Handschriften deuten - Dr. Helmut Ploog - E-Book

Handschriften deuten E-Book

Dr. Helmut Ploog

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Beschreibung

Extrovertiert oder introvertiert, ängstlich oder sorglos, bescheiden oder arrogant? In der Handschrift spiegelt sich der individuelle Charakter jedes Menschen. Anschaulich und leicht verständlich führt Helmut Ploog in die Handschriftendeutung ein. Mit vielen Schriftproben von Prominenten, zum Beispiel Willy Brandt, Wladimir Putin, Angela Merkel und Papst Benedikt.

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Dr. Helmut PloogHandschriften deuten –die Persönlichkeit im Spiegel der Schrift

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86910-516-1 (Print)

ISBN 978-3-86910-526-0 (PDF)

ISBN 978-3-86910-527-7 (EPUB)

Der Autor: Dr. Helmut Ploog betreibt seit 1960 eine Praxis als Betriebsgraphologe. Er ist 1. Vorsitzender des Berufsverbandes geprüfter Graphologen/Psychologen e. V., Veranstalter des Graphologentages und in zahlreichen berufsständischen Gremien im In- und Ausland tätig. Dr. Helmut Ploog ist Autor einer Reihe von Veröffentlichungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt war er Lehrbeauftragter für Schriftpsychologie an der Universität München.

8. Auflage

© 2022 humboldt

Die Ratgebermarke der Schlüterschen Fachmedien GmbH

Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

www.schluetersche.de

www.humboldt.de

Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

Lektorat:

Nathalie Röseler, Redaktionsbüro Punkt und Komma, Pliening

Covergestaltung:

DSP Zeitgeist GmbH, Ettlingen

Innengestaltung:

akuSatz Andrea Kunkel, Stuttgart

Titelfoto:

Panthermedia

Umschlag Vorderseite:

Inhalt

Vorwort

Einführung

Möglichkeiten und Grenzen der Graphologie

Abgrenzung zu Testverfahren

Abgrenzung der Graphologie zur gerichtlichen Schriftexpertise

Geschichte der Graphologie

Schulvorlage und individuelle Gestaltung der Schrift

Ganzheitliches Erfassen der Schrift

Der erste Schrifteindruck

Bildtypen

Form oder Bewegung

Formniveau

Einzelmerkmale

Raumbild

Schriftgröße

Schriftweite

Größenverhältnisse

Schriftlage

Gliederung

Wortabstand

Zeilenabstand

Zeilenführung

Schriftränder

Bewegungsbild

Verbundenheitsgrad

Schreibtempo

Schreibdruck

Regelmäßigkeit

Strichbildung (Teigigkeit/Schärfe)

Strichrichtung (Rechts/Linksläufigkeit)

Anfangs- und Endbetonung

Formbild

Formfestigkeit

Formausprägung: Völle und Magerkeit

Formreichtum: Bereicherung und Vereinfachung

Bindungsform

Sonderfragen der Graphologie

Psychologie der Leserlichkeit

Ausdruck der Persönlichkeit in der Unterschrift

Druckschrift: Eine Erschwernis für die Deutung

Besondere Fragestellungen

Die Frage nach der Intelligenz

Die Frage nach der Ehrlichkeit

Die Frage nach dem Einsatz der Graphologie in der Psychotherapie

Die Handschriften von Zwillingen

Einsatzmöglichkeiten der Graphologie

Betriebsgraphologie

Graphologie der Kinder- und Jugendschriften

Partnerschaftsgutachten

Grenzfälle

Handschriften in der Werbung

Einige Musterdeutungen

Testfragen

Aphorismen zur Graphologie

Graphologisches Merkmalprotokoll

Literatur

Anmerkungen

Register

Vorwort

Die Graphologie oder Schriftpsychologie zieht aus der Handschrift Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Schreibers. Die Schrift wird dabei als Körpersprache auf feinmotorischer Ebene betrachtet. Da Körpersprache deutbar ist, gehört die Graphologie in den Bereich der Ausdruckspsychologie bzw. der diagnostischen Psychologie. Die Graphologie als Wissenschaft hat sich seit etwa 100 Jahren in Europa entwickelt und ist vor allem in Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und der Schweiz sehr verbreitet. Ihre Lehre bleibt, wie jede grundsätzliche Erkenntnis, stets aktuell und anwendbar.

Selbst ein Laie kann zwischen unausgeschriebenen Kinderschriften, Erwachsenenhandschriften und Schriften alter, kranker oder süchtiger Menschen unterscheiden. Provozierte seelische Veränderungen durch Hypnose, Medikamenteneinnahme oder als Ergebnis einer Psychotherapie finden ebenfalls ihren Niederschlag in der Schrift.

Während die meisten Lehrbücher der Graphologie aus den 50er- und 60er-Jahren stammen, wurde dieses Buch in den Jahren 1997/98 neu verfasst und 2008 neu überarbeitet, sodass neue Erkenntnisse einflossen. Es bietet eine Einführung in die faszinierende Welt der Handschriften und ermöglicht die sofortige Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Der Leser wird allerdings dabei feststellen, dass die Beschreibung eines Menschen in einem „Gutachten“ äußerst schwierig ist und viel Übung verlangt. An dieser Stelle sei auch zur Vorsicht gemahnt, nicht leichtfertig einen anderen Menschen ab zuurteilen, vielmehr die Stellung eines Beobachters einzunehmen, der die seismografischen Ausschläge einer Schrift analysiert und in der Realität bestätigt findet.

Der Verfasser wünscht Ihnen bei der Durcharbeitung dieses Bandes viel Freude, Erfolg und vielleicht auch Lust zu einem weiteren Studium. Aber bitte bedenken Sie eines: Die Methode der Graphologie verlangt nicht nur die Aneignung von Wissen, sondern auch das Erlernen einer Fertigkeit, zu der es neben Begabung auch einiger Übung bedarf.

Dr. Helmut Ploog

1. Vorsitzender

des Berufsverbandes geprüfter

Graphologen/Psychologen e. V.

Einführung

Möglichkeiten und Grenzen der Graphologie

Normalerweise erlaubt eine Handschriftenanalyse zuverlässige Aussagen über:

■ die Gesamtpersönlichkeit (Lebensziel/Leitbild, Niveau, Format, Struktur, Transparenz, Entwicklungsperspektive bzw. Entwicklungsrückstände)

■ die Intelligenz

■ die Willensanlagen (Vitalität, Temperament, Dynamik, Motivation, Leistungsvermögen)

■ die soziale Kompetenz (Extraversion/Introversion, Teamverhalten, Kollegialität, emotionelle Resonanz)

■ die Zuverlässigkeit (Korrektheit, Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit).

Nicht aus der Schrift erkennbar ist:

■Körperliches (Körperkraft, Größe, Gewicht, Haar- und Augenfarbe, Krankheiten)

■Faktisches (Alter, Geschlecht, Erlebnisse, finanzieller Status, Schicksal)

■Inhaltliches (Beruf, besondere Kenntnisse und Fertigkeiten in bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel Kunst, Wissenschaft und Politik sowie Genialität).

Liegt mangelnde Schreibübung bzw. Schreibbegabung vor oder ist sogar von Schreibhemmung zu sprechen, wird die schriftpsychologische Auswertung sehr erschwert. Gleiches gilt für so genannte Zucht- oder Fassadenschriften, die keinen individuellen Ausdruck zulassen.

Abgrenzung zu Testverfahren

„Der Ursprung von Tests liegt in Bedürfnissen von Behörden. Man kann ihn zeitlich genau fixieren. Die Graphologie dagegen stammt aus schon jahrhundertelang fließenden Quellen von Beobachtungen und Reflexionen, zu denen Handschriften aufgefordert haben. Die Graphologie hat sich gewissermaßen selbst erfunden. So konnte sie sich ohne Zweckgebundenheit und ohne Einengung auf ganz bestimmte Fragestellungen frei entfalten“, so der Graphologe Hans Knobloch.1

Die Graphologie ist kein „Test“ im Sinne eines standardisierten Verfahrens, sondern eine „Technik“ zur charakterologischen Auswertung und Deutung der Handschrift. (Das heißt aber nicht, dass sich die Graphologie als Methode nicht auch den in der Psychologie üblichen Kriterien der Reliabilität [Zuverlässigkeit] und Validität [Gültigkeit] gestellt hätte.2)

Vergleicht man die Brauchbarkeit verschiedener diagnostischer Methoden miteinander, so stehen viele Eignungs-, Psycho- u. ä. Tests wegen ihrer umständlichen Anwendungsweise, ihres Zeitaufwands und ihrer hohen Kosten hinter der graphologischen Diagnose zurück.

Schriftpsychologie und Testpsychologie ergänzen oder überschneiden sich in ihren Fragestellungen und Methoden. Sie wurzeln in unterschiedlichen Traditionen: die Testpsychologie mehr in der Naturwissenschaft, die Schriftpsychologie mehr in der Geisteswissenschaft.

Das graphologische Gutachten stellt eine Interpretation ganzheitlicher Lebensvorgänge dar, während der Test partielle Einzelmessungen vornimmt. Die Auswertung eines Tests kann oft relativ mechanisch vor sich gehen, während die graphologische Interpretation ein hohes Maß an ausdrucksanalytischer Begabung und Schulung sowie an persönlichkeitstheoretischen Kenntnissen verlangt. Aber auch ein Testpsychologe muss die Auswirkungen der von ihm ermittelten Begabungs- und Persönlichkeitsmerkmale im Hinblick auf konkrete Berufssituationen kombinatorisch abschätzen. Der diagnostische Blickwinkel der Graphologie ist breiter als der selbst einer umfangreichen Testbatterie. Damit begründet sich die Sonderstellung der Graphologie im Verhältnis zu anderen psychodiagnostischen Methoden. Das graphologische Persönlichkeitsbild eignet sich hervorragend als Integrationsrahmen für Befunde, die durch Tests, Interviews und andere Methoden gewonnen werden.

Bewerbungstests finden in einer Art Laborsituation statt, und bekanntlich setzen bei häufiger Teilnahme an Tests und Assessmentverfahren Anpassungs- und Lernprozesse ein, die Testergebnisse beeinflussen. Schriftdokumente hingegen sind das Ergebnis einmaliger Schreibleistungen, bei denen sich der Schreiber auf die Mitteilung und nicht auf die Schrift konzentriert. So hinterlässt der Mensch unbewusst mit seiner Schrift ein Bild seiner selbst! Die Graphologie hat es ähnlich wie die Psychoanalyse schwer, als Wissenschaft Anerkennung zu finden. Der Grund ist darin zu sehen, dass subjektive Einfühlung und Interpretation nicht mit der naturwissenschaftlichen Forderung als vereinbar gesehen werden, den Einfluss eines teilnehmenden Beobachters auszuschließen.

Obwohl in den Unternehmen ein Mangel an Persönlichkeiten beklagt wird, lassen sich diese auch nicht mit den üblichen Persönlichkeitstests und Assessment-Centern finden. Alle diese gängigen Verfahren ermitteln nur pflegeleichte Typen und keine innovativen Schrittmacher mit Ecken und Kanten.

Das Hauptproblem besteht zusammengefasst darin, dass eine nur naturwissenschaftlich orientierte Psychologie, die innerhalb der jeweiligen modellhaften Welt statistisch nachprüfbare Zuordnungen macht, hinsichtlich realer Lebensprobleme rasch an ihre Grenzen stößt. Mit Fragebogentests, die ein Persönlichkeitsprofil abbilden, wird oft nur ein ausschnittartiges Bild vermittelt, während psychodynamische Zusammenhänge ausgeklammert werden. Die verstehende Psychologie als geisteswissenschaftliche Disziplin bleibt in der inzwischen notwendig gewordenen Zusatzausbildung hinsichtlich Therapie- und Beratungspraxis nach wie vor von Bedeutung.

In einem schriftpsychologischen Bericht wird die Umsetzung auf die Sprach- und Interpretationsebene im jeweiligen Einzelfall geleistet. Rudolf Knüsel berichtet von seinen Erfahrungen: ,,So verfertigte ich längere Zeit für die Austrian Airlines graphologische Skizzen, die noch am selben Tag mit den übrigen Resultaten (Tests und Interviews) verglichen wurden. Bei der Swissair hingegen ließen wir die Gutachten auswärts verfassen und der Graphologe brachte sie erst zur abschließenden Teamsitzung nach dem über mehrere Monate sich erstreckenden Selektionsprozess mit. So war stets eine gegenseitige Qualitätskontrolle gewährleistet. Die Schriftpsychologie leistete einen Beitrag, der einhellige Anerkennung genoss. Nicht selten vermochte die graphologische Analyse auszuformulieren, was von den übrigen Teammitgliedern bloß als vager Persönlichkeitseindruck wahrgenommen worden war und manchmal klärten sich dank der schriftpsychologischen Beurteilung Widersprüche zwischen den verschiedenen Interviews auf. Die Kandidaten und Kandidatinnen, welche das Angebot nutzten, nach abgeschlossener Selektion ein umfassendes Feedback zu bekommen, waren in der Regel insbesondere von der schriftpsychologischen Analyse sehr beeindruckt und bestätigen explizit und implizit deren Richtigkeit.‘‘3

Abgrenzung der Graphologie zur gerichtlichen Schriftexpertise

Während die Graphologie die Auswertung von Schriftmerkmalen mit dem Ziel der Persönlichkeitsbeurteilung vornimmt, geht es beim gerichtlichen Schriftvergleich um die Untersuchung von Beschriftungen aller Art zur Tatbestands- und Wahrheitsermittlung. Mit anderen Worten, es geht um die Echtheit von Unterschriften auf Kaufverträgen, Schecks oder Quittungen, die Authentizität ganzer Testamente sowie um die Identität oder Nichtidentität eines Schrifturhebers mit einem Verdächtigen bei anonymen Zuschriften.

In Zivil- und Strafprozessen wird die Schriftvergleichung als Beweismittel herangezogen. In § 441 der ZPO heißt es: „Der Beweis der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde kann durch Schriftvergleichung geführt werden.“ Der Schriftsachverständige arbeitet heute nicht mehr ausschließlich unter Heranziehung von Einzelbuchstaben. Vielmehr ist das Gesamtgepräge einer Schrift wichtig: Gewandtheitsniveau, Eigengeprägtheit und Einheitlichkeit. Im deutschsprachigen Raum werden die Gutachten ziemlich einheitlich nach einem bestimmten Schema aufgebaut.

Entsprechend ihrer Gewichtung werden im Rahmen von Schriftvergleichen folgende Merkmale untersucht – damit wird indirekt auch die Herstellungsschwierigkeit von Schriftmerkmalen berücksichtigt:

1. Strichbeschaffenheit

2. Druckgebung

3. Bewegungsfluss

4. Bewegungsführung und Formgebung

5. Bewegungsrichtung

6. Vertikale Ausdehnung

7. Horizontale Ausdehnung

8. Vertikale Flächengliederung

9. Horizontale Flächengliederung

Der Schriftsachverständige hat es in der Regel mit relativ vordergründigen Verstellungen zu tun, weil kaum ein Schreiber imstande ist, die Möglichkeiten der Schriftverstellung voll auszuschöpfen.

Liegt ein Rechtsstreit vor, so wird vom zuständigen Gericht ein „öffentlich bestellter und vereidigter“ Schriftsachverständiger ernannt. Die Bestellung eines Sachverständigen kann durch eine zuständige Industrie- und Handelskammer oder eine Landesregierung erfolgen. Die IHKs führen Listen der Schriftsachverständigen, die in der „Gesellschaft für forensische Schriftuntersuchung e. V.“4 zusammengeschlossen sind. Auch Landeskriminalämter beschäftigen Schriftsachverständige.

Während die älteren Schriftsachverständigen in der Regel auch eine graphologische Ausbildung genossen haben, ist dies bei den jüngeren nicht mehr der Fall. Der Blickwinkel der Sachverständigen verengt sich dadurch, was diese selbst bedauern. Nach ihrer Ansicht helfe eine graphologische Ausbildung, Fehlgutachten zu vermeiden.

Geschichte der Graphologie

Die erste graphologische Bemerkung ist rund 2000 Jahre alt und stammt aus der Feder des römischen Geschichtsschreibers Sueton. Er sagt von der Handschrift des Augustus, dass sie außerordentlich eng zusammengedrängt gewesen sei, so sehr nämlich, dass nicht einmal zwischen den einzelnen Wörtern der übliche Abstand gewahrt blieb. Auch im Fernen Osten ist man seit jeher der Auffassung, dass sich im Duktus einer Schrift die Persönlichkeit eines Schreibers enthüllt. Und es ist bezeichnend, dass die Ostasiaten von Tuschespuren oder von Stempelabdrücken des Herzens sprechen.

Systematische Graphologie wurde erst möglich, als es individuelle Handschriften gab. So ist es auch nicht verwunderlich, dass erst mit dem langsamen Verschwinden der Zierschriften in der Renaissance das erste Buch über ein graphologisches Thema erschien, das von dem Bologneser Medizinprofessor Camillo Baldi stammte.

In der Folgezeit verfassten Liebhaber von Handschriften und Laiengraphologen von Goethe über Lavater bis zu Alexander von Humboldt Schriften zu dem Thema. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in Frankreich von Abbé Jean-Hippolyte Michon (1806–1881) der Begriff „Graphologie“ geprägt, bestehend aus den griechischen Worten „graphein“ (schreiben) und „logos“ (Kunde, Wissenschaft). Sein Hauptwerk „Systeme de Graphologie“ wurde erst 1965 ins Deutsche übersetzt.5

Michon war Empiriker und versuchte, Schriftmerkmale von ihm bekannten Personen so zu gruppieren, dass diesen Gruppierungen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zugeordnet werden konnten. Viele der von Michon ermittelten Bedeutungsableitungen sind noch heute gültig. Seine Graphologie spiegelt im Übrigen das damalige Bild des Menschen wider, dessen Psyche als die Summe klar abgegrenzter Eigenschaften gesehen wurde.

In Frankreich wurde das System Michons durch Jules Crépieux-Jamin (1858–1940) weiterentwickelt, vor allem durch die Einführung von Harmonie oder Disharmonie in der Schrift als übergreifendes Merkmal6. Er war der eigentliche Begründer der französischen Graphologie, die noch heute von ihm geprägt ist.

In Deutschland waren es zur gleichen Zeit vor allem Psychiater und Physiologen, die sich mit Fragestellungen der Graphologie befassten. Wilhelm Preyer (1841–1897) interpretierte die Handschrift als das Ergebnis von Impulsen aus der Großhirnrinde. Georg Meyer (1869–1917) untersuchte die Handschriften manisch-depressiver Patienten und kam zur Bestätigung seiner Arbeitshypothese, dass die Merkmalsausprägungen einer Schrift psychischen Ursprungs sind. 1896 wurde in München die „Deutsche Graphologische Gesellschaft“ gegründet, die in kurzer Zeit 300 Mitglieder in der ganzen Welt zählte. Es wurden die verschiedensten Ansätze ausdruckskundlicher Forschungsansätze verfolgt, um diese für die Graphologie nutzbar zu machen. Ludwig Klages (1872 – 1956) war für den deutschen Sprachraum, was Crépieux-Jamin für Frankreich war, d. h., er gilt als der Begründer der wissenschaftlichen Graphologie in Deutschland. Er hinterließ eine stattliche Zahl an Veröffentlichungen und einen weltanschaulich geprägten Anhängerkreis, der noch heute in der „Klages-Gesellschaft e. V.“ mit Sitz in Marbach am Neckar zusammengeschlossen ist.

Die Handschrift wurde von Klages als Ausdrucksspur betrachtet, als „das bleibend gegenständliche Ergebnis der persönlichen Schreibbewegung“. Bereits 1916 erschien sein grundlegendes Werk „Handschrift und Charakter“, dessen 29. Auflage zuletzt im Jahr 1989 herauskam. Die spezifische Bedeutung der einzelnen Schriftmerkmale ist bei Klages nicht mehr lexikalisch fixiert, sondern muss im Zuge einer dynamischen ausdrucks- und persönlichkeitspsychologischen Analyse des Schreibvorgangs und der Schriftgestaltung ermittelt werden.

Alle Schriftmerkmale und die ihnen entsprechenden Charaktereigenschaften sind doppeldeutig; ob ihnen im einzelnen Falle eine positive oder negative Bedeutung zu kommt, hängt von der jeweiligen Merkmalskonstellation und vor allem von der phänomenologisch erfassten Qualität der Schriftganzheit, d. h. dem Formniveau bzw. dem Rhythmus einer Schrift ab. Danach wird noch heute gearbeitet. Der Schweizer Max Pulver (1889–1952) legt bereits mit dem Titel seines Hauptwerks seine Denkrichtung dar: „Symbolik der Handschrift.“ Er hatte einen Lehrauftrag für Graphologie an der Universität Zürich und verstand es, tiefenpsychologische Erkenntnisse für die Deutung einer Handschrift fruchtbar zu machen. Von ihm wurden die Richtungen der Schreibbewegung Oben-Unten und Rechts-Links als das Koordinatensystem des Schriftraums in die Deutung einbezogen.

Auf der analytischen Psychologie C. G. Jungs baut das Haupt werk der Graphologin Ania Teillard