Heimat-Roman Treueband 14 - Rosi Wallner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 14 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 172: Die gute Seele des Dorfes
Bergkristall 253: Ach, wenn's die Eifersucht nicht gäbe
Der Bergdoktor 1701: Bei diesem Mann bin ich daheim
Der Bergdoktor 1702: Ich war dir niemals untreu
Das Berghotel 109: Die traurige Tänzerin

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 624

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © wernerimages 2020 / shutterstock ISBN 978-3-7325-9245-6

Rosi Wallner, Tobias Staudner, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 14 - Sammelband

Inhalt

Rosi WallnerAlpengold - Folge 172"Danke! Danke für alles!", raunt Jonas Meringer und im Überschwang der Gefühle zieht er Tabea fest in seine starken Arme. Nach dem Tod seiner Frau Veronika hat die hübsche Dorfhelferin auf dem Meringer-Hof wahre Wunder vollbracht: Mit ihrer Fröhlichkeit und liebevollen Zuwendung hat sie Jonas' Kindern Linus und Hannchen das Lachen zurückgebracht! Und auch ihm selbst ist das Herz etwas leichter geworden. Nun wagt Jonas sogar, den Pflichten des Hofes wieder nachzugehen und an einer Zukunft für sich und die Kinder zu arbeiten ... Als Jonas Tabea loslässt, liest er in ihren schönen Augen, was sie für ihn fühlt - und weicht erschüttert zurück! Denn es darf nicht sein! Niemals wird er den Verlust Veronikas verwinden, nie eine andere Frau als sie lieben können, sondern für immer an eine Tote gebunden sein ...Jetzt lesen
Tobias StaudnerBergkristall - Folge 253Gerade drei Tage ist der Förster Hias Berger zur letzten Ruhe gebettet, da weiß schon ganz Raming, wer die Nachfolge im Wald der reichen Öhlers antritt. "Michael Zauner heißt er, und er ist net von hier", berichtet der Kaufmann der jungen Monika Kirchtaler. "Angeblich ist er auf eine Anzeige hin in unser Tal gekommen. Recht nett soll er sein ... und sehr fesch!" Kein Wunder, dass Monikas Neugier erwacht. Ihr Herz schlägt schneller, als sie den Mann zum ersten Mal sieht. Als kurz darauf seltsame Gerüchte über Michael in Umlauf kommen und eine junge Städterin Martin auffällig oft Besuche abstattet, ist es zu spät: Monika hat längst ihr Herz an den Fremden verloren ...Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1701Aus Liebe blieb sie bei ihm in den Bergen Noch mehr Probleme sind das Letzte, was Marius Steinberger gerade gebrauchen kann. Nicht nur, dass um seinen Hof nicht gut steht, er macht sich große Sorgen um seinen Sohn. Der Bergdoktor hat herausgefunden, dass Paul nicht richtig hören kann. Und das Gehör des Buben wird sich im Lauf der Zeit noch weiter verschlechtern! Die Diagnose ist ein Schock für den alleinerziehenden Vater, und nur so ist es zu erklären, dass Marius auf der engen Serpentinenstraße zurück zu seinem Hof einen Unfall verursacht. Doch die junge Frau, die ein bisschen benommen aus ihrem Wagen aussteigt, macht ihm keine Vorwürfe, sondern wird sein rettender Engel...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1702Pia Stangl weiß nicht mehr weiter. Sie hat ihre Stellung verloren, kaum noch Ersparnisse und fühlt sich obendrein seit Monaten elend. Die ständigen Schmerzen zehren an ihr. Sie war schon bei mehreren Ärzten, aber keiner konnte bisher die Ursache ihrer Beschwerden herausfinden und ihr helfen. Pia ist mit dem Fahrrad unterwegs, als sie plötzlich von einer Schmerzattacke überfallen wird und böse stürzt. Doch sie hat Glück, denn der Jungbauer Constantin Prankl beobachtet ihren Unfall und eilt ihr zu Hilfe. Er nimmt Pia mit nach St. Christoph und bringt sie in die Praxis von Dr. Martin Burger. Der Bergdoktor hat bald einen Verdacht, was ihr fehlt. Aber wird Pia die Diagnose verkraften?Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 109Petra ist eine äußerst ehrgeizige und erfolgreiche Tänzerin. Gemeinsam mit ihrem umwerfend gut aussehenden Tanzpartner Jörg hat sie schon viele Turniere gewonnen. Dass es bei den Proben immer gehörig zwischen den beiden knistert, macht das Tanzen nur noch aufregender. Während eines Turniers geschieht dann aber ein furchtbarer Unfall. Eine spektakuläre Hebefigur geht schief, und Petra knallt zu Boden. Was die Ärzte ihr danach mitteilen, reißt ihr den Boden unter den Füßen weg: Sie wird vielleicht nie wieder professionell tanzen können! Um ihrer Traurigkeit zu entkommen, flieht Petra ins schöne Zillertal. Dort lernt sie bei einem Waldspaziergang den mürrischen Förster Henrik kennen. Der junge Witwer hat sich seit dem Tod seiner Frau von allen Menschen zurückgezogen. Auch Petra tritt er unwirsch entgegen, doch nach und nach entwickelt sich zwischen den beiden eine Vertrautheit. Die hübsche Tänzerin ist sich unsicher: Ist sie etwa dabei, sich in Henrik zu verlieben? Doch eines Morgens steht plötzlich Jörg vor ihr. Er ist ins Zillertal gekommen, um Petra als Tanzpartnerin zurückzugewinnen - aber scheinbar auch, um ihr seine Liebe zu gestehen ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Die gute Seele des Dorfes

Vorschau

Die gute Seele des Dorfes

Nur an ihr eigenes Glück dachte sie nicht

Von Rosi Wallner

»Danke! Danke für alles!«, raunt Jonas Meringer, und im Überschwang der Gefühle zieht er Tabea fest in seine starken Arme. Nach dem Tod seiner Frau Veronika hat die hübsche Dorfhelferin auf dem Meringer-Hof wahre Wunder vollbracht: Mit ihrer Fröhlichkeit und liebevollen Zuwendung hat sie Jonas’ Kindern Linus und Hannchen das Lachen zurückgebracht! Und auch ihm selbst ist das Herz etwas leichter geworden. Nun wagt Jonas sogar, den Pflichten des Hofes wieder nachzugehen und an einer Zukunft für sich und die Kinder zu arbeiten …

Als Jonas Tabea loslässt, liest er in ihren schönen Augen, was sie für ihn fühlt – und weicht erschüttert zurück! Denn es darf nicht sein! Niemals wird er den Verlust Veronikas verwinden, nie eine andere Frau als sie lieben können, sondern für immer an eine Tote gebunden sein …

»Wisst ihr, was dem Linus fehlt?«, fragte Susanne Neudorfer ihre Klasse, doch sie erntete nur gleichgültiges Schulterzucken oder unverständliches Getuschel.

»Mein Vater tät sagen, dem fehlen nur ein paar Watschen«, warf Seppi Angerer ein, und ein gehässiges Glitzern stand in seinen wasserblauen Augen.

»Wie kommst denn dazu, so etwas zu sagen, Seppi?«, fragte die junge Lehrerin erstaunt.

Sie war um einen freundlichen Ton bemüht, was ihr gegenüber dem aufsässigen Achtjährigen häufig schwerfiel. Denn er ähnelte jetzt schon allzu sehr seinem Vater, dem streitlustigen Angerer-Bauern, der seine Nachbarn mit Prozessen überzog und ihren Ruf mit übler Nachrede schädigte.

»Der treibt sich draußen herum, und wir sind hier eingesperrt und müssen uns langweilen mit dem ganzen Schmarren«, erwiderte er frech.

Ein anderer Schüler meldete sich und sagte, dass er den Linus gestern erst gesehen habe.

»Und da hat er kein bisserl krank ausgesehen«, fügte er hinzu.

»Ich werde mich drum kümmern«, sagte Susanne und ging zu Rechtschreibübungen über, was Seppi ein Aufstöhnen entlockte.

Der jungen Lehrerin bereitete es Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, denn der kleine Linus Meringer war ihr Sorgenkind. Immer wieder fehlte er im Unterricht, manchmal sogar ohne Entschuldigung, und wenn er schließlich doch teilnahm, wirkte er abwesend und starrte vor sich hin.

Susanne hatte schon mehrmals den Versuch gemacht, mit Linus zu reden, doch der Junge verschloss sich vor allem. Er senkte den Kopf und schwieg hartnäckig, aber Susanne spürte, dass es nicht Trotz oder Verstocktheit war, sondern eine Abwehrhaltung, die von großem Schmerz herrührte.

Linus Meringer hatte im letzten Jahr seine Mutter verloren.

Und seitdem hatte sich der aufgeweckte, lebhafte Junge völlig verändert und war weder Trost noch Ermahnungen zugänglich. Sein Vater ließ sich nie zu einem Elterngespräch blicken. Susanne hatte ihn sogar angeschrieben, aber Jonas Meringer hatte nicht darauf reagiert.

Sie hatte es bislang vermieden, mit ihrem Kollegen, der gleichzeitig ihr Vorgesetzter war, darüber zu sprechen. Denn Alwin Moshuber war noch ein Lehrer alter Schule, der sich laufend darüber beklagte, dass die Prügelstrafe abgeschafft worden war.

Susanne hielt Moshuber, der ein verbitterter Mensch war, durchaus für dazu imstande, dass er das Jugendamt informierte. Susanne wollte sich erst gar nicht vorstellen, wie Linus auf eine Fürsorgerin reagieren würde. Sie würde ihn nicht nur für verstockt, sondern vielleicht auch für verwahrlost halten, was weitreichende Folgen nach sich ziehen könnte.

Doch ehe es erst so weit kam, wollte sie sich selbst ein Bild von den häuslichen Verhältnissen, in denen das Kind lebte, machen. Vielleicht gelang es ihr auch, den Vater dazu zu bewegen, sich mehr um seinen Sohn zu kümmern.

Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, fühlte sie sich erleichtert. Da es sowieso bald klingeln würde, unterbrach sie den Unterricht, griff nach ihrer Gitarre und stimmte mit den Kindern ein Lied an.

Nach Schulschluss beeilte sie sich, nach Hause zu kommen. Weil sie an diesem Nachmittag freihatte, nahm sie sich vor, schon heute auf den Meringer-Hof zu gehen und mit Linus’ Vater zu sprechen. Zu Fuß erreichte sie ihr kleines Haus in einer versteckten Seitenstraße am Ortseingang, das, verborgen vor neugierigen Augen, in einem zugewucherten Garten stand.

Susanne musste sich eingestehen, dass sie am Ziel ihrer Träume war. Sie lebte in dem kleinen Gebirgsdorf, das ihr auf einer Bergwanderung so gut gefallen hatte, dass sie sich an die dortige Schule beworben hatte, sobald eine Stelle frei geworden war. Und sie hatte es nicht bereut. Sie war bald heimisch geworden, und das Unterrichten bereitete ihr große Freude. Die Klassen waren klein, sodass sie sich besser um jedes einzelne Kind bemühen konnte.

Eine unverhoffte Erbschaft hatte es ihr ermöglicht, das Haus zu kaufen, und sie war nun dabei, es Schritt für Schritt zu renovieren und den Garten neu anzulegen. Für die Sommerferien hatte sie sich viel vorgenommen …

Sie bereitete sich eine Kleinigkeit zum Essen zu und ruhte sich ein wenig aus, dann machte sie sich für den Besuch auf dem Meringer-Hof fertig. Sie zog ein sommerliches Dirndl an, fuhr mit dem Kamm durch die gelockten goldbraunen Haare und tauschte die leichten Sandalen gegen festes Schuhwerk aus. Dann war sie gerüstet und verließ voller Tatendrang und mit den besten Absichten das Haus.

Der Meringer-Hof lag etwas außerhalb in einer fruchtbaren Talmulde. Der Weg führte durch Almwiesen und einen lichten Mischwald bergan, die letzte Wegstrecke war ziemlich steil. Susanne seufzte erleichtert auf, als der Meringer-Hof in Sicht kam.

Sie blieb kurz stehen, um das Bild, das sich ihren Augen bot, auf sich wirken zu lassen. Der Meringer-Hof war ein stolzes Anwesen, das Wohnhaus war kunstvoll mit Lüftlmalerei verziert, zahlreiche Nebengebäude schlossen den Hofplatz mit dem plätschernden Brunnen von beiden Seiten ein.

Doch als sie näherkam, erwies sich die Idylle als Täuschung, denn der Hof zeigte deutliche Spuren der Vernachlässigung. Aus den Blumenkästen auf den Balustraden wucherte Unkraut statt Hängegeranien. Auch in den Terrakottatöpfen rechts und links der Haustür waren die Pflanzen vertrocknet, und aus den Ritzen des Vorplatzes spross das Grün. Rechter Hand hatte sich wohl der Bio-Hofladen befunden, dort war nun alles mit Brettern vernagelt.

Der Dorfklatsch war auch Susanne zu Ohren gekommen, und so hatte sie von der tragischen Familiengeschichte der Meringers erfahren. Der alte Pius Meringer hatte große Pläne mit seiner einzigen Tochter Veronika gehabt, doch sie hatte sich für einen wenig begüterten jungen Agraringenieur entschieden.

Sie ließ sich nicht von der Heirat abbringen, und Pius hatte schließlich seine Einwilligung gegeben, aber nur unter der Bedingung, dass sein zukünftiger Schwiegersohn den Namen Meringer annahm. Kurz nach der Heirat seiner Tochter erlitt Pius einen Schlaganfall, an dessen Folgen er verstarb, danach wandelte Jonas Meringer den Betrieb in einen Bio-Hof um.

Die beiden Kinder wurden geboren, und das Paar führte eine glückliche Ehe, bis Veronika tödlich verunglückte. Jonas Meringer konnte den Tod seiner Frau nicht verwinden und hatte sich völlig zurückgezogen.

Susanne durchschritt zögernd das Hoftor und spähte nach dem Hund aus, aber anscheinend war die Hütte neben der Scheune unbenutzt. Sie ging auf das Wohnhaus zu und klopfte, doch niemand öffnete, und auch auf ihr Rufen erhielt sie keine Antwort. Sie stellte fest, dass die Tür unverschlossen war, wie meistens auf dem Land, und trat in den Flur.

Die Luft roch säuerlich und abgestanden, fast als wäre das Haus unbewohnt. Linker Hand war die Stube, und sie trat durch die offene Tür ein. Der Raum, dessen Einrichtung von bäuerlichem Wohlstand zeugte, war verdunkelt, und Susanne hatte ziemliche Mühe, sich zu orientierten. Doch schließlich entdeckte sie auf einem Sofa die Umrisse einer zusammengekrümmten Gestalt, die unter einer Decke lag.

»Was wollen Sie hier?«

Der Mann, der anscheinend nur vor sich hin gedämmert hatte, war aufgefahren und sah sie feindselig an.

Susanne schrak zusammen. »Es tut mir leid, dass ich hier eingedrungen bin«, stammelte sie.

»Was wollen Sie?«, wiederholte er unfreundlich.

»Ich bin die Lehrerin Ihres Sohnes und wollte wissen, wie es Linus geht. Kann ich nach ihm sehen?«

»Es geht ihm gut. Sie haben ihn doch schließlich heute im Unterricht gehabt.«

Susanne hatte sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, sodass sie Jonas Meringer genauer in Augenschein nehmen konnte. Er hatte inzwischen die Decke abgeworfen und sich aufgerichtet, war aber offenkundig nicht gewillt, ihr einen Platz anzubieten.

Meringer war ein kräftiger Mann Anfang dreißig mit dunklen Haaren und markanten Gesichtszügen, die von Schmerz und Erschöpfung gezeichnet waren, sodass er wesentlich älter wirkte. Er war nachlässig gekleidet, nur eine gewisse Gepflegtheit verhinderte, dass er verwahrlost wirkte.

Die Stube war unaufgeräumt, und der Staub auf den Möbeln verriet, dass schon lange nicht mehr geputzt worden war. Auf dem runden Tisch, an dem sich die Familie zu gemeinsamen Mahlzeiten zusammengefunden hatte, standen achtlos zurückgelassene Teller mit Essensresten. Fliegen umsummten sie.

»Linus war seit ein paar Tagen nicht in der Schule. Und das ist kein Einzelfall«, erklärte Susanne ruhig.

»Das kann nicht sein. Ich schicke ihn jeden Morgen samt Pausenbrot weg«, erklärte Meringer ungläubig.

»Aber er kommt nicht dort an. Wissen Sie, wo er sich stattdessen aufhält?«

Jonas Meringer gab keine Antwort. Doch Susanne hatte den Eindruck, dass er genau Bescheid wusste.

»So kann das nicht weitergehen, Sie brauchen Hilfe. Ich kann es auch nicht länger verschweigen, dass Linus nicht zum Unterricht erscheint«, sagte sie drängend.

»Ich werde mit ihm reden«, erklärte er abweisend.

Im gleichen Augenblick hörten sie vom oberen Stockwerk das jämmerliche Weinen eines kleinen Kindes.

»Hannchen ist aus dem Mittagsschlaf aufgewacht«, erklärte Jonas und sprang auf, wobei erkennbar wurde, wie hochgewachsen er war.

Wenn er gedacht hatte, dass Susanne das als Zeichen dafür hielt, sich von ihm zu verabschieden, so sah er sich getäuscht, denn sie folgte ihm ohne Umschweife die Treppe hoch. Er öffnete die Tür der Kammer, aus der die jammernde Stimme des Kindes erschallte.

Der Kinderzimmer war liebevoll eingerichtet und verriet noch ganz die Hand einer fürsorglichen Mutter. Eine bunte Tapete mit Tiermotiven, eine hübsche Bettdecke und Gardinen, die farblich dazu passten. Doch alles war schon lange nicht mehr gewaschen worden, Spielzeug war in einer Ecke aufgehäuft und ein wildes Durcheinander von Kinderkleidern hing über einer Stuhllehne.

Das Mädchen, eine blondlockige Vierjährige, war noch halb vom Traum umfangen, Tränen liefen über ihr gerötetes Gesichtchen.

Hannchen weinte nach ihrer Mutter.

Susanne stieß tröstende Laute aus, und die Kleine kam zu sich und blickte hoffnungsvoll auf, als sie eine weibliche Stimme vernahm. Doch als sie erkannte, dass eine Fremde vor ihrem Bettchen stand, verstärkte sich ihr Weinen.

Jonas nahm seine Tochter mit überraschender Behutsamkeit auf und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. Doch das Kind war zu aufgewühlt, stieß mit den Händchen sogar gegen die Brust des Vaters. Mit Hannchen auf dem Arm ging er die Treppe hinunter, goss in der Küche Milch aus dem Kühlschrank in einen Becher und reichte sie dem Kind.

Doch Hannchen wehrte sich, und zuletzt floss die Milch, die auch viel zu kalt für das Kind war, über die Schulter ihres Vaters. Ein Ausdruck der Verzweiflung erschien auf dem fahlen Gesicht Jonas Meringers, und er ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. Dabei umklammerte er seine Tochter so fest, dass sie aufschrie.

»So geht das net!«

Susanne hatte keine Erfahrung mit Kindern, aber es gelang ihr, tröstend auf die Kleine einzureden, bis ihr Weinen schließlich verstummte. Sie kochte einen Grießbrei und brachte Hannchen dazu, davon zu essen, danach gab es noch etwas Obst.

Jonas hatte das alles mit erschöpfter Miene verfolgt, er machte den Eindruck, als würde er sich am liebsten wieder auf seinem Sofa in der Stube verkriechen.

»So kann das net weitergehen«, sagte Susanne entschieden, als Hannchen schließlich gesättigt auf ihrem Schoß saß.

»Die Kinder bleiben bei mir«, stieß Jonas hervor.

»Die gehören auch zu ihrem Vater. Aber ich wüsst eine andere Lösung. Meine Freundin ist Dorfhelferin, und sie tät gern hierher überwechseln. Sie versteht etwas von Hauswirtschaft und kann gut mit Kindern umgehen. Das wäre doch ein Segen für Linus und Hannchen«, sagte Susanne mit großem Nachdruck.

»Ich will keine Fremden im Haus«, erklärte Jonas abwehrend.

»Sie bleibt nur so lange, bis alles wieder seinen geregelten Gang geht, sie ist schließlich keine Wirtschafterin, die eine Stelle sucht. Dann geht sie zu einer anderen Familie, wo es nottut. Es ist also eine Übergangslösung, es gibt keinen Arbeitsvertrag oder etwas Ähnliches«, erläuterte Susanne.

Jonas dachte mit zusammengezogenen Brauen darüber nach, dann gab er widerstrebend seine Einwilligung. »Dann soll sie halt herkommen.«

»Sie heißt Tabea, Tabea May. Und bisher hat es noch niemand bereut, bei dem sie gewesen war. Sie bringt die Dinge wieder ins Lot.«

Ein verächtliches Zucken lief um Jonas Meringers Mund, aber er sagte wohlweislich kein Wort dazu. Stattdessen streckte er die Arme nach seiner Tochter aus, und Hannchen hatte nun nichts mehr dagegen, von ihm aufgenommen zu werden, und schmiegte sich an seine Brust.

»Ich muss den Linus suchen«, sagte er dann kurz angebunden.

Susanne erhob sich. »Ich werde mit Tabea sprechen, dass sie so schnell wie möglich hierherkommt.«

Jonas nickte mit verschlossener Miene.

Susanne verließ nachdenklich den Meringer-Hof. Das Leid, das die Familie getroffen hatte, griff ihr ans Herz, und obwohl sich Jonas Meringer so unfreundlich verhielt, wollte sie ihm und den Kindern helfen. Tabea war in ihren Augen dafür die Richtige, sie war nicht nur tüchtig, sondern sie besaß auch Einfühlungsvermögen.

Seit der Kindheit waren Tabea und sie miteinander befreundet, stammten aus derselben Kleinstadt und waren miteinander zur Schule gegangen. Auch wenn ihre Berufe sie auseinandergeführt hatten, waren sie doch immer in Verbindung geblieben. Beide teilten eine Vorliebe für das Landleben. Seitdem Tabea in einer benachbarten Ortschaft arbeitete, hatten sie sich wieder öfters getroffen.

In der letzten Zeit hatte Tabea bedrückt gewirkt, denn es hatte bei der Familie, in der sie zuletzt eingesetzt war, einige unliebsame Vorfälle gegeben. Sie fühlte sich dort nicht mehr wohl.

***

So kam es, dass Tabea May schon wenige Tage später mit einem großen Koffer und einem Rucksack vor der Tür des Meringer-Hofes stand.

Auch sie war von dem stattlichen Anwesen beeindruckt gewesen, doch da ihr Blick durch Berufserfahrung geschärft war, stellte sie sofort fest, in welchem Ausmaß der Hof heruntergekommen war. Und sicher lag auch die Haushaltsführung völlig darnieder, sodass es eine Weile dauern würde, bis alles wieder in geordneten Bahnen verlief.

Da sich im Haus nichts rührte, ging Tabea kurzerhand hinein. Wie Susanne, die ihr den Besuch auf dem Hof ausführlich geschildert hatte, fand sie Jonas Meringer schlafend auf dem Sofa in der Stube vor.

Wo wohl seine kleine Tochter ist?, dachte sie beunruhigt und ging leise die Treppe hoch zum Obergeschoss. Zu ihrer Erleichterung lag Hannchen unversehrt in ihrem Bett und war noch nicht aus ihrem Mittagsschlaf erwacht.

Tabea betrachtete das reizende Mädchen liebevoll. Die Wangen waren rosig, die blonden Löckchen ringelten sich in die Stirn. Im Schlaf wirkte sie wie ein zufriedenes, glückliches Mädchen, doch Tabea ahnte, dass der Verlust der Mutter folgenschwere Spuren im kindlichen Gemüt hinterlassen hatte.

Leise verließ sie das Zimmer wieder und ging nach unten. Linus war nicht im Haus, von Susanne wusste sie, dass der Junge oft ruhelos herumstreunte und den ganzen Tag über spurlos verschwunden war.

Es gab viel für Tabea zu tun in dieser Familie!

Jonas Meringer war inzwischen erwacht und saß zurückgelehnt auf dem Sofa.

»Was schleichst hier umeinand’?«, fragte er unfreundlich, als er sie erblickte.

Er sprach sie mit dem vertrauten Du der Gebirgler an, doch aus seinem Mund klang es eher abschätzig.

»Ich schleich net umeinand’, ich wollt nur die Kleine nicht aufwecken. Und dich auch net, Bauer, wenn du am helllichten Tag deinen Schlaf brauchst. Ich heiße Tabea May und bin die neue Dorfhelferin«, stellte sie sich vor.

»Das hab ich mir fast gedacht«, erwiderte er spöttisch, lehnte sich noch weiter zurück und musterte sie unverhohlen.

Vor ihm stand eine junge Frau von etwa Mitte zwanzig, auf deren Aussehen der Ausdruck »blühend« am besten zutraf. Ihr schönes Gesicht mit den regelmäßigen Zügen war von üppigen Locken umrahmt, die im Schatten die warme Farbe dunklen Honigs annahmen, aber wie Gold schimmerten, wenn die Sonne darauf fiel. Ein Hauch rosiger Frische lag auf ihren Wangen, die Haut im Dirndl-Ausschnitt war sanft gebräunt.

Ihre Gestalt war schlank und kraftvoll und wurde von dem schlichten Dirndlkleid reizvoll betont. Tabea May strahlte Gesundheit und Lebensfreude aus, sie war ein Mensch, der entschlossen an alles heranging. Eigenschaften, die ihm selbst verloren gegangen waren, seitdem seine geliebte Veronika nicht mehr am Leben war.

Auch Tabea ließ die Blicke über ihn schweifen, allerdings verstohlener. Trotz der ungesunden Blässe und des trostlosen Ausdrucks, der auf seinen Zügen lag, fand sie, dass er ein ausnehmend gut aussehender Mann war. Früher, als er noch nicht so unglücklich gewesen war und sich nicht so vernachlässigt hatte, musste er unwiderstehlich gewesen sein.

Tabea verdrängte diese Vorstellung sofort, es stand ihr nicht an, solchen Gedanken nachzuhängen. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, besonders gegenüber männlichen Familienmitgliedern, mit denen sie zu tun hatte, Distanz zu wahren.

»Und – was hast jetzt vor?«, fragte er unwillig.

»Zuerst bring ich die Hauswirtschaft wieder in Schwung, das wird eine Weile dauern, und dann sorg ich dafür, dass der Linus regelmäßig in die Schule geht. Und Hannchen ist ja so weit, dass sie den Kindergarten besuchen kann …«

»Das Madel bleibt hier im Haus«, fuhr er sie an.

»Es wär besser für Hannchen, wenn sie gleichaltrige Kinder zum Spielen hätt«, wandte Tabea ruhig ein.

»Das will ich net. Sie ist zu Hause am allerbesten aufgehoben«, beharrte Jonas.

Tabea antwortete nicht darauf. Solange sich Jonas Meringer in dieser Verfassung befand, war es wohl nicht vernünftig, mit ihm zu reden. Man musste Geduld mit ihm haben.

»Zeigst mir meine Kammer?«, bat sie ihn stattdessen.

Er bequemte sich nicht, aufzustehen.

»Oben neben dem Zimmer von Hannchen«, beschied er ihr und ließ erkennen, dass er wieder allein und ungestört sein wollte.

Tabea nahm wortlos ihre Sachen und trug sie die enge Stiege hoch. Als sie die Kammer, in der sie die nächste Zeit wohnen sollte, in Augenschein nahm, schüttelte sie seufzend den Kopf. Es war ein trostloser Raum; ein alter Schrank und eine Bettstatt waren darin, in einer Ecke stand ein Stuhl, der nicht dazu passte, genauso wenig wie die bunt bemalte Truhe unter der Wandschräge. Auch da würde sich einiges ändern müssen.

Sie brachte flink ihre Sachen unter, lüftete und schüttelte das Bettzeug auf. Wenigstens hatte man vom Fenster aus eine wunderbare Aussicht auf das gewaltige Gebirgsmassiv, das das enge Bergtal begrenzte. Die Gletscher funkelten in kaltem, blauem Licht und hoben sich scharf gegen den wolkenlosen Frühlingshimmel ab.

Tabea ließ den Anblick auf sich wirken und empfand tief, was Heimat bedeutete. Nur wenige, die von hier weggegangen waren, konnten sich die Sehnsucht nach den Bergen völlig aus dem Herzen reißen.

Dann aber wandte sie sich ab und eilte die Treppen hinunter, denn auf sie wartete viel Arbeit. Ihr Weg führte sie zuerst in die Küche, und als sie die Speisekammer öffnete, überkam sie heftiger Verdruss. »So eine Schand!«, murmelte sie fassungslos vor sich hin, als sie sich in der geräumigen Kammer umsah.

Die Wandregale waren entweder leer, oder es lagerten Esswaren und Obst darauf, die nicht mehr genießbar waren. Alter Käse, eingetrocknete Marmelade, verschrumpelte Äpfel, einer war sogar verschimmelt.

»Es wundert mich, dass da noch niemand krank geworden ist«, setzte sie ihr Selbstgespräch fort.

Sie fand Plastiksäcke unter der Spüle und warf die verdorbenen Lebensmittel weg. Nur ein Korb mit Winterkartoffeln, ein paar Gläser Eingemachtes und ein geräucherter Schinken blieb übrig, alles andere musste entsorgt werden. Auch das Innere des Kühlschranks in der Küche, ein uraltes Modell, das anklagend seufzte, gab nicht viel her, aber wenigstens fand Tabea frische Butter, Eier und eine Schüssel mit gekochten Kartoffeln, die noch vom Vortag stammen mochten. Damit ließ sich zur Not wenigstens etwas anfangen.

Tabea begann nun, gründlich zu putzen, sie spülte das Geschirr; der Herd und sämtliche Oberflächen wurden einer gründlichen Reinigung unterzogen. Die Kräuter in den zahlreichen Töpfen, die das Fenstersims säumten, das Lavendelherz – alles war vertrocknet und gesellte sich zu dem Inhalt des Plastiksacks. Sie nahm sich vor, die Töpfe neu zu bepflanzen, um die Küche wieder anheimelnder zu gestalten.

Als es Zeit für das Abendessen war, holte sie eine der großen gusseisernen Kasserollen aus dem Schrank und bereitete eine Art Kartoffelpfanne mit Schinken und Eiern zu. Bald duftete es angenehm, und Tabea deckte den Küchentisch, der eine Ecke einnahm, mit rustikalen Tellern. Gerne hätte sie den Tisch noch mit einem Blumenstrauß aus dem verwilderten Garten hinter dem Haus geschmückt, aber dazu blieb keine Zeit.

Auf ihr Rufen kam Jonas herein, er hielt Hannchen auf dem Arm. Zu ihrer Erleichterung hatte auch Linus heimgefunden, er wirkte erhitzt und müde, sein Hemd hing aus der Hose.

»Wasch dir die Hände und kämm dich, Linus!«, sagte Tabea freundlich.

Der Junge schob trotzig die Unterlippe vor, aber auf einen auffordernden Blick seines Vaters hin gab er nach und trottete wieder aus der Küche. Allerdings ließ er sich mit der Rückkehr Zeit, und obwohl man ihm ansah, dass er Hunger hatte, stocherte er missmutig in dem leckeren Gericht herum.

»Linus, iss jetzt ordentlich!«, sagte sein Vater streng, und nun stopfte der Kleine gierig alles in sich hinein.

Hannchen hantierte schon geschickt mit dem Löffel, und ihr Vater musste ihr nur wenige Male behilflich sein, was er sehr fürsorglich und geduldig tat.

Wenigstens liebt er seine Kinder, dachte Tabea, und durch sie wird er auch wieder ins Leben zurückkehren.

Laut aber sagte sie: »Im Haus gibt es keine Vorräte mehr, sodass ich nicht vernünftig kochen kann. Ich brauche Putzzeug und Haushaltsgeräte. Ein paar Pflanzen will ich auch mitbringen. Kann ich mir deinen Wagen ausleihen? Meiner ist zu klein dazu.«

»Mein Wagen?«, echote Jonas und sah sie zweifelnd an.

»Ja. Ich kann sogar rückwärts einparken«, setzte sie spöttisch hinzu.

»Schon recht.«

Wie auf allen Bauernhöfen ging man früh zu Bett, und Tabea war so erschöpft, dass sie sofort einschlief. Sie vergaß sogar, ihren Wecker zu stellen, doch dank ihrer inneren Uhr und der strahlenden Helligkeit, die sich über ihr Bett ergoss, wachte sie beizeiten auf. Sie bereitete das Frühstück zu und ging in die Kammer von Linus, der murrend aufstand.

Er hatte seinen Schulranzen nicht ordentlich gepackt und suchte umständlich nach seinen Heften und dem Zeichenblock, sodass viel Zeit verstrich. Als er endlich so weit war, nahm sie ihn beim Arm und führte ihn zu ihrem Wagen, um ihn zur Schule zu fahren.

»Ich kann allein ins Dorf gehen«, beschwerte sich Linus bockig.

»Ich bringe dich so lange zur Schule, bis du dir wieder angewöhnt hast, regelmäßig im Unterricht zu erscheinen«, gab Tabea ruhig zur Antwort.

Das hatte sie mit Susanne vereinbart, auch dass sie Linus bei den Hausaufgaben beaufsichtigte und sich um seine Wissenslücken kümmerte.

»Von dir lass ich mir nichts sagen. Du bist schließlich nicht …«

Linus verstummte, und seine Stimme geriet bedenklich ins Schwanken.

»Das weiß ich. Aber deiner Mutter tät es net gefallen, wenn du durch die Gegend streunst, anstatt in die Schule zu gehen.«

»Ich streune net durch die Gegend«, erwiderte er, und dann sagte er kein einziges Wort mehr, auch nicht, als er das Auto verließ, nachdem Tabea gegenüber der kleinen Dorfschule angehalten hatte.

Tabea sah der viel zu dünnen, kleinen Gestalt nach, und ihr Herz zog sich vor Mitgefühl zusammen. Obwohl Linus nicht weniger eigensinnig als sein Vater war, hatte sie ihn, genauso wie Hannchen, gleich in ihr Herz geschlossen.

Sie war nicht gewohnt, einen wuchtigen Land Rover zu fahren, und so brauchte sie später, als sie zu ihren Besorgungen aufbrach, für die Strecke in die Kreisstadt länger als geplant, denn sie fuhr sehr vorsichtig. Da Jonas ihr wortlos eine beträchtliche Geldsumme überreicht hatte, konnte sie großzügig einkaufen, und sie erstand auf dem Markt auch Hängegeranien und verschiedene Pflanzen für die Terrakottatöpfe vor dem Haus. Auch die Küchenkräuter hatte sie nicht vergessen, und als sie auf die Uhr sah, war es höchste Zeit zurückzukehren.

Sie kam gerade rechtzeitig an, als die Schulglocke läutete und das Unterrichtsende ankündigte. Linus war einer der Letzten, die die Schule verließen, und sie erkannte sofort, dass er dem Impuls folgen wollte davonzurennen, in die ersehnte Freiheit, doch Tabea sprang schnell aus dem Auto und verstellte ihm den Weg.

»Ich hab allerhand Leckeres aus der Kreisstadt mitgebracht«, sagte sie freundlich, aber der Junge zeigte sich wenig beeindruckt.

Doch er folgte ihr mit hängendem Kopf zum Wagen und ließ sich stumm zu seinem Elternhaus bringen. Er aß auch von dem mitgebrachten Essen, und nach einer Ruhepause machte er unter Tabeas Aufsicht seine Hausaufgaben. Sie hatten einiges an Stoff nachzuholen, den er versäumt hatte, doch Tabea erkannte schnell, dass Linus ein sehr begabtes Kind mit rascher Auffassungsgabe war, dem alles leichtfiel. Wahrscheinlich zu leicht, sodass es ihn wenig kümmerte, ob er etwas verpasste. Vermutlich langweilte er sich auch im Unterricht, weil er unterfordert war.

Danach durfte Linus hinaus ins Freie, und er kehrte erst zum Abendessen zurück. Wahrscheinlich war er wieder auf einem ausgedehnten Streifzug durch die Umgebung gewesen, denn er sah aus, als wäre er durch dichtes Unterholz gekrochen. Er aß seinen Teller leer, was Tabea mit einer gewissen Befriedigung erfüllte, und ging widerstandslos zu Bett. Er war kein Kind, das danach verlangte, dass man ihm vorlas.

Sie wusste nicht, was Jonas Meringer während ihrer Abwesenheit am Morgen getan hatte, hatte jedoch den Eindruck, dass er sich aufgerafft und aus dem Haus gegangen war. Am Mittag hörte sie, dass er in der Scheune herumhantierte, vermutlich reparierte er eines der landwirtschaftlichen Geräte.

Sie nahm es als ein gutes Zeichen, dass er sich nicht länger in seinem Schmerz vergrub und sich langsam wieder in seine Pflichten als Hofbauer einfand. Er gab ihr jedoch zu verstehen, dass er keine Gesellschaft wünschte, und so blieb sie abends nach getaner Arbeit nicht noch in der Stube, sondern ging in ihre Kammer hoch, was ihr ganz recht war.

Vor Tabea lag noch viel Arbeit, denn der völlig heruntergewirtschaftete Haushalt ließ sich nur in kleinen Schritten wieder in Schwung bringen. Da sich Tabea zusätzlich um die Kinder kümmern musste, gab es immer wieder unvorhersehbare Unterbrechungen, die ihre Pläne ins Stocken brachten.

Und sie musste sich auch mit Rückschlägen abfinden. Linus verschwand immer wieder und trotzte ihren Versuchen, ihn zum regelmäßigen Schulbesuch zu bewegen. Wenigstens ließ sein Äußeres nicht mehr zu wünschen übrig, er sah nicht mehr vernachlässigt und unterernährt aus, immerhin das hatte sie erreicht.

Hannchen entwickelte sich so weit gut, aber sie jammerte oft nach ihrer Mutter und ließ sich selbst von ihrem Vater nicht trösten. Jonas Meringer war zwar aus seiner Lethargie erwacht, doch er war wortkarg und verschlossen, wechselte selten ein Wort mit Tabea.

An ihrem freien Tag führte ihr Weg sie gewöhnlich zu Susanne. Die beiden Freundinnen verbrachten angenehme Stunden mit langen Gesprächen auf der kleinen Terrasse hinter dem Haus, die mit Blauregen zugewachsen war. Das war der einzige Lichtblick nach einer harten Arbeitswoche, denn Tabea fühlte sich auf dem Meringer-Hof einsam. Ihre Bemühungen wurden nicht anerkannt, und sie hatte dort keinen Ansprechpartner.

»Geht es dem Jonas Meringer jetzt etwas besser?«, fragte Susanne, als sie wieder zusammensaßen und dem köstlichen Obstkuchen, den sie selbst gebacken hatte, Ehre erwiesen.

»Er scheint sich wieder mehr um den Hof zu kümmern und um die Kinder auch. Aber darüber hinaus nimmt er an nichts Anteil. Wahrscheinlich weiß er noch nicht einmal, wie ich genau aussehe«, gab Tabea zur Antwort.

»Da verpasst er ja etwas«, lachte Susanne.

Tabea zuckte die wohlgerundeten Schultern.

»Ich hab den Eindruck, dass der nie wieder eine Frau anschaut. Das wird so ein griesgrämiger Witwer, der sich auf seinem Hof vergräbt und nichts mehr von der Welt wissen will. Die Kinder können einem leidtun, dass sie in dieser bedrückenden Atmosphäre aufwachsen müssen. Mit der Mutter haben sie auf gewisse Weise auch den Vater verloren.«

»Mit dem Linus ist es ja besser geworden …«

»Aber immer noch kommt er mir aus, statt in die Schule zu gehen. Ich kann ihn doch net jeden Tag ins Dorf fahren«, sagte Tabea und seufzte.

»Das geht halt net auf einmal. Aber er beteiligt sich besser am Unterricht, er ist ja ein schlaues Bürscherl«, meinte Susanne.

»Dem Hannchen geht es ganz gut, es weint nur immer wieder nach seiner Mutter. Es wär vielleicht besser, wenn die Kleine in den Kindergarten gehen tät, damit sie Spielkameraden findet. Das hab ich dem Jonas auch gesagt, aber er sperrt sich dagegen. Er hängt sehr an Hannchen«, berichtete Tabea weiter.

»Der Jonas soll immer sehr umgänglich gewesen sein, obwohl man es ihm hier net leicht gemacht hat. Er scheint sich ja sehr verändert zu haben«, meinte Susanne.

»Er redet mir net rein und lässt mich ungestört wirtschaften, wenigstens das. Aber hauptsächlich deshalb, weil ihm alles gleichgültig geworden ist. Wenn er die Kinder net hätt, müsst man Angst um ihn haben. Doch weshalb hat man es ihm hier net leicht gemacht?«, setzte Tabea neugierig hinzu.

»Mir ist so einiges zu Ohren gekommen, das lässt sich net verhindern, auch wenn man Klatsch und Tratsch aus dem Weg geht …«

»Manchmal ist das aber sehr nützlich«, wandte Tabea ein.

»Schon. Also der Jonas stammt aus einer sehr armen Familie, die gering geschätzt wurde. Doch er war so begabt, dass Hochwürden dafür gesorgt hat, dass er an einer Klosterschule unterkam. Er ist zwar net Priester geworden, aber er konnte studieren und wurde Agraringenieur. Als er zurückkam, war das kleine Anwesen seiner Eltern unter den Hammer gekommen, sie selbst starben rasch nacheinander …«

»So früh schon stand er allein da. Sicher wollt er dann weg von hier«, warf Tabea mitleidig ein.

»Aber dann kam die Veronika Meringer wieder ins Dorf zurück, und da war es um ihn geschehen. Die Veronika soll das schönste Madel weit und breit gewesen sein, net hochmütig trotz ihres reichen Vaters; jeder im Dorf hat sie gut leiden können. Und der Jonas ist ja auch ein stattliches Mannsbild, die beiden waren wie füreinander geschaffen.«

»Das war dem Vater von der Veronika aber bestimmt net recht«, wurde sie erneut von Tabea unterbrochen.

»Da sagst was! Heut noch erzählen sich die Dörfler, mit welchen Mitteln er versucht hat, die beiden auseinanderzubringen. Aber die Veronika hat net nachgegeben, obwohl sie sich sonst immer ihrem Vater untergeordnet hat. Sie soll sogar gedroht haben, dass sie mit dem Jonas weggeht, wenn ihr Vater sich weiter gegen ihn stellt. Schließlich hat er eingewilligt, aber nur unter der Bedingung, dass der Jonas den Namen seiner Frau annimmt, damit der Familiennamen erhalten bleibt …

Natürlich war er damit bei den Burschen im Dorf unten durch. So jemand war kein richtiger Mann mehr, und ein Schmarotzer dazu. Und sie waren auch alle neidisch drauf, wie glücklich das junge Paar miteinander war.«

»Und zwei liebe Kinder haben sie ja auch bekommen.«

»Aber der Alte hat es dem Jonas schwer gemacht. Er überschrieb ihm und der Veronika net den Hof und stellte sich jeder Neuerung in den Weg. Der Jonas durfte zwar schwer arbeiten, hatte jedoch nichts zu sagen, was eine große Belastung für das junge Paar gewesen sein musste. Erst als der alte Meringer an einem Schlaganfall gestorben ist – er soll viel getrunken haben –, konnte der Jonas seine Pläne in die Tat umsetzen. Aber den Bauern hat es net geschmeckt, dass der Jonas mit seinem Bio-Hof erfolgreich war.«

»Und dann hat er seine Frau verloren.«

»Sie ist oben an der Klamm abgestürzt, ein furchtbares Unglück. Und seitdem hat der Jonas Meringer keine Freud am Leben mehr.«

Susanne schwieg gedankenvoll, auch Tabea war tief bewegt von dem tragischen Schicksal des Paares, das seinen gemeinsamen Lebensweg einst so hoffnungsvoll begonnen hatte.

»Ich hab inzwischen sogar jemanden kennengelernt, der mit den Meringers verwandt ist«, gestand Susanne und errötete leicht.

Daraus schloss Tabea, dass es sich nur um einen jungen Mann handeln konnte. Das verwunderte sie, denn Susanne war sehr zurückhaltend und hatte ihren Beruf zum Mittelpunkt ihres Lebens erklärt. »Und? Wie ist er? Und wie hast ihn kennengelernt?«

Susanne errötete noch mehr. »Er ist bei der Gemeinde tätig. In der Verwaltung …«

»Ein knochentrockener Mensch also, ein Langweiler, der in der Amtsstube haust«, unterbrach sie ihre Freundin enttäuscht.

»Nein, überhaupt net. Er ist sehr gebildet, er kann gut erzählen und hat mich sogar zum Lachen gebracht«, verteidigte Susanne ihre neue Bekanntschaft.

»Jetzt will ich aber alles ganz genau wissen.«

»Nun gut. Ich war im Rathaus wegen des Hauses, als er mir über den Weg gelaufen ist. Ich hab ihn nach dem Katasteramt gefragt, und so sind wir halt ins Gespräch gekommen. Als wir uns ein paar Tage später wieder auf der Straße getroffen haben, hat er mich in ein Café in die Kreisstadt eingeladen. Wir haben dort einen schönen Mittag verbracht und uns dann öfters getroffen …«

»Das hört sich ja vielversprechend an. Ich freu mich schon darauf, wenn du ihn mir später einmal vorstellst. Aber wie ist er denn mit den Meringers verwandt?«

»Seine Mutter ist die viel jüngere Schwester des alten Pius Meringer. Sie war also die Tante von der Veronika und hat auch mitgeholfen, sie aufzuziehen, weil Veronikas Mutter bei der Geburt gestorben ist«, erklärte Susanne.

»Bist jetzt hat sie sich aber noch net auf dem Hof blicken lassen«, meinte Tabea.

»Sie ist gerade in Kur. Sie scheint sich aber mit dem Jonas net allzu gut zu verstehen. Wahrscheinlich ist sie wie ihr Bruder der Meinung, dass die Veronika etwas Besseres verdient gehabt hätte.«

»Da kann man nur hoffen, dass sie net ganz so schlimm wie der Alte ist. Schon wegen der Kinder«, meinte Tabea.

»Sie hat verlauten lassen, dass sie die beiden gern zu sich nehmen tät, weil ihr Vater sich net so recht um sie kümmern kann«, sagte Susanne.

»Ich weiß ja net«, erwiderte Tabea, »jedenfalls hängt der Jonas an seinen Kindern. Ganz gut, dass ich jetzt auf dem Hof bin. Was weißt denn so über diese Tante? Sie scheint sich gern in alles einzumischen.«

»Die Waldburga Leitbacher ist im Landfrauenverein, sie singt im Cäcilienchor, die Köchin des Pfarrers ist ihre beste Freundin, und sie strebt den Einzug in den Gemeinderat an, damit ihr Bub mal Bürgermeister wird …«

»Jesses! Das klingt ja nach einer furchtbaren Schwiegermutter! Ich wette, der ›Bub‹ wohnt noch zu Haus in seinem Kämmerchen und darf kein Madel mitbringen«, lachte Tabea.

»So schaut’s aus. Aber so weit sind der Franzl und ich noch lang net. Und werden es vielleicht auch nie sein.«

»Schad drum!«

Das Gespräch der beiden jungen Frauen wurde ernster. Beide waren über Mitte zwanzig, was in diesem traditionsgebundenen Gebirgstal bedeutete, dass ihre Heiratschancen nicht mehr sehr gut standen. Denn hier war es üblich, dass die jungen Mädchen sich früh banden, auch wenn die Eheschließung manchmal auf sich warten ließ.

Viele der Höfe waren seit Generationen im Besitz der Familie, und Kinderlosigkeit wurde als großes Unglück betrachtet. Scheidungen erfolgten dann selten, denn das hätte oft den Niedergang eines Hofes bedeutet.

»Ich bin sehr zufrieden in meinem Beruf«, erklärte Tabea entschieden »Die Zeiten sind ja hoffentlich vorbei, dass man jemanden heiraten muss, den man net gern hat, nur um net als alte Jungfer dazustehen.«

»Genauso geht es mir auch. Die Kinder sind mir ans Herz gewachsen. Auf keinen Fall heirate ich einen Mann, der net zu mir steht.«

Es wurde kühler auf der Terrasse, der Abendwind fuhr durch den Blauregen und brachte die beiden jungen Frauen zum Erschauern. Tabea entschloss sich aufzubrechen. Auch wenn es ihr freier Tag war, wollte sie sich davon überzeugen, dass die Kinder heil im Bett lagen.

Die Madeln verabschiedeten sich herzlich voneinander und vereinbarten, sich nächste Woche wieder zu treffen.

»Und halt dir deinen Franzl warm«, scherzte Tabea, und Susanne errötete wieder.

»Den muss ich wohl eher loseisen!«

Die Freundinnen lachten, und Susanne sah Tabea nach, bis ihr kleiner Wagen um die Wegbiegung verschwunden war.

Als Tabea durch das Tor einfuhr, lag der Hof im Dunkeln da, nur aus einem Fenster fiel ein Lichtviereck auf den Vorplatz. Wahrscheinlich saß Jonas Meringer noch über irgendwelchen Abrechnungen, inzwischen hatte er damit angefangen, sich wieder um die finanziellen Belange des Hofes zu kümmern.

Tabea verspürte unvermittelt das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, doch sie schüttelte es hastig wieder ab. Sie sollte sich nicht an einen der Orte binden, an dem sie tätig war, denn sie würde nur eine begrenzte Zeit hierbleiben.

Sie durfte sich den Abschied nicht zu schwer machen.

Zu ihrer Befriedigung stellte sie fest, dass das Essen, das sie vorbereitet hatte, Zuspruch gefunden hatte. Sie ging nach oben und öffnete die Tür zu Hannchens Zimmer. Das Flurlicht fiel herein, und sie sah, dass das Kind mit geröteten Bäckchen friedlich schlief. Ein Märchenbuch, das auf dem Stuhl vor dem Bett lag, verriet, dass Jonas seiner kleinen Tochter vorgelesen hatte, und ein warmes Gefühl erfüllte Tabea.

Auch Jonas schlief, seine Kleider lagen verstreut im Raum herum und natürlich hatte er seinen Schulranzen nicht gepackt.

Aber am wichtigsten war, dass er heimgefunden hatte und unversehrt in seinem Bett lag. Alles andere würde sich finden.

Nun ging auch Tabea zu Bett. Das Treffen mit ihrer Freundin hatte ihr gutgetan, denn obwohl sie sich so viel mit den Kindern befasste, war sie doch sehr einsam auf dem Meringer-Hof und vermisste anregende Gespräche. Mit einem Lächeln auf den Lippen sank sie in einen Schlaf, der so tief war, dass sie am nächsten Morgen beinahe den Wecker überhört hätte.

***

Tabea summte vor sich hin, während sie in der Gemüsebrühe rührte, die herrlich duftete. Danach würde es Germknödel geben mit einer leckeren süßen Soße, was besonders die Kinder gern mochten.

Die Küche sah nun wieder sehr wohnlich aus. Die Kupferkrüge und Pfannen auf den Regalen glänzten vor Sauberkeit, die Gardinen waren frisch gewaschen, und ein Krug mit Wiesenblumen schmückte den Tisch. Irdene Töpfe, die mit Küchenkräutern bepflanzt waren, standen auf dem Fensterbrett, ein Lavendelkranz hing an der Tür.

Es war ein Zuhause, in dem man sich wohlfühlen konnte, nur Jonas Meringer schien es nicht wahrzunehmen.

Tabea schmeckte die Suppe noch einmal ab und entschloss sich dann, etwas Salz dazuzugeben. Vielleicht auch noch etwas Dill …

Plötzlich hörte sie so laute, streitende Stimmen, dass ihr beinahe vor Schreck das Salzfässchen entglitten wäre. Ein weiblicher Diskant schrillte, dazwischen ertönte die dunkle Stimme Jonas Meringers, er klang so wütend, wie Tabea ihn noch nie gehört hatte.

Obwohl die Küchentür geschlossen war, konnte Tabea jedes Wort der Auseinandersetzung deutlich verstehen.

»Ich will, dass die Kinder zu mir kommen, eh sie in deiner Lotterwirtschaft zugrund gehen. Das bin ich der Veronika, Gott hab sie selig, schuldig. Du kannst dich net genug um sie kümmern. Ich weiß genau, dass der Linus die Schule immer wieder schwänzt, weil du ihn so vernachlässigst. Ich werde das Jugendamt benachrichtigen, welche Zustände hier herrschen! Das Sorgerecht sollen sie dir entziehen …«

An dieser Stelle unterbrach Jonas sie barsch, und was er sagte, hatte zur Folge, dass die Frau in wüste Beschimpfungen ausbrach.

»Die Schlüssel soll ich dir geben, damit ich hier nimmer reinkann? Das tät dir so passen! Das hier ist mein Elternhaus, in dem ich aufgewachsen bin, und ich komm und geh, wie ich will. Ich bin eine geborene Meringer, und eigentlich steht mir das zu, net einem wie du, der sich da eingenistet hat. Ich hab es der armen Veronika tausend Mal gesagt, dass du nichts taugst, und jetzt lässt du auch noch ihre Kinder verwahrlosen. Aber das lass ich net zu, niemals, und wenn ich vor Gericht gehen muss!«

»Wenn du net gleich verschwindest …«

Unbeeindruckt von Jonas Meringers Drohung, fegte die Frau durch das ganze Haus, und zuletzt riss sie ungestüm die Küchentür auf und prallte erstaunt zurück, denn auf Tabeas Anblick war sie nicht vorbereitet.

»Wer bist denn du?«, fragte die Ältere argwöhnisch.

»Ich bin die Tabea May und arbeite hier als …«

Die Frau, in der Tabea Walburga Leitbacher vermutete, lachte höhnisch auf und musterte das Madel abschätzig von Kopf bis Fuß.

»Arbeiten, dass ich net lach! Da hat er aber schnell Ersatz gefunden für die arme Veronika. Dass du dich net schämst, so schnell ihren Platz hier auf dem Hof einzunehmen, obwohl sie kaum unter der Erd ist!«

»Ich bin hier als Dorfhelferin eingesetzt, das hat alles seine Ordnung«, gab Tabea in bestimmtem Ton zurück, was seine Wirkung nicht verfehlte.

Walburga verstummte für einen Augenblick und gab Tabea so Gelegenheit, ihr Gegenüber kurz zu mustern. Die Leitbacherin war eine plumpe, reizlose Frau, die weitaus älter und matronenhafter wirkte, als es ihrem tatsächlichen Alter entsprach. Sie trug ein abgetragenes Trachtendirndl mit unpassend tiefem Ausschnitt und bauschigen Ärmeln; das Ganze wurde von klobigen Schuhen vervollständigt.

Doch nicht der unvorteilhafte Aufzug war es, der so abstoßend an Walburga Leitbacher wirkte. Ihr breites Gesicht mochte früher sogar einmal auf eine bäuerlich derbe Art hübsch gewesen sein, doch jetzt hatten sich tiefe Linien der Unzufriedenheit eingekerbt, und in ihren hellen, farblosen Augen glomm die reinste Bösartigkeit.

Walburga ließ ihre Blicke in der Küche umherschweifen, um Anzeichen von Vernachlässigung auszumachen, doch alles war in tadellosem Zustand, sodass sie wütend die Lippen zusammenkniff.

Doch dann wandte sie sich um, weil sie bemerkt hatte, dass Linus nach Hause gekommen war, und sofort hatte sie wieder Oberwasser. Auch Tabea trat auf den Flur und musste leider feststellen, dass Linus wohl wieder einen Abstecher zu dem Gebirgsbach gemacht hatte, der in der Nähe vorbeifloss.

Seine Strümpfe waren feucht, die Schuhe schlammig, und sein Hemd, das er morgens frisch angezogen hatte, wies zahlreiche Schmutzstreifen auf und hing aus der Hose.

»Wie schaust denn du aus, Buberl? Völlig verwahrlost! Kein Wunder bei einem solchen Vater. Diese Zustände kann man doch net anstehen lassen!«, giftete Walburga und wollte nach dem Kleinen greifen, doch Linus entzog sich ihr mit einer raschen Bewegung und rannte wieder aus dem Haus.

»So verwildert ist der Linus, dass er seine eigene Patin nimmer erkennt«, jammerte Walburga in den höchsten Tönen.

Hannchen, die auf dem Sofa saß, begann vor Angst, laut zu weinen, und Walburga stürzte sich auf sie.

»Du armes Butzerl, du! Bei mir wärst du besser aufgehoben. Wenn die arme Veronika wüsst, was aus ihren Kindern geworden ist!« Sie wiegte die Kleine hektisch hin und her, sodass das Kind noch lauter weinte und Jonas es fast gewaltsam wieder an sich riss.

»Lass dich nimmer hier blicken!«, presste er hervor.

Er war bleich vor Zorn, und seine dunklen Augen glommen wie Kohlen.

Walburga stieß einen verächtlichen Laut aus, dann wandte sie sich Tabea, ihrem nächsten Opfer, zu. »Und du schaust, dass du wieder Land gewinnst! Solche wie du reden von guten Werken, aber im Grund genommen sind sie nur auf eine gute Heirat aus …«

»Es reicht!« Jonas ergriff Walburga unsanft am Arm und schob sie durch den Flur zur Tür hinaus.

»Es ist noch net aller Tage Abend«, keifte sie, ehe sie in ihren klapprigen Wagen stieg und mit aufheulendem Motor davonfuhr.

»Jesses«, murmelte Tabea.

»Das tut mir leid«, sagte Jonas, während er versuchte, Hannchen, die immer noch jämmerlich weinte, zu beruhigen.

Tabea zuckte mit den Schultern und versuchte zu lächeln, was nicht ganz gelang, die kränkenden Worte der Leitbacherin hatten sie doch getroffen.

»Darauf sollten wir einen Obstler trinken, wenn ‚s recht ist«, schlug Jonas vor und holte eine bauchige kleine Flasche aus dem Küchenschrank.

»Ja, den tät ich jetzt brauchen«, erwiderte Tabea.

»Die Walburga-Tant ist wie eine Naturkatastrophe, man kann nur versuchen, in Deckung zu gehen und den Schaden gering zu halten«, sagte Jonas abbittend und reichte ihr das Stamperl mit dem Selbstgebrannten.

Tabea leerte den Inhalt in einem Zug, aber der Obstler war so stark, dass sie husten musste und ihr Tränen in die Augen traten. »Der ist aber herb!«, keuchte sie.

»Er stammt noch von meinem Schwiegervater selig, der war auch ein herber Mann. Ich hätt dich warnen sollen.«

»Man hat es net immer leicht mit der Verwandtschaft«, meinte Tabea, die sich nur mühsam von dem scharfen Getränk erholte.

»Da sagst was! Nur die Veronika, die war …« Er verstummte und widmete sich seiner kleinen Tochter, die den Besuch der Großtante glücklicherweise schon vergessen zu haben schien.

Zum ersten Mal unterhielten sich Jonas und Tabea richtig miteinander. Er schilderte, wie Walburga immer wieder versucht hatte, sich in alles einzumischen, vor allem, seitdem Veronika nicht mehr am Leben war. Und irgendwie kamen sie sich im Gespräch näher, wurden Verbündete gegen Walburga Leitbacher.

»Man darf sie halt net ernst nehmen«, schloss Jonas leichthin und kehrte mit seiner Tochter auf dem Arm in die Stube zurück, während Tabea sich wieder am Herd zu schaffen machte.

Tabea hatte ihm darauf keine Antwort gegeben, sie teilte seine Meinung nicht.

***

»Das hat sie wirklich gesagt, die Leitbacherin, dass du nur auf eine Heirat aus wärst?«, fragte Susanne ungläubig und schüttelte den Kopf.

Die beiden Freundinnen saßen wieder an Tabeas freiem Tag beieinander auf der lauschigen Terrasse, und wie bei dem letzten Treffen meinte es das Wetter gut mit ihnen. Tabea hatte der jungen Lehrerin gerade den Besuch Walburga Leitbachers auf dem Meringer-Hof in allen Einzelheiten geschildert.

»Es ist kaum zu glauben, was sie sich herausnimmt!«

»Und die Schlüssel hat sie auch net herausgerückt, sie betrachtet den Meringer-Hof nach wie vor als ihr Elternhaus, wo sie jederzeit freien Zugang hat. Irgendwie kann man das ja auch verstehen, aber so, wie sie sich aufführt …«

»Ich hab ja noch einiges über sie erfahren, was erklärt, warum sie so eine Giftnocken geworden ist«, warf Susanne ein.

»Ach?«

»Eigentlich hat sich ja bei der Walburga alles gut angelassen, als sie jung war. Sie soll ja früher ganz ansehnlich gewesen sein, obwohl man jetzt nichts mehr davon sieht. Auf jeden Fall hat sie die größte Mitgift von allen Madeln im Tal zu erwarten gehabt, und sie hat auch den Mann bekommen, in den sie sich verliebt hat, den Xaver Leitbacher. Er soll zu seiner Zeit ein fescher Bursch gewesen sein, und da er net nur einen Hof, sondern auch ein Sägewerk von seinen Eltern geerbt hatte, ist der alte Pius Meringer mit der Heirat einverstanden gewesen und hat ihnen seinen Segen gegeben. So weit, so gut.«

»Aber dabei blieb es wohl net?«

»Der fesche Xaver hat es wohl hauptsächlich auf Walburgas Mitgift abgesehen gehabt, denn er ist wohl bald eigene Wege gegangen, selbst als sein Sohn schon geboren war. Böse Zungen behaupten, Walburgas unleidliches Wesen hätten ihn vom heimischen Herd weggetrieben, angeblich hätte es auch andere Frauen gegeben. Auf jeden Fall hat der Xaver net gut gewirtschaftet, denn er hat bald das Sägewerk zugrunde gerichtet, und mit dem Hof ging es auch ziemlich bergab. Walburgas ganze Mitgift ist dahingeschwunden, und wahrscheinlich hat ihr Vater noch ausgeholfen, damit ihnen net auch der Hof verloren ging.«

»Das kann jemanden wie die Walburga Leitbacher schon sehr verbittern«, meinte Tabea betroffen.

»Aber sie hat es immer fertiggebracht, den Schein zu wahren, auch wenn jeder weiß, dass ihr Mann, der Xaver, eher in der Wirtschaft lebt als zu Haus. Ihr Mann ist ihr zwar ausgekommen, dafür hat sie ihren Sohn, den Franzl, unter ihrer Fuchtel, und den lässt sie net aus ihren Krallen. Er hat es noch net einmal geschafft, vom Hof wegzuziehen.«

»Der Franz Leitbacher ist ein wirklich schmucker Bursch, er sieht seiner Mutter gar net ähnlich«, meinte Tabea. Sie hatte Franz Leitbacher inzwischen durch einen Zufall kennengelernt und hatte es kaum fassen können, dass er Walburgas Sohn sein sollte. Er sah nicht nur ausnehmend gut aus, sondern hatte auch einen angenehm freundlichen Umgangston, ganz im Gegensatz zu seiner grimmigen Mutter.

»Ja, er ist ein stattliches Mannsbild, er schlägt äußerlich seinem Vater nach, aber er ist tüchtiger als er«, erwiderte Susanne mit leuchtenden Augen.

»Die Madeln müssten doch reinweg narrisch nach ihm sein, aber darüber haben wir ja schon einmal geredet …«

»Ja. Die Walburga hat bis jetzt eine jede vergrault, die es gewagt hat, in die Nähe ihres Sohnes zu kommen. Aber gleichzeitig kommt sie dadurch ihrem Ziel net näher, dass er Bürgermeister wird, denn wer respektiert schon ein Muttersöhnchen?«

Die beiden jungen Frauen lachten, auch wenn in Susannes Augen eine gewisse Wehmut schimmerte. Es war unschwer zu erkennen, dass sie trotz allem immer noch von Franz Leitbacher angetan war.

»Triffst dich eigentlich noch mit ihm?«, wagte es Tabea zu fragen.

Susanne nickte. »Hin und wieder auf einen Kaffee in der Kreisstadt. Einmal hab ich das Gespräch auf seine Mutter gebracht, aber da ist er ganz schnell ausgewichen, und die Stimmung ist richtig ungemütlich geworden. Danach sind wir auch bald aufgebrochen, und er war so bedrückt, dass er mir fast leidgetan hat.«

Tabea stieß einen missbilligenden Laut aus. »Weißt, diese Walburga Leitbacher, die ist mir einfach net geheuer. Ich mach mir echt Sorgen, dass sie etwas wegen der Kinder unternimmt, und sei es nur aus purer Bosheit, weil sie dem Jonas das Erbe net gönnt.«

»Wirst noch lang auf dem Hof bleiben?«

»Eine Weile schon noch. Der Haushalt ist wieder so weit in Ordnung, aber dem Jonas geht es immer noch net gut, auch wenn er wieder mehr arbeitet und nimmer den ganzen Tag herumliegt. Kommt der Linus jetzt in der Schule mit?«

Susanne nickte. »Er ist sehr begabt, er kommt fast ohne Lehrer aus, was er leider auch weiß.«

»Ich wünscht nur, er wär zuverlässiger und tät net immer wieder schwänzen. Schließlich soll er übernächstes Jahr auf die Schule in der Stadt. Und das nimmt die Leitbacherin zum Anlass, dass sie seinem Vater unterstellt, er tät sich net genug um das Kind kümmern. Sie will unbedingt, dass die beiden bei ihr auf dem Hof aufwachsen.«

Susanne schauderte es. »Das darf ich mir erst gar net vorstellen.«

Sie plauderten noch eine Weile über Allgemeines, aber beide waren mit ihren Gedanken nicht dabei. Und daran war Walburga Leitbacher schuld. Tabea wollte unbedingt verhindern, dass sie gewaltsam in das Leben der Kinder eingriff, und Susanne befürchtete, dass sie ihrer Beziehung mit Franzl im Weg stehen würde.

»Nächste Woche ist die Gründungsfeier vom Cäcilienverein, ich bin schon dabei, ein paar Lieder einzuüben, die meine Klasse vortragen soll. Danach findet ein Tanz statt, wenn die vielen Reden der Honoratioren überstanden sind. Sollen wir net miteinander hingehen? Ich war schon lang nimmer tanzen«, schlug Susanne vor.

»Warum net? Ich bereite alles vor und komm ein bisserl später. Ich bin mir sicher, es findet sich jemand, der gern mit dir tanzen will«; gab Tabea neckend zurück.

Susanne errötete. »Ach geh! Das allein ist net der Grund«, gab sie nicht sehr überzeugend zurück, und Tabea brach in Gelächter aus.

»Lassen wir uns überraschen!«, meinte Susanne.

Die Freundinnen umarmten sich zum Abschied, und Tabea kehrte gut gelaunt zum Meringer-Hof zurück.

***

Tabeas Befürchtungen, was Walburga betraf, bewahrheiteten sich. Immer wieder stattete sie überfallsartig Besuche auf dem Meringer-Hof ab, manchmal drang sie auch durch die Hintertür ein, die zu der Küche führte, sodass Tabea fast zu Tode erschrak, wenn sie sie dort unversehens vorfand.

Sie schien alles zu beobachten; ihre ganze Haltung hatte etwas Lauerndes, was Tabea, die sonst ziemlich unerschrocken war, Furcht einjagte. Sie war sogar davon überzeugt, dass sie sich heimlich in Jonas Meringers Arbeitszimmer schlich und in seinen Papieren wühlte, um etwas zu finden, das sie gegen ihn verwenden konnte.

Sie war der böse Geist des Meringer-Hofes.

Eines Mittags kam Linus mit roten Augen, zerrissenem Hemd und einem tiefen Kratzer auf der Wange nach Hause, ohne Zweifel war er mit jemandem aneinandergeraten. Doch es lastete etwas auf ihm, das weitaus schlimmer war als eine Schulhof-Rauferei, und das erweckte ein ungutes Gefühl in Tabea.

»Habt ihr euch in die Haare bekommen? Was hat’s denn gegeben?«, fragte sie.

Linus schwieg verstockt.

»Muss ich erst deine Lehrerin anrufen?« Plötzlich hatte Tabea die Geduld mit dem schwierigen Jungen verloren, obwohl sie sich sofort Selbstvorwürfe machte.

Unvermittelt strömten Tränen über das Gesicht des Jungen, und er schluchzte auf, sodass Tabeas Verärgerung sofort dahinschwand. Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen und tröstend an sich gedrückt.

»Der Angerer-Seppi, was der gesagt hat über meine Mutter …«

Seine Worte wurden von heftigem Weinen erstickt, und nun legte Tabea doch den Arm um den Kleinen, und er lehnte sich vertrauensvoll an sie.

»Was hat er denn gesagt? Vielleicht hast du etwas missverstanden, und es war gar net so schlimm gemeint.«

Linus schüttelte heftig den Kopf. »Der Seppi meint immer, was er sagt.«

»Was hat er denn nun behauptet?«

»Dass jemand meine Mutter in die Klamm gestoßen hätt, dass es kein Unfall gewesen wär.«

Tabea erstarrte. »Da hat er irgendetwas Falsches gehört und es nachgeplappert. Da musst nichts drauf geben, Linus.«

Doch das Kind schenkte ihren Worten keine Beachtung.

»Und dann hat er noch gemeint, man wüsst ja, wer das gewesen wär und dann hat er gelacht und mit den anderen getuschelt. Die schauen mich jetzt ganz sonderbar an, und eines der Mädchen hat sogar gefragt, wie das wär, mit so einem Vater …«

Linus konnte nicht mehr weitersprechen.

»Das ist doch alles dummes Gerede, das darfst du net glauben. Ich werde sofort mit deiner Lehrerin sprechen.« Sie zog das Kind an sich, wiegte es tröstend, und Linus gab sich ganz seinem überwältigenden Schmerz hin.

»In die Schul geh ich nimmer«, stieß Linus dann hervor, als er seine Stimme wiedergefunden hatte.

»Jetzt setz dich erst mal hin und iss etwas Ordentliches, dann werden wir schon sehen«, gab Tabea zurück.

Es war jetzt nicht an der Zeit, sich mit dem Jungen darüber auseinanderzusetzen. Außerdem wollte sie sich zuerst einmal mit Susanne besprechen. Tabea brachte es nicht über sich, Jonas Meringer etwas von dem zu berichten, was sich zugetragen hatte, und auch Linus schwieg sich aus, als alle am Tisch saßen.

»Ich hab mich mit dem Seppi gerauft«, sagte Linus nur mit gesenktem Kopf, als sich sein Vater erkundigte, wie er zu der Verletzung auf der Wange gekommen sei.

»Das muss net sein«, murmelte Jonas missbilligend.

Er war den ganzen Morgen draußen auf dem Feld gewesen, denn allmählich hatte er wieder in den üblichen Arbeitsrhythmus zurückgefunden. Es würde dauern, bis der Meringer-Hof wieder auf dem früheren Stand war, und von dem Hofladen, Veronikas Domäne, war überhaupt nicht mehr die Rede.

Rein äußerlich erweckte Jonas wieder den Anschein eines gesunden Mannes. Sein Gesicht war gebräunt, und er bewegte sich wieder voller Spannkraft, aber seine Augen waren umschattet, und seine Züge trugen einen düsteren Ausdruck. Er war ein zutiefst unglücklicher Mensch.

»Ich wollt deswegen auch mit seiner Lehrerin sprechen. Kann ich heut Abend kurz weg?«, fragte sie.

»Ja, natürlich. Ich pass schon auf die beiden auf.«

Tabea kündigte ihr Kommen vorher telefonisch an, damit sie sicher sein konnte, dass sie Susanne tatsächlich zu Hause antraf. Sie verbrachte den Mittag in angespannter Stimmung und hatte Mühe, nicht ungeduldig mit Hannchen zu werden, die heute etwas quengelig war und nicht alleine spielen wollte.

Da Tabeas Anruf so dringlich geklungen hatte, stand Susanne mit besorgter Miene in der Tür, als die Freundin aus dem Wagen stieg.

»Ist etwas mit dem Linus? Er soll sich ja mit dem Seppi gerauft haben«, wurde Tabea von der jungen Lehrerin begrüßt.

»Ja, deswegen bin ich hier. Net wegen der Rauferei an sich, sondern warum es dazu gekommen ist.«

Heute saßen die Freundinnen nicht auf der Terrasse, um die Abendstimmung zu genießen, sondern Susanne führte sie in das kleine Wohnzimmer, wo ein gemütliches Sofa, das sie neu erworben hatte, zum Sitzen einlud. Denn es hatte sich am Nachmittag bezogen, und ein für die Jahreszeit ungewohnt kalter Wind fuhr um das Haus.

Tabea fasste zusammen, was Linus ihr berichtet hatte, und Susanne erblasste und starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an.

»Das ist ja ungeheuerlich, so ein Gerücht in die Welt zu setzen! Das sieht den Angerers ähnlich, die säen nichts als Unfrieden. Wie muss dem Linus zumut sein, dass man seinen Vater verdächtigt, der Mutter etwas getan zu haben!«, stammelte Susanne fassungslos und fuhr sich immer wieder durch das Haar.

»Der Linus mag jetzt überhaupt nimmer in die Schul gehen«, sagte Tabea bedrückt. »Und dass er net mit seinem Vater darüber sprechen kann und will, ist auch schlimm. Der Bub tut mir von Herzen leid.«

»Lass ihn doch erst einmal unter einem Vorwand zu Haus!«, schlug Susanne vor. »Ich sprech derweilen mit dem Angerer.«

»Das ist net so leicht.«

»Wer diese Gerüchte wohl in die Welt gesetzt hat?«, fragte Susanne nach längerem Überlegen niedergeschlagen.