Hamish und die Weltstopper - Danny Wallace - E-Book

Hamish und die Weltstopper E-Book

Danny Wallace

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Beschreibung

Dieses Buch ist zum Brüllen komisch!

Stell dir vor, die ganze Welt bleibt plötzlich einfach stehen! Ja, die ganze Welt! Nichts rührt sich mehr, selbst Vögel kleben in der Luft! Nur du kannst dich noch bewegen. Genau das passiert dem zehnjährigen Hamish. Als sein erster Schock verdaut ist, nutzt er die Pausen, die die Welt immer wieder einlegt, nach Herzenslust aus: Er futtert sich durch den paradiesischen Süßigkeitenladen und knattert mit der Vespa durch die Gegend. Doch dann entdeckt er mit Entsetzen, dass die WELTSTOPPER hinter alldem stecken: schreckliche, fiese, fürchterliche Monster! Mit schrecklichen, fiesen, fürchterlichen Plänen! Kann Hamish sie gemeinsam mit seiner klugen Freundin Alice aufhalten?

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Seitenzahl: 285

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DANNY WALLACE

MIT ILLUSTRATIONEN VON JAMIE LITTLER

Aus dem Englischen vonJörn Ingwersen

DAS BUCH

Der zehnjährige Hamish lebt in Starkley, der viertlangweiligsten Stadt Englands (ja, es hat nicht mal zur langweiligsten Stadt gereicht, was ja immerhin irgendwas Besonderes gewesen wäre!). Hier passiert eigentlich nie was Aufregendes – bis zu dem Tag, an dem plötzlich mitten im unsagbar langweiligen Erdkundeunterricht einfach mal die Welt stehen bleibt. Der Lehrer erstarrt mitten im Sprechen, die Vögel kleben am Himmel fest, die Klassenkameraden fallen beim Nasepopeln in Dornröschenschlaf – nur Hamish ist noch putzmunter! Nach einer Weile erwacht die Welt zwar wieder, aber der seltsame Vorfall wiederholt sich kurz darauf. Hamish ist begeistert: Jetzt kann er endlich all das tun, was er schon immer tun wollte!

Doch Hamish ist nicht allein auf der Welt, wenn sie stillsteht. Plötzlich tauchen grässliche, hässliche Geschöpfe auf und fallen über Starkley her. Es sind die fürchterlichen WELTSTOPPER. Was haben sie nur vor? Und wird es Hamish und seinen Freunden gelingen, sie aufzuhalten?

DER AUTOR UND DER ILLUSTRATOR

Danny Wallace, geboren1976, lebt in einer alten Streichholzfabrik im Londoner East End. Als Journalist schrieb er für den Independent und den Guardian, als Comedy-Produzent, Autor und Moderator ist er im Fernsehen, Radio und Theater präsent. Sein Romandebüt Auf den ersten Blick war ein großer internationaler Erfolg. Hamish und die Weltstopper ist sein erstes Jugendbuch.

Jamie Littler ist ein bekannter Illustrator, der schon viele Kinderbücher mit seinen liebenswerten Zeichnungen bereichert hat.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Hamish and the Worldstoppers bei Simon & Schuster UK Ltd

Copyright © Danny Wallace 2015 (Text)

Copyright © Jamie Littler 2015 (Illustrationen)

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, unter Verwendung eines Motivs von © Jamie Littler

Redaktion: Martina Vogl

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-16395-2V003

www.heyne-fliegt.de

FÜR EB UND CLO.

Mit all meiner Liebe.

Danny Wallace

Für meine Schwester Nicole

und ihr Gesicht.

Jamie Littler

Was um alles in der Welt?

Hamish Ellerbys Augen waren groß wie Nektarinen, als er starr und steif auf seinem Stuhl hockte.

Und er hockte so starr und steif da, weil er vor Schreck wie gelähmt war.

Das Ganze war doch irre.

Was um alles in der Welt passierte hier?

Echt jetzt – was um alles in der Welt?

Es war so schnell gegangen. Das Unheimlichste, Coolste, Schrecklichste, Genialste, Gruseligste, Wunderbarste, was er sich vorstellen konnte.

Am liebsten wäre Hamish aufgestanden und hätte sich umgesehen. Aber er konnte nicht. Er traute sich nicht, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.

Es war unglaubli-schräg!

Eben erst hatte sich der schlaksige Mr. Longblather auf seinen Handknöcheln abgestützt und über das Pult gebeugt, wie er es immer tat, wenn er der Klasse 4e der Winterbourne School eine Frage stellte.

»Wer kann mir etwas über Bodenerosion erzählen?«, hatte er gefragt, und sofort verließ sie allesamt der Mut, denn sollte es etwas Langweiligeres als Bodenerosion geben, so hat man mir das bisher verschwiegen. Mr. Longblather war einer dieser außergewöhnlich langweiligen Lehrer, die das außergewöhnliche Talent besitzen, außergewöhnlich langweilige Themen noch langweiliger klingen zu lassen als ohnehin schon. In dieser Hinsicht zumindest war Mr. Longblather etwas ganz Besonderes.

Nachdem die Frage gestellt war, hatte Hamish sein Federmäppchen angestarrt und seine Hm-da-muss-ich-mal-eben-überlegen-Miene aufgesetzt. Er fuhr mit seiner Hand durch die dicken schwarzen Haare, die seine Mutter »Die Matte« nannte, und kniff seine großen grünlich-braunen Augen zu, als versuchte er, sich eine Antwort einfallen zu lassen. Hin und wieder genügte das, um Leuten den Eindruck zu vermitteln, er würde über Bodenerosion nachdenken. (Tatsache: Hamish hatte noch nie ernstlich über Bodenerosion nachgedacht. Sie war ihm eigentlich egal. In Wahrheit wusste er gar nicht genau, was Bodenerosion überhaupt war.)

»Bodenerosion!«, hatte Mr. Longblather wiederholt, wobei er inzwischen leicht säuerlich wirkte. »Kommt schon, 4e! Bodenerosion!«

Daraufhin hatte Mr. Longblather die Fäuste in die Hüften gestemmt und geseufzt. Hamish ließ sein Federmäppchen nicht aus den Augen.

»IRGENDJEMANDwird doch wohl IRGENDWAS wissen über …«

Und da hatte er dann eine Pause gemacht …

Und Mr. Longblathers Pause dauerte und dauerte.

Hamish dachte noch, dass es eine ziemlich dramatische Pause war. Sie würde gut in eine Vorabendserie oder eine Talentshow passen. Schon bald jedoch wäre diese Pause vorbei, denn schließlich gehen Pausen immer vorbei, oder? Deshalb sind es ja Pausen und nicht das Ende.

Doch diese Pause dauerte.

Und dauerte.

Und dauerte.

Und dauerte immer noch.

Eine halbe Ewigkeit sagte keiner was. Noch nie war die Klasse so still gewesen. Das war wirklich seeeeeehhhr seltsam.

Also hob Hamish schließlich mit einem Zögern die Hand.

Doch nichts geschah.

Mr. Longblather sagte nicht: »Hamish Ellerby, du Wunderkind, erzähl uns bitte alles, was du über Bodenerosion weißt.«

Und er sagte auch nicht: »Hamish Ellerby, du bist der Held dieser Schule, das klügste Kind im ganzen Land und demnächst vermutlich der kommende Experte in Sachen Bodenerosion.«

Er sagte aber auch nicht: »Na gut, Hamish, spuck’s aus!«

Mr. Longblather sagte überhaupt nichts.

Und das war der Augenblick, in dem Hamish merkte, dass irgendwas nicht stimmte. Denn als er schließlich aufblickte, sah Hamish, dass Mr. Longblather sich nicht rührte.

Er war wie versteinert.

Eine Statue.

Rührte sich nicht.

Hing fest.

Superfest.

Das ist doch komisch, dachte Hamish. Er runzelte die Stirn und sah sich seinen Lehrer etwas näher an. Mr. Longblathers Mund stand weit offen, seine dicke rosa Zunge schwebte zwischen seinen Vorderzähnen. Mr. Longblather trug ein sehr schmales, sehr trauriges Bärtchen, das aussah, als wollte es seinem Gesicht so schnell wie möglich entfliehen. Zwischen den braunen, drahtigen Härchen sah Hamish ein wenig Sabber glitzern.

Und dann fiel Hamish etwas noch Seltsameres auf, falls das überhaupt möglich war.

Ein kleiner Spucketropfen hing in der Luft, direkt vor Mr. Longblathers Mund. Das Sonnenlicht fing sich darin und ließ ihn glitzern wie einen Ministern.

Natürlich war es nicht ungewöhnlich, dass Mr. Longblather seine Klasse vollspuckte. Er war einer dieser Lehrer, die beim Sprechen speicheln. Du kennst die Sorte, bei der sich alle um die Plätze in der letzten Reihe prügeln. Tatsächlich war Mr. Longblather ein derart schlimmer Wiederholungstäter hinsichtlich ungebetener Speichelzuteilung, dass Astrid Carruthers’ Mutter ihr sogar erlaubt hatte, einen Regenschirm mit zur Schule zu bringen. Ungewöhnlich war allerdings, dass ein Tropfen der ekligen Flüssigkeit mitten in der Luft hängen blieb.

Wie konnte er da so hängen? Es war unglaublich! Am liebsten hätte Hamish eine Hand ausgestreckt und die kleine, feuchte Kugel berührt. Wahrscheinlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass er die Spucke von jemand anderem gern angefasst hätte.

Er sah sich um, weil er wissen wollte, ob der Rest der 4e den kleinen Spuckestern auch bemerkt hatte, doch das war der Augenblick, der ihn echt schockierte.

Die rührten sich auch alle nicht!

Keiner bewegte sich.

Grenville Bile, der Schulrüpel, hatte einen schmuddeligen Wurstfinger halb in der Nase und zog ein Gesicht, als hätte er eben Stinkekäse gerochen.

Aber er bewegte sich nicht.

Colin Robinson hatte ein dürres Bein leicht angehoben und sah aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen.

Aber auch er rührte sich nicht.

Die schlaue Astrid Carruthers hielt ihren Regenschirm unter dem Tisch mit beiden Händen fest und war bereit, ihn zu öffnen – für den Fall, dass Mr. Longblather sich ihr zuwandte und einen Monsun von Speichel auf sie herniederregnen ließ.

Aber Astrid Carruthers bewegte sich keinen Zentimeter.

Hamish fing an zu schwitzen.

»Hallo?«, sagte er, doch niemand antwortete. In der Totenstille des Klassenzimmers hallte seine Stimme nach. »Hallo …?« Sein Freund Robin neben ihm war mitten beim Blinzeln. Er sah aus wie ein Foto, das man vermutlich löschen würde.

Langsam wurde es Hamish mulmig. Er warf einen Blick aus dem Fenster und sah Rex Ox, den Hausmeister der Schule. Vielleicht sollte er ihn rufen … Doch da merkte Hamish, dass Rex Ox’ Füße wie am Boden festgewachsen waren und sich die breiten Schultern nicht bewegten. Der knallorange Laubbläser in seinen Händen schwieg.

Und – ach du je – das gibt’s doch nicht! Überall um ihn herum hingen Blätter in der Luft!

Und da – drüben bei den Mülleimern – sprang eine Katze von einer Mauer zur anderen, nur dass sie irgendwie in der Luft zu schweben schien.

Sie sah aus wie ein komischer Katzenballon.

Und dann presste Hamish seine Hände gegen die Fensterscheibe und blickte zum Himmel auf – da war ein Flugzeug! Im Stillstand! Als wäre es an zwei Wolken gepinnt, die sich ebenfalls nicht bewegten!

Hamishs Augen konnten gar nicht alles aufnehmen. Sie wurden größer und größer und größer und größer …

Was sollte er tun? Was macht man, wenn die ganze Welt stillsteht?

Seine Gedanken rasten. Komm schon, Hamish, denk nach! Er war ein heller Kopf. Einmal hatte er ein Buch über Gravitation gelesen. Er konnte sogar das zungenbrecherische Wort »malliziös« buchstabieren.

Ich meine »maleziös«.

Ich meine »melaziös«.

Egal! Ich will damit nur sagen, dass Hamish haufenweise Wörter buchstabieren konnte.

War das hier also ein Test? Oder ein Traum? Oder ein Scherz? Der 1. April war aber schon letzten Monat gewesen.

Waren denn alle eingeweiht? Wurde Hamish Ellerby hier auf den Arm genommen?

Ein Zehnjähriger wäre mit einer solchen Situation doch bestimmt überfordert, oder? Also traf Hamish eine ungemein bedeutsame Entscheidung. Er wusste genau, was zu tun war.

Er würde genau das tun, was die anderen taten.

Nämlich absolut rein gar nichts.

Hamish saß nur da. Still. Verwirrt. Hin und wieder warf er einen Blick auf die Uhr an der Wand, was im Grunde keinen Sinn hatte, denn auch die Uhr war stehen geblieben.

Und je länger die Pause dauerte, desto bewusster wurde Hamish, dass er sich sehr, sehr fürchtete.

Was ist, wenn die Welt sich nie mehr weiterdreht?, dachte er, allein in der Stille. Was ist, wenn diese Unterrichtsstunde zum Thema Bodenerosion nie zu Ende geht?

Er merkte, dass seine Hände ein wenig zitterten. Fast war ihm zum Weinen zumute. Sollte sich die Welt nie mehr weiterdrehen, wäre er der einzige Junge in Starkley, der sich rühren konnte. Mit wem sollte er spielen? Würde er jemals wieder mit seiner Mum sprechen können? Was war, wenn sie sich auch nicht mehr bewegte? Wer würde ihm Würstchen mit Kartoffelbrei machen? Wer würde ihm Geld für Chomps geben – seine liebsten Schokoriegel? Aber Moment mal – schlimmer noch … was, wenn das Ende der Welt gekommen war?

Hamishs Bauch fühlte sich an, als trampelte ein Dachs darin herum. Ein überaus trampeliger Dachs mit einem schweren Nervenleiden, das seine Beine zucken ließ.

Und immer noch wartete Hamish.

Und dann, nachdem vielleicht eine Minute oder eine Stunde oder ein ganzer Monat vergangen waren …

»… BODENEROSION!«, schrie Mr. Longblather, was Hamish so sehr erschreckte, dass er mit den Knien unten an sein Pult schlug. Im nächsten Augenblick spürte er, wie die kleine Sternschnuppe aus Speichel ihren Flug fortsetzte und mitten auf seiner Nasenspitze landete.

Doch das war Hamish ganz egal! Es tat sich was!

Die Uhr tickte weiter, als wäre nichts gewesen. Irgendwo klingelte es. Einer von Mr. Longblathers haarigen Knöcheln schlug auf den Tisch.

Hamish sah zu Grenville hinüber, der immer noch mit seinen Nasenlöchern beschäftigt war und nach etwas bohrte, das er »die Früchte meiner Nase« nannte. Draußen fuhren Autos vorbei. Die Katze landete sicher und sprang hinter ein paar Tonnen, die klapperten und schwankten, als sie dagegen stieß. Dicke braune Blätter umtanzten Rex Ox’ Kopf, während sein Laubbläser röhrte.

Hamish war total erleichtert. Bäume schwankten, Schatten wankten, Flugzeuge flogen, Wolken schwebten, Wind wehte … und Mr. Longblather wollte immer noch eine Antwort hören.

»Ich kann warten. Ich habe alle Zeit der Welt!«, knurrte er.

Und dann mussten alle lachen, weil Colin Robinson einen fahren ließ.

Langweilig!

Hamish kam zu dem Schluss, dass es das Beste war, einfach nicht darüber nachzudenken.

Wozu sich damit aufhalten? Darüber nachzudenken, war doch allzu beunruhigend. Besonders weil … na ja … Pausen, die kein Ende nahmen, kamen in Starkley sonst nicht vor.

Im Grunde passierte in Starkley nie etwas Spannendes.

Erwähnenswert war an Starkley eigentlich nur, dass es nichts Erwähnenswertes gab.

Es war eine Kleinstadt direkt an der Küste, was bedeutete, dass die meisten Autos, die nach Starkley kamen, wendeten und wieder wegfuhren. Man konnte auf der Bank unter der Turmuhr sitzen und zusehen, wie die Autos in den Ort gefahren kamen und gleich wieder umkehrten. Samstags saßen viele Leute da und taten das, weil es sonst kaum was zu tun gab.

Das Spannendste, was man in Starkley je erlebt hatte, war wohl gewesen, dass man es zu Großbritanniens viertlangweiligstem Ort gewählt hatte. Ein großer Tag für Starkley!

»Viertlangweiligster Ort!«, hatten die Leute gesagt. »Wir haben es geschafft!«

Jemand hatte vorgeschlagen, im Gemeindesaal ein Fest zu feiern. Doch das wurde abgesagt, weil jemand anders nicht die nötigen Gesundheits- und Sicherheitsformulare ausgefüllt hatte.

Laaaaangweilig!

Noch schlimmer war jedoch, dass alle fanden, zum viertlangweiligsten Ort gewählt zu werden, mache Starkley sogar noch langweiliger als den Ort, der den ersten Preis gewonnen hatte. Denn dieser Ort habe wenigstens einen Preis gewonnen, und einen Preis zu gewinnen, sei doch ziemlich spannend. Dadurch sei dieser Ort Milliarden Mal weniger langweilig als Starkley! Alle schienen stolz darauf zu sein, dass Starkley nicht mal langweilig genug war, zum langweiligsten Ort Großbritanniens gewählt zu werden – und das machte es einfach unglaublich langweilig.

Soll ich dir mal was sagen? Wenn du meinst, dein Heimatort sei langweilig – hier die drei Top-Schlagzeilen auf der Website der Starkley Post:

MANN LÄUFT AUS VERSEHEN

ANDEREM MANN INS BILD

Es handelte sich um einen Artikel über einen Mann, der aus Versehen einem anderen Mann ins Bild gelaufen war. Dabei hatte er den Kopf leicht eingezogen, was – wie er offenbar hoffte – mit sich bringen würde, dass er auf dem Bild nicht zu sehen wäre. War er aber.

Langweilig!

MRS. PIPPERKINS KUCHEN FAST VERBRANNT (IST ABER NOCH MAL GUTGEGANGEN, UND KAUM JEMAND HAT WAS GEMERKT)

Da hatten die Leute im Ort eine Weile was zu tratschen, denn normalerweise ließ Mrs. Pipperkin ihren Kuchen nie verbrennen, sodass alle ziemlich erleichtert waren, dass er am Ende doch noch okay war.

Laaaaang-weilig!

JUNGE SIEHT FLIEGE UND ÖFFNET FENSTER

Hamish sparte es sich, den Artikel weiterzulesen. Er hatte so eine unbestimmte Ahnung, wovon er handelte.

Super-ultra-langweilig!

Aus diesem Grund beschloss Hamish, den Umstand zu ignorieren, dass die Welt am Morgen stehen geblieben war. Zu viele Leute würden ausflippen. Niemand würde wissen, wie man damit umgehen sollte. Und außerdem hatte das mit dem Ignorieren beim ersten Mal doch auch schon tadellos funktioniert.

Ja, genau. Ich sagte »beim ersten Mal« … Denn Hamish hatte ein Geheimnis. Etwas, das er nicht mal sich selbst eingestehen wollte.

Hamish hatte schon einmal erlebt, dass die Welt stehen geblieben war.

Er hatte seiner Mum nichts davon erzählt. Und auch seinem älteren Bruder Jimmy nicht, der fünfzehn war und viel zu sehr damit beschäftigt, sich ein fusseliges Oberlippenbärtchen wachsen zu lassen und mit seinem Handy Fotos von sich zu machen, auf denen er cool und grimmig aussah. Der würde ihm gar nicht erst zuhören. Also hatte Hamish für sich behalten, dass er gesehen hatte, wie die Welt stehen geblieben war. Er fürchtete, man würde ihn schräg finden. In der Schule fanden ihn jetzt schon einige schräg, auch ohne dass er ihnen wilde welt-stoppende Geschichten erzählte.

Es war zwei Wochen her. Er hatte draußen im Garten des Hauses Lovelock Close Nummer 13 gestanden. Es war Abend, der Himmel dunkelrot, und Licht kam nur von den Fenstern her.

Hamish hatte etwas Sonderbares in der Luft hängen sehen. Etwa zwei Meter über dem Boden.

Zwei Meter konnte Hamish ganz gut abschätzen, weil sein Dad zwei Meter groß war. Der sagte immer: »Ich bin der größte Mann der Welt!«, und reckte sich dabei. Hamish mochte das immer gern, aber er wusste, dass sein Dad nicht der größte Mann der Welt war. Das war Mr. Ramsface nebenan. Der sah aus wie eine überdimensionale Bohnenstange.

Hamish hatte das merkwürdige Ding im Garten nicht aus den Augen gelassen und war langsam darauf zugegangen. Er fragte sich, was um alles in der Welt so still und leise sein konnte.

Er ging näher heran, trat vorsichtig aufs Gras, um das Ding nicht zu vertreiben, was es auch sein mochte.

Und als er ganz nah herankam, staunte er.

Es war eine Amsel.

Ihr Schnabel stand offen. Ihre Flügel waren ausgebreitet. Aber sie rührte sich nicht.

Schweigend hatte Hamish ihren dunkelgelben Schnabel und die Rillen an ihren Beinen betrachtet. In ihren glänzenden Augen sah er sein Spiegelbild.

Wunderschön war sie.

Und einen Moment lang schien es, als starrten Hamish und die Amsel einander an.

Und dann …

FAF-FAF-FAF-FAF-FAF-FAF-FAF …

Der Vogel flatterte zum Himmel auf, flog über die Bäume und segelte vor dem Mond entlang.

Hamish hatte ihm hinterhergesehen und war dann ins Haus gegangen. Seine Mum war nach einem weiteren langen Arbeitstag auf dem Sofa eingeschlafen. Ein Speichelfaden zog sich von ihrem Mund zum Kissen wie eine schleimige Seilbrücke, und sie gab so ein erschöpftes Schnarchen von sich, wie Mütter es manchmal tun, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Jimmy hockte neben ihr auf dem Sofa, blickte aber kaum auf. Er war zu sehr damit beschäftigt, alle Antworten bei Britanniens Schlaueste Schlaumeier zu wissen.

Also, nein. Hamish hatte niemandem von der verzauberten Amsel erzählt. Der einzige Mensch, dem er es anvertraut hätte, war sein Dad. Bestimmt wäre sein Dad fasziniert gewesen. Wahrscheinlich wäre er total begeistert.

Sein Dad fehlte ihm.

»HEY, DU!«, rief jemand ziemlich laut.

Hamish hörte auf, an den Vorfall mit der Amsel zu denken, und sah sich um. Er hatte den halben Heimweg von der Schule hinter sich und war schon an Slackjaw’s Motorparadies vorbei.

»DU, HAMISH!«

Hamish sah, wer es war.

Oh, nein. Einfach weitergehen!

»KOMM HER!«, rief eine andere Stimme. »ICH WILL MIT DIR REDEN, DU KLEINER RINGELSCHWANZ!«

Es war Scratch Tuft, die stinkende Missgeburt. Und hinter Scratch Tuft zottelte Mole Stunk, genauso ekelhaft und widerlich.

Die beiden waren das Letzte. Sie waren fiese, miese, kleine Schlangen mit kalten Augen und verkniffenen Gesichtern. Das Schlimmste aber war: Wo sich Scratch und Mole herumtrieben, konnte auch Grenville Bile nicht weit sein.

Grenville Bile, der meinte, sein Speck sei pures Muskelfleisch.

Grenville Bile, der ständig nach den »Früchten seiner Nase« bohrte.

Grenville Bile, der meinte, er sei ein so guter Wrestler, dass er nach Amerika gehen und Milliarden und Abermilliarden verdienen könnte. Vorerst aber wollte er weiter die Schulbank drücken, um seinen Abschluss zu machen.

Grenville Bile … der Sohn des Postmeisters!

»DUKLEINERPILLERMANN!«,brüllte Mole. »KEINEN SCHRITT WEITER!«

Hamish blieb stehen und richtete sich auf, um furchtloser zu wirken. Er konnte Scratch und Mole nicht leiden. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe? Scratch und Mole gehörten zu denen, die Spinnen in Gläser sperrten und durchschüttelten und sich dabei diebisch freuten. Sie gehörten zu denen, die in Flaschen pinkelten, um sie an Bushaltestellen zu deponieren, für den Fall, dass jemand Durst bekam.

Sie waren die schlimmsten Mädchen überhaupt.

Und Hamish wusste, was sie wollten. Sie wollten seinen Chomp.

Hamish hatte immer einen Chomp dabei, und Scratch und Mole versuchten immer, ihn zu klauen. Manchmal brachten sie ihn direkt zu Grenville, wie eine Opfergabe. Scratch betete Grenville so sehr an, dass sie sogar ein Poster von ihm an der Wand hängen hatte. Und Mole betete ihn so sehr an, dass sie ihre Geburtsurkunde gesucht, »Mole« durchgestrichen und stattdessen »Grenvilla« geschrieben hatte, was aber offenbar nicht zählte.

Seufzend wühlte Hamish in seinen Taschen herum, bereit, seinen Schokoriegel herzugeben. Aber er konnte ihn nirgends finden! Da fiel ihm ein – er hatte ihn in der Mittagspause gegessen. Einfach aufgefuttert!

Sekunden später standen sie direkt vor ihm. Selbst wenn sie sich auf ihren spindeldürren Beinchen streckten, reichten sie ihm nur bis zur Brust. Hamish konnte sie riechen. Es ging das Gerücht, sie würden so schlimm stinken, dass selbst Schmeißfliegen hustend das Weite suchten und verzweifelt die Luft anhielten.

»Ich fürchte, ich habe meinen Chomp schon aufgegessen«, erklärte Hamish, der nicht anders konnte, als hilfsbereit zu sein, selbst in solchen Augenblicken.

»HALT’S MAUL!«, keifte Mole. »HALT DIE FRESSE!«

Schon durchwühlten ihre kleinen Hände seinen Ranzen.

Dann seine Taschen.

Dann seine anderen Taschen.

Langsam wünschte sich Hamish, er könnte die Welt noch mal anhalten. Dann würde er abhauen – wie die Amsel. Die Mädchen würden denken, er hätte sich in Luft aufgelöst.

Moment mal … was wäre, wenn …?

Hamish schloss die Augen. Wenn er die Welt anhalten könnte … das wäre ja wohl das Coolste überhaupt!

Während Mole Stunk und Scratch Tuft an seinen Ärmeln zerrten, in seinen Socken suchten und ihn fast auf den Kopf stellten … wünschte Hamish es sich.

Er wünschte es sich so sehr.

Er wünschte, die Welt würde stehen bleiben.

Er wünschte, die Welt würde auf der Stelle stehen bleiben!

Er wünschte und wünschte und wünschte, und plötzlich wurde es tatsächlich ganz still …

Er kniff die Augen fest zusammen. Hatte er es geschafft? Hatte er es im Griff? Konnte das wahr sein?

Da hörte er, wie sich jemand räusperte.

»A-heeeeeem.«

Er machte ein Auge auf. Mole und Scratch starrten ihn an.

»WIESO HAST DU KEINEN CHOMP DABEI?«, bellte Scratch. »DAFÜR BRINGST DU UNS MORGEN GANZ VIELE MIT!«

»GENAU!«, schrie Mole. »MORGEN IN DER PAUSE WOLLEN WIR ZWEI MILLIONEN CHOMPS SEHEN! SONST KNÜLLEN WIR DICH WIE ’NE TÜLLE!«

»GENAU!«, kreischte Scratch. »WIR PINGELN DICH WIE’N PINGPONG!«

Hamish stand nur da und blinzelte, während die stinkenden kleinen Mädchen hinter ihn traten. Zwei Millionen Chomps? Das waren ziemlich viele! Das waren mehr, als man in einer Woche essen konnte!

Und zwei Sekunden später verwuschelten die beiden grässlichen Gören ihm die Haare und rannten gackernd weg.

Hamish wusste, dass sie wahrscheinlich Grenville Bile davon erzählen würden.

Morgen in der Schule konnte er sich bestimmt auf was gefasst machen.

Da ahnte Hamish allerdings noch nicht, dass ihn morgen in der Schule etwas ganz anderes erwarten sollte.

Die Explorer

Im Haus Lovelock Close Nummer 13 saß Hamishs Mum, las die Starkley Post und knabberte ihre Lieblingskekse.

Die Schlagzeile auf der Titelseite lautete

MANN FÄHRT WEG, KOMMT ABER WAHRSCHEINLICH BALD WIEDER

»Möchtest du ein Schoko-Trösterchen, Hamish?«, fragte sie.

Bestimmt nicht, dachte Hamish. Trösterchen sind eklig. Die schmecken wie Holzspäne mit Erde. Hamish konnte sich nicht erklären, warum so viele Leute sich von Trösterchen getröstet fühlten.

»Haben wir noch irgendwas anderes?«, fragte er scheinheilig und trat an den Schrank. Vielleicht hatte seine Mum einen Aussetzer gehabt und zwei Millionen Chomps gekauft. Man konnte nie wissen.

Doch der Schrank war leer.

»Ich muss noch rüber zum Kaufhaus Kaufrausch«, sagte seine Mum und sah dabei aus, als ärgerte sie sich über sich selbst. In letzter Zeit hatte sie so viel zu tun. Hamishs Mum arbeitete im Rathaus von Starkley, in der Beschwerdestelle. Früher war das einmal der leichteste Job der Welt gewesen, weil in Starkley kaum jemand was zu meckern hatte.

Neuerdings jedoch gab es erheblich mehr zu tun. Es hatte ganz langsam angefangen. Aber mit der Zeit fanden die Leute immer mehr, was ihnen nicht passte.

Mr. Slackjaw von Slackjaw’s Motorparadies beschwerte sich, weil er meinte, irgendwer würde sich nachts seine Mopeds ausleihen.

Und Madame Couscous, die Besitzerin des Süßwarenladens, beklagte sich, dass die Leute manchmal nach einer Süßigkeit fragten, sich dann aber umentschieden und etwas anderes wollten, und DESHALB SOLLTEN SIE OFFIZIELL VERWARNT UND EINGEKERKERT WERDEN.

Hamishs Mum fand allerdings, das ginge dann doch etwas zu weit. Aber sie musste jede Beschwerde ernst nehmen. Obwohl so viel Papierkram zu erledigen war, dass sie manchmal am liebsten selbst gern Beschwerde eingereicht hätte.

(Was sie nie tat, weil sie wusste, dass dadurch nur noch mehr Papierkram auf sie zukäme.)

Hamishs Mum verwuschelte ihm die Haare.

»Ich bring dir ein paar Chomps mit, falls du es darauf abgesehen hast. Oder du könntest sie dir auch von deinem Taschengeld kaufen.«

Hamish bekam 4 Pfund dafür, dass er im Haushalt mithalf.

Normalerweise gab er sie für Folgendes aus:

40p: zwei Chomps von MADAME COUSCOUS’ INTERNATIONALER WELT DER ZUCKERWAREN.

£ 1.50: das neueste Comic-Heft von Captain Beetlebottom.

Captain Beetlebottom war der Größte. Er hatte einen Käferpo! Allerdings hatte er die Nase von einem Pony – sodass Hamish sich oft fragte, wieso er eigentlich nicht Captain Ponynose hieß.

£ 1: eine Fahrt mit dem »Zahnlückenotter«.

Das war die schärfste Achterbahn seit dem legendären Kotzkometen! Da Starkley direkt am Meer lag, machte der Jahrmarkt hier immer zuallerletzt Station. Jedes Mal wurde er auf einer Wiese beim Wäldchen aufgebaut, gleich neben Farmer Jamers Sonnenblumenfeld. Und der Zahnlückenotter war die größte, höchste, spindeligste, furchterregendste Achterbahn aller Zeiten. Das ganze Jahr über sparte Hamish, um so oft wie möglich damit fahren zu können, sobald der Jahrmarkt wieder in die Stadt kam. Sein Rekord aus dem letzten Jahr lag bei zwölf Fahrten! Es wären dreizehn geworden, aber nachdem er sich in einen Mülleimer übergeben hatte, musste er nach Hause.

£ 1: eine wohltätige Spende für den alten Herrn, der sich um die Turmuhr kümmerte und im Krieg gewesen war.

Und 10psparte er fürs Alter. In dieser Hinsicht war Hamish ziemlich vernünftig.

Allerdings wusste er, dass er diese Woche die ganze Summe investieren und vielleicht sogar auf sein Erspartes zurückgreifen musste. Und alles nur, um sicherzugehen, dass Scratch und Mole ihn nicht knüllten wie eine Tülle.

Hamish warf einen Blick aus dem Fenster.

Der Nachbar – Mr. Ramsface – spielte mit seinen beiden Mini-Ramsfaces in der Auffahrt Kricket. Die Ramsfaces waren eine komische kleine Familie, die abends gemeinsam zur Ukulele seltsame Lieder über Boote sang. Manchmal war es das Letzte, was Hamish abends hörte. Er tat, als würde es ihn stören, aber eigentlich fand er es ganz hübsch.

Der kleine Billy Ramsface redete immer nur über Riesenkraken, was das Gespräch etwas schwierig machte. Die kleine Betty Ramsface redete eigentlich immer nur über Hühner und meinte, sie sollten alle kleine Hüte tragen. Mrs. Ramsface schrieb sehr lange Folksongs über alles Mögliche, während Mr. Ramsface sonderbare Kostüme aus Haushaltsmüll bastelte, nur um seine Kinder zum Lachen zu bringen. Manchmal sah Hamish ihnen vom Fenster aus zu. Besonders wenn ihm sein Dad fehlte.

Hamishs Blick schweifte zur eigenen Auffahrt. Wie üblich war sie leer. Er merkte, dass er traurig wurde, als er dorthin sah, wo früher der Wagen seines Vaters gestanden hatte.

»Ich glaube, ich sollte wohl mal Abendessen machen!«, sagte seine Mum, die wie immer versuchte, gute Laune zu verbreiten. Sie wusste nur zu gut, wie schwer die letzten fünf Monate seit dem Zweiten Weihnachtstag für die Familie Ellerby gewesen waren. »Heute gibt es Pommes mit Bohnen und Saft! Mein Küken, wärst du so nett, Jimmy Bescheid zu sagen?«

Wie üblich war Jimmy oben in seinem Zimmer. Er hörte schreckliche Musik, viel zu laut.

»Jimmy?«, sagte Hamish, als er in der Tür stand.

Jimmy seufzte.

»Ich heiße James?«, sagte er hochnäsig, was wie eine Frage klang. »Und ich wäre dankbar, wenn diese Familie mich auch so nennen würde?«

Hamish blinzelte seinen Bruder an. Seit wann war er nur so aufgeblasen? Ach, ja – seit er fünfzehn geworden war.

»Entschuldige, Jimmy«, sagte Hamish. »Ich meine, James?«

»Ja?«, sagte sein Bruder schnippisch. »Was ist? Ich habe zu tun?«

Warum klang bei ihm eigentlich alles wie eine Frage? Und es war doch offensichtlich, dass er keineswegs zu tun hatte. Jimmy verbrachte die meiste Zeit mit seiner Xbox oder dem Versuch, mit seiner Freundin, der schlaksigen Felicity Gobb, zu skypen. Er wurde immer ganz rührselig, wenn er an sie dachte, als hätte er sich im Nebel von Felicity Gobb verirrt. Im Gobb-Nebel, wie Hamish es nannte. Bei ihr klang auch immer alles wie eine Frage, sodass es Hamish im Grunde lieber war, wenn Jimmy mit Felicity skypte, weil das bedeutete, dass sie ziemlich weit weg sein musste.

Verzeihung – ich meinte: dass sie ziemlich weit weg sein musste?

Außerdem brachte Felicity jedes Mal ihren kleinen Bruder Ratchett mit, und der rülpste dauernd und fragte, ob er was mit nach Hause nehmen dürfte.

Zum Beispiel: »Kann ich das da mit nach Hause nehmen?«

»Nein, Ratchett. Das ist unser Fernseher.«

»Oder: »Kann ich das da mit nach Hause nehmen?«

»Nein, Ratchett. Das ist unser Onkel Adrian.«

Oder: »Kann ich das da mit nach Hause nehmen?«

»Ratchett – du zeigst gerade auf unser Haus.«

Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, es dennoch zu versuchen. Daher war Hamish froh, wenn Felicity und Jimmy miteinander skypten.

»Mum sagt, heute gibt es Pommes mit Bohnen. Ist das okay?«, fragte Hamish.

Jimmy seufzte schwer.

»Sag Mutter, wenn mir Pommes mit Bohnen aufgezwungen werden, dann muss ich das wohl irgendwie über mich ergehen lassen?«

Damit knallte er Hamish die Tür vor der Nase zu und drehte seine Musik voll auf.

Einen Moment stand Hamish nur da und starrte die Tür an. Früher hatten Jimmy und er alles gemeinsam gemacht. Sie hatten Abenteuer erlebt. Sie hatten so getan, als wäre der Garten eine Tropeninsel und sie wären grimmige Piraten. Sie waren mit ihren Rädern durch den Wald gerast und hatten so getan, als wären sie auf Verfolgungsjagd. Sie waren unzertrennlich. Und mal ehrlich – wenn Jimmy damals mitbekommen hätte, dass Mole und Scratch Hamish das Leben schwer machten, wäre er wie ein anständiger großer Bruder dazwischengegangen. Wie Captain Beetlebottom. Und er hätte Hamish ganz sicher dabei geholfen herauszufinden, wieso die Welt immer wieder anzuhalten schien …

Inzwischen war es, als hätte Jimmy – oder besser: James – einfach keine Zeit mehr für Hamish. Er sah nur noch – Gobb-Nebel. Mum meinte, dass es Jimmy schlecht ginge. Dass er seinen Dad genauso sehr vermisste wie Hamish. Sie meinte, er sei vielleicht so distanziert, weil er nicht noch einmal verletzt werden wollte. Aber Hamish hatte trotzdem das Gefühl, dass Jimmy zu dem Schluss gekommen war, sein kleiner Bruder sei zu jung und zu unreif, um für ihn noch interessant zu sein. Und im Stillen fragte sich Hamish, ob Jimmy wohl beeindruckt wäre, wenn Hamish mit Problemen wie Scratch und Mole allein fertigwurde. Vielleicht würde er dann sogar wieder mehr mit ihm zu tun haben wollen.

Hamish ging in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett. Er starrte die Sonnenblume auf seiner Fensterbank an. Selbst diese Blume erinnerte ihn an seinen Dad. Der hatte sie dort hingestellt, und jetzt pflegte Hamish sie und half ihr zu blühen und zu gedeihen, obwohl sein Dad gar nicht mehr da war, um davon etwas mitzubekommen. Wie kam es nur, dass sich in letzter Zeit alles so verändert hatte?

Seine Mum gab sich große Mühe, für alle zu sorgen, während sie gleichzeitig ihrer Arbeit nachging und unermüdlich gute Laune verbreitete. Dauernd gab es Pommes mit Bohnen oder irgendetwas anderes, das ihre Kinder glücklich machte. Hamish wusste, dass sie seinen Dad auch vermisste. Manchmal konnte er sie nachts weinen hören, aber am Morgen danach verlor sie kein Wort darüber, und Hamish traute sich nicht zu fragen, um sie nicht aus der Fassung zu bringen.

Allerdings gab es etwas, das ihn verlässlich glücklich machte.

Hamish zog die Schublade seines Nachtschränkchens auf und nahm eine kleine, blaue Schachtel heraus. In goldener Schrift stand darauf: DieExplorer. Er klappte den Deckel auf.

Da lag sie vor ihm. Schimmerte im Licht. Tickte noch. Die Explorer. Die alte Uhr seines Vaters. Offenbar musste sie nie aufgezogen werden. Seltsamerweise jedoch ging sie immer etwas vor. Hamish hütete die Uhr gut. Jeden Tag holte er sie hervor, polierte sie, stellte die Zeit richtig ein und dachte an den Moment vor so vielen Monaten, als sein Dad sie ihm gegeben hatte.

Hamishs Dad war im Verkauf gewesen. Niemand wusste so recht, was das bedeutete. Aber er war oft unterwegs, in dem schnittigen Opel Vectra, den seine Firma ihm gestellt hatte. Und wenn er dann wiederkam, hatte er immer die erstaunlichsten Geschichten zu erzählen, von fremdartig klingenden Orten wie »Guild-fjord« oder »Croydonia«. Es waren Orte, an denen alles möglich zu sein schien! Hamish baute das Boggle-Spiel auf, während sein Dad ihm davon erzählte, wie er in irgendein Motel eincheckte – und merkte, dass ihm wütende rumänische Spione auf den Fersen waren. Oder er musste feststellen, dass außerirdische Lebensformen versuchten, ihm die Würstchen vom Tablett zu klauen. Oder er stolperte über eine Bande niederträchtiger internationaler Leichenschmuggler, als er eben versuchte, seine Parkgebühren zu entrichten.

Nur zu gern lauschte Hamish den Abenteuern seines Dads. Dann saßen sie da und spielten, bis Schlafenszeit war, und er lauschte und lauschte und lauschte. Bis zu jenem Tag, an dem der Opel nicht nach Hause kam.

Manchmal fragte sich Hamish, ob die Explorer ein Abschiedsgeschenk gewesen war. Doch er verdrängte diesen Gedanken jedes Mal. Schließlich gibt man jemandem nur ein Abschiedsgeschenk, wenn man ihn verlassen will, oder? Und sein Dad war einfach nur verschwunden. Er hatte ja nicht gewusst, dass er sie verlassen würde. Er konnte sie unmöglich vorsätzlich verlassen haben.

»Hamish! Jimmy! Essen!«, rief Hamishs Mum von unten und riss ihn aus den Gedanken an seinen Dad.

»Ich heiße JAMES?«, rief Jimmy barsch. »Respektiert eigentlich IRGENDWER in diesem Haus meinen Namen?«

»Ich habe nur vergessen, dass du jetzt James bist!«, rief seine Mum. »Entschuldige, Jimmy!«

Hamish beschloss, die Uhr seines Vaters morgen in der Schule zu tragen.

Die Explorer würde ihm Mut machen, wenn er vor Scratch und Mole stand.

Unwillkürlich warf Hamish einen Blick aus dem Fenster, für den Fall, dass heute der Abend war, an dem er endlich sah, wie der Opel Vectra seines Vaters in der Auffahrt hielt. Für den Fall, dass heute der Abend war, an dem sein Dad endlich wieder nach Hause kam.

B L I T Z!

Am nächsten Morgen ging Hamish so manches durch den Kopf.

Dass die Welt stehen blieb, bereitete ihm zwar Sorgen, aber noch drängender war das Problem mit den beiden bösen Mädchen, die eine große Lieferung Chomps von ihm erwarteten.

Während des Frühstücks hatte er einen Plan geschmiedet: Er musste Scratch und Mole nur unbedingt aus dem Weg gehen.