Heimatkinder 28 – Heimatroman - Florian Burgstaller - E-Book

Heimatkinder 28 – Heimatroman E-Book

Florian Burgstaller

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Nach drei Tagen und Nächten, in denen der Himmel alle Schleusen geöffnet hatte und heftiger Regen auf das malerische Huttertal herabgeprasselt war, zeigte sich endlich wieder das strahlende Tagesgestirn. Über Nacht hatte ein kräftiger Wind die dunkelgrauen Wolkenmassen vertrieben und den leuchtend blauen Himmelsbogen blank gefegt. Die zahlreichen Feriengäste verließen hocherfreut ihre Quartiere, um ausgedehnte Spaziergänge oder gar Bergtouren anzutreten. Die Gastwirte strahlten mit der Sonne um die Wette, denn der Durst der Talbewohner hatte sich während der Regentage beängstigend verringert.

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Heimatkinder –28–

Stumm ertrug er sein Schicksal

Wer kann dem Bauernbuben helfen?

Roman von Florian Burgstaller

Nach drei Tagen und Nächten, in denen der Himmel alle Schleusen geöffnet hatte und heftiger Regen auf das malerische Huttertal herabgeprasselt war, zeigte sich endlich wieder das strahlende Tagesgestirn. Über Nacht hatte ein kräftiger Wind die dunkelgrauen Wolkenmassen vertrieben und den leuchtend blauen Himmelsbogen blank gefegt.

Die zahlreichen Feriengäste verließen hocherfreut ihre Quartiere, um ausgedehnte Spaziergänge oder gar Bergtouren anzutreten. Die Gastwirte strahlten mit der Sonne um die Wette, denn der Durst der Talbewohner hatte sich während der Regentage beängstigend verringert.

Die goldenen Sendboten drangen auch durch die Scheiben des Klassenzimmers in der Seidlhamer Dorfschule und tasteten sich bis zu den Köpfen der Schüler vor, die sich mit verdrossenen Mienen über ihre Schreibarbeiten beugten. Der junge Lehrer Stefan Mangold beobachtete, wie so mancher mit dem Handrücken über die schweißfeuchte Stirn wischte.

Um seine Mundwinkel zuckte es. »Tja, Buben«, sagte er. »So ist das mit dem Wetter bei uns im Bergland. Gestern noch hat uns die Kälte gehörig gebeutelt. Und heut’ treibt uns die Sonn’ den Schweiß aus allen Poren.«

Bevor er weitersprechen konnte, bimmelte die Hausglocke. »Pausenzeit ist, Buben«, rief er. »Verzehrt auf dem Schulhof euer Vesperbrot, und sucht euch bei der Bullenhitz’ schattige Plätze.« Schmunzelnd fügte er hinzu: »Wer sich einen Sonnenstich holt, kriegt von mir eine Strafarbeit aufgebrummt.«

Lachend und lärmend verließen die Buben den Raum. Stefan holte eine Schinkensemmel aus seiner Mappe unter dem Pult hervor und biss herzhaft hinein.

Dann begab auch er sich hinaus in den Hof, auf dem zwei breitästige Kastanienbäume Schatten spendeten.

Unter einem der Bäume knabberte seine Kollegin Berta Hurler, die die Mädchen unterrichtete, an einem Keksstück. Stefan trat zu ihr hin und meinte feixend: »Der heutige Pausenschmaus fällt aber mager aus, liebe Berta.«

Die Angesprochene, durch deren dunkles Haar sich schon ein paar Silberfäden zogen, kicherte. »Ich hab’ mir ein Kilo zu viel angefuttert«, erklärte sie. »Das muss wieder runter.« Sie mochte den jüngeren Kollegen gut leiden, obwohl ihm vor einem Jahr die Schulleitung übertragen worden war, auf die sie wegen ihrer vielen Dienstjahre gehofft hatte. An ihm gefiel ihr besonders, dass er sich die Anrede »Schulmeister«, die in dieser ländlichen Gegend gebräuchlich war, energisch verbat. Seinem Vorgänger, einem älteren, mürrischen Herrn, der in den Ruhestand getreten war, weinte sie keine Träne nach.

Stefan schluckte den letzten Bissen seiner Schinkensemmel hinunter und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das dichte blonde Kraushaar.

In seinem markanten Jungmännergesicht fielen jedem Betrachter sofort die strahlenden hellblauen Augen auf. Die Kollegin hatte ihn schon mehrmals nach der Herkunft der Narbe an seinem Kinn fragen wollen, hatte es aber dann doch unterlassen.

Sein Blick wanderte über den geräumigen Schulhof hinweg und blieb an dem zwölfjährigen Poldi Wallner hängen, der abseits von den übrigen Schülern stand, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Poldi hatte schon mehrmals eine Rauferei in der Pause und auch nach Schulschluss angezettelt.

Dem jungen Erzieher war dieses Verhalten unbegreiflich, denn Poldi zeigte während des Unterrichts großen Fleiß und seine Leistungen übertrafen die der meisten Klassenkameraden ganz erheblich. Und an seinem Betragen gab es ebenfalls nicht auszusetzen.

Als Poldi die Hände aus den Taschen zog und sich langsam in Bewegung setzte, furchte Stefan die Stirn. Gespannt wartete er darauf, ob nun geschehen würde, was schon mehrmals geschehen war. Allerdings nie vor seinen Augen.

Poldi schlenderte ein paarmal im Schulhof auf und ab, als wollte er sich die Beine vertreten. Plötzlich näherte er sich dem gleichaltrigen Velbert Hansl, der laut gelacht hatte, als Poldi am frühen Vormittag vom Lehrer zur großen Tafel gerufen worden und dabei gestolpert war.

Langsam ging Poldi an Hansl vorbei und streifte ihn an der Schulter. Der Mitschüler sah ihn nur überrascht an, protestierte aber nicht. Poldi jedoch fuhr wie von einer Hummel gestochen herum und schrie: »Du hast mich angerempelt, du Klappergestell! Das lass ich mir net gefallen.«

Er versetzte dem verblüfften Hansl einen so heftigen Stoß gegen die Brust, dass dieser zurücktaumelte und auf den Rücken fiel. Zwei Klassenkameraden, die sich mit Hansl unterhalten hatten, machten Anstalten, sich auf Poldi zu stürzen, doch da war der junge Lehrer schon bei Poldi und packte ihn am Kragen.

»Dich hat niemand angerempelt, du verlogenes Bürschl«, fuhr er den Buben an und schüttelte ihn kräftig. »Ich hab’ schließlich Augen im Kopf. Warum kannst du net friedlich dein Pausenbrot essen, wie’s die anderen auch tun?«

Der Gescholtene stand mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern wie zur Salzsäule erstarrt da. Erst nach einer ganzen Weile hob er den Kopf. Stefan blickte in das hübsche Bubengesicht mit den dunkelbraunen Augen, die in der Farbe dem welligen Haar glichen, das ihm bis tief in den Nacken hing. Die Augen begannen zu schwimmen. Ein Schluchzer entrang sich Poldis Kehle. Vergebens suchte er nach einem Taschentuch, fand aber keines.

Stefan überreichte ihm das seine. Poldi wischte damit die Tränen von den Wangen und schnäuzte herzhaft hinein. Als er es zurückgeben wollte, winkte Stefan schmunzelnd ab und sagte: »Du darfst es behalten. Aber jetzt verrat’ mir endlich, warum du so angriffslustig bist.«

Der Bub schüttelte den Kopf. »Ich bin net streitsüchtig, Herr Lehrer«, würgte er hervor. »Manchmal packt’s mich und ich weiß net warum. Und hernach reut’s mich ganz arg.«

»Hm!« Stefan rieb sein Kinn. »Du bleibst nach Schulschluss im Klassenzimmer«, ordnete er an. »Wir zwei haben ein paar Worte miteinander zu reden.«

Als er hörte, dass Hansls Freunde, die ihm auf die Beine geholfen hatten, grimmige Drohungen ausstießen, wandte er sich ihnen zu. »Ihr lasst den Poldi ungeschoren, verstanden! Um den Vorfall kümmere ich mich.« Er drehte sich um und kehrte zu seiner Kollegin zurück, die ihm erwartungsvoll entgegenblickte.

»Mit dem Wallnerbuben haben Sie’s wohl net ganz leicht, Stefan«, meinte sie. »Dabei schaut er gar net aus wie ein Raufbold.«

Stefan räusperte sich. »Der Poldi ist mir ein Rätsel«, murmelte er. »Im Unterricht gibt’s net das Geringste an ihm auszusetzen. Er lernt gut, ist mit Eifer bei der Sache und sein Betragen könnt’ man beinah’ mustergültig nennen. Doch kaum dass er das Schulhaus verlassen hat, ist er wie umgewandelt. Ich knöpf’ ihn mir heut’ noch vor.«

Die Lehrerin zuckte mit den Schultern. »Vor einem Jahr ist seine Mutter mit einem Feriengast durchgebrannt«, erzählte sie. »Das war net bloß ein harter Schlag für den Buben, sondern auch für seinen Vater, den Sattlermeister Pius Wallner, der bis dahin ein fleißiger, rechtschaffener Mann war. Wie man hört, soll er seine verschwundene Frau ganz verzweifelt gesucht haben, aber sie war nimmer aufzufinden. Da hat er sich dem Alkohol zugewandt. Er, der vorher kaum ein Wirtshaus von innen gesehen hat, ist Stammgast im Riedlbräu geworden und net selten stockbetrunken heimgewankt. Im Dorf wird viel darüber geschwatzt.«

»Oh!« Stefan räusperte sich erneut. »Möglicherweis’ ist durch die leidige Geschicht’ auch der Bub aus dem Gleichgewicht geraten. Ich werd’ mich wohl näher mit ihm befassen müssen.«

Die Glocke zeigte das Ende der Pause an. Die Schüler und Schülerinnen drängten ins Schulhaus. Die beiden letzten Unterrichtsstunden verliefen völlig reibungslos. Stefan richtete bei der Befragung über den Lehrstoff des vergangenen Tages mit Absicht kein Wort an Poldi. Nach Schulschluss blieb dieser an seinem Platz sitzen und schaute den Lehrer aus trüben Augen an.

Stefan trat zu ihm hin und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hab’ dich net aufgefordert, noch eine Weil’ hierzubleiben, um dir die Leviten zu lesen, Bub«, sagte er in ruhigem Ton. »Ein bissel unterhalten möcht’ ich mich mit dir. Dass ich mit deinen Leistungen zufrieden bin, wirst wohl wissen.«

Poldi nickte. »Ich geb’ mir allweil Müh’«, kam es zögernd von seinen Lippen.

»Stimmt. Du bist fleißiger als mancher von den anderen Rotznasen.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über die Züge des jungen Lehrers. »Außerdem hab’ ich dich für ein kreuzbraves Bürschl gehalten, bis mir zugetragen worden ist, dass du gern die Fäuste schwingst. Das passt net zu dir. Willst mir net verraten, warum du manchmal so hitzig bist?«

Poldi presste die Lippen zusammen und drehte den Kopf zur Seite. »Ich hab’ heut’ schon einmal gesagt, dass ich net weiß, warum es mich manchmal packt«, erwiderte er in störrischem Ton.

»Wirst du von den Klassenkameraden gehänselt, weil …, weil …« Stefan scheute plötzlich davor zurück, die Frage auszusprechen, die ihm auf der Zunge lag.

Nun erst wieder richtete Poldi den Blick auf den Lehrer. Die braunen Bubenaugen blitzten zornig auf. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Herr Lehrer«, stieß er erregt hervor. »Sie glauben, die Buben täten über mich spotten, weil meine Mutter mit einem Urlauber davongelaufen ist. Sie tun’s net. Das hat sich bisher noch keiner getraut.«

Stefan klopfte ihm leicht auf die Schulter.

»Das freut mich, Bub. Umso leichter wird’s dir fallen, in Zukunft auch außerhalb der Schul’ Frieden zu halten.«

Poldi nickte. »Ich versprech’s, Herr Lehrer«, sagte er.

»Du kannst gehen, Bübl. Vergnüg dich am Nachmittag im Freien. Vielleicht ist’s mit dem schönen Wetter bald vorbei. Pfüat dich!«

Der Zwölfjährige murmelte einen Gruß und verließ eilig das Klassenzimmer. Stefan sammelte die Schreibhefte seiner Schüler ein und steckte sie in seine Mappe. Dann machte auch er sich auf den Heimweg.

Er bewohnte zwei gemütliche Zimmer im Haus der Witwe Bernauer am Ortsrand von Seidlham, seit er die Stelle als Schulmeister angetreten hatte. Die Witwe versorgte ihn in so rührender Weise, dass es ihm manchmal beinahe zu viel wurde.

Doch er wagte keinen Widerspruch, um die gutmütige, alte Frau nicht zu kränken.

Als er sich dem Haus näherte, stand sie schon auf der Schwelle und winkte ihm lebhaft zu. »Heut’ sind Sie später dran als sonst, Herr Mangold«, klang es ihm entgegen. »Wenn wir Glück haben, ist der Schmorbraten noch net angebrannt.«

»Hoffen wir das Beste, Frau Bernauer«, erwiderte Stefan lächelnd, suchte eilig seine Wohnstube auf, die ihm auch als Arbeitszimmer diente, warf dort die Mappe auf den Schreibtisch und hastete dann die Stiege hinab ins Erdgeschoss, wo die Hauswirtin schon mit einem vollen Teller auf ihn wartete. Er setzte sich an den Tisch und langte sofort zu.

Nach dem ersten Bissen verkündete er kauend: »Dem Braten ist nix passiert. Er ist butterweich und schmeckt ausgezeichnet.«

Das Gesicht der Bernauerin, die ihm gegenübersaß, verklärte sich. »Meine Sorg’ war also völlig überflüssig«, sagte sie beruhigt. »Es gibt auch noch eine Nachspeis’.«

Stefan heuchelte Freude, obwohl er nach Beendigung des Mahles das Gefühl hatte, keinen Bissen mehr hinunterzubringen. Tapfer machte er sich auch noch über die Nachspeise her und glaubte anschließend, sich nicht mehr bücken zu können. Er leerte den Krug mit Most und erhob sich.

»Meinen Dank für die vortreffliche Bewirtung, Frau Bernauer«, sagte er. »Aber Sie meinen es zu gut mit mir. Wahrscheinlich muss ich heut’ noch einen Tausendmeterlauf absolvieren, damit ich net zu viel Speck ansetze. Jetzt aber wartet die Arbeit auf mich. Die Aufsätze, die meine Schüler gestern geschrieben haben, müssen korrigiert werden.«

Um der immer wieder gestellten Frage, ob er auch wirklich satt sei, zu entgehen, rannte er aus der Küche und übersprang auf der Stiege mehrere Stufen. In seiner Wohnstube angekommen, griff er zur Obstlerflasche und sank auf den nächsten Stuhl. Nach einem kräftigen Schluck machte er sich an die Arbeit.

Er hatte den Schülern aufgetragen, Erlebnisse mit einem Haustier zu schildern. Mancher Aufsatz entlockte ihm ein Lächeln. Das Lächeln verschwand, als er Poldis Zeilen vor sich liegen hatte. Der Bub beschrieb, wie traurig er gewesen sei, als er sich von seinem treuen Hund Hasso hatte trennen müssen. Dieser hatte den Vater in die Hand gebissen und war deshalb fortgeschafft worden. Alle Bitten hatten nichts genützt, der Vater war unnachgiebig geblieben.

Stefan rieb sein kräftiges Kinn, wie er es immer tat, wenn er zu grübeln anfing. So wie Poldi den Hasso beschrieb, hatte es sich bei dem Hund um ein absolut gutmütiges Tier gehandelt. Warum also hatte er den Sattlermeister angegriffen?

Der junge Lehrer legte achselzuckend den Aufsatz beiseite und wandte sich dem nächsten zu. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, sich darüber länger Gedanken zu machen. Nach einer Stunde war er mit der Durchsicht der Schülerarbeiten fertig. Der Sonnenball war inzwischen ein gutes Stück weiter nach Westen gerückt, wie Stefan mit einem Blick durchs offene Fenster feststellte.

»Jetzt wird sich die Lena wohl von ihren Pflichten im väterlichen Kontor freimachen können«, hoffte er. »Ich halt’s bei dem herrlichen Wetter nimmer länger in der Stube aus und freu’ mich auf einen ausgedehnten Spaziergang mit dem Madl.«

Vor dem Wandspiegel fuhr er sich mit dem Kamm durch die widerspenstigen Kraushaare. Dann eilte er fröhlich pfeifend die Stiege hinunter. Seine Hausfrau saß mit einer Strickarbeit vor der Tür, als er das Haus verließ.

»Ich weiß net, wann ich heimkomm’« rief er ihr zu. »Warten Sie also net mit dem Nachtmahl auf mich.«

Die Witwe winkte ab. »Ich richt’ eine Wurstplatte her«, erklärte sie. »Die kann zu jeder Stund’ gegessen werden.«

Stefan nickte nur. Nach dem üppigen Mittagsmahl widerstrebte es ihm, jetzt schon wieder ans Essen zu denken. Mit weit ausgreifenden Schritten entfernte er sich. Lena wohnte einen viertelstündigen Fußmarsch entfernt von ihm. Sie war die Tochter des wohlhabenden Getreidehändlers Leo Stelzer und seit einem halben Jahr mit ihm verlobt.

Die Verlobung war auf Lenas beharrliches Drängen erfolgt. Stefan hätte sich damit gerne noch ein bisschen Zeit gelassen, denn er mochte das allzeit heitere Mädchen, war sich aber über die Tiefe seiner Gefühle nicht restlos im Klaren. Seiner Überzeugung nach sollte man nur mit der großen, himmelstürmenden Liebe den Bund fürs Leben schließen. Aber verlobt war noch nicht verheiratet, beschwichtigte er alle Bedenken, die sich doch bei ihm regten.

Dessen ungeachtet freute er sich jedes Mal auf ein Wiedersehen mit Lena. An ihrer Seite kam keine Langeweile auf. Auf dem Hof der Getreidehandlung traf er ihren Vater an, der ihn, wie er wusste, durchaus leiden mochte, sich aber als Schwiegersohn nicht unbedingt einen Schulmeister wünschte. Er dachte an einen Kaufmann, der einmal an seine Stelle treten könnte.

Grinsend rief er Stefan zu: »Na, Pauker! Hast den Burschen heut’ genug Weisheit eingetrichtert? Geh nur rein ins Kontor. Die Lena hat sich schon ein paarmal die Augen nach dir ausgeschaut, die verliebte Geiß.«

Stefan rief ihm schmunzelnd einen Gruß zu und verschwand im Anbau des stattlichen Wohnhauses, in dem das Kontor zu finden war. Er klopfte kurz an und trat ein, ohne Lenas Zuruf abzuwarten. Die Tochter des Hauses drehte sich in ihrem Schreibtischsessel um. Ihre grünen Augen begannen aufzuleuchten.

Sie erhob sich und streckte ihm die Arme entgegen. Lena war beinahe so groß wie der hochgewachsene Lehrer, und ihre mollige Gestalt wies wohlgeformte Rundungen auf. Ein Sonnenstrahl fiel auf das rötliche Haar, das sie an den Seiten schneckenartig aufgesteckt hatte. Der volle Mund ließ auf Sinnlichkeit schließen.

Stefan eilte zu ihr hin und drückte sie an sich. Seine Lippen suchten die ihren. »Du schaust wieder einmal zum Anbeißen aus, Dirndl«, schmeichelte er.