerkte ich, dass ich ihn angestarrt und seine zum Gruß ausgestreckte Hand ignoriert hatte. Rasch schüttelte ich sie – es fühlte sich an, als würden meine Finger förmlich von seinen verschluckt.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Giulia«, meinte er und zwinkerte mir zu, ohne jedoch meine Hand loszulassen. »Ich bin schon zig Mal an Ihrem Laden vorbeigelaufen – hätte ich gewusst, dass Sie hier drin sind, hätte ich schon eher Hallo gesagt.«

Wow, der ging ja ran.

Aber irgendwie war ich auch geschmeichelt, denn welche Frau mochte es nicht, von einem attraktiven Mann angeflirtet zu werden? Und oh ja, ich fand ihn definitiv attraktiv, ich stand auf dunkelblonde Männer, die regelmäßig ins Fitnessstudio gingen … Sven und mein Ex-Mann waren die besten Beispiele dafür.

»Kate meinte, dass Sie auch zur Hochzeit kommen?«, fuhr er fort, als ich nichts erwiderte, und deutete auf die Einladung, die immer noch vor mir lag.

Ich zuckte mit den Schultern und stellte mit Erleichterung fest, dass er meine Hand endlich losließ. »Sie hat mich zumindest eingeladen.«

»Ich würde mich freuen, wenn wir uns näher kennenlernen«, meinte er immer noch grinsend (Oh Mann, war der vielleicht von sich eingenommen …).

Mit einem Mal war ich nicht mehr sicher, ob das mit der Hochzeit wirklich eine gute Idee war. »Ich kenne dort niemanden, mal sehen«, wich ich aus.

»Sie kennen jetzt immerhin schon mal mich. Zudem … wenn Sie aus Napa stammen, sollten Sie ja wissen, dass hier jeder mit jedem irgendwie bekannt, verwandt oder verschwägert ist.« Wieder zwinkerte er. »Sie werden auf der Hochzeit bestimmt noch andere Gäste kennen, Kate hat das halbe Napa und Sonoma Valley zusammengetrommelt.«

»Ich weiß nicht …«, begann ich, wurde aber unterbrochen, als der Wikinger seine Handfläche auf meinen Tresen klatschte.

»Ach kommen Sie.« Sein Blick wurde verschmitzt. »Gutes Essen, Musik, kühle Meeresluft – wer bitte sehr würde da nein sagen?«

So langsam ging mir dieser Cley auf den Geist. Er war viel zu sehr von sich selbst eingenommen und meinte, nur, weil er mich angrinste, würde ich weiche Knie bekommen. Diese Sorte Männer kannte ich zur Genüge und es war an der Zeit, diesen flirtenden Wikinger in die Schranken zu weisen.

Stirnrunzelnd legte ich den Kopf schief. »Ich.« Eine meiner Augenbrauen hob sich ohne mein Zutun an. »Ich würde dazu nein sagen, wenn die Gäste alle so sind, wie Sie.«

»Im Ernst jetzt?« Nun hoben sich seine Augenbrauen an – alle beide. »Sind Sie eine Zicke oder so?«

Ich schnaubte leise – so direkt hatte mich noch nie einer beleidigt. »Und Sie? Sind Sie ein Macho? Meinen Sie, nur weil ich blond bin, folge ich Ihnen wie ein braves Schoßhündchen, weil Sie mich anzwinkern?«

Der hatte gesessen, das konnte ich sehen. Cley runzelte die Stirn, dann beugte er sich zu mir über die Theke.

»Ich würde niemals ein braves Hündchen in Ihnen sehen, denn selbst Chihuahuas können beißen«, murmelte er.

»Ich bin ein Katzenmensch«, erwiderte ich unbeeindruckt und hielt seinem Blick stand.

»Mh«, brummte er und lehnte sich wieder zurück. »Verstanden.«

»Was haben Sie verstanden?«, lächelte ich zuckersüß.

Ja, dann war ich eben eine Zicke, aber ich wollte mich auch nicht von diesem Typen, der zwar gut aussah, den ich aber nicht kannte, auf diese Weise anmachen lassen. Wenn ich etwas nicht mochte, dann Männer, die glaubten, nur weil sie zwei Sätze an einem Stück herausbrachten und die Muskeln etwas spielen ließen, würde man direkt sein Höschen ausziehen und ihnen um den Hals fallen. In meinem Leben hatte ich genug solche Männer kennengelernt – nein, kein Bedarf. Ich versuchte gerade, mir ein Image als seriöse Geschäftsfrau aufzubauen und war in festen Händen. Das würde ich sicher nicht für einen dahergelaufenen Motorrad-Helden aufs Spiel setzen.

Er legte seine Stirn in noch tiefere Falten und zog seine Augenbrauen zusammen. »Wo ist das Brautkleid?«

»Oh, Themenwechsel, wenn es unangenehm wird?« Jetzt war ich in meinem Element.

»Themenwechsel, wenn ich sonst was Dummes sagen würde«, brummte er.

»Sie scheinen Erfahrung darin zu haben, dumme Dinge zu sagen«, erwiderte ich und ließ meinen Blick betont langsam über sein Gesicht gleiten.

»Sie haben ja keine Ahnung …«

Irrte ich mich, oder war da ein gefährliches Flackern in seinen Augen? Vielleicht war dieser Typ doch mehr, als nur ein flirtender Wikinger …

Etwas in mir wollte den Kerl an den Rand seiner Beherrschung bringen. Das letzte Mal, als ich dieses Bedürfnis verspürte, war bei meinem Ex-Mann gewesen und das war gründlich in die Hose gegangen. Aber der Drang ließ meine innere Stimme verstummen und mich nach vorne über den Tresen beugen, sodass sich meine Brüste darauf abstützten. Ich trug heute eine enge weiße Bluse, die zwar blickdicht war, aber dennoch vorne so weit offen stand, um meinem Gegenüber einen tiefen Einblick zu gewähren – in ein Tal, das er niemals würde erforschen dürfen.

Seine Augen wurden tatsächlich auf meinen Ausschnitt gelenkt, während ich ihn süffisant anlächelte. »Ich habe so meine Erfahrung mit Typen, die dumme Dinge sagen. Vielleicht versuchen Sie es einfach mal?«

Wow, wie schnell dieser kleine Funke, den ich vorher in seinem Blick erkannt hatte, in ein Feuer übergehen konnte, war rekordverdächtig.

Jetzt beugte er sich ebenfalls vor, sodass sein Gesicht nur noch eine Handbreit von meinem entfernt war. »Das. Brautkleid.« Seine Stimme klang fordernd und so tief, dass ich glaubte, seinen Bass durch den Tresen hindurch zu spüren.

Für einen Moment sahen wir uns in die Augen, ehe ich langsam nickte und mit dem Kopf nach rechts zum Kleidersack deutete. »Liegt hier.«

Er blinzelte kurz, dann richtete er sich wieder auf und fuhr sich erneut durch die Löwenmähne. So langsam bekam ich das Gefühl, dass er dies tat, wenn er verunsichert war – wahrscheinlich fiel es ihm selbst gar nicht auf.

Seine Hand griff nach dem Kleid und er nickte knapp. »Schicken Sie die Rechnung an Kate.«

Ich nickte ebenfalls. »Das mache ich. Sie hat mir ihre Daten hiergelassen.«

Nochmals ein Nicken seinerseits, dann drehte er sich mit einem knappen »Bye« um und verließ schnellen Schrittes meinen Laden.

Irgendwie konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass er gerade vor mir floh … womöglich hatte er doch mehr Angst vor Chihuahuas, als er zugeben wollte.

Lächelnd fuhr ich mit der Hand über die Theke und beobachtete ihn, bis er außer Sichtweite war.

Okay, Cley hatte mir die Entscheidung gerade endgültig abgenommen. Ich würde zu dieser Hochzeit gehen. Nur schon, um ihn nochmals auflaufen zu lassen – denn das hatte richtig Spaß gemacht.

Kapitel 3 - Cley

 

Was war das eben gewesen? Die Diva vom Napa Valley? Oder die Zicke der Zicken?

Ja, ich mochte selbstbewusste Frauen.

Okay, korrigiere: Ich mochte Frauen allgemein – selbst Mauerblümchen konnte ich etwas abgewinnen. Nein, ich war kein Playboy, denn bei mir wussten Frauen immer, was sie kriegten und was nicht.

Sex? Ja.

Beziehung? Nein.

Ich hüpfte auch nicht mit jeder in die Kiste, ein bisschen wählerisch war ich da schon. Meine längste Durststrecke in den letzten Jahren hatte bisher dennoch nur drei Wochen gedauert. Ich konzentrierte mich auf One-Night-Stands und ›Friends with Benefits‹ –und davon hatte ich eine Menge.

Doch, solch ein kompliziertes Exemplar konnte mir echt gestohlen …

Nun gut, das war wohl etwas übertrieben. Aber … verdammt noch eins! Noch nie hatte eine Frau so auf mich reagiert wie diese Giulia. Oja, sie war sexy und schien auf meinen Charme anzuspringen. Zudem war es eine Woche her seit meinem letzten One-Night-Stand und ich hätte sie definitiv nicht von der Bettkante gestoßen. Doch gerade als ich geglaubt hatte, sie schon um den Finger gewickelt zu haben, zeigte sie mir auf, dass es immer noch sie war, die die Zügel in der Hand hielt.

War das Berechnung? Oder Naturtalent?

Keine Ahnung, ich wollte es auch gar nicht erst ergründen. Ich hatte das Brautkleid und damit war meine Aufgabe erfüllt.

»Cley?«

Als die Stimme meines Mitbewohners Nick an meinem Ohr ertönte, zuckte ich erstmal zusammen. Ich hatte vollkommen unbewusst mein Handy gezückt und seine Nummer gewählt.

Danke auch, Napa-Valley-Zicke.

Ich räusperte mich und holte dann leise Luft. »Hey, ich hab’s.«

»Gut.« Ich hörte die Erleichterung in seiner Stimme und schmunzelte bei der Erinnerung, wieso ein Ersatzkleid überhaupt notwendig gewesen war. »Und du bist nicht mit deiner Harley unterwegs?«

Ich verdrehte die Augen und knurrte in mein Handy. »Nein, Papa.«

Nick schnaubte zur Antwort. »Ich wollte nur sicher gehen. Selena hat vorhin von Kate eine Nachricht erhalten, in welcher sie nochmals nachgefragt hat, ob alles klappt. Denn wenn nicht, wird sie uns höchstpersönlich Feuer unterm Arsch machen – das ist dir bewusst?«

Das Schmunzeln kehrte auf mein Gesicht zurück. »Wenn Kate Feuer unterm Arsch sehen will, soll sie gern zu mir kommen.«

»Cley, sie wird morgen heiraten und wenn du sie auch nur anfasst, wird sowohl im Sonoma als auch im Napa Valley Kriegszustand ausbrechen. Du kennst Jordan – der würde dich in der Luft zerfetzen und …«

»Jaja«, brummte ich. »Warum musst du immer so melodramatisch sein?«

»Ich bin realistisch. Täte dir auch mal gut.«

Wieder verdrehte ich die Augen. Nick war zwar ein toller Mitbewohner und einer meiner engsten Freunde, aber manchmal nervte er mit seinem Therapeuten-Gequatsche (ach ja, er war übrigens auch noch Psychiater). Dass er es mit mir aushielt, war mir eh ein Rätsel, aber mittlerweile hielten wir unsere Zweier-WG bereits seit ein paar Jahren aufrecht. In letzter Zeit war es zwar eher eine Dreier-WG, denn seine Freundin wohnte so gut wie in unserem Haus. Nur noch selten schlief sie im Studentenwohnheim – was ich nicht schlecht fand. Im Gegenteil. Ich mochte Selena. Sie war unkompliziert, sexy, witzig, sexy, klug, sexy … nein, ich war nicht in sie verschossen und natürlich war sie tabu für mich. Obwohl Nick und ich uns schon Frauen geteilt hatten, spürte ich bei ihm diese Eifersucht, sobald ich länger als ein paar Minuten mit Selena alleine war. Tja, das nannte man dann wohl ›Liebe‹. Gut, dass ich davon die Finger ließ, als Single hatte man eindeutig mehr Spaß.

»Bist du noch dran?«, fragte Nick am anderen Ende.

»Hm ja«, murmelte ich. »Ich fahre jetzt los, bin in etwa eineinhalb Stunden da.«

»Gut. Bis nachher.«

»Bye.«

Ich legte auf und verstaute das Handy wieder in meiner Hosentasche. Dann nahm ich den Helm von meiner Harley und betrachtete den Kleidersack. Okay, vielleicht hatte Nick recht und es war keine besonders gute Idee, ein Brautkleid mit einem Motorrad zu transportieren. Ich hätte seinen Wagen nehmen können, den er mir extra dagelassen hatte, aber …

»Ach scheiß drauf«, knurrte ich, zog meine Biker-Handschuhe an, stieg auf mein Baby und legte mir das Kleid quer über die Oberschenkel, ehe ich Gas gab. »Wird schon schief gehen.«

 

Es ging nicht schief. Ich kam heil in Half Moon Bay an und war froh, dass mich niemand von der Harley steigen sah. Nick hatte bereits für mich eingecheckt, da ich noch einen kurzen Besuch bei Roxy gemacht hatte – meiner kleinen Schwester, die in San Francisco wohnte. Denn ich hatte noch eine Überraschung für Kate vorbereitet, von der ich hoffte, dass sie gelingen würde.

Mit dem Brautkleid über der Schulter trat ich in die weitläufige Lobby, die so kitschig gestaltet war, dass sich der Zivilstatus beim bloßen Hinsehen zu ›verheiratet‹ änderte. Alles war in Weiß gehalten und auf ›edel-altmodisch‹ getrimmt. Weiße Rosensträuße an jeder Ecke, ein helles Atrium und diese grau-weißen Vintage-Möbel, die wahrscheinlich irgendein Feng-Shui Jünger fein säuberlich positioniert hatte.

Alles in allem kam ich mir mit meiner Biker-Kluft so fehl am Platz vor wie ein Steak in einem Veganerladen.

Was man nicht alles für seine Freunde tat …

Ich holte tief Luft, da ich mich fühlte, als würde ich gleich in einen Pool voller parfümierter Kirschblüten springen, und ging zur Rezeption, um meinen Schlüssel abzuholen und dann zum Aufzug, der mich ins Zimmer im sechsten Stock brachte. Nick hatte mein Gepäck bereits mitgenommen und bei sich untergestellt.

Erstmal dafür sorgen, dass ich dieses Kleid los wurde.

Kate hatte mir eine Nachricht geschrieben, in welches Zimmer ich das Brautkleid bringen sollte. Kurz nachdem ich dort angeklopft hatte, wurde die Tür der Suite aufgerissen, in welcher die Braut sich mit ihren Freundinnen eingebunkert hatte und Selena strahlte mich an. Sie trug ein hautenges weißes Shirt sowie Hot Pants, die ihre Figur hervorragend zur Geltung brachten. Wie immer war sie stark geschminkt und ihr feuerrotes Haar hing ihr offen bis über ihre Brüste (hey, auch wenn sie für mich tabu war, war ich nicht gefeit dagegen, wenn jemand so heiß aussah wie sie).

»Cley, du hast es!«, rief sie mit ihrer rauchigen Stimme, während ich den Kleidersack von meiner Schulter schwang und ihr vor die Nase hielt. »Du bist der Beste!«

»Das dürfte nichts Neues für dich sein«, meinte ich grinsend. Dann glitt mein Blick auf die Hand, die nicht nach dem Kleidersack gegriffen hatte. »Krieg ich auch sowas?«, fragte ich und deutete auf das Bier, das sie festhielt. Anscheinend lief da drin gerade – oder immer noch – eine Party, wie mir der Bass einer Musikanlage verriet.

»Nur für Mädchen«, grinste Selena und warf ihre Haare über die Schulter, was mir einen Blick auf ihr Dekolletee gewährte (jup, Nick war echt zu beneiden). »Und du bist kein Mädchen.« Sie zwinkerte mir zu, ehe sie mir das Brautkleid vollends aus der Hand nahm. »Kate wird sich freuen.«

Ich brummte, da ich jetzt echt ein Bier hätte vertragen können. »Wo sind die anderen?«

Selena schien zu verstehen, dass ich meine Kumpels meinte, deren besseren Hälften gerade in der Suite feierten. »In unserem Zimmer«, erklärte sie, während sie sich bereits von mir abwandte. Mit ›unserem‹ meinte sie wohl das von sich selbst und Nick. »Gang runter, die Nummer sechshundertsechzehn. Deins liegt gleich daneben.«

Ich nickte. »Wie war eigentlich die Party gestern?«, hielt ich sie noch kurz zurück. Ich wusste, dass sowohl die Mädels als auch die Jungs gestern Abend gefeiert hatten. Etwas, das ich leider verpasst hatte, aber ich hatte dafür auch einen triftigen Grund.

Sie zuckte mit den Schultern und sah mich nochmals an. »Wenn die Braut und ihre Trauzeugin keinen Alkohol trinken können, etwas lahm. Aber alles in allem hat es Spaß gemacht. So, ich geh mal wieder zu den Mädels, bis heute Abend.«

Ich nickte erneut und wandte mich zum Gehen. Heute Abend würde die Generalprobe stattfinden – quasi der Probelauf der Hochzeit, wo nochmals alles zusammen mit dem Pastor durchgegangen wurde. Und danach das obligatorische Rehearsal Dinner, auf das ich mich jetzt schon freute, denn es sollte in einem Steakhouse in der Nähe stattfinden. Für meinen Vegetarier-Freund Nick eine Herausforderung, aber irgendwo würden sie bestimmt noch ein Salatblättchen für ihn auftreiben.

Grinsend ging ich durch den Gang zum Zimmer, das Selena mir beschrieben hatte.

Auf mein Klopfen öffnete mir ein etwas lädierter Latino, der locker als Enrique-Iglesias-Double hätte durchgehen können.

»Hey, Alejandro, ging wohl ab letzte Nacht, was?«, lachte ich, während ich ihn betrachtete. Sein schwarzes Haar war zerzaust und auf meine Worte hin zuckte er leicht zusammen.

»Dios mío, nicht so laut«, murmelte er und griff sich an den Kopf.

Ich trat an ihm vorbei in den Wohnbereich, wo Nick mir vom Sofa aus zuwinkte. Das Zimmer besaß zwei Stockwerke mit einem Wohnbereich und Balkon. Sehr schick, hier konnte man sich für längere Zeit einrichten.

»Hey, da bist du ja!«, rief er. »Na, hat alles geklappt?«

Ich ließ mich neben meinem Mitbewohner auf die Couch fallen und griff nach einem Bier, das in einer Schüssel mit Eis auf dem Beistelltisch stand. »Ja, alles geklappt«, nickte ich.

Mein Freund sah mich von der Seite her an und seine stahlblauen Augen bohrten sich in meine. Ich mochte diesen Röntgen-Psychodoktor-Blick nicht, hatte mich aber inzwischen daran gewöhnt. »Sind die Mädels auch so verkatert wie wir?«, fragte er mit einem schiefen Lächeln, das ihm schon öfters das Vorurteil eingebracht hatte, er sei arrogant.

Ich musterte Alejandro, der sich wieder in einen Sessel uns gegenüber hatte plumpsen lassen. »Nicht so wie er da«, lachte ich. »Hat wohl für seine Frau gleich mitgetrunken.«

»Du solltest mal sehen, wie es Kevin geht«, fiel Nick in mein Lachen ein. »Der übergibt sich gerade im Sekundentakt in seinem Zimmer.«

»Der Kleine hält anscheinend noch nicht viel aus«, bemerkte ich, während ich einen großen Schluck Bier trank.

Kevin war der jüngere Bruder von Jordan und Selena und ich mochte ihn eigentlich. Redete zwar etwas viel und war für meinen Geschmack auch etwas zu gut gelaunt, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Die Mädchen standen bei dem Kleinen Schlange, nicht nur, weil sein Vater ein bekanntes Weingut im Sonoma Valley besaß.

»Nun ja, Tequila-Shots sind nun mal kein Wein«, bestätigte Nick, dem es ziemlich gut zu gehen schien. Er prostete mir mit seinem eigenen Bier zu, ehe er es austrank und sich eine imaginäre Haarsträhne aus der Stirn pustete. Sein Friseur hatte es beim letzten Besuch etwas zu gut gemeint und ihm die Haare sehr kurz geschnitten – etwas, das er noch nicht ganz überwunden zu haben schien.

»Hör bitte auf, von Tequila zu reden«, stöhnte Alejandro und blinzelte unter seiner Hand hervor, die er sich wieder an die Stirn gelegt hatte.

Ich lachte erneut und hatte schon einen Spruch auf der Zunge, um ihn noch etwas weiter zu quälen, da wurde mein Blick auf einen Mann mit Anzug gelenkt, der gerade aus dem Badezimmer kam. »Hey, Armando!«, rief ich ihm zu, was Alejandro wieder zusammenzucken ließ.

Armando sah wie aus dem Ei gepellt aus. Mein Mitbewohner Nick schwor, dass er einmal, als sie zu zweit unterwegs gewesen waren, mit Chris Hemsworth verwechselt worden sei. Nun ja, ein bisschen Ähnlichkeit war da schon, das musste ich zugeben. Und es passte zu ihm, dass er auch jetzt noch im Anzug herumlief, wo alle anderen es sich in Jeans und Shirt gemütlich gemacht hatten.

»Cley, auch schon hier«, erwiderte Armando und kam zu mir, um mit mir abzuklatschen. »Hast gestern Abend was verpasst.« Sein Blick glitt zu Alejandro, der ein leises Stöhnen von sich gab. »Wir hatten ziemlich Spaß, ein paar von uns mehr als andere.«

Ich wusste, dass Armando und Alejandro sich nicht ausstehen konnten, entsprechend verstand ich die Schadenfreude, die in Armandos grünen Augen jetzt aufblitzte, und schmunzelte. »Vielleicht solltest du dich einfach hinlegen?«, schlug ich an den Latino gewandt vor. »Bis zum Abendessen dauert es ja noch ein paar Stunden und Emilia kann die Generalprobe auch ohne dich machen.«

Alejandros dunkle Augen begegneten meinen und er nickte langsam. »Sí … vielleicht sollte ich das.«

»Hach ja, junge Väter, wenn sie mal einen Babysitter haben und sich die Kante geben können«, lachte Nick und fing sich einen feurigen Latino-Blick ein, während Alejandro sich erhob.

»Bis nachher«, murmelte er und schleppte sich aus dem Zimmer.

»Gab’s sonst noch was, das ich verpasst habe, außer wie Alejandro auf dem Tisch tanzt, während Kevin darunter kotzt?«, fragte ich Armando, der sich in den frei gewordenen Sessel platzierte.

Er zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht … wir haben getrunken, versucht, Jordan aus der Reserve zu locken und sind gescheitert. Er ist bereits vor Mitternacht in sein Zimmer verschwunden. Scheint sich einfach nicht daran zu gewöhnen, dass er jetzt zu einer Clique gehört.« Er zog einen Mundwinkel nach oben.

»Ich frage mich immer noch, was Kate an ihm findet«, murmelte ich mein Bier an.

Nick stieß mir den Ellbogen in die Seite. »Höre ich da ein gekränktes Ego?«

Ich schnaubte leise, erwiderte jedoch nichts.

Armando, der mich schmunzelnd beobachtet hatte, lehnte sich im Sessel zurück und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die dunkelblonden Haare. »Ich bin ja mal gespannt, was für Gäste morgen auf der Hochzeit sein werden«, meinte er. »Jordan hat irgendetwas von New Yorkern gefaselt, die auch noch kommen wollen.«

»Ah, wahrscheinlich Kates Angestellter«, mutmaßte Nick. »Der stammt doch aus New York, oder?«

»Ja und anscheinend auch noch ein befreundetes Pärchen, das mal in New York gelebt hat und jetzt extra aus London angeflogen kommt«, nickte Armando. »Kommt dein Bruder eigentlich auch, Nick?«

Dieser schüttelte den Kopf. »Rhett ist immer noch in Italien. Hat sich anscheinend nicht nur in sein neues Weingut verliebt.«

Ich hatte meinen Mitbewohner erwartungsvoll angesehen und brummte jetzt enttäuscht. Ich mochte Rhett – wir hatten viele Dinge gemeinsam, auch wenn ich wusste, dass Nick und sein Zwillingsbruder nicht sonderlich gut miteinander auskamen. So gesehen war es vielleicht sogar besser, dass Rhett nicht bei der Hochzeit auftauchte.

»Ich geh dann mal ins Fitness-Studio«, meinte Armando und erhob sich. »Kommt ihr mit?«

»Macht mal alleine«, winkte Nick ab. »Ich werde lieber den Spa testen.«

»Cley?«, fragte Armando und ich nickte.

»Etwas auspowern ist jetzt gerade das richtige, wenn ich eh schon heute auf mein Training mit Sheng verzichten muss.« Damit schüttete ich den Rest meiner Bierdose in mich und ignorierte das Augenverdrehen von Nick, der stets predigte, dass Training und Alkohol Gift füreinander seien. War mir schnuppe, ich hatte schon immer meine eigenen Regeln gemacht.

Kapitel 4 - Cley

 

»Und, wie läuft`s mit dir und deiner Freundin?«, fragte ich Armando, nachdem wir unsere Trainingseinheiten absolviert hatten.

Wir kamen gerade beide aus der Dusche und trockneten uns ab, während wir in den Umkleideraum gingen.

Eigentlich interessierte es mich nicht sonderlich, wie es mit Armando und der kleinen Blonden lief – Beziehungen waren nun mal eine Welt, in die ich keinen Fuß setzen wollte. Aber aus Höflichkeit erkundigte man sich eben doch ab und zu, wie das Privatleben seiner Kumpels aussah.

»Ich habe sie endlich dazu überreden können, nächsten Monat mit mir zusammenzuziehen«, erklärte mir Armando mit einem breiten Grinsen. »Fast zwei Jahre Überzeugungsarbeit.«

»So lange bist du mit ihr schon zusammen?« Meine Augen wurden groß, während ich nach frischen Shorts suchte, die wieder einmal ganz unten in meiner Tasche zu finden waren. »Dann hat sie dich ja echt an die Leine gelegt.«

Armando boxte mir gegen die Schulter, ehe er sich sein Hemd überstreifte und mit dem Zuknöpfen begann. »Nur weil man in einer Beziehung ist, bedeutet das nicht, dass man keine Freiheiten mehr hat. Wirst du sicher auch irgendwann herausfinden.« Er warf mir einen vielsagenden Blick zu.

»Die Dame meines Herzens wartet vor dem Hotel auf mich«, erwiderte ich, während ich nach meinem ärmellosen Shirt griff. »Sie hat siebenundneunzig Pferdchen unterm hübschen Hintern und kommt auf Knopfdruck mit einem Geräusch, das dir einen Ständer beschert. Das kann keine Frau überbieten.«

Armando lachte und verdrehte die Augen, ehe er eine abwinkende Handbewegung machte. »Glaub mir, wenn die Richtige vor dir steht, wirst auch du deine Pferdchen ins Trockene treiben.«

»Das war jetzt ein echt komisches Wortspiel – bei mir bleibt nichts trocken«, grinste ich. »Aber ich wette mit dir, dass mich keine Frau länger als ein paar Wochen aushält. Und das ist gut so, ich mag die Abwechslung.«

Er erwiderte nichts darauf, sondern fuhr sich mit etwas Gel durch die noch feuchten Haare, während er mir durch den Spind-Spiegel zuzwinkerte.

Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und verstaute meine verschwitzten Trainingsklamotten in meiner Sporttasche. Ich mochte Armando, aber wenn er mit den Schwärmereien über seine Perle begann, trennten uns einfach zu viele Ozeane.

»Wie stets eigentlich mit deiner Stuntman-Karriere?«, fragte er.

Ich war froh über seinen Themenwechsel. »Ganz gut«, nickte ich. »Mein Agent hat mir ein cooles Angebot von einem bekannten Hollywood-Regisseur weitergeleitet, bei dem ich mich am Montag in einer Woche vorstellen darf. Wenn das hinhaut, werde ich wohl bald auf der großen Leinwand als Double zu sehen sein.«

»Cool.« Armando drehte sich zu mir um und klopfte mir auf die Schulter. »Na dann wünsche ich dir schon mal viel Glück.«

»Danke«, grinste ich.

Das war wirklich eine richtig große Chance und ich hatte schon jetzt Muffensausen bei dem Gedanken daran, war aber auch optimistisch, dass ich den Regisseur beim Casting würde überzeugen können.

»Dann gehst du wohl nächste Woche jeden Tag ins Fitness?« Armando hob eine Augenbraue.

»Worauf du Gift nehmen kannst«, nickte ich. »Diese Rolle will ich auf jeden Fall und werde mich bestmöglich darauf vorbereiten. Bist du auch wieder am Trainieren?«

»Nur Mittwoch und Freitag«, erklärte er, während er seine Trainingstasche packte. »Aber dann sieht man sich ja.«

Wir verließen die Umkleidekabinen und ich schrieb Nick eine Nachricht, dass ich mich noch etwas im Zimmer aufs Ohr hauen würde.

 

Gegen sechzehn Uhr fand der Probelauf der Hochzeit statt, und zwar in einer kleinen Kapelle, die in der Nähe des Hotels lag. Alle, die einen Teil bei der Zeremonie beitrugen, mussten da aufkreuzen, was bedeutete, dass wir eine ziemlich große Gruppe waren, die sich zu Fuß auf den Weg machte. Da das Wetter mitspielte, hatten wir beschlossen, auf unsere Autos zu verzichten und einen Spaziergang zu unternehmen, der uns am kalifornischen Strand entlangführte.

›Wir‹, das waren das Hochzeitspaar mit den Trauzeugen Emilia sowie Kevin, der immer noch etwas grün um die Nase wirkte. Doch die frische Meeresluft schien ihm gutzutun, sein schwarzes Haar wurde von der Brise verwuschelt und das Lächeln in seinem Gesicht war herzlich, während er mit Emilia, Kate, Jordan sowie seinem Vater Álvaro sprach, die vorangingen. Letzterer war eine Art lateinamerikanischer ›Sean Connery‹-Verschnitt. Anders ließ sich seine Erscheinung kaum beschreiben, denn er strahlte durch die dunklen Augenbrauen, die Halbglatze und den Connery-Bart etwas Würdevolles aus.

Die Braut Kate hatte keine Eltern mehr – oder sie konnten nicht kommen. So genau wusste ich das gar nicht mehr, da ich nicht richtig zugehört hatte. Ihnen folgten Armando mit seiner Freundin Melinda sowie mein Mitbewohner Nick mit Selena und meine Wenigkeit.

Alejandro schien sich meinen Ratschlag, bis zum Abendessen noch etwas im Hotelzimmer auszuruhen, zu Herzen genommen zu haben, denn seine Frau Emilia kam ohne ihn an den Strand, wo wir uns alle versammelt hatten, ehe wir loszogen. Ihr Babybauch war seit unserem letzten Treffen wieder ordentlich gewachsen und machte demjenigen der Braut Konkurrenz. Da sie und Kate fast gleichzeitig schwanger geworden und jetzt im fünften Monat waren, hatten wir schon Wetten darauf abgeschlossen, wer zuerst sein Baby kriegen würde. Ich hatte auf unseren farbenfrohen Kolibri Kate getippt.

Mann, war ich froh, dass ich nicht in der Haut der jeweiligen Väter Jordan und Alejandro steckte – Kinder in die Welt zu setzen war ungefähr das Vorletzte, was ich in meinem Leben tun wollte … kurz vor dem Plan, wie mein Mitbewohner Nick Vegetarier zu werden, um meinen Cholesterinspiegel zu senken. Beides würde niemals geschehen.

Ja, ich mochte Kinder und ich spielte gern mit Enrico, Emilias kleinem Sohn, wenn wir mal auf ihrem Weingut zu Besuch waren. Aber nur, solange der zum Weinen zur Mama rannte und ich fein raus war.

Wir gingen auf einem gepflasterten Pfad, der den Strand entlangführte, um möglichst wenig Sand in den Schuhen zu haben, wenn wir später in der Kapelle probten.

»Bringst du jetzt eigentlich ein Date mit zur Hochzeit?«, fragte mich Selena, die zwischen Nick und mir ging. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, das ihre schlanke Figur umschmeichelte und mir suggerierte, einen Blick auf ihre Brüste erhaschen zu können. Sie und mein Mitbewohner gingen Hand in Hand, was mich jedoch nicht störte. Ich war es inzwischen gewohnt, dass lauter Pärchen um mich herumschwirrten.

»Ich würde es nicht übers Herz bringen, dich eifersüchtig zu machen«, flachste ich und schenkte meiner Hobby-Mitbewohnerin ein schiefes Grinsen.

Sie lachte zur Antwort und stupste Nick an. »Siehst du, er ist einfühlsamer, als du denkst.«

Nick verengte die Augen kurz, dann schmunzelte er sein schiefes Schmunzeln und schüttelte den Kopf. »Dennoch wird aus deiner Idee nichts, Baby«, erwiderte er kopfschüttelnd.

»Was für eine Idee?« Ich blickte von ihr zu ihm und wieder zurück.

»Ach, nichts«, wiegelte Nick ab und strich sich über das dunkle Haar, was ihn wohl wieder daran erinnerte, dass es zu kurz war, denn er verzog seinen Mund.

Ich kannte ihn inzwischen so gut, dass ich wusste, dass das eigentlich ›Oh, eine Menge‹ bedeutete und musterte ihn mit schmalen Augen. »Redet ihr etwa hinter meinem Rücken über mich?«

Selena hakte sich bei mir unter, ohne Nicks Hand loszulassen. »Nicht unsere Schuld, dass dein Rücken so breit ist, dass du nichts mitbekommst«, grinste sie und drückte kurz ihre Wange gegen meinen nackten Oberarm. Eine vertrauliche Geste, die mich aber nicht weiter wunderte, denn wir kannten uns jetzt schon einige Monate und sie durfte das bei mir tun, ohne dass ich Hintergedanken hatte. Gut, erwischt, ein paar Hintergedanken gingen mir schon durch den Kopf, aber nicht, solange sie Nicks Hand hielt und vor allem: Mit ihm zusammen war.

»Wollt ihr unseren Wikinger etwa verkuppeln?«, mischte sich nun auch noch Armando ein, der vor uns zusammen mit Melinda ging. Der dunkelblonde Adonis schien unser Gespräch mitbekommen zu haben.

»Nur über meine Leiche«, protestierte ich, was Selena ein weiteres Lachen entlockte.

Ich starrte grimmig nach vorne, um ein Knurren zu unterdrücken, und dabei fiel mein Blick auf Melindas hübschen Hintern, der in einer weißen Jeans steckte.