Hätte ich dein Gesicht - Frances Cha - E-Book

Hätte ich dein Gesicht E-Book

Frances Cha

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Beschreibung

Schöner, reicher, mächtiger – nur wer perfekt ist, steigt auf im schillernden Seoul. Vier junge Frauen versuchen, in den gnadenlosen Hierarchien hinter Gangnams Hochglanzfassaden zu bestehen. Kyuri, mit ihrem makellosen Gesicht, unterhält Nacht für Nacht mächtige Geschäftsmänner in exklusiven Room-Salons. Miho, aufstrebende Künstlerin, findet sich unfreiwillig in der superreichen Elite wieder. Ara, stumm seit ihrer Jugend, flieht in den Schein der glitzernden K-Pop-Welt. Und Wonna, frisch verheiratet, sucht verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrem vorgeformten Leben. In bonbonfarbenen Schönheitskliniken und an den Marmortischen der High Society offenbaren sich die Abgründe einer Gesellschaft, in der Fehler nicht geduldet werden und Erfolg nur ein einziges Gesicht trägt.

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Über dieses Buch

Schöner, reicher, mächtiger – nur wer perfekt ist, steigt auf im schillernden Seoul. Vier junge Frauen versuchen, in dieser Welt zu bestehen. In bonbonfarbenen Schönheitskliniken und an den Marmortischen der High Society offenbaren sich die Abgründe einer Gesellschaft, in der Fehler nicht geduldet werden und Erfolg nur ein einziges Gesicht trägt.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Frances Cha, Autorin und Journalistin, verbrachte ihre Kindheit in Texas und Hongkong und zog anschließend nach Korea. Sie studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben, war u. a. als Redakteurin für CNN International in Seoul und Hongkong tätig und lehrte an der Columbia University.

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Nicole Seifert (*1972) studierte nach einer Ausbildung im S. Fischer Verlag Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und Amerikanistik. Sie hat u. a. Werke von Sarah Moss, Torrey Peters, Shirley Jackson, Julia Strachey, Adrienne Brodeur und Frances Cha übersetzt. Sie lebt in Hamburg.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Frances Cha

Hätte ich dein Gesicht

Roman

Aus dem Englischen von Nicole Seifert

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 bei Ballantine Books, Random House, Penguin Random House LLC, New York.

Originaltitel: If I Had Your Face

© by Corycian Content 2020

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Mund - Kowalska-art, Auge - VikiVector (istockphoto)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31123-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 21.09.2022, 23:23h

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Inhaltsverzeichnis

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HÄTTE ICH DEIN GESICHT

AraKyuriWonnaMihoAraKyuriWonnaMihoAraKyuriMihoWonnaAraKyuriDank

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Ara

Sujin ist wild entschlossen, ein Room-Salon-Mädchen zu werden. Sie hat Kyuri von gegenüber in unsere winzige Wohnung eingeladen, und wir drei sitzen in einem kleinen Dreieck auf dem Boden und gucken aus dem Fenster auf unsere mit Bars übersäte Straße. Betrunkene Männer in Anzügen wanken vorüber und überlegen, wo sie für die nächste Runde Drinks hingehen. Es ist spät, und wir trinken Soju aus kleinen Pappbechern.

Kyuri arbeitet im Ajax, dem teuersten Room Salon in Nonhyeon. Dahin gehen Männer mit ihren Geschäftspartnern, um an Marmortischen in langen dunklen Räumen Besprechungen zu führen. Sujin hat mir erzählt, was diese Männer pro Abend zahlen, damit Mädchen wie Kyuri neben ihnen sitzen und sie abfüllen, und ich habe ihr lange nicht geglaubt.

Bevor ich Kyuri kennengelernt habe, hatte ich noch nie von Room Salons gehört, aber seit ich weiß, woran man sie erkennt, sehe ich sie in jeder Nebenstraße. Von außen sind sie fast unsichtbar. Dunkle Treppenabgänge unter nichtssagenden Schildern führen in unterirdische Welten, wo Männer dafür bezahlen, sich wie blasierte Könige aufzuführen.

Sujin möchte Teil all dessen sein, wegen des Geldes. Gerade fragt sie Kyuri, wo sie ihre Augen machen lassen hat.

»Ich hab meine noch in Cheongju machen lassen«, sagt Sujin betrübt. »Großer Fehler. Ich meine, guck mich mal an.« Sie reißt die Augen auf. Und es stimmt, die Falte an ihrem rechten Augenlid sitzt ein klein bisschen zu weit oben, was ihr ein verstohlenes, schiefes Aussehen verleiht. Ganz ehrlich, Sujins Gesicht ist leider auch abgesehen von den asymmetrischen Augenlidern zu quadratisch, um im koreanischen Sinn jemals als hübsch zu gelten. Außerdem steht ihr Unterkiefer zu weit vor.

Kyuri dagegen ist eines dieser elektrisierend schönen Mädchen. Die Nähte ihrer doppelten Lidfalte wirken natürlich blass, ihre Nasenspitze hat man aufgerichtet, die Wangenknochen verschmälert und den ganzen Kiefer verlagert und zu einer schmalen V-Linie geschliffen. Entlang ihres tätowierten Lidstrichs wurden lange, fedrige Wimpern implantiert, und sie macht regelmäßig Lichttherapie, weshalb ihr Gesicht wolkig weiß schimmert wie entrahmte Milch. Vorhin hat sie uns über Lotusblattmasken und Ceramidseren für ein strahlendes Dekolleté vollgelabert. Das einzig nicht Gemachte an ihr ist erstaunlicherweise ihr Haar, das sich wie ein dunkler Fluss über ihren Rücken ergießt.

»Ich war so dumm. Ich hätte warten sollen, bis ich älter bin.« Noch ein neidischer Blick auf Kyuris perfekte Lidfalten, dann seufzt Sujin und betrachtet in einem kleinen Handspiegel wieder ihre eigenen Augen. »So eine Geldverschwendung.«

Sujin und ich wohnen jetzt seit drei Jahren zusammen. Wir waren in Cheongju gemeinsam in der Mittelstufe und der Oberstufe. Die Oberstufe war an einer berufsorientierten Schule und dauerte dort nur zwei Jahre, aber Sujin hat nicht mal die zu Ende gemacht. Sie konnte es kaum erwarten, nach Seoul zu gehen, dem Waisenhaus zu entkommen, in dem sie aufgewachsen ist, und nach unserem ersten Jahr hat sie ihr Glück an einer Friseurschule versucht. Aber sie war ungeschickt mit der Schere, und Perücken zu ruinieren ist teuer, also hat sie auch das abgebrochen. Aber erst, nachdem sie mich gefragt hatte, ob ich ihre Lehrstelle übernehme.

Jetzt bin ich fertig ausgebildete Stylistin, und Sujin kommt ein paar Mal die Woche in den Salon, in dem ich arbeite, um Punkt zehn Uhr morgens. Ich wasche und föhne ihr die Haare, bevor sie zur Arbeit ins Nagelstudio geht. Vor ein paar Wochen hat sie Kyuri mitgebracht, als neue Kundin. Für kleine Friseurläden ist es eine große Sache, ein Room-Salon-Mädchen als Kundin zu ergattern, denn Room-Salon-Mädchen lassen sich jeden Tag professionell Haare und Make-up machen und bringen ordentlich Geld rein.

Das Einzige, was mich an Kyuri nervt, ist, dass sie manchmal zu laut redet, wenn sie mit mir spricht, obwohl Sujin ihr gesagt hat, dass mit meinem Gehör alles in Ordnung ist. Ich höre sie im Friseursalon auch oft von meinem »Zustand« reden, wenn ich ihr den Rücken zuwende.

Ich glaube aber, sie meint es gut.

Sujin klagt immer noch über ihre Augenlider. Eigentlich tut sie das schon, seit ich sie kenne – bevor sie sie hat machen lassen und danach auch. Der operierende Arzt war der Ehemann einer unserer Lehrerinnen und hatte in Cheongju eine kleine Praxis für plastische Chirurgie. Fast die halbe Schule hat sich in dem Jahr die Augen bei ihm machen lassen, weil die Lehrerin uns fünfzig Prozent Rabatt gegeben hat. Die andere Hälfte, zu der ich gehörte, konnte sich nicht mal das leisten.

»Gott sei Dank muss bei mir nicht nachgebessert werden«, sagt Kyuri. »Mein Krankenhaus ist fantastisch. Es ist das älteste Krankenhaus im Beauty Belt von Apgujeong. Da gehen auch die Stars hin, Yoon Minji zum Beispiel.«

»Yoon Minji! Die finde ich toll! Sie ist so hübsch. Und sie soll supernett sein.« Sujin sieht Kyuri ganz verzückt an.

»Na ja«, sagt Kyuri, und ein Schatten huscht über ihr Gesicht. »Sie ist ganz okay. Ich glaub, sie hat nur ein bisschen lasern lassen, wegen der ganzen Sommersprossen, die sie von ihrer neuen Show kriegt. Die auf dem Land, mit der ganzen Sonne?«

»Oh ja, die lieben wir!« Sujin stupst mich an. »Ara vor allem. Sie ist ganz versessen auf diesen Typen von Crown, der Jüngste aus der Band. Du solltest mal sehen, wie sie jede Woche nach der Sendung schmachtend durch die Wohnung streift.«

Ich tue so, als würd ich ihr eine langen, und schüttle den Kopf.

»Taein? Den finde ich auch echt süß!« Kyuri redet wieder lauter. Sujin sieht sie gequält an und wirft mir einen schnellen Blick zu.

»Sein Manager kommt manchmal ins Ajax, mit Typen in den engsten Anzügen, die ich je gesehen habe. Wahrscheinlich Investoren, jedenfalls prahlt der Manager vor ihnen immer damit, wie berühmt Taein in China ist.«

»Verrückt! Nächstes Mal sag Bescheid. Ara lässt alles stehen und liegen und sprintet zu dir.« Sujin grinst.

Ich runzle die Stirn und hole mein Notizheft und meinen Stift hervor, was mir lieber ist, als auf dem Handy zu tippen. Mit der Hand zu schreiben, ist dem Sprechen irgendwie ähnlicher.

Taein ist zu jung für einen Laden wie das Ajax, schreibe ich.

Kyuri beugt sich vor, um zu sehen, was ich geschrieben habe. »Chung Taein? Der ist so alt wie wir. Zweiundzwanzig«, sagt sie.

Das meine ich ja, schreibe ich. Und Kyuri und Sujin lachen mich aus.

Sujin nennt mich Ineogongju, Kleine Meerjungfrau. Weil die Kleine Meerjungfrau ihre Stimme verloren, aber später wiederbekommen hat und glücklich lebte bis ans Ende ihrer Tage. Ich erzähle ihr nicht, dass das die amerikanische Zeichentrickversion ist. In der ursprünglichen Fassung bringt sie sich um.

Sujin und ich haben uns kennengelernt, als wir denselben Süßkartoffelstand zugewiesen bekamen, während unserem ersten Jahr in der Mittelstufe. So verdienten in Cheongju im Winter viele Teenager Geld – wir standen an einer Straßenecke im Schnee und rösteten über Kohlen in kleinen Blechdosen Süßkartoffeln, die wir für ein paar Tausend Won das Stück verkauften. Das haben natürlich nur die schlimmen Jugendlichen gemacht, Jugendliche, die zu den Iljin gehörten – den Schulgangs –, und nicht die Streber, die für Aufnahmeprüfungen büffelten und ihr hübsch verpacktes Mittagessen verspeisten, das ihre Mütter ihnen jeden Morgen mitgaben. Wobei die an den Süßkartoffelständen die guten schlimmen Jugendlichen waren. Immerhin gaben wir den Leuten was für ihr Geld. Die richtig Schlimmen nahmen es ihnen einfach weg.

Die besten Straßenecken waren hart umkämpft, weshalb es ein Glück war, mit Sujin zusammengesteckt zu werden. Sie konnte skrupellos sein, wenn nötig.

Als Erstes brachte Sujin mir bei, meine Fingernägel richtig einzusetzen. »Du kannst jemandem die Augen auskratzen oder die Kehle aufreißen, wenn du willst. Aber deine Nägel müssen die optimale Länge und Dicke haben, damit sie im entscheidenden Moment nicht abbrechen.« Sie überprüfte meine und schüttelte den Kopf. »Also, so geht das nicht«, sagte sie, verordnete mir Nägel stärkende Vitamine und einen bestimmten Härtungslack.

Das war, als ich noch sprach und Sujin und ich an unserem Stand rumgewitzelt und gesungen und den Passanten aus voller Kehle zugerufen haben: »Süßkartoffeln sind gut für die Haut! Sie machen schön und gesund! Und sie schmecken köstlich!«

Ein paar Mal im Monat kam Nana, um ihren Anteil zu kassieren, das ältere Mädchen, das uns ihre heiß begehrte Ecke überlassen hatte. Sie war ein bekanntes Iljin-Mitglied und hatte in einer Serie legendärer Kämpfe den gesamten Bezirk erobert. Beim letzten hatte sie sich allerdings den kleinen Finger gebrochen, und bis sie wieder gesund war, hatte sie uns ihr Gebiet übergeben.

Nana machte die anderen Mädchen in den Schultoiletten fertig, aber mich mochte sie, denn ich war das einzige Mädchen in unserer Gang, das keinen Freund hatte. »Du weißt, worauf es im Leben ankommt«, sagte sie immer zu mir. »Und du wirkst unschuldig, das ist perfekt.« Ich bedankte mich jedes Mal und verbeugte mich tief, und sie schickte mich Zigaretten holen. Ihr selbst verkaufte der Mann im Eckladen keine, weil ihm ihre Nase nicht passte.

Ich glaube, ich weiß jetzt, warum Sujin so besessen ist von ihrem Äußeren. Sie wuchs im Loring Center auf, das in ganz Cheongju als seltsam galt. Es beherbergte nicht nur ein Waisenhaus, sondern auch ein Heim für Behinderte und Missgebildete. Sujin hat mir erzählt, ihre Eltern seien gestorben, als sie ein Baby war, aber neulich ist mir klar geworden, dass sie von einem Mädchen, das noch jünger war als wir, ausgesetzt worden sein muss. Vielleicht war Sujins Mutter auch ein Room-Salon-Mädchen.

Ich habe Sujin gesagt, dass ich sie immer gern im Center besucht habe, weil dort niemand auf uns achtete. Wir konnten all die abgelaufenen, vom Supermarkt gespendeten Getränke trinken und unseren Süßkartoffelwagen dort abstellen, ohne dass es jemanden kümmerte. Aber insgeheim waren mir die Behinderten manchmal unheimlich, wie sie so langsam übers Gelände zogen, begleitet von der immer gleichen Leier ihrer Betreuer.

»Ich sags dir wirklich ungern, aber auch Taein hat in meinem Krankenhaus ganz schön viel machen lassen. Hat mir der Leiter der Klinik erzählt.« Kyuri sieht mich verschlagen an und zuckt die Schultern, als ich sie böse anfunkele. »Ich meine, die haben die beste Chirurgie der Welt. Es wäre dumm, sich nicht das Gesicht dort richten zu lassen, wenn man ein Star sein will.« Sie erhebt sich langsam und streckt sich wie eine Katze. 

Sujin und ich beobachten sie dabei und gähnen ebenfalls, obwohl ich ihr den Seitenhieb gegen Taeins Gesicht heimlich verübele. Ich glaube wirklich nicht, dass er sich was anderes als die Zähne hat machen lassen. Er hat nicht mal eine doppelte Lidfalte.

»Moment, du redest doch nicht etwa von der Cinderella-Klinik, oder?« Sujins Augen verengen sich zu Schlitzen.

»Doch«, sagt Kyuri.

»Ich hab gehört, die Ärzte da wären alle Klassenbeste im Seoul National gewesen«, ruft Sujin aus.

»Ja, sie haben da eine Wand mit Fotos und Lebensläufen aller Ärzte, und in jedem Einzelnen taucht das Seoul National auf. Schönheitsfabrik nennen sie es.«

»Ist der Chefarzt da nicht total berühmt? Dr. Shin oder so?« 

»Dr. Shim Hyuk Sang«, sagt Kyuri. »Man steht Monate auf der Warteliste für einen Termin bei ihm. Er erkennt Schönheitstrends schon, bevor es sie überhaupt gibt, und weiß, wie Mädchen aussehen wollen. Das ist einfach so wichtig!«

»Den meine ich! Ich hab auf BeautyHacker alles über ihn gelesen. Da war letzte Woche ein langer Beitrag über ihn.«

»Er ist wirklich nett. Und natürlich begabt.«

Kyuri wedelt sich mit der Hand vor dem Gesicht herum und blinzelt. Sie wankt auch ein bisschen, und erst bei genauem Hinschauen wird mir klar, dass sie total betrunken ist.

»Ist das echt dein Arzt?« Sujin beugt sich vor. Ich weiß, worauf das hinausläuft.

»Ja. Ich hab eine Freundin von mir dazu gebracht, mich ihm vorzustellen, sodass ich nicht den üblichen Aufpreis zahlen musste. Sie hat sich bei ihm den Haaransatz und die Waden machen lassen.«

»Wahnsinn!« Sujin springt auf. »Kannst du mich ihm vorstellen? Ich muss unbedingt meinen Kiefer richten lassen, und in diesem Artikel stand, das wäre seine Spezialität.« Nur ich weiß, dass sie seit Wochen überlegt, wie sie Kyuri danach fragen kann – wahrscheinlich wohl schon, seit sie sich kennengelernt haben. Sujin erzählt mir ständig, dass Kyuris Kinnlinie die schönste ist, die sie je gesehen hat.

Kyuri sieht Sujin lange an. Die Stille ist unangenehm, dann bedeutet mir Kyuri, dass sie mehr Soju möchte. Ich gieße ihr noch einen Becher ein und mische ein bisschen kaltes, süßes Yakult darunter. Sie verzieht das Gesicht, weil ich ihren Drink verdünne.

»Hör zu, ich sage nicht, dass ich meine Kiefer-OP bereue. Sie hat mein Leben verändert. Und ich sage nicht, dass eine OP dein Leben nicht auch verändern würde – das würde sie ganz bestimmt. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich es empfehlen würde. Außerdem ist Dr. Shim echt viel beschäftigt, und das Krankenhaus ist richtig teuer. Richtig teuer, auch noch ohne den Aufschlag. Er nimmt nur Bargeld. Sie sagen zwar, du kannst mit Karte zahlen, aber dann ködern sie dich mit einem so fetten Rabatt auf die Barzahlung, dass du ganz einfach nicht nicht bar zahlen kannst. Es ist einfach zu teuer. Außer du bist Schauspielerin und bei einer der großen Agenturen unter Vertrag, dann sponsert er dich.« Kyuri kippt den Rest von ihrem Soju runter und zwinkert mit ihren fedrigen Wimpern. »Oder man muss sich woanders Geld leihen. Und dann ewig lange Zinsen zurückzahlen.«

»Na ja, das wird die größte Investition meines Lebens, und ich spare schon eine ganze Weile.« Sujin wirft den Kopf in den Nacken und schaut kurz zu mir herüber. Ich mache ihr die Haare gratis, damit sie für die nächste OP sparen kann. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.

»Ich weiß nicht, wie viel du gespart hast, aber du wirst dich wundern, wie teuer es ist. Es ist am Ende nie nur die eine OP, für die man gekommen ist«, sagt Kyuri. Später werden Sujin und ich die möglichen Gründe dafür diskutieren, warum Kyuri anscheinend nicht will, dass Sujin sich dieser OP unterzieht – ist es ihr unangenehm, Dr. Shim um einen Gefallen zu bitten? Oder denkt sie, Sujin könnte am Ende zu sehr aussehen wie sie? Warum sollte sie nicht wollen, dass sich Sujins Leben ändert?

Kyuri seufzt und fügt hinzu, sie wünschte, sie könnte mehr Geld sparen. Wie Sujin mir erzählt hat, ist es für Room-Salon-Mädchen schwer, etwas zu sparen, weil sie sich ständig verschulden, in »Ho-Bars« ihren Frust von der Arbeit ablassen und Geld für Roomboys ausgeben. »Mit dem, was die meisten Room-Salon-Mädchen an einem Abend für Alkohol ausgeben, könnte ich zwei OPs bezahlen«, hat Sujin mal gesagt. »Du kannst dir nicht vorstellen, in welchem Maßstab die jede Woche Geld verdienen und zum Fenster rauswerfen. Ich muss dahin. Ich muss einfach.« Sie sagt, sie wird weiter sparen, bis sie aufhören kann, sich Sorgen zu machen, wie sie den nächsten Tag, den nächsten Monat überstehen soll. 

Wenn sie so was sagt, nicke und lächle ich immer, damit sie weiß, dass ich ihr glaube.

Manchmal, wenn mich jemand fragt, wie es passiert ist, sage ich, es sei wegen eines Jungen. Er hat mir das Herz gebrochen, und ich habe meine Stimme verloren. Romantisch, oder?

Ich habe überlegt, es zu tippen und auszudrucken, dann muss ich es nicht jedes Mal aufschreiben. Aber dann wurde mir klar, dass das zu sehr an stumme Bettler in der U-Bahn erinnert.

Ab und zu lüge ich und sage, ich wäre schon so zur Welt gekommen. Aber wenn ich neue Kundinnen habe, die ich mag, sage ich ihnen die Wahrheit.

Das war der Preis, um zu überleben, schreibe ich. Außerhalb von Seoul läuft alles etwas anders.

Eigentlich hätte es mehr Sinn ergeben, wenn ich taub geworden wäre. Die meisten Schläge haben meine Ohren abbekommen. Damals sind meine Trommelfelle geplatzt, aber sie haben sich fast vollständig wieder erholt, und ich kann gut hören. Manchmal frage ich mich, ob ich besser höre als vorher. Zum Beispiel den Wind. Ich kann mich nicht erinnern, dass sein Klang vorher so viele Schattierungen hatte.

Am Montag kommt Kyuri etwas zu spät in den Friseursalon. Sie sieht müde aus, winkt mir aber vom Make-up-Stuhl aus zu, als ich meine Ecke für ihren Blow-out vorbereite. Das Mädchen, das neben mir arbeitet, benutzt viel zu viel Haarspray. Ich habe ihr schon viele Zettel geschrieben und sie gebeten, weniger zu benutzen, weil ich Kopfschmerzen bekomme von dem süßlichen Geruch und dem Spraynebel, aber sie zwinkert mir nur milde zu und ändert überhaupt nichts.

Nachdem ich Kyuri die Haare gewaschen habe, bringe ich ihr geeisten Yuja-Tee. Sie sinkt in den Stuhl.

»Das Übliche, bitte, Ara.« Sie betrachtet sich prüfend im Spiegel und trinkt einen Schluck. »Oh mein Gott, sieh dir diese dunklen Augenringe an. Ich seh heut aus wie ein Monster. Ich hab gestern Abend zu viel getrunken.«

Ich greife nach dem Glätteisen und halte es ihr mit hochgezogenen Augenbrauen hin.

»Nein, nur Wellen, bitte.« Sie fährt sich gedankenverloren mit den Fingern durchs Haar. »Hab ich dir vielleicht noch gar nicht erzählt, aber das ist im Ajax tatsächlich eine Regel. Es dürfen nicht zu viele Mädchen dieselbe Frisur haben, deshalb bekommen wir pro Saison einen Look zugeteilt. Ich hab Glück gehabt, weil ich die Wellen bekommen hab. Das mögen die Männer, weißt du.«

Ich lächle und nicke ihr im Spiegel zu, lege das Glätteisen weg und greife stattdessen zum Lockenstab.

»Ich achte darauf, jeden Mann danach zu fragen – einfach, weil ich sicher sein will. Und sie alle sagen, dass sie lange, wellige Haare mögen. Ich glaub wirklich, das liegt an Cho Sehee, die aus dem Film My Dove. Sie war darin so wunderschön, findest du nicht? Und ihre Haare sind komplett natürlich, wusstest du das? Sie hat sie seit zehn Jahren nicht gefärbt und keine Dauerwelle bekommen, wegen ihrem Vertrag mit Shampureen.«

Kyuri plaudert mit geschlossenen Augen weiter, während ich ihr Haar in dünne Strähnen teile und festklemme. Ich beginne mit der linken Seite, drehe den Lockenstab von innen nach außen.

»Die älteren Mädchen müssen sich so ins Zeug legen mit ihren Frisuren. Alt werden ist echt tragisch. Wenn ich mir unsere Madam so angucke, die ist wirklich das hässlichste Wesen, das ich je gesehen habe. Ich glaub, ich würde mich umbringen, wenn ich so hässlich wär. Aber weißt du was? Ich glaube, wir sind der einzige Room Salon mit einer hässlichen Madam. Das zeichnet das Ajax wirklich aus. Und ich glaube, wir Mädchen wirken sogar hübscher, weil sie so gruselig aussieht.« Sie erschaudert. »Manchmal kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie hässlich sie ist. Ich meine, warum lässt sie sich nicht einfach operieren? Warum? Ich verstehe hässliche Menschen nicht, wirklich. Schon gar nicht, wenn sie Geld haben. Sind die dumm?« Sie betrachtet sich genau im Spiegel, dreht den Kopf nach allen Seiten, bis ich ihre Haltung korrigiere. »Sind die pervers?«

Dass ich zu Hause Zeit mit Sujin verbringe, kommt überhaupt nur sonntags vor, mein einziger freier Tag. Unter der Woche gehe ich vormittags um halb elf zur Arbeit und komme abends um elf erschöpft zurück. Sonntags faulenzen wir in der Wohnung, essen Bananenchips und Ramen und sehen auf dem Laptop fern. Sujins Lieblingssendung ist eine Show, die Von Extrem zu Extrem heißt und mehrere schwer entstellte (manchmal auch einfach echt hässliche) Menschen vorstellt, damit die Leute anrufen und abstimmen, wer umsonst eine Schönheitsoperation von einem der besten Ärzte des Landes gewinnen soll. Sie liebt es, wie die Auserwählten nach dem finalen Umstyling hinter einem Vorhang hervortreten und ihre Familien – die sie während der Reha monatelang nicht gesehen haben – schreiend und weinend auf die Knie fallen, wenn sie sehen, wie wunderschön anders der oder die Gewinnerin jetzt aussieht. Es ist sehr dramatisch. Die Moderatoren sind ständig am Heulen.

Normalerweise guckt sie es mehrmals hintereinander, aber heute ist sie zu hibbelig.

»Kyuri war so nett, als sie es sich dann anders überlegt hat. Sie hat gesagt, sie redet mit den Leuten, denen sie ihre Taschen verkauft, und die werden mir das Geld für die Operation leihen. Sie sagt, das sei sogar deren Kerngeschäft – Room-Salon-Mädchen Geld leihen! Und wenn es mir dann besser geht und alles gemacht ist, hilft Kyuri mir, eine Stelle zu finden.«

Ich tätschele ihr den Arm, Sujin zittert vor Aufregung. »Ich kann es kaum erwarten«, sagt sie. »Ich werde nur noch Ramen essen und das Darlehen so schnell zurückzahlen, dass sich gar nicht viele Zinsen ansammeln können.«

Sie wirkt aufgekratzt. »Wäre es nicht wunderbar, abends schlafen zu gehen und jeden Morgen reich aufzuwachen? Aber ich werde nichts ausgeben. Oh nein. Ich werde im Herzen arm bleiben. Und deshalb werde ich reich bleiben.«

Was kaufst du denn mir?, schreibe ich. Sie lacht und zieht mir an den Haaren.

»Für Ineogongju«, sagt sie, »was ihr Herz begehrt.« Sie geht zum Spiegel und berührt mit den Fingerspitzen ihr Kinn. »Du musst bis dahin nur wissen, was das ist.«

Am Tag von Sujins Operation kommt Kyuri früh in den Friseursalon, damit sie Sujin ins Krankenhaus bringen und mit Dr. Shim reden kann, ehe er operiert. Ich werde heute um fünf Uhr Schluss machen, um da zu sein, wenn Sujin aus der Narkose aufwacht.

Danke, dass du sie so einem Künstler vorgestellt hast, schreibe ich. Sie wird wunderschön sein.

Kyuris Miene versteinert kurz, aber dann lächelt sie wieder und sagt, ihr gefalle die Vorstellung, dabei zu helfen, mehr Schönheit in die Welt zu bringen. »Ist es nicht unheimlich selbstlos von ihm, sie für einen so winzigen Aufschlag dazwischenzuschieben? Normalerweise ist er so ausgelastet, dass man auf Monate hinaus keinen OP-Termin bekommt.« Ich nicke. Bei der Untersuchung hat Dr. Shim Sujin gesagt, es sei kein Problem, ihre Lidfalten nachzubessern, und dass sie dringend sowohl eine Kiefer- als auch eine Kinnkorrektur brauche. Er wird den Ober- und den Unterkiefer verkleinern, verlagern und dann schleifen, damit ihre Kinnlinie nicht mehr so männlich wirkt. Außerdem empfiehlt er als Ergänzung zur Kieferoperation, die Wangenknochen zu reduzieren und am Kinn etwas Fett abzusaugen. Die Operationen werden insgesamt fünf bis sechs Stunden dauern, und Sujin wird vier Tage im Krankenhaus bleiben.

Weniger auskunftsfreudig war er bei der Frage, wie lange es dauern wird, bis sie wieder ganz natürlich aussieht. »Wahrscheinlich mehr als sechs Monate«, war noch die konkreteste Antwort, die wir bekamen. Das sei von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Aber eine Arbeitskollegin erzählte mir, bei ihrer Cousine hätte es länger als ein Jahr gedauert, bis sie wieder normal aussah. Sie spüre ihr Kinn immer noch nicht wieder, und das Kauen falle ihr schwer, aber sie habe eine Stelle im Vertrieb eines Spitzenkonzerns bekommen.

Ich habe Kyuris Haar in Wellen gelegt, lockere es auf und spritze mir mein teuerstes Glanzserum in die Hände. Ich reibe die Handflächen aneinander und fahre sanft durch ihr Haar. Es duftet wunderbar, nach Pfefferminz und Rosen.

Ich tippe ihr auf die Schulter, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich fertig bin. Kyuri setzt sich auf, klimpert mit den Wimpern und schaut sich mit ihrem »Spiegelgesicht« an, die Wangen nach innen gesogen. Sie sieht atemberaubend aus mit ihrer Lockenkaskade und dem sorgfältig geschminkten Gesicht. Neben ihr wirke ich blass mit meinem gewöhnlichen Gesicht und meinem gewöhnlichen Haar, von dem mir Manager Kwon ständig sagt, ich solle es dramatischer stylen.

»Danke, Ara«, sagt sie, und langsam breitet sich ein dankbares Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie begegnet meinem Blick im Spiegel. »Ich liebe es. Was für eine Göttin!« Wir lachen gemeinsam, aber mein Lachen ist tonlos.

Im Krankenhaus kann ich nichts tun, als ihre Hand zu halten, während sie still vor sich hinweint, nur Wimpern und Nase und Lippen sind von ihrem bandagierten Kopf zu sehen.

Als ich an diesem Abend nach Hause komme, finde ich auf dem Tisch ein Blatt Papier. Es ist Sujins Testament. Wir hatten viele Berichte über Patientinnen gelesen, die gestorben waren, weil Partikel des Kieferknochens in den Arterien hängen blieben, sodass sich das Blut in der Kehle sammelte und sie im Schlaf erstickten. Ich habe Sujin nach den ersten Artikeln gesagt, sie solle aufhören, aber heimlich habe ich sie alle gelesen.

Ich hinterlasse alles, was ich besitze, meiner Mitbewohnerin, Park Ara, steht da.

In der ursprünglichen Version der Geschichte erträgt die Kleine Meerjungfrau unaussprechliche Schmerzen, um menschliche Beine zu bekommen. Die Meerhexe warnt sie, dass ihre neuen Füße sich anfühlen werden, als ginge sie auf geschliffenen Klingen, aber sie werde in der Lage sein zu tanzen, wie noch nie ein Mensch getanzt habe. Also trinkt sie den Hexentrank, der ihren Körper durchfährt wie ein Schwert.

Was ich eigentlich sagen will, ist, dass sie mit ihren schönen Beinen göttlich tanzte, obwohl es schmerzte wie tausend Messer. Sie konnte gehen und laufen und in der Nähe ihres geliebten Prinzen bleiben, und selbst, als es mit ihm nichts wurde, war das nebensächlich. Sie hatte einen Traum gehabt, und dieser Traum war wunderbar gewesen.

Und am Ende, nachdem sie ihrem Prinzen Lebewohl gesagt und sich ins Meer geworfen hatte, in der Erwartung, zu Meeresschaum zu zerfallen, wurde sie von den Kindern des Lichts und der Luft fortgetragen und bekam eine neue, reine Seele.

Ist das nicht eine schöne Geschichte?

Kyuri

Gegen zehn Uhr abends kam ein Mädchen in unser Zimmer im Room Salon, das nicht zu uns gehörte. Sie war klein und teuer gekleidet, in einem fließenden, mit Vögeln bedruckten Seidenkleid und nerzbesetzten High Heels. Ich hatte genau dieses Kleid in der neuesten Ausgabe von Women’s Love and Luxury gesehen, es kostete so viel wie eine Jahresmiete. Sie stand da, zierlich und voller Verachtung.

Fünf Room-Salon-Mädchen saßen um den Tisch, für jeden Mann eins, und sie stand im Türrahmen und stierte uns fasziniert an, eine nach der anderen. Die meisten Männer schienen sie nicht bemerkt zu haben – sie tranken und redeten laut –, aber wir erstarrten. Die anderen Mädchen sahen sofort wieder weg, die Köpfe gesenkt, aber ich hielt inne und stierte zurück.

Ganz ruhig betrachtete sie alles im Raum – die dunklen Marmorwände, den langen Tisch voller Flaschen und Gläser und Kristallplatten mit Früchten, das Licht, das aus dem Bad in der Ecke drang, die Karaoke-Anlage, die mitten im Lied abgestellt worden war, weil Bruce einen wichtigen geschäftlichen Anruf bekommen hatte und keine Lust hatte, rauszugehen. Dass sie nicht von einem Kellner begleitet wurde, bedeutete, dass ihr jemand genau gesagt hatte, in welchen Raum sie gehen sollte – in Anbetracht unseres bewusst verwirrenden unterirdischen Flurlabyrinths keine schlechte Leistung.

»Ji, komm her!«, rief Bruce, mein Partner, der meinem Blick gefolgt war und sich umdrehte, während er mir unter dem Tisch grob in die Innenseite meines Schenkels kniff. »Da bist du ja!«

Das Mädchen namens Ji kam langsam auf uns zu und setzte sich dort, wo Bruce hinzeigte. Von Nahem konnte ich sehen, dass ihr Gesicht nicht operiert war – ihre Augen hatten keine doppelte Lidfalte und ihre Nase war flach. Nie im Leben würde ich mit so einem Gesicht rumlaufen. Aber ihrem Gang und ihrer Kopfhaltung nach zu urteilen, stammte sie aus einer so reichen Familie, dass sie keine OP brauchte. 

»Hey«, sagte sie zu Bruce. »Sag mal, bist du betrunken? Warum sollte ich herkommen?« Sie klang aufgebracht, hierherbeordert worden zu sein, aber ich wusste, dass das Gegenteil der Fall war – sie war begeistert, einen Room Salon von innen sehen zu können. Frauen glotzen bei ihren seltenen Besuchen meistens wie die Fische und verurteilen uns. Man kann sie förmlich denken sehen: »Ich würde mich für Geld niemals so kompromittieren. Vermutlich machen die das doch bloß für Handtaschen.«

Ich weiß nicht, wer schlimmer ist, die oder die Männer. War nur ein Scherz, die Männer sind immer schlimmer.

Vor mir auf dem Tisch stand eine halb leere Flasche Whisky. Bruce hatte, wie immer, den größten Raum gebucht und die teuersten Flaschen von der Karte bestellt, aber heute Abend brauchten er und seine Freunde länger, um sie zu trinken, als die meisten anderen Gruppen. Bruce war für unseren Room Salon der neueste große Fang – nicht nur war seine Familie berühmt (seinem Vater gehörte eine Stammzellenklinik in Cheongdamdong), er hatte auch noch selbst eine Gaming-Firma gegründet. Madam war ganz begeistert, weil er jetzt schon seit zwei Monaten jede Woche kam. »Alles nur deinetwegen, Kyuri«, hatte sie vor ein paar Abenden zu mir gesagt und über ihr ganzes Krötengesicht gestrahlt. Ich strahlte zurück. Zufällig wusste ich, dass unser Room Salon von seinem Büro aus der nächstgelegene ist.

»Natürlich bin ich nicht betrunken«, fuhr Bruce das Mädchen an. »Ich hab dich angerufen, weil Miae nicht mit mir redet.«

Von Miae hörte ich zum ersten Mal, aber warum hätte ich auch von ihr hören sollen?

»Habt ihr euch schon wieder gestritten?«, fragte sie. Fröstelnd holte sie eine sandfarbene Strickjacke aus ihrer Tasche und zog sie an. Das allein war ein weiterer Affront. Madam kühlt den Raum so weit runter, dass sich die Männer in ihren Anzügen wohlfühlen, während wir in unseren Minikleidern versuchen, unsere Gänsehaut zu verbergen.

»Du musst mit ihr reden, sie wachrütteln, damit sie versteht, wie es in der wirklichen Welt zugeht.« Bruce nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen, was er immer macht, wenn er frustriert ist. Ohne Brille sieht er aus wie ein verlorenes kleines Kind, und der Name Bruce wirkt dann ganz albern. Ich nenne ihn so, seit er mir erzählt hat, dass er schon vor seinem fünfzehnten Geburtstag den dritten Dan in Taekwondo hatte. Wir waren im Hotel, und ich zog ihn mit seinen dünnen Armen auf. Ich war an dem Abend zu müde für Sex und hoffte, er wäre dann genervt von mir.

Ich weiß nicht, wann Männer zu Arschlöchern werden – als Jungs, als Teenager? Wenn sie anfangen, richtig Geld zu verdienen? Wahrscheinlich hängt es von ihren Vätern ab, und von den Vätern ihrer Väter. Die Großväter sind normalerweise die allergrößten Arschlöcher, zumindest wenn meine irgendein Anhaltspunkt sind. Immerhin sind die Männer von heute schon viel besser als frühere Generationen – die ihre Geliebten mit nach Hause brachten und von ihren Ehefrauen erwarteten, ihre Bastardkinder durchzufüttern und zu versorgen. Ich habe einfach zu viele Geschichten über meinen eigenen Stammbaum gehört, als dass ich mir je etwas vorgemacht hätte, nicht mal, bevor ich in einem Room Salon gearbeitet habe. Wenn sie nicht früh sterben und dich mit Kindern und gigantischen Betreuungskosten sitzen lassen, bescheißen sie dich auf andere, genauso sterbensöde Weise.

Gentlemen bekomme ich überhaupt nur im Fernsehen zu Gesicht. Das sind die netten Männer. Die beschützen dich und weinen und halten ihren Familien zum Trotz zu dir, auch wenn ich natürlich nicht wollen würde, dass sie auf das Familienvermögen verzichten. Ein armer Mann kann mir nicht helfen, wenn er sich selber nicht helfen kann. Ich weiß das, weil ich mal einen armen Mann geliebt habe. Er konnte nicht dafür bezahlen, Zeit mit mir zu verbringen, und ich konnte es mir nicht leisten, Zeit mit ihm zu verbringen.

»Ihr streitet euch mehr als jedes andere Paar, das ich kenne«, sagte das Mädchen. »Du musst es endlich beenden oder ihr einen Antrag machen.« Beim Sprechen betrachtete sie mich von oben bis unten.

Miststück, dachte ich und versuchte, dem Drang zu widerstehen, am Saum meines Kleides zu zupfen.

»Ich weiß«, sagte Bruce und griff nach der Flasche. Ich ließ zu, dass er sich nachschenkte, ohne meine Hilfe anzubieten. Wenn Madam mich gesehen hätte, hätte sie was gesagt. »Darum geht es im Moment eigentlich bei jedem Streit. Ich bin nicht bereit, ich bin erst dreiunddreißig. Von unseren Freunden ist niemand verheiratet. Nicht mal die Mädchen. Obwohl ich keinen Schimmer habe, was deren Plan ist.« Er runzelte die Stirn. »Bei dir ist es natürlich was anderes, Ji«, fügte er eilig hinzu. »Du musst dir ja offensichtlich keine Sorgen machen.«

Das Mädchen schaute genervt. »Ich bin es so leid, dass meine Familie diese Blind Dates für mich arrangiert, um mich zu verheiraten. Was glauben die, in welchem Jahrhundert wir leben?«

Seine Miene wurde ernst, als er über ihr Problem nachdachte. Ich rollte mit den Augen, was zum Glück niemand sah.

»Meine Großmutter hat schon ein Datum für meine Hochzeit festgelegt«, fuhr sie fort. »Im September, der fünfte oder so. Sie brauchen nur noch einen Bräutigam. Sie meint, sie müsse sorgfältig abwägen, in welchem Hotel ich heirate, um die Besitzer all der anderen Hotels nicht vor den Kopf zu stoßen.«

Ich holte mein Puder hervor und besserte mein Make-up nach. Über was für einen krassen Scheiß sich manche Leute Sorgen machen. Früher wäre ich unruhig geworden und verlegen, hätte mich unbehaglich gefühlt, wenn sie mich so angeguckt hätte. Jetzt will ich ihr einfach eine klatschen. Und Bruce gleich auch, weil er sie herbestellt hat.

»Jedenfalls finde ich es ein gutes Zeichen, dass dich das mit Miae so beschäftigt«, sagte sie. Dann fing sie an, schnell Englisch zu sprechen und dabei wild zu gestikulieren. Das machen Leute so, wenn sie Englisch reden, ist mir aufgefallen. Sie rudern wild mit den Händen, und ihre Köpfe bewegen sich viel beim Reden. Lächerlich wirkt das.

»Bruce, was soll der Scheiß?« Die Köpfe der anderen Männer fuhren herum, als sie Ji Englisch reden hörten. Erst jetzt merkten sie, dass ein Mädchen aus der Außenwelt unter ihnen war.

»Scheiße, Mann«, sagte der feiste, verschwitzte Typ, der zu meiner andern Seite saß. Vorhin hatte ich gehört, wie er Sejong gegenüber, dem Mädchen, das er sich ausgesucht hatte, damit angab, er sei »Anwalt bei einer Topkanzlei«. Sejong hatte sich gar nicht mehr eingekriegt vor Lachen, und er war rot geworden wie ein Teenager.

Sein dickes Gesicht war feindselig, als er jetzt von Bruce zu dem Mädchen und wieder zu Bruce sah.

»Jungs, das ist meine Freundin Jihee, ihr kennt sie von Miaes Geburtstagsparty, wisst ihr noch?«, lallte Bruce strahlend. Alle starrten ihn an. Sie kannte wahrscheinlich ungefähr ein Drittel ihrer Schwestern und Ehefrauen und Kolleginnen. Wahrscheinlich auch deren Eltern.

Das Mädchen lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und guckte so unschuldig wie möglich. Gehen wollte sie nicht, so viel war klar.

Eine Stille trat ein, die keine von uns zu überbrücken versuchte. Es war mies von Bruce, die ungeschriebene Regel zu brechen, aber die Typen durften nicht wütend sein. Er war ohnehin zu betrunken, als dass es ihm was ausgemacht hätte, aber vor allem zahlte er für den kompletten Abend, wie immer. Die Rechnung entsprach wahrscheinlich ihrem halben Monatsgehalt. Also wandten sich die Männer wieder ihren Mädchen zu, wenn auch sehr viel zurückhaltender jetzt.

An jedem anderen Abend wäre ich aufgestanden und in eins der anderen Zimmer gegangen, weil meistens Stammkunden nach mir fragen und ich deshalb von Raum zu Raum gehe. Aber Bruce ist eine Ausnahme, und an diesem Dienstag war nicht viel los. Außerdem hatte ich Hunger, und die Teller mit Anju waren noch unangetastet. Obwohl es gegen die Salonregeln verstieß und ich das noch nie gemacht hatte, nahm ich mir ein Stück Drachenfrucht und begann zu essen. Das Fleisch war seidig, schmeckte aber fast nach nichts.

»Wie fing der Streit eigentlich an?«, fragte das Mädchen.

»Miae wollte, dass wir heute Abend mit der neuen Freundin ihres Bruders essen gehen«, sagte Bruce. »Ich hab für diesen Börsengang so hart gearbeitet, dass ich jeden Abend am Schreibtisch eingeschlafen bin, und jetzt hock ich mich auf gar keinen Fall zu so ’ner Hinterwäldlerin, die ihr Idiot von einem Bruder an seiner Feld-Wald-Wiesen-Universität kennengelernt hat. Interessiert mich einen Scheiß.«

Er trank einen Schluck Whisky und grübelte. Mich ignorierte er komplett, als hätte er mich nicht zwei Nächte zuvor über einen Sessel gebeugt gevögelt.

»Für sie fühlt sich das an, als wäre dir ihre Familie egal. Nimm das lieber ernst.«

Er schnaubte. »Weißt du, dass ihr Bruder mich um Taschengeld bittet?« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Und natürlich wird er mich auch um einen Job bitten, obwohl wir niemanden einstellen, der nicht von einer der drei Top-Unis kommt. Oder wenigstens vom KAIST. Oder jemanden mit Eltern, die uns unterstützen können.«

»Was macht ihr Dad noch mal? Ich glaub, ich wusste es schon mal, aber ich habs vergessen.«

»Der ist einfach Anwalt mit ’ner Winzkanzlei in einem Viertel, von dem ich noch nie gehört hab und das kaum noch zu Seoul gehört.«

Er wirkte aufgebracht.

»Warum machst du dann nicht einfach Schluss?«, fragte das Mädchen, mittlerweile ungeduldig. »Sie ist inzwischen auch meine Freundin, und ich sage das in ihrem Sinne. Verschwende ihre Zeit nicht, wenn sie sich doch jemand anders suchen muss. Es wird sie ein Jahr kosten, sich jemand Neues zu suchen, vielleicht ein weiteres, bis übers Heiraten gesprochen wird, dann noch ein paar Monate bis zur Hochzeit und dann noch ein Jahr, bis sie Kinder bekommen. Und sie ist schon dreißig!«

»Ja, ich weiß«, sagte er düster. »Deshalb hab ich ja auch eingewilligt, dass sich unsere Eltern kennenlernen. Beim Abendessen. Und jetzt krieg ich Panik. Mein Leben, wie ich es kenne, wird am ersten März enden. Am Tag der Unabhängigkeitsbewegung. Sieben Uhr abends. Es kommen sogar sämtliche Geschwister.« Sein Gesichtsausdruck war tragisch.

»Was?«, sagten sie und ich gleichzeitig. Und dann sahen Bruce und das Mädchen mich an, Bruce amüsiert und das Mädchen mit vernichtendem Blick.

»Ein Sangyeonrae?«, fragte sie. »Das ist endgültiger als ein Antrag.«

Ich wusste nicht, warum die Nachricht mich so schockierte, aber ich verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln und witzelte: »Du heiratest? Dann seh ich dich in Zukunft ja noch öfter!«

»Deshalb war ich so angepisst«, fuhr Bruce fort, als hätte er mich nicht gehört. »Ich will die Freundin ihres Bruders nicht bei dem Essen dabeihaben – meine Mutter würde der Schlag treffen bei der Vorstellung, dass jemand wie sie mit unserer Familie verschwägert sein könnte. Als wäre nicht so schon alles schwierig genug. Aber Miae bleibt dabei, dass es ihren Bruder zu sehr aufregt, wenn seine Freundin nicht mitdarf.«

»Warum ist es denn noch so lange hin?«, fragte sie. »Drei Monate? Wo soll es denn stattfinden?«

»Ich hab ein Separee im Reign Hotel reserviert«, sagte Bruce. »Ihre Mom war bei der ganzen Sache so verdammt fordernd, und meine Eltern haben schließlich Ja gesagt. Es ist einfach der erste Abend, an dem meine Eltern beide Zeit haben. Aber sie schieben es auch so lange wie möglich raus. Und, ehrlich gesagt, der Grund, dass es überhaupt stattfindet, ist, dass meine Mom zu einer Wahrsagerin gegangen ist. Anscheinend ist Miae die ideale Schwiegertochter, Ehefrau und Mutter. Oh Gott.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«

»Schluss jetzt mit dem Elend«, tadelte das Mädchen. »Deine Eltern müssen Miaes Familie früher oder später kennenlernen.«

Bruce stöhnte und zuppelte am Armband seiner glänzenden Uhr herum.

»Immerhin sind sie angesehen«, fügte sie nach einer Pause hinzu. »Es könnte viel schlimmer sein.«

Ihr Tonfall sagte mir, dass sie mich meinte.

Über Ansehen weiß ich zufällig alles. Meine ältere Schwester, Haena, hat in ziemlichen Reichtum eingeheiratet.

Sie hat einen Abschluss von einer der Top-Frauen-Universitäten in Seoul, ein Diplom in Kochwissenschaft, was ihre Eheschließung überhaupt erst möglich gemacht hat. Bei der Hochzeit, gefeiert in einem der teuersten Hotels von Seoul, gehörten zur Seite des Bräutigams mehr als achthundert Gäste, überwiegend Männer in schwarzen Anzügen mit Ferragamo-Animalprint-Krawatten und Geldgeschenken in weißen Umschlägen. Für unsere Seite musste seine Familie Fake-Gäste engagieren, damit es nicht wirkte, als würden sie nach unten heiraten.

Inzwischen ist sie seit einem Jahr geschieden und hat es unserer Mutter immer noch nicht gesagt.

Ihr Ex-Mann, Jaesang, hat die Farce bisher mitgespielt und ist an den wichtigen Feiertagen, zu Chuseok und zum Neujahrsfest, zu uns nach Hause gekommen. Aber neulich hat er Haena in Panik versetzt, weil er sich weigert, weiterhin zu den Hochzeiten unserer Verwandten zu gehen. Mit ihrem reichen Schwiegersohn anzugeben, ist der ganze Stolz unserer verwitweten Mutter.

Jaesangs Eltern wissen von der Scheidung und sind offenbar hin- und hergerissen, wägen die Peinlichkeit ab gegen den unmittelbaren Drang, nach einer besseren zweiten Frau für ihren Sohn Ausschau zu halten. Sie haben meine Mutter während der gesamten zweijährigen Ehe nur zwei Mal getroffen, die Gefahr, dass sie es ihr sagen, besteht also nicht.

Haena konnte in der Wohnung in Gangnam bleiben, die immer noch auf Jaesangs Namen läuft. Einige seiner Sachen sind dort noch strategisch platziert, falls meine Mutter mit Körben voller selbst gekochtem Essen für ihren geliebten Schwiegersohn vorbeikommt.

»Es ist das Einzige, was ich für ihn tun kann«, sagt meine Mutter jedes Mal, wenn Haena einwendet, Jaesang esse doch kaum zu Hause. »Es ist meine Art, dich zu beschützen.« Also nimmt Haena das Essen an.

An einem dieser Tage im letzten Jahr, nach einem weiteren frustrierenden Telefonat mit meiner Mutter über Haena (»Kyuri-ya, was soll ich Jaesang zu seinem Geburtstag kaufen, was meinst du? Sieh zu, dass du dein Geschenk rechtzeitig losschickst, und schreib eine Karte.«), lud ich die beiden Mädchen von gegenüber auf einen Drink zu mir ein. Ich hatte schon lange vorgehabt, mal mit ihnen zu reden.

Dass ich das überhaupt wollte, sagt einiges über meine geistige Verfassung. Keine von ihnen sah besonders interessant aus, und sie hatten auch keine interessanten Jobs oder relevante Hobbys oder irgendwas in der Art. Nein, was mich jedes Mal faszinierte, wenn ich sie sah, war, wie nah sie sich waren – wie freundschaftlich sie miteinander umgingen und wie wohl sie sich zusammen fühlten. Das aufgedrehte Mädchen mit dem quadratischen Gesicht und das unauffällige Mädchen mit dem blassen Gesicht, das waren sie für mich. Ich sah sie zusammen im Viertel, untergehakt, wie sie an einem der Straßenstände etwas aßen oder Soju im Eckladen kauften, die mit dem quadratischen Gesicht immer laut, beide Zärtlichkeit ausstrahlend. Manchmal ließen sie zum Lüften ihre Eingangstür weit offen, und ich sah, wie Bleichgesicht mit dem Haar von Quadratgesicht spielte, während sie in ihren Schlafanzügen dösend fernsahen. Ich erwischte mich bei dem melancholischen Gedanken: »Wie Schwestern.« 

Meine eigene Schwester und ich kommen im Leben der anderen nicht viel vor, es sei denn, es geht um unser eines gemeinsames Ziel – unsere Mutter, so gut wir können, zu schützen.

Ich wusste schon, dass Jaesang in Room Salons seinen Ruf weghatte, bevor Haena das mit seiner »Freundin« rausfand. Vor drei Jahren habe ich ihn in einem Room Salon in Gangseo etwas besonders Ekliges tun sehen. Das war vor meiner doppelten Kiefer-OP, und der Salon war einer mit dazugehörigem Hotel im Obergeschoss.

Ich kam hinter den anderen Mädchen in den Raum und sah Jaesang in der hinteren Ecke sitzen. Ich floh, bevor er mich sah, und suchte die Madam, die mich für den Abend nach Hause schickte, weil ich so nervös war und sie keine Szene wollte. Später ging sie rein, stellte sich Jaesang vor und verwöhnte ihn den ganzen Abend lang, sodass er sich wie etwas ganz Besonderes vorkam. Sie nahm ihm das Versprechen ab, jedes Mal anzurufen, bevor er käme, damit ich nicht aus Versehen in sein Zimmer geschickt würde. »Ich lasse nicht zu, dass eins unserer Mädchen unglücklich ist«, sagte sie und kniff mir in die Wange. Ich hätte kotzen können. Als würde sie sich was aus mir machen, wo sie mich doch jeden Abend in Sorge darüber ließ, ob ich genug Geld einbrachte.

Natürlich habe ich es Haena nie erzählt. Meine normalerweise so nüchterne Schwester führte sich auf wie eine Irre, als sie von Jaesangs Freundin in einem Room Salon in Samseongdong erfuhr. Zur Scheidung kam es aber nicht, weil sie so einen Aufstand machte. Jaesang war nicht in das Room-Salon-Mädchen verliebt oder so. Er liebte Haena einfach nicht mehr und hatte keine Lust, ihre Herzensqual über sich ergehen zu lassen. Und bei unserer Familie musste er auch nicht lange überlegen, ob er sich von ihr scheiden ließ.