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Holger Kreymeier

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Beschreibung

»Das ist moderner Widerstand.« »Also, auf die Straße zu gehen halten Sie für altbacken?« »Was sollen wir denn tun? Uns auf der Straße festkleben?« 2023 im geteilten Deutschland. Der Widerstand in der DDR findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Netz. Die DDR-Führung strebt die strengere Kontrolle des Internets und Zerschlagung der Oppositionsgruppen an, braucht aber Milliardenhilfen in D-Mark, die ihr die Bonner Regierung in Aussicht stellt. Nachdem YouTube-Entertainer Lonzo den realen Zustand der DDR mit seinem Video »Die Zerstörung der DDR« entlarvt hat, bekommt er die Unterstützung der freien Presse der Bundesrepublik. Doch dann wird er zum Sicherheitsrisiko – für beide deutschen Staaten … »Hashtag #DDR« ist ein satirischer Politthriller, der die Frage aufwirft, was eigentlich wäre, wenn es im Jahr 2023 immer noch den Kalten Krieg gäbe. Wie stünde die DDR da in der digitalisierten Welt? Wie würde sich Widerstand in der DDR organisieren? Das Geschehen im Roman ist realitätsnah, angelehnt an tatsächliche Ereignisse. So ist etwa der YouTuber Lonzo inspiriert vom realen YouTube-Star Rezo, der mit dem Video »Die Zerstörung der CDU« für Aufsehen sorgte. Auch Lonzo löst ordentlichen Wirbel aus und damit eine Kette dramatischer Ereignisse …

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Seitenzahl: 376

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Holger Kreymeier ist ein medienkritischer Journalist. Sein Internetmagazin Fernsehkritik-TV wurde 2010 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. 2013 gründete er den Online-Sender Massengeschmack-TV mit medien- und gesellschaftskritischen, aber auch anarchischen wie komödiantischen Magazinen.

eISBN 978-3-96079-109-6

1. Auflage 2023 • Originalausgabe

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2023

Alle Rechte vorbehalten

Autorenfoto: AJ Photoart

Covergestaltung: Michael Rühle

Solibro Verlag • Jüdefelderstr. 31 • 48143 Münster

www.solibro.de

Ich liebe … ich liebe doch alle, alle Menschen …

Erich Mielke

Ich verehre Menschen, die eine ideale Gesellschaftsordnung suchen, und fürchte diejenigen, die sie gefunden haben.

Ephraim Kishon

Je weiter eine Gesellschaft sich von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen!

George Orwell

Inhalt

Freitag, 21. Juli 2023 – Ost-Berlin, Hochsicherheitsgefängnis Hohenschönhausen

Freitag, 21. Juli 2023 – Deutschlandfunk

Freitag, 21. Juli 2023 – Hamburg, HafenCity

Samstag, 22. Juli 2023 – ZDF heute

Samstag, 22. Juli 2023 – Bonn, Bundespressekonferenz

Samstag, 22. Juli 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Sonntag, 23. Juli 2023 – DDR 1, Aktuelle Kamera

Sonntag, 23. Juli 2023 – Ost-Berlin, Ministerium für Staatssicherheit

Sonntag, 23. Juli 2023 – Hannover, Südstadt

Sonntag, 23. Juli 2023 – Dresden, Kulturpalast

Sonntag, 23. Juli 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Montag, 24. Juli 2023 – ARD, Tagesschau

Montag, 24. Juli 2023 – Grenzbahnhof Schwanheide

Montag, 24. Juli 2023 – West-Berlin, Ebertstraße

Montag, 24. Juli 2023 – Ost-Berlin, Alexanderplatz

Montag, 24. Juli 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Montag, 24. Juli 2023 – West-Berlin, Stralsunder Straße

Dienstag, 25. Juli 2023 – DDR 1, Aktuelle Kamera

Dienstag, 25. Juli 2023 – Ost-Berlin, Hochsicherheitsgefängnis Hohenschönhausen

Dienstag, 25. Juli 2023 – Ost-Berlin, Politbüro

Dienstag, 25. Juli 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Mittwoch, 26. Juli 2023 – ZDF heute

Mittwoch, 26. Juli 2023 – Ost-Berlin, Köpenick

Mittwoch, 26. Juli 2023 – West-Berlin, Grenzübergang Bornholmer Straße

Mittwoch, 26. Juli 2023 – Köln-Porz

Mittwoch, 26. Juli 2023 – West-Berlin, Kreuzberg

Mittwoch 26. Juli 2023 – Ost-Berlin, Gethsemanekirche

Donnerstag, 27. Juli 2023 – RTL aktuell

Donnerstag, 27. Juli 2023 – Ost-Berlin, TV-Studios Adlershof

Donnerstag, 27. Juli 2023 – Köln-Porz

Donnerstag, 27. Juli 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Donnerstag, 27. Juli 2023 – West-Berlin, Kreuzberg

Donnerstag, 27. Juli 2023 – Ost-Berlin, Köpenick

Freitag, 28. Juli 2023 – Deutschlandfunk

Freitag, 28. Juli 2023 – West-Berlin, Kreuzberg

Freitag, 28. Juli 2023 – Ost-Berlin, Palasthotel

Freitag, 28. Juli 2023 – Ost-Berlin, Gethsemanekirche

Samstag, 29. Juli 2023 – Sender Freies Berlin – Nachrichten

Samstag, 29. Juli 2023 – Köln-Porz

Sonntag, 30. Juli 2023 – DDR 1, Aktuelle Kamera

Sonntag, 30. Juli 2023 – Köln, Rheinpark

Sonntag, 30. Juli 2023 – Ost-Berlin, Ministerium für Staatssicherheit

Montag, 31. Juli 2023 – Deutschlandfunk

Montag, 31. Juli 2023 – Jersleben, nahe Magdeburg

Montag, 31. Juli 2023 – Grenzübergang Marienborn

Montag, 31. Juli 2023 – Köln-Porz

Montag, 31. Juli 2023 – Ost-Berlin, Gethsemanekirche

Montag, 31. Juli 2023 – Ost-Berlin, Ministerium für Staatssicherheit

Dienstag, 1. August 2023 – Sat.1 Frühstücksfernsehen

Dienstag, 1. August 2023 – Ost-Berlin, Prenzlauer Berg

Dienstag, 1. August 2023 – West-Berlin, Reinickendorf

Dienstag, 1. August 2023 – Ost-Berlin, Marzahn

Dienstag, 1. August 2023 – Hannover, Südstadt

Mittwoch, 2. August 2023 – Deutschlandfunk

Mittwoch, 2. August 2023 – Ost-Berlin, Schloss Schönhausen

Mittwoch, 2. August 2023 – Hannover, Altstadt

Mittwoch, 2. August 2023 – Ost-Berlin, Bötzowviertel

Mittwoch, 2. August 2023 – Ost-Berlin, Rotes Rathaus

Mittwoch, 2. August 2023 – Ost-Berlin, Bötzowviertel

Mittwoch, 2. August 2023 – Köln-Porz

Mittwoch, 2. August 2023 – Ost-Berlin, Ministerium für Staatssicherheit

Mittwoch, 2. August 2023 – Köln-Porz

Donnerstag, 3. August 2023 – Aktuelle Kamera

Donnerstag, 3. August 2023 – ein unbekannter Ort

Donnerstag, 3. August 2023 – Bonn, Bundeskanzleramt

Freitag, 4. August 2023 – Tagesschau

Freitag, 4. August 2023 – Stollberg, Frauengefängnis Hoheneck

Freitag, 21. Juli 2023 – Ost-Berlin, Hochsicherheitsgefängnis Hohenschönhausen

»Liegt das eigentlich bei Ihnen in der Familie? Dieses Pseudo-Revoluzzertum? Dieser Kampf für das, was Ihresgleichen Freiheit nennt?« Ulrich Kaulitz ließ sich das Wort »Freiheit« mit ironisierendem Unterton auf der Zunge zergehen, so als sei es eine Art Floskel. Perry antwortete nicht. Er wusste, was jetzt wieder folgen sollte: dieses ermüdende Spiel mit den Gefühlen, das Bohren in Wunden. Immerhin musste er das jeden Tag über sich ergehen lassen. Wenn Kaulitz selbst das Verhör nicht führte, war es irgendein anderer Uniformträger.

»Merken Sie denn nicht, dass Sie gescheitert sind? Warum können Sie nicht ein anständiger Bürger sein? – Sie sind doch ein kluger Bursche. Die Deutsche Demokratische Republik braucht Menschen wie Sie!«

Der Generalmajor, ein stämmiger Mann mit schütterem weißem Haar, ließ nicht nur Perry täglich aus der Einzelzelle in diesen Verhörraum bringen. Wie viele Systemgegner, Querulanten, Imperialisten er schon in diesem Raum verhört hatte – stunden-, ja tagelang. Perry war eine der besonders harten Nüsse. Kaulitz mochte solche Herausforderungen – zumindest dann, wenn sie irgendwann zu Erfolgen führten.

Es waren inzwischen vier oder fünf Stunden vergangen. Auf dem harten Stuhl spürte Perry sein Gesäß nicht mehr, ihm taten die Beine weh. Niemand gab ihm etwas zu trinken. Perry wusste nicht, wie lange er das noch durchhalten würde. Von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, sich auf diesem Stuhl zu halten. Doch sein Wille war stark. Er dachte einfach nur an seinen Vater – und stärkte damit seinen Kampfeswillen. Oder er schwärmte von seiner großen Liebe und milderte mit den Gedanken an sie die Schmerzen.

»Ihre Schwester studiert. Aber es könnte der Tag kommen, an dem sie an der Universität nicht mehr erwünscht sein wird. Das könnte schon morgen sein. Ich muss nur einmal zum Telefon greifen. Also strapazieren Sie meine Geduld nicht zu sehr!«

Doch die psychologischen Folterversuche von Kaulitz hatte Perry längst durchschaut. In diesen Nächten, wenn das Neonlicht an der Decke seiner Zelle absichtlich nicht gelöscht wurde und sich in seinen Kopf einbrannte, hatte er sich eine Strategie überlegt, wie er die stundenlangen Verhöre in dem kargen Raum wohl am besten überstehen würde. Perry stellte sich einfach vor, er sei in einem satirischen Theaterstück. Dort unten sah er die Leute sitzen, die sich vor Lachen auf die Schenkel klopften. Es führte sogar so weit, dass Perry beim Verhör selbst gelegentlich ein Grinsen übers Gesicht zog. Das waren dann die Momente, in denen Kaulitz psychologisch außer Gefecht gesetzt war. Denn den Generalmajor ärgerte insgeheim nichts mehr, als wenn Perry grinste. Andere waren hier schon heulend zusammengebrochen, bettelten um Freiheit. Perry hingegen grinste einfach nur.

Perry hieß eigentlich Marc Ramelow und war einer der bekanntesten, vermutlich sogar der bekannteste Online-Aktivist der DDR. Seine Haft war zu einem Politikum geworden. Menschenrechtsorganisationen forderten seine Freilassung, ebenso westliche Politiker. Perry zu Ehren gab es Solidaritätskonzerte, Demonstrationen – und seit einigen Tagen ein YouTube-Video, das ein westdeutscher YouTuber namens Lonzo ins Netz gestellt hatte. Millionenfach war dieser Clip schon angesehen worden. Es ging darin nicht nur um Perry, sondern auch um die DDR an sich. Darum trug es auch den wenig bescheidenen Titel Die Zerstörung der DDR. Für Ulrich Kaulitz war dies noch mehr Antrieb, aus Perry endlich die Informationen herauszupressen, die er benötigte.

»Ihr Vater war auch so einer wie Sie. Ein Feind des Sozialismus. Ein Imperialist.« Kaulitz klappte ein vor ihm liegendes Tablet der Marke Robotron auf und wählte aus den Dateien auf dem Display ein Foto aus, das er mit einem Wischen auf Vollbild zog. Er drehte das Display Richtung Perry und zeigte ihm einen Mann mit vollem Haar, dessen Frisur und Kleidung eindeutig in den 80er Jahren zu verorten waren. Der Mann lächelte stolz. In seinem Arm hielt er ein Baby. – Es war Perry.

»Marc hat er Sie genannt. Mit C. International wollte er sein. Eine dümmliche Angewohnheit leider vieler Menschen in diesem Land. Die USA waren sein großes Vorbild. Einmal nach New York, das war sein großer Traum. Er hätte ausreisen können, wir haben es ihm angeboten. Aber nein, er wollte ja unbedingt bleiben. Er hatte diesen Traum von einer neuen DDR. Eine kapitalistische, imperialistische, unsoziale DDR, in der nicht mehr Arbeiter und Bauern, sondern einzelne milliardenschwere faschistische Weltkonzerne die Geschicke steuern. Mit terroristischen Mitteln und einer Gruppe von gewaltbereiten Schergen kämpfte er für dieses Ziel.« Kaulitz beugte sich nach vorn und flüsterte. »Aber die DDR hat sich gewehrt. Im Sommer 1991, im Sommer 1992 und dann noch einmal nachdrücklich im Sommer 1993.« Perry sah das Bild seines Vaters nicht an. »Ihr Vater hat sein Leben verloren. Aber das war seine eigene Entscheidung. Er hat Sie im Stich gelassen, Marc – nur um seine ideologischen Ziele zu erreichen. Wollen Sie etwa genauso enden?«

Dieser karge Verhörraum bot nichts weiter als graue Wände, einen Tisch, zwei Stühle und das hinter Kaulitz hängende Bild des Staatsratsvorsitzenden Klipkow, das jedoch über 20 Jahre alt war und einen Mann Mitte 60 zeigte. Inzwischen war Klipkow schließlich weit über 80.

Perry, dessen schulterlange Haare nach Wochen mangelnder Hygiene fettig und angegriffen wirkten, war in dunkelblaue Häftlingskleidung gekleidet. Kaulitz trug eine graue Uniform, auf dessen Revers das Emblem der Deutschen Demokratischen Republik prangte.

»Aber immerhin: Der BRD hat diese unschöne Randnotiz der Geschichte einen Feiertag beschert, den 13. August. Sie nennen es ›Tag der Deutschen Einheit‹, wie sie jahrzehntelang schon den unsäglichen 17. Juni genannt haben, den sie natürlich dafür abgeschafft haben. Manche sagen, der 13. August sei als Feiertag einfach wirtschaftlich vernünftiger gewesen, weil da eh viele Menschen im Sommerurlaub sind. Das ist Kapitalismus, Marc. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie Perry nenne?«

Das Smartphone war Perry weggenommen worden, seine Zelle hatte kein Fenster. Er wusste nicht, welches Datum war. Auf Nachfrage sagte es ihm niemand. Der Termin seiner Verhaftung war der 10. Juni 2023. Wie viele Wochen seitdem vergangen waren, wusste er nicht. Auch hatte er das Gefühl für Tag und Nacht verloren. Und doch fühlte er sich immer noch stark und voll funktionsfähig. Sie wollten ihn brechen, aber er kämpfte dagegen an. Im Moment hatte er heftigen Durst, seine Zunge klebte am Gaumen. Er freute sich auf die Rückkehr in seine Zelle, um dort am Waschbecken seinen Mund unter den Wasserhahn zu halten. Kaulitz wusste das. Er nahm einen Schluck Wasser aus seinem Glas. Er wusste, wie gern Perry jetzt auch etwas getrunken hätte. Deswegen zelebrierte der Generalmajor den Griff zum Glas geradezu.

»Marc, seien Sie doch vernünftig. Sie hatten doch auch ein Studium. Sie können dieses Studium wieder aufnehmen. Jederzeit. Nennen Sie mir einfach nur ein paar Namen. Ihren Mitstreitern wird nichts passieren, wir werden nur ein paar Fragen an sie stellen.«

Perry schwieg beharrlich. Er schaute Kaulitz nicht an, sondern pulte kleine Schmutzpartikel unter seinen Fingernägeln hervor. Seine Zelle wurde einmal wöchentlich notdürftig gereinigt. Am schlimmsten aber war, wie lange er schon keine frische Luft mehr eingeatmet hatte. Stattdessen musste er von dieser verdreckten Luft leben, die durch die klapprige Lüftungsanlage in die Zelle gepustet wurde. Der daraus resultierende trockene Dauerhusten setzte ihm zu. Aber er schwieg beharrlich.

Kaulitz beugte sich über den Tisch und kam Perry unangenehm nahe. Perry spürte den Atem des Generalmajors – eine Mischung aus Tabakrauch und Schnaps. Früher hätte Kaulitz in diesem Raum geraucht, aber das war seit fünf Jahren verboten. Auch in der DDR griffen Rauchverbote immer mehr um sich. Manchmal nahm er vor einem Verhör viel Knoblauch zu sich, um sein Gegenüber noch mehr zu quälen.

»Meine Güte, Marc. Sie sind 33 Jahre alt. Sind Sie nicht langsam etwas zu alt, um immer noch solchen kindischen Protest-Fantasien anzuhängen? Sie hätten Karriere machen können. Unser Land braucht solche Köpfe wie Sie. Sie könnten hier ein so schönes Leben haben und werfen es weg, weil Sie so ideologisch verbohrt sind.«

Kaulitz nahm ein neben seinem Stuhl auf dem Betonboden stehendes kleines Kästchen aus Hartpappe an sich und stellte es auf den Tisch. Perrys Blick wanderte nach oben, er schaute das Kästchen an. Kaulitz nahm den Deckel ab und ergriff schmunzelnd ein darin liegendes Smartphone. Perry erkannte sofort, dass es seines war. Kaulitz musterte das Gerät. »Natürlich ein amerikanisches Produkt. Die Mobiltelefone aus unserem Volkseigenen Betrieb sind Ihnen nicht gut genug, was?«

Perry grinste demonstrativ. Heute zum ersten Mal.

»Ich bin erstaunt, mit welch cleveren Methoden es gelingt, ein solches Telefon auch innerhalb des Telefonnetzes der DDR nutzbar zu machen. Dabei tun doch unsere Ingenieure alles, um das zu verhindern. Ich weiß sehr viel über Sie, Marc. Sie sind ein Kopfmensch, ein Philosoph. Aber Sie wären niemals in der Lage, ein ›Smartphone‹ aus dem Westen derart umzuprogrammieren.«

»Jailbreaken.« Es war Perrys erstes gesprochenes Wort an diesem Tag.

»Wie bitte?«

»Jailbreaken nennt man das. Ins Deutsche übersetzt: Aus dem Gefängnis ausbrechen.«

Kaulitz schmunzelte. »Jaja, diese amerikanischen Begrifflichkeiten. Daran ist abzulesen, wie beeinflusst ihr alle von den Amerikanern seid. Selbst jetzt, wo so ein verrückter Präsident in Washington sitzt, der offen den Genossen in Moskau mit einem Nuklearkrieg droht, haltet ihr Holzköpfe immer noch zu diesen Amerikanern. Weil ihr verblendet seid.«

»Zumindest kann ich in den USA offen sagen, wenn ich den eigenen Präsidenten scheiße finde. In diesem Land hier werde ich dafür gleich eingesperrt.« Perry ärgerte sich sogleich, diesen Satz gesagt zu haben. Er wollte doch schweigen.

»Niemand verbietet Ihnen Ihre Meinung, Marc. Aber Sie missbrauchen das Internet der Deutschen Demokratischen Republik, um den Sozialismus zu bekämpfen. Und es steht Ihnen nicht zu, den Staatsratsvorsitzenden mit Fäkalbegriffen anzugehen. Sie finden es ja auch noch toll, wenn jemand wie dieser Lonzo Lügen über unseren Staat verbreitet.« Kaulitz wurde jetzt richtig laut und brüllte. Das war eigentlich nicht seine Strategie. Er bevorzugte die leise Folter, das langsame Zermürben seines Gegenübers. Deswegen kehrte er rasch zu einem zivilen Ton zurück. »Ich weiß genau, dass ihr mit diesem Lonzo und noch anderen Wirrköpfen aus dem Westen unter einer Decke steckt. Ich will wissen, was das für Verbindungen sind und wer dahintersteckt. Es muss irgendeine Verbindung geben, eine digitale Pipeline.«

Perry ließ sich nichts anmerken. Er nahm sich fest vor, für den Rest dieses Verhörs kein Wort mehr zu sagen. Und das sollte er auch durchhalten.

»Also schön, Marc. Die Konsequenzen ihres bockigen Verhaltens werden Sie selber verantworten müssen.«

Freitag, 21. Juli 2023 – Deutschlandfunk

»Ost-Berlin – Die DDR-Führung hat als Konsequenz aus dem veröffentlichten Video des YouTube-Stars Lonzo die Ständige Vertreterin der Bundesrepublik, Magdalena Lichtenberg, des Staates verwiesen. Das Video verbreite Falschbehauptungen über die DDR. Dass die Bundesregierung nicht einschreite, sei ein beispielloser Vorgang und belaste die diplomatischen Beziehungen nachhaltig. In Bonn erklärte Regierungssprecher Lutz Weinland, die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut. Daher sei es nicht Aufgabe der Bundesregierung, eine Löschung des Videos zu verlangen. Auch YouTube erklärte auf Anfrage, eine Löschung werde nicht vorgenommen, da das Video nicht gegen die Richtlinien verstoße. Der Clip mit dem Titel Die Zerstörung der DDR hat inzwischen fast 10 Millionen Abrufe. Lonzo prangert darin unter anderem die Inhaftierung des ostdeutschen Online-Aktivisten Perry an. Außerdem zitiert er aus internen Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, wonach im Frühjahr vergangenen Jahres 50 Millionen Dosen des Impfstoffes MV-21 aus der DDR in die Bundesrepublik exportiert wurden, obwohl in der DDR ein Mangel an Impfstoffen und eine überdurchschnittliche Sterberate bei Covid-19 herrschten. Ähnliche Belege hatte kürzlich auch der Twitter-Account DDR-Leaks öffentlich gemacht.«

Freitag, 21. Juli 2023 – Hamburg, HafenCity

Lonzo nahm den Kopfhörer ab und richtete die Kappe, unter der er sein giftgrün gefärbtes Haar verbarg. Diese Kappe mit der Aufschrift »Oakland Raiders« war für ihn das wichtigste Utensil, um einigermaßen inkognito über öffentliche Straßen und Plätze gehen zu können. Noch idealer war das zusätzliche Tragen einer Sonnenbrille, um nicht an den großen grauen Augen erkannt zu werden, die regelmäßig in ein Kameraobjektiv schauten und von Lonzos 1,7 Millionen Abonnenten gesehen wurden.

Innerhalb weniger Tage hatte sich sein Bekanntheitsgrad noch vervielfacht. Die Zahl der Abonnenten war gar nicht mal stark nach oben geschossen, aber Die Zerstörung der DDR hatte an diesem sonnigen Freitagmorgen die 10-Millionen-Marke geknackt. Sogar im Ausland wurde darüber berichtet, selbst die »New York Times« zeigte einen Screenshot. Lonzo war wie im Rausch. Dass er, der in Deutschland erfolgreiche YouTuber ohne internationales Renommee, nun in bedeutenden ausländischen Zeitungen zum Thema gemacht wurde, war eine neue Dimension seines Daseins als prominente Netz-Persönlichkeit. Was ihm allerdings fehlte, war die Anerkennung durch etablierte und erfahrene Journalisten. Eher belächelt wurde er. Ja, er hatte den DDR-Staats- und Parteichef René Klipkow an einer Stelle versehentlich als Rainer Klipkow bezeichnet, dabei wusste er es doch sogar besser. Es war einfach ein Versprecher, der ihm in der Postproduktion nicht aufgefallen war. Ebenso hatte er gesagt, bei dem Massaker auf dem Alexanderplatz im August 1993 seien 97 Menschen gestorben, es waren aber 87.

War es Missgunst, die Lonzo von diversen Journalisten entgegenschlug? Er verstand diese teils bösartigen Artikel über ihn nicht. Und doch ahnte er das Motiv: Sie alle hätten auch gern exklusiv solche brisanten Unterlagen in die Hände bekommen, stattdessen kommt so ein oberflächlicher YouTuber damit – diese Botschaft war in so manchen Kommentaren zwischen den Zeilen mehr oder minder deutlich zu lesen. Lonzo konnte sich noch so bemühen – er würde nie als Journalist anerkannt werden, sondern immer nur »der YouTuber« bleiben. Zunächst ärgerte sich Lonzo noch darüber, um dann aber in den vergangenen Tagen zu einer uralten Erkenntnis zu gelangen: Neid ist die größte Form der Anerkennung.

Nun stand Lonzo vor der Tür dieses berühmten deutschen Nachrichtenmagazins, dessen Onlineauftritt er sehr viel besser kannte als die Print-Ausgabe. Er war in den vergangenen Tagen hundertfach von unterschiedlichsten, auch ausländischen Presseorganen eingeladen worden. Sie alle drangen auf ein Interview, aber eigentlich wollte er das nicht. Er war schließlich kein richtiger Journalist, er war ein investigativer YouTuber – so sah er sich zumindest selbst. Und er befürchtete, dass am Ende ein Artikel herauskommen würde, der eher versucht, ihn als unerfahren, naiv, oberflächlich und irrelevant hinzustellen. In mancherlei Hinsicht war da ja auch was dran: Oft ging es in seinen Clips ja gar nicht um Politik, er hatte einfach nur Spaß mit Freunden und stellte diesen Spaß online. Seine treuesten und längsten Fans liebten ihn für seinen Quatsch, nicht für seine politischen Videos. Die Politik hatte er erst für sich entdeckt, als die Bundesregierung versuchte, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das vordergründig zwar gegen »Hass« im Netz dienen sollte, aber diesen »Hass« so schwammig definierte, dass auch eine deutlich formulierte Meinungsäußerung schon darunter fallen könnte. Lonzo bemerkte plötzlich, wie ihn und seinesgleichen ein Gesetz selbst betreffen könnte. Der andere deutsche Staat diente ja schließlich genug als abschreckendes Beispiel dafür, wie Meinungen unterdrückt werden konnten. Letztlich kam das Gesetz in der Form nicht – was sicher auch Lonzos Engagement dagegen zu verdanken war. Und damit hatte er Blut geleckt. Als YouTuber politisch etwas bewirken zu können – das war ihm erst durch diese Erfahrung bewusst geworden.

Lonzo arbeitete mit Aktivisten sowohl im Westen wie auch im Osten zusammen, seine Quellen stammten teilweise von Hackern, auch aus Kanälen zweifelhafter Herkunft. In der DDR war mit der D-Mark ohnehin viel zu bewegen. Selbst die treuesten Funktionäre hatten eine Schwäche für die harte Westmark – und das reichte ja bis in die oberste Etage der DDR, bis ins Politbüro.

Durch hervorragende Vernetzung mit diversen Online-Aktivisten in der DDR war es so weit gekommen, dass ihm geheime Unterlagen zugespielt wurden. Sie wurden ihm gezielt anvertraut und eben nicht etablierten Print-Produkten, denn Lonzo sprach die Sprache der Aktivisten und hatte die viel größere Reichweite. Er verschaffte sich Gehör in Kreisen, in die ein Printprodukt nie vordringen würde. Die Zeiten hatten sich im Zuge der Digitalisierung massiv geändert. Wenn Lonzo ein neues Politik-Video veröffentlichte, wurde darüber groß und breit berichtet. Seine Stimme hatte im Netz Gewicht bekommen – Die Zerstörung der DDR war der vorläufige Höhepunkt.

Vor allem seit der Inhaftierung von Perry war Lonzo durch besonders viel Aktivismus aufgefallen. Er sammelte Unterschriften, startete Petitionen und versuchte, den Druck zu erhöhen – allerdings ohne großen Erfolg. Perry blieb weiterhin in Haft. Was Konzerte und Demonstrationen nicht zu bewegen vermochten, schaffte auch er nicht – schon gar nicht in der DDR. Wobei die Nachricht dieses Morgens, die über alle Ticker lief, ja auch mit seinem jüngsten Video zu tun hatte: Dass die Ständige Vertreterin der Bundesrepublik die DDR verlassen musste, war eine direkte Folge dessen. Lonzo wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Es war das erste Mal, dass eines seiner Videos konkrete personelle Folgen hatte. Hatte er damit seinem Ziel, nämlich Perry aus der Haft zu bekommen, einen Dienst erwiesen?

Dass er hier in die Räumlichkeiten dieses renommierten Magazins eingeladen wurde, das war schon etwas Besonderes. Dieses Magazin hatte eine besondere Magie. In seiner Familie war es seit Jahrzehnten abonniert und gelesen worden. Sein Vater gehörte zu den Stammlesern. Lonzos Kindheit war auch dadurch geprägt, dass diese Zeitschrift oft auf dem Wohnzimmertisch lag.

Lonzo öffnete eine beeindruckend mächtige Glastür und betrat das abstrakte Gebäude in der Hamburger HafenCity. Ein Empfangstresen mit zwei Damen, beide etwa Mitte 20, also in seinem Alter, war die erste Hürde, die ein Besucher hier zu nehmen hatte. Die eine Dame war blond, ihre schwarzhaarige Kollegin schien einen Migrationshintergrund zu haben. Es war sicher kein Zufall, dass dieses große politische Magazin bereits mit dem Personal am Empfang offensichtlich seine Vielfalt und Weltoffenheit verdeutlichen wollte.

Lonzo verstaute den Kopfhörer in seinem Rucksack, dann lächelte er die Frauen freundlich an. Hinter ihnen waren in einer riesigen Collage legendäre Titelseiten aus der über 75-jährigen Geschichte des Magazins zu sehen. Lonzo warf einen flüchtigen Blick drauf: die Wiederbewaffnung in den 50ern, die Studentenproteste in den 60ern, der RAF-Terror in den 70ern, die »Wende« im Jahr 1982 mit der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler, seine Abwahl 1990, das Massaker auf dem Alexanderplatz im Jahr 1993 bis hin zur Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2017.

»Hallo, ich bin Lonzo. Ich habe einen Termin mit Herrn Brinkhaus.«

Lonzo erntete freundliche Blicke von beiden Damen. Er konnte nicht deuten, ob sie ihn beide kannten oder ob das einfach nur ein professionelles Lächeln war.

»Herr Brinkhaus wartet oben schon.« Die Blonde kam um den Tresen herum. »Es ist im 6. Stock, ich bringe Sie direkt hin.«

»Nice.«

»Moment«, rief die dunkelhaarige Kollegin, die weiterhin hinter dem Tresen saß, »ein ganz kurzes Selfie? Ist das möglich?«

»Aber klar.« Lonzo brachte sich in Position und schmiegte seine Wange an die der Empfangsdame. Dann wurden zwei Fotos gemacht. »Wie schön, dass solche Kuschelfotos endlich wieder möglich sind, hm?«

»Eigentlich nicht. Aber bei so einem berühmten Besucher.« Die Schwarzhaarige zwinkerte flirtend.

»Zeig mal kurz bitte.« Lonzo ließ sich die beiden Fotos auf dem Smartphone zeigen. »Dies hier bitte nicht, das gebe ich nicht frei. Das andere ist okay.«

»Ich will es gar nicht veröffentlichen, es ist nur für mich privat.«

»Oh.« Lonzo wirkte wirklich erstaunt. »Sorry, ich gehe immer ganz automatisch von einem Instagram-Post aus.«

Die Blonde mischte sich ein. »So, dann können wir ja mal hochfahren. Ich bin übrigens Sophie.« Sie ging demonstrativ Richtung Fahrstuhl, damit Lonzo ihr folgte.

Er grinste und zwinkerte der Dunkelhaarigen im Weggehen ebenfalls charmant zu. »Freut mich, Sophie.« Durch diese Glastür gingen sicher öfter mal ranghohe Politiker, einflussreiche Persönlichkeiten und weitaus größere Stars als er. Daher fühlte er sich sehr wohl dabei, hier so staatsmännisch behandelt zu werden.

»Ich bin ein Fan von dir«, gestand Sophie, während sie einen der drei nebeneinanderliegenden Fahrstühle per Tastendruck rief. Das Gebäude war durch den großen Glasanteil lichtdurchflutet, drei riesige Palmen brachten Grün ins Gesamtbild.

»Echt? Auch schon vor diesem berühmten Video?«

»Oh ja, natürlich. Letztes Jahr hast du doch diese Challenge gemacht, wo du mit Stiff zusammen die Luft angehalten hast, bis einer nicht mehr konnte. Ich habe das parallel zu Hause mitgemacht, ich konnte schon nach 20 Sekunden nicht mehr.«

»Ja, stimmt. In sowas ist Stiffi top. Aber freut mich, dass du ihn auch kennst. Sein Kanal kommt ja nicht so richtig in die Gänge, er ist noch nicht mal sechsstellig.«

»Dann muss ich den wohl auch mal abonnieren, hab’ ich bislang nämlich nicht.«

»Siehst du. Das ist sein Problem. Alle kennen ihn, aber kaum einer abonniert ihn.«

Sophie und Lonzo lachten kurz herzlich. Die Fahrstuhltür öffnete sich, sie stiegen ein. Sophie drückte die Taste 6, die Tür schloss sich wieder.

»Diese Corona-Sache in deinem Video find ich echt heftig«, bemerkte Sophie, »in der DDR hatten die Leute keinen Schutz, weil die Masken so knapp waren. Und dann verticken die auch noch ihren eigenen Impfstoff? Kein Wunder, dass es so viele Tote im Osten gab.«

»Tja.« Lonzo zuckte mit den Schultern. »Wir im Westen waren wiederum froh, Masken und Impfstoff zu haben. Kapitalismus eben.«

»Stimmt es denn, dass die in der DDR ohnehin so skeptisch sind beim Thema Impfung? Angeblich ist mehr als ein Drittel immer noch ungeimpft.«

Lonzo zuckte die Schultern. »Keiner weiß es. Solche Zahlen veröffentlicht die DDR ja nicht. Aber irgendwo ja auch verständlich bei dem Misstrauen gegen diese Regierung da.«

»Bei uns im Blatt stand letzte Woche, dass von jedem, der in der DDR geimpft wird, auch gleich ein DNA-Abgleich beim vorigen Speichelabstrich gemacht wird. Hältst du das für möglich?«

»Na ja. Wenn dieses so angesehene Magazin es schreibt, dann muss es ja stimmen.« Der Sarkasmus in seiner Stimme war unüberhörbar.

Der sechste Stock war erreicht. Sophie stieg zuerst aus, Lonzo folgte ihr. Es ging einen mit flauschigem Teppich ausgelegten Gang entlang. An den Wänden hingen Bilder von Persönlichkeiten auf Schwarz-Weiß-Fotos. Lonzo kannte keinen einzigen von denen. Ihm wurde nicht klar, ob es sich um Politiker handelte oder möglicherweise frühere leitende Chefs dieses Magazins. Er kannte sich mit der aktuellen politischen Lage gut aus, allerdings hatte er Defizite in geschichtlichen Fragen. Es wäre ihm schon schwergefallen, alle Bundeskanzler und Bundespräsidenten der Bundesrepublik seit 1949 aufzuzählen.

»Wegen der DNA-Geschichte erhielten wir viele böse Briefe«, erzählte Sophie, »manche haben sogar ihr Abo gekündigt. Echt Wahnsinn, wie manche die DDR verteidigen und so tun, als herrsche dort mehr Demokratie als bei uns.«

»Weil die DDR mithilfe der Sowjetunion Desinformation im Netz betreibt. Ich verstehe nicht, warum manche immer noch an ihrem Weltbild von der guten und friedlichen DDR festhalten. Ich glaube, in Ost-Berlin müssen sie erst einen Atomkrieg anzetteln, damit solche Träumer mal aufwachen. Und selbst dann drehen sie es noch so hin, als habe der Westen das provoziert.« Lonzo sah Sophie an und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. »Solltest du mal in Köln sein, komm mich gern besuchen. Dann zeige ich dir mal mein Studio.« Lonzo bemühte sich, dies möglichst unverfänglich zu sagen.

»Ist das sowas wie früher die Briefmarkensammlung?«, fragte Sophie lächelnd.

»Ach Quatsch.«

»Wenn ich meinen Freund mitbringen kann, dann gern.«

»Ja.« Lonzo wirkte für einen Moment wie vor den Kopf geschlagen. »Ja. Natürlich.«

Sophie öffnete die Tür zu einem Konferenzraum, in dem drei Männer zusammensaßen und aufblickten. »Ah, da ist er ja.« Jochen Brinkhaus, der Chefredakteur, ging direkt auf Lonzo zu und schüttelte ihm kräftig die Hand. »Freut mich sehr, dass Sie gekommen sind. Interviews mit Ihnen hat es ja in den letzten sieben Tagen kaum gegeben. Da können wir uns sehr geehrt fühlen.«

»Das stimmt, das ist überhaupt nicht mein Ding.« Lonzo nahm seinen Rucksack ab und ebenso die Kappe. Nun waren die berühmt gewordenen grünen Haare des derzeit wohl angesagtesten DDR-Kritikers in voller Pracht zu sehen. »Aber mein Papa hat Ihr Blatt abonniert, also tue ich es ihm zuliebe.«

»Einen klugen Vater haben Sie.« Brinkhaus stellte Lonzo den stellvertretenden Chefredakteur Udo Lauer vor und den Politikchef Benjamin Clausnitzer.

»Frauen sitzen hier eher an den Empfangstresen, was?«, flachste Lonzo.

Clausnitzer lachte herzlich, aber doch ein wenig peinlich berührt. »Nein, nein, das ist jetzt wirklich Zufall. In unseren Redaktionen arbeiten natürlich auch Frauen.«

»Irgendwer muss ja auch für frischen Kaffee sorgen.« Udo Lauer lachte ganz allein über seinen Spruch und verstummte schnell wieder, als er bemerkte, wie ungeschickt das war.

Brinkhaus war 64 Jahre alt und plante für den Herbst seinen Abschied als Chefredakteur. Vier Jahre lang hatte er seinen Job inne, aber den massiven Rückgang der Abonnements und damit der Auflage konnte auch er nicht verhindern. Das Magazin setzte inzwischen sehr stark auf den Onlineauftritt, der sich im Wesentlichen hinter einer Bezahlschranke befand. Um junge Leute dafür zu interessieren, war Lonzo das ideale Vehikel. Somit empfand es die gesamte Führungsebene des Verlags als Coup, Lonzo tatsächlich für ein Interview gewonnen zu haben. Ganz kostenfrei ging das nicht: Lonzo erhielt für den Besuch in der Redaktion 10.000 D-Mark Honorar plus Reisekosten und Spesen, die ihm in bar übergeben werden sollten. Lonzo bestand auf Vorkasse in bar. Er zahlte zwar Steuern, aber der Staat musste ja nicht alles wissen. In der Hinsicht war er ohnehin gewitzt und hatte viel Geld auf ausländischen Online-Konten deponiert sowie in Kryptowährungen angelegt. Die 10.000 Mark brauchte er eigentlich nicht zwingend – aber er nahm sie trotzdem, denn seine Aktivisten-Kollegen drüben in der DDR konnten immer ein bisschen Geld gebrauchen. Es war kompliziert und riskant, ihnen online Geld zu schicken – aber es gab Wege, dies zu tun.

»Nehmen Sie doch bitte Platz«, bat Clausnitzer und klang dabei ganz aufgeregt. Er schob Lonzo einen Stuhl zurecht, sodass dieser nur noch in die Sitzposition absinken musste.

»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Udo Lauer.

»Heißen Kaffee nur, wenn Sie ihn selbst machen.« Lonzo kicherte kurz, Udo Lauer lachte reflexartig mit. »Nein, eine Cola sehr gern.« Lonzo sah sich ein wenig um. Dieser Konferenzraum mit den sehr altmodischen Holzvertäfelungen an den Wänden und einem vergilbten Deckenfluter repräsentierte für ihn so etwas wie den analogen Journalismus. »Das sieht hier alles so alt aus.«

»Wir sind vor ein paar Jahren in dieses neue Gebäude umgezogen«, erzählte Brinkhaus, »die Vertäfelungen und die Deckenleuchte des Konferenzraums haben wir mitgenommen. Nicht nur aus Kostengründen, sondern weil es auch an die alten Zeiten erinnern soll.«

»Sozusagen die Glanzzeit unseres Magazins«, ergänzte Lauer und bemerkte im selben Moment, dass auch das etwas ungeschickt formuliert war.

»Sind die Glanzzeiten denn vorbei?«, fragte Lonzo dann auch gleich nach.

»Nein, nein.« Alle drei antworteten fast gleichzeitig. »Aber natürlich hat der Journalismus sich geändert«, erklärte Brinkhaus, »er ist oberflächlicher geworden, unsachlicher. Auf solide Arbeit wird nicht mehr ganz so viel Wert gelegt, das merken wir leider dann auch an den Verkaufszahlen.«

»Habt Ihr nicht gerade so eine Fake-Geschichte gehabt? Wo sich einer irgendwelche Storys ausgedacht hat?« Kurze Stille.

»Ja«, antwortete Clausnitzer, »eine sehr ärgerliche Sache. Aber es zeigt ja den Druck, dem Journalisten heutzutage ausgesetzt sind. Wir haben das ja sofort öffentlich gemacht.«

»Maximal transparent«, ergänzte Brinkhaus, »bei uns wird nichts vertuscht, das entspricht unseren Wertvorstellungen. Aber kommen wir doch mal zu Ihnen. Lonzo nennen Sie sich. Aber Ihren echten Namen mögen Sie nicht nennen?«

»Nein. Auch nicht, wo ich wohne. Das geht niemanden was an. Deswegen bin ich zu euch gekommen und ihr nicht zu mir.«

Brinkhaus ergriff einen Umschlag und gab ihn wortlos an Lonzo. Dieser schaute kurz hinein, nickte und verstaute das Kuvert in der Vordertasche seines Rucksacks. Darin war das besprochene Honorar.

Clausnitzer schenkte Lonzo währenddessen Cola aus einer kleinen Glasflasche in ein Glas ein. »Auf jeden Fall mutig von Ihnen, sich mit der DDR derart anzulegen.«

»Wieso mutig?«, fragte Lonzo.

»Na ja, mit einer Diktatur ist nicht zu spaßen.«

»Ich finde es wichtig, solchen Shit öffentlich zu machen.«

»Wo haben Sie diese Unterlagen eigentlich her?«, fragte Lauer, »es handelte sich ja immerhin um streng geheime Dokumente des DDR-Innenministeriums.« Alle drei Redakteure hoben die Augenbrauen und waren gespannt.

»Das sag ich nicht. Würdet ihr doch auch nicht tun. Wie nennt sich das noch mal? Quellenschutz?«

»Ja, das ist schon richtig«, bestätigte Brinkhaus, »es wundert uns natürlich trotzdem, warum so einer wie Sie … also … Sie sind ja kein Journalist, das meine ich.«

Clausnitzer ergänzte: »Das, was Sie auf Ihrem YouTube-Kanal so machen, ist ja sonst auch nicht so journalistisch, es ist ja eher Unterhaltung.«

»Aufklärung nennt sich das.« Lonzo hob belehrend den Zeigefinger. »Es gab mal eine ganze Epoche, die so hieß. Ansonsten: Ich mache das, wozu ich Lust habe. Das unterscheidet mich von Cracks wie euch. Ich habe keinen Druck.«

»Keinen Druck? Bei 10 Millionen Abrufen?«

»Nein. Das Video ist ja nicht mal monetarisiert. Ich muss damit kein Geld verdienen.«

»Das ist … in der Tat traumhaft.« Brinkhaus startete ein auf dem Konferenztisch liegendes Aufnahmegerät. »Wo wir nun schon mitten im Gespräch sind, sollten wir auch vielleicht offiziell das Interview starten. Lonzo, Ihr YouTube-Video Die Zerstörung der DDR hat innerhalb von einer Woche mehr als zehn Millionen Abrufe auf YouTube generiert. Es ist nicht nur seit Tagen ein großes Medienthema, es führt nun auch zu diplomatischen Verwicklungen. Die Ständige Vertreterin Lichtenberg ist aus der DDR ausgewiesen worden. Was war das Ziel Ihres Videos?«

»Eigentlich hat das doch jeder gewusst, was ich da erzähle. Die DDR stellt doch viele Produkte für den Westen her, während im eigenen Staat Mangelwirtschaft herrscht. Aber hier ging es ja um Gesundheit. Es wären weniger Menschen in der DDR gestorben, wenn genug Impfstoff da gewesen wäre. Heute haben wir das Schlimmste hinter uns, aber 2021 war die Lage noch eine andere.«

»Abgesehen davon, dass die DDR lange abstritt, dass es überhaupt Corona-Tote gibt.« Brinkhaus lächelte zufrieden. »Den Beweis dafür haben übrigens wir damals mit einer investigativen Recherche geliefert.«

Lonzo nahm genüsslich einen Schluck Cola. »Wir haben Verwandte drüben, ein Großonkel starb an Corona. Daher wusste ich das jedenfalls auch ohne Ihr Magazin gelesen zu haben.«

»Waren Sie schon einmal in der DDR?«, fragte Udo Lauer.

»Als Kind zuletzt, ja. Was soll ich da? Ich unterstütze doch keinen Staat, der sogar auf seine eigenen Bürger schießen lässt wie damals 1992.«

»1993!«

»Der seine Bürger einsperrt. Diese scheiß Mauer steht schon 61 Jahre. Selbst mein Vater kennt kein Deutschland ohne Mauer und Stacheldraht.«

Clausnitzer spitzte skeptisch die Lippen. »62 Jahre. Aber die DDR wird von der Sowjetunion beherrscht. Sie könnte gar keine demokratischen Reformen durchführen, selbst wenn sie es wollte.«

»Aber einen gewissen Freiraum hätten sie schon. Ich höre jedenfalls immer wieder, dass in Ungarn, in der Tschechoslowakei oder in Jugoslawien vergleichsweise mehr Freiheiten herrschen. Vor allem tut man dort aktiv was für den Klimaschutz, mehr sogar als bei uns in Westdeutschland. Auch da scheißt die DDR auf die Gesundheit der Menschen. Selbst die Sowjetunion hat ein riesiges Klimaschutz-Programm angekündigt, im Gegensatz zu Trump.«

»Der US-Präsident ist ja oft Thema in Videos von Ihnen.«

Lonzo lachte. »Ja, weil der Typ irre ist. Ich hasse den Kerl. Der baut selber eine Mauer, um sich von Mexiko abzuschotten. Und dann hält er zum 60. Jahrestag eine Gedenkrede an der Berliner Mauer. Cringe.«

Brinkhaus warf ergänzend ein: »Trump soll sogar nach seinem Berlin-Besuch die Mauer als vorbildlich für seine geplante Mexiko-Grenze gelobt haben. Wird zumindest kolportiert.«

»Die Quelle dafür ist aber zweifelhaft«, betonte Lauer.

Lonzo schüttelte sein grünes Haar. »Ja, lol ey. Warum wurde der Typ eingeladen?«

»Weil er der US-Präsident ist«, antwortete Lauer. »Die Amerikaner haben ihn 2020 ja sogar wiedergewählt.«

»Ja, mit dem scheiß Kalten Krieg lässt sich Stimmung machen«, stellte Lonzo fest, »die Sowjetunion als Endgegner.«

»Es gab eine riesige Demo in Berlin, als Trump da war. Es waren über 100.000 Menschen. Auch wenn die Polizei nur von 30.000 spricht. Ich hab’ mal nachgesehen: Sie waren nicht da und haben stattdessen mit einer anderen YouTuberin an dem Tag eine Eierlauf-Challenge veranstaltet.«

»Ich gehe nicht auf Demos, ist mir zu viel Trubel. Zumal ich andauernd erkannt und belagert werde.«

»Aber gerade Sie hätten doch ein Zeichen setzen können.«

»Der wirklich effektive Widerstand findet im Netz statt. Dort kann er nur schwer zensiert werden, dort erreicht er viel mehr Menschen. Und dort werden Unbeteiligte nicht in Gefahr gebracht. Das ist moderner Widerstand.«

»Also, auf die Straße zu gehen halten Sie für altbacken?«

»Was sollen wir denn tun? Uns auf der Straße festkleben? Ich kann jedenfalls nicht sehen, dass die 100.000 Demonstranten irgendwas erreicht hätten.«

»Was halten Sie eigentlich von der Seite deinevideos?«, fragte Brinkhaus. Die Seite deinevideos.dd war eine Art YouTube der DDR. Vlogger konnten dort ihre Videos hochladen und veröffentlichen. Allerdings wurde es streng kontrolliert, kein Video wurde ohne vorherige Prüfung freigeschaltet. Jegliche kritische Äußerung zur Regierung der DDR, zum Sozialismus, zur Sowjetunion waren laut AGB strengstens untersagt und wurden nicht genehmigt. In der Regel folgten bei Verstoß die Sperrung des Kanals und ein persönlicher Besuch bei den betroffenen Personen. Wer seine persönlichen Daten nicht nachprüfbar angab, durfte ohnehin keine Videos hochladen. Nichts war anonym.

»Was soll ich davon halten? Das ist reiner Propagandashit. Ist doch kein Wunder, dass so viele in den Untergrund gegangen sind und lieber bei YouTube veröffentlichen oder bei Twitch oder anderswo. Und es gelingt ihnen ja auch ohne große Anstrengungen, weil diese DDR-Honks andererseits dann auch zu blöd sind, das zu verhindern.«

»Sie haben Kontakte in die Aktivisten-Szene der DDR, nicht wahr?«, fragte Clausnitzer neugierig.

Lonzo antwortete schmallippig: »Gelegentlich. Allerdings meist anonym, ich kenne kaum reale Namen. Die trauen niemandem, auch mir nicht. Ist auch richtig so.«

»Perry wurde bei deinevideos sehr schnell gesperrt.«

»Ja.« Lonzo lachte auf. »Derjenige, der die mit Abstand erfolgreichsten Videos da macht und diesen Laden nach vorn gebracht hätte, wird als Erster gesperrt. Und was war noch mal die Begründung?«

Brinkhaus blätterte kurz in seinen Unterlagen. »Staatszersetzende Inhalte.«

»Weird, oder? Da tritt jemand für Demokratie, Gleichberechtigung, Menschenrechte ein – und dann ist ER derjenige, der staatszersetzend ist. Diese veraltete DDR versteht das Netz nach wie vor nicht. Die Typen da in Ost-Berlin wollen die digitale Revolution mit analogen Mitteln bekämpfen. Aber kann uns ja nur recht sein.«

»Seit Perry im Gefängnis sitzt, gab es zumindest keine neuen Videos mehr von ihm – auch keine auf YouTube veröffentlichten. Also sitzt der Staat am Ende doch am längeren Hebel.«

»Der Widerstand im Netz besteht ja nicht nur aus Perry. Allein DDR-Leaks auf Twitter hat über 900.000 Follower. Und was haben die nicht schon alles ans Licht gebracht? Zum Beispiel kürzlich diese Geschichte von einem Insider aus dieser Bonzensiedlung.«

»Wandlitz.«

»Die baden in westlichem Mineralwasser, holen sich Nutten ins Haus, saufen französischen Champagner. Ich kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus – kann man in dem Reaction-Video sehen, das ich gemacht habe.« Lonzo musste noch einmal lachen, als er nun daran dachte.

Clausnitzer klopfte mit dem Kugelschreiber auf dem Tisch herum. »An der Story mit Wandlitz haben wir auch gesessen, DDR-Leaks kam uns zuvor. Wir hätten es eben noch etwas besser recherchiert gebracht.«

Lonzo schlug erschöpft die Hände auf die Schenkel. »Leute, kapiert endlich, dass es eine neue Art von Journalismus gibt. Kommt endlich in der neuen Zeit an. Wenn die DDR es nicht kapiert, ist das deren Problem. Aber ihr seid doch klug genug, es zu verstehen. Oder etwa nicht?«

»Nun gut. Werden Ihre Informanten aus der DDR Sie noch weiter beliefern? Haben wir noch mehr brisante Infos zu erwarten?«

Lonzo lehnte sich entspannt zurück und verschränkte zufrieden die Arme. »Abwarten.«

@Kapitalistenpig auf Twitter:

Ich weiß gar nicht, welche Funktion diese #Lichtenberg eigentlich hatte. Kostet uns Steuerzahler nur unnötig Geld. Die #BRD sollte alle diplomatischen Beziehungen zur #DDR abbrechen. Und hört auf, dieses Verbrecherregime auch noch mit euren Westgeldern zu unterstützen. Fahrt nicht in die DDR – auch nicht für einen Tag!

Samstag, 22. Juli 2023 – ZDF heute

»Bonn – Bundeskanzler Erhard Möller wird am Morgen zu einer kurzfristig anberaumten Bundespressekonferenz erwartet. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes ›infas‹ zufolge hat die Union gegenüber der letzten Erhebung 3 % verloren. Die Grünen haben hingegen zugelegt und liegen nur noch 2 % hinter CDU und CSU. Die SPD verharrt weiter in einem Rekordtief, ebenso die FDP. Die Liberalen müssen um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Die rechtsextreme DVU, die zwischenzeitlich sogar 5 % erreichte, liegt bei nur noch 3 %. Das Institut befragte die Bürgerinnen und Bürger auch zu den ihrer Meinung nach drängendsten Themen. Am häufigsten genannt wurden Kriegsgefahr und Angst vor der Sowjetunion, gefolgt von der Diskussion um die Folgen der Corona-Krise. Die Themen Klimaschutz, Migration und Bildung folgen mit deutlichem Abstand.«

Samstag, 22. Juli 2023 – Bonn, Bundespressekonferenz

Bundeskanzler Erhard Möller betrat den Saal der Bundespressekonferenz mit einem demonstrativen Lächeln. Sein Auftritt vor den Hauptstadtjournalisten war überfällig. Da es terminlich nicht anders zu machen war, fand die BPK ausnahmsweise an einem Samstag statt – was die Dringlichkeit unterstrich. Möller hatte sich bislang noch nicht zu den diplomatischen Problemen mit der DDR geäußert. Nur sein Regierungssprecher, neben dem er Platz nahm, hatte sich zuvor mit einem Statement an die Presse gewandt. Zudem stand für Anfang August ein Treffen zwischen Möller und dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, René Klipkow, in Ost-Berlin bevor. Es war ein lange vorbereitetes und immer wieder (angeblich pandemiebedingt) verschobenes Treffen, das als Antwort auf einen Besuch von Klipkow in Bonn im Spätsommer 2019 verstanden werden sollte. Einige Medien spekulierten schon darüber, ob es nun womöglich erneut abgesagt würde. Es gab viele Fragen.

Möller war inzwischen zehn Jahre im Amt, zur Bundestagswahl im Jahr 2025 wollte er noch einmal antreten. Gerüchten zufolge war es sein Ehrgeiz, als Kanzler mit der längsten Amtszeit in die Geschichte der Bundesrepublik einzugehen. Den Rekord hielt mit 14 Jahren immer noch der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer. Möller brauchte also noch etwa drei weitere Jahre.

Lutz Weinland, der Regierungssprecher, war ein junger, dynamisch wirkender Mann, den Möller von einem öffentlich-rechtlichen Sender abgeworben hatte. Dies wurde von Beobachtern als erster Schritt zu einer sichtbaren Verjüngung der Regierung verstanden. Auch eine Kabinettsumbildung war im Gespräch, solche Pläne bestritt Möller aber vehement. Der Bundeskanzler musste mit seinen inzwischen 68 Jahren allerdings schon zusehen, dass auch die junge Generation ihm und seiner Regierung Vertrauen schenkte. Aber da stand seine Partei schlecht da: Vor allem die Grünen waren es, die bei Erstwählern besonders gut abschnitten. Sofern Möller selbst dieses Vertrauen nicht ausstrahlte, mussten es dann eben andere um ihn herum tun. Immerhin war Möller im Vergleich zu seinem 84-jährigen Amtskollegen aus der DDR, René Klipkow, noch deutlich jünger.

Die Bundespressekonferenz war ein Verein von Hauptstadtjournalisten, dessen Vorsitzende nach einer kurzen Begrüßung das Wort an den Regierungssprecher Lutz Weinland übergab.

Der wiederum begrüßte die gut 100 Journalistinnen und Journalisten aus dem In- und Ausland ebenfalls formal freundlich und übergab das Wort schließlich an Möller. Die Unruhe im Saal, die von den anwesenden Damen und Herren verbreitet wurde, verringerte sich. Möller wartete noch bewusst so lange, bis ein erträgliches Maß an Ruhe eingekehrt war.

»Herzlichen Dank.« Möller lächelte Weinland kurz an, dann sprach er weiter. »Meine Damen und Herren, die Ausweisung von Magdalena Lichtenberg als Ständige Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland aus der DDR ist ein für uns nicht hinnehmbarer Akt. Wir erkennen die DDR als souveränen Staat an, nicht jedoch als ausländischen Staat. Die Deutsche Einheit bleibt für uns ein staatliches Ziel, auch wenn sie im Moment als nicht realistisch angesehen werden kann. Dass die DDR-Führung die Ständige Vertreterin ausweist, zeugt von einem gehörigen Maß an mangelnder Sensibilität gegenüber den deutsch-deutschen Beziehungen – erst recht im Hinblick auf das Treffen zwischen mir und dem Staats- und Parteichef der Deutschen Demokratischen Republik Anfang August. Das Video des Netzaktivisten Lonzo will ich hier nicht weiter beurteilen, aber es ist Ausdruck der Meinungs- und Pressefreiheit in unserem Land.«

Die anwesenden Journalistinnen und Journalisten hörten konzentriert zu. Immer wieder waren Geräusche von Fotoapparaten zu hören und kleine Blitzlichtgewitter zu sehen. Etliche Fernsehkameras, von denen fünf die Konferenz live in Fernsehen und Internet übertrugen, standen dicht nebeneinander.

Möller sprach weiter. »Der 13. August ist in der deutschen Geschichte ein trauriger Tag, der aus guten Gründen im Jahr 1997 Feiertag in der Bundesrepublik wurde und den wir in diesem Jahr zum 26. Mal begehen. Im Jahr 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. Im Jahr 1993 nahmen Bürgerinnen und Bürger der DDR ein Menschenrecht wahr, indem sie für Demokratie und Freiheit auf die Straße gingen. Sie wählten ganz bewusst diesen 13. August. Dass DDR-Soldaten, unterstützt von sowjetischen Panzern und sowjetischen Soldaten, auf diese Menschen schossen und dabei mehr als 80 Menschen starben, klafft bis heute wie eine offene Wunde im Gedächtnis unserer Nation. Mein Appell an die DDR-Führung ist, Andersdenkende nicht einzusperren, sondern sofort freizulassen und ihnen auch das Grundrecht auf Demonstration zu gewähren.«

Möller erklärte noch einige Eckpunkte des aktuellen Regierungshandelns, dann ergriff Regierungssprecher Weinland das Wort. »Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. Wir kommen zu den Fragen. Die erste hat Ulrich Knauser von der Süddeutschen.«

»Herr Bundeskanzler, wird es bei dem geplanten Gipfel zwischen Ihnen und dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Klipkow am 2. August in Ost-Berlin bleiben?«

»Von unserer Seite ja. Die DDR-Führung müssen Sie selbst fragen, sie ist der Gastgeber.«