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Pferde, Sonne, Austauschschüler ... Nach den Sommerferien könnte für die vierzehnjährige Mia und ihre beste Freundin Franzi alles perfekt sein. Wenn da nicht ein düsteres Geheimnis über den Stuten des Menninghofs liegen würde, das keiner der Erwachsenen ernst nimmt. Und dann nervt auch noch die selbsternannte Influencerin Lucy, die so gar nicht in den Stall zu passen scheint. Können die Mädchen sich zusammenraufen und den Pferden des Menninghofs helfen? Ein spannendes Jugendabenteuer ab 12 Jahren!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Carina Warnstädt
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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© 2025 Carina Warnstädt
Wanderweg 6
34576 Homberg
www.carinawarnstaedt.de
Instagram: @carinawarnstaedt.autorin
Lektorat: Luna Lavendela Umschlag: Giusy Ame/Magicalcover
Illustrationen: Jana Winterberg
#1
D
er Wind wehte angenehm kühl um mein Gesicht, während der Boden unter Dominos Hufen zu beben schien. Wir flogen in einem wahnsinnigen Tempo über das Stoppelfeld und die Welt um mich herum verschwamm. Am liebsten hätte ich nie wieder angehalten.
Hinter mir jauchzte meine beste Freundin Franzi: »Schneller Mia! Gleich haben wir euch eingeholt!«
Ich stellte mich in die Steigbügel und der Körper meines Pferdes streckte sich unter mir. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Als ich nach einigen Metern einen Blick über die Schulter warf, hatten wir Franzi und ihre Fjordstute Stjerne längst abgehängt. Sie gab sich zwar Mühe, aber gegen meinen Spanier hatte sie keine Chance.
Wir genossen den letzten Ritt, bevor die Ferien zu Ende waren. Es war schon so etwas wie eine Tradition geworden, dass er uns auf das Stoppelfeld führte. Der Bauer nebenan hatte nichts dagegen und wir waren die Strecke gestern schon im Schritt abgeritten, um nach Löchern von Kaninchen oder Wühlmäusen Ausschau zu halten, durch die unsere Pferde stolpern könnten. Heute gab es nur eine Gangart für uns und das war voller Galopp. Domino liebte das. Er zog noch einmal im Tempo an und ich konnte hören, wie er mit jedem Sprung laut atmete.
Doch auch das längste Stoppelfeld war irgendwann zu Ende. Bald würden wir den Grasstreifen erreichen und mussten durchparieren. Also nahm ich die Zügel ein wenig auf und setzte mich wieder in den Sattel. Mein Wallach wusste längst, dass er bremsen musste. Wir fielen in einen ruhigen Trab, bevor wir in die langsamere Gangart wechselten.
Es dauerte nicht lang, bis Franzi aufgeschlossen hatte und wir die Pferde nebeneinander anhielten. Ich wurde bei jedem von Dominos schnellen Atemzügen ein wenig durchgeschüttelt, aber er schnaubte zufrieden. Es war ein warmer Sommertag, doch ihm machte die Temperatur wenig aus. Ich hatte eher das Gefühl, dass er sie genoss. Vielleicht, weil es ihn an seine Heimat erinnerte. Meine Eltern hatten ihn vor fünf Jahren aus Spanien importiert, nachdem wir ihn in einem Urlaub kennengelernt hatten. Domino war also ein waschechter Andalusier, auch wenn er nicht unbedingt danach aussah. Er war eher schlaksig als barock und seine Mähne reichte nicht einmal ansatzweise über seinen Hals. Ich liebte ihn genauso wie er war.
»Und: Noch eine Runde?« Franzi grinste und wischte sich den Schweiß von der Stirn, der unter ihrer Reitkappe heraustropfte. Da hatte sie etwas mit ihrem Pferd gemeinsam, denn auch das Fell ihrer Stute war feucht vom Schweiß.
»Klar!« Ich streichelte Domino über den Hals. »Aber erst eine kurze Pause. Das haben die zwei sich verdient.«
Franzi lachte. »Und wir uns auch. Mensch, wir hätten uns echt was zu trinken mitnehmen sollen! Ich schwitze wie ein Schwein.«
Jetzt musste auch ich lachen. »Nur weil du die Kälte liebst.« Franzi war nämlich in Schweden geboren und hatte die ersten Jahre ihres Lebens dort verbracht. Auch wenn ihre Eltern beide Deutsche waren, wurde sie nicht müde, ihre Herkunft zu erwähnen, wenn ich einmal wieder im Winter fror. Vielleicht kam daher auch ihre Liebe zu den norwegischen Fjordpferden, die auch die nordische Kälte bevorzugten.
»Kann ja nicht jede so eine Sonnenanbeterin sein wie du«, erwiderte Franzi und streckte demonstrativ die Zunge heraus, um zu zeigen, wie sehr sie unter den Temperaturen litt. Dabei war es nicht ungewöhnlich warm für Ende August. In den letzten Wochen war die Anzeige auf dem Thermometer sogar um einige Grade gesunken. Davor hätten wir um diese Uhrzeit nicht einmal an einen Ausritt denken können.
Ich musterte Franzi für einen Moment, deren helles Gesicht rote Flecken aufwies. Manchmal war es mir selbst ein Rätsel, warum wir beste Freundinnen waren. Wir waren so grundverschieden. Aber vielleicht war es genau das, was uns als Team funktionieren ließ, denn wir ergänzten uns dadurch einfach.
»Touché«, meinte ich, um die Neckerei zu beenden. »Also genug Luft geschnappt?«
»Schon lang!«, behauptete meine beste Freundin, obwohl ihr Gesicht noch immer gerötet war. Aber ich tat, als hätte ich das nicht bemerkt.
»Dann los!«
Ich wendete Domino eng in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Mehr musste ich gar nicht machen. Ich gab die Zügel frei und mein Wallach schoss aus dem Stand los. Im letzten Moment schaffte ich es noch, mich in die Steigbügel zu stellen, sonst wäre ich möglicherweise heruntergeschleudert worden. Mit so einer Kraft hatte ich nicht mehr gerechnet. Aber ich ließ ihn machen und genoss den wilden Ritt.
Als wir den Rückweg zum Stall einschlugen, war das Fell unserer Pferde immer noch feucht. Mein eigenes T-Shirt fühlte sich kaum besser an, aber ich genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Hin und wieder schwirrte eine Bremse um uns herum, die es wohl auf unser Blut abgesehen hatte. Dominos Schweif schlug unruhig hin und her. Auch ich verscheuchte eines der lästigen Biester, das sich gerade wieder auf meinem Arm niedergelassen hatte.
»Bin ich froh, wenn wir zurück sind«, meinte Franzi und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Da hilft ja das beste Fliegenspray nicht.«
Tatsächlich! Während wir noch Glück hatten, waren Stjerne und sie von Insekten geplagt. Ich verzog mitleidig den Mund.
»Gleich gibt es erstmal eine Dusche«, meinte ich.
»Für uns oder die Pferde?«
Ich musste lachen. Das war so typisch Franzi.
»Für die Pferde natürlich! Aber du kannst dich auch gern unter den Gartenschlauch stellen, wenn du willst.«
Franzi kicherte bei der Vorstellung. »Au ja – am besten direkt mit Stjerne zusammen!«
Wir bogen in einem breiteren Waldweg ein. Rechts von uns war er gesäumt von uralten Bäumen. An der anderen Seite grenzten schon die ersten Weiden des Reiterhofs Bergmühle. Dieser Teil der Wiesen war nur gepachtet, aber das meiste gehörte meiner Familie. Weil die Weideflächen hier so abgelegen waren, standen hier vor allem die Pferde, die den Sommer den ganzen Tag draußen verbrachten. Mein Vater hatte Heuraufen aufgestellt, die er regelmäßig befüllte, wenn er nach den Tieren sah, aber sie waren alle zufrieden mit ihrer Freiheit.
Als wir vorbei kamen, trabte eine der Stuten mit gespitzten Ohren an den Zaun und beäugte uns neugierig. Es war eine wunderschöne Pinto Stute. Eigentlich mochte ich Schecken nicht sonderlich gern, besonders nicht die mit viel weiß, aber dieses Pferd war wirklich einzigartig gezeichnet und mit ihrem dunklen Gesicht besonders auffällig.
»Hey, sieh mal! Ist da jemand bei Klaas und Bruno?« Franzi deutete auf eine der weiteren Wiesen, die sich vor uns erstreckten.
»Ach, das ist sicher wieder nur ein Tourist, der unbedingt Pferde streicheln muss«, winkte ich ab.
Meine Eltern vermieteten Ferienwohnungen und boten geführte Ausritte und Planwagenfahrten an. Für letzteres hatten wir die beiden schweren Warmblüter Klaas und Bruno. Sie waren breiter gebaut als die Sportpferde, aber nicht so kalibrig wie Kaltblüter. Damit waren sie unheimlich vielseitig und erfreuten sich durch ihre gelassene Art großer Beliebtheit. Auch ihre Wiesen grenzten an die offiziellen Wanderwege im Umkreis. Ich hatte schon mehrmals dazwischen gehen müssen, bevor Wanderer sämtliche Möhren und Äpfel, die sie bei sich hatten, in die Pferde reinstecken konnten. Obwohl überall an den Holzzäunen Schilder hingen, dass das Füttern der Pferde verboten war, schien das viele Menschen einfach nicht zu interessieren. Dabei war das keine Bosheit von uns, sondern wirklich gefährlich für die Tiere, die durch zu viel oder falsches Futter eine Kolik entwickeln konnten.
Es war mir ein Rätsel, warum man fremde Tiere füttern musste und ich stellte mich gedanklich schon auf die nächste Diskussion ein. Doch als wir näher kamen, realisierte ich, dass das Mädchen am Zaun die Pferde überhaupt nicht fütterte. Bruno stand zufrieden grasend ein Stück entfernt und Klaas, der etwas Kleinere der beiden Braunen, hatte sich an den Zaun zu dem Mädchen gesellt. Er schaute ihr neugierig über die Schulter und damit genau auf das Handy, das sie in der Hand hielt. Das Mädchen blickte nicht einmal auf, als wir uns näherten.
»Was machst du da?«, fragte ich sie unverblümt und hielt Domino kurz vor ihr an. Mein Wallach war wenig begeistert von dieser Idee. Er wusste schließlich, dass es nicht mehr weit bis nach Hause war. Dort wartete immerhin schon sein Futter auf ihn. Aber diesen kurzen Zwischenstopp musste er mir jetzt verzeihen.
Das Mädchen sah von ihrem Handy auf. Sie hatte rote Haare, die sich wild um ihr Gesicht kringelten, und trug zu ihrem rot-weiß gestreiften T-Shirt eine weite, verwaschene Jeans. Mit den weißen Sneakers sah sie nicht gerade so aus, als gehörte sie auf einen Reiterhof.
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, antwortete sie schnippisch.
»Ich aber. Das ist nämlich mein Pferd.« Okay. Das war gelogen. Klaas gehörte meinen Eltern. Nur Domino war wirklich meiner – und das noch nicht einmal auf dem Papier, weil ich noch nicht volljährig war. Aber irgendwie gehörten sie doch alle auch ein bisschen mir. Schließlich lebte ich auf diesem Hof.
»Schön für dich. Aber das hier ist ein Wanderweg. Ich darf also hier stehen, solange ich will.«
Mir blieb beinahe der Mund offenstehen und das fremde Mädchen grinste mich zufrieden an. Sie freute sich wohl diebisch darüber, dass ich darauf keine Antwort wusste. Ich spürte, wie meine Wangen zu kribbeln begannen. Bevor ich mir noch die Blöße gab, vor ihr rot anzulaufen, trieb ich Domino lieber zur Eile an. Aber ich würde ein Auge auf sie haben, wenn sie noch länger da herumstand. Ich traute ihr nicht über den Weg.
»Was ist dir denn für eine Laus über den Weg gelaufen? Ist was mit Domino?« Das war meine Schwester Ida, die gerade eines der Shetlandponys putzte, während ich Dominos Futterschüssel in die Ecke der Futterkammer pfefferte.
»Nein, Domino ist toll! Da war nur so eine dumme Ziege bei Klaas und Bruno.«
»Eine Ziege?« Ida grinste mich durch ihre blonden Locken hinweg an. »Also sowas hab ich hier ja noch nie gesehen. Da haben die zwei sich sicher gefreut.«
»Das ist nicht witzig, Mensch!« Ich verdrehte genervt die Augen. Unpassende Witze waren Idas Spezialgebiet. Sie war drei Jahre älter als ich und damit fast erwachsen. Und deswegen fühlte sie sich gerade auch besonders toll.
»Ja, ja, schon gut. Was war denn so schlimm?«
»Ach, vergiss es einfach«, winkte ich ab und beeilte mich, wieder zu meinem Wallach zu kommen. Er stand nur wenige Meter von dem Waschplatz entfernt, wo Stjerne gerade ihre wohlverdiente Dusche bekam. Sie spielte dabei so sehr mit dem Wasserstrahl, den Franzi ihr in Richtung Maul hielt, dass Franzi am Ende wirklich fast selbst geduscht war. Normalerweise hätte ich mit ihr gelacht, aber Ida hatte recht: Die Begegnung hatte mir wirklich die Stimmung verhagelt. Dabei gab es immer wieder Touristen, die Fotos von den Pferden und von der Gegend machten, weil ihnen die Idylle so gefiel. Aber wenn das Mädchen solches Interesse an den Pferden hatte, dann sollte sie eben eine Reitstunde buchen. Oder einen Ausritt – und sich nicht so oberschlau aufführen.
»So, du bist dran!«, verkündete Franzi, die von meiner Laune wohl noch nichts mitbekommen hatte. Sie ließ das Wasser laufen und hielt den Schlauch fest, bis ich mit Domino herangekommen war. Dann richtete sie ihn mit einer plötzlichen Drehung direkt auf mich. Das Wasser war eiskalt und ich stieß einen spitzen Schrei aus. Irritiert machte Domino einen Schritt rückwärts. Der Führstrick war mir vor Schreck aus der Hand gefallen, aber zum Glück machte mein Pferd keine Anstalten abzuhauen.
»Bist du verrückt?«, stieß ich hervor und sah an mir herunter. Mein T-Shirt klebte an meinem Bauch und auch meine Hose hatte etwas abbekommen.
Franzi krümmte sich vor Lachen, aber ich hatte heute wirklich keine Lust, darauf einzusteigen.
»Ja, ja, ist schon gut. Jetzt gib mir das blöde Teil«, knurrte ich, nahm ihr ruppig den Plastikschlauch aus der Hand und richtete den Wasserstrahl auf die Pferdebeine. Domino ließ es über sich ergehen. Er war nicht unbedingt begeistert von Wasser, so wie Stjerne, aber es störte ihn auch nicht wahnsinnig. Also hielt ich mich nicht lange damit auf, sondern beeilte mich lieber, fertig zu werden, ohne dabei den Kreislauf meines Pferdes mit dem kalten Wasser zu überfordern. Dann richtete ich den Schlauch noch kurz auf den Boden, hielt meinen Daumen auf den Wasserstrahl und verteilte so eine dünne Schicht des kühlen Nass auf dem Pflaster, um es fegen zu können, ohne dass die Pferde zu viel Staub einatmeten. Danach zogen wir mit dem Schweißmesser noch das überschüssige Wasser aus dem Fell unserer Pferde, bevor wir sie gemeinsam zurück in den Offenstall brachten. Domino nutzte gleich die erste Gelegenheit, um sich ausgiebig im Sand zu wälzen. Das würde lustig werden beim nächsten Putzen. Eigentlich hatte ich mir das Ende unseres Letzter-Ferientag-Ritts etwas anders vorgestellt. Ich hatte den Tag genießen wollen. Stattdessen kam irgendeine dahergelaufene Selbstdarstellerin an, ich war nass bis auf die Unterhose und Domino hatte nichts Besseres zu tun als sich zu panieren. Und dann war ja morgen auch wieder Schule. Der Tag war für mich gelaufen. Als wir zurück gingen, um das Sattelzeug wegzuräumen, stieß Franzi mich auf einmal von der Seite an.
»Ey, wer ist das denn?« Die Begeisterung in ihrer Stimme war unverkennbar.
Irritiert folgte ich ihrem Blick und verstand schnell, was sie meinte. Abgetrennt in der Integrationsbox, die über einen separaten kleinen Auslauf neben dem Offenstall verfügte, sodass die Pferde sich beschnuppern konnten, stand ein neues Pferd. Ein Warmblut. Mindestens 1,70 groß. Endlos lange Beine und ein schmaler Kopf. Weißer Stern und drei weiße Beine. Die Mähne war sportlich kurz geschnitten – unverkennbar ein Sportpferd.
»Seit wann stehst du auf Warmblüter?«, fragte ich und verzog den Mund. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Mama oder Papa mir etwas von einem neuen Pferd erzählt hatten. Unseres war es ganz sicher nicht. Wir hatten nicht ein einziges Sportpferd. Und so wie das Tier aussah war es sicher für den Dressursport gedacht. Da hatte niemand von uns Ambitionen. Aber normalerweise erfuhr ich es auch, wenn wir neue Einsteller hatten. Komisch.
»Tue ich ja gar nicht!«, protestierte Franzi, doch sie sah ganz verliebt zu dem Pferd hinüber. »Aber schön ist er schon.«
Der Fuchs glänzte fast kupferfarben in der Sonne. Selten hatte ich ein Fell so schimmern sehen.
»Mhm. Ja, ganz nett«, murmelte ich und nahm mir vor, meine Eltern nach dem Pferd zu fragen, sobald ich sie sah.
E
rst als wir gemeinsam zu Abend aßen, hatten meine Eltern für mich Zeit. Den Fuchs hatte ich beinahe schon wieder verdrängt. Ich hatte noch eine kleine Gruppe von Feriengästen auf einen Ausritt mitgenommen und alles dafür getan, um nicht an die Schule denken zu müssen. Aber am Esstisch holte mich das Thema unweigerlich wieder ein.
»Hast du schon deine Schultasche gepackt, Mia?«, fragte meine Mutter mich, während sie sich gerade eine große Portion Salat auf den Teller schaufelte.
»Warum fragst du das eigentlich nur mich? Ida geht auch noch zur Schule«, entgegnete ich trotzig. Als Jüngste in der Familie hatte ich immer das Gefühl, dass ich noch als kleines Kind angesehen wurde. Dabei war ich schon vierzehn und wirklich alt genug, um selbst Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn meine Tasche tatsächlich noch nicht gepackt bereit stand, war es nicht so, dass ich noch nicht daran gedacht hatte. Aber wenn ich erst einmal alles heraussuchte, was ich mitnehmen musste, war es so endgültig, dass morgen die Ferien vorbei waren. Und diesen Moment wollte ich am liebsten noch ganz weit hinauszögern.
»Weil ich fast erwachsen bin«, nahm Ida unserer Mutter die Antwort vorweg. Sie hatte das Kinn gereckt und machte keinen Hehl daraus, dass sie stolz darauf war. Dabei konnte ich doch nichts dafür, dass sie früher geboren war. Es war doch wirklich keine Leistung, älter zu sein.
»Ja, aber erst in einem halben Jahr«, erwiderte Mama ruhig und warf Ida einen strengen Blick zu. »Und außerdem steht Idas Tasche schon fertig gepackt im Flur. Die Frage hat sich also erübrigt. Aber deine steht da noch nicht.«
Jetzt traf ihr bohrender Blick wieder mich und ich verkniff mir eine triumphierende Bemerkung meiner Schwester gegenüber.
»Ich packe gleich alles zusammen«, murmelte ich und stopfte mir ein Stück Möhre in den Mund, um weiteren Fragen zu entgehen. Doch da fiel mir das neue Pferd wieder ein.
»Was ist das eigentlich für ein Fuchs im Offenstall?«
»Mia! Man spricht nicht mit vollem Mund!«, tadelte Papa mich auf der Stelle. »Außerdem versteht man so kein Wort.«
Ich schluckte überdeutlich und wiederholte: »Was ist das eigentlich für ein Fuchs im Offenstall? Ihr habt mir nichts von einem neuen Pferd erzählt. Wusstet ihr davon?« Ich sah zwischen meinen Geschwistern hin und her. Alex, der älteste von uns, realisierte wohl jetzt erst, dass es so etwas wie ein Tischgespräch gab. Er legte seine Gabel zur Seite und räusperte sich, als ob das irgendwie davon ablenken könnte, dass er keine Ahnung hatte wovon gerade gesprochen wurde. Dabei sprach sein Gesicht Bände. Er interessierte sich nicht wirklich für die Pferde. Traktor fahren fand er super – unsere vierbeinigen Schützlinge eher weniger. Er kannte nicht einmal die Namen unserer eigenen Pferde. Da war die Frage wohl überflüssig gewesen.
»Ich wusste auch bis eben nichts davon«, meinte Ida und sah auffordernd zu unseren Eltern herüber.
»Ach«, Papa winkte ab, »das war eine ganz spontane Geschichte. Frau Nowack wollte schon länger ein Pferd für ihre Tochter kaufen und hatte sich daher schon vor Monaten nach einem Platz erkundigt. Aber dann war nie das Richtige dabei, ich hörte nichts mehr von ihr … Wie das eben so ist. Und dann rief sie mich heute früh an, ob sie gleich ihr neues Pferd vorbeibringen könnte. Den Vertrag würde sie dann unterschreiben.« Er zuckte die Achseln, als wäre es das Normalste auf der Welt, so vorzugehen.
»Wer macht denn sowas?«, fragte ich irritiert. »Man kauft doch kein Pferd ohne sicher zu sein, dass man es auch unterbringen kann.«
»Vielleicht hat sie gedacht, wir hätten den Platz für sie reserviert«, schlug meine Mutter vor, aber das war in meinen Augen doch sehr eigenartig. Wenn man wirklich eine Reservierung haben wollte, dann bezahlte man doch schließlich etwas dafür. Oder meldete sich zumindest zwischendurch.
»Wie dem auch sei, sie hatten Glück, dass wir noch etwas frei hatten und wir können froh sein über einen weiteren Einsteller – jetzt wo bald die Urlaubssaison vorbei ist.« Damit war für Papa das Thema abgehakt. Das war eindeutig. Aber ich verstand einfach nicht, warum es meine Eltern so wenig interessierte, was da für Leute auf unserem Hof herumturnten. Und dann noch mit einem Pferd, das so teuer aussah.
Ich gab also nur ein nichtssagendes Murmeln von mir, doch Mama fiel noch etwas ein: »Das Mädchen ist in deinem Alter! Fünfzehn oder sechzehn, glaube ich. Ihr könntet Freunde werden!«
Beinahe wäre mir die Gabel aus der Hand gefallen. Das hätte sie ja genauso gut Ida vorschlagen können. Aber nein, das war an mich gerichtet gewesen. Wie kam sie auf diese Idee? Ich kannte das Mädchen ja nicht, aber jemand, der sich ein solches Pferd aussuchte, konnte eigentlich nicht in meinen winzigen Freundeskreis passen. Ich hatte kein Interesse an Turnieren. Ich wollte eine schöne Zeit mit meinem Pferd verbringen. Es gesund erhalten und mit ihm gemeinsam Spaß haben. Nicht früh aufstehen, damit ich mich in einem sportlichen Wettkampf gegen ganz viele andere behaupten konnte. Bei dem letzten Dressurturnier, das ich als Zuschauerin besucht hatte, hätten Domino und ich keine Chance gehabt. Einfach nur, weil er ein Andalusier war und kein deutsches Sportpferd, das die Beine bis sonst wohin schmeißen konnte. Und weil wir keine Richter kannten, die einen Bonus für mich drauflegen konnten.
Nein, darauf hatte ich wirklich keine Lust. Der Fuchs war mit Sicherheit mit diesem Hintergedanken gekauft worden. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon ein verwöhntes Einzelkind mit weißer Reithose und Sporen auf das Pferd steigen. Ich sah Sperrriemen und ein Pferd, das eng zusammengezogen wurde. Am liebsten hätte ich mich bei der Vorstellung geschüttelt. Nein, da blieb ich doch ganz sicher lieber bei dem, was wir machten. Mit so jemandem wollte ich nicht befreundet sein. Trotzdem gab ich Mama ein wenig eindeutiges Grunzen zurück. Das schien ihr als Reaktion zu reichen, also widmete ich mich wieder meinem Essen, während Alex das Gespräch auf Ersatzteile für den Traktor lenkte, was mich wiederum wenig interessierte.
Von meinem Zimmer aus konnte ich auf den Offenstall sehen, in dem Domino und Stjerne zusammen mit acht anderen Pferden lebten. Ich liebte die Aussicht über die endlosen Wiesen und Felder, die bis an den Horizont heranreichten, sodass das saftige Grün nur von wenigen Bäumen durchbrochen wurde.
Unser Hof lag etwas erhöht. Dadurch konnte ich an klaren Tagen fast unendlich weit sehen. Es war noch hell draußen, obwohl es langsam spät wurde und die Sonne nicht mehr so kräftig war. Das liebte ich am Sommer. Eigentlich wäre es die perfekte Nacht gewesen, um lange aufzubleiben, vielleicht noch eine späte Runde über die Felder zu drehen oder zum See zu reiten. Die Grillen zirpten und es war eine richtig laue Sommernacht. Aber ich musste hierbleiben und sollte schlafen, weil morgen die Schule wieder anfing. Als ob wir morgen schon irgendetwas Wichtiges im Unterricht machen würden, aber das interessierte meine Eltern natürlich wieder nicht.
Domino wanderte herüber zur zweiten Heuraufe und steckte seine Nase in das Futter. Stjerne da-gegen stand an dem Pfosten mit den Bürsten und kratzte sich ausgiebig daran. Dabei verzog sie das Gesicht zu einer genüsslichen Grimasse. Ich musste grinsen, als ich das sah und zückte schnell mein Handy. Herangezoomt war es zwar nur halb so lustig, aber ich nahm trotzdem ein Video für Franzi auf. Das musste sie sehen.
Es dauerte einen Moment, bis das Video rausgeschickt war, doch Franzi war gerade online und sah es sofort. Die Antwort kam prompt. Vier Emojis mit Herzaugen.
Ich musste lächeln. Wusste ich es doch, dass sie sich darüber freuen würde. Doch Franzi tippte noch immer.
Franzi: Du bist also auch noch nicht im Bett? Auch keine Lust auf Schule morgen?
Was für eine Frage. Als ob da irgendjemand Lust drauf hatte.
Ich: Nö. Aber ich habe herausgefunden, was es mit dem Fuchs auf sich hat: Spontankauf für ein Mädchen in unserem Alter.
Es dauerte einen Moment, bis Franzi antwortete.
Franzi: Spontankauf? Wer kauft denn spontan ein Pferd?
Na, immerhin eine war noch bei Trost und fand das komisch. Sehr beruhigend.
Ich: Keine Ahnung. Ich versteh's auch nicht.
Franzi: Sehen wir uns morgen im Bus?
Ich: Klar.
Da kam ich wohl nicht drum herum. Nicht wegen Franzi, sondern weil das unweigerlich bedeutete, dass der Schulalltag wieder losging.
Meine Eltern würden mich wohl kaum zur Schule fahren. Das machten sie nur in absoluten Ausnahmefällen und eigentlich war mir das auch ganz recht. Franzi und ich kamen morgen beide in die achte Klasse.
In der ersten Stunde stand Deutsch bei unserer Klassenlehrerin Frau Ritter an. Danach schon zum ersten Mal Spanisch. Das war ein Wahlpflichtfach, das in diesem Schuljahr erst anfing. Eigentlich mochte ich die Sprache ja und wollte sie auch lernen. Vielleicht würde also zumindest das nicht so schlecht werden.
Franzi: Sehr gut! Meinst du, Jan fährt morgen auch mit dem Bus?
Oh nein. Nicht wieder diese Jan-Geschichte. Franzi hatte ihn im letzten Schuljahr für sich entdeckt und war seitdem furchtbar verknallt. Jan kam jetzt schon in die Oberstufe und hatte selbst zwei eigene Pferde. Seit Franzi das wusste, gab es für sie nur noch dieses eine Thema. Dass er ambitionierter Springreiter war, ignorierte sie dabei komplett. Und gesehen hatte sie ihn beim Reiten auch noch nie. Vielleicht war er ein furchtbarer Reiter. Vielleicht war er sogar ein noch furchtbarerer Mensch – immerhin kannte sie ihn nicht wirklich. Aber durch ihre rosarote Brille konnte Franzi das nicht sehen.
Mir fiel keine vernünftige Antwort ein, also schickte ich ihr nur einen Smiley, der die Augen rollt.
Dieses Mal wartete ich die Antwort nicht ab. Ich schaltete den Flugmodus ein und legte mein Handy auf den Nachttisch. Das Thema Jan würde noch früh genug wieder aufkommen. Zumindest in den Ferien hatte ich meine Ruhe gehabt. Aber jetzt ging wohl alles wieder los. Dabei hatte ich so gehofft, dass sie ihn über die letzten sechs Wochen vergessen hätte.
Ich warf noch einen letzten Blick auf die Pferde, die draußen vollkommen ruhig standen. Ein wenig beneidete ich sie. Sie mussten nicht zur Schule. Aber es brachte ja nichts, es noch weiter hinauszuzögern. Der nächste Morgen kam sowieso, dann konnte ich ihn auch ausgeschlafen beginnen.
Natürlich war der nächste Morgen nicht entspannt. Nicht nur, dass ich beinahe verschlafen hatte, ich hatte auch vergessen, mir etwas zu essen für die Pause einzupacken und musste so noch schnell in der Küche etwas zusammenwürfeln.
Während ich die fünfzehn Minuten zur Bushaltestelle mehr joggte als ging, konnte meine Schwester noch tiefenentspannt weiterschlafen. Sie hatte die ersten beiden Stunden frei. Was für ein unfairer Start ins Schuljahr!
Der Bus erreichte kurz vor mir die Haltestelle, wo Franzi sich bereits nervös nach mir umsah.
»Lass uns ganz nach hinten gehen«, flüsterte meine beste Freundin mir kurz vor dem Einsteigen ins Ohr. Wir hatten das große Glück, dass der Bus fast leer war, wenn wir einstiegen. So hatten wir in der Regel die freie Auswahl. Aber warum es jetzt ausgerechnet ganz hinten sein musste, erschloss sich mir nicht. Wenn es Franzi glücklich machte, sollte es mir aber auch egal sein. Ich hatte keinen bevorzugten Platz – Hauptsache ich musste nicht stehen. Ich wollte gerade Franzi den Vortritt zum Fensterplatz lassen, als sie abwinkte. »Nee, nee. Ich will in der Mitte sitzen«, erklärte sie.
Was auch immer.
Ich machte es mir also ganz außen gemütlich und stellte noch meinen Rucksack ab, bevor sich der Bus in Bewegung setzte. Am liebsten hätte ich noch ein wenig die Augen zu gemacht.
Wie oft hatte ich mir schon vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich einfach nicht ausstieg. Wenn ich einfach bis zur letzten Haltestelle weiterfuhr, mich dort in den nächsten Bus in Richtung Heimat setzte und so immer weiter machte, bis der Schultag vorbei war. Aber das würden mir meine Eltern niemals durchgehen lassen. Wenn sie so etwas erfuhren … Ich wollte mir diese Diskussion gar nicht vorstellen. Außerdem drohten sie mir immer Reitverbot an. Bisher war es dazu noch nie gekommen, aber das Risiko war mir viel zu groß.
Also musste ich wohl oder übel gleich mit allen anderen zusammen aussteigen. Doch erst einmal fuhren wir die nächste Haltestelle an und Franzi begann, neben mir nervös auf dem Sitz herumzurutschen und nahm vorsorglich ihre Tasche von dem Sitz neben sich. Dabei war der Bus noch gar nicht so voll.
»Was hast du denn?«, fragte ich irritiert.
»Meinst du, er setzt sich neben mich? Letztes Jahr hat er doch oft in der letzten Reihe gesessen.«
Ich verdrehte genervt die Augen. Na klar, Jan schon wieder. Ich war wirklich noch nicht ganz auf der Höhe.
»Und wenn er es tut? Dann redest du eh wieder kein Wort mit ihm. Er weiß doch noch nicht mal, dass du existierst.«
Die Bustüren schwangen zischend auf und Franzi bedeutete mir zu schweigen. Sie reckte den Hals und versuchte zwischen den einsteigenden Schülern etwas zu erkennen.
»Da ist er!«, hauchte sie beinahe tonlos und ich hätte um ein Haar schon wieder die Augen verdreht. Wie konnte man nur so besessen von einem Kerl sein?
Jetzt, da ich auch Ausschau hielt, entdeckte ich Jan ebenfalls. Er war bestimmt zwei Köpfe größer als Franzi und stand scheinbar auf Amerika. Er trug eine Basecap, eine Collegejacke und eine viel zu weite Jogginghose. Dazu kombinierte er eine Umhängetasche, die ihre beste Zeit schon hinter sich hatte. Hinter ihm drückte sich ein Mädchen mit wallender blonder Mähne in den Bus, die ihren Ordner so unter ihre Brust presste, dass ich Angst bekam, gleich würde alles herausfallen. Ob das seine Freundin war? Passen würde es jedenfalls. Sie schoben sich durch die Reihen auf uns zu und ich meinte schon zu hören, wie Franzis Herz beinahe explodierte, als die beiden sich zu uns in die letzte Reihe setzten.
»Hi, Jan«, grinste ich.
Der Angesprochene sah zu mir herüber. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und rückte seine Cap gerade. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, warum ich ihn angesprochen hatte. »Kennen wir uns?«
»Oh, wir sind uns letztes Jahr auf einem Turnier begegnet«, log ich. »Beim Reit- und Fahrstall Ulmenbruch.« Der Stall existierte, aber ich hatte keine Ahnung, ob Jan jemals dort geritten war. Mir war bloß auf die Schnelle kein anderer Turnierstall in der Gegend eingefallen.
»Ja?« Er sah nicht gerade überzeugt aus. »Hm, kann schon sein. Da sieht man ja viele Leute.«
Ich nickte bedeutsam. »O ja! Franzi war zum Beispiel auch da.« Ich deutete auf meine beste Freundin, die jetzt ein schiefes Grinsen aufsetzte und knallrot anlief.
»Ah, okay.« Jan war so ziemlich das Gegenteil von interessiert und begann schnell ein Gespräch mit seiner Begleitung, bevor die Groupies ihn noch weiter nerven konnten.
Ich fing Franzis Blick auf und zog die Augenbrauen in die Höhe. Hatte ich es doch gewusst! Nicht nur, dass Jan keine Ahnung hatte, wer wir waren, er hatte auch absolut kein Interesse an Franzi. Okay, das war ein bisschen fies von mir. Aber irgendwann musste sie doch mal von dieser Träumerei aufwachen. Warum dann nicht sofort, bevor sie sich noch mehr Hoffnungen machte und mir weiter damit auf die Nerven ging? Es gab doch schließlich wirklich Wichtigeres.
D
ie Schulglocke läutete in ihrem üblichen Dreiklang zu Beginn der ersten Stunde, während wir uns noch unsere Plätze suchten. Seit der Sache im Bus hatte Franzi kein Wort mehr mit mir gewechselt, aber ich wusste genau, dass das nicht lange anhalten würde. Ein paar Jungs warfen mit Papierkugeln um sich und ich war überrascht, wie stark sich einige meiner Klassenkameraden doch über die Sommerferien verändert hatten. An diesen Pubertätsgeschichten war wohl doch etwas dran.
Frau Ritter war noch nicht eingetroffen und bald keimte in mir die Hoffnung auf, dass sie schon am ersten Tag krank war. Eine Freistunde wäre jetzt genau das Richtige, fand ich. So hätte das neue Schuljahr beginnen können. Doch natürlich tat sie mir diesen Gefallen nicht.
Die Tür wurde aufgestoßen und unsere Klassenlehrerin kam mit ihrer scheinbar tonnenschweren Aktentasche, durch die sie immer ein wenig nach rechts kippte, herein. Sie hatte ihre dunkelrot gefärbten Haare mit einer riesigen Spange behelfsmäßig am Kopf fixiert, doch die schwarze Hornbrille rutschte ihr beinahe von der Nase, als sie versuchte, nicht über die Türschwelle zu stolpern. Sie war eine kleine liebenswerte Frau, allerdings auch ein wenig chaotisch. Im Schlepptau hatte sie den eher ruhigen Lars und einen blonden Jungen, den ich noch nicht kannte. Er sah interessant aus. Sportlich. Helle Haut und helle Augen mit einem frechen Grinsen im Gesicht.
»So, hallo alle zusammen! Setzt euch doch bitte«, begrüßte Frau Ritter ihre Klasse. »Ich hoffe, ihr hattet alle schöne Ferien und startet jetzt motiviert und ausgeruht in das neue Schuljahr.«
Ausgeruht – dass ich nicht lachte. Wie kam sie nur auf den Gedanken, wenn die erste Stunde schon um acht Uhr früh begann?!
»Ich möchte euch gern jemanden vorstellen. Das ist Arnar Egilsson. Er kommt aus Island und ist dieses Jahr als Austauschschüler bei uns in der Klasse.«
»Hey«, Arnar grinste in die Runde und hob die Hand.
»Ich möchte, dass ihr ihn willkommen heißt und in eure Klassengemeinschaft mit aufnehmt.«
Allgemeines Murmeln wurde laut, doch Frau Ritter wusste genau, wie sie das unterbinden konnte.
»Alles klar. Die Fragen könnt ihr auf die Pause verschieben. Ihr zwei setzt euch einfach da drüben hin und dann beginnen wir auch schon mit dem Unterricht.«
»Was?«, entfuhr es mir. Doch ich war zum Glück nicht die Einzige, die so etwas dachte. Es war offensichtlich, dass niemand mit richtigem Unterricht gerechnet hatte. Immerhin war heute nicht nur der erste Schultag, sondern auch noch die erste Stunde! Bei unserer Klassenlehrerin! Mit einem neuen Austauschschüler! Das war doch der perfekte Moment für eine entspannte Stunde, aber Frau Ritter sah das scheinbar anders.
»Jetzt beruhigt euch erstmal! Ihr seid langsam alt genug, um euch vernünftig zu konzentrieren. Hier können nicht ständig Filme geguckt werden oder sowas. Wir wollen dieses Jahr mit einer Lektüre starten. Ihr könnt euch das schon einmal aufschreiben. Wir lesen dieses Jahr Die Welle. Bitte besorgt euch das Buch bis nächste Woche Donnerstag.«
Was sie weiter sagte, hörte ich schon gar nicht mehr.
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