Gute Nacht, Mörder! - Renate C. Gust - E-Book

Gute Nacht, Mörder! E-Book

Renate C. Gust

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Beschreibung

Der Chefarzt einer Harburger Klinik wird tot in seinem Auto gefunden. Ermordet! Das Team der Hamburger Mordkommission Conny Schmidt (Schmidt, wie Helmut!) und ihr Kollege Georg "Schorsch" Weissner nehmen die Ermittlungen auf. Da passieren in kürzester Zeit weitere Morde an einem Apotheker, einem Onkologen und dem zuständigen Pharmareferenten. Wer rächt sich an diesem "Krebs-Mafia-Trio"?

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Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und wenn dann, rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1.

Es war früher Morgen, als sein Handy mit Vibrationsalarm weckte. Schnell stand er auf und verließ das Bett, um seine noch schlafende Frau nicht zu wecken. Er nahm seine Wäsche unter den Arm und verzog sich unter die Dusche. Alles blieb ruhig im Haus, seine Töchter waren um diese Zeit noch nicht wach zu bekommen und er war froh, niemandem aus der Familie auf dem Weg zur Arbeit vorher zu begegnen. Die Dusche tat ihm gut, spät war es gestern Abend geworden. Ein leichtes Lächeln glitt über seine Lippen, als er an den Opernabend in der früheren Musikhalle, heute Laeiszhalle, dachte. Es gab Guiseppe Verdi´s "Nabucco". Die Kleine, wie er sie nannte, war hin und weg gewesen. Er lächelte spöttisch. Keine Kultur, kein wie auch immer geartetes Interesse an schönen Dingen, aber dreiundzwanzig Jahre und einen Körper wie aus dem Bilderbuch. Er hatte auch nichts anbrennen lassen, erst der Opernabend, dann gegenüber um die Ecke zum Italiener, dort einige Gläser Prosecco und schon hatte er sie da, wo er sie hinhaben wollte. Das Hotelzimmer nebenan war schon bestellt, sie war leicht betrunken, als er die Tür des Zimmers öffnet und sie direkt auf das breite französische Bett bugsierte.

Er war erst um 2 Uhr nachts nach Hause gekommen, hatte das Auto gleich draußen in der Einfahrt stehen lassen. 5.30 Uhr würde er sich Richtung Klinik bewegen. Es waren einige schwere Operationen am frühen Morgen angesetzt, da war es gut, vorher kalt und später nur lauwarm zu duschen. Das brachte den Kreislauf in Schwung. Nach dem Rasieren zog er sich an, ging kurz in die offene Küche, um sich einen frischen Orangensaft aus dem Krug im Kühlschrank zu holen. Nach zwei hastig getrunkenen Gläsern des Saftes stellte er den Krug zurück und nahm die von seiner Frau vorbereiteten Brote aus einer Tupper-Box und öffnete sie. Hmmh, kaltes Roastbeef mit einem Salatblatt und selbstgemachter Remoulade, so hatte er es gerne. Er verstaute die Brote in seinem Rucksack, sah in seinen Taschen des Jacketts nach, ob seine Autoschlüssel, das Portemonnaie und auch die Klinikschlüssel darin waren. Es versprach ein sonniger Tag zu werden, er legte das Sakko sorgsam über seinen Arm, griff nach dem Rucksack und verließ so geräuschlos wie möglich das Haus. Sein Auto stand in der Einfahrt, wie er es in der Nacht verlassen hatte. Er stieg ein, drückte kurz auf die eingespeicherte Nummer seines Smartphones. Eine dunkle Frauenstimme meldete sich. Er sagte: "Ich bin es. Sitze schon im Auto.“ Sie war seine Sekretärin, die ihm als Chefarzt der Klinik zustand und auf die in jeder Lebenslage Verlass war. Eine echte Perle. Sie kannte ihn in allen Facetten seines Lebens, war verschwiegen wie ein Buch und im Gegensatz zu seiner Ehefrau in keiner Weise bewertend oder verurteilend. Über die Jahre hatte er zu ihr ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut, was einzigartig für ihn war. Sie kannte die dunklen Seiten seines Lebens, auf seine Bitte hin hatte sie ihm schon mehrfach eine junge Dame aus einem Begleit-Service besorgt, wenn ihm eine der anstehenden Tagungen zu langweilig wurde. Er warf einen kurzen Blick auf seine Cartier -Uhr. "Ich denke, wenn die Elbbrücken noch frei sind, bin ich in einer guten halben Stunde bei Ihnen. Ja, danke. Bis gleich." Er verstaute das Handy und startete den Wagen. Der volle Sound des Achtzylinders ertönte. Sollen sie doch alle aus dem Bett fallen, dachte er. Der Papa muss ja auch schon um diese Zeit arbeiten fahren und das Geld verdienen, das ihr alle so mit vollen Händen ausgebt. Gerade gestern hatte es eine sehr heftige Auseinandersetzung mit seiner Frau und seiner Tochter gegeben. Seine Jüngste wollte in ein Tenniscamp in den Ferien fahren. 2.400 Euro für knappe 10 Tage Ferien. Er schluckte immer noch. Was sind das für Zeiten, wo Kinder für mehr als einen Monatslohn eines normalen deutschen Arbeitnehmers in den Schweizer Alpen Tennis spielen, fragte er sich. Klar, seine Frau hatte sich auf die Seite der Tochter geschlagen. Sie könne in diesem Training-Camp deutlich ihren Aufschlag verbessern und vor allen Dingen seien dort nur die Besten der Besten des europäischen Tennisnachwuchses eingeladen.

Man wisse nie, welches Kind welcher Eltern Marie da so träfe… Er hatte eingewilligt, wie immer. Aber gefallen hatte es ihm nicht. Vor allem nicht, dass seine Tochter es selber völlig in Ordnung fand, dass er dafür sein hartverdientes Geld bereitstellte.

Manchmal war er einfach zu konfliktscheu, wenn es um seine Familie ging. Er nahm sich vor, mit seiner Frau heute Abend darüber zu reden, ihr seine Position als Familienoberhaupt und Alleinverdiener deutlich zu machen. So jedenfalls ging es nicht weiter. Irritiert sah er auf. Im Rückspiegel nahm er kurz eine Bewegung wahr, irgendwas war hinter ihm... Er wollte etwas sagen, sich umdrehen. Dann erst spürte er die harte Schlinge um seinen Hals. Er hatte keine Chance, der Luftnot zu entkommen. Den Stich in seinen Oberarm einige Zeit später, spürte er schon nicht mehr. Seine Hände griffen zum Hals und schon umfing ihn tiefe schwarze Nacht. Unendlich tiefe Nacht.

*

Der Notruf ging um 05.43 Uhr bei der Polizeidienststelle ein. Nur wenige Minuten später klingelte das Handy von Conny Schmidt. Sie tastete nach dem schrillen Störenfried auf ihrem Nachttisch. "Ja, hmh... Wo“? Mühsam setzte sie sich auf, strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und nahm das Telefonat an… Mehrfach nickte sie, dann antwortete sie seufzend: "Ja, ich brauche zwei Minuten, dann bin ich unterwegs". Sie sprang aus dem Bett und schlüpfte in ihre am Boden liegenden Sachen vom Abend zuvor, sprintete in die Küche, setzte den Wasserkocher auf und lief weiter ins Bad. Kurz die Schminkreste von gestern Abend aus dem Gesicht, dann die Haare bürstend, putzte sie ihre Zähne. Noch ein kurzer Blick in den Spiegel und schon war sie aus dem Badezimmer heraus. Das Cappuccino-Pulver schüttete sie in die Fernfahrer-Tasse, das kochende Wasser und den Deckel da drauf. Kurz schütteln und los. Noch im Treppenhaus zog sie den Reißverschluss ihrer halbhohen Stiefel hoch, nahm zwei Stufen auf einmal, um kurz vor der Haustür ihre Jacke zu schließen und sich die Wollmütze auf den Kopf zu setzen. Nur zwei Häuserecken weiter stand ihr Wagen. Sie hasste es, am späten Abend nach Hause zu kommen und mindestens zwei Runden um den Block fahren zu müssen, um irgendwo ihren Xedos zu parken. Aber was sie noch mehr hasste, waren Tote, die definitiv zu früh für ihre persönliche Wohlfühlzeit gefunden wurden. Ihre bevorzugte Reihenfolge am Morgen war folgende: Erst sich vom Handy wecken lassen, beim zweiten Alarm aufstehen, dann ihr geliebtes morgendliches Ritual von Dusche, Anziehen, Kaffee, Zigarette und noch einmal Kaffee. Danach erst konnte der Tag beginnen, mit wie vielen Toten auch immer. Es war noch dunkel, als sie ihr Auto aufschloss und sich auf den Sitz fallen ließ. Das Leder quietschte leicht und erinnerte sie daran, dass sie seit dem Sommer schon die gekaufte Lederpflege-Creme in ihrer viel zu großen Handtasche hatte. Wiedermal nicht geschafft. Ihre Mutter würde sagen: „Nix gekonnt!“ Sie prustete kurz. Es war kalt, viel zu kalt, obwohl der eigentliche Winter noch einige Wochen entfernt lag. Nach Starten des Motors klickte sie auf die Taste der Sitzheizung und lächelte leicht. Was für ein Glück, dass sie das Auto noch im Internet gefunden hatte. „Einmal Xedos, immer Xedos!“, hatte ihr Mazda-Verkäufer vor knapp sieben Jahren zu ihr gesagt und er hatte recht behalten. Dieses Auto passte zu ihr, wie nur Weniges in ihrem Leben. Ihr erster Xedos, Baujahr 1993, hatte sie bis vor kurzem begleitet. Danach hatte sie ihn für wenig Geld in liebevolle Hände gegeben. Der Käufer kannte die Vorzüge des Wagens und hatte im Gegensatz zu ihr Mechaniker-Wissen, um die anstehenden Reparaturen alleine zu bewerkstelligen. Nach nur drei Wochen ohne Auto war ihr klargeworden: ein Leben ohne Xedos, war kein Leben für sie. Ein sanftes, fast intim zu nennendes Motorengeräusch, ein V6- Motor, der gerne und ausdauernd schnell gefahren werden wollte, sowie die Annehmlichkeiten einer großen Limousine mit Leder und Sitzheizung hatten ihr Herz in Kürze erobert und so war dieser 1998er Xedos sicherlich nicht der letzte seiner Art, den sie im Leben noch zu fahren gedachte.

Sie fuhr in Richtung Mühlenkamp, bog links in den Poelchaukamp, vorbei bei ihrem Stamm-Eiscafe auf der linken Straßenseite. Das beste Eis der Stadt wurde dort in einem kleinen, fast imbiss-artig aussehenden Laden angeboten. In Sommerzeiten bildeten sich Menschenschlangen bis weit in den Mühlenkamp hinein. Doch die weiß-rote Eis-Fahne wehte heute nicht, wahrscheinlich hatte es die Besitzer in den wohlverdienten Urlaub verschlagen, mehrere Monate in den Süden Spaniens. Sie hatten einige Wohnungen in Andalusien, vermieteten diese auch und Conny konnte sich daran erinnern, eine Visitenkarte vom Eis-Cafe-Besitzer in die Hand gedrückt bekommen zu haben: "Hier, wenn Sie mal richtig Urlaub machen wollen...". Sie grinste leicht. Von wollen konnte bei ihrem Job keine Rede sein. Dauerhaft unterbesetzt in der Abteilung, dauerhaft im Einsatz, weil die bösen Buben und Damen dieser Stadt einfach nicht einen Monat aufhören konnten, zu morden. Als sie mit ihren Kollegen selbst an ihrer internen Weihnachtsfeier ausrücken mussten, um einen mit sechs Messerstichen getöteten Kosovo-Albaner in einer Spelunke im Hamburger St. Pauli–Viertel in die Gerichtsmedizin transportieren zu lassen und allen angetrunkenen Besuchern der Kneipe Fragen zu Tatzeit und - Tathergang stellten, war Conny schon damals klar: das wird ein verdammt hartes Jahr. Sie schaute kurz auf ihre Armbanduhr. Kurz nach Fünf und schon einige Autos auf der Straße. Ihre Großmutter, eine waschechte Hamburger Deern, hatte dazu immer den gleichen Spruch gehabt: "Wer vor Neun das Haus verlässt, ist arm!"

Na ja, das stimmte nicht ganz, liebe Oma, dachte sie und lächelte verschmitzt. Da sie kaum dazu kam, Geld unter die Leute zu bringen, hatte sich ein schönes Polster auf ihrem Konto angesammelt. Arbeiten, Essen, Schlafengehen, Arbeiten. Wo sollte dort noch Zeit für ausgedehnte Shopping-Touren sein? Die Summe ließ sich sehen und auch wenn Conny nicht so sehr an Geld und Absicherung im Alter dachte, so beruhigte sie doch immer der Blick auf dieses virtuelle Geld, das sich bei ihrem meist nächtlichem online-banking – Aktionen zeigte.

Sie war schon auf Höhe von „Bobby Reich“, dem Cafe und Restaurant mit Bootsverleih an der Außenalster, kurz vor der Krugkoppelbrücke. Wehmütig dachte sie an frühere schöne Nachmittage, die sie dort verbracht hatte. Mal einfach auf der Terrasse sitzend das herrlichen Panorama Hamburgs bis zum Rathaus hin genießen und einfach nur nichts tun. In ihrer Erinnerung sah sie sich auch im Kanu mit Freunden und Freundinnen quer über den nördlichen Teil der Alster Richtung Leinpfad schippernd. In diesem Jahr war sie zu nichts gekommen. Es gab kaum freie Wochenenden und wenn, dann war sie auf Anraten ihrer Kollegen so weit wie irgend möglich von ihrer Heimatstadt entfernt, damit sie nicht plötzlich zu einem Einsatz gerufen werden konnte. Sie seufzte, so ging das nicht weiter. Ihr NAVI führte sie bereits auf den Mittelweg, dann übergangslos in den Dammtordamm. Sie sah auf den vor ihr liegenden stattlichen Bahnhof. Ihres Wissens war der Anfang des 19.Jahrhunderts gebaute Bahnhof aus der Gründerzeit. Im Gegensatz zu den meisten Fernbahnhöfen, die sie kannte, gab es hier nur zwei Gleise, einmal Richtung Hauptbahnhof und weiter, einmal Richtung Altona und weiter. Auf der Seite von "Planten und Blomen" gab es noch zwei Gleise für den S-Bahn-Betrieb - das war es dann auch schon. Sie konnte nicht verstehen, dass man tiefe unterirdische Bahnhöfe brauchte, um dann im Verhältnis zu den alten Bestandsbahnhöfen gerade mal 6 Minuten schneller irgendwo zu sein. Auch dafür liebte sie ihre Stadt. So ein Stuttgart 21, nein, das gäbe es bei den Hamburgern nicht. Niemals.

2.

Nur wenige Minuten später war sie schon auf dem Millerntordamm. An der U-Bahn-Station St. Pauli bog sie rechts ab und folgte den Schildern "Hafen/Fähre". Sie liebte die Strecke Richtung Landungsbrücken, der den Blick auf den von ihr so heiß geliebten Hamburger Hafen freigab. Wenigstens beruflich komme ich mal wieder hier lang, dachte sie leicht grimmig. Der Straßenverkehr hatte zugenommen, sie fuhr an dem St. Pauli- Fischmarkt vorbei und war wenig später schon auf der ‚Palmaille‘, die am schönen Altonaer Rathaus vorbeiführte und direkt in die Elbchaussee überging. Ihr Telefon klingelte: "Ja?", fragte sie. "Ich bin gleich da. Auf welcher Seite der Chaussee ist es denn?" Ihr kauziger Kollege brummte: "Gleich gegenüber der Kita Elbchaussee, also linke Hand. Du wirst uns schon sehen, hier blinkt es überall. Park doch auf dem Fußweg, da stehen wir alle." Der Gute, auf ihn war doch immer Verlass. Conny liebte ihren Kollegen, den "Schorsch", wie er von ihr und den Anderen im Team genannt wurde. Ein Bayer in Hamburg, das war schon vor 6 Jahren, als sie ihn kennenlernte, ungewöhnlich. Vor allem hatte er kaum etwas an sich verändert. Weder seine hochbayrische Aussprache, noch den alten abgewetzten Lodenmantel, mit dem er wohl schon in seiner Münchner Kriminalassistentenzeit herumgelaufen war. Er war ein Urgestein, wenig taktvoll, immer mit einem meist frechen Spruch unterwegs, und im Gegensatz zu ihr ging er in jede Diskussion und in jeden Kontakt, koste es, was es wolle. Er stand zu sich, zu seinen Meinungen, zu seiner fast animalisch anmutenden Art, Fälle aufzuklären. Er hatte eben ein "Gschpürr", dem er folgte, egal, ob es dem Chef oder ihr passte oder auch nicht. Sie war im Team die Rationale, die Vernünftige. Schnell denkend, kriminalistisch begabt und vor allem ausgestattet mit einem Gedächtnis, dem nichts verloren ging. Noch nach Jahren konnte sie Obduktionsberichte oder ballistische Ermittlungen fast auswendig rezitieren. Nichts entging ihr und ihrem scharfen Verstand. Damit war sie fast wie von selbst ihrem bayrischen Kollegen zugeordnet worden. "Handarbeiten oder Gewichtheben. Turnschuh oder Lackschuh!", hatte ihr Chef Dietmar Brodten damals gesagt. "Dazu passt nur eins: Conny und der Schorsch". Basta! So wurden sie zusammengesetzt in ein gemeinsames Büro, und arbeiteten sich von Fall zu Fall zum besten Ermittlungsteam der Hansestadt empor. Sie, die eher konfliktscheue und spröde Kriminalistin und ihr bayrischer Kollege. Sie schmunzelte leicht, als sie ihn neben seinem 5er-BMW auf dem Fußweg stehen und rauchen sah. So verliebt wie sie in ihren Mazda war, so gab es für den Schorsch nur die Autos der Bayrischen Motorenwerke. So eine "Japs-Reisschüssel" wäre er nie gefahren, hatte er zu Anfang ihrer gemeinsamen Arbeit getönt, war aber etwas ruhiger geworden, nachdem zwei seiner Neuwagen relativ schnell wieder zurück ins heimatliche Werk gebracht werden mussten, weil sie zu den sogenannten „Montags-Autos“ gehörten und nachträglich Verbesserungen erhielten. In dieser Zeit hatte sie ihn oft abgeholt von seiner Wohnung in Alt-Rahlstedt und siehe da, er grantelte kaum noch über ihr Auto, verkniff sich von dieser Zeit an sogar die ihm eigenen schmählichen Bemerkungen. Sie stieg aus ihrem Wagen, ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Sie zog ihr Halstuch höher über ihren Hals, die Mütze tiefer ins Gesicht und ging auf ihren Kollegen zu. "Moin Schorsch. Was für eine Zeit? Grauenvoll. Da hätte ich gut noch eine Stunde im Bett liegen können, dann aufstehen, duschen und frühstücken, Aber nein, immer diese Anrufe zur Nachtschlafenden Zeit. Nun ja, was soll`s!?". Schorsch sagte nichts, zuckte nur die Schultern, schnippste seine Zigarette auf die Fahrbahn und zeigte auf die Einfahrt der großen Villa. "Sie ham´s ihn im Auto erwischt. Er wollte grad losfahren, dann kam der Belzebub!" Sie gingen zusammen durch das weit geöffnete schmiedeeiserne Tor. "War das schon offen, bevor der Wagen dort gestartet wurde?“, fragte sie. Ihr Kollege zuckte wieder mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ich bin wie Du auch eben erst gekommen." Die Kollegen von der Spurensicherung waren im vollen Gange, ein Polizist stand links neben dem Jaguar und kam auf sie zu. Sie gaben sich die Hand. "Guten Morgen. Kai Brembach“, stellte er sich vor. „Ich war mit meinem Kollegen hier der Erste vor Ort. Ich habe nichts angefasst, nur den Standort gesichert." Conny nickte und schaute ihm freundlich in die Augen. "Guten Morgen. Conny Schmidt. Das ist mein Kollege Georg Weissner." Sie zeigte auf Schorsch. "Was für ein mieses Wetter! Wer hat Sie angerufen?", fragte sie den jungen Polizisten. "Die Dame des Hauses“, er zeigte nach oben."Frau von Öxstedt. Sie war früh erwacht und wunderte sich, dass der Wagen ihres Mannes immer noch hier in der Einfahrt stand. Mit laufendem Motor, das fand sie sehr ungewöhnlich. Normalerweise war ihr Mann, Bertram von Öxstedt, getimt wie ein Uhrwerk. Er sollte schon längst um diese Zeit am Operationstisch in der Klinik in Hamburg-Harburg stehen. Dort ist – nein - dort war er Chefarzt der Inneren Abteilung und hatte wohl heute ein Mega-Programm im OP. Sie ist dann in ihren Morgenmantel gesprungen und nach unten gelaufen. Da fand sie ihren Mann tot im Auto."Wer hat den Motor …" „... ausgestellt?" Conny sah ihren Kollegen lachend an. Beide waren wieder synchron bei der gleichen Frage gewesen. Der Polizist sah von einem zum anderen, grinste und sagte: "Sie hat ihn ausgemacht. War wohl ein Reflex in der Schrecksekunde, wo sie ihn dort tot im Auto sitzen sah." Er wandte sich zum Eingang des Hauses. "Sie können sie gleich befragen, sie und ihre beiden Töchter sitzen unten in der Küche. Sind alle ziemlich verstört und durch den Wind..., na ja, kein Wunder!" Conny beugte sich von der Beifahrerseite ins Fahrzeug, beobachtete den Toten, während ihr Kollege schon dabei war, die Handschuhe überzustreifen und die Tür hinten zu öffnen. "Er wurde überrascht. Der Mörder muss von hinten gekommen sein“, sagte Georg Weissner. Conny beugte sich zum Toten und legte den Kopf leicht zur Seite. "Das war eine Schlinge, ein Seil oder etwas Ähnliches", und zeigte auf den Hals voller roter Striemen. "Habt Ihr etwas gefunden?", fragte sie den Polizisten, der neben ihr stand. "Nein, bedauere. Nichts gefunden, gar nichts". Sie zuckte mit den Schultern. "Gehen wir rein Schorsch? Also ich habe im Augenblick genug gesehen.“ Ihr Kollege auf der anderen Seite nickte und wandte sich beim Aussteigen an den Streifenpolizisten. "Dann müssen der oder die Täter das Seil oder ähnliches mitgenommen haben. Komisch, wer nimmt sich dafür die Zeit?" Schon vor dem Eingang angekommen, ging Conny mit schnellen Schritten noch einmal zurück zum Jaguar. "Sorry, aber ich habe vergessen, zu fragen, ob irgendwas fehlt? Uhr, Portemonnaie oder so?“ Ein Kollege von der Spurensicherung, der gerade dabei war, seinen Koffer zu packen, sah kurz auf. "Nein, es ist alles da. Auf dem Beifahrersitz lag ein Rucksack, mit allem, was zu ihm gehörte. Geld, Papiere... Reichen wir Ihnen nachher ins Büro. Okay?“ Conny nickte und wandte sich ihrem Kollegen zu. „Na ja, bis auf die Tatwaffe, das Seil oder was auch immer genutzt wurde, “ sagte sie und zuckte leicht mit den Schultern. Nebeneinander gingen sie die wenigen Stufen zur Haustür empor. Ein weiterer Polizist öffnete ihnen. "Guten Morgen." Sie betraten einen stilvoll eingerichteten offenen Wohnbereich. "Darf ich Sie zu Frau Öxstedt und ihren beiden Töchtern bringen?" "Ja, freilich", antwortete Georg Weissner. Nebeneinander betraten sie die offene Küche. Eine blonde, sehr gutaussehende Frau Anfang Fünfzig, saß auf einem hellbraunen Rattansessel und hielt ein Taschentuch in der Hand, um sich immer wieder die rot geweinten Augen zu wischen. Daneben auf einer Kieferbank waren zwei junge Frauen. Die eine stand auf, als die Kommissare die Küche betraten. "Guten Morgen. Gut, dass Sie da sind." Sie zeigte auf die weinende Frau. "Das ist meine Mutter. Sylvia von Öxstedt." Diese stand auf und gab der Tochter mit der Hand ein kleines Zeichen. "Es ist schon gut Marie. Setz Dich wieder. Ich schaff das schon." Sie gab erst Georg Weissner die Hand, dann Conny. "Guten Tag. Bitte nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Kaffee?" "Gerne!" Auch die Antwort kam synchron. Ein eingespieltes Team eben, dachte Conny für sich. Sie nahmen Platz, die wohl jüngste Tochter ging schnell zu einem Regal und entnahm zwei Kaffeebecher, stellte sie vor sie auf den Tisch und griff zur Thermoskanne. Der wunderbare Geruch eines kürzlich frisch aufgebrühten Kaffees stieg Conny in die Nase und ließ sie tief aufatmen: "Großartig, vielen Dank." Sie wandte sich an die blonde Frau: "Liebe Frau von Öxstedt. Das ist mein Kollege Georg Weissner, ich bin Conny Schmidt. Wir kommen von der Mordkommission Hamburg. Ist es möglich, dass wir Ihnen einige Fragen stellen?" Die blonde Frau nickte, setzte sich gerade hin und blickte die beiden Kommissare an. „Natürlich geht das. Darf ich vorstellen, das sind meine Töchter: Marie und dies ist Karla.“ Ihrer Hand folgend, sah Conny auf die beiden jungen Frauen und nickte kurz zur Begrüßung. „Guten Morgen. Macht es Ihnen etwas aus, kurz nach nebenan zu gehen? Wir möchten Ihrer Mutter gerne einige Fragen stellen. Danach werden wir gleich zu Ihnen kommen. Bleiben Sie also bitte in der Nähe.“

Die jungen Frauen erhoben sich. „Wir sind nebenan im Wohnzimmer“, sagte Karla, gut an den brünetten Haaren von ihrer hellblonden Schwester zu unterscheiden. Die Kommissare warteten einen Moment, dann beugte sich Georg Weissner vor. „Frau von Öxstedt, auch im Namen meiner Kollegin Ihnen zunächst unser herzlichstes Beileid. Es tut uns sehr leid, was passiert ist und dass wir Sie in einer solchen Situation wie dieser behelligen müssen, aber wie Sie wohl schon selbst gesehen haben, ist Ihr Mann nicht eines natürlichen Todes gestorben. Da ist es unumgänglich, dass wir mit Ihnen sprechen.“ Frau von Öxstedt schluchzte laut auf und schüttelte ihren Kopf. „Ja, wer tut denn so etwas? Ich kann es nicht verstehen. Ich kann es überhaupt nicht verstehen. Er war ein überaus beliebter Mensch. Ein guter Vater, ein großartiger Arzt, ein brillanter Operateur.

Alle mochten ihn, die Kollegen, die Patienten. Viele kamen von weither, um sich von ihm behandeln zu lassen. Er hatte einen exzellenten Ruf weit über die Grenzen Deutschlands, ja, sogar Europas hinaus. Conny hakte hier ein: „Sie haben heute Morgen das Auto Ihres Mannes noch stehen sehen? Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen? Haben Sie jemanden gesehen? Jedes Detail, jede Kleinigkeit könnte für uns wichtig sein.“ Frau von Öxstedt versuchte sich zu sammeln, atmete mehrmals tief ein und aus. „Ich bin früh wach geworden, früher als sonst auf jeden Fall. Ich bin kurz zur Toilette und als ich dann zurückkam ins Schlafzimmer, da hörte ich den Motor des Jaguars laufen. Das war ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich. Ich bin kurz zur Tür, um zu hören, ob mein Mann noch im Haus war, nahm an, er habe etwas vergessen...“ „Und, haben Sie etwas gehört, im Haus oder vielleicht draußen?“, fragte Conny nach. „Nein, es war still im Haus. Nur der Motor des Jaguars brummte. Ich bin zum Fenster, um zu schauen, ob er noch dasteht, dann habe ich mir den Morgenmantel übergeworfen und bin die Treppe hinunter und nach draußen. Erst da habe ich ihn gesehen, auf dem Fahrersitz, in.., in..., in so unnatürlicher verkrampfter Haltung. Das war einfach nur schrecklich!“ Sie schluchzte laut auf. Beide Kommissare nickten. „Was haben Sie dann gemacht?“, fragte Conny. Frau von Öxstedt stand kurz auf, um sich neue Taschentücher zu holen, schnäuzte in eines und dachte kurz nach, bevor sie antwortete: „Erst wollte ich weglaufen und nach meinen Töchtern rufen. Aber ich hielt plötzlich inne, wollte das Auto ausmachen. Es dröhnte so in meinen Ohren.“ „Welche Tür des Wagens haben Sie dann geöffnet?“ “Erst die hintere, die auf der Fahrerseite. Aber in diesem Moment habe ich gesehen, dass ich von dort gar nicht zum Zündschloss komme, ohne meinen Mann zur Seite zu schieben...“. Ein kurzer Blick zu Conny zeigte ihr, dass ihr Kollege es genauso vermutet hatte. „Wussten Sie, dass er nicht mehr lebt?“ Frau von Öxstedt schaute mit großen Augen auf Georg Weissner. „Ja, klar. Das war unübersehbar. Seine starren Augen, die Körperhaltung, das war mir sofort klar. Dazu das mit den blutigen Striemen am Hals…“ „Was haben Sie dann gemacht?“ Conny sah, dass eine der Töchter in die Küche kam. „Kann ich kurz den Wasserkocher aufstellen, wir möchten uns einen Tee aufsetzen?“, fragte Karla schüchtern. „Ja, machen Sie nur, wir sind auch gleich soweit.“ Conny griff zu ihrem mittlerweile leeren Kaffeebecher. „Darf ich uns noch kurz einschenken?“ Frau von Öxstedt griff vor ihr zur Thermoskanne, öffnete den Verschluss und sagte: “Ja, natürlich. Entschuldigen Sie bitte, ich vergaß, nachzufragen.“ Auch Georg Weissner hielt den Becher hin, um noch einen zweiten Kaffee zu bekommen. „Sie sind´s hinten also raus...? Was genau haben Sie danach gemacht?“ Frau von Öxstedt schien ruhiger zu werden. Sie schenkte auch sich einen Kaffee nach und schaute hoch. „Ich wollte diesen blöden Motor ausmachen!

Mein Mann wusste genau, wie mich dieser Lärm morgens stört. Ich bin also hinten raus, hab dann die Beifahrertür aufgemacht, mich ins Auto… gelehnt und den Zündschlüssel herumgedreht“. Sie schluchzte auf. „Dann war es plötzlich so still. Ich weiß es gar nicht, hab ich erst geschrien und bin dann ins Haus gelaufen oder war es anders herum? Ich war völlig fertig. Erst dieser Motor, dann die Stille. Grauenvoll!“ Conny nickte, verständnisvoll sagte sie. „Das kann ich verstehen. Können Sie sich daran erinnern, ob die Einfahrt geschlossen oder offen war?“ Die Antwort kam sofort. „Offen, die war schon offen, als ich noch von oben aus dem Schlafzimmer gesehen hatte“. Georg Weissner schaltete sich ein: „Haben Sie das Öffnen gehört, als Sie das erste Mal aufstanden?“ Die am Wasserkocher stehende Tochter drehte sich um, den Kopf schüttelnd. „Nein, das Tor war die ganze Nacht offen. Papa ist spät heute Nacht gekommen, da hatte er wohl die Einfahrt offengelassen. Das macht er oft, wenn er weiß, dass er wieder früh raus muss“. “Sie haben es gesehen? Wann?“ Georg Weissner störte sich nicht, die Befragung auch hier weiter fortzuführen, während sich Conny schon Gedanken darüber machte, dass die andere junge Frau dort drüben im Wohnzimmer alleine saß, während sie hier nun zu Viert sprachen. Conny mochte es ganz und gar nicht, wenn die von ihnen geplante Ordnung so durcheinandergeworfen wurde. Das war ihr Schorsch, so wie er leibt und lebte. Karla selbst errötete leicht.

„Mein Freund war bei mir, wir waren in meinem Zimmer, haben einen Film gesehen. Ja, und dann sind wir dabei eingeschlafen und erst durch das Klingeln meines Handys in der Nacht geweckt worden. Meine Freundin hatte Stress zuhause und wollte noch reden.“Conny beschloss, ihre Ordnung wiederherzustellen und stand auf, um die andere Tochter zu holen. „Wann war das?“ fragte sie schon im Gehen. „Also, meine Freundin rief so kurz vor Zwei an. Benjamin, mein Freund, schreckte auf und zog sich an. Er steht kurz vor den Abi-Klausuren und wollte unbedingt noch zu sich nach Hause. Er war schon an der Tür meines Zimmers, aber dann hörte ich, wie die Einfahrt sich öffnete und mein Vater nach Hause kam. „Was haben Sie dann gemacht?“ Conny war schon wieder in der Küche, hinter ihr stand die andere Tochter. „Marie, seien Sie so nett und setzen Sie sich bitte zu Ihrer Mutter.“ Karla stutzte ein wenig, wirkte leicht verwirrt und antwortete zögernd. „Ich sagte meiner Freundin, dass ich sie gleich zurückrufe, habe aufgelegt und bin dann zur Tür, um Benny, also Benjamin, zurückzuhalten. „Ihr Vater sollte Ihrem Freund nicht begegnen...?“, brummte Georg Weissner. „Nein, mein Vater mag ihn nicht, und ich hatte keine Lust, auf irgendeine unnötige Diskussion mit ihm. Besuch erlaubt er schon jederzeit, aber er regt sich, nein, er regte sich so häufig darüber auf, dass Benny das Leben nicht richtig ernst nimmt, dass er mehr an Spaß und Party denkt. als an seine Pflichten. Das war meinem Vater ein Dorn im Auge. Wir haben also an der Tür gelauscht, bis mein Vater die Treppe hochstieg und ins Badezimmer ging. Erst als er da wieder raus war, und die Tür im Schlafzimmer geschlossen wurde, habe ich meinen Freund runtergebracht, die Haustür aufgeschlossen und ihn verabschiedet. An der geöffneten Tür habe ich gesehen, dass die Einfahrt offen war.“ Conny wandte sich an Frau von Öxstedt: „Können Sie bestätigen, dass Ihr Mann so um die Zeit nach Hause kam?“ Sylvia von Öxstedt schüttelte den Kopf. „Ich war gestern am frühen Abend zu meinem Yoga—Kurs, danach habe ich mit zwei Freundinnen noch kurz etwas beim Italiener unten an der Elbchaussee gegessen und getrunken. Wir haben uns gegen Zehn Uhr verabschiedet, ich bin dann nach Hause. Marie saß im Wohnzimmer, hatte den Fernseher laufen. Ich habe mich noch zu ihr gesetzt, wir haben etwas geredet. Ich hatte leichte Kopfschmerzen und bin noch während der Nachrichten dann gleich zum Schlafen hoch. Wann mein Mann kam, weiß ich wirklich nicht“. Georg Weissner drehte sich zu Marie von Öxstedt. „Sie waren den ganzen Abend zuhause?“ Die junge Frau nickte, sah ihre Mutter an. „Ja, ich wollte den Abend hier in Ruhe verbringen, habe einen Film gesehen und dann noch mit meiner Mutter, nachdem sie wieder zuhause war, die Tagesthemen im Ersten Programm zusammen geschaut. Danach ging sie ins Bett und ich nur wenig später nach ihr.

„Haben Sie Ihren Vater kommen oder vielleicht heute Morgen gehen hören?“ Conny war nicht überrascht. Das war für die drei Frauen ein scheinbar ganz normaler Abend gewesen, nichts war auffällig oder in irgendeiner Art und Weise bemerkenswert. Trotz des Kaffees spürte sie eine leichte Müdigkeit und beschloss, diese Befragung so gut es ging, schnell abzuschließen. Marie dachte kurz nach. „Nein, ich bin zwar auch einmal in der Nacht kurz wach gewesen und zur Toilette gegangen, aber nein, ihn oder jemand anderes habe ich weder abends noch morgens gehört.“ Georg Weissner guckte seine Kollegin an, sie nickte ihm unmerklich zu. Abschluss, hieß das unter ihnen. Er wartete kurz ab, dann sagte er: “ Ja, das war sehr freundlich von Ihnen, dass Sie selbst in dieser schweren Situation bereit waren, einige Fragen zu beantworten. Herzlichen Dank dafür. Meine Kollegin und ich lassen Ihnen gerne unsere Visitenkarten da. Bitte scheuen Sie sich nicht, uns zu kontaktieren, falls Ihnen noch etwas einfällt zu dem gestrigen Abend oder etwas, was damit zusammenhängt. Falls auch wir noch weitere Fragen haben, kommen wir wieder auf Sie zu. Aber zunächst Dankeschön für Ihre Unterstützung.“ Conny stand auf. „Auch von mir herzlichen Dank. Sagen Sie, Frau von Öxstedt, aus welchem Grund war Ihr Mann gestern außer Haus? Wissen Sie, was er am Abend vorhatte?“ Die blonde schlanke Frau stand ebenfalls auf. „Nein, das tut mir sehr leid, er sprach nur von einem sehr langen Abend, versprach aber, danach nach Hause zu kommen. Manchmal kam es vor, dass er in seiner kleinen Dienstwohnung neben der Klinik übernachten musste. Aber gestern wollte er nach Hause kommen. Ich persönlich interessiere mich wenig für seine Arbeit, aber er ist ein sehr bekannter Mann, der häufige dienstliche Treffen hatte. Meist ging es an diesen Abenden um Klinikbelange, manchmal gab es Termine mit weltbekannten Kollegen, die extra für ein Treffen mit ihm hier nach Hamburg kamen. Aber alles Berufliche sollten Sie mit seiner Sekretärin besprechen. Frau Dorn, Hertha Dorn. Sie hatte heute auch schon zweimal hier angerufen. Sie konnte gar nicht verstehen, warum er noch nicht da war, um sich auf die erste Operation vorzubereiten. Beim zweiten Anruf habe ich ihr gesagt, dass er tot ist. Sie war völlig entsetzt. Vielleicht sprechen Sie mal mit ihr. Ich schreibe Ihnen ihre Privat- und ihre Dienstnummer auf“. Conny nahm den Zettel, bedankte sich nochmal und folgte ihrem Kollegen zur Ausgangstür. Der junge Polizist stand noch immer vor dem Haus. „Herr Brembach, wir sind jetzt hier erst mal fertig.“ Conny sah in den Augen des jungen Kollegen Freude aufblitzen. Ja, sie hatte ein gutes Namensgedächtnis. Schorsch hingegen wird schon jetzt ein Problem haben, die Töchter der Frau von Öxstedt namentlich erinnern und auseinanderhalten zu können. „Der Tote ist auf dem Weg in die Pathologie, den Wagen hat die Spurensicherung mitgenommen...“. Kai Brembach sah Conny in die Augen. Was für eine reizende Kollegin!

Er nahm sich vor, sie im Blick zu behalten, vielleicht sogar, sie einmal anzusprechen und um ein Date zu bitten. Ja, er wusste schon, in seiner Generation wurde ‚gewhatsapped‘ oder gemailt, aber sich einfach mal auf einen Kaffee oder ein Glas Rotwein zum Feierabend hin zu verabreden, war einfach nicht mehr aktuell. Trotz seiner gerade mal siebenundzwanzig Lebensjahre hatte er feste Werte und Einstellungen, besonders im Zusammenhang mit Frauen. „Jaaa, nun ist es auch mal gut, mit den Freundlichkeiten,“ grummelte Georg Weissner. Charmant wie er war, klang das Wort „Freiiindlichkeit“ urbayrisch. Conny wusste genau, dass dem Schorsch sofort aufgefallen war, wie gut sie dem jungen Polizisten gefiel. „Alter Wegbeißer“, sagte sie lachend, als sie zu ihm ins Auto stieg. „Der hat sich doch nur gefreut, dass ich seinen Namen behalten hatte. Das kommt bestimmt nicht oft vor, dass aus unserer Truppe jemand nett zu den Jungs und Mädels des Streifendienstes ist. Die MOKOs halten sich doch fast alle für was Besseres!“ „Sind wir auch“, brummelte Weissner. Conny hatte ihre Autoschlüssel dem jungen Polizisten gegeben und ihn gebeten, den Wagen zurück zum Polizeipräsidium zu fahren. Sowohl sie wie Weissner mochten es, nach dem ersten Tatortbesuch gemeinsam zu fahren, um sich auch ungestört über ihre Vermutungen und gemachten Erfahrungen zu unterhalten. „Irgendwas ist merkwürdig an diesem Mord“, begann Weissner. „Da stellt dieser Arzt gestern Nacht das Auto vor seiner Haustür ab, lässt die Toreinfahrt offen, geht für einige Stunden schlafen, steht dann wieder auf, steigt ins Auto und wird von hinten erwürgt. Mit einer Schlinge oder einem dünnen Seil, was dann der oder die Täter nach Vollzug noch umständlich dem Ermordeten abnehmen, es einpacken und wieder mitnehmen. Was soll das?“ Conny schaute aus dem Fenster, versuchte ihre Gedanken zu sammeln. „Ich frage mich vor allem, wie kamen der oder die Täter in den Wagen? Hatte der Doc nicht nur die Einfahrt offengelassen, sondern auch die Wagentüren nicht verschlossen?“ Georg Weissner schüttelte den Kopf“. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist ein Jaguar S-Type, den lässt man doch nicht einfach so an einer so viel befahrenen Straße wie der Elbchaussee stehen. Mit offenen Türen, offener Einfahrt, nein, das kann ich mir nicht wirklich vorstellen.“Conny sah kurz zu ihrem Kollegen, der sicher die Spur Richtung Innenstadt wechselte. Sogar ohne NAVI kannte sich Weissner verdammt gut aus auf Hamburgs Straßen. „Weißt Du Schorsch, mir bereitet auch eher die Täter-Seite Kopfzerbrechen. Was ist das für ein Mensch? Ich gehe jetzt mal der Einfachheit halber von nur einem Täter, wohl männlich, aus. Da will ich, also ich der Täter, so einen Chefarzt einer Klinik umbringen, beobachte den und dessen Haus, stelle vielleicht fest, dass der nicht immer die Einfahrt verschließt. Aber woher weiß dieser Mensch, dass auch das Auto nicht verschlossen ist oder woher hat er den Schlüssel? Gibt es einen Ersatzschlüssel? Und wo liegt oder hängt der?“ Georg Weissner grunzte leise: „Nach dem Starten waren alle Türen des Autos zumindest kurz offen, aber das muss der Tote dann doch gehört haben, wenn jemand von hinten dazu gestiegen wäre.“ Conny nickte. „Klar, und beim Einsteigen des Mörders hätte er hupen, sich wehren oder flüchten können. Das macht alles gar keinen Sinn!

3.

Die Ost-West-Straße lag bereits hinter ihnen. „Wollen wir eben noch frühstücken fahren oder willst Du gleich ins Präsidium?“, fragte er. „Ich bin hungrig und nun ist es schon knapp vor Neun. Da hat unsere Kantine nur noch Kaffee für uns.“ Conny überlegte und nickte. „Unser Bäcker in der Langen Reihe?“ Ohne zu antworten, bog Weissner ab. Ein, zwei Straßen weiter waren sie schon in der ‚Schmilinskystraße‘, dann an der Ecke direkt bei „Frau Möller“, einer der urigsten Kneipen Hamburgs, bogen sie links in die Lange Reihe. „Ich weiß ja nicht, was Ihr Hamburger sonst unter „Kiez“ versteht, aber dieses Viertel ist für mich der Kiez, der wirklich Kiez Hamburgs“. Conny lachte kurz auf. Sie wusste, ihr Kollege hatte sein Herz verloren, justamente in dem Moment, als er am Hafen das Portugiesenviertel und wenig später die Lange Reihe mit ihren Nebenstraßen zwischen Steindamm und Alster kennengelernt hatte. Der Stadtteil St. Georg hatte es ihm besonders angetan, das Miteinander von Arm und Reich, von Katholiken und Homosexuellen, von seit langem hier lebenden Ausländern und echten Hamburgern. Sie hatte es nie verstanden, aber er hatte ein Faible für diese Straßen und Kneipen und diese mit ihren Leuten hatten ein Faible für ihn. Bei vielen Restaurants und Kneipen war er ein bekannter und beliebter Stammgast. So offen er auch sonst im Kontakt mit Menschen war, hatte Conny zunächst nur wenig von ihm über ihn selbst erfahren. In Oberammergau geboren, mit den Eltern und einem jüngeren, aber behinderten Bruder sehr behütet aufgewachsen, machte der Schorsch ein gutes Abitur und ging nach dem abgeleisteten Zivildienst in den Polizeidienst. Etwas paradox, wie Conny fand, aber auch hierfür hatte ihr Kollege eine plausible Erklärung parat. Nachdem er die subtilen Aggressionen in einem bundesdeutschen Sozialverband über die achtzehn Monate Zivildienst kennengelernt habe, hätte er sich danach für ein Leben mit Waffe entschieden. Das sei deutlich ehrlicher und aufrichtiger, flachste er dazu immer. Für die Kommissaren-Laufbahn zog er direkt nach München. Zu dieser Zeit gab es auch eine Frau in seinem Leben. Irgendwann hatte er Conny erzählt, dass er sogar verheiratet war. Aber diese Ehe hatte nur wenige Jahre Bestand. „Ging nicht gut...“, war sein lakonischer Satz dazu.

Das Glück war ihnen an diesem verregneten Morgen hold, nur wenig Schritte von ihrer Lieblingsbäckerei entfernt, fanden sie einen Parkplatz. Conny zog ihre Mütze tief ins Gesicht, ein kalter Wind, gepaart mit Nieselregen ließen sie die wenigen Meter im Laufschritt sprinten. Im Laden war es warm, ein Tisch war gerade frei geworden. Die frisch belegten Brötchen in der Auslage sahen gut aus und Conny merkte jetzt erst, wie hungrig sie war.

Während Georg den Tisch sicherte und sich den Mantel auszog, bestellte sie am Tresen zwei Milchkaffee, dazu zwei halbe Brötchen mit Zwiebelmett für ihren Schorsch. Sie selbst nahm die Laugenstange mit Käse. „Nochmal das Gleiche an Kaffee?“ Georg Weissner stand schon neben dem Tisch und sah sie fragend an: „Ja, gerne.“ Conny nickte. Sie rührte gedankenverloren in ihrem Milchkaffee. „Du, wir müssen zu dieser Frau Dorn, der Sekretärin des Toten. Vielleicht hat der ach so tolle Operateur vor kurzem einen gravierenden Fehler bei einer Operation gemacht und jemand ist dabei gestorben. Kann ja sein, dass ein Angehöriger jetzt Rache nimmt.“ „Liebe Kollegin, Du schaust zu viel „Tatort“ im Fernsehen“, lachte Georg Weissner. Conny schmunzelte. Ja, er hatte recht. Da hatte es vor kurzem so eine Wiederholung des Krimis zu genau diesem Thema gegeben. „Aber warum nicht? Ich glaube solche Operateure leben gefährlich. Zu viele Neider, zu viele Kritiker - auch innerhalb der Klinikhierarchie.“ Conny biss in ihre Laugenstange, während Schorsch den frischen Kaffee auf den Tisch stellte. „Ich weiß nicht so recht..., ich denke, er gehörte doch zu den Guten... Wieso dann er? Irgendwie habe ich das Gefühl, da kommt noch was auf uns zu. Was Großes, was wir im Augenblick noch gar nicht übersehen können... Lass uns rüber ins Büro fahren, vielleicht gibt es schon Ergebnisse der Spurensicherung oder aus der Pathologie.“