H. C. Hollister 42 - H.C. Hollister - E-Book

H. C. Hollister 42 E-Book

H. C. Hollister

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Beschreibung

Nogales ist ein verschlafenes Nest in den Ausläufern der Sierra Madre und bedeutet für einen Yankee gewissermaßen das Ende der Welt, weil es dicht an der mexikanischen Grenze gelegen ist. Marshal Ord Henderson scheint ganz der Mann zu sein, der hier nicht nur über die gesetzliche Ordnung, sondern auch über die Moral wacht. Dass es unter dieser glatten Oberfläche zahlreiche Dinge gibt, die das Licht des Tages zu scheuen haben, muss Vernon Chataway erfahren, als er nach Nogales kommt, um die Ranch seines Bruders zu besuchen. Doch dieser wurde wenige Wochen zuvor auf dem nahegelegenen Friedhof begraben.
Schon in der darauffolgenden Nacht beginnt der raue und heimtückische Kampf, der gegen Vernon aus dem Dunkeln geführt wird. Wer ist daran interessiert, den unerwünschten Eindringling auszuschalten? Es dauert geraume Zeit, ehe Vernon glaubt, die Beweggründe zu kennen. Wird er der tödlichen Falle entgehen, der sein Bruder zum Opfer gefallen ist?


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Inhalt

Cover

ECHO-CANYON

Vorschau

Impressum

ECHO-CANYON

Nogales ist ein verschlafenes Nest in den Ausläufern der Sierra Madre und bedeutet für einen Yankee gewissermaßen das Ende der Welt, weil es dicht an der mexikanischen Grenze gelegen ist. Marshal Ord Henderson scheint ganz der Mann zu sein, der hier nicht nur über die gesetzliche Ordnung, sondern auch über die Moral wacht. Dass es unter dieser glatten Oberfläche zahlreiche Dinge gibt, die das Licht des Tages zu scheuen haben, muss Vernon Chataway erfahren, als er nach Nogales kommt, um die Ranch seines Bruders zu besuchen. Doch dieser wurde wenige Wochen zuvor auf dem nahegelegenen Friedhof begraben.

Schon in der darauffolgenden Nacht beginnt der raue und heimtückische Kampf, der gegen Vernon aus dem Dunkeln geführt wird. Wer ist daran interessiert, den unerwünschten Eindringling auszuschalten? Es dauert geraume Zeit, ehe Vernon glaubt, die Beweggründe zu kennen. Wird er der tödlichen Falle entgehen, der sein Bruder zum Opfer gefallen ist?

Marshal Ord Henderson späht unter dem Vordach seines Office hervor und beobachtet gespannt einen Reiter, der die Main Street von Nogales heraufkommt.

Der Marshal schiebt sich bis an die Gehsteigkante vor.

»Hallo, Mister!«, sagt er.

Ohne Zutun des Reiters bleibt das Pferd stehen. Es ist ein honigfarbener Palomino, dessen Fell trotz der Staubschicht in der Sonne einen goldenen Schimmer aufweist.

»Hallo, Marshal«, gibt der Mann im Sattel gemächlich zurück. »Ausgesprochen ruhige Gegend, wie? Oder ist die Stadt tatsächlich ausgestorben?«

Der dunkelhaarige, gebräunte Reiter mit dem scharfgeschnittenen Gesicht und den hellen Augen trägt abgeschabte Levis-Hosen, Texasboots mit hohen Absätzen und trotz der Wärme eine Hirschlederjacke. Ein verbeulter grauer Stetson sitzt ihm weit auf dem Hinterkopf, und sein unbekümmertes Lächeln deutet auf einen unerschütterlichen Optimismus hin.

Marshal Ord Henderson sind solche Burschen zuwider. Sein grämliches Gesicht, die dunklen Augen und seine schwarze Bekleidung lassen in ihm eher einen Leichenbestatter oder Spieler als einen Gesetzeshüter vermuten.

Wütend presst er die Lippen aufeinander.

»Hören Sie«, zischt er böse. »Was mit dieser Stadt los ist, geht Sie einen Dreck an. Aber mich interessiert es, was für einen Vogel ich hier vor mir habe. Wo kommen Sie her, wo wollen Sie hin, und was wollen Sie überhaupt in Nogales?«

Der Reiter zeigt ein blitzendes Grinsen und stemmt die Hände auf das Sattelhorn.

»So viele Fragen auf einmal? Welche wollen Sie zuerst beantwortet haben?«

Ord Henderson fühlt sich auf den Arm genommen.

»Sie wollen wohl Zeit zum Überlegen gewinnen, wie?«, faucht er. »Wir schätzen hier keine Satteltramps und dunklen Existenzen, bei denen man nicht weiß, woran man ist. Wollen Sie mir nun eine Antwort geben oder ...«

Ord Henderson braucht den Satz nicht zu vollenden, um dem Fremden zu zeigen, dass er auch ungemütlich werden kann. Er richtet sich auf – steif wie ein Ladestock – und blitzt den Reiter an.

»Aber, aber«, murmelt dieser vorwurfsvoll, zuckt mit den Achseln und grinst erneut. Dann deutet er mit dem Daumen über die Schulter zurück und sagt:

»Da komme ich her, Marshal. Die letzte Wegmarke, an die ich mich erinnern kann, war so ein verrückter Kaktus. Ich bin immer am Fluss entlanggeritten. Vor Wochen bin ich auch einmal in Phoenix gewesen, in Prescott und Flagstaff, wenn Sie damit etwas anfangen können.«

»In ganz Arizona haben Sie sich also herumgetrieben«, stellt der Marshal grimmig fest. »Da wird es nicht ganz einfach festzustellen sein, wo Sie diesen prachtvollen Gaul gestohlen haben.«

»Das ist auch schon verjährt, Marshal«, entgegnet der Fremde lächelnd. »William war bei einem Zirkus in Missouri. Er war so anhänglich, und ich habe ein so weiches Herz.«

Ord Hendersons Augen quellen hervor.

»Wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, Mister ...«, keucht er.

»Aber wieso denn? Aah, Sie stoßen sich an dem Namen? Nun, ich nenne ihn ja auch nur Bill! – He, Bill, sag dem Marshal, dass es stimmt!«

Mit gefletschtem Gebiss wendet der Palomino den Kopf, schnaubt, dass der Marshal erschrocken zurückweicht, und scharrt mit dem rechten Vorderhuf. Dabei ruckt sein Kopf heftig auf und ab.

Sekundenlang ist Ord Henderson sprachlos. Doch dann gibt er wütend zurück:

»Weil Sie einen dressierten Zirkusgaul reiten, haben Sie noch lange nicht das Recht, die Stadtgesetze zu missachten, Mister. Sie haben das Schild an der Stadtgrenze gesehen, wonach das Tragen von Waffen in Nogales verboten ist. Trotzdem haben Sie Ihr Schießeisen umgeschnallt. Ich werde Sie drei Tage einsperren und Ihnen anschließend ein Stadtverbot erteilen, Freundchen. Los, steigen Sie ab!«

Noch während des Sprechens hat der Marshal seine Jacke zurückgeschoben, sodass der Revolver sichtbar wird, den er in einem abgewandelten Schulterhalfter schräg an der linken Brustseite trägt. Henderson hängt seine Hände jetzt an die Aufschläge seiner Jacke. Die Rechte befindet sich ganz in der Nähe des Revolverkolbens.

Trotz dieser offensichtlichen Drohung macht der Reiter keinerlei Anstalten, dem Befehl nachzukommen.

»Eine Waffe? Was ist das, Marshal?«, fragt er mit einem betont dümmlichen Gesicht.

»Eine Waffe, aus der man schießen kann«, knurrt Henderson ungeduldig. »Versuchen Sie nur keine Tricks mit mir, Freund!«

»Und wenn man nicht damit schießen kann, dann ist es folglich auch keine Schusswaffe, nicht wahr?«, sagt der scharfgesichtige Fremde ungerührt. »Passen Sie mal auf, Marshal!«

Ord Henderson wird überrascht.

Der Fremde zuckt nur mit dem Ellenbogen. Diese Bewegung muss er schon häufiger geübt haben, denn auf beinahe unerklärliche Weise fliegt seine Jacke zurück, der Kolben eines Colts wird freigelegt, und im nächsten Augenblick hält der Bursche die blau schimmernde Waffe auch schon in seiner Hand.

Peinlich berührt starrt der Marshal in die Mündung des Revolvers. Als der lederhäutige Mann dann noch knackend den Hahn zurücklegt, muss Henderson schlucken. Gibt es hier in der Nähe der Grenze nicht genügend rüde Pilger und Desperados, bei denen ein schiefer Blick genügt, um sie zur Waffe greifen zu lassen?

»Spielen Sie nur nicht verrückt, Mann«, krächzt Ord Henderson, und seine Stimme klingt plötzlich heiser und blechern. »Es wäre eine Narrheit, wenn Sie sich wegen einer dummen Bemerkung schlimmen Verdruss auf den Hals holen ...«

Mit einem erstickten Laut bricht er ab, denn das Unheil ist schon geschehen. Doch es klickt nur, als der Hahn auf die leere Kammer schlägt.

»Sie verdammter ...«, setzt der Marshal mit überschnappender Stimme an, doch der Fremde schneidet ihm das Wort ab.

»Richtig, wir waren vom Thema abgekommen, Marshal. Wir sprachen von Schusswaffen, die keine sind, weil man nicht damit schießen kann. Ist es nicht so? Den Beweis habe ich gerade geliefert. Als ich nämlich an Ihrem prächtigen Schild vorbeikam, habe ich als gesetzestreuer Bürger die Patronen aus meinem Revolver genommen. Wenn ich stattdessen meinen Gurt über das Schild gehängt hätte, wäre er mir vielleicht gestohlen worden. Ich hoffe, Sie geben zu, dass ich mich einwandfrei verhalten habe, Mister.«

Marshal Ord Henderson weiß den letzten Worten nichts entgegenzusetzen. Ihm ist bewusst, dass er einen Mann nicht allein deshalb einsperren kann, weil ihm hartgesichtige Fremde in Nogales unerwünscht sind. Was ihn jetzt beschäftigt, ist nur der Wunsch nach einem würdevollen Rückzug.

»Nun ja«, knurrt er widerwillig und räuspert sich, »aber Sie sehen so aus, als ob Sie schon als Kind gern Katzen am Schwanz gezogen hätten und das jetzt mit ausgewachsenen Tigern wiederholen wollten. Lassen Sie die Finger davon, Freund! Übermütige Burschen haben bei uns selten viel Freude erlebt. Einmal haben Sie mich bluffen können, aber ein zweites Mal wird Ihnen das nicht gelingen, so wahr ich Ord Henderson heiße.«

»Sie fassen das falsch auf, Marshal«, versichert der Reiter. »Ich habe Achtung vor den Leuten mit dem Stern, das können Sie mir glauben. Ich schätze, ich habe es nur etwas ungeschickt angefangen.«

Misstrauisch blinzelt der Marshal zu ihm hinauf.

»Sie wollen also ein paar Tage in Nogales bleiben?«, fragt er schließlich ein bisschen freundlicher.

»Nein.«

Henderson wirkt erleichtert. »Well, also nur für eine Nacht! Da haben Sie die Wahl zwischen Jordan McReadys Hotel, Violet Benedicts Boardinghouse und dem Stroh in Percy Blairs Mietstall. Als Marshal bin ich völlig neutral, aber an Ihrer Stelle würde ich nicht einmal für eine Nacht in Violet Benedicts Pension wohnen wollen und erst recht nicht ihren Saloon betreten.«

»Wieso?« Das Gesicht des Fremden ist an Harmlosigkeit kaum zu übertreffen.

Henderson blickt sich erst um, als ob er sich vergewissern wolle, dass kein Lauscher in der Nähe ist. Unwillkürlich senkt er die Stimme, als er sagt:

»Diese Frau hat einen schlechten Ruf, verstehen Sie? Früher hat sie in den Minencamps in der Gegend von Tombstone gesungen. Und die Gäste, die jetzt hier in ihrem Saloon verkehren, gehören zu der Sorte, die ein Marshal lieber gehen als kommen sieht. Bei manchen von ihnen weiß man nicht, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Grenze ist nicht weit, und in letzter Zeit mehren sich hier die Klagen über Viehdiebstähle. Deshalb machen Sie lieber einen Bogen um den verdammten Saloon. Für eine Nacht sind Sie bei Jordan McReady im Hotel bestens aufgehoben.«

Schon zweimal hat der Reiter versucht, etwas einzuwenden, doch erst jetzt kommt er zu Wort.

»Wieso reden Sie nur immer von einer Nacht, Henderson? Habe ich etwas davon gesagt?«

In die Augen des Marshals kehrt schon wieder der Ausdruck von Wut und Misstrauen zurück, als er entgegnet:

»Sie haben gesagt, dass Sie nicht ein paar Tage bleiben würden.«

»Eben!«, sagt der Mann plötzlich bissig. »Wahrscheinlich werde ich ein paar Wochen in dieser Gegend verbringen. Ist das so schwer zu verstehen?«

Sekundenlang hat es den Anschein, als würde Ord Henderson vor Grimm ersticken, doch dann rafft er sich auf und faucht:

»Können Sie mir auch erklären, was Sie hier so lange treiben wollen?«

»Yeah!«, versichert der andere und tätschelt dabei seinem Pferd den Hals. »Mein Bruder hat hier in der Gegend eine Ranch.«

Der Marshal ist verdutzt. Seine Stimme klingt heiser, als er schließlich fragt:

»Wie heißen Sie, Mister? Verdammt, sagen Sie Ihren Namen!«

»Chataway«, murmelt der Reiter, während er bereits die Zügel aufnimmt. »Vernon Chataway! Ist dagegen etwas einzuwenden, Marshal?«

Es dauert eine ganze Weile, ehe die Antwort kommt:

»Nein – natürlich nicht. Es ist gut, Mister.«

Da nickt Vernon Chataway, zeigt ein Grinsen und treibt seinen Hengst mit einem leichten Zungenschnalzen an.

Marshal Ord Henderson aber steht noch lange reglos am selben Fleck und blickt ihm nach, ehe er sich schließlich mit steifen Schritten seinem Office zuwendet und vor sich hinmurmelt:

»Verdammt, er weiß es noch gar nicht. Und ich habe keine Lust, es ihm zu sagen. Wer hätte auch ahnen können, dass Matt Chataway einen Bruder hat.«

✰✰✰

Vernon Chataway lenkt sein Pferd zum Eingang des Mietstalls, duckt sich unter dem rissigen Querbalken hindurch und taucht in den kühlen Schatten des Stalls ein. Hohl und metallisch klappern die Hufe über den gepflasterten Gang.

Vernon Chataway sattelt ab, schnallt die Steigbügel hoch und versetzt dem Hengst einen Klaps auf die Hinterhand.

»So, Mister, jetzt hast du die Wahl zwischen dem Korral und dem Stall«, sagt er zu seinem Palomino. »Wie ich dich kenne, wirst du dir unter Garantie die kühlste Box aussuchen. Aah, lauf schon!«

Als ob Bill diese Worte genau verstanden hätte, trottet er an der Reihe der Boxen vorbei und biegt schließlich in eine ein. Vernon Chataway streift ihm das leichte Jutehalfter über den Kopf, das an der Futterkrippe befestigt ist.

Er bemerkt nicht, dass ihn durch eine Ritze der Boxenwand zwei glitzernde Augen beobachten. Erst als er seine Deckenrolle ebenfalls auf den Sattel gelegt hat und sich nach einem Wassereimer umsieht, bemerkt er die Bewegung in der Box und verschafft sich mit einem langen Schritt ein freies Blickfeld.

An den Bewegungen des alten Mannes, der offenbar im Heu seine Siesta gehalten hat, ist zu erkennen, dass sein rechtes Bein steif ist. Ein struppiger Urwald grauer Haare bedeckt seinen Schädel. Aus einem verwitterten, faltigen Gesicht blicken zwei verschmitzte, listige Augen. Er klopft sich das Heu von der abgetragenen Kleidung und tappt mit einem verlegenen Grinsen heran.

»Gegen Selbstbedienung habe ich nichts einzuwenden, Mister«, krächzt er, »aber einem Hengst nur dieses lausige Stallhalfter überzustreifen, ist ein verdammter Leichtsinn. Ihr Gaul wird sich bei der ersten Gelegenheit losreißen und mir den ganzen Stall durcheinanderbringen.«

Vernon Chataway schüttelt den Kopf.

»Das ist ein Trickpferd, und Bill ist lammfromm, wenn ihn niemand ärgert«, sagt er dann.

»Schon gut«, erwidert der Stallmann gleichgültig und winkt ab.

Seine ständigen Blicke verunsichern Vernon. Unwillkürlich fährt er sich mit der Hand über das Gesicht, dann murmelt er:

»Wenn etwas Komisches an mir sein sollte, dann lassen Sie es mich wissen, Blair. – Sie sind doch Percy Blair, nicht wahr?«

Der Stallmann geht über diese Frage mit einem kaum merklichen Nicken hinweg und streicht sich über das mit grauen Bartstoppeln bedeckte Kinn.

»Ich kenne Sie nicht, Mister«, krächzt er, »und doch möchte ich fast schwören, dass ich Sie schon einmal gesehen habe. Merkwürdig, was? Sind Sie schon mal in Nogales gewesen?«

»Vielleicht täuscht Sie eine Familienähnlichkeit«, gibt Vernon gelassen zurück. »Mein Bruder hat eine Ranch zwanzig Meilen westlich von Nogales.«

»Familienähnlichkeit, he?«, murmelt der Stallmann versonnen, aber dann fährt er plötzlich hoch und starrt sein Gegenüber an. »Verdammt, ja!«, keucht er. »Im Verhältnis zu Matt Chataway sind Sie zwar nur ein Leichtgewicht, aber in den Gesichtszügen gleichen Sie ihm ganz verblüffend. – Ja, das ist es.«

Er verstummt und mustert seinen Gesprächspartner vorsichtig und abschätzend, ehe er zögernd fortfährt:

»Sie – Sie wollen wohl Ihren Bruder besuchen, wie?«

»So ungefähr«, bestätigt Vernon. »Aber da Bill für heute bei der Hitze genug geleistet hat, will ich erst morgen früh weiterreiten.«

Percy Blair muss plötzlich schlucken und blickt zur Seite.

»Wieso kennen Sie meinen Namen?«, murmelt er, offensichtlich in dem Bestreben, das Thema zu wechseln.

»Der Marshal meinte, ein Mann mit schmalem Geldbeutel könne bei Ihnen im Stroh übernachten. Aber das sagte er erst, nachdem er mir gründlich auf den Zahn gefühlt hatte.«

« Aah, und Ord Henderson wusste, wer Sie sind?«

»Er hat es mir aus der Nase gezogen. Mein Name ist Vernon Chataway. Ihr prächtiger Marshal scheint sich für einen mächtig scharfen Tiger zu halten!«

Percy Blairs Gedanken scheinen aus weiter Ferne zurückzukehren.

»In gewissem Sinne ist er es auch. Jedenfalls gibt es nur wenige Leute, die ihn mit dem Colt schlagen könnten.«

»Und außerdem scheint er in Nogales der Hüter von Moral und Sitte zu sein, obgleich das gar nicht zu seinem Aufgabengebiet gehört.«

»Wie kommen Sie darauf?« will der Stallmann wissen.

»Nun, er warnte mich ziemlich deutlich vor einem zweifelhaften Lokal, das einer gewissen Violet Benedict gehört.«

Der Stallmann macht eine wegwerfende Handbewegung.

»Aah, diese verdammten Klatschmäuler«, knurrt er verachtungsvoll. »Warum können sie diese Frau nicht endlich in Ruhe lassen? Wahrscheinlich hat es ihr niemals ein Vergnügen bereitet, in verqualmten Buden vor unrasierten Minenarbeitern zu singen, doch von irgendwas musste sie ja schließlich leben, oder nicht? Und dass sie dann hier eine Pension eröffnete, kann ihr wohl kein Mensch zum Vorwurf machen. Aber dieses ehrenwerte Pack hat es doch getan, und unser prächtiger Marshal hat auf seine Art dafür gesorgt, dass Fremde jetzt einen Bogen um Nogales machen. Dabei ist Ord Henderson selbst uns allen immer ein Fremder geblieben.

Allein mit ihrer Zimmervermietung wäre Violet Benedict längst verhungert, und deshalb hat sie eben noch einen Saloon eröffnet. Es gibt eine Menge Burschen, die abends dort zu finden sind, aber wenn sie Violet tagsüber auf der Straße begegnen, dann wenden sie den Kopf weg, und die tugendsamen Ladys rümpfen die Nasen. Ich sage Ihnen, Chataway, diese ganze ehrenwerte Bande kann einem Menschen schon das Leben schwer machen. Ich bewundere Violet Benedict, dass sie bei alledem noch nicht aufgegeben hat.

Wenn Sie mich fragen: Ich halte sie für eine patente Person. Dass sich unter ihren Gästen auch manchmal Desperados und Satteltramps befinden, dafür kann man sie nicht verantwortlich machen. Schließlich frage ich auch nicht jeden, der bei mir seinen Gaul unterstellt, auf welche Weise er sein Geld verdient. Wir befinden uns hier dicht an der Grenze, und jeder will leben, nicht wahr?«

»Jeder will leben«, wiederholt Vernon Chataway gedankenvoll. »Ja, das ist wohl so. – Ich glaube, ich werde den Marshal ein bisschen ärgern und doch zu Violet Benedict gehen. Saloons haben auf mich schon seit jeher eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausgeübt. Was mache ich mit meinem Gepäck?«

»Das schicke ich Ihnen hinüber.«

»Und wenn ich mich doch noch anders entscheide und in Jordan McReadys Hotel unterkomme?«

Percy Blair kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Keine Sorge«, versetzt er. »Man merkt, dass Sie Nogales noch nicht kennen, Chataway. Wohin auch immer Sie gehen werden, innerhalb einer Viertelstunde wird es die ganze Stadt wissen. Für Gesprächsstoff ist man hier immer dankbar.«

Vernon Chataway greift sich leicht an die Hutkrempe.

»Gönnen wir es dieser – wie sagten Sie noch, Blair? – ehrenwerten Bande. Versorgen Sie Bill gut. Sie können ihm ruhig einen Eimer mit Wasser hinstellen. Solange er erhitzt ist, säuft er von selbst nur ganz vorsichtig.«

✰✰✰

Vernon Chataway schlendert die Main Street entlang, sieht von fern die Holzbrücke, die über den Santa Cruz River führt, und steht wenig später vor einem zweigeschossigen Haus. An der umlaufenden, schattigen Veranda verkündet ein Schild, dass es sich um Violet Benedicts Saloon handelt, und dass hier auch Zimmer zu vermieten sind.

Vernon hat gerade die halbhohe Pendeltür erreicht, als ihm der Lärm streitender Menschen entgegenschallt.

Über die Tür hinweg kann er eine rothaarige Frau in einem leichten Kattunkleid erkennen. Sie hat die Ärmel hochgeschlagen und war offensichtlich damit beschäftigt, die Nickelbeschläge des Schanktisches zu polieren. Jetzt hat sie die Arme kampflustig auf den Tresen gestemmt, beugt sich vor und funkelt einen dunkelgekleideten hageren Mann an, der sich mit einem überheblichen Grinsen an der Bar herumlümmelt.

»Ich schätze, für mein Geld kann ich hier eine ebenso gute Bedienung verlangen wie jeder andere auch«, sagt er gerade giftig, und die Frau – Vernon schätzt sie als Violet Benedict ein – erwidert scharf:

»Geh zum Teufel, Horace Gilmore! Gib dein dreckiges Geld aus wo du willst, aber bei mir kannst du dafür nicht mal ein Bier kaufen. Aah, ich würde dich eigenhändig hinauswerfen, wenn meine Kräfte dazu ausreichten, aber dabei würde ich mir ja höchstens eine Tracht Prügel einhandeln, wie es schon früher der Fall war. Merke dir, Race, wir beide sind quitt miteinander – für immer! Dies ist mein Haus, und wen ich hier als Gast dulde, ist einzig und allein meine Sache.«

Lautlos hat Vernon die beiden Flügel der Pendeltür auseinandergeschoben und ist eingetreten. Jetzt wird er Zeuge, wie der Mann blitzschnell zugreift und die Frau am Handgelenk packt. Trotz ihres Sträubens zieht er sie weit zu sich herüber. Sein schmales, blasses Gesicht ist dabei von Hass verzerrt.

»Du wirst in Zukunft andere Töne anschlagen müssen, mein Täubchen«, keucht er, »wenn du nicht willst, dass du bald aus dieser Stadt gejagt wirst. Wirklich, du solltest dich nicht mit mir anlegen, weil ich dich sonst in den Dreck treten werde ...«

»Höchstens in den Dreck ziehen wirst du mich«, entgegnet die Frau scharf. »In den Dreck nämlich, in dem du selbst dein Leben lang gesteckt hast. Lass mich los, sage ich dir, wenn du nicht willst, dass ich die nächstbeste Flasche auf deinen Schädel schlage!«