Gullivers Mondfahrt - Carl Maria Stifter - E-Book

Gullivers Mondfahrt E-Book

Carl Maria Stifter

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Beschreibung

Der satirische Wirtschaftskrimi "Gullivers Mondfahrt" beleuchtet auf amüsante Weise die Intrigen und kriminellen Machenschaften eines globalen Technologiekonzerns, der durch Korruption, Klüngelei und Skrupellosigkeit seiner Führungskräfte an den Rand des Abgrunds geführt wird. Die AMIGO AG, ein international agierender deutscher Konzern, steckt in Schwierigkeiten, weshalb ein neuer CEO bestellt, die Führungsriege ausgetauscht und Produktionsstandorte ins Ausland verlagert werden sollen. All die korrupten Verstrickungen der AG, die bis in die Politik reichen, werden aber letztendlich doch aufgedeckt – mit Hilfe einer eigenen bahnbrechenden Innovation des medizintechnischen Labors der Firma. Maßgeblich daran beteiligt ist Gulliver, Protagonist und selbst Vorstandsmitglied des besagten Konzerns.

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EPUB
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Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0406-4

ISBN e-book: 978-3-7116-0407-1

Lektorat: Dr. Michaela Schirnhofer

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Die Geschichte ist zwar fiktiv, ist aber so ähnlich passiert.

Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

www.novumverlag.com

Widmung

Gewidmet meiner lieben Brigitte,

die mich motivieren konnte, diese Geschichte

zu Papier zu bringen.

Zusammenfassung

„Gullivers Mondfahrt“ beleuchtet die Intrigen und kriminellen Machenschaften eines globalen Technologiekonzerns, der durch Korruption, Klüngelei und Skrupellosigkeit seiner Führungskräfte an den Rand des Abgrunds geführt wird.

Gulliver, ein Vorstandsmitglied, deckt diese Machenschaften auf und nimmt die Leser mit auf eine humorvolle, aber kritische Reise durch die Welt der Unternehmensführung.

Eine amüsante satirische Komödie, die einen erhellenden Einblick in die Chefetagen der Managementkulturen gibt.

AMIGO AG

Die AMIGO AG, als ein im DAX gelisteter Technologie-Konzern, gilt als eines der deutschen Vorzeigeunternehmen. Mit seinen weltweit über 75 Standorten und knapp 650.000 Mitarbeitenden gilt der Konzern auch international als Schwergewicht. Mit den konzernweit 12 verschiedenen Sparten, angefangen von Medizintechnik über Industrie- und Gebäudeautomation, Energieerzeugung und -verteilung und mobile ICT-Lösungen bis hin zu Zügen und Beförderungsmitteln verschiedenster Art, erwirtschaftet die AMIGO AG einen Jahresumsatz von nahezu 82 Milliarden EUR.

Seit dem Börsengang in den USA vor neun Monaten und dem Einsitz im Wirtschaftsausschuss des Weißen Hauses ist die AMIGO AG zu einem echten „Global Player“ aufgestiegen.

Die Gazetten sind voll des Lobes über den wachsenden Erfolg des in München ansässigen Konzerns. Sogar die New York Times schreibt: „We welcome this unique German technology powerhouse to the United States!“

Leider hat das AMIGO HQ in München seit Neuestem mit Korruptionsvorwürfen und Anzeigen wegen vermeintlicher Kartellabsprachen zu kämpfen. Die zunächst von der Konzernleitung bagatellisierten Vorwürfe erweisen sich jedoch zunehmend als hartnäckig.

Nachdem sich die Strafanträge wegen „schwarzer Kassen“ weiter häufen, sind sich Insider inzwischen einig, dass sich hier ein Tsunami anbahnt.

Sie sollen Recht behalten! Seit vor Kurzem die US-Börsenaufsicht (SEC) gegen die AMIGO AG Strafanzeige wegen Preisabsprachen und Korruption gestellt hat, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Hier beginnt die eigentliche Geschichte.

Schlechte Nachrichten

Gulliver Reisaus sitzt in seinem Büro in der Hohenzollernstraße in München und liest die Süddeutsche Zeitung. Inzwischen vergeht kein Tag mehr, dass nicht neue Horrornachrichten über die AMIGO AG in den Gazetten erscheinen. Gulliver arbeitet schon seit 14 Jahren bei diesem deutschen Vorzeigeunternehmen und hat es in seiner Funktion als Marketing- und Kommunikationsleiter sogar bis in die Vorstandsetage gebracht.

Da sein Onkel, Heini Ballflach, noch bis vor sechs Jahren der Aufsichtsratsvorsitzende der AMIGO AG war, gilt Gulliver als der protegierte Paradiesvogel und hat diesen Status auch bewusst kultiviert. Seine farbenfrohen Anzüge, seine eleganten Hüte und sein lilafarbener Porsche sind inzwischen sein Markenzeichen. Er hat sich längst von der vorherrschenden Beamtenkultur gelöst und sich seine eigene Portion Sarkasmus zugelegt. Da man ihn aus politischen Gründen schlecht loswerden kann, hat man ihn schon seit Jahren mehrfach weitergelobt.

Gulliver klebt interessiert an einem Artikel in der Süddeutschen. Er weiß, dass Heinrich Binoben, der Nachfolger seines Onkels, sich heute früh auf den Weg nach Kärnten gemacht hat.

Die Österreichische Kronen Zeitung bringt es auf den Punkt: Kärnten im freien Fall – wirtschaftlich nur noch auf Platz acht der neun Bundesländer – vom Primus inter Pares zur Persona non grata!

Nach der gestrigen Erstürmung des Klagenfurter Rathauses durch radikalisierte Bürger hat die Polizeikommandantur Amtshilfe aus Salzburg angefordert. Nur durch ein Großaufgebot an Polizei ist es gelungen, das Rathaus gegen 17:00 Uhr von den gewaltbereiten Besetzern zu befreien.

Der Klagenfurter Bürgermeister hat durchaus Verständnis für die wirtschaftlich missliche Lage vieler Bürger, zeigt sich aber entsetzt über das skrupellose Vorgehen der Demonstranten. „Wir leben immer noch in einem zivilisierten Land und nicht im Dschungel!“

Hubertus-Schlösserl, Wörthersee, Kärnten

Langsam erhebt sich die Sonne majestätisch über dem historischen Hubertus-Schlösserl am Wörthersee. Nahezu lautlos verlässt der erste Ausflugsdampfer den Steg am Metnitzstrand. Die Bugwellen glitzern verspielt in der noch flach stehenden Sonne.

Es ist 10:00 Uhr morgens. Im Hubertus-Schlösserl ist ein konspiratives Treffen mit den einflussreichsten Familien Österreichs geplant. Seit dem bedauerlichen Tod des Landeshauptmannes von Kärnten, welcher es über Jahre erfolgreich verstanden hat, Großbanken und Industrie im Großraum Klagenfurt anzusiedeln, und der durch ein günstiges Steuerklima dem Land und dem Geldadel entsprechenden Wohlstand bescherte, ist Kärnten nun auf dem absteigenden Ast. Die vielversprechende Partei Bündnis Futura Österreich (BFÖ) ist in die Bedeutungslosigkeit versunken und auf Bundesebene nicht mehr sichtbar. Diese Entwicklung hat laut dem Geldadel vornehmlich mit der Politik des neuen Landeshauptmanns zu tun.

Er ist der Hochfinanz nicht zugetan, beweist geringes politisches Fingerspitzengefühl und zeigt sich wenig begeistert von dem, was ihm sein Vorgänger hinterlassen hat.

Die AMIGO AG aus München ist der größte industrielle Investor in Kärnten mit vier Produktionsstätten und über 85.000 Mitarbeitenden; die Umsatzvolumina entsprechen 67 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) von Kärnten und knapp 20 % des BIPs von ganz Österreich. Die drei einflussreichsten Familien halten über eine Stiftung Eigentumsanteile von 45 % an der AMIGO AG Österreich, die wiederum ein Tochterunternehmen der AMIGO AG Deutschland ist.

Durch den durch die US-Behörden aufgedeckten Korruptionsskandal in den drei stärksten Hauptländern der AMIGO AG ist das deutsche Stammhaus aufgrund der zu erwartenden Strafen, Klagen und drohenden Marktausschlüsse nahezu handlungsunfähig; das Management ist extrem nervös. Begleitet durch den Umstand, dass der CEO vor fünf Tagen die AG verlassen hat und polizeilich gesucht wird, bangen die österreichischen Familien nun um ihr Geld und ihren Einfluss.

Die Repräsentantin der drei Investorenfamilien, Helga Raffzahn, sowie der frühere väterliche Berater (VB) des verstorbenen Landeshauptmanns, Justus Einfluss, sitzen im Marmorsaal der Jugendstilvilla „Hubertus-Schlösserl“ und warten auf den Aufsichtsratsvorsitzenden der AMIGO AG.

Um Macht und Einfluss zurückzugewinnen, haben die Investorenfamilien in nächtelangen Gesprächen einen gemeinsamen Vorschlag ersonnen, welchen man heute dem erwarteten Besuch schmackhaft machen möchte.

Dumpf gurgelnd hört man den schweren, von einem Chauffeur gesteuerten Wagen in der Auffahrt den Kies verdrängen. Beide Wartenden erheben sich und begeben sich nach unten in das mit Jagdtrophäen dekorierte Foyer, um den Gast gebührend zu empfangen. Der Chauffeur öffnet die Tür des Maybach und Dr. Heinrich Binoben, der Aufsichtsratsvorsitzende der AMIOGO AG, steigt aus. Seine Miene ist alles andere als sorgenfrei. Der Maßanzug mit Seideneinstecktuch (weiß mit roten Initialen) glänzt in der Sonne; man begrüßt sich knapp, aber herzlich.

Die schwere Eingangstür fällt ins Schloss und die Dreiergruppe zieht sich in den oberen Marmorsaal zurück.

Nach angebotenen Erfrischungsgetränken kommt man relativ schnell zur Sache; alle drei sitzen am Tisch. Die Manschettenknöpfe der Herren touchieren gleichzeitig mit einem einheitlichen „Klack“ den Marmortisch.

Jeder nimmt sein bereitgelegtes Exposee zur Hand.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Heinrich Binoben schaut mit ernster Miene in die Runde und beginnt mit dünn geschürzten Lippen zu sprechen: „Die Korruptionsaffäre ist wie eine Schockwelle, die unseren gesamten Konzern an den Abgrund katapultiert (sein mit Brillanten besetzter Siegelring blitzt in der einfallenden Sonne). Die deutsche Kanzlerin hat mich schon ermahnt, das Problem mit der US-Börsenaufsicht schnell zu lösen – Deutschland kann sich keine weiteren bilateralen Spannungen mit dem großen amerikanischen Partner leisten. Neben vielem anderen muss also dieses Problem mit höchster Priorität aus der Welt geschafft werden. Dies geht meiner Meinung nach nur mit einem radikalen Neuanfang, d. h., es muss ein neuer CEO her und die Führungsmannschaft muss komplett ausgetauscht werden. Nur so kann das Vertrauen wieder hergestellt und die US-Börsenaufsicht beruhigt werden. Dies ist essenziell, damit das Kapital der Investoren sicher ist und der Neuanfang für alle zumindest mittelfristig wieder Früchte trägt.“

Er blickt in die Runde; beide nicken. „Nur wie soll man jetzt auf die Schnelle einen neuen CEO mit einem solchen Format aus dem Hut zaubern?“

Der VB meldet sich zu Wort: „Lieber Heinrich, uns ist deine Situation durchaus bewusst und wir haben lange nachgedacht, wie wir dir und der AMIGO AG am besten helfen können. Der Großneffe unseres verstorbenen Landeshauptmanns ist seit Jahren in führenden Positionen im Ausland tätig und außerordentlich gut mit den US-Behörden vernetzt. Er ist inzwischen ein anerkannter diplomatischer Drahtzieher für knifflige Situationen und könnte sicherlich auch für uns seine Beziehungen bei der US-Börsenaufsicht spielen lassen. Er ist äußerst durchsetzungsstark, hat politisches Gespür, ist loyal und leidensfähig! Sein Name ist Adolf Kreuzbrecher … ha, ha … nomen est omen!“

Heinrich verzieht keine Miene: „Wo sitzt der Mann jetzt?“ VB: „Er arbeitet derzeit in den USA, kommt aber nächste Woche quasi zum ‚Fronturlaub‘ (schmunzeln) an den Wörthersee …“ Heinrich blickt zögerlich auf die Tischplatte und spielt nervös mit seinem perlmuttfarben funkelnden Füller.

Die Vertreterin der Investoren-Familien meldet sich mit einem charmanten Lächeln zu Wort: „Lieber Heinrich, ich spreche zu dir quasi als derzeitige Ombudsfrau unserer gemeinsamen Stiftung, der Inter-Alpin. Ich denke, du kennst sie sehr gut; ich muss dir ehrlich sagen, ich merke immer mehr, dass ich eigentlich zu alt für diese Aufgabe bin. Lass es mich auf den Punkt bringen. Wir könnten uns sehr gut vorstellen, dass du künftig den Stiftungsratsvorsitz übernimmst.“ Heinrich blickt mit gespielt ernster Miene auf den Marmortisch. „Heinrich, wäre das nicht das passende „Austragshäuserl“ für dein Leben nach der AMIGO AG?“ Sie setzt wieder ihr charmantes österreichisches Lächeln auf, schaut ihm fest in die Augen und beugt ihr weitausgeschnittenes Dekolleté tief über den Tisch.

Heinrich erwidert den Blick und verwandelt sein Pokerface in ein breites Lächeln: „Helga, bei so viel versprühtem Charme fällt es wahrscheinlich jedem Mann schwer, nein zu sagen …! Aber zuerst haben wir hier noch ein paar Aufgaben zu lösen!“ Helga faltet entzückt die Hände vor ihrem Dekolleté zusammen.

Heinrich blättert in seinem Notizbüchlein: „Ich könnte euch anbieten, mich nächste Woche mit dem Herrn Kreuzbrecher zu treffen …“ VB: „Ich habe mir schon mal erlaubt, zwei mögliche Termine zu reservieren. Wie wäre der Mittwoch oder der Donnerstag? Ich denke, ihr trefft euch am besten wieder hier im Stiftungshaus … da seid ihr ungestört.“

Heinrich nickt ausdrucksvoll. „Ich würde euch einander vorstellen und mich dann zurückziehen … ich glaube, dies wäre am sinnvollsten …“ Heinrich nickt ein zweites Mal.

Helga wirft noch kurz ein: „Lieber Heinrich, bevor ich’s vergesse, Ende nächsten Monats feiern wir unser Stiftungsjubiläum im Jagd-Schlösserl; dieses Jahr ist das Who‘s who der Wirtschaft und Politik eingeladen … mein Gusterl sagt immer: Die ‚Österreich AG‘ gibt sich die Ehre. Wir würden uns mehr als freuen, dich unter uns zu wissen, sag bitte ja …“ Ein hoffnungsvoller Blick mit Augenaufschlag zu Heinrich; Heinrich nickt zuverlässig ein drittes Mal.

Der neue Prototyp

AMIGO AG, Entwicklungsabteilung für Medizintechnik, Abteilung Messtechnik, Stuttgart

Die Medizintechnik der AMIGO AG ist in einem ausgedehnten Industriegebiet mit unzähligen nüchternen Industriegebäuden im Großraum Stuttgart untergebracht. Im Kellergeschoß, im sogenannten Block 5, gibt es eine große Halle mit verschiedenen technischen Versuchsaufbauten. Man hört elektrisches Surren und sich permanent wiederholende Signalgeräusche der eingesetzten technischen Geräte. Die Neonbeleuchtung und das Tageslicht aus den Schächten vermischen sich, mehrere Ingenieure in weißen Mänteln sitzen vor Computern oder beschäftigen sich mit Versuchsaufbauten.

In einem durch eine Glaswand abgetrennten Besprechungsraum sitzen vier Personen, der Entwicklungsleiter, zwei Ingenieure und ein indischer Praktikant. An die Wand wird ein Bild über eine technische Versuchsanordnung projiziert. Man sieht den Entwicklungsleiter aufstehen, die Türe schließen und die Glaswände per Vorhang verdunkeln.

Zwei Ingenieure präsentieren in breitestem Schwäbisch die Testergebnisse aus dem aktuellen Projekt mit dem Code-Namen „Hirnläpple“.

Einer von ihnen namens Wilfried erklärt: „Die letzten Tests brachten erstaunliche Ergebnisse zutage. Der neueste Aufbau für Gehirnstrommessungen erlaubt, aus der Sensorik auch eine Aktorik zu machen. In anderen Worten, es können Gehirnströme gezielt über die Synapsenenden stimuliert werden. Dies wird erreicht durch die Stimulation der synaptischen Trägerstoffe mit Hochfrequenzmodulation. Der Effekt besteht darin, dass durch die temporäre Hyperaktivierung die pathologischen Charaktereigenschaften eines Lebewesens ins Gegenteil umgedreht werden können. Lasst mich ein Beispiel bringen: Aus Depression wird Hochstimmung, aus Beherrschtheit wird Ausgelassenheit, aus Hyperaktivität wird Passivität, aus Zurückhaltung wird Dominanz usw.“ Der indische Praktikant Samir mit Spitznamen IT-Ra Gandhi betont: „Wir stimulieren derzeit nur temporär, d. h., wir wissen noch nicht, wie sich die Stimulationen langfristig auswirken. Dafür müssten noch Langzeittests gemacht werden!“

Herbert, der zweite Ingenieur, zusammenfassend: „Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die Einsatzmöglichkeiten solch einer Technologie nahezu unbegrenzte Möglichkeiten bieten, vielen Menschen helfen könnte, aber auch beträchtliches kriminelles Potenzial hat!“

Dieter Immerda, der langjährige Entwicklungsleiter, hört sich die Ergebnisse gebannt an. In seinem Kopf beginnt es zu arbeiten; er sitzt schweigend am Tisch und starrt auf die Unterlagen. Nach kurzer Zeit erklärt er: „Liebe Kollegen, ich danke für eure Präsentation. Aber für heute machen wir Schluss. Ich würde euch bitten, morgen um die gleiche Zeit wieder hier zu sein. Bitte bewahrt über den Prototyp absolutes Stillschweigen. Ich erzähle euch morgen, warum … ich verlasse mich auf euch!“ Wilfried, Herbert und Samir nicken gleichzeitig. Die Mannschaft verlässt geschlossen den Raum.

Das Interview

Dr. Heinrich Binoben sitzt in seinem Chauffeurwagen und ist wieder auf dem Weg zum Wörthersee ins Hubertus-Schlösserl, um Herrn Kreuzbrecher das erste Mal zum Interview zu treffen.

Er blättert unkonzentriert und mit fahlem Gesicht in seiner krokodilledernen Unterschriftsmappe. In den letzten Wochen haben sich die Ereignisse überschlagen. Es stapeln sich täglich neue internationale Korruptionsklagen aus dem Privatsektor, aber schlimmer noch, auch von der „öffentlichen Hand“ aus Argentinien, Brasilien, Indien, Russland und am allerbedrohlichsten von der Börsenaufsicht in den USA, der SEC. Dort wird ein Strafmaß in Höhe von 2 Mrd. USD avisiert. Die derzeitigen Rechtsanwaltskosten belaufen sich täglich bereits auf 1,5 Mio. EUR.

Herr Binoben bleibt an einer Klageschrift hängen: „Verletzung des Kartellrechtes aufgrund von Preisabsprachen im Fördermittelsektor.“ Ihm stockt der Atem. Er hatte gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergehe. Heinrich spricht leise vor sich hin: „Wenn das jetzt auch noch rauskommt, dann sind wir im Arsch …!“ Sein Gesicht überzieht sich mit neurodermitischen roten Flecken und kaltem Schweiß. Schnell schluckt er eine seiner Pillen aus einer Perlmuttbox in der Innentasche seines Sakkos.

Der schwere Wagen fährt die Allee entlang und erreicht die Auffahrt des Hubertus-Schlösserls. Der väterliche Berater (VB) kommt mit ausgebreiteten Armen aus der Eingangstür und empfängt Heinrich Binoben kameradschaftlich. Dahinter erscheint zurückhaltend und ehrfurchtsvoll und leicht nach vorne gebückt eine hagere, großgewachsene, gut gekleidete, graumelierte Person, es ist Adolf Kreuzbrecher.

Heinrich Binoben läuft, begleitet vom VB, mit festem Schritt die Eingangstreppe nach oben. Der VB stellt beide gegenseitig vor. Adolf Kreuzbrecher begrüßt Heinrich Binoben mit festem Händedruck und direktem Blick.

Alle drei Herrschaften verschwinden nach oben in den Marmorsaal. Der VB wartet, bis alle eingetreten sind, und verabschiedet sich an der Tür mit den Worten: „I glab, an Anstandswauwau brachts ihr need …! I woard undn in da Orangerie …!“ Binoben nickt.

Beide nehmen Platz, Heinrich Binoben beginnt zu sprechen: „Herr Kreuzbrecher, zunächst vielen Dank, dass Sie Ihren Urlaub für unser Gespräch unterbrechen. Ich denke, ich muss mich nicht groß vorstellen, da man Sie sicherlich bereits über alles informiert hat. Ich mache keinen Hehl daraus, wie schwer die Situation augenblicklich für die AMIGO AG und für mich als Interim CEO und Aufsichtsratsvorsitzenden ist. Vor allem, wenn man von all den unschönen Dingen nichts gewusst hat. Unser ehemaliger CEO ist von allen Ämtern enthoben und befindet sich an einem unbekannten Ort.

Ich kann und werde diesen Konzern nur mit einem radikalen Neuanfang wieder auf Spur bringen. Dies ist die Grundvoraussetzung, das Vertrauen der Kunden und Investoren wieder zurückzugewinnen (spielt nervös mit seinem mit Brillanten besetzen Perlmuttfüller). Mit radikalem Neubeginn meine ich im Besonderen den Austausch der gesamten Führungsriege. Hierbei kommt dem neuen CEO eine entscheidende Rolle zu. Er muss Leitfigur nach innen und außen sein, er muss kompromisslos für Compliance und Kulturwandel stehen und dieses in seinem Tun und Handeln unantastbar vertreten.

Es bedarf also einer Führungsperson mit unerschütterlichem Durchsetzungsvermögen, die sich auf internationalem Parkett zu bewegen weiß und das entsprechende Netzwerk zu den Entscheidern der Wirtschaft und Politik bereits mitbringt. Hier darf es keine Kompromisse geben!“ Binoben hebt den Kopf und schaut Adolf Kreuzbrecher in die Augen.

Adolf Kreuzbrecher hält dem autoritären Blick von Binoben gelassen stand. Die Augen von Adolf Kreuzbrecher haben dabei eine Kälte, dass es Heinrich Binoben gefühlt fröstelt.

Herr Kreuzbrecher beginnt zu sprechen (österreichischer Dialekt): „Es ist mir in meiner Karriere gelungen, bereits zwei Grundsanierungen erfolgreich umzusetzen; Sanierungen brauchen ja immer einen Grund. Der erste war wegen ‚Bribe‘, wie die Amerikaner sagen. Man ist bei solchen grundlegenden Restrukturierungen auf eine hohe Loyalität des engsten Führungskreises angewiesen. Genauso wichtig ist das Lobbying nach innen und außen. Die Union, sprich Betriebsräte, müssen mitziehen; nach außen kann man den Buy-in der Investoren, Kunden und Behörden nur mit Taten gewinnen. Da gibt es kein Versteckspiel und kein einziger Fehltritt ist erlaubt!“

Heinrich Binoben zeigt sich beeindruckt und lehnt sich nach vorne: „Wie gut sind Ihre Kontakte zur US-Börsenaufsicht?“ Adolf Kreuzbrecher spricht leiser: „Bei dem letzten Strafverfahren, das auch durch die US-Börsenaufsicht initiiert wurde, habe ich den Leiter, Herrn Schwarzenfelder, kennengelernt. Wir haben über Monate zusammengearbeitet und ich konnte im Endergebnis die Strafe auf ein Drittel des beantragten Strafmaßes reduzieren. Dies ist nur gelungen, indem wir nachweislich den gesamten Zentralvorstand ausgetauscht sowie transparente Compliance-Prozesse nachhaltig eingeführt haben. Herr Schwarzenfelder ist Halbamerikaner mit österreichischen Wurzeln.“ Der Gesichtsausdruck von Adolf Kreuzbrecher bleibt ernst.

Binoben schlägt seine Krokodilledermappe auf und macht sich eine Notiz. Gleichzeitig überschlägt er im Kopf das Einsparungspotential (von 2 Mrd. USD auf ca. 700 Mio. USD) – er denkt: So viel kann ein Mensch gar nicht verdienen, dass sich das nicht für die AMIGO AG lohnen würde …

„Herr Kreuzbrecher, wie ist derzeitig Ihre berufliche Situation, ab wann wären Sie theoretisch verfügbar?“

Adolf Kreuzbrecher: „Wie Sie wissen, kann in den USA jeder Vertrag zu jedem Zeitpunkt gelöst werden. Es ist immer eine Frage der Entschädigungshöhe. Mein derzeitiger Zentralvorstandsvertrag läuft noch zwei Jahre und drei Monate.“

Heinrich Binoben macht sich erneut eine Notiz: „Was ist Ihr derzeitiges Salär, inklusive Boni, Shares usw.?“ Adolf Kreuzbrecher: „Gemittelt und einfach gesprochen ca. 6 Mio. USD.“ Heinrich Binoben notiert sich unbeeindruckt die Summe.

„Könnten Sie sich denn überhaupt vorstellen, sich als CEO der AMIGO AG solch einer Herausforderung zu stellen?“ Adolf Kreuzbrecher: „Ich würde keine Sekunde zögern!“ Er lehnt sich nach vorne: „Falls Sie beabsichtigen, meine Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, sollten Sie nicht allzu lange warten. Ich weiß, dass die AMIGO AG derzeit das zentrale Thema bei den US-Behörden ist. Ich bin weit davon entfernt, Sie unter Druck zu setzen, aber es bedarf einer konstruktiven Reaktion der AMIGO AG in den nächsten zwei Wochen. Ansonsten wird das Strafmaß einbetoniert, Sie wissen, was ich meine!“

„Könnten Sie uns in diesem kurzen Zeitfenster überhaupt noch helfen, die Höhe des Strafmaßes zu beeinflussen?“ Adolf Kreuzbrecher: „Ich könnte auf jeden Fall hinsichtlich der offiziellen Beantragung des Strafmaßes Aufschub erreichen, danach müssten aber seitens der AMIGO AG schnell Taten folgen!“

Binoben springt auf und reicht Herrn Kreuzbrecher die Hand: „Sie sind unser Mann! Bitte nennen Sie mir in den nächsten Tagen die Höhe der Vertragsablöse. Ich werde Ihnen bis übermorgen einen Fünfjahres-CEO-Vertrag zukommen lassen. Ich denke, die Höhe des Gesamtpaketes wird Ihre Dienstleistungen mehr als wertschätzen.“ Adolf Kreuzbrecher schlägt ein und verzieht keine Miene: „Auf gute Zusammenarbeit.“

Beide verlassen den Marmorsaal und gehen das Treppenhaus hinunter Richtung Ausgang. Im Foyer kommt ihnen der VB entgegen: „No, hab’z äch g’änigt …i sich scho, fräd mi!“

Adolf Kreuzbrecher begleitet Heinrich Binoben zum Wagen: „Morgen ist Aufsichtsratssitzung, dort werde ich unsere Vereinbarung bekannt machen. Ich rühre mich bei Ihnen, auf Wiedersehen!“ Abermaliges Händeschütteln.

Die schwere Limousine braust mit fliegenden Kieselsteinen davon.

Der neue CEO

HQ AMIGO AG, vor dem Palais am Zollamt, München

Die Neuigkeit der Ernennung eines neuen CEO aus Österreich für die AMIGO AG ist das zentrale Thema in allen Medien. Die Gazetten überschlagen sich mit Recherchen, wie es zu diesem schnellen Wandel kommen konnte. Kindheit, Elternhaus, Familienstand, Karriere … alles wird unter die Lupe genommen und kommentiert.

Die Familie Kreuzbrecher kommt ursprünglich aus dem Arbeitermilieu im Großraum Klagenfurt. Kreuzbrechers Vater, als der Jüngste von neun Geschwistern, hat Jura studiert und es als Einziger geschafft, sich von dem sozialen Status der Familie zu befreien. Als Kärntner hat er sich binnen kurzer Zeit einen Namen in Politik und Wirtschaft erarbeitet. Sein guter Ruf hat ihn über verschiedene politische Mandate bis hin zum Berater des österreichischen Bundeskanzlers geführt.

Sein Sohn, Adolf Kreuzbrecher, hatte nach seinem Wirtschaftsstudium aufgrund seines Vaters, Zugang zur „High Society“ von Österreich. Dies war sein Sprungbrett für eine internationale Karriere im Ausland, welche er überwiegend in den USA verbrachte. Sein unaufhörliches Engagement für Kärnten, ausländische Investoren für unterschiedlichste Industriebranchen zu finden, hat ihm den österreichischen Landmannsorden 1. Klasse eingebracht.

Adolf Kreuzbrecher hat sich in internationalen Wirtschaftskreisen einen Ruf als Verfechter von Business-Ethik und Moral erarbeitet, gilt als integer und ist ein gern gesehener Redner bei internationalen Wirtschaftsforen.

Adolf Kreuzbrecher ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne, welche derzeit in den USA leben.

Die Presse zollt Adolf Kreuzbrecher durchaus Vorschusslorbeeren und wartet gespannt auf seine offizielle Inthronisierung.

Nach einer Woche ist es so weit. Der neue CEO stellt sich und sein neues engstes Führungsteam der Öffentlichkeit vor.

Gulliver weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Vor drei Tagen hat ihn Heinrich Binoben plötzlich in sein Büro gebeten und ihm verkündet, dass er der neue Marketing Officer als Mitglied des neuen Führungskaders sei. Gulliver freut sich zwar, steht aber seiner Benennung aus verschiedenen Gründen durchaus skeptisch gegenüber. Er kennt die AMIGO AG einfach schon zu lange.

Es ist ein sonniger, aber windiger Tag, neben dem Balkon wehen zwei schräg montierte Fahnen mit dem neuen AMIGO-AG-Logo: weiß-rot-gold.

Das Rednerpult in der Mitte des Treppenaufgangs wird gesäumt von zwei großen Blumensträußen und einem roten Teppich vom Eingang bis zum Rednerpult. Unterhalb der Treppe sind Absperrungen, dahinter Kameras, Presseleute, Lautsprecherboxen; links und rechts Security-Leute; eine zweite Absperrungslinie für die Öffentlichkeit, dahinter Polizei-, Presse- und Krankenwägen.

Die Tür zum Palais wird geöffnet. Es ist ähnlich wie im Vatikan, es fehlt nur der weiße Rauch. Es wird ruhig auf dem Vorplatz; als Erstes treten Heinrich Binoben und Adolf Kreuzbrecher aus der Eingangstür heraus, dahinter reiht sich der neue Führungsstab auf.

Die Herren tragen dunkelblaue Anzüge. Frau van Hinton, als die neue HR-Verantwortliche trägt ein dunkelblaues Kostüm, die Anzüge von Herrn Abschuß als frischgebackener Operation Manager und von Herrn Freifall als der Finanzminister glänzen speckig in der Sonne. Einzig der Anzug von Herrn Schmerzfrei als neuer Sales Officer scheint neu zu sein. Die Krawatten sind einheitlich rot mit Goldfäden, passend zum neuen Logo.

Frau van Hinton trägt statt einer Krawatte einen farblich abgestimmten Seidenschal. Die Krawatte von Gulliver als neuer Marketing Officer ist ebenfalls rot, jedoch angereichert mit Applikationen von kleinen weißen Häschen, welche von einem passenden Einstecktuch mit gleichen Motiven flankiert werden. Frau van Hinton hebt leicht die Fußspitzen an, um rein zufällig die rote Ledersohle ihrer 3.000 EUR teuren Louboutin-Schuhe zu präsentieren.

Heinrich Binoben schreitet mit stolzer und entschlossener Haltung zum Rednerpult, das übersät ist mit Mikrofonen verschiedenster Mediensender. Seine ergraute Rechtsscheitel-Frisur wird vom Wind abwechselnd angehoben. Adolf Kreuzbrecher steht eine Schrittlänge versetzt neben ihm.

Heinrich beginnt: „Sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich außerordentlich –