Häusliche Gewalt, Stalking und Gewaltschutzgesetz - Christoph Keller - E-Book

Häusliche Gewalt, Stalking und Gewaltschutzgesetz E-Book

Keller Christoph

3,0

Beschreibung

Tatort Wohnung Häusliche Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen vor. Gewalt findet fast ausschließlich in der Wohnung statt. Das Risiko einer Wahrnehmung durch Dritte ist hier reduziert. Die Gewaltanwendung außerhalb des familiären Nahbereichs unterliegt einer wesentlich höheren Hemmschwelle und birgt zudem jederzeit die Möglichkeit, dass Unbeteiligte eingreifen. Polizeieinsatz bei Familienstreit Familienstreitigkeiten sind häufiger Einsatzanlass für die Polizei. Gleichwohl handelt es sich nicht um Routineeinsätze. Die weitere Entwicklung der Situation kann jederzeit zwischen "Vertragen" und "Tötung eines Menschen" liegen. Oft kommt es nach einem "Ereignis häuslicher Gewalt" zu Stalking-Handlungen. Aus diesem Grunde wurde die Neuauflage um das Kapitel "Stalking" erweitert. Häusliche Gewalt Im Kapitel "Häusliche Gewalt" geht der Autor zunächst auf die verschiedenen Opfertypen ein. Anschließend erklärt er, wie Gewaltdelikte nach vorausgegangener Bedrohung verhindert werden können. Anschaulich zeigt er die verschiedenen Möglichkeiten polizeilichen Handelns bei häuslicher Gewalt auf, wie z.B. • Einsatzverhalten • Strafverfolgung • Gefahrenabwehrende Maßnahmen (Übersicht) • Verschiedene Arten der Wohnungsverweisung Dabei behandelt er auch die unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen. Stalking Im Kapitel "Stalking" erläutert der Verfasser die unterschiedlichen Handlungen, einschließlich Mobbing und Gewalt. Die Handlungsalternativen - von der Anzeigenerstattung über die Gefährderansprache bis zur Fangschaltung - sind ausführlich dargestellt. Checklisten helfen beim Umgang mit Opfern sowie bei der Anzeigenaufnahme. Der Leitfaden zeigt Handlungsstrategien für Betroffene auf. Der Verfasser geht auf die Strafbarkeit von Stalking, das Strafprozessrecht sowie das Zivilrecht ein.

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Häusliche Gewalt, Stalking und Gewaltschutzgesetz

Leitfaden für polizeiliches Handeln

Christoph Keller

Polizeioberrat

Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen

2., erweiterte Auflage, 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2. Auflage, 2016

Print ISBN 978-3-415-05648-0 E-ISBN 978-3-415-05650-3

© 2008 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © lightpoet – Fotolia

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Vorwort zur zweiten Auflage

Gewalt gegen Frauen durch Männer hat es zu jeder Zeit gegeben und gibt es auch heute.

Eine besonders schlimme Form ist die Gewalt, die Frauen im häuslichen Bereich erleiden. Hier wird die Gewalt ausgeübt durch einen Menschen, dem die Frau vertraut. Auch findet die Gewalt in derartigen Fällen an einem Ort statt, der Schutz und Sicherheit bieten sollte (zu Hause!).

Häusliche Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten vor, sie ist ubiquitär.

Es ist ein Phänomen aller Altersgruppen, quer durch alle Schichten und Kulturen.

„Nicht der dunkle Park, sondern das eigene Zuhause ist immer noch der gefährlichste Ort für Frauen“, heißt es in einer Situationsanalyse der Expertinnen des Landesrates für Kriminalitätsvorbeugung Mecklenburg-Vorpommern.1

Gewalt findet fast ausschließlich im „Intimbereich“, d. h. in der Wohnung statt. Das Risiko einer Wahrnehmung durch Dritte ist hier reduziert. Die Gewaltanwendung außerhalb des familiären Nahbereichs unterliegt einer wesentlich höheren Hemmschwelle und birgt zudem jederzeit die Möglichkeit, dass Unbeteiligte eingreifen.

„Gewalt im sozialen Nahraum“ oder „Gewalt in intimen Beziehungen“ werden als Synonyme für häusliche Gewalt verwendet. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen grenzt Gewalt in der Familie ab von den traditionellen Definitionen häuslicher Gewalt, „die sich mit der von intimen Personen an intimen Personen verübten Gewalt befassen oder häusliche Gewalt mit der Misshandlung von Frauen gleichsetzen“.2

Familienstreitigkeiten sind häufiger Einsatzanlass der Polizei. Gleichwohl handelt es sich nicht um Routineeinsätze. Zwischen „Vertragen“ und „Tötung eines Menschen“ ist mithin alles denkbar.

Nicht untypisch ist, dass es nach einem „Ereignis Häuslicher Gewalt“ zu Stalking-Handlungen kommt. In der Literatur werden unterschiedliche Zeitpunkte definiert, an denen häusliche Gewalt endet und Stalking beginnt. Dieser Unterschied dürfte das Opfer mithin nicht interessieren. Wenn man davon ausgeht, dass in den meisten Stalking-Fällen zwischen Opfer und Täter eine Beziehung (z. B. Ex-Partner) besteht, so dürften die Grenzen mitunter fließend sein. Für die Praxis ist vielmehr von Bedeutung, dass der Zusammenhang der Phänomene und die potenzielle Eskalationsgefahr der Stalking-Verläufe unter (ehemaligen) Partnern erkannt werden.3

Der Zusammenhang zwischen Stalking nach einer Beziehung und psychischer und physischer Gewalt während einer Beziehung scheint nahe liegend.4

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen „Häuslicher Gewalt“ und „Stalking“ wurde die 1. Auflage dieses Buches um das Kapitel „Stalking“ erweitert.

Polizeiliches Einschreiten erfordert (Grund-)Wissen über Gewaltbeziehungen!

1Hestermann, Häusliche Gewalt: Der Schläger geht, Deutsche Polizei 5/2003, 6 (10). — 2 5. Bericht zum Thema „Gewalt gegen Frauen – Ursachen und Folgen“, Resolution 1995/85 der Menschenrechtskommission, Materialien zur Frauenpolitik, Nr. 72/Juli 1999. — 3Bettermann, S. 3 (7). — 4Löbmann, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), S. 75 (77).

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Kapitel I Häusliche Gewalt

1. Kriminologie-Phänomenologie der Häuslichen Gewalt

1.1 Einleitung

1.2 Begriff

1.3 Typologien Häuslicher Gewalt

1.3.1 Differenzierung nach objektiven Merkmalen

1.3.2 Differenzierung über hermeneutische Diagnostik

1.4 Erscheinungsformen Häuslicher Gewalt

1.5 Opfer

1.5.1 Männer

1.5.2 Frauen

1.5.3 Trennungsgewalt

1.5.4 Opfergefährdungsindikatoren und Gefährdungsanalyse

1.5.5 Täter bei Beziehungsfemiziden

1.5.6 Verhinderung von Gewaltdelikten nach vorausgegangener Bedrohung

1.5.7 Kinder

1.5.8 Ältere Menschen

1.5.9 Behinderte Menschen

1.5.10 Dunkelfeld

1.6 Täter

1.6.1 Ätiologie

1.6.2 Typologie Häuslicher Gewalttäter (Dutton/Golant)

1.6.3 Häusliche Gewalttäter und Stalking

1.7 Beziehungsgewalt als einseitiges Phänomen

2. Kriminalpolitik

2.1 Strafrecht

2.2 Zivilrecht

2.3 Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes in das Landespolizeirecht

3. Polizeiliches Handeln bei Häuslicher Gewalt

3.1 Polizeiliches Einsatzverhalten

3.2 Strafverfolgung

3.3 Gefahrenabwehrende Maßnahmen (Übersicht)

3.4 Statistik

4. Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor Häuslicher Gewalt

4.1 Grundrechtseingriffe

4.2 Rechtsnatur

4.3 Rechtsfolge

4.4 Tatbestandliche Voraussetzungen

4.4.1 Gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person

4.4.2 Häusliche Gewalt

4.4.3 Unbeachtlicher Wille des Opfers

4.5 Adressatenregelung

4.6 Verfahrensvorschriften

4.6.1 Allgemeine Verfahrensvorschriften (VwVfG)

4.6.1.1 Anhörung

4.6.1.2 Form der Anordnung

4.6.1.3 Begründung

4.6.1.4 Bekanntgabe

4.6.2 Verfahrensvorschriften (PolG NRW)

4.6.2.1 Bezeichnung des räumlichen Bereichs

4.6.2.2 Mitnahme persönlicher Gegenstände

4.6.2.3 Bekanntgabe der neuen Anschrift

4.6.2.4 Hinweise und Informationen

4.6.2.5 Fristen

4.6.2.6 Verfahrensrechtliche Regelungen

4.6.2.7 Überprüfung des Rückkehrverbots

4.7 Ermessen

4.8 Übermaßverbot

4.9 Zwang

4.10 Rechtliche Einzelprobleme (Überblick)

4.10.1 Aufhebung der Maßnahme

4.10.2 Gewaltanwendung außerhalb des häuslichen Bereichs

4.10.3 Wohnungsverweisung bei freiwilligem Verlassen der Wohnung durch das Opfer

4.10.4 Wohnungsverweisung gegen den Willen des Opfers

4.10.5 Adressatenregelung/Störerauswahl

4.10.6 Rechtsfolge (unmittelbare Umgebung der Wohnung)

4.10.7 Begleit-/Folgemaßnahmen

4.10.8 Rechtswidrigkeit der Wohnungsverweisung bei einer Putativgefahr

5. Regelungen der Bundesländer

5.1 Baden-Württemberg – § 27a Abs. 3, 5 PolG BW: Platzverweis, Aufenthaltsverbot, Wohnungsverweis, Rückkehrverbot, Annäherungsverbot

5.2 Bayern – Art. 16 BayPAG: Platzverweisung

5.3 Berlin – § 29a BerlASOG: Wegweisung und Betretungsverbot zum Schutz bei Gewalttaten und Nachstellungen

5.4 Brandenburg – § 16a Bbg PolG: Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt

5.5 Bremen – § 14a BremPolG: Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt

5.6 Hamburg – § 12b HambSOG: Betretungsverbot, Aufenthaltsverbot, Kontakt- und Näherungsverbot

5.7 Hessen – § 31 Abs. 2 HSOG: Platzverweisung

5.8 Mecklenburg-Vorpommern – § 52 Abs. 2 MVSOG: Platzverweisung

5.9 Niedersachsen – § 17 Abs. 2 NdsGefAG: Platzverweisung, Aufenthaltsverbot

5.10 Rheinland-Pfalz – § 13 Abs. 2 und 4 POG: Platzverweisung, Aufenthaltsverbot

5.11 Saarland – § 12 Abs. 2 SaarPolG: Wohnungsverweisung

5.12 Sachsen – § 21 Abs. 3 SächsPolG: Wohnungsverweisung

5.13 Sachsen-Anhalt – § 36 Abs. 3 SachsAnhSOG: Platzverweisung

5.14 Schleswig-Holstein – § 201a SchlHVwG: Wohnungsverweisung sowie Rückkehr- und Betretungsverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt

5.15 Thüringen – § 18 Abs. 2 ThürPAG: Platzverweisung, Aufenthaltsverbot

Kapitel II Stalking

1. Kriminologie-Phänomenologie des „Stalking“

1.1 Begriff

1.2 Historie

1.3 Stalking – Handlungen

1.4 Stalking und Mobbing

1.5 Studien

1.6 Täter

1.6.1 Typologien

1.6.1.1 Zwei Hauptverhaltenskomplexe

1.6.1.2 Fünf Motive (Paul Mullen)

1.6.1.3 Drei Ebenen (Dressing/Maul-Backer/Gass)

1.6.1.4 Vier Haupttypen (Sheridan/Blaauw)

1.6.1.5 Drei Gruppen (Meloy)

1.6.2 Ätiologie

1.6.2.1 Psychologische Ebenen und Dynamiken

1.6.2.2 Bindungsgenese und Stalking

1.6.2.3 Psychoanalytische Objektbeziehungstheorie

1.6.2.4 Psychodynamische Theorie und Psychopathologie

1.6.2.5 Phasenmodell (Meloy)

1.6.3 Therapie

1.7 Stalking und Gewalt

1.8. Opfer von Stalking

1.8.1 Folgen

1.8.2 Risikofaktoren

1.8.3 Gefährdungsanalyse

1.8.3.1 Subjektive Gefährdungseinschätzung des Opfers

1.8.3.2 Systematische Risikoanalyse

1.8.3.3 Einzelfallorientierte Bewertung der Gefährdungslage

1.8.4 False Victimization Syndrome

1.8.5 Beratung von Stalkingopfern

1.8.6 Selbsthilfegruppen

2. Polizeiliches Handeln

2.1 Anzeigenerstattung

2.2 Präventionsziele

2.3 Polizeilicher Umgang mit Opfern (Checkliste)

2.4 Polizeiliche Anzeigenaufnahme (Checkliste)

2.5 Gefährderansprache

2.6 Fangschaltung

3. Handlungsstrategien für Betroffene

3.1 Grundregeln

3.2 Strafrechtliche Intervention

3.3 Zivilrechtliche Intervention

4. Strafbarkeit von Stalking

4.1 Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen

4.1.1 Grundtatbestand (§ 238 Abs. 1 StGB)

4.1.1.1 Tathandlung: „Unbefugtes Nachstellen“/“beharrlich“

4.1.1.2 Tathandlungen

4.1.1.3 Taterfolg

4.1.1.4 Vorsatz

4.1.2 Erfolgsqualifikationen

4.1.2.1 § 238 Abs. 2 StGB: Gefährliche Nachstellung

4.1.2.2 § 238 Abs. 3 StGB: Nachstellung mit Todesfolge

4.2 Verhältnis zu anderen Vorschriften

5. Strafprozessrecht

5.1 § 238 Abs. 1 StGB als („relatives“) Antragsdelikt

5.2 § 238 StGB als Privatklagedelikt (§ 374 StPO)

5.3 Deeskalationshaft (§ 238 StGB als Anlassstraftat der Wiederholungsgefahr)

6. Zivilrecht

6.1 Gewaltschutzgesetz

6.2 Schmerzensgeld

6.3 Schadensersatz

7. Anmerkungen

Kapitel III Gewaltschutzgesetz (GewSchG)

1. Systematik des GewSchG

2. Schutzmaßnahmen und Abwehrmaßnahmen

2.1 Anwendungsbereich des GewSchG

2.1.1 Kinder

2.1.2 Außerhäusliche Gewalt

2.2 Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen

2.2.1 Geschützte Rechtsgüter/Tathandlungen

2.2.1.1 Verletzung von Rechtsgütern

2.2.1.2 Drohung mit Rechtsgutverletzungen

2.2.1.3 Hausfriedensbruch und unzumutbare Belästigung

2.2.2 Schutzanordnungen

2.2.2.1 Verbot: Betreten der Wohnung

2.2.2.2 Verbot: Aufenthalt im Umkreis der Wohnung

2.2.2.3 Verbot: Aufenthalt an anderen Orten

2.2.2.4 Verbot: Kontakte

2.2.2.5 Verbot: Zusammentreffen mit anderen Personen

2.2.2.6 Schutzanordnung – Ausnahme: Wahrnehmung berechtigter Interessen

2.2.2.7 Verhältnismäßigkeit

2.3 Wohnungsüberlassung

2.4 Verfahren und Zuständigkeiten

2.5 Zwangsvollstreckung

3. Strafbarkeit

3.1 Strafbarkeit nach GewSchG

3.2 Strafbarkeit nach anderen Vorschriften

3.3 Materielle Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung

3.4 Wirksame Zustellung

4. Rechtstatsächliche Untersuchung zum GewSchG

Abkürzungsverzeichnis

AnwZert ITR

AnwaltZertifikatOnline

Apf

Fachzeitschrift für Ausbildung, Prüfung und Fortbildung

Art.

Artikel

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

DPolBl.

Deutsches Polizeiblatt

DSB

Datenschutzberater (Zeitschrift)

DSG NRW

Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen

DuD

Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift)

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

DVP

Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift)

FPR

Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift)

GA

Goldammer´s Archiv für Strafrecht

GG

Grundgesetz

Hrsg.

Herausgeber

Hs.

Halbsatz

JA

Juristen-Zeitschrift

JURA

Juristische Ausbildung

JUS

Juristische Schulung

JZ

JuristenZeitung

KJ

Kritische Justiz

K&R

Kommunikation & Recht

KritV

Kritische Vierteljahreszeitschrift

LAFP NRW

Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen

LZG NRW

Landeszustellungsgesetz Nordrhein-Westfalen

MFDP

Magazin für die Polizei (Zeitschrift)

MMR-Aktuell

MultiMedia & Recht

MSchrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

NJ

Neue Justiz

NJOZ

Neue Juristische Online Zeitschrift

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

PDV

Polizeidienstvorschrift

PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

PPinfo

Polizeipräsidium Mittelfranken (Zeitschrift)

PSP

Polizei – Studium – Praxis (Zeitschrift)

StraFO

StrafverteidigerForum (Zeitschrift)

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

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Zeitner, Einsatzlehre – Grundlagen für Studium und Praxis, 2012

Kapitel I Häusliche Gewalt

1. Kriminologie-Phänomenologie der Häuslichen Gewalt

1.1 Einleitung

Die Verfassung stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates (Art. 6 GG).1

Lebensumstände und gesetzliche Grundlagen sowie das Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegende Verständnis von Ehe und Familie haben sich in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen gewandelt.2 Traditionen und Normen verändern sich im Laufe der Zeit.3 So wurde die Ehe lange Zeit als grundsätzlich lebenslange Verbindung von Mann und Frau, die Familie als ihre quasi natürliche Folge angesehen. Vorherrschend war eine klare Rollenverteilung.4 In den meisten Familien ist zwar noch immer der Mann der Haupternährer, Anzahl und Alter der Kinder wirken sich kaum auf seine Berufstätigkeit aus. Gleichwohl ist seine Rolle innerhalb der Familie facettenreicher geworden. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums nehmen mittlerweile fast 30 % der Väter Elterngeld in Anspruch und bleiben durchschnittlich etwas länger als drei Monate zu Hause. Allen Statistiken zum Trotz: Ehe und Familie haben in Deutschland eine große Bedeutung.

Art. 6 GG behandelt verschiedene Aspekte von Ehe und Familie, Eltern und Kindern und damit Beziehungen, die für die Gemeinschaft von größter Wichtigkeit sind.5 Der Schutz durch Art. 6 GG wurde in der Vergangenheit oftmals so ausgelegt, dass in dieser Privatsphäre ausgeübte Gewalt als Angelegenheit der Familien angesehen wurde. Die Polizei beschränkte sich vor diesem Hintergrund auf die „Schlichtung des Streites“. Noch vor knapp 100 Jahren war man gar der Ansicht, dass die Frau der männlichen Aufsicht bedurfte. Betrachtet man das kulturell tradierte Gewaltverständnis im historischen Sinne, so erscheint die Anwendung von Gewalt über die Jahrhunderte als von der Gesellschaft toleriert, und dies besonders in Bezug auf Gewalt in der Familie.6

Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird. (Jean-Paul Sartre)

Bis Anfang der 1960er Jahre wurde Gewalt in Familien und Partnerschaften schlechthin als Tabuthema angesehen. Historisch betrachtet besaßen sowohl Kinder als auch Frauen kaum Rechte und mussten Gewalttaten ihrer Ehemänner bzw. Väter (machtlos) ertragen.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland das straffreie Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber seiner Frau abgeschafft.

Erhebliche Änderungen kamen in der Tat erst spät in Gang. So stuften 1993 die Vereinten Nationen Gewalt gegen Frauen erstmals explizit als Menschenrechtsverletzung ein. Erst 1997 forderte die UN auf, internationale Übereinkünfte hinsichtlich der Menschenrechte von Frauen vorbehaltlos zu ratifizieren.7

Gewalt im sozialen Nahraum („Häusliche Gewalt“) war lange Zeit auch in Deutschland ein Tabuthema. Betroffen sind in über 90 % der Fälle Frauen und Kinder. Eine erste repräsentative Studie aus 2004 zeigte, dass von 10 000 Frauen jede Vierte im Alter von 16 bis 85 Jahren bereits ein- oder mehrmals körperliche oder zusätzlich sexuelle Übergriffe eines Beziehungspartners erlitten hatte. In 99 % der Fälle handelt es sich um männliche Täter. Doch die Opfer trauen sich oft jahrelang nicht, ihr Leid öffentlich zu machen, Täter kommen oft ungeschoren davon. Jede siebte Frau wird Gewaltopfer ihres eigenen Partners.8

Die Wohnung ist kein rechtsfreier Raum.

Schätzungen gehen davon aus, dass es in jeder dritten Partnerschaft Gewalt gegen Frauen gibt.9

Dem Europarat-Bericht EG-S-VL(97)1 zufolge waren in Europa 25 % der Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt. Gewalt ist Teil der Menschheitsgeschichte. Herrschaftsbereiche, Staaten, Religionen und Ideologien wurden mehr durch Gewalt geschaffen oder erweitert als durch Argumente. Gewalt wird deshalb nach wie vor als Instrument benutzt, um den eigenen Machtbereich zu erweitern. Indes tritt Gewalt nicht nur öffentlich, sondern subtiler und verdeckt auf; sie hat sich ins Private, Zwischenmenschliche zurückgezogen.

Indes wusste schon Salomon zu berichten:

„Trachte nicht nach Bösem gegen deinen Nächsten, der arglos bei dir wohnt.“

Letztlich hat es mehr als 2000 Jahre gebraucht, häusliche Gewalt aus der Tabu-Zone herauszuholen und in der Gesellschaft zu ächten. Es ist schon erstaunlich, dass in Deutschland die private Gewaltanwendung in den eigenen vier Wänden so lange Bestand haben konnte. Die Polizei trat vorwiegend als Schlichter auf und konnte kaum helfen, den Kreislauf der häuslichen Gewalt zu stoppen.

Viele Frauen erleben sich in Gewaltbeziehungen als wertlos und ohnmächtig – sie fühlen sich isoliert und verharren resigniert unter dem Einfluss des Täters. Viele Opfer haben sich wohl auch deshalb als ohnmächtig erlebt, weil die Gesellschaft zugesehen hat, weil man ihnen nicht glaubte oder selbst schwere Gewalt als Familienstreitigkeit abtat. Mit dem Gewaltschutzgesetz (vgl. Kapitel III) wurde auf dem Gebiet des Zivilrechts ein Paradigmenwechsel eingeleitet10:

Wer schlägt, muss gehen!

Das Phänomen der häuslichen Gewalt ist ubiquitär. Es ist ein Phänomen aller Altersgruppen, quer durch alle Schichten und Kulturen.11 „Nicht der dunkle Park, sondern das eigene Zuhause ist immer noch der gefährlichste Ort für Frauen“, heißt es in einer Situationsanalyse der Expertinnen des Landesrates für Kriminalitätsvorbeugung Mecklenburg-Vorpommern.12 Gewalt findet fast ausschließlich im „Intimbereich“, d. h. in der Wohnung statt. Das Risiko einer Wahrnehmung durch Dritte ist hier reduziert. Die Gewaltanwendung außerhalb des familiären Nahbereichs unterliegt einer wesentlich höheren Hemmschwelle und birgt zudem jederzeit die Möglichkeit, dass Unbeteiligte eingreifen.

1.2 Begriff

Häusliche Gewalt ist ein unscharfer Begriff. Die unterschiedlichsten Straftatbestände bis hin zu Kapitalverbrechen, wie Totschlag oder Mord, verbergen sich darin. Auch sexualisierte Gewalt kann im Rahmen häuslicher Gewalt erfolgen. „Gewalt im sozialen Nahraum“ oder „Gewalt in intimen Beziehungen“ werden als Synonyme für häusliche Gewalt verwendet.

Von häuslicher Gewalt wird gesprochen, wenn es in einer häuslichen Gemeinschaft zu ehelicher oder sonstiger Art von Gewaltanwendung kommt.13 Häusliche Gewalt bezeichnet Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem Haushalt leben14, in Paarbeziehungen (vor/während/nach der Trennung), gegen Kinder, von Kindern gegenüber ihren Eltern, zwischen Geschwistern und gegen ältere, ggf. pflegebedürftige Menschen. Eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Täter und Opfer ist nicht nötig. Maßnahmen nach § 34a PolG NRW können auch gegen Mitglieder einer Wohngemeinschaft ausgesprochen werden.15

Der Begriff „häusliche Gewalt“ kann allerdings täuschen, findet doch Gewalt zwischen zwei Partnern mitunter auch außerhalb des Wohnbereiches/Wohnortes statt. Wenn die Partner bereits getrennt leben, erscheint diese Nomenklatur besonders ungeeignet. Vorgeschlagen wird folgende Definition16: Gewalt im sozialen Nahraum wird in sozialen Situationen ausgeübt, die bezüglich der beteiligten Individuen durch Intimität und Verhäuslichung gekennzeichnet sind. Gewalt wird unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses zugefügt. Es kann sowohl in einer bestehenden als auch in einer aufgelösten familienähnlichen, eheähnlichen Beziehung oder sonstigen Beziehung stattfinden.

1.3 Typologien Häuslicher Gewalt

Bei den Typologien häuslicher Gewalt können Differenzierungen nach „objektiven Merkmalen“ oder über hermeneutische Diagnostik vorgenommen werden.17

1.3.1 Differenzierung nach objektiven Merkmalen

Typologien, die ihre Grundlage in standardisierten Befragungen finden, stützen sich auf „objektive“, quantifizierbare Merkmale. Typologien, die aus standardisierten Befragungen gewonnen wurden, sind etwa die von Piispa (Finnland) und die von Johnson (USA).

In der Studie von Piispa wurden 4 Muster gebildet: Dauer, Art, Schwere (Verletzung) und Häufigkeit der Gewalt; weiter wurde wie folgt unterschieden:18

short history of violence (die Gewaltbeziehung dauerte nicht lange an)

partnership terrorism (lange Beziehungen mit schwerer, chronischer Gewalt).

In der Studie von Johnson wurden die Muster unterschieden nach dem Kriterium der Einbettung oder Nichteinbettung in ein System von einseitiger Macht und Kontrolle:19

intimate terrorism (Gewalt ist eingebettet in allgemeines Muster der Kontrolle des Täters über das Opfer; sie ist mithin nur eine von mehreren Strategien)

situational oder common couple violence (Zuspitzung der Auseinandersetzung in spezifischen Konfliktsituationen – die common couple violence wird als die zum Familienleben dazugehörend gesehen).

In einer Studie von Helfferich/Kavemann/Lehmann wurden vier unterschiedliche Muster häuslicher Gewalt – mit einem spezifischen Beratungsbedarf – bestimmt:20

Muster: Rasche Trennung

Hier verändert sich das Leben kurzfristig. Beratungsbedarf ist schon aufgrund der Abruptheit der Trennung gegeben.

Muster: Neue Chance

Soll dem Partner eine neue Chance gegeben werden, sollte Beratung eine Einschätzung gewinnen, wie realistisch die Selbstdefinition der Frau ist. Beratung sollte nicht in Richtung Trennung beraten, da die Frauen sich dann zur Trennung „gedrängt“ fühlen und abweisend reagieren können.

Muster: Fortgeschrittener Trennungsprozess

Hier kommt eine gemeinsame Beratung der Partner nicht in Betracht, da keine gemeinsame Zukunftsvorstellung gesehen wird. Der Rat zur Versöhnung wird mithin negativ bewertet.

Muster: Ambivalente Bindung (Traumatisierung durch chronische Gewalt)

Zwar ist die räumliche Trennung vom Partner wichtig. Gleichwohl sollte die Beratung nicht zur Trennung drängen, weil hierdurch das Gegenteil bewirkt werden kann.

Helfferich/Kavemann/Lehmann entwickelten zudem ein spezifisches Verfahren einer „hermeneutischen Diagnostik“.

1.3.2 Differenzierung über hermeneutische Diagnostik

Es handelt sich bei der hermeneutischen Diagnostik um Fallkonstruktionen auf der Basis von Erzählungen von Betroffenen. Dem Gewaltopfer wird Raum gegeben – ohne unterbrochen zu werden – zu erzählen. Die hermeneutische Diagnostik bedient sich narrativer Interviews, die mit der Methode der objektiven Hermeneutik ausgewertet werden.

Als probates Verfahren, das zu vertieften Erkenntnissen über die Lebenssituation des betroffenen Kindes/Jugendlichen verhelfen kann, wird die psychologisch-hermeneutische-Diagnostik eingesetzt. Diese stützt sich u. a. auf methodische Ansätze der qualitativen Sozialforschung. Es handelt sich um ein mehrdimensionales Verfahren, das besonders der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen gerecht wird, die psychosozialen Belastungsfaktoren, wie schmerzlichen Trennungserfahrungen, Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Die Psychologisch-Hermeneutische Diagnostik verbindet Methoden und Techniken aus der empirischen Sozialforschung (hermeneutische Biografieanalysen) und der klassischen Psychodiagnostik mit den Inhalten der Humanistischen Psychologie, wie sie u. a. von Abraham Maslow begründet wurden.21

Die Psychologisch-Hermeneutische-Diagnostik ist ein mehrdimensionales wissenschaftliches Untersuchungsverfahren, das besonders die lebensgeschichtlichen und kulturellen Hintergründe der Familie, die Entstehungsbedingungen für Kollisionen in der Paardynamik und deren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen des Kindes oder Jugendlichen fokussiert. Im Mittelpunkt der diagnostischen Abklärung steht das Kind oder der Heranwachsende, das/der – im Loyalitätskonflikt gefangen – die eigenen Lebensumstände weder zu verantworten hat, noch sie eigenständig verändern kann.22

Letztlich ist ein stereotypisches Opferbild genauso wenig angemessen wie eine stereotypische Beratung. Nach Helfferich geht es vielmehr darum, „einzelfallbezogen den Beratungsbedarf (…) zu diagnostizieren und sensibel und offen, d. h. ohne Vorab-Urteile, die Unterschiede zu erfassen. Die Fähigkeit zu einer hermeneutischen Diagnostik, die sich auf die Grundprinzipien der qualitativen Sozialforschung stützt und die dort entwickelten Analyseheuristiken für die Fallkonstruktion nutzt, ist eine wichtige professionelle Qualifikation“.23

1.4 Erscheinungsformen Häuslicher Gewalt

Familienstreitigkeiten sind zwar einerseits häufiger Einsatzanlass der Polizei24, andererseits schwierig einzuschätzen. Zwischen „Vertragen“ und „Tötung eines Menschen“ ist alles denkbar.25

Polizeiliches Einschreiten erfordert Professionalität. Das setzt (Grund-)Wissen über Gewaltbeziehungen voraus.

Die Erscheinungsformen häuslicher Gewalt sind vielfältig und können schwerlich abschließend „aufgelistet“ werden. Typisch sind v. a.:

physische Gewalt (schlagen, treten, würgen, bedrohen usw.)

psychische Gewalt (beschimpfen, terrorisieren, diffamieren, als psychisch krank darstellen usw.)

sexualisierte Gewalt (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Zwang zu unerwünschten Sexualpraktiken)

ökonomische Gewalt (Entzug finanzieller Mittel, Verbot der Annahme einer Erwerbstätigkeit)

soziale Isolation (Kontaktverbote, Sperrung des Telefons usw.).

Beschrieben wird in der Literatur ein „Zyklus der Gewalt“ (Kreislauf der Gewalt)26:

Spannungsbildung (erste Gewaltausbrüche, Opfer entschuldigt sich gar für vermeintliches eigenes Fehlverhalten oder erklärt Gewalt mit Stress des Täters)

akute Misshandlung (unkontrollierte Spannungsentladungen/Gewaltausbrüche ohne erkennbares Motiv)

liebevolle Zerknirschung (Täter bereut sein Verhalten, versichert „Besserung“; nachfolgend „liebevolles“ Verhalten des Täters, Opfer glaubt an (bessere) Zukunft ohne Gewalt)

nächster Gewaltexzess (nächste Gewaltausbrüche, oftmals Gewalteskalation, Steigerung der Gewalt, verkürzende Frequenz der Gewalttätigkeiten).

Häusliche Gewalt – Nach der Tat ist vor der Tat.27

Dabei werden folgenden Begrifflichkeiten verwandt:28

1. Tension building phase

Spannung zwischen den Partnern steigt an

2. Violent phase

Ausbruch der Gewalt

3. Honeymoon phase

Auflösung der Spannung, Reue durch den Täter

4. Tension building phase

Spannung zwischen den Partnern steigt wieder an.

1.5 Opfer29

1.5.1 Männer

Auch Männer können Opfer von häuslicher Gewalt sein. Anzunehmen ist aber, dass viele Männer aus Scham auf die Erstattung einer Anzeige verzichten. Gewalt gegen Männer wird von vielen Betroffenen schlechthin verleugnet. Gesellschaftlich wird es bislang so gut wie nicht als soziales Problem wahrgenommen. Die Datenlage über die Gewalt, die Männer erleiden, darf als völlig unzureichend bezeichnet werden („Männer haben alles erforscht, nur nicht sich selbst.“30).

In der Hellfelduntersuchung „Phänomenologie der Beziehungsgewalt in Hamburg“ fiel der Anteil viktimisierter Männer mit knapp 1/5 an allen Fällen indessen höher als erwartet aus. Allerdings relativiert sich dieser Anteil in seiner Brisanz, da nur knapp die Hälfte dieser Männer Opfer einer Frau wurden. In 3/4 der untersuchten Beziehungstaten war der aktuelle oder ehemalige Lebenspartner der Tatverdächtige. Mit dieser Hellfelduntersuchung sollte zum einen anhand polizeilicher Vorgänge eine Phänomenologie der Beziehungsgewalt dargestellt und zum anderen eine Definition für den bislang noch nicht weit verbreiteten Begriff der Beziehungsgewalt geschaffen werden. Folgende „Hamburger Definition für Beziehungsgewalt“ ist mithin entstanden:31 Beziehungsgewalt umfasst eskalierende Situationen im zwischenmenschlichen Zusammenleben, Ereignisse im überwiegend privaten oder professionellen Bereich mit sozialen Bezügen. Der Auslöser einer Beziehungstat liegt in der jeweiligen Beziehung selbst (Beziehungskonflikt). Hiervon abzugrenzen sind diejenigen Taten, bei denen die Beziehungsnähe lediglich Gelegenheit zur Tat war und das Opfer austauschbar ist.32

1.5.2 Frauen

Häusliche Gewalt ist v. a. Gewalt gegen Frauen und Kinder.33

„Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht.“(Marie von Ebner-Eschenbach)

Die alltägliche Gewalt gegen Frauen wird seit dem Internationalen Jahr der Frauen 1975 thematisiert. Erst in den 1980er und 1990er Jahren gerieten darüber hinaus auch andere Gewaltformen, z. B. der sexuelle Missbrauch von Mädchen und Jungen, Gewalt gegen ältere Frauen, Gewalt gegen behinderte Menschen, in den Blickpunkt. Frauen sind von häuslicher Gewalt mehr bedroht als durch andere Delikte.34

Nach einer Opferbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) ist jede siebte Frau in Deutschland einmal im Leben Opfer einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung im privaten Umfeld geworden.35 Jede siebte Frau wird mithin Gewaltopfer ihres eigenen Partners.36

Gewalt führt zu massivem Schaden. Berichte der World Health Organisation (1998, 2002), der Bundesregierung Deutschland (2001) und der Weltbank (1994) belegen: Männergewalt ist eine häufige Ursache für Krankheit, Invalidität und Tod von Frauen.37 In der Folge von Gewalt finden sich aus medizinischer Sicht körperliche, psychische und psychosomatische Gesundheitsstörungen und Beeinträchtigungen der reproduktiven Gesundheit.38 Die Leidensfähigkeit von Frauen wird von Wirrer beschrieben:39

„Die Ideologie der Liebe innerhalb der bürgerlichen Rollen bringt die Frau in subjektive und objektive Abhängigkeit. Wer sich nicht mehr über sein Tun definiert, sondern über andere Personen, verzichtet darauf, autonom zu sein und sich selbst zu achten. Wer leugnet, dass Liebe und Gewalt verzahnt sein können, kann jahrelang aushalten, das Erleben vor sich selbst verleugnen und auf Veränderung hoffen. Andauernde Gewalt zerstört dann die Widerstandskraft und das Selbstbewusstsein noch weiter. Die Frau fühlt sich verantwortlich für den Mann und seine ,Schwäche’. Vor allem, wenn der Mann nach den Schlägen beteuert, dass ihm der ,einmalige Ausrutscher’ Leid täte, wenn er um Verzeihung bittet und verspricht ,nie wieder’ so zu handeln. Mancher Mann zeigt sich nach der Tat von seiner liebevollsten Seite. Die Frau hofft und will ihn ,verstehen’. Sie sucht in seiner Biografie nach ,Gründen’ für sein Verhalten und fürchtet, sie hätte versagt, weil sie ihm über diese Gründe ,nicht hinweg helfen’ könne. Oder sie glaubt dem Mann, wenn er ihr erklärt, dass sie einsehen müsse, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung sei und ihn das zwinge – quasi zu ihrem eigenen Glück – ,sie zu schlagen’. Aber was ist ,in Ordnung’? Jedes Verhalten von ihr kann die Gewalt auslösen. Nichts schließt eine männliche Gewalthandlung garantiert aus. Das heißt für die Frau: Gleichgültig, was sie tut, sie kann damit das Geschehen nicht beeinflussen, nichts hilft ihr. Sie gerät in eine ,gelernte Hilflosigkeit’. So lässt sie die Gewalt geschehen. Dazu kommt die objektive Abhängigkeit (…). Das zwingt zum Aushalten, weil die Trennung noch ,höhere Kosten’ brächte (…).40 In der tradierten Rolle muss die Frau dafür sorgen, dass die Familie funktioniert und dass ihr Bild und Ansehen nach außen stimmen – ganz gleich, was innen abläuft. Und so vertuscht und verleugnet sie die ,peinliche Lage’. Männer werden kaum darauf angesprochen, ob sie Täter sind. Sie müssen nichts vertuschen. Die Frau müht sich, die Familie und ,den Kindern den Vater’ zu erhalten, sogar als ,guten’ Vater! Also entschuldigt sie sein Verhalten und macht sich und die Kinder zu ,Geiseln’.“

Viele Frauen leiden offenbar lange, leise, ausdauernd und (auch) „hartnäckig“. Nach wie vor gilt:

Leiden ist leichter als Handeln.

Teilweise bauen sich Menschen ein in sich völlig schlüssiges Argumentationsgebäude eigens zu dem Zweck auf, Verantwortung abzuwehren. Menschen halten eine für sie selbst nachteilige Situation weiter aufrecht. Oftmals wird die Partnerschaft für die Frau zu einem Akt der Balance: „Einerseits idealisiert sie die positiven Seiten des Partners, um an der Beziehung festhalten zu können, andererseits lebt sie in ständiger Anspannung und Angst vor weiteren Übergriffen. Anderen Menschen gegenüber werden die Tätlichkeiten häufig bagatellisiert und gar verleugnet“.41

Exkurs:

Die Frage nach dem „Warum“ wird von Sprenger42mithin mit dem Satz: „Leiden ist leichter als Handeln“ beantwortet: „Ein furchtbarer Satz (…). Der oben stehende Satz ist zugleich ungemein erkenntnisreich, weil er einen gewaltigen Anteil menschlichen Verhaltens erklärt. Denn Handeln ist immer mit Unsicherheit, mit Angst verbunden. Es ist die Angst vor dem Unbekannten, die uns davon abhält, Veränderungen zu riskieren. Nichts hypnotisiert Menschen mehr als die eigene Angst. Die Erwartung von Schmerz. Dauerbesorgtsein als Lebensprinzip. Kommt hinter der „roten Linie“ wirklich was Besseres? Vielleicht komme ich ja nur vom Regen in die Traufe. Und wenn ich bleibe, wo ich bin, weiß ich wenigstens, was ich habe. Der portugiesische Dichter Fernando Pessoa schreibt: „Am Vorabend des Niemals-Abfahrens muss man wenigstens keine Koffer packen“. Angst heißt immer: Ich halte das Kleine fest; auf das Größere verzichte ich. Da uns aber die Alternative verunsichert, da wir oft nicht glauben, dem Größeren gewachsen zu sein, versuchen wir den Status Quo mit allen Mittel zu rechtfertigen.“

Unzufriedenheit lauert in der Grauzone. Im Wenn-Wunderland. Sich zu entscheiden, hat etwas ungemein Befreiendes.43

Die Gründe, warum sich eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, nicht trennt, dürften vielfältiger Natur sein:44

Angst vor den Drohungen des Partners

Gewaltpotenziale des Tatverdächtigen auch außerhalb der Familie

Ausmaß des kontrollierenden Verhaltens („Stalking“)

finanzielle Aspekte

problematische Männlichkeitsvorstellungen (kulturell geprägt?)

Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung beider Partner

Scham gegenüber der Öffentlichkeit (öffentliche Sichtbarkeit der Gewalt)

Angst vor einem Leben in alleiniger Verantwortung

Kinder.

45

Im Verhältnis von Peinigern und Opfern, die miteinander unter einem Dach leben, zeigt sich zuweilen etwas, das in der Forschung als Stockholm-Syndrom bezeichnet wird.46 Das Ereignis, auf das das sog. Stockholm-Syndrom zurückgeht, liegt lange zurück. Der Begriff ist der Geiselnahme in der Sveriges Kreditbank in Stockholm im Jahre 1973 (23. bis 28. August) entlehnt. Damals hielten zwei vorbestrafte, schwerbewaffnete Geiselgangster über fünfeinhalb Tage lang vier Bankangestellte in einem knapp 50 m2 großen Tresorraum einer Bank in Stockholm fest. Bei den Geiseln handelte es sich um drei junge Frauen (21, 23, 31 Jahre alt) und um einen jungen Mann (25 Jahre alt). In den folgenden fünf Tagen der Verhandlungen bangten die Geiseln darum, ob die Forderungen der Geiselnehmer erfüllt würden. Die Täter drohten mehrmals die Erschießung von Geiseln an. Die natürlich massiven Ängste der Geiseln wurden durch die Medien ausführlich der Öffentlichkeit vorgeführt. Entgegen der allgemeinen Erwartung berichteten die Geiseln jedoch, sie hätten v. a. Angst vor der Polizei, weniger vor den Gangstern. Später – nach ihrer Freilassung – berichteten die Geiseln, sie würden keinen Hass auf die Täter empfinden. Im Gegenteil, sie seien den Tätern dankbar für deren Großzügigkeit, sie hätten das Gefühl, die Täter hätten ihnen das Leben zurückgegeben. Noch Jahre nach der Tat besuchten die (ehemaligen) Geiseln die Täter, eine der Geiseln hatte sich sogar mit einem der Täter verlobt. Die Polizei wurde dagegen weiter als Feind gesehen. Das sog. Stockholm-Syndrom als psychopathologisches Phänomen war geboren. Mit diesem Syndrom47 wird somit ausgedrückt, bei Geiseln könnten deren Verhalten und Agieren, aber auch deren Empfindungen und Wahrnehmungen soweit von der Norm abweichen, dass von einem psychischen Ausnahmezustand, von einer Störung ausgegangen werden muss.48

Experten vermuten hinter dem Stockholm-Syndrom mithin einen seelischen Schutzmechanismus. Gegen das Gefühl, ausgeliefert und schutzlos zu sein, schützen sich die Opfer durch ein Bündnis mit dem Täter, sehen in Extremfällen die Polizei als einzige Bedrohung. Diese Identifikation mit dem Täter spiele sich, so meinen manche Wissenschaftler, auch in gewalttätigen Familien ab – die misshandelte Frau deckt den schlagenden Ehemann, weil sie mit ihm zu eng verknüpft ist, um sich zu wehren. Ein Umstand, der polizeiliches Eingreifen im Alltag enorm erschwert.49

Die Trennung vom (gewalttätigen) Partner kann für eine Frau der erste Schritt in ein neues (gewaltfreies) Leben und damit eine Chance für einen Neuanfang sein.

Jeder „ausharrenden“ Frau sei gewünscht, dass sie nicht in einen „Jargon der Ohn-Macht“ verfalle. Schon Nathan, der Weise (Lessing), wusste: „Kein Mensch muss müssen“. Handeln Sie, und geben Sie nicht anderen (Ihrem Mann?), den Umständen (Ihre angebliche finanzielle Abhängigkeit?), den Ereignissen (Ihr Mann ist wieder „lieb“?) Macht über Ihr Leben.

1.5.3 Trennungsgewalt

Körperliche Gewalt setzt sich häufig, das heißt in ungefähr 40 % der Fälle, über den Trennungszeitpunkt hinaus fort.50 Besonders gefährlich erweisen sich Trennungsphasen, insbesondere wenn die Trennung auf die Initiative der Frau zurückgeht.51 Als Tatmotive werden oft patriarchalische „Besitzansprüche“ der Männer wirksam. Auch wenn das Spektrum der Trennungsgewalt keineswegs auf Partnerschaften mit vorheriger Beziehungsgewalt beschränkt ist, bestand in einem großen Teil der Fälle bereits vor der Tat eine auf Kontrolle und soziale Isolation der Frau durch den Mann angelegte Misshandlungsbeziehung, die mit der Zeit eskaliert ist. Der Misshandler kann Versuche „seiner“ Frau, sich von ihm zu lösen, nicht „ertragen“; die letzte Form seiner Kontrolle ist die Tötung der Frau.52 Trennungssituationen kommt jedenfalls eine konfliktverschärfende Bedeutung zu. Am Ende einer Beziehung fällt den Beteiligten die Trennung schwer. Hier können Sorgerechtsproblematiken, finanzielle Probleme (Abhängigkeiten), aber auch die häufig im Kontext von häuslicher Gewalt zitierte Ambivalenz des Opfers eine Trennung belasten. Es ist in der Praxis zudem nicht selten zu beobachten, dass Opfer ihre gewalttätigen Partner nach einer Wohnungsverweisung wieder in die Wohnung lassen.53

„Eine geplante oder vollzogene Trennung bedeutet immer ein erhöhtes Risiko für Frauen.“54

Wenn Frauen den gewalttätigen Partner verlassen, bedeutet das mithin nicht zwingend, dass das Ende der Gewalt erreicht ist. Vielmehr kann es aufgrund der Trennung zu einer Eskalation der Gewalt kommen. Die Zeit der Trennung ist für eine misshandelte Frau die gefährlichste („Nachtrennungskonflikt“). In dieser Zeit besteht das höchste Risiko, schwer verletzt oder getötet zu werden. Insbesondere sog. finale Gespräche („letzte Aussprachen“) mit dem Partner dürften zu einer Risikoerhöhung führen.55

„Entweder Du kommst zurück oder ich bring Dich um.“

Derartige Drohungen sind mithin nicht zu unterschätzen. Nicht selten werden derartige Drohungen in die Tat umgesetzt. Ansonsten gilt, dass gerade bei Beziehungstätern eine Unfähigkeit zur Kommunikation in der Beziehung festgestellt wird, die dann zur Gewaltanwendung führt. Ist das Opfer der einzige vertraute Ansprechpartner, so bleibt dem Täter oftmals der Zugang zu einer distanzierten Sichtweise versperrt, mithin mit der Folge, dass dem Täter differenzierte Lösungsmöglichkeiten versagt bleiben. Kriminologisch ist der Befund bekannt, dass der überwiegende Anteil der registrierten Tötungsdelikte in Paarbeziehungen erfolgt. In diesem Fall wird der Satz „Bis dass der Tod euch scheidet …“ Wirklichkeit.56

Im Gegensatz zum angloamerikanischen Sprachraum steht die Femizidforschung in Deutschland noch am Anfang.57 In den USA stellen Tötungsdelikte in Partnerbeziehungen die zweithäufigste Todesursache für junge Frauen dar;58 bei den afro-amerikanischen Frauen ist die Tötung gar Todesursache Nr. 1. Eine Übertragbarkeit dieser Befunde auf europäische Lebensbedingungen ist schwerlich möglich. Nichtsdestoweniger liegen konsistente kriminalpsychologische Befunde vor, die auch hier von Bedeutung sind. So weist Luise Greuel auf Erkenntnisse aus dem deutschsprachigen Raum hin, die nennenswerte Parallelen aufzeigen. „Femizide durch den (Ex-)Partner finden überwiegend in der Wohnung der Frau statt, also in einem Bereich, der der sozialen und damit auch polizeilichen Kontrolle weitgehend entzogen ist. In den Fällen, in denen es zu Femiziden außerhalb der Opferwohnung kommt, sind häufig berufstätige Frauen betroffen, die durch ihre (Ex-)Partner auf dem Hintergrund eines Nachtrennungskonfliktes getötet werden. Nicht selten erfolgt die Tötungshandlung in Anwesenheit von Zeugen, etwa am Arbeitsplatz der Frauen, sodass diese Untergruppe von Beziehungsfemiziden durchaus auch als spezifische Manifestationsform der „workplace violence“ und damit als Problem des Sicherheitsmanagements in Unternehmen eine Rolle spielen kann“.59

Für das (polizeiliche) Fallmanagement und die Prävention von Kapitaldelikten in (Ex-) Intimbeziehungen gilt der Grundsatz:

Interventionen sollen (müssen) zeitnah erfolgen.

1.5.4 Opfergefährdungsindikatoren und Gefährdungsanalyse

Dass die Vorhersage menschlichen Verhaltens äußerst problematisch ist, ist bekannt. Natürlich ist das (tatsächliche) Vorkommen antisozialer Auffälligkeiten nicht nur unmittelbar praktisch von Bedeutung, es beeinflusst auch die Möglichkeiten verlässlicher Vorhersagen und damit einer korrekten Auswahl für praktische Maßnahmen wie Prävention.60