Heimat-Roman Treueband 24 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 24 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 182: Ihr Liebster war verschwunden
Bergkristall 263: Tränen im siebten Himmel
Der Bergdoktor 1721: Träumereien einer Magd
Der Bergdoktor 1722: Denn heut will ich leben und lieben
Das Berghotel 119: Drohende Gefahr im Berghotel

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 619

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © L Julia/shutterstock ISBN 978-3-7517-1191-3 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Traudl Anrainer, Margit Hellberg, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 24 - Sammelband

Inhalt

Traudl AnrainerAlpengold - Folge 182Wie jeden Abend wartet die schöne Wallner-Anni im Schatten hoher Bäume auf ihren Liebsten, den jungen Toni Hochberger, um mit ihm ein paar heimliche Busserln zu tauschen. Die Kirchturmuhr schlägt neun, dann zehn und elf - doch von dem feschen Bergführer ist nichts zu sehen. Seltsam, denkt Anni traurig, ob Toni sich vom Vater tatsächlich hat schrecken lassen? Eine Woge von Kummer schlägt über ihr zusammen, als sie wieder an den bösen Streit zwischen Toni und dem Vater denkt. Nein, Toni ist dem reichen Wallner-Bauern als Hochzeiter seiner Einzigen nicht gut genug! Lautstark hat er den "armen Schlucker und Hungerleider" vom Hof gewiesen ... Schweren Herzens kehrt Anni auf den Wallner-Hof zurück - um in der Nacht entsetzt aus dem Schlaf zu fahren: Da stehen Wohnhaus und Stallungen in hellen Flammen! Und von Toni Hochberger, der kurz darauf verdächtigt wird, den Brand gelegt zu haben, fehlt jede Spur ...Jetzt lesen
Margit HellbergBergkristall - Folge 263Ganz still sitzt Katharina auf dem Beifahrersitz, und um jeden Kilometer, den der Geländewagen zurücklegt, tut es ihr leid. So wohl, so geborgen hat sie sich lange nicht mehr gefühlt wie jetzt in der Gesellschaft von Christian Steiger. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie ihn vor einer Stunde noch gar nicht gekannt hat. Er und sein Bruder haben sie aus einer gefährlichen Lage gerettet, und nun bringt Christian sie nach Hause. Wenn er nur nicht gar so wortkarg, so zurückhaltend wäre! Immerhin spürt sie, dass er sie ab und zu interessiert von der Seite anschaut, aber nur ganz kurz, leider ... Gleich sind sie da, bei ihr daheim; sie wird aussteigen - und dann? Was tun, wenn er sie einfach gehen lässt?Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1721Niemand in St. Christoph ahnt etwas von Franziskas Geheimnis. Die stille, unscheinbare Magd tritt einmal in der Woche in Mayrhofen als Sängerin auf. Unter ihrem zweiten Vornamen Zita schlüpft sie dann in fesche Dirndl und macht sich so auffällig zurecht, wie sie es im Alltag niemals wagen würde. Mit ihren Heimatliedern reißt sie ihr Publikum mit. So mancher Mann würde der schönen Zita gern näherkommen, aber ihr Herz ist nicht mehr frei. Heimlich ist sie seit Langem in ihren Nachbarn verliebt, auch wenn Veit keinen Blick für sie übrig hat. Da führt das Schicksal Veit eines Abends in das Lokal, in dem Franziska auftritt. Er erkennt die junge Sängerin nicht, aber ihre gefühlvollen Lieder und ihr Lächeln bezaubern ihn. Keinen Blick kann er von ihr lassen, deshalb lädt er sie nach ihrem Auftritt zu einem Spaziergang im Mondschein ein ...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1722Wie lange kann er sein Leiden noch geheim halten? Sein Arzt in Wien hat Leon Dornauer eindringlich davon abgeraten, die geplante Urlaubsreise ins Zillertal anzutreten. Er leidet unter einer weit fortgeschrittenen Herzbeutelentzündung und müsste sofort in die Klinik gehen. Doch Leon weigert sich, denn er hat sich vorgenommen, seiner Freundin in St. Christoph einen romantischen Heiratsantrag zu machen. Zwei Wochen, so hofft er, wird er mit genügend Schmerzmitteln schon noch überstehen ... Ein fataler Irrtum! Während eines Ausflugs in die Berge bekommt Leon plötzlich unerträgliche Schmerzen, dann bricht er in Ninas Armen zusammen ...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 119Hedi Kastler, die Inhaberin des Berghotels, ist von ihrem neuen Gast Cornelius sehr angetan. Der freundliche junge Mann ist äußerst sympathisch und dabei auch noch auffallend attraktiv. Zusammen mit seiner Schwester Eva-Maria verbringt er seinen Urlaub im Berghotel. Besonders das Reiten scheint ihn zu begeistern, mehrmals bucht er über Hedi Kastler Wanderritte, welche von dem einheimischen Madel Leni Wallner geleitet werden. Leni versteht sich mit Cornelius auf Anhieb blendend, zwischen ihnen sprühen schnell die Funken. Glücklich berichtet das Madel Hedi Kastler, dass es sich in den anziehenden Mann verliebt hat. Doch dann macht die Hotelchefin eine verstörende Entdeckung: Sie sieht, wie sich Eva-Maria und Cornelius äußerst leidenschaftlich küssen. Wie kann das sein? Hegen die beiden verbotene Gefühle füreinander? Oder sind sie etwa gar keine Geschwister? Doch was auch immer sich Hedi auszumalen versucht, sie ahnt nicht einmal, welch perfides Spiel Cornelius und Eva-Maria spielen - und in welch großer Gefahr Leni schwebt ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Ihr Liebster war verschwunden

Vorschau

Ihr Liebster war verschwunden

Als im malerischen Dörfchen Tannenbach eine Tragödie geschah

Von Traudl Anrainer

Wie jeden Abend wartet die schöne Wallner-Anni im Schatten hoher Bäume auf ihren Liebsten, den jungen Toni Hochberger, um mit ihm ein paar heimliche Busserln zu tauschen. Die Kirchturmuhr schlägt neun, dann zehn und elf – doch von dem feschen Bergführer ist nichts zu sehen.

Seltsam, denkt Anni traurig, ob Toni sich vom Vater tatsächlich hat schrecken lassen? Eine Woge von Kummer schlägt über ihr zusammen, als sie wieder an den bösen Streit zwischen Toni und dem Vater denkt. Nein, Toni ist dem reichen Wallner-Bauern als Hochzeiter seiner Einzigen nicht gut genug! Lautstark hat er den »armen Schlucker und Hungerleider« vom Hof gewiesen …

Schweren Herzens kehrt Anni auf den Wallner-Hof zurück – um in der Nacht entsetzt aus dem Schlaf zu fahren: Da stehen Wohnhaus und Stallungen in hellen Flammen! Und von Toni Hochberger, der kurz darauf verdächtigt wird, den Brand gelegt zu haben, fehlt jede Spur …

Es war an einem trüben Tag Ende Juni. Die Berge steckten ihre Gipfel in die niedrig hängenden Wolken, und deswegen verspürte keiner der Fremden im Tal Lust, das Hotel oder die Pension zu verlassen und in die Berge aufzusteigen. So etwas bedeutete für Bergführer Toni Hochberger immer einen Verdienstausfall, und der traf ihn ziemlich hart.

Heute war es also nichts mit dem Bergführen. Nicht einmal Astrid, die blonde, ein wenig pummelige Dänin, die mit ihren Eltern im Hotel »Alpenblick« wohnte und Toni verliebte Augen machte, hätte sich an diesem Tage seiner Obhut anvertrauen mögen.

So war denn der Hochberger-Toni nach einem frühen Blick aus dem Fenster gar nicht erst hinüber nach Oberwies gefahren, wo die vielen Hotels und Pensionen standen, sondern war in seinem abseits gelegenen Heimatdorf geblieben und hatte sich noch einmal ins Bett gelegt.

Gegen die niedrige Balkendecke seiner Schlafkammer hatte er gestarrt und sich in schönen, fantasievollen Träumen verloren. Zum Beispiel hatte er sich vorgestellt, dass die pummelige Astrid aus Dänemark nicht eher Ruhe geben würde, bis er sie geheiratet hatte – sie, die Tochter eines Käsemillionärs.

Der Vater würde seiner Tochter und ihrem Ehemann gewiss ein schönes Fremdenhotel bauen, sodass Toni fortan nicht mehr in die Berge steigen und sich mit seinen Schützlingen herumärgern musste, die zwar auf die höchsten Gipfel hinaufwollten, aber zu faul waren, länger als eine halbe Stunde einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Aber weil die Idee mit dem Käsemillionär gar zu abwegig war, wandte sich Toni lieber realeren Wunschvorstellungen zu, und da brauchte er gar nicht lange zu überlegen, welche ihm am verlockendsten erschien. Da war nämlich Anni Wallner, ein bildhübsches Madl mit dichtem dunklem Haar, blitzenden Augen und einer Figur, dass einem das Wasser im Munde zusammenlaufen konnte, und sie hatte den unschätzbaren Vorzug, in genau demselben Dorf zu leben wie Toni – in Tannenbach nämlich.

Dass sie für ihn trotzdem ein Wunschtraum blieb, hatte leider sehr nüchterne Gründe. Der eine war, dass sie ausgerechnet den alten Wallner zum Vater hatte, den Bürgermeister von Tannenbach und den reichsten Bauern der Umgebung.

Ein anderer war, dass Anni den Kopf ziemlich hoch trug und meinte, für sie käme nur ein Hoferbe infrage, wenn sie mal mit einem Burschen zum Tanzen gehen wollte.

Ein dritter Grund war, dass der Hochberger-Toni keinen Hof besaß, sondern nur ein kleines Haus, das er von seiner Mutter geerbt hatte, und ein vierter, dass Toni ein uneheliches Kind war – wie man sich erzählte, sogar das Kind von einem Preußen, und das war in seinem Dorf noch immer etwas Schreckliches.

Ja, so blieb Toni also weiter nichts übrig, als von der hübschen Anni zu träumen, sich vorzustellen, wie schön es wäre, wenn sie ihn anlächelte und dabei ihre dunklen Augen blitzen ließ. Er würde dann den Arm um sie legen, und sie würde sich an ihn schmiegen. Und schließlich würde er sie küssen, eine Minute lang oder vielleicht auch zwei, und Anni würde seufzen vor Wonne und Glückseligkeit.

Als Toni bei diesem Punkt angelangt war, wurde es ihm zu viel mit seinen Wunschträumen. Entschlossen warf er die Bettdecke zur Seite, sprang hoch, wusch und rasierte sich und setzte sich wenig später in der kleinen Wohnküche zum Frühstück nieder – leider allein wie immer.

Ein Stück Schinkenspeck, ein Stück Käse, einen Kanten Brot und etwas aufgewärmten Kaffee von gestern Abend, das war alles, was Toni am Morgen brauchte. Anschließend schaffte er ein bisschen Ordnung, und dann hatte er nichts mehr zu tun.

Er trat hinaus vor das kleine Haus und blickte zum Himmel empor. Die Wolken hingen schwer und dicht über dem Tannenbachtal, die Gipfel der Berge, die sich sonst so kühn und stolz in den Himmel reckten und darüber zu wachen schienen, dass niemand den Tannenbacher Frieden störte, waren nicht zu sehen. Irgendwo in der Nähe bellte ein Hund.

In einem plötzlichen Entschluss holte Toni schließlich sein Motorrad aus dem Schuppen, schwang sich hinauf und knatterte ein paar Augenblicke später durch das Dorf. Er fuhr bis zum Kirchplatz und bog dort in die schmale Straße ein, die durch das Tannenbachtal führte und ein paar Kilometer weiter draußen in der Ebene endete, die den Bergen vorgelagert war. Dort mündete die Straße in die Hauptstraße, die sich am Rande der Berge entlangzog und im Sommer wie ein Fließband wirkte, auf dem sich die Fremden in ihren Autos entlangschoben.

Heute war es besonders arg, wie Toni bald feststellte, denn wegen des schlechten Wetters wussten die Fremden in ihren Hotels und Pensionen nichts mit sich anzufangen, und daher setzten sie sich in ihre Autos und fuhren planlos in der Gegend herum.

So kam es, dass Toni fast eine halbe Stunde brauchte, bis er die Kreisstadt erreicht hatte. Er ließ das Motorrad bis in die Enzianstraße rollen. Dort angekommen, stellte er es an den Bordstein und betrat das Sportartikelgeschäft Moser …

Die Ladenglocke bimmelte, als er eintrat. Über die rissigen Holzdielen hinweg trat der junge Bursche an die Ladentheke und wartete einen kleinen Augenblick, bis Leni erschien.

Leni war die Tochter vom alten Moser, half gelegentlich ein bisschen im Laden aus und besuchte im Übrigen das Gymnasium in der Kreisstadt, weil sie ein gescheites Mädchen war und es später einmal zu mehr bringen wollte, als ihr ganzes Leben lang nur Bergsteiger-Ausrüstung zu verkaufen.

»Schau an, der Hochberger-Toni lässt sich mal wieder sehen«, sagte sie freundlich.

Leni war nicht hübsch, aber sie war ein nettes Madl, das ein jeder gern haben musste.

»Es wird auch höchste Zeit«, antwortete Toni und ließ seine kräftigen Zähne blitzen. In seinem tief gebräunten Gesicht sah das besonders gut aus. »Grüß dich, Leni. Warum bist denn du heute net in der Schule?«

»Weil wir freibekommen haben. Die Lehrer halten eine Konferenz ab.«

»Ein Glück für dich«, meinte Toni. »So kannst du deine Bücher wenigstens einen Tag lang mal in der Ecke liegen lassen. Bist du vom vielen Studieren net schon verdreht geworden?«

»Im Moment kann ich’s noch aushalten!« Leni lachte. »Aber ein bisserl Studieren hätte dir auch net geschadet, Toni. Geschafft hättest es allemal, denn du bist doch ganz gewiss net auf den Kopf gefallen.«

»Danke für die Blumen«, grinste Toni. »Aber es hat halt net sollen sein. Meine Mutter hat sich’s mit ihrer kleinen Rente net leisten können, mich auf die Schule zu schicken.«

»Ja, so ist das manchmal im Leben«, meinte die Leni und nickte. »Dafür verdrehst du jetzt den fremden Frauenzimmern am laufenden Band die Köpfe, und das ist ja auch eine schöne Beschäftigung, gell?«

Toni lachte. »Wie du dir das so vorstellst!«

»Ich stell mir’s genau so vor, wie’s wahrscheinlich in Wirklichkeit ist. Du siehst gut aus und verstehst es, schön zu reden – so was zieht bei den Madln immer.«

Das stimmte, denn Toni sah wirklich gut aus. Er hatte ein sehr markantes, kühn geschnittenes Gesicht mit zwei dunklen, scharf in die Welt blickenden Augen und einem Mund, der herzlich lachen konnte. Tonis Schultern waren breit, die Muskeln kräftig, und so war es kein Wunder, dass so mancher es sich zweimal überlegte, bevor er mit ihm einen Streit oder gar eine Rauferei anfing. »Ach geh, jetzt zeig mir mal, was ihr an Stocknägeln auf Lager habt.«

Leni holte einen Kasten hervor und zeigte Toni die Stocknägel. Diese Dinger kauften die Touristen, vornehmlich die älteren, nämlich neuerdings wieder wie verrückt, wenn sie einen Berg erklommen hatten und der Bergführer sie ihnen mit einem Stein an die Stöcke schlagen konnte, als Siegeszeichen gewissermaßen, mit dem sie später in der Heimat prahlen konnten. Die jüngeren Wanderer nahmen Trekkingstöcke mit zu ihren Wanderungen.

Toni war schon seit Langem auf die Idee gekommen, zu jeder Bergführung etliche Stocknägel mitzunehmen und sie unterwegs den älteren Wanderern anzudrehen. Damit erzielte er einen kleinen Nebenverdienst, und den konnte er gut gebrauchen. »Gib mir dreißig Stück, bitt schön!«

Leni zählte die Nägel durch und rechnete den Preis aus.

»Du bekommst natürlich wieder zehn Prozent Rabatt«, sagte sie.

»Fein«, lächelte Toni. »Vielleicht bring ich’s mit deiner Hilfe noch mal zum Millionär.«

»Da wirst du aber noch arg viel in den Bergen herumkraxeln müssen, bist du das geschafft hast«, lachte die Leni, kassierte das Geld und gab die Wechselmünzen heraus.

Sie tat die Nägel in eine Tüte, Toni steckte sie ein und ging.

»Bis zum nächsten Mal, Leni«, sagte er und war schon draußen.

***

Es passierte in der Sonnenstraße.

Toni fuhr dort langsam mit seinem Motorrad entlang, und plötzlich fiel ihm ein Auto ins Auge, das er kannte. Es war das weiße, flotte Auto der Wallner-Anni, der Tochter des Bürgermeisters, für die Toni heimlich schwärmte.

Wo ihr Auto ist, kann sie selber auch nicht weit sein, dachte der junge Bursche und fasste das Auto schärfer ins Auge. Da sah er es.

Ein junger Mann in einer Lederjacke trat plötzlich an den Wagen heran, schaute sich blitzschnell nach allen Seiten um und zog schnell an der Tür. Sie war nicht abgeschlossen, sondern schwang auf. Der Mann glitt hinter das Lenkrad, schlug die Tür zu und machte sich im Innern des Wagens zu schaffen.

Toni hielt an. Mit scharfen Augen beobachtete er, was da vorne geschah.

Wenn das kein Autodieb ist, will ich Detlev heißen!, dachte Toni alarmiert.

Tatsächlich – der Motor des Wagens sprang an, und gleich darauf fuhr er aus der Parklücke heraus.

Sofort setzte Toni sein Motorrad in Gang und heftete sich an den Auspuff des Wagens.

Hoffentlich entwischt er mir nicht, dachte Toni. Vielleicht hätte ich eben schon eingreifen sollen?

Tonis Chance wartete in der Augsburger Straße. Dort stand nämlich eine Verkehrsampel, und die sprang gerade auf Rot, als der Dieb mit dem gestohlenen Wagen sich ihr näherte. Der Mann musste anhalten, ob er wollte oder nicht, denn dicht neben ihm stand ein Polizeibeamter und beobachtete den Verkehr.

Blitzschnell stellte Toni den Motor seines Rades ab, bockte es auf und war Sekunden später an der Fahrertür des Wagens. Er riss sie auf und packte den Mann, der drinnen saß.

»Der hat grad das Auto gestohlen, schnell!«, rief Toni dem Polizisten zu.

Der Mann in der Lederjacke wollte sich wehren, aber es half ihm nichts. Unerbittlich zerrte Toni ihn hinter dem Lenkrad hervor, und da war auch schon der Polizist zur Stelle und schnappte sich den Burschen.

»Ich hab selbst gesehen, wie er den Wagen geklaut hat«, stieß Toni hervor. »Es war in der Sonnenstraße, und ich kenne das Auto, denn es gehört einer Bekannten.«

»Tüchtig, tüchtig«, antwortete der Beamte und ließ die Handschellen klicken. »Vielleicht haben wir mit diesem Burschen einen guten Fang gemacht, denn in den letzten Tagen sind hier schon etliche Autos gestohlen worden.«

Inzwischen war eine ganze Meute von Schaulustigen zusammengelaufen. Die Ampel sprang wieder auf Grün, aber weil das gestohlene Auto immer noch davorstand, kam die Wagenkolonne, die sich inzwischen angesammelt hatte, nicht vorwärts. Ein Hupkonzert begann.

»Können Sie Auto fahren?«, fragte der Beamte Toni.

»Freilich …«

»Dann fahren Sie den Wagen rasch zu unserer Wache. Ich setze mich mit unserem Kunden hier hinten hinein.«

Der Beamte stieß den Arretierten, der kein Wort von sich gab, in den Fond und kroch hinterher. Toni schob rasch sein Motorrad an die Seite, damit es nicht mehr im Weg stand, und gleich darauf saß er hinter dem Lenkrad von Annis Auto.

»Sie müssen mitkommen, damit wir Ihre Aussage zu Protokoll nehmen können«, meinte der Beamte zu Toni, als sie das Revier erreicht hatten und ausgestiegen waren.

»Erst hole ich aber noch mein Motorrad, sonst ist’s am Ende auch noch weg«, antwortete Toni und machte sich rasch auf den Weg.

Er musste grinsen, als er sah, dass immer noch ein Haufen Leute an der Kreuzung stand und heftig diskutierte, obwohl es dort längst nichts mehr zu sehen gab.

Toni schwang sich an der Kreuzung auf sein Motorrad und setzte den Motor in Gang – da sah er plötzlich die Wallner-Anni. Nichts ahnend bog sie um die Ecke. Sie hatte ein paar Päckchen und Pakete bei sich, Einkäufe wohl, die sie getätigt hatte.

»He, Anni, schnell!«, rief Toni ihr zu und winkte heftig.

Anni bemerkte ihn und kam heran.

»Einer hat grad dein Auto klauen wollen!«, erklärte Toni. »Ich hab’s gesehen und ihn gestellt. Jetzt ist er schon bei der Polizei, zusammen mit deinem Auto. Komm, steig hinten auf, ich bring dich hin.«

»Einer hat mein Auto geklaut?« Anni erschrak noch nachträglich.

»Ich sag’s dir doch. Komm, ich muss zurück zur Polizeistation. Ich bin bloß hergekommen, weil ich mein Radl hab holen wollen.«

»Lass nur«, wehrte Anni ab. Sie war sichtlich aufgeregt. »Ich geh lieber zu Fuß. Es sind ja nur ein paar Schritte.«

Toni fuhr also vor, und Anni kam wenige Minuten später nach. Toni wartete vor dem Gebäude auf sie.

»Du hast das wirklich gesehen, wie einer mein Auto hat stehlen wollen?«, vergewisserte sie sich.

»Grad wie ich’s sage«, antwortete Toni stolz.

Sie betraten die Wachstube. Der Dieb saß hinten in einem Nebenzimmer an einem Schreibtisch und wurde schon von einem Kriminalbeamten verhört. Gleich darauf befanden sich Toni und Anni auch in diesem Raum.

»Das ist die Wallner-Anni«, erklärte Toni. »Ihr gehört das Auto.«

»Na, das trifft sich gut, da hätten wir ja alle beisammen«, antwortete der Beamte.

Der Dieb starrte Toni finster an, während dieser seine Aussage zu Protokoll gab. Nach zehn Minuten war alles erledigt.

»Beim nächsten Mal schließen Sie Ihren Wagen besser ab, Frau Wallner«, sagte der Beamte noch, bevor Toni und Anni sich verabschiedeten. »Wenn Sie die Türen offen lassen, erleichtern Sie solchen Halunken wie diesem da das Handwerk.«

»Ich werd’s mir merken«, erwiderte Anni und wurde rot.

Sakrisch hübsch schaut sie aus, wenn sie rot wird, dachte Toni und verließ mit ihr das Polizeigebäude. Ein Beamter, der sich in technischen Dingen auskannte, folgte ihnen und brachte mit ein paar Handgriffen die Kabel wieder in Ordnung, die der Dieb aus ihren Halterungen gerissen hatte.

»So, jetzt können Sie wieder fahren, Frau Wallner«, sagte der Beamte, tippte an den Rand seiner Mütze und verschwand.

Anni atmete tief durch und blickte Toni an. Sie lächelte. »Ich weiß net, wie ich mich bei dir bedanken soll, Toni«, erklärte sie. »Wenn du net so gut aufgepasst hättest, hätte ich jetzt kein Auto mehr.«

»Ich hab halt Glück gehabt, dass ich im richtigen Moment dahergekommen bin«, antwortete er. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Was hast du jetzt vor, Anni?«, fragte er.

»Wie spät ist’s denn?«

»Gleich zwölf.«

»Ich muss noch in die Papierwarenhandlung«, erklärte das hübsche Mädchen. »Hinterher hab ich eigentlich in der ’Sonne‘ was essen wollen, denn am Nachmittag will ich noch eine Freundin besuchen, drüben in Ranzendorf.«

»Wenn ich einen Dieb packen kann, bekomme ich vor lauter Aufregung immer einen Mordshunger«, feixte Toni. »Hast du was dagegen, wenn wir zusammen zum Essen gehen?«

»Gar net«, lächelte Anni und zeigte zwei allerliebste Grübchen in ihren gebräunten Wangen. »Ich freu mich sogar, wenn du mitkommst, Toni.«

Der junge Bursche strahlte. »Das ist für mich der schönste Dank«, sagte er aus tiefstem Herzen. »Am besten ist’s wohl, wenn wir unsere Fahrzeuge hier stehen lassen und zu Fuß gehen. Da brauchen wir uns net erst um einen Parkplatz zu kümmern.«

Anni hatte nicht dagegen einzuwenden, und so setzten sie sich denn in Bewegung. Toni fühlte sich wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum, weil er neben Anni einhergehen konnte, die doch sonst kaum einen Blick für ihn gehabt hatte.

»Was tust denn du heute hier in der Stadt?«, fragte sie unterwegs, als sie die Keltergasse passierten.

»Mit dem Bergführen ist’s heut bei dem schlechten Wetter nix«, gab Toni zurück. »Deswegen bin ich hergekommen, um ein paar Stocknägel zu kaufen.«

»Was willst denn du mit so was?«, wunderte sich die hübsche Anni.

Er konnte nicht antworten, denn nun hatten sie das Papierwarengeschäft erreicht. Toni wartete draußen vor der Tür, bis Anni wieder herauskam. Artig nahm er ihr das Paket ab, das sie unter dem Arm trug.

»Du bist aber aufmerksam«, lächelte Anni. »Hast du das bei den fremden Weibsbildern gelernt?«

»So was ist mir angeboren«, grinste Toni.

Sie setzten sich in Bewegung. Das Gedränge war hier in der Hauptstraße auf dem Bürgersteig beträchtlich, sodass die beiden sich nicht unterhalten konnten. Aber bald hatten sie den Gasthof »Zur Sonne« erreicht, und dort fanden sie einen guten Tisch am Fenster, weil es noch ziemlich früh war und die Fremden erst später einfielen, um ihren Hunger zu stillen.

Toni bestellte ein Glas Bier und eine zünftige Schweinshaxe, zuvor eine Leberknödelsuppe. Anni nahm auch eine Suppe und anschließend einen Schweinsbraten, »Weil du den Dieb erwischt und mich vor Schaden bewahrt hast, Toni, lad ich dich zum Essen ein«, sagte sie.

»Das braucht’s net«, wehrte der Hochberger ab. »So viel hab ich schon in der Tasche, dass ich mir mein Essen selber zahlen kann.«

»Ich tät mich aber freuen, wenn du dich von mir einladen lässt«, lächelte das Mädchen.

»Schon überredet«, grinste Toni. »Herrschaftszeiten, ist das ein schöner Tag heute!«

»Wieso?«

»Weil wir zwei hier zusammensitzen, deswegen«, erklärte er und schaute sie mit seinen dunklen Augen verliebt an. »So lange leben wir schon in demselben Dorf, aber dies ist das erste Mal, dass wir zusammen an einem Tisch sitzen.«

»Es hat sich eben net früher geschickt«, gab Anni zurück und malte mit dem Fingernagel ein Muster auf die Tischdecke.

»Nein, es hat sich net geschickt«, bestätigte Toni. Er ließ sie nicht aus den Augen, denn er konnte sich nicht sattsehen an ihrem hübschen, gebräunten Gesicht. »Du lebst ganz oben, und ich lebe ganz unten, und deswegen sind wir weit voneinander entfernt, auch wenn wir fast Tür an Tür wohnen.«

»So was solltest du net sagen, Toni.« Anni wurde sichtlich verlegen.

»Es ist aber so«, beharrte Toni. »Und vielleicht muss es auch so sein«, überlegte er. »Alles im Leben hat seine Ordnung, und wenn wer versucht, diese zu zerstören, dann fällt er dabei meistens auf die Nase.«

»Das stimmt net ganz«, widersprach Anni. »Denn wenn es so wäre, wie du sagst, dann müsste der, der unten ist, wie du es vorhin genannt hast, auf immer und ewig unten bleiben.«

»Ist das denn net der Fall?«, fragte der junge Bursche.

»Net immer. Manchmal passiert nämlich etwas, was unten und oben auf einmal zusammenführt. Man liest das doch immer wieder in den Zeitungen.«

»Da hast du auch wieder recht«, musste Toni zugeben. »Und außerdem sitzen wir zwei ja hier beisammen, und das ist auch ein Beweis für das, was du sagst. Ein sehr schöner Beweis sogar.«

***

Die Suppe kam. Der Leberknödel war mächtig und dampfte verführerisch, und die Suppe schmeckte ausgezeichnet.

»Wie kommst du denn eigentlich mit den Fremden zurecht?«, fragte Anni nach den ersten paar Löffeln.

»Ganz gut, Anni. Man muss sie halt zu nehmen wissen. Die meisten sind ja auch gar net so übel.«

»Und wie ist das mit den Weibsbildern?«, fragte sie nach ein paar Löffeln Suppe. »Mit den jungen, meine ich. Die laufen dir doch bestimmt in Scharen nach.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Nur so. Du siehst gut aus …«

Toni grinste. »Du bist heute schon die zweite, die mir so was sagt«, erklärte er. »Ob’s deswegen allmählich anfängt zu stimmen, weiß ich net. Aber mit den jungen Weibsbildern hat man schon manchmal seine Last, das muss ich zugeben.«

»Wie denn?«

»Im Moment ist eine aus Dänemark da. Astrid heißt sie, ist rund und griffig, und sie lässt mich net aus den Augen, wenn ich in ihre Nähe komme. Vorgestern hat sie mich gefragt, ob ich mit ihr zum Tanzen gehen will.«

»Du wolltest natürlich«, lächelte Anni.

»Ich bin doch net narrisch!«, protestierte der Hochberger. »Wenn man so was macht, kriegt man die erst recht net mehr vom Hals.«

Inzwischen waren sie mit der Suppe fertig. Die Bedienung kam, räumte die leeren Teller weg und brachte die Schweinshaxe und das Schweinerne. Am Nebentisch nahm geräuschvoll eine Familie mit drei Kindern Platz. Aus Berlin.

»Toni, darf ich dich mal was fragen?«, brachte sich Anni wieder in Erinnerung.

»Frag nur, Anni!«

»Wie kommst du denn mit dem zurecht, was du als Bergführer verdienst?«, wollte sie wissen.

»Na, es langt halt grad, dass ich über die Runden komme«, erzählte Toni bereitwillig. »Du weißt ja, dass ich im Winter auch Skilehrer spiele, aber zwischen Sommer und Winter ist immer eine ziemlich lange Zeit, in der es für mich keine Beschäftigung gibt, und die muss ich eben jedes Mal überbrücken.«

»Hast du noch nie daran gedacht, dir eine andere Beschäftigung zu suchen?«

»Freilich, aber wie soll ich das anstellen?« Toni zuckte mit den breiten Schultern. »Was hab ich denn schon gelernt in meinem Leben? Auf die Volksschul bin ich gegangen, und als die zu Ende war, hat meine Mutter mich auf die Höfe geschickt, damit ich was zu ihrer kleinen Rente hab dazuverdienen können. Mist fahren hab ich gelernt und Milchkannen schleppen, mehr net. Und jetzt? Um noch mal in die Lehre zu gehen, bin ich inzwischen viel zu alt.«

»Das mag stimmen …«

»Außerdem – wo sollte ich hier eine Arbeit bekommen?«, fuhr er fort. »Bei uns gibt’s ja leider keine Industrie, so schön es auf der anderen Seite für unsere Landschaft ist. Da lande ich letzten Endes doch wieder auf einem Bauernhof oder an einer Tankstelle als Handlanger, wenn’s hochkommt. Nein, Anni, dann bleib ich schon lieber beim Bergführer und Skilehrer, esse ein Stück Fleisch weniger und bin mein eigener Herr.«

»Wenn man’s so sieht …«

»Und es kommt noch was hinzu, was für mich sehr wichtig ist, Anni«, sagte Toni und ließ Messer und Gabel sinken, so gut ihm die Haxe auch schmeckte. »Schau, ich leb ganz gewiss net hinter dem Mond und weiß ganz genau, dass ich weitaus bessere Chancen hätte, wenn ich Tannenbach verlassen täte und in die Stadt ginge. Nach München vielleicht oder doch wenigstens nach Rosenheim oder nach Weilheim. Aber dann bin ich von unserem schönen Tannenbachtal viel zu weit weg, und ich weiß net, ob mir das schmecken täte. Unsere Heimat, die mag ich nun mal net missen.«

»Das verstehe ich«, nickte Anni. »Das geht mir ebenso.«

Schweigend aßen sie weiter. Drüben am Nebentisch hatte die Bedienung einige Mühe, die Bestellung aufzunehmen. Eines der Kinder konnte sich partout nicht entscheiden, was es essen wollte.

»Toni, ich tät dich gern noch was fragen«, richtete Anni abermals das Wort an den jungen Burschen.

»Dir erzähl ich alles, was du wissen willst«, lächelte Toni, froh, dass Anni so viel Interesse für ihn entwickelte, »Hoffentlich kriegst du’s net in den falschen Hals.«

»Bestimmt net.«

»Es ist wegen … Ein jeder weiß, dass du keinen Vater hast«, brachte Anni etwas zögernd hervor. »Manche wollen sogar wissen, dass der Mann, der dein Vater gewesen ist, ein Preuße sein soll. Weißt du was darüber?«

»Ja, das weiß ich«, antwortete Toni ruhig. »Meine Mutter ist in München in einem Bierlokal Bedienung gewesen. Verheiratet war sie net, weil sie, als sie noch ein junges Madl gewesen ist, mal schlechte Erfahrungen machte und seitdem geheilt war. Vielleicht wäre ihr auch nie was passiert, wenn net eines Tages ein Mann aus Hamburg im Lokal gesessen hätte. Er hat mit der Mutter ein Gespräch angefangen und ihr gesagt, dass sie ihm gefalle und dass er vom Film wäre. Ob sie net Lust hätte, mal ein paar Probeaufnahmen von sich machen zu lassen. Die Mutter war natürlich ganz aufgeregt, und nach einigem Zögern hat sie zugestimmt.«

»Oh, das ist aber interessant!«, warf Anni ein.

»Gleich am nächsten Tag, als sie freihatte, hat er sie tatsächlich in ein kleines Atelier mitgenommen, und die Probeaufnahmen sind, wie er der Mutter gesagt hat, gar net schlecht ausgefallen. Er sagte, er wollte ihr eine kleine Rolle in einem Film verschaffen, der bald gedreht werden sollte, und da hat die Mutter den Kopf endgültig verloren. Sie hat sich mit dem netten Herrn aus Hamburg angefreundet, aber als sie ihm hat sagen müssen, dass sie ein Kind von ihm erwartet, da war der auf einmal verschwunden.«

»So ein Schuft!«

»Er ist net der Einzige, der auf Gottes Erdboden herumläuft«, meinte Toni.

»Die Mutter hat’s natürlich hart getroffen, und sie hat ihren Leichtsinn sehr bereut, aber aus der Welt schaffen konnte sie das Unheil net mehr. So bin ich denn geboren worden, und als die Mutter zwei Jahre später Invalide geworden ist, da ist sie in unser Häusl gezogen. Du weißt vielleicht, dass es einem Onkel von meiner Mutter gehört hat, der gestorben ist und ihr das Haus vermacht hat. Da konnte sie in Ruhe und Frieden leben, ihre Rente verzehren und versuchen, aus mir einen halbwegs gescheiten Menschen zu machen. Was daraus geworden ist, siehst du ja selbst.«

Komisch, früher hatten derartige Schicksale Anni überhaupt nicht interessiert, in erster Linie wohl deswegen, weil sie zu traurig waren und einen nur unnötig belasteten. Jetzt aber empfand Anni ein tiefes Mitgefühl für Toni und seine Mutter, und sie bedauerte es sehr, dass es damals niemand gegeben hatte, der Tonis Mutter irgendwie hätte helfen können. Doch daran war ja wohl nun nichts mehr zu ändern.

»Es tut mir leid, was da passiert ist«, sagte Anni nachdenklich.

»Jeder hat eben sein Schicksal zu tragen«, erwiderte Toni mit einem Schulterzucken. »Ich beklag mich net, und es hätte ja auch gar keinen Zweck. Bloß manchmal tut’s mir halt doch leid.«

»Wann denn zum Beispiel?«

»Zum Beispiel jetzt«, sagte Toni unumwunden und blickte Anni ernst an. »Wir zwei sitzen jetzt hier gemütlich beisammen, und es ist das Schönste für mich, was ich seit Langem erlebt habe. Aber wenn’s vorbei ist, fahren wir nach Tannenbach zurück, du gehst auf deinen Hof und ich in mein Häusl, und wahrscheinlich wird’s lang brauchen, bis wir uns wieder einmal treffen. Für eine Stund oder zwei, meine ich.«

»Wieso soll’s lang brauchen, Toni?«, fragte Anni und blickte auf ihren Teller hinab.

»Es hat ja auch … bisher lange gedauert.«

»Das muss ja net so bleiben«, gab Anni zurück. Dann hob sie den Kopf. Sie lächelte. »Aber jetzt lass uns lieber gehen. Ich kann die Frau da am Nebentisch net mehr hören. Die redet ja ununterbrochen.«

***

Anni zahlte, und sie verließen das Lokal. Draußen auf der Straße war es inzwischen ein wenig ruhiger geworden, denn viele Fremde und auch die Einheimischen saßen inzwischen am Mittagstisch.

»Fährst du jetzt zu deiner Freundin?«, fragte Toni, als sie sich umblickten.

»Net so früh.«

»Was willst denn du so lange machen?«

»Ich weiß net. Und außerdem … Wenn ich’s mir genau überleg, hab ich auf einmal gar keine Lust mehr, meine Freundin zu besuchen.«

Sie setzten sich wieder in Richtung Polizeistation in Bewegung. Ziemlich schweigsam auf einmal.

»Weißt du, wozu ich auf einmal Lust habe?«, fragte sie. »Ich bin noch nie in einem Hotel gewesen, in dem viele Fremde sind. »Tät’s dir was ausmachen, mir mal eines zu zeigen? Du kannst doch dort ein und aus gehen, oder net?«

»Freilich kann ich dir so ein Hotel zeigen«, freute er sich. »Am besten in Oberwies, weil ich dort am meisten bekannt bin.« Toni lachte. »Du, ich bring dich ins Hotel ’Alpenblick‘, das gibt eine Gaudi!«

»Warum denn?«

»Weil dort die Astrid wohnt, du weißt schon, das Madl aus Dänemark. Wenn die mich mit dir sieht, wird sie platzen vor Eifersucht. Und vielleicht gibt sie dann endlich eine Ruh.«

»Also gut, fahren wir ins ’Alpenblick‘», sagte Anni unternehmungslustig.

Kurze Zeit später hatten sie die Polizeistation bereits erreicht. Toni hockte sich auf sein Motorrad, Anni schwang sich in ihren Wagen, und schon konnte die Fahrt losgehen. Sie fuhren bis Klammdorf, jenem Ort, in dem die Straße nach Tannenbach von der Hauptstraße abzweigte. Dort stellte Toni sein Radl an der Tankstelle ab und stieg zu Anni in den Wagen. Weiter ging die Fahrt.

Nach knapp zwanzig Minuten bereits hatten sie die Seitenstraße erreicht, die hinauf nach Oberwies führte, denn dieser Ort lag, genau wie Tannenbach, in einem hübschen Seitental, das sich zwischen die Berge schob.

»Jetzt möcht ich dich aber mal was fragen«, meinte Toni unterwegs. »Mich tät interessieren, ob du schon mal ans Heiraten gedacht hast, Anni.«

»Nein, noch net. Warum?«

»Nur so. Pressiert’s deinem Vater net, dass du bald unter die Haube kommst?«

»Er hat noch nix gesagt.«

»Das wundert mich«, grinste Toni. »Weil er doch sonst nix anbrennen lässt, wenn’s um seinen Vorteil geht.«

Anni nahm ihm diese Bemerkung nicht übel, denn ein jeder im Dorf wusste, dass der Bürgermeister den Hals nicht vollkriegen konnte, wie das meistens bei jenen war, die ohnehin schon genug hatten.

»Wieso soll er einen Vorteil haben, wenn ich heirate?«, fragte die hübsche Anni.

»Das ist doch ganz klar. Er wird dich gewiss mit einem großen Hof verheiraten, und wenn du erst mal auf dem eingezogen bist, wird dein Vater ihn als seinen persönlichen Besitz betrachten.«

»Ich kann mir net vorstellen, dass die anderen darauf eingehen werden«, lachte Anni. »Denn die sind ja auch net auf den Kopf gefallen und wissen, wo die Glocken hängen.«

»Mag sein«, räumte Toni ein. »Aber dann wird er sich auf andere Weise schadlos halten, darauf kannst du dich verlassen. Wenn dein Vater ein Araber wäre und in der Wüste leben würde, täte er sich für dich so viele Kamele geben lassen, wie’s in der ganzen Wüste gar net gibt.«

Da musste Anni herzlich lachen. »Ich glaub fast, dass du recht hast«, antwortete sie schließlich. »Aber der Vater wird wohl noch eine ganze Weile warten müssen, bis er hinlangen kann, denn vorerst ist weit und breit noch kein Hochzeiter in Sicht.«

»So was kann sich schnell ändern«, behauptete Toni. »Wenn dein Vater einen großen Hof mit einem heiratsfähigen Erben findet, wird er sogleich zugreifen.«

»Kann sein, aber damit hat er noch lang net erreicht, was er vielleicht will.«

»Wieso net?«

»Weil ich mich net mit einem Hof, sondern nur mit einem Menschen verheiraten lasse, den ich lieb habe.«

»Das klingt sehr edel, Anni, und vielleicht meinst du es auch ehrlich. Aber wenn’s so weit ist, entscheidest du dich gewiss für denjenigen, der dir am meisten bieten kann. So ist nun mal das Leben, und keiner kann’s dir übel nehmen.«

Annis Augen hatten sich ein wenig verschattet, aber das bemerkte Toni nicht.

»Du scheinst net viel von mir zu halten«, sagte sie mit schmalen Lippen.

»Ich halte von keinem anderen Menschen so viel wie von dir, Anni, das schwöre ich dir«, beteuerte er, und er schaute sie von der Seite her an. »Wenn ich einen großen Hof im Kreuz hätte, Anni – auf der Stell tät ich um dich anhalten.«

Sie wurde ein bisschen rot. Allerliebst sah sie dabei aus. Zum Anbeißen direkt. Weil sie keine Antwort wusste, war sie froh, dass das Ortsschild von Oberwies am Straßenrand auftauchte.

»Wir sind da«, sagte sie und verringerte das Tempo.

***

Weil es sich um das größte und auch das teuerste Hotel am Platze handelte, stand ein Mann mit einer Schirmmütze und einer Fantasieuniform davor. Herablassend tippte er mit dem Finger an den Mützenrand, als Toni an ihm vorbeiging. Anni warf er einen prüfenden Blick zu, aber er sagte nichts.

Die beiden betraten die Halle. Ziemlich lebhafter Betrieb herrschte hier, Gäste kamen und gingen, etliche ballten sich an der Rezeption und hatten tausend Wünsche. Toni führte Anni zu einer Sesselgruppe, wo sie Platz nehmen und in Ruhe den Betrieb beobachten konnten.

Leise erklärte Toni, was sich vor ihren Augen abspielte, und er tat es so humorvoll, dass Anni des Öfteren Mühe hatte, nicht laut aufzulachen.

Trotz ihres reichen Vaters war sie erst selten aus ihrem kleinen Dorf herausgekommen.

»Pass auf, Anni, da kommt die Astrid!«, raunte er ihr plötzlich zu und wies auf den Fahrstuhl, der sich im Hintergrund der Halle befand und gerade eine Ladung Gäste in die Halle entließ.

Da war sie auch, blond und rundlich. Sie hatte ein recht hübsches Gesicht, trug Jeans und eine bunte Bluse – und in der Hand eine qualmende Zigarette, die sie schnell in einem Aschenbecher ausdrückte.

»Oje, jetzt hat sie mich entdeckt!«

Das war tatsächlich der Fall, denn ein Leuchten glitt über das Gesicht der jungen Dänin, und mit schnellen Schritten kam sie näher. Doch noch bevor sie Toni erreicht hatte, ging ihr auf, dass das hübsche Mädchen, das neben ihm saß, zu ihm gehörte. Sogleich verdüsterte sich ihr Gesicht.

Trotzdem kam sie heran. »Guten Tag«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, »ich habe Sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen.«

Toni erhob sich und reichte ihr die Hand.

»Ich war ja auch net hier, weil’s mit dem Kraxeln heut nix ist bei dem Wetter«, gab er zurück. »Das hier ist Anni«, fuhr er fort. »Sie kommt aus meinem Heimatdorf und hat sich hier einmal umschauen wollen. Anni, das ist die Astrid. Wie sie sonst noch heißt, hab ich vergessen.«

Die beiden Mädchen reichten sich die Hände. Eigentlich nur die Fingerspitzen, wenn man es genau nahm, und ihre spitzen Blicke kreuzten sich.

»Was machen Sie denn in dem Dorf?«, wollte Astrid wissen.

»Ich führe meinem Vater den Haushalt«, erklärte Anni mit einem sehr förmlichen Lächeln.

»Annis Vater hat nämlich den größten Hof bei uns«, erläuterte der junge Bursche.

»Aha«, machte Astrid. Dann schaute sie Toni an. »In der ’Bauernscheune‘ ist heute Tanz«, fuhr sie fort. »Sind Sie vielleicht auch da, Toni?«

»Das glaub ich kaum«, antwortete er.

»Schön wäre es doch«, sagte Astrid. »Ich möchte nämlich etwas mit Ihnen besprechen.«

»Wenn ich net da bin, können wir das ja morgen nachholen«, meinte der Bergführer.

»Es ist ziemlich dringend«, behauptete Astrid. »Aber jetzt muss ich gehen, meine Eltern warten im Café auf mich.«

Sie schenkte Toni einen schmachtenden Blick, hatte für Anni nur ein Kopfnicken übrig und ging mit schwingenden Hüften davon.

Anni blickte ihr mit schmalen Augen nach. »Dass die sich net schämt, so mit ihrem Hinterteil zu wackeln!«, entrüstete sie sich.

»Anni – du bist doch net etwa eifersüchtig?«, lächelte der Hochberger-Toni.

»Auf die? Pah!«, machte Anni, aber sie tat es ein wenig zu heftig, um ihn täuschen zu können.

Es freut ihn mächtig, dass Anni sich so aufregte, denn daraus glaubte er schließen zu können, dass er ihr nicht ganz gleichgültig war. Das war eine überraschende Feststellung für ihn, denn mit so etwas hätte er nie gerechnet. Darüber muss ich in aller Ruhe nachdenken, nahm er sich vor.

»Also, was mag sie von dir wollen?«, bohrte Anni nach.

»Gar nix. Sie sucht bloß einen Vorwand, dass ich mich mit ihr treffe. Diesen Trick kenne ich nämlich schon lange.«

»Mich tät interessieren, wie oft du auf den schon hereingefallen bist!«

»Noch nie, Anni«, beteuerte Toni. »Und jetzt, wo wir zwei so gemütlich beisammen sind, erst recht net.«

»Hoffentlich stimmt das auch«, sagte Anni und merkte gar nicht, wie sehr sie durch diese Worte Tonis Herz zum Klopfen brachte. »Und jetzt möcht ich lieber gehen, denn wer weiß, was man sonst noch hier zu Gesicht bekommt!«

***

»Schau mal, Toni, da drüben«, sagte Anni, als sie auf die Straße traten.

Auf der anderen Straßenseite des Hotels befand sich eine ziemlich große Wiese, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund noch nicht bebaut worden war. Auf dieser Freifläche bewegten sich ein paar Männer, gingen geschäftig umher und unterhielten sich mit zahlreichen Gesten. Mitten unter ihnen der Wallner-Sepp, Bürgermeister von Tannenbach und Annis Vater.

Er war ein großer, massiger Mann mit buschigen Augenbrauen und einem ansehnlichen Bierbauch. Auf den ersten Blick sah man ihm an, dass er auf den Cent nicht zu schauen brauchte und dass er es wohl auch liebte, auf die anderen, die nicht so viel hatten wie er, ein wenig herabzuschauen.

»Das ist ja dein Vater«, wunderte sich Toni. »Wieso läuft denn der auf der Weide herum?«

»Das weiß ich auch net«, erwiderte Anni.

Sie blieben stehen und schauten den Männern zu, die da umherliefen und miteinander diskutierten.

»Du«, meinte Toni schließlich, »das sieht ja fast so aus, als wollten sie dort was bauen.«

»Kommt mir auch so vor«, antwortete Anni. »Aber ich versteh net, was der Vater damit zu schaffen hat.«

Jetzt kamen die Männer auf einmal auf die Straße zu, und in den nächsten paar Sekunden entdeckte Sepp seine hübsche Tochter. Sofort zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Er sagte zu den anderen ein paar Worte, und dann stampfte er quer über die Straße auf die jungen Leute zu.

Toni widmete er kaum mehr als einen flüchtigen Blick.

»Was hast du denn hier zu schaffen?«, fragte er Anni.

»Toni hat mir mal gezeigt, wie’s in einem großen Hotel ausschaut, in dem die Fremden absteigen«, antwortete Anni.

»Seit wann interessiert dich das?«, fragte der Wallner misstrauisch. »Ich denk, du hast in die Kreisstadt fahren wollen?«

»Da war ich auch«, nickte Anni. »Aber dort hab ich den Hochberger-Toni getroffen, und deswegen sind wir zusammen hergefahren.«

»So, ihr seid’s zusammen hergefahren. Das ist mir vollkommen neu, dass ihr so gut befreundet seid.«

»Toni hat mir einen großen Dienst erwiesen, Vater«, erklärte Anni lebhaft. »Als ich in den Geschäften gewesen bin, um meine Einkäufe zu erledigen, hat einer mein Auto stehlen wollen. Toni hat es gesehen und den Kerl gleich der Polizei übergeben. Wär Toni net gewesen, dann hätt ich jetzt kein Auto mehr.«

»So«, machte der Bürgermeister und blickte Toni prüfend ins Gesicht. »Und deswegen ziehst du jetzt hier in der Gegend herum, statt dich um den Hof zu kümmern?«

»Ich darf mir ja auch wohl mal einen freien Tag herausnehmen«, setzte Anni sich zur Wehr. »Aber viel eher tät mich interessieren, Vater, was du hier zu schaffen hast.«

Sofort lächelte der Bürgermeister selbstgefällig. Er ließ dabei zwei Goldzähne blinken.

Der Bürgermeister lupfte seinen Gamsbarthut und setzte ihn wieder auf den Kopf.

»Da drüben auf der Wiese entsteht bald ein Hotel«, verkündete er. »Ich hab mit dem Architekten und seinen Leuten grad besprochen, wie ich mir das Hotel vorstelle.«

»Wie du dir das vorstellst, Vater?«

»Freilich. Ich werd ja wohl noch ein Wörterl mitzureden haben, wenn ich der Bauherr bin«, sagte der Wallner stolz.

»Du bist … Du willst ein Hotel bauen?«, staunte das hübsche Mädchen.

»Freilich«, nickte der Vater. »Weshalb soll ich immer bloß zuschauen, wie die anderen die Fremden schröpfen? Vor einem halben Jahr hab ich die Wiese da drüben schon gekauft, weil einer so blöd gewesen ist, sie abzustoßen, und jetzt geht’s bald mit dem Hotelbau los.«

»Das hätt ich niemals gedacht, Vater, dass du an so was denkst«, staunte Anni.

Abermals lüftete der Bürgermeister seinen Hut.

»Unsereins muss eben mit der Zeit gehen«, behauptete er großspurig. »Wenn man immer nur Agronom bleibt, tritt man nur noch auf der Stelle.«

»Aber du sagst doch immer, dass du die Fremden net leiden kannst, Vater. Und jetzt auf einmal willst du ein Hotel bauen, damit noch mehr von ihnen herkommen?«

»Sie kommen ja net nach Tannenbach, sondern hierher«, erwiderte der Bürgermeister. »Und wenn sie narrisch genug sind, sich ihr Geld aus der Tasche ziehen zu lassen, bloß damit sie mal unsere Berge angaffen dürfen – warum soll ich das net nutzen?«

»Trotzdem, Vater, ein Hotel ist doch was ganz anderes, als wir es gewöhnt sind …«

»Das lass mal meine Sorge sein«, antwortete der Vater. »Und jetzt ist’s wohl am besten, wenn du heimfährst, Anni. Ich komm auch bald nach.« Er wandte sich Toni zu. »Du bleibst ja wohl noch hier, damit du ein paar von diesen depperten Ausländern zum Bergsteigen überreden kannst, wie?«

»Das braucht’s net«, lächelte Toni, »denn meine Tour für morgen ist schon voll ausgebucht. Vorausgesetzt natürlich, dass das Wetter besser wird … Nein, ich fahr jetzt mit Anni heim.«

»Mit der Anni?« Sofort zogen sich die Augenbrauen des Bürgermeisters wieder zusammen.

»Wir sind ja auch zusammen hergekommen, Vater«, lächelte Anni. »Komm, Toni, steigen wir halt ein.«

Sie nickten dem Bürgermeister zu und wandten sich Annis Wagen entgegen. Der Wallner-Sepp starrte ihnen nach, und als er sah, dass Toni zu Anni in den Wagen stieg, da wollte ihm dieser Anblick gar nicht schmecken.

Anni knöpf ich mir vor, wenn ich heimkomme, beschloss er und ging zu den anderen Männern zurück.

Anni und Toni fuhren indessen vergnügt nach Hause. Sie fühlten sich wohl, irgendwie hatten sie beide das Gefühl, dass dies ein besonders schöner Tag sei, obwohl die Sonne gar nicht schien und sich nichts ereignet hatte, das gegenüber den anderen Tagen aus dem Rahmen fiel. Oder war doch etwas passiert, nur dass sie es bisher noch nicht bemerkt hatten?

»So, da wären wir ja bald da«, meinte Toni, als sie sich Klammdorf näherten.

»Schön ist’s gewesen«, sagte Anni.

»So schön, dass es schad ist, dass es bei einem einzigen Mal bleibt mit uns zweien.«

»Wie kommst du denn darauf?«

Toni grinste. »Der liebe Herrgott kann ja net einen jeden Tag einen Dieb herbeizaubern, damit ich dein Auto vor seinem Zugriff retten kann«, erwiderte er.

»Das wäre ja auch ein bisserl zu viel verlangt«, lächelte Anni.

»Hockst du eigentlich immer nur auf eurem Hof herum?«, wollte Toni wissen.

»Meistens. Wieso?«

»Gehst du denn net mal ein bisserl spazieren?«

»Freilich. Am Abend meistens, wenn die Arbeit getan ist und der Vater ins Wirtshaus zieht.«

»Es könnte ja sein, dass man sich zufällig mal trifft«, spann Toni den Faden weiter.

»Warum net? Jetzt im Sommer geh ich meistens so gegen halb acht los.« Sie sagte es ganz nebensächlich, als verfolgte sie damit nicht die geringste Absicht.

»Um die Zeit bin ich fast immer schon aus Oberwies zurück«, erklärte der junge Bursche. »Vielleicht hab ich auch mal Lust zum Spazierengehen. Wohin gehst du denn so?«

»Am liebsten spaziere ich am Waldrand entlang«, erzählte Anni. »Er steht ja gleich hinter unserem Hof, sodass ich net lange zu laufen brauche. Mal geh ich nach links, mal nach rechts, grad so, wie’s mir in den Kopf kommt.« Sie schmunzelte. »Nur am Waldrand in der Nähe unseres Hofes komme ich halt immer vorbei.«

»Ich hab’s begriffen«, grinste Toni.

Sie beide wussten, dass sie sich damit verabredet hatten, ohne es direkt zugegeben zu haben.

An der Tankstelle setzte Anni Toni ab. Sie fuhr gleich weiter, während er erst mit dem Tankstellenbesitzer ein Schwätzchen hielt und sich dann auf sein Radl setzte.

Er kam sich vor wie im Paradies. Dass sie ihn gar nicht von oben herab behandelt hatte, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre, beglückte ihn tief. Heute früh noch hatte er von Anni geträumt, und nun hatte er fast einen ganzen Tag lang mit ihr verbracht. Ganz allein war er mit ihr gewesen, und Anni war sogar eifersüchtig geworden, wie die Astrid mit ihrem Hinterteil gewackelt hatte. Konnte es etwas Schöneres für einen verliebten jungen Mann geben?

Wohl kaum.

***

Sepp kam zwei Stunden nach Anni auf seinen Hof. Sein Besitz lag etwas abseits vom Dorf, war stolz und mächtig und lag dicht neben dem Wald, der den aufsteigenden Berghang bedeckte.

Auf allen Seiten des Tannenbachtales stiegen die bewaldeten Hänge in die Höhe, nur im Süden überragt von den mächtigen Gipfeln der hohen Berge, auf denen es keinen Baumwuchs mehr gab, weil sie sich gar zu hoch in den Himmel reckten.

Wie üblich trat der Wallner zuerst in sein Schreibzimmer, nachdem er den Wagen in die Garage gefahren hatte: Das tat der Wallner-Sepp aber nicht, um sich sogleich auf seine Arbeit zu stürzen. Vielmehr lockte ihn der Wandschrank, in dem er immer eine Flasche mit gutem Obstler aufbewahrte.

Auch heute gönnte sich der Wallner ein Gläschen, und bald darauf natürlich noch ein zweites. Gerade wollte sich der Mann hinter seinen Schreibtisch setzen, da kam Anni herein, frisch, jung und mit roten Wangen.

»Vater, ich hab von heute Mittag noch etwas Hirschragout übrig – magst du das am Abend essen, oder soll ich dir etwas anderes richten?«, fragte sie.

»Du kannst mir ruhig das Ragout geben«, erwiderte der Vater, »denn es hat mir sakrisch gut geschmeckt. Kochen kannst du, das muss man dir lassen.«

»Ich hab’s von der Mutter selig gelernt«, lächelte sie und wollte sich schon wieder zurückziehen, aber der Vater hielt sie mit einer Handbewegung zurück.

»Auf ein Wort noch, Anni«, sagte er. »Das mit dem Hochberger-Toni, das ist doch nix Ernstes, oder?«

»Wieso soll’s was Ernstes sein?«, fragte Anni und konnte leider nicht verhindern, dass sie rot wurde.

»Ich frag halt nur«, meinte der Bürgermeister.

»Ich habe dir ja erzählt, Vater, wie wir uns getroffen haben.«

»Freilich hast du’s mir erzählt. Aber ich versteh net ganz, wieso du deswegen gleich mit Toni den ganzen Tag lang umherziehst.« Sein Blick war scharf.

»Es hat sich so ergeben, Vater. Warum?«

»Weißt, einem Burschen wie Toni darf man net über den Weg trauen«, äußerte Sepp und schenkte sich den dritten Obstler ein. »Der Hallodri schaut gut aus, das kann man net leugnen, und bestimmt weiß er’s auch. Außerdem ist er den Umgang mit den schamlosen Frauenzimmern aus der Stadt gewöhnt, und da kommt er halt leicht auf die Idee, dass eine jede, mit der er zusammentrifft, sich mit ihm ein bisserl amüsieren will.«

»Davon hab ich aber nix gemerkt«, setzte Anni dagegen.

»Weil er raffiniert ist und net gleich mit der Tür ins Haus fällt wie die anderen jungen Burschen. Der weiß genau, wie man ein Madl zu nehmen hat und wie man ihm den Kopf verdreht, ohne dass es das merkt. Und wenn’s das Madl doch merkt, dann ist’s meistens schon zu spät.«

»Ich kann mir net vorstellen, dass der Hochberger von dieser Sorte sein soll, Vater.«

»Aber ich!«, erwiderte der Bürgermeister mit Nachdruck. »Drum ist’s wohl besser, wenn du ihn dir künftig vom Leibe hältst, genau so, wie du es zum Glück ja bisher getan hast.«

Darauf gab Anni keine Antwort.

»Ich könnt mir nämlich gut denken«, fuhr der Wallner-Sepp fort, »dass er grad bei dir mit besonderem Feuereifer ans Werk gehen könnte. Denn du bist keine Fremde, die mal für ein paar Tage herkommt und sich mit ihm amüsieren will, sondern du kommst vom Wallner-Hof, und der stellt ja einiges dar.«

»Ich verstehe net, Vater …«

»Wenn ich der Hochberger wäre, tät’s mich schon jucken, der Tochter vom reichsten Bauern den Kopf zu verdrehen. Und ich tät net eher lockerlassen, bis ich es schaffe, dass sie mich heiratet und ich mich ins gemachte Nest setzen kann.«

»An so was denkt der Toni nie!«, behauptete Anni mit erhobener Stimme.

»So? Bist du ganz sicher? Hat er das gesagt?«

»Natürlich net. Aber so was weiß man eben.«

»Dann bist du schlauer als ich«, brummte der Wallner. »Also, Madl, sei auf der Hut und geh ihm aus dem Wege. Mit so was hat unsereins nix zu schaffen.«

»Mit was denn?«, fragte Anni, weil ihr Widerspruchsgeist schon lange erwacht war.

»Na, da gibt es eine große Auswahl«, antwortete der Vater. »Mit einem Hoferben vielleicht. Bisher hab ich immer gemeint, nur ein solcher tät für dich infrage kommen, aber heut ist mir noch etwas anderes eingefallen. Übers Jahr, wenn mein Hotel eröffnet wird, brauche ich einen tüchtigen Direktor, denn ich versteh ja net, wie man ein Hotel führt. Mir wär’s sehr recht, wenn du einen Mann heiraten könntest, der den Direktor spielen kann, weil er was von der Sach versteht, und der natürlich auch was an Barem einbringen kann.«

Anni lächelte schmal. »Und woher soll ich so ein Wunderwesen nehmen, Vater? Solche Leut laufen ja hier in Tannenbach ganz bestimmt net herum.«

»Grad so ist’s«, nickte der Bürgermeister. »Drum werd ich dich von jetzt an immer mitnehmen, wenn ich nach München oder in eine andere große Stadt fahre.«

»Damit du mich also herumzeigen kannst«, stellte die hübsche Anni klar.

»So ungefähr«, grinste Sepp. »Hübsch bist du ja, sodass ich dich net zu verstecken brauche. Das wäre ja gelacht, wenn es net einen geben tät, der für uns geeignet ist und sich für dich interessiert.«

»Am besten ist’s wohl, wenn du mir ein Schild umhängst, Vater. Du kannst alles draufschreiben, was der Interessent wissen muss.«

»Warum bist du denn so grantig, Anni?«, wunderte sich der Bürgermeister. »Ich denke nur an deine Zukunft und an dein Glück, und du redest daher, als wenn …«

»Weil’s mir net schmeckt, Vater, dass du mich verkaufen willst«, erwiderte Anni hitzig. »Ich heirate nur einen Mann, den ich lieb habe und mit dem ich glücklich werden kann. Wenn’s zufällig ein Hoteldirektor ist – meinetwegen, aber auch nur dann!«

Der Vater lächelte nachsichtig. »Du bist noch zu jung, Madl, um das richtig beurteilen zu können. Die Liebe vergeht schnell, Anni, aber das, was Wert hat, das bleibt.«

»Also kann ich ja gleich ein Bankkonto heiraten«, erwiderte Anni schnippisch und ging.

Sie ärgerte sich sehr über die Worte, die der Vater zu ihr gesprochen hatte. Erstens, weil sie zum ersten Male in aller Deutlichkeit merkte, was für Pläne der Vater mit ihr hatte, und zweitens, weil sie sich über das Urteil, das er über Toni abgegeben hatte, aufregte. Eine solche Disqualifizierung, das meinte Anni genau zu wissen, hatte Toni nämlich nicht verdient.

An diesem Abend verließ Anni den Hof nicht mehr, denn es war reichlich spät geworden. Am nächsten Abend machte sich Anni aber wieder auf den Weg, denn erstens hatte heute wieder die Sonne geschienen, sodass es schön warm war und es im Wald so herrlich nach Harz duftete, und zweitens hoffte Anni, Toni wiederzusehen.

Ja, sie hoffte darauf, und sie gestand es sich auch ein.

Toni hatte ihr ausnehmend gut gefallen, als sie mit ihm zusammen gewesen war. Er war nett und bescheiden und fröhlich, gut schaute er außerdem noch aus, und in seiner Nähe hatte Anni das Gefühl gehabt, dass ihr nichts passieren konnte. Sie hatte ihn bewundert, wie sicher er sich unter den Fremden bewegt hatte, und als er ihr den Arm um die Schultern legte, als sie ins Café gegangen waren, da war ein süßer Schauder durch Annis Körper gegangen – ein Schauder, wie sie ihn noch nie zuvor verspürt hatte.

Und außerdem waren da noch die Worte des Vaters, die sie nicht zur Ruhe kommen ließen. Anni brannte darauf herauszufinden, ob der Vater recht hatte oder nicht. Er hat natürlich nicht recht, davon war Anni überzeugt, aber sie wollte es ganz genau wissen.

***

So machte Anni sich auf den Weg, und ihr Herz schlug schneller, als sie schon nach hundert Metern Toni erblickte.

Er hockte im Schutze des Waldsaumes auf einem gefällten Baumstamm und ritzte mit einem Stock Kringel in den Erdboden. Als er aber Anni kommen sah, warf er den Stock beiseite und kam dem Mädchen rasch entgegen. »Das ist aber ein Zufall!«, lachte er und strahlte über das ganze Gesicht. »Oder trifft’s nur ein, dass du kommst, weil ich es mir gar so sehr gewünscht habe?«

»Bei einem solch schönen Wetter bin ich meistens unterwegs«, lächelte sie und reichte ihm ihre Hand. Toni hielt sie, als wäre sie ein kostbarer Schatz.

»Gut, dass der Herrgott heute die Sonne wieder hat scheinen lassen«, sagte er. »Sonst wärst du vielleicht net gekommen und ich hätt gar net gewusst, wo ich bleiben sollte mit meiner Sehnsucht.«

»Wieso solltest du Sehnsucht nach mir haben?«, fragte Anni und wandte den Kopf ab, damit er nicht in ihr Gesicht blicken konnte.

»Weil’s halt so ist«, gab er zurück. »Kruzitürken, seit wir uns getrennt haben, hab ich an nix anderes als immer nur an dich denken können. Fast hätt ich heute mit den Fremden den Weg zur Grantenspitzen verfehlt, weil ich grad meinte, du tät’st vor mir stehen und mich anschauen mit deinen dunklen Augen.«

»Bestimmt ist eine Städtische mit von der Partie gewesen, die dich aus deinen narrischen Gedanken bald herausgerissen hat«, erwiderte Anni. Ihr Herz klopfte, dass sie fast meinte, Toni müsse es hören können, und außerdem war sie so narrisch glücklich wie kaum zuvor. Und das nur, weil Toni ihr so etwas Schönes sagte.

»Es war eine dabei, sogar eine Französische«, grinste Toni. »Und sie trug zum Wandern einen kurzen Rock!«

Sie waren inzwischen schon ein ganzes Stück gegangen. Die Stille des Waldes umfing sie wie ein schützender Mantel.

»Ich glaub«, sagte Anni, »dass man sich vor dir in Acht nehmen muss.«

»Wieso denn das?«

»Nur so. Wahrscheinlich gibst du net eher Ruhe, bis du ein Madl im Badeanzug sehen kannst.«

Toni lachte. »Was du so von mir denkst!«, gab er zurück. »Wir sind ja nur drauf gekommen, weil ich von der Französischen geredet habe. Du bist mir lieb und wert, auch wenn du dich bis an die Nasenspitze zupackst.«

»Hoffentlich stimmt das auch, was du da redest«, bemerkte Anni mit Nachdruck.

Toni blieb stehen. Er griff nach ihren Armen und drehte sie zu sich herum. Sein Blick traf in ihre schönen großen Augen. Anni erwiderte den Blick, und ein paar Sekunden lang sagten sie gar nichts.

»Anni«, fuhr Toni dann fort, und seine Stimme war leise und ernst und eindringlich geworden, »du musst dir mal eines merken: Alles, was ich zu dir spreche, stimmt. Immer! Es sei denn, ich tät auf einmal behaupten, dass ich net gern mit dir zusammen bin. Das wäre nämlich die größte Lüge, die du dir nur denken kannst.«

»Bestimmt langweilst du dich bald mit mir«, antwortete sie. Es zuckte in ihren Augen. »Du bist von den Städtischen bestimmt sehr verwöhnt.«

»Deren Gewäsch interessiert mich überhaupt net!«, erwiderte der Bursche. »Aber alles, was du sagst, das ist für mich wichtig und bedeutsam.«

»Wenn’s so ist, dann wird dich ja wohl auch interessieren, was der Vater über dich gesagt hat.«

»Freilich. Nur zu!«

Ein Lächeln trat in ihre schönen Augen. »Er hat gesagt, dass man dir net über den Weg trauen kann«, äußerte das Mädchen nun. »Er hat mich vor dir gewarnt, weil er denkt, dass du mir den Kopf verdrehen willst, damit ich dich eines Tages heirate und du dich auf dem Wallner-Hof breitmachen kannst.«

Toni nickte gelassen. »Das wundert mich gar net, dass dein Vater so von mir denkt. Ich an seiner Stelle täte es wahrscheinlich auch. Nur hat dein Vater arg danebengetippt, Anni.«

»So? Warum?«

»Weil man einer, die man wirklich gern hat, net den Kopf verdreht«, antwortete er und hielt nach wie vor ihren Blick mit seinen Augen fest. »Dazu ist sie einem nämlich viel zu schade, und das trifft genau auf dich zu, Anni.«

Sie senkte den Blick. Seine Worte drangen tief in ihr Herz, und sie wusste genau, dass er die Wahrheit sprach. Sie hatte in seinen Augen lesen können wie in einem Buch, und sie erkannte, dass er ihr sein wahres Wesen offenbarte.

Dann gingen sie weiter, schweigend, Hand in Hand, und auf einmal war es ganz selbstverständlich. Sie schritten nebeneinander her, sahen das Eichhörnchen, das über ihren Weg huschte, und es schien ihnen, als wäre es bei Weitem nicht das erste Mal, dass sie sich gemeinsam in dieser Stille und in diesem abendlichen Frieden befanden.

Ein kleines bisschen wartete Anni darauf, dass Toni sie in seine Arme zog und versuchte, sie zu küssen. Ob sie sich davor fürchtete oder darauf hoffte, wusste sie nicht. Aber er tat es nicht.

Sie schlenderten dahin, bis der Kreuzkopfweg vom Tal herüberkam und ihren Pfad querte. Dort blieben sie stehen und schauten sich um, als erblickten sie ihr Heimattal zum ersten Male.