Gut sein und was der Einzelne für die Welt tun kann - Thich Nhat Hanh - E-Book

Gut sein und was der Einzelne für die Welt tun kann E-Book

Thich Nhat Hanh

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Beschreibung

Der Buddhist Thich Nhat Hanh sucht in seinem Buch "Gut sein und was der Einzelne für die Welt tun kann" eine Antwort auf die Frage, wie man die Welt verbessern und das Leiden der Menschen verringern kann. Seine Antwort besagt, dass der Schlüssel zur Überwindung des Leides in der Welt darin liegt, dass der Einzelne beginnt sein Leben zu ändern. Jeder Mensch kann diesen Prozess mitgestalten. Und wenn der Einzelne beginnt, wird diese Veränderung auch auf andere übergreifen und so für mehr Harmonie und ein friedliches Miteinander auf der Welt sorgen.

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Thich Nhat Hanh

Gut sein und was der Einzelne für die Welt tun kann

Aus dem Englischen von Ursula Richard

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Warum wir eine globale Ethik brauchenDie Vier Edlen WahrheitenDie Erste Edle WahrheitDie Zweite Edle WahrheitDie Dritte Edle WahrheitDie Vierte Edle WahrheitDen Edlen Achtfachen Pfad beschreitenSangha ist der SchlüsselDas Manifest 2000
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Warum wir eine globale Ethik brauchen

Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht

Wir leben heute in einer globalisierten Welt. Was auf der anderen Seite der Erde geschieht, hat Auswirkungen auf uns. Wirtschaft, Politik, Erziehung und Kultur finden in einem globalen Maßstab statt. Unsere Ethik und Moral braucht ebenfalls eine Globalisierung. Eine neue globale Ordnung verlangt nach einer neuen globalen Ethik. Sie ist der Schlüssel zum Umgang mit den Problemen unserer Zeit.

Weltweit sind wir mit Klimawandel, Terrorismus und Kriegen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen konfrontiert. Fanatismus, Diskriminierung, Spaltung, Gewalt, Wirtschaftskrisen, Umweltzerstörung – das betrifft uns alle. Wir müssen all dieses Leid tief betrachten, um gute Entscheidungen zu treffen und uns weise zu verhalten. Als Menschen mit unterschiedlichen Traditionen müssen wir uns zusammen an einen Tisch setzen, um die Ursachen des globalen Leidens zu finden. Wenn wir aus einer Perspektive der Klarheit, Ruhe und des Friedens tief sehen, erkennen wir die Ursachen, können diese entwurzeln und verwandeln und so einen Ausweg finden.

Ein globales Angebot

Wir Menschen leben in sehr unterschiedlichen Kulturen und Nationen, mit eigenen Werten, Verhaltensweisen und Kriterien, was ethisches Handeln betrifft. Wir brauchen unsere gesamte kollektive Weisheit, um global geltende ethische Normen zu entwickeln. Unter Einbeziehung aller Völker und Traditionen können wir eine globale Ethik erschaffen, die auf gegenseitigem Respekt gründet.

Auch heute noch ist die Religion für viele Menschen die Basis ihrer Ethik. Aus der Überzeugung, es gäbe ein göttliches Wesen, das darüber entscheidet, was richtig und was falsch ist, gehen Gläubige davon aus, dass sie, ungeachtet ihrer eigenen Wahrnehmung, nur den Regeln dieser religiösen Tradition folgen müssen, um richtig zu handeln. Andere Menschen folgen einem wissenschaftlichen oder utilitaristischen Ansatz und betrachten nur die logischen Konsequenzen ihres Handelns. Der buddhistische Beitrag zu einer globalen Ethik unterscheidet sich von beiden Ansätzen. Er gründet in einer Wahrnehmung und einem Verständnis der Welt, die Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht als ihre Voraussetzungen haben. Ausgangspunkt ist ein Gewahrsein für die Nichtdualität von Subjekt und Objekt, eine Bewusstheit für die Verbundenheit aller Dinge. Ein solcher Weg kann von allen Menschen akzeptiert werden, jeder kann ihn beschreiten, ob man nun an einen Gott glaubt oder nicht. Es ist ein Weg, der praktiziert werden will, und wenn Sie das tun, werden Sie sehen, dass er Ihnen größere Freiheit schenkt.

Buddhistische Ethik im Alltag anwenden

Während des Vietnamkriegs haben wir den Begriff Engagierter Buddhismus geschaffen. Viele von uns haben während des Kriegs als Mönche, Nonnen und Laien Sitz- und Gehmeditation praktiziert. Dabei hörten wir die Bomben fallen und die Schreie der verwundeten Kinder und Erwachsenen. Meditieren bedeutet auch wahrnehmen, was geschieht. In unserem Umfeld geschah Leid an vielen Menschen, und ihr Leben wurde zerstört. Wir nahmen all das wahr, und uns bewegte der Wunsch, etwas zu tun, um das Leid in uns und um uns herum zu lindern. Wir wollten für andere da sein und gleichzeitig Sitz- und Gehmeditation praktizieren. Denn sie gaben uns die innere Stabilität und den Frieden, die wir brauchten, um den Tempel zu verlassen, Hilfe zu leisten und Leid zu lindern. Achtsam gingen wir Seite an Seite mit dem Leid an die Orte, wo die Menschen im Bombenhagel um ihr Leben liefen. Wir praktizierten achtsames Atmen, während wir uns um die durch Gewehrschüsse oder Bombeneinschläge verwundeten Kinder kümmerten. Ohne unsere Achtsamkeitsübungen hätten wir uns dabei selbst verloren, wären schnell ausgebrannt gewesen und hätten niemandem helfen können.

Aus dieser schwierigen Situation heraus entstand Engagierter Buddhismus. Es ist nicht einfach ein Buddhismus, der soziale Probleme einbezieht. Engagierter Buddhismus bedeutet, dass wir Achtsamkeit praktizieren, wo immer wir sind, was immer wir tun und wann immer wir es tun. Wenn wir allein sind, wenn wir gehen, sitzen, unseren Tee trinken oder das Frühstück zubereiten. Auf diese Weise praktizieren wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere: Wir bewahren und stärken unsere Kräfte, um anderen wirklich helfen und mit allem Leben verbunden sein zu können. Engagierter Buddhismus ist also nicht nur Selbsthilfe. Er ermöglicht uns, dass wir uns dem Glück aller Wesen stärker verpflichtet fühlen.

Engagierter Buddhismus ist ein Buddhismus, der direkt mit dem Leben zu tun hat. Das drückt sich auch in der Figur des Bodhisattva aus. Eine oder ein Bodhisattva ist ein Wesen, dessen einziges Ansinnen es ist, durch sein Handeln Leid zu lindern. Durch die Einsicht, dass wir mit allen anderen Wesen auf das Tiefste verbunden sind – wir nennen das Intersein –, wissen wir, dass wir selbst weniger leiden, wenn andere Menschen weniger leiden. Und wenn wir selbst weniger leiden, leiden auch andere Menschen weniger.

So wie wir den Begriff Engagierter Buddhismus verwenden, sprechen wir inzwischen auch oft von Angewandtem Buddhismus. Das Wort Anwendung wird oft in der Wissenschaft verwendet, und wir benutzen es, weil wir deutlich machen wollen, dass unser Verständnis der Wirklichkeit zur Klärung beitragen kann und dass es um einen Weg geht, jede Situation zu transformieren. Im Buddhismus gibt es etwas, das immer und unter allen Umständen genutzt werden kann, um eine Situation zu beleuchten und bei der Lösung eines Problems zu helfen. Es gibt einen Weg, wie man in jeder Situation Mitgefühl und Verstehen walten lassen kann, um Leiden zu mindern. Das ist die Essenz des Angewandten Buddhismus.

Die Grundlage einer buddhistischen Ethik

Die Grundlage einer buddhistischen Ethik ist Achtsamkeit. Was bedeutet achtsam sein? Es bedeutet zunächst, dass wir innehalten und das tief betrachten, was im gegenwärtigen Moment geschieht. Dadurch können wir das Leiden in uns und außerhalb von uns erkennen. Wir können uns im konzentrierten tiefen Schauen üben, um die Ursachen dieses Leidens zu erkennen. Das Leiden selbst müssen wir verstehen, denn nur dann wissen wir, was wir unternehmen müssen, es zu lindern. Wir können dabei auch die Einsicht anderer nutzen, die Achtsamkeit unserer Sangha zum Beispiel – der größeren Gemeinschaft der Praktizierenden –, um unsere Erkenntnisse mit anderen zu teilen und um herauszufinden, welches Handeln zu einer Transformation dieses Leidens führen kann. Kollektive Einsicht ermöglicht uns, den für alle segensreichen Pfad zu erkennen, der zur Beendigung des Leidens führt, und zwar nicht nur für den Einzelnen, sondern für uns alle.

Der tugendhafte Pfad

Im Vietnamesischen übersetzen wir Ethik als dao duc, den tugendhaften Pfad. Duc bedeutet Tugend im Sinne von Aufrichtigkeit, Rechtschaffenheit, Integrität und Verständnis. Das Wort ist kurz, doch es hat viele Bedeutungen: Versöhnlichkeit, Mitgefühl, Toleranz und Menschlichkeit – alles gute Qualitäten, die jeder Mensch braucht. Der Pfad sollte uns die Art tugendhaften Verhaltens ermöglichen, die uns zu nachhaltiger Veränderung verhilft, damit wir andere unterstützen können, ein glückliches Leben zu führen. Haben wir die Eigenschaften eines tugendhaften Menschen, dann verursachen wir anderen kein Leid. Diese Art Tugend bietet uns eine Richtschnur für ein Verhalten, das anderen oder uns selbst kein Leiden bringt.

Eines der vietnamesischen Wörter für Ethik ist luongli. Das bedeutet mitmenschliches Verhalten. Luong bedeutet die Moral von Menschen, und li bezeichnet die grundlegenden Prinzipien, die zu richtigem Verhalten und richtigem Handeln führen. Wenn wir die Begriffe zusammenfügen, ergibt sich eine weitere Bedeutung dao li luong thuong, und das meint ein moralisches Verhalten, dem jeder und jede zustimmen kann. Thuong bedeutet üblich, gebräuchlich, etwas, das jeder annehmen kann, etwas, über das Konsens besteht. Die Moral ist in gewissem Sinne etwas Beständiges, sie ändert sich nicht von Tag zu Tag. Wir sprechen also von einer dauerhaften Moral, von grundlegenden Prinzipien, auf die wir uns einigen und die zu mehr Verstehen und Akzeptanz führen.

Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht

Der Buddha war bereits bei seiner ersten Belehrung, die er seinen ersten Schülern gab, sehr klar und praxisbezogen in Bezug darauf, wie wir unsere individuellen als auch gemeinschaftlichen Probleme umzuwandeln vermögen. Er konzentrierte sich darauf, wie wir die Lehren im alltäglichen Leben umsetzen können. Das ist Ethik. Die Praxis, das sich in etwas Üben, ist dabei zentral, denn dadurch entstehen Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht. Diese drei Energien sind die Grundlage aller buddhistischen Praxis und buddhistischen Ethik. Wir können nicht über Ethik sprechen, ohne von diesen drei Energien zu sprechen. Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht helfen uns, einen Pfad zu schaffen, der zu Frieden und Glück, Transformation und Heilung führt. Es ist sehr wichtig, dass wir Ethik nicht als etwas Abstraktes auffassen, sondern als etwas Lebenspraktisches. Unsere Einsicht leitet und hilft uns, Mitgefühl, Verstehen, Harmonie und Frieden für uns und die Welt aufzubringen.

Kürzlich fragte mich ein christlicher Theologe bei einem Interview, das er mit mir führte, ob und wie es überhaupt möglich sei, so etwas wie eine globale Spiritualität zu schaffen. Er schien zwischen Spirituellem und Ethischem als zwei verschiedenen Bereichen zu unterscheiden. Doch nach meinem Verständnis gibt es eine Verbindung zwischen den beiden. Alles kann spirituell sein. Wenn ich meine Teeschale achtsam hochnehme, wenn ich den Tee achtsam betrachte und ihn achtsam zu trinken beginne, dann wird das Teetrinken etwas sehr Spirituelles.

Putze ich achtsam meine Zähne in dem Bewusstsein, wie wundervoll es ist, die Zeit dafür zu haben, mich am Zähneputzen zu erfreuen, dessen gewahr, dass ich lebendig bin, mich alle Wunder des Lebens umgeben und ich meine Zähne liebevoll und mit Freude putzen kann, dann wird auch das Zähneputzen eine spirituelle Handlung. Wenn Sie die Toilette aufsuchen und Sie Ihre Notdurft voller Achtsamkeit verrichten, so kann selbst das sehr spirituell sein. So verstanden, gibt es eine tiefe Verbindung zwischen Ethik und Spiritualität. Können wir das Spirituelle nicht im Ethischen sehen, wird unsere Ethik in gewisser Weise leer sein. Wir befolgen dann vielleicht ethische Regeln, wissen aber gar nicht, warum wir das tun, und können uns daher auch nicht daran erfreuen. Sind unsere ethische und unsere spirituelle Praxis aber verbunden, werden wir imstande sein, unserem ethischen Pfad zu folgen und uns davon nähren zu lassen.

Die erste Belehrung des Buddha

Vor Hunderten von Jahren erwachte der Buddha unter einem heiligen Feigenbaum im indischen Bodhgaya; es war ein tiefes Erwachen. Sein erster Gedanke nach dem Erwachen war die Erkenntnis, dass jedes Lebewesen die Fähigkeit zum Erwachen besitzt. Er wollte einen Weg weisen, der anderen helfen würde, Einsicht und Erleuchtung zu erlangen. Dem Buddha ging es nicht darum, eine Religion zu erschaffen. Um einem Pfad zu folgen, muss man nicht an einen Schöpfer glauben.

Nach seiner Erleuchtung genoss der Buddha das Sitzen unter dem Bodhibaum, ebenso wie die Gehmeditation am Ufer des Neranjara-Flusses und die Besuche an einem nahe gelegenen Lotosteich. Aus dem Dorf Uruvela kamen ihn häufig Kinder besuchen. Er saß mit ihnen zusammen, sie aßen Obst, und er unterwies sie durch Geschichten. Aber er wollte seine Erfahrungen aus der Praxis und des Erwachens auch mit seinen engsten fünf Freunden und alten Weggefährten teilen und machte sich auf den Weg zu ihnen. Er hatte gehört, dass sie mittlerweile in einem Hirschpark in der Nähe von Benares lebten. Zwei Wochen brauchte er für den Weg dorthin. Ich stelle mir vor, dass er jeden Schritt genossen hat.

In der ersten Lehrrede, die er vor seinen Freunden hielt, sprach der Buddha über den ethischen Pfad. Er sagte, dass der Weg zu Einsicht und Erleuchtung der Edle Achtfache Pfad sei, der auch als die Acht Wege Richtiger Praxis bezeichnet werden könne. Der Edle Achtfache Pfad ist die vierte der Vier Edlen Wahrheiten, die der Buddha formuliert hat. Wenn wir die Vier Edlen Wahrheiten verstehen und unser alltägliches Handeln von ihren Erkenntnissen durchdringen lassen, dann sind wir auf dem Pfad zu Frieden und Glück.

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Die Vier Edlen Wahrheiten

Ein Weg, der zum Handeln führt

In seiner ersten Lehrrede sprach der Buddha über die Vier Edlen Wahrheiten. Sie sind die Grundlage des buddhistischen Beitrags zu einer globalen Ethik. Die Vier Edlen Wahrheiten lauten zusammengefasst: Es gibt Leiden; es gibt Ursachen des Leidens; das Leiden kann überwunden werden; es gibt einen Pfad zur Beendigung des Leidens.

Die Vier Edlen Wahrheiten, zu denen, wie bereits erwähnt, auch der Edle Achtfache Pfad gehört, enthalten also die Strategie des Buddha zum Umgang und zur Linderung des Leidens. Diese Wahrheiten werden »edel« genannt, arya auf Sanskrit, weil sie zum Ende des Leidens führen. In den Vier Edlen Wahrheiten geht es um das Leiden, aber es geht auch um das Glück. Es gibt Leiden, zweifelsohne, doch wir können etwas tun, um es in uns und um uns herum zu mindern. Glück, Transformation und Heilung sind möglich. Diese Wahrheiten ermutigen uns zum Handeln; sie weisen einen Weg zu dem Glück, das wir uns vorstellen und anstreben. Sie bieten einen ethischen Weg zu unserer eigenen Transformation an.

Glück und Leiden sind miteinander verbunden und bedingen einander

Warum spricht der Buddha als Erstes über Leiden, wo doch Glück möglich ist? Warum spricht er nicht direkt über Glück und den Pfad, der zum Glück führt? Der Buddha beginnt mit dem Leiden, weil er weiß, dass Glück und Leid miteinander verbunden sind und einander bedingen. Leid umfasst Glück; Glück umfasst Leid. Leid kann nützlich sein. Es kann uns Mitgefühl und Verstehen lehren, die wir brauchen, um etwas zu erkennen und um glücklich zu sein.

Nichtdualität

Glück und Leid sind keine Gegensätze, sie gehören zusammen. Die nichtdualistische Sicht, die in dieser Auffassung zum Ausdruck kommt, ist eines der Schlüsselelemente eines buddhistischen Beitrags zu einer globalen Ethik. Das Gute ist ohne das Böse nicht möglich. Das Gute existiert, weil es das Böse gibt. Der Buddha lehrte, dass Gut und Böse Produkte unseres Geistes und nicht etwa objektive Realitäten sind. Es gibt viele Gegensatzpaare wie diese, zum Beispiel Sein und Nichtsein. Wir neigen zu der Ansicht, dass Sein das Gegenteil von Nichtsein sei. Wir können aber keine Vorstellung von Sein haben, wenn wir nicht auch eine von Nichtsein haben. Doch die Wirklichkeit selbst transzendiert sowohl Sein wie Nichtsein. Sein und Nichtsein sind zwei Seiten derselben Wirklichkeit.

Nehmen wir einmal als Beispiel rechts und links. Sie können nicht die rechte Seite von etwas entfernen und nur die linke behalten. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bleistift und sind entschlossen, die rechte Seite des Stiftes dadurch zu eliminieren, dass sie ihn in zwei Hälften teilen. Sobald Sie eine Hälfte weggeworfen haben, wird die Bruchstelle des übrig gebliebenen Stiftes zur neuen rechten Seite. Wo immer es links gibt, gibt es rechts. Das gilt genauso für Gut und Böse. Die Vorstellung von Gut entsteht aus der Vorstellung von Böse und umgekehrt. Die Wirklichkeit geht über die jeweiligen Vorstellungen von Gut und Böse hinaus.

Subjekt und Objekt sind ein weiteres Gegensatzpaar. Wir meinen, unser Bewusstsein sei etwas, das innerhalb von uns sei, und die Welt sei da draußen. Wir gehen davon aus, dass Subjekt und Objekt unabhängig voneinander existieren. Doch Subjekt und Objekt sind nicht getrennt voneinander. Sie bedingen einander. Die Wirklichkeit transzendiert beide. Nehmen wir uns die Zeit, die Wirklichkeit zu betrachten und wahrhaftig von den Lehren der Nichtdualität zu kosten, entwickeln wir Rechtes Verstehen. Haben wir diese Sicht oder Anschauung erst einmal erlangt – sie ist der erste Aspekt des Edlen Achtfachen Pfades –, werden die anderen Aspekte des Pfades leicht folgen. Rechtes Denken, Rechte Rede, Rechtes Handeln, Rechter Lebenserwerb, Rechtes Bemühen, Rechte Achtsamkeit und Rechte Konzentration entstehen alle, wenn wir über Rechte Anschauung oder Rechte Sicht verfügen. Der buddhistische Beitrag zu einer globalen Ethik kommt ohne Dogmen aus. Er behauptet nicht, die richtige Ethik zu sein, während alles andere falsch wäre. Ein solches dogmenfreies Verständnis hat der Buddha aus tiefer Praxis und tiefer Betrachtung heraus entwickeln können. Und auch wir müssen uns in Achtsamkeit und tiefer Betrachtung üben, um für uns selbst die Wahrheit zu erkennen und nicht einfach nur den Lehren eines anderen zu folgen.

Jede Wahrheit enthält die anderen

Die nichtduale Natur der Wirklichkeit drückt sich auch in den Vier Edlen Wahrheiten aus. Obgleich es vier Wahrheiten gibt, enthält jede die anderen; sie können nicht als getrennt voneinander gesehen werden. Wenn Sie eine Edle Wahrheit vollkommen verstehen, verstehen Sie alle vier. Die Vier Edlen Wahrheiten bedingen und enthalten einander. Die Erste Edle Wahrheit handelt vom Leiden, von einem grundlegenden Unwohlsein in Körper und Geist. Die Zweite Edle Wahrheit beinhaltet die Ursachen des Leidens, dieses Unwohlseins; das sind die Gedanken, Worte und Handlungen, die uns einem Pfad, der zum Leiden führt, folgen lassen. In der Dritten Edlen Wahrheit geht es um Wohlsein, Wohlbefinden und das Aufhören des Leidens. Die Vierte Edle Wahrheit ist der Pfad zum Wohlbefinden, der Edle Achtfache Pfad.

In gewisser Weise handelt es sich also um zwei Paare von Ursache-und-Wirkungs-Zusammenhängen. Die Zweite Edle Wahrheit (der Pfad des Leids, Unwohlseins) führt zur Ersten (Leid, Unwohlsein), und die Vierte Edle Wahrheit (der Edle Achtfache Pfad) führt zur Dritten (Wohlbefinden, das Aufhören des Leids). Wir beschreiten entweder den Edlen Pfad oder den unedlen Pfad, der uns und anderen Leid bringt. Wir sind stets auf dem einen oder auf dem anderen Pfad.

Achtsames Atmen: Die Vier Edlen Wahrheiten als ein Pfad, der zum Handeln führt

Die Vier Edlen Wahrheiten sollten wir nicht nur mit unserem Intellekt zu verstehen suchen. Sie enthalten zentrale Vorstellungen wie Nichtdualität, Leerheit, Nichtselbst, Intersein und Zeichenlosigkeit, die nur durch Praxis verstanden werden können. Die grundlegende Praxis des Buddha ist das achtsame Atmen. Bevor wir uns zu irgendeinem ethischen Verhalten verpflichten oder es praktizieren, müssen wir uns unserem Atem zuwenden. Uns unseres Atems bewusst zu sein ist die erste praktische ethische Handlung, die uns möglich ist. Nur so können wir das grundlegende menschliche Leiden und Unwohlsein wirklich verstehen und erkennen, wie wir es transformieren könnten.

Wenn wir das uns umgebende Leid betrachten, die Armut, die Gewalt oder den Klimawandel, wollen wir all diese Probleme vielleicht umgehend lösen. Wir wollen etwas tun. Doch um wirksam und ethisch verantwortungsbewusst etwas tun zu können, müssen wir uns innerlich so entwickelt haben, dass wir mit dem Leiden wirklich umgehen können. Wir müssen imstande sein, innezuhalten, achtsam zu atmen, zu gehen oder uns zu bewegen – das sind die Schlüsselelemente der Praxis. Überall und zu jeder Zeit ist uns das möglich. Wir können sagen: