Gut leben mit einem autistischen Kind (Fachratgeber Klett-Cotta) - Christine Preißmann - E-Book

Gut leben mit einem autistischen Kind (Fachratgeber Klett-Cotta) E-Book

Christine Preißmann

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Beschreibung

Mütter mit einem autistischen Kind berichten offen und persönlich über die speziellen Herausforderungen für die Familie und sie selbst. Was gibt Kraft und Mut? Wie können Krisensituationen besser gemeistert werden? Mit vielen Anregungen und Tipps zur Stärkung der eigenen Resilienz und Widerstandskraft. Ein autistisches Kind bringt Familien immer wieder an ihre Belastungsgrenzen. Fast immer sind es die Mütter, die sich neben Arbeit, Haushalt und Geschwisterkindern auch um Arztbesuche, Therapie und Förderung kümmern. Sie sind die ersten AnsprechpartnerInnen bei den häufig eingehenden Klagen und Beschwerden seitens der Schule und der Umwelt. Das Buch hilft Müttern dabei, - zu lernen: Was gibt anderen betroffenen Müttern Halt und Kraft? - zu einem individuell für sie passenden resilienten Lebenskonzept zu finden - die Empfehlungen von Autismus-Experten auf ihre Situation zu übertragen. Mütter brauchen Unterstützung,damit Familien mit einem autistischen Kind funktionsfähig bleiben. Dieses Buch richtet sich an: - Mütter von Menschen mit Autismus - Alle Interessierten >> Hier können sie sich den Kurzvortrag von Dr. Christine Preißmann bei der Autismus-Anhörung im Landtag Baden-Württemberg anhören. >>Hier finden sie die Broschüre "Autismus in Bilder"

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Seitenzahl: 247

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CHRISTINE PREISSMANN

Gut leben mit einem autistischen Kind

Das Resilienzbuch für Mütter

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Weiß-Freiburg GmbH –Graphik & Buchgestaltung

Titelbild: © Maksim Kostenko_Fotolia

Gesetzt in den Tropen Studios, Leipzig

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-86046-7

E-Book: ISBN 978-3-608-10786-9

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20268-7

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Schnelleinstieg

◾ Was ist Resilienz

◾ Resilienzfaktoren

◾ Erfahrungsberichte von Müttern autistischer Kinder

Eva Müller

Katrin Sickel

Johanna Stadler

Yvonne Schulz

Andrea Dünow

Hanne Fink

Annette Hocher

◾ Was Mütter für sich tun können

◾ Was autistischen Kindern hilft

◾ Die Arbeit des AWO-Instituts in Braunschweig

◾ Praktische Hilfe und Tipps

Inhalt

Vorwort

1 Resilienz – mit Krisen kreativ umgehen, Belastungen als Chancen nutzen

Einführung

Resilienz

Praktische Anwendung

Resilienzfaktoren

Die Geschichte vom 50-Dollar-Schein

2 Erfahrungen und Erlebnisse von Müttern autistischer Kinder

Von potenziertem Stress und dem Aufbruch zu neuen Ufern – Eva Müller

Mein Leben ist Espresso – Katrin Sickel

Mein Leben mit einem Asperger-Kind oder: Das Märchen von der fröhlichen Rama-Familie – Johanna Stadler

Alles Erziehungssache!? – Yvonne Schulz

Ein Autist kommt selten allein – Andrea Dünow

Die Wohnungstür klappt zu … nun bin ich allein! – Hanne Fink

Wunschkind – Annette Hocher

3 Resilienz – Was können betroffene Mütter für sich tun?

4 Resilienz – auch die betroffenen Kinder stärken

5 Hilfe für Mütter von Menschen mit Autismus – therapeutische Unterstützung

Vielfältige Anforderungen an die betroffenen Mütter

Komponenten der therapeutischen Behandlung

6 AWO-Institut für ambulante systemische Lösungen in Braunschweig: Wie können wir Müttern von Kindern mit Autismus helfen?

Cornelia Wittig, Dorothea Fischer

7 Praktische Tipps: Welche weiteren Hilfen sind möglich?

Hilfen für Mütter von Menschen mit Autismus

Hilfen für die betroffenen Menschen selbst

Literatur

Vorwort

Liebe Leserin – und lieber Leser,

ein Resilienzbuch für Mütter autistischer Menschen, das ist eine neue Herangehensweise an das Thema Autismus, über die ich mich sehr freue und für deren Realisierung ich den Mitarbeitern des Verlags Klett-Cotta, insbesondere Frau Dr. Treml-Begemann, herzlich danke.

Eltern betroffener Menschen sind in vielfältiger Weise Belastungen ausgesetzt, die meist weit über das hinausgehen, was andere Eltern erleben. Diese Situationen, Erlebnisse und Erfahrungen sind schwierig und schmerzhaft, aber sie können auch eine Chance sein, persönlich zu wachsen.

»Unter jedem Dach wohnt ein Ach«, heißt es kurz und prägnant in einem Sprichwort. Ja, so ist das wohl, jeder hat sein Päckchen zu tragen, und ich will es ganz bestimmt nicht schmälern. Aber unter jedem Dach wohnt darüber hinaus eben auch ein Mensch mit ganz vielen Fähigkeiten und Ressourcen, mit Lebenskraft und Ausdauer, mit Wünschen, Zielen und Träumen. Dies alles gilt es in schwierigen Zeiten zu aktivieren, und nur wer lernt, Krisen zu bewältigen, findet sein Glück.

Auch aus meiner eigenen Biografie weiß ich, dass gerade die Zeiten, die ich als ungerecht und als übergroße Belastungen empfand, in Wirklichkeit riesige Geschenke für mich waren. Sie ermöglichten es mir, die richtige Art von Hilfe zu erhalten, die mich voranbrachte, und sie halfen mir, den Blickwinkel ein bisschen zu verändern. Wenn man glaubt, alles verloren zu haben, die eigene Gesundheit und vielleicht auch das Leben, dann merkt man erst, was im Leben wirklich zählt und wie unbedeutend manche Dinge sind, die vorher wichtig schienen. Ich möchte diese schweren Zeiten niemals noch einmal durchleben müssen. Aber ich möchte noch viel weniger auf diese Erfahrungen verzichten und auf die Kraft, die ich dadurch erhalten habe. Ich fühle mich besser und leistungsfähiger als je zuvor, und es ist mir ein großes Anliegen, das auch Ihnen, liebe Leserin – und vielleicht auch lieber Leser – zu vermitteln und Sie zu ermutigen, in ähnlicher Weise herausfordernde Situationen als eine Chance zu begreifen.

Mich erfüllt tiefer Respekt vor der Lebensleistung vieler, vieler Eltern, Mütter wie Väter autistischer Menschen, die nicht müde werden, sich dafür einzusetzen, dass ihre Kinder und auch die nachfolgenden Generationen von Betroffenen ein schönes und erfülltes Leben führen können. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für all das, was Sie für Ihre Kinder und auch für die Gesellschaft tun. Es ist mein Wunsch, Ihnen nun in diesem Buch auch ein paar Anregungen zu geben, was Sie ganz gezielt für sich tun können, denn ich bin davon überzeugt, dass die meisten von Ihnen deutlich zu kurz kommen. Das alles wird Ihnen auch in Zukunft schwierige Zeiten, Schmerzen und Enttäuschungen nicht ersparen können, aber es soll Ihnen die Kraft und die Hoffnung vermitteln, danach auch wieder aufstehen zu können.

Ich bedanke mich bei den lieben Menschen, die mir in meinem bisherigen Leben geholfen haben, Krisensituationen zu meistern: bei meinen lieben Eltern, die stets für mich da sind. Bei meinen Therapeutinnen aus Psycho- und Ergotherapie, Frau Dipl.-Psych. Elke Sauerwein, Frau Meike Miller und Frau Julia Treusch, die mir in schwierigen Zeiten immer wieder Mut und Hoffnung vermitteln. Bei den meist ehrenamtlichen Mitarbeitern aus den Autismusverbänden, die mich vor allem in der ersten Zeit bei meiner Suche nach Erklärungen unterstützt haben, und bei all den ungenannten Menschen, die mir einfach immer dann mit liebevoller Zuwendung begegnet sind, wenn es besonders nötig war.

Ich kann nachvollziehen, was der französische Schriftsteller Albert Camus meint, wenn er schreibt: »Mitten im tiefsten Winter erkannte ich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.« Diese Erfahrung wünsche ich auch Ihnen.

Darmstadt, im September 2014 Christine Preißmann

1 Resilienz – Mit Krisen kreativ umgehen, Belastungen als Chancen nutzen

Resilienz bezeichnet die innere Stärke eines Menschen, Konflikte, Misserfolge, Niederlagen, Lebenskrisen und persönliche Schicksale zu meistern. Sie ist eine Art seelische Widerstandsfähigkeit oder Unverwüstlichkeit, gewissermaßen das »Immunsystem der Seele«.

Für Mütter autistischer Kinder hält das Leben eine Fülle von Herausforderungen bereit, die es zu meistern gilt, und vielen gelingt es, diese Situationen als Herausforderungen anzunehmen, sich ihnen zu stellen und oftmals sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Ein Stehaufmännchen kann als Sinnbild dafür gelten, denn diese Spielzeugfigur besitzt die Fähigkeit, ihre aufrechte Haltung aus jeder beliebigen Lage wieder einzunehmen. Was immer ihm widerfährt, es bleibt nicht am Boden liegen, sondern steht rasch wieder aufrecht da.

Resilienz ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe der Entwicklung erlernt. Aber auch im späteren Leben sind Resilienz und psychische Belastbarkeit trainierbar. In diesem Kapitel wird daher ein Einblick gegeben in die aktuelle Resilienzforschung. Es werden Faktoren dargestellt, die in der Kindheit hilfreich sind, aber auch solche, die in jedem Lebensalter die seelische Widerstandsfähigkeit stärken und uns helfen, belastbarer zu werden.

Einführung

Ein autistisches Kind zu haben, ist für Eltern auch heute nicht leicht. Trotz aller Kenntnisse und Fortschritte stellt ein Kind, das sich zu sehr von den Alterskameraden unterscheidet, nach wie vor eine große Herausforderung dar. Vor allem die betroffenen Mütter sind zahlreichen Anforderungen hinsichtlich Haushalt, Partnerschaft, Erziehung und oft auch eigener Berufstätigkeit ausgesetzt, die sie in aller Regel deutlich überfordern. Auch gilt es, schwierige und unverständliche Verhaltensweisen des Kindes gegenüber anderen Menschen zu erklären, für Toleranz und Verständnis zu werben und so quasi als Vermittler zwischen der autistischen Welt und der Umgebung aufzutreten.

Für fast alle von ihnen war es natürlich kein primärer Wunsch, ein behindertes Kind zu haben. Viele der eigentlich erwarteten schönen Momente bleiben aus. Es ist schwer, wenn Zärtlichkeiten und Emotionen nicht erwidert werden, wenn das Kind sich vielleicht gar nicht für die Eltern zu interessieren scheint und häufig vor allem dann entspannt und glücklich wirkt, wenn es sich abseits von anderen Menschen allein beschäftigen kann. Vorgestellt aber hatte man sich ein Leben mit einem charmanten Kind, das seine Eltern mit Stolz erfüllt und das man gern der Umgebung zeigt.

Die Resilienzforschung beschäftigt sich damit, wie es gelingen kann, trotz aller Schwierigkeiten nicht zu verzweifeln, sondern aufgrund der individuellen Kompetenz auf psychosoziale Anforderungen, schwerwiegende Lebensverhältnisse oder stark belastende zwischenmenschliche Krisen sich selbst schützend zu reagieren. Es ist wichtig, eine Lebenseinstellung zu erlangen, die den Blick auch in widrigen Situationen zuverlässig nach vorn lenkt, eine Haltung, die auf Gelassenheit und Selbstsicherheit beruht. Das Ziel ist dabei nicht unbedingt, alle Krisen des Lebens umgehen zu können, sondern vielmehr auch in diesen Momenten handlungsfähig zu bleiben und in einer angemessenen Zeit auch schwere Belastungen oder Traumatisierungen zu bewältigen, längerfristig Krisen als Chancen wertzuschätzen und gestärkt aus ihnen herauszugehen.

Resilienz

Verglichen mit früheren Zeiten, ist das Leben heute für viele Menschen härter und schwieriger geworden. Im Berufsalltag wird immer mehr Leistung in immer kürzerer Zeit verlangt, werden die Ansprüche an Flexibilität, Sorgfalt, Effizienz und Professionalität immer höher. Aber auch in Freizeit, Partnerschaft und Familie warten immer neue Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Dass Faulsein und Langeweile Kreativität begünstigen und neue Kraft schenken, wird meist ignoriert. Ein hohes Ansehen erlangen dagegen Menschen, die parallel in Beruf, Partnerschaft und spektakulären Hobbys Erfolge vorweisen können.

Oft aber bedeutet das eine immense Überforderung, die sich durch psychische und /oder körperliche Symptome bemerkbar machen kann. Das ist meist ein schleichender Prozess, den man anfangs gar nicht so recht bemerkt und der sich auf verschiedene Menschen ganz unterschiedlich auswirkt. Häufige Symptome sind Kopf- und Rückenschmerzen, Konzentrationsstörungen, Verdauungsprobleme, Herzrasen, Unruhe und Schlafstörungen, man fühlt sich immer mehr unter Druck und hat schließlich das Gefühl, die Anforderungen nicht mehr bewältigen zu können. Es kann zum »Burn-out« kommen, der sich im Grunde nicht wesentlich von einer schweren Depression unterscheidet.

In solchen Fällen ist es also gut, so etwas wie »Hornhaut auf der Seele« zu haben, und es gibt Menschen, die auch durch größten Stress und schwierigste Erlebnisse kaum zu erschüttern sind. Diese Fähigkeit bezeichnet man als Resilienz, und mit diesem Phänomen beschäftigen sich die Forscher erst seit den 1990er-Jahren. Während sie sich zuvor ausschließlich damit befasst haben, welche Faktoren ungünstig sind und krank machen, erkunden sie nun immer mehr, auf welche Weise lebenstüchtige Menschen durch die Krisen ihres Lebens gelangen, welche Strategien sie dabei anwenden und welche Ressourcen sie dafür bereithalten.

Resilienz ist keine unveränderliche Eigenschaft. Das angeborene »Stehaufmännchen-Gen« ist eher die Ausnahme, viel häufiger bilden Menschen erst im Laufe ihres Lebens diese innere Festigkeit aus, indem sie die Höhen und Tiefen ihres Daseins meistern. Widerstände und Prüfungen zwingen sie, alle verfügbaren Ressourcen und Potentiale zu aktivieren und an ihren Aufgaben zu wachsen (Wellensieku.Galuska 2014, 60). Und obwohl die Fundamente bereits in der Kindheit gelegt werden, lässt sie sich mit den richtigen Strategien dann, wenn keine günstigen Voraussetzungen dafür vorhanden waren, auch später noch ein Leben lang weiterentwickeln und stärken.

Entwickelt wurde das Resilienzkonzept aufgrund einer Langzeitstudie von Emmy Werner, einer amerikanischen Entwicklungspsychologin. Sie beobachtete über 700 Kinder, die 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden und in ganz unterschiedlichen Verhältnissen aufwuchsen, von Kindheit an über vierzig Jahre hinweg (Werner 1971 und 1992). Werner bemerkte: Auch wenn die Startbedingungen noch so schlecht sind, gelingt es manchen Menschen, ihr Leben zu meistern, und sie konnte einige Faktoren definieren, die die Kinder bzw. Erwachsenen, die sie als »resilient« bezeichnete, von den übrigen unterschied. Dabei handelte es sich um spezifische Persönlichkeitsmerkmale und um schützende Faktoren innerhalb der Familie bzw. Gemeinde.

Zu diesen Schutzfaktoren zählte Werner

ein positives Temperament

Kommunikations- und Problemlösefähigkeit

Selbstvertrauen

Zukunftsorientierung

die Fähigkeit zum Planen

die Position als Erstgeborenes in der Familie

ein kompetentes Verhalten der Mutter

die Verfügbarkeit einer engen Bezugsperson (Familienangehörige, Lehrer, Pfarrer o.ä.), die Sicherheit und Zuverlässigkeit vermittelte und die Kinder bei allem, was sie taten, unterstützte

und die Erfahrung von Akzeptanz und Respekt.

Praktische Anwendung

Ausgehend von der Resilienzforschung bei Kindern fand das Thema schließlich auch in die Erwachsenenpsychologie Eingang (Kasper 2008). Neben spezifischen Maßnahmen für einzelne Risikogruppen wurden in jüngerer Zeit aber auch Programme konzipiert, die der Steigerung der Resilienz breiterer Teile der Bevölkerung dienen sollen. Ein Beispiel dafür ist die in ihren Dimensionen bislang einzigartige Kampagne zur Resilienzförderung in Amerika nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Man hatte anhand von Befragungen ermittelt, dass bei den meisten Menschen eine permanente Angst vor weiteren Anschlägen bestand. Das Ziel der Maßnahme bestand nun darin, ihnen aufzuzeigen, wie man konstruktiv mit Gefühlen der Bedrohung und der Unsicherheit umgehen und adäquate Strategien in der Konfrontation mit chronischem Stress erwerben kann (Newman 2005). Die Resilienz ist also ein wichtiges Thema nicht nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder lebensgeschichtlichen Risikokonstellationen geworden, und sie gewinnt auch in der Erwachsenenbildung und im Hinblick auf Organisationsentwicklung immer mehr an Bedeutung.

Resilienzfaktoren

Der Umgang mit Schicksalsschlägen ist sehr individuell, und es ist auch nicht unerheblich, welches Unglück welche Person heimsucht. Ein Mensch, der nach dem plötzlichen Verlust eines nahen Angehörigen wieder neuen Lebensmut schöpft, muss nicht unbedingt in der Lage sein, auch eigene schwere Erkrankungen oder berufliche Misserfolge gut zu verarbeiten. Trotz aller Individualität aber ist es möglich, Faktoren aufzuzählen, die eine starke Seele ausmachen und die Menschen dabei helfen, möglichst gut durchs Leben zu kommen. Sie sollen zunächst allgemein und in einem späteren Kapitel speziell im Hinblick auf Mütter von Menschen mit Autismus und auf die Betroffenen selbst beschrieben und erläutert werden.

Krisen als Chancen begreifen

Wichtig ist vor allem die Bereitschaft, sich den alltäglichen Herausforderungen zu stellen, statt sich vor ihnen zu drücken. Die Erfahrung, Krisen bewältigen und schwierige Aufgaben meistern zu können, gehört nämlich zu den wichtigsten Voraussetzungen für Resilienz. So entwickelt man im Laufe des Lebens eine Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die sich auch für zukünftige Anforderungen nutzen lassen. Das funktioniert schon bei kleinen Kindern, beispielsweise beim Laufenlernen. Das Hinfallen ist gewiss keine angenehme Situation, aber durch Aufstehen ohne fremde Hilfe erlangen die Kinder Selbstbewusstsein und das Wissen, auch zukünftig in die eigenen Fähigkeiten vertrauen zu dürfen. Wenn sie erst allein aufgestanden sind, werden sie zu der Überzeugung gelangen, auch künftig ähnliche Anforderungen meistern zu können.

Neben den Ressourcen, die jeder einzelne Mensch hat, ist aber für die Bewältigung von Schwierigkeiten auch die Fähigkeit nötig, diese gezielt nutzbringend einzusetzen. Das lässt sich im Hinblick auf Krisensituationen etwa erlernen, indem man sich regelmäßig daran erinnert, dass und wie man in der Vergangenheit Tiefpunkte überstehen konnte. Auch wenn man also nichts daran ändern kann, dass sehr unangenehme Dinge passieren, so kann man doch beeinflussen, wie man solche Krisen interpretiert und darauf reagiert.

Es ist wichtig, Veränderungen und Unsicherheiten als Chancen zu sehen, als eine Möglichkeit, voranzukommen und sich zu entwickeln. Denn nie entwickeln wir uns stärker als in Krisensituationen. In der Regel aber merken wir dies erst mit etwas Abstand.

Misserfolge umdeuten

Robert Biswas-Diener ist ein bekannter Glücksforscher und für seine Forschungen über ein emotional gutes Leben durch die ganze Welt gereist. Er betont, dass er die wichtigsten Lektionen über das Glück nicht anhand seiner Studienergebnisse erhielt, sondern durch Misserfolge und Schwierigkeiten bei der Durchführung seiner Forschungen: »Ich wollte etwas Abenteuerliches außerhalb meiner Wissenschaftlerpflichten erleben, also beschloss ich, von einem Fischerlager bis zur nächsten Siedlung zu wandern – ungefähr vierzig Kilometer (…). Nach etwa acht Stunden war mein Weg jedoch durch die Stirnseite eines massiven Gletschers blockiert. Ich hatte die Wahl: Entweder konnte ich versuchen, den Gletscher zu ersteigen und zu überqueren – ein sehr gefährliches Unterfangen –, oder ich konnte umkehren, die acht Stunden zum Lager als Gescheiterter zurückgehen und hoffen, dass meine Gefährten es noch nicht verlassen hatten (in diesem Fall würde ich wahrscheinlich an Unterkühlung sterben). Mein Ziel war es, die Siedlung zu erreichen, und ich wollte dies unbedingt schaffen. Trotzdem entschied ich mich schließlich für den vorsichtigeren Weg und ging zurück in Richtung des Lagers. Beim Gehen, mit schmerzenden Füßen und fallender Körpertemperatur, passierte etwas: Ich begriff, dass ich nur ein Ziel durch ein anderes ersetzt hatte. Mein neues Ziel war es, sicher zurückzukommen, vorsichtig zu sein, um zu überleben und meine Frau und meine Kinder wiederzusehen – ein Ziel, das nicht weniger wertvoll war als mein ursprüngliches. Indem ich flexibel dachte, gelang es mir, einen wahrgenommenen Misserfolg begrifflich umzudeuten und meine Wanderung neu zu betrachten: als Erfolg.« (Bormans 2012, 23)

Hier wird deutlich: Manchmal stehen den scheinbar wertvollsten Zielen ernst zu nehmende Hindernisse im Weg. Dann sind wir nicht selten frustriert und enttäuscht. Aber wenn wir lernen, flexibel über unsere Ziele nachzudenken und sie angesichts eines Fehlschlags anzupassen, können wir uns sogar glücklicher fühlen als zuvor und eine wahrgenommene Niederlage in einen Erfolg umdeuten.

Optimismus und Freude

Es ist wichtig, Rückschläge als vorübergehend und veränderlich zu betrachten, nicht jeden Fehler bei sich selbst zu suchen und daran zu glauben, die Lage auch wieder verbessern zu können. Optimistische Menschen gehen davon aus, dass sie immer wieder aufstehen, weil sie an sich glauben und sich nicht unterkriegen lassen. Es geht also nicht darum, keine negativen Gefühle zu haben, sondern vielmehr um die Gewissheit, dass sich die Lage auch wieder bessern wird.

Dieser Optimismus ist zu einem gewissen Teil angeboren, aber er lässt sich auch später noch erlernen. So hat man durch Untersuchungen festgestellt, dass Menschen von einem gezielten »Stärkentraining« profitieren können, das seither in Schulen und an Universitäten in den USA Anwendung findet. Die Teilnehmer lernen hier, wie es möglich ist, eigene positive Gefühle zu verstärken, wie sie sich entspannen können und wie sie mit anderen besser zurechtkommen. Als Ergebnis traten Ängstlichkeit und depressive Symptome deutlich seltener auf als zuvor, der Optimismus der Probanden wurde verstärkt (Seligman et al. 2005). Als einfach durchzuführende Maßnahme empfehlen Seligman und seine Kollegen, an jedem Abend vor dem Zubettgehen drei Dinge aufzuschreiben, die an diesem Tag gut gelaufen sind. Sie konnten beobachten, dass diejenigen Studienteilnehmer, die gezielt über die positiven Ereignisse des Tages nachdachten, auch bei der Nachuntersuchung sechs Monate nach Abschluss des Trainings noch eine optimistischere Grundhaltung und weniger depressive Symptome aufwiesen.

Was einen Menschen glücklich macht, ist höchst individuell. Für den einen sind es die ersten Frühlingsknospen oder ein freier Tag, um einfach mal ausschlafen zu können, andere freuen sich über den Anruf von lieben Menschen, die Erinnerung an die letzte Bergwanderung oder ein leckeres Dessert. Es ist hilfreich, sich immer wieder bewusst an freudige und glückliche Momente zu erinnern. Man fokussiert sich auf diese Freude und erlebt sie aufs Neue. Das funktioniert übrigens auch für andere positive Emotionen, und das ist eine sehr wirksame Form der Wahrnehmungslenkung. Je öfter wir auf diese Weise unsere Aufmerksamkeit für ein paar Minuten auf die guten Momente bündeln, desto mehr stimmen wir unser Gehirn darauf ein, in jeder Lage bevorzugt das Erfreuliche herauszufiltern und wahrzunehmen. Wir trainieren auf diese Weise also, optimistisch zu sein.

Aber: Alles durch eine rosarote Brille zu sehen, ist natürlich nicht realistisch. Um gut durchs Leben zu kommen, brauchen wir die ganze Bandbreite unserer Gefühle und Wahrnehmungen. Wer Negatives komplett ausblendet, landet schnell bei Blauäugigkeit und Leichtsinn. Optimismus bedeutet nämlich auch die gute Balance zwischen klugem Innehalten und freudiger Zuversicht (Fox 2014).

Akzeptanz

Wenn man sich wehrt gegen bereits gemachte Erfahrungen, gegen Veränderungen und Krisen, aus denen man lernen könnte, dann tritt man auf der Stelle. Das, was in der Vergangenheit war, ist nämlich nicht mehr zu ändern, und auch die aktuellen Umstände können wir uns nicht immer aussuchen. Manche Entscheidungen haben Positives bewirkt, andere waren vielleicht nicht so glücklich. Jedoch ließ alles, was wir in der Vergangenheit getan oder unterlassen haben, uns zu der Person werden, die wir heute sind.

Energien, die in die Vergangenheit gerichtet sind, also Überlegungen wie »… hätte ich damals nur einen anderen Beruf erlernt /einen anderen Mann geheiratet /mich in dieser oder jener Situation anders entschieden«, nutzen uns wenig. Das ist nicht mehr zu ändern. Aber wir können entscheiden, wie wir damit umgehen. Wir müssen die Vergangenheit nicht stets als Ursprung aller Probleme sehen, wir können sie auch als eine Quelle der Kraft begreifen. Mit einer solchen Haltung entscheiden wir selbst, wie wir uns unserer eigenen Geschichte stellen, und übernehmen so die Verantwortung für unser aktuelles Wohlbefinden.

Sinnvoll ist es außerdem, auch in die Zukunft zu schauen und zu überlegen, was ab sofort anders (besser) werden soll und wie wir das ganz konkret umsetzen können. »Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie selbst zu gestalten«, sagte Willy Brandt, ehemaliger Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger. Entscheidend dafür sind realistische, möglichst konkrete Ziele, die diese Mühen lohnen. Setzen Sie sich also Ziele, aber nehmen Sie die Dinge auch hin, wie sie kommen. Um glücklich zu sein, müssen wir genießen, was wir haben, und dankbar sein dafür (Bormans 2012).

Soziale Kontakte

Verlässliche soziale Beziehungen machen es leichter, Wege aus der Krise zu finden und ein Netzwerk von Unterstützern aufzubauen, auf die man in schwierigen Zeiten zählen kann. Gute Beziehungen zur Familie, zu Freunden und auch zu anderen Menschen gehören daher zu den wichtigsten Faktoren für eine starke Persönlichkeit, für Glück und Gesundheit. Friedrich Lösel, Psychologe und Kriminologe, interessiert sich dafür, welche Chancen es für Kinder aus schwierigen sozialen Milieus gibt. »Der allergrößte Schutz im Leben ist Bindung«, fasst er seine Erkenntnisse zusammen. Die Bindung an eine Bezugsperson, die sich liebevoll um die Kinder kümmert und auf ihre Bedürfnisse reagiert, die Grenzen setzt und Orientierung bietet und ihnen das Gefühl vermittelt, unabhängig von Leistung oder Wohlverhalten geliebt zu werden, macht sie stark fürs Leben (Lösel u. Farrington 2012).

Entscheidend ist in jedem Lebensalter das Vorhandensein guter Freunde. In Interessengemeinschaften, Aktionsgruppen, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Verbänden lassen sich oft Gleichgesinnte finden. Die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz sind aber bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt und müssen beachtet werden, um sich stabil und sicher fühlen zu können in der Gegenwart des anderen.

Selbstwirksamkeit

Selbstwirksam ist man dann, wenn man fest davon überzeugt ist, trotz größerer Schwierigkeiten ein Ziel erreichen zu können. Es geht also darum, sich der eigenen Kompetenzen besser bewusst zu werden und Vertrauen zu haben in die eigene Stärke. Auhagen (2004, 17) definiert Selbstwirksamkeit als »die Überzeugung, wirksam Einfluss auf ein Geschehen nehmen zu können und so das zu erreichen, was man erreichen möchte«.

Ein sinnvoller Schritt hin zu mehr Selbstwirksamkeit kann es sein, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und auszuleben, sich mehr Zeit zu nehmen für die Dinge, die einem selbst wichtig sind. Sie führen zu Wohlbefinden und neuer Energie auch für alltägliche Anforderungen. Vertrauen in die eigene Stärke können wir nämlich nur dann empfinden, wenn wir nicht ständig vollkommen erschöpft sind.

Der Soziologe Aaron Antonovsky analysierte, was Menschen brauchen, um gerade in schwierigen Situationen gesund zu bleiben (Antonovsky 1997). Nach seiner Überzeugung brauchen wir dabei ein Gefühl von Stimmigkeit (Kohärenz). Wenn wir in problematischen Situationen sagen können: »Das ist stimmig, das passt«, dann können wir anstehende Herausforderungen viel eher annehmen und mittragen. Dieses Kohärenzgefühl gliederte Antonovsky in die folgenden drei Aspekte:

Das Gefühl von Verstehbarkeit: Die Herausforderungen werden als verständlich, nachvollziehbar und durchschaubar erlebt.

Das Gefühl von Handhabbarkeit: Den Herausforderungen stehen passende eigene Ressourcen zur Bewältigung gegenüber. Belastende Ereignisse passieren, man kann jedoch damit umgehen.

Das Gefühl von Sinnhaftigkeit: Das Leben wird als sinnvoll wahrgenommen, und die Auseinandersetzung mit der Herausforderung wird als lohnenswert bewertet.

Inzwischen konnten zahlreiche Untersuchungen belegen, dass ein hohes Kohärenzgefühl mit einer besseren psychischen Gesundheit und einer höheren Lebensqualität einhergeht, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Klasse und Bildungsniveau (Erim 2013).

Sicherheit und Stabilität

Eine gewisse Stabilität in allen Lebensbereichen ist eine wichtige Voraussetzung für menschliches Wohlbefinden. Auch aus diesem Grund tragen eine gute Ausbildung und eine sichere Arbeitsstelle, eine glückliche Partnerschaft, eine angemessene Wohnsituation, finanzielle Stabilität, gute Gesundheit, aber auch ein spirituelles oder religiöses Leben zum ganz persönlichen Glück bei (u.a. Bormans 2012). Ebenso entscheidend ist auch ein sicheres Lebensumfeld ohne Angst vor Verbrechen.

Die moderne Zeit bietet viele Chancen, birgt aber auch Risiken. Verbindliche Lebensentwürfe und Gewissheiten sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Ständig verändert sich alles, das Tempo und der Druck steigen, langjährige stabile Partnerschaften oder Arbeitsstellen, die wir über Jahrzehnte behalten können, sind längst nicht mehr die Regel.

Es ist daher wichtig, neben all den Unwägbarkeiten des Lebens ganz gezielt auch nach Stabilität zu suchen, Routinen und Rituale zu entdecken, die etwas Beständiges haben und daher Sicherheit vermitteln. Das kann ein fester Tagesablauf sein, der vor allem in schwierigen Zeiten Halt gibt, die kirchliche Zeremonie oder eigene Interessensgebiete, insbesondere im sportlichen Bereich, die nach festen Regeln ablaufen und damit vorhersehbar sind.

Veränderungen zulassen

Gleichzeitig aber hilft es sehr, wenn man nicht ausschließlich an Gewohnheiten festhält, sondern auch offen und neugierig ist für Neues und für Veränderungen, auch wenn diese auf den ersten Blick nicht immer positiv erscheinen.

Manchmal ist es sinnvoll, aktiv kleine Veränderungen im Alltag vorzunehmen. Das fördert Flexibilität und Wissen, zu viel Sicherheit dagegen macht unflexibel. So kann man z.B. immer wieder einmal neue Kochrezepte ausprobieren, in Ausflügen unbekannte Gegenden erkunden etc. Indem wir nicht aufhören, neugierig und bereit zu sein, Neues zu lernen, wachsen wir als Person.

Verantwortung übernehmen

Wer die Verantwortung an der eigenen Lage immer nur anderen zuschiebt, fühlt sich immer mehr in der Opferrolle. Daher ist es wichtig, in allen schwierigen Lebenslagen, ob selbst verschuldet oder nicht, die Kontrolle über das eigene Leben zu übernehmen, Verantwortung zu tragen und daran zu denken, dass man selbst aktiv etwas tun kann, um die seelische Widerstandskraft zu erhalten und wieder neuen Lebensmut zu schöpfen.

Die schlimmsten und folgenreichsten Stressauslöser sind Situationen, auf die man (tatsächlich oder vermeintlich) keinen Einfluss hat. Menschen werden immer dann mutlos, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre eigenen Entscheidungen irrelevant für den Lauf ihres Schicksals sind. Es ist also wichtig, selbst aktiv zu werden und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

Selbstwahrnehmung, Selbstkenntnis und Realitätssinn

Es ist notwendig, sich selbst gut zu kennen, über die eigenen Stärken wie Schwierigkeiten möglichst detailliert Bescheid zu wissen, um realistisch aus der Fülle an Lebensentwürfen auswählen zu können und auf ganz eigene Weise, mit den eigenen Bedürfnissen und Voraussetzungen, glücklich werden zu können.

Wie sehen wir uns also selbst? Wie ist unsere ganz eigene Kombination von Eigenschaften, Fähigkeiten, Einstellungen und Wertvorstellungen? Was können wir gut, was fällt uns eher schwer? Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl hängen eng mit unserer Selbstwahrnehmung zusammen. Aber auch dann, wenn die Wahrnehmung gerade eher überwiegend negativ gefärbt ist, wenn wir in schwierigen Situationen stecken – wir sind als Mensch immer gleich viel wert. Das soll die folgende kleine Geschichte verdeutlichen (aus: Engelmann 2014, 18).

Die Geschichte vom 50-Dollar-Schein

Eines Tages hielt ein Professor in einer Vorlesung einen nagelneuen 50-Dollar-Schein hoch und fragte seine Studenten, wer von ihnen diesen Schein haben wollte. Alle meldeten sich. Daraufhin faltete der Professor den Schein ein paar Mal und stellte die Frage erneut. Wieder meldeten sich alle. Der Professor nahm nun den Schein, warf ihn auf den Boden und trat ein paar Mal darauf herum. Dann schüttete er Dreck auf den Boden, nahm den Schein und zog ihn einmal hindurch. Ein letztes Mal hob er den Schein, der nun nicht mehr neu und schön war, hoch und fragte seine Studenten, wer den Schein nun noch haben wollte. Wieder gingen alle Finger in die Höhe.

Daraufhin sagte der Professor: »Sehen Sie, was auch immer ich mit dem Schein gemacht habe, er hat seinen Wert nicht verloren, und Sie haben das erkannt. Und so wie mit dem Schein ist das auch mit Ihrem Selbstwert. Egal, ob jemand Sie zusammenfaltet, auf Ihnen herumtritt oder Sie gar durch den Dreck zieht– Sie haben immer denselben Wert! Sie sind immer gleich wertvoll, unabhängig davon, was andere mit Ihnen machen.«

Es ist nicht notwendig, alle als relevant beschriebenen Fähigkeiten auf einmal zu besitzen, um Krisen erfolgreich bewältigen zu können. Auch einige wenige dieser starken Eigenschaften sind oft ausreichend. Notwendig ist es dabei jedoch, dass man sich selbst gut kennt und Bescheid weiß, über welche Ressourcen und Fähigkeiten man ganz persönlich verfügt und wie man sie gewinnbringend einsetzen kann.

Gut für sich selbst sorgen

Für jeden Menschen wichtig und unerlässlich ist es aber, auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu achten, immer wieder gezielt Dinge zu tun, an denen man ganz persönlich Freude hat und die man entspannend findet.

Wenden Sie also Zeit und Energie für das auf, was Sie interessiert. Vor allem körperliche Aktivitäten sind dabei wichtig, idealerweise als eine sinnvolle Kombination aus Bewegung und Entspannung. Das alles stärkt Körper und Seele, um auch in schwierigen Zeiten zu bestehen.

Halten Sie Ihre Augen und Ohren offen für die Schönheit ringsum. Man kann Glücksgefühle erleben, wenn man etwa Vögeln beim Singen zuhört und ihren Flug beobachtet, wenn man aufmerksam Bäume, Pflanzen und Blumen, fließendes Wasser, Wolken, Sonnenauf- und -untergänge ansieht. Nehmen Sie sorgfältig wahr, was Sie berühren, schmecken und riechen, und erfahren Sie diese Freuden. Schließen Sie dann immer wieder für einen kurzen Moment die Augen, atmen Sie ein paar Mal bewusst ein und aus und nehmen Sie mit allen Sinnen diesen Augenblick wahr, um ihn auszukosten und zu genießen. Auch dann, wenn er längst vorbei ist, werden Sie sich noch daran erfreuen. Manuel Neuer, der Torwart der Nationalmannschaft, beschrieb dies nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft am 13. Juli 2014 in einem Interview sehr schön: »Irgendwann werden wir natürlich auch wieder aufhören zu feiern. Aber auch danach noch werden wir künftig immer mit einem Lächeln aufstehen.« Um glücklich zu sein, müssen wir genießen, was wir haben.

Bevor wir uns nun ansehen, was diese theoretischen Grundlagen der Resilienz ganz praktisch bedeuten, was Mütter von Menschen mit Autismus ganz konkret für sich tun können, sollen die betroffenen Frauen selbst zu Wort kommen. Sie schildern ungeschönt ihre jeweilige Lebensrealität, die in jedem Einzelfall anders aussieht, und sie beschreiben ihre ganz persönlichen Kraftquellen.

Ich bedanke mich herzlich für die beeindruckenden Berichte, für die Zeit, die Kraft und den Mut der Autorinnen. Erst dadurch konnte dieses Buch entstehen.

2 Erfahrungen und Erlebnisse von Müttern autistischer Kinder

Von potenziertem Stress und dem Aufbruch zu neuen Ufern

Eva Müller