Heimatkinder 33 – Heimatroman - Burg Antonia - E-Book

Heimatkinder 33 – Heimatroman E-Book

Burg Antonia

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Es war Sonntag. Feierliche Stille umhüllte das Land. Am Himmel zogen Wolken herauf, dicke weiße Wattewolken. Eine junge Frau kam den Berg herauf. Sie ging sehr beschwerlich. Man sah ihr an, daß sie ein Kind unter dem Herzen trug. Manchmal blieb sie stehen, schaute zurück zum Dorf. Beim Pfarrer war sie gewesen, von dem sie sich tröstlichen Zuspruch erbeten hatte. Jetzt, da sie sich auf dem Weg zum Schluchthof befand, auf dem sie seit zwei Jahren als Magd arbeitete, blieb sie öfter stehen und rang nach Atem. Und wie sie da stand und ihre Hand auf den Leib legte, gingen ihr wieder die Worte durch den Sinn, die sie mit dem Pfarrer gewechselt hatte.

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Heimatkinder –33–

Mein Kind bekommst du nicht!

Roman von Burg Antonia

Es war Sonntag. Feierliche Stille umhüllte das Land. Am Himmel zogen Wolken herauf, dicke weiße Wattewolken.

Eine junge Frau kam den Berg herauf. Sie ging sehr beschwerlich. Man sah ihr an, daß sie ein Kind unter dem Herzen trug. Manchmal blieb sie stehen, schaute zurück zum Dorf. Beim Pfarrer war sie gewesen, von dem sie sich tröstlichen Zuspruch erbeten hatte.

Jetzt, da sie sich auf dem Weg zum Schluchthof befand, auf dem sie seit zwei Jahren als Magd arbeitete, blieb sie öfter stehen und rang nach Atem. Und wie sie da stand und ihre Hand auf den Leib legte, gingen ihr wieder die Worte durch den Sinn, die sie mit dem Pfarrer gewechselt hatte.

Sie hörte seine dunkle volltönende Stimme: »Wenn du mir net sagen willst, wer der Vater deines Kindes ist, dann kann ich dir auch keinen Rat geben, Agnes.«

Wie ein Peitschenhieb waren diese Worte auf ihr verwundetes Herz gefallen. Er, der Herr Pfarrer, der einzige Mensch, dem sie noch vertraute, wies sie zurück. Ihre Verzweiflung wuchs in dieser bitteren Stunde ins Unermeßliche. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Und Agnes wünschte sich, daß es aufhören möge zu schlagen. Dann wäre ihr und ihrem Kind geholfen gewesen. Aber im nächsten Augenblick zuckte sie wieder vor diesem sündigen Gedanken zurück.

Sie sank auf dem Feldweg plötzlich in die Knie und rang die Hände. Ihre Worte klangen in den Himmel: »Herrgott, hab doch du Verständnis! Du bist doch allmächtig. Weißt, daß ich den Namen net nennen kann.«

Sie fand wieder zu sich und richtete sich mühsam auf.

»Ich kann den Namen net nennen, denn es wird einen Skandal geben«, redete sie mit sich selbst. Rings um sie war Einsamkeit. Das Plätschern eines Bergbaches klang silbern an Agnes Ohr. Frühlingsblumen blühten auf den Wiesen und verwandelten sie zu einem blühenden Teppich. Aber das junge Weib hatte keinen Blick für die Schönheit der Natur.

»Ja, es wird einen Skandal geben, aber der Makel wird am End doch nur an mir kleben. Net an ihm, an dem Hallodri, der mich so lang bedrängt hat, bis ich seinen Wünschen in einer schwachen Stunde nachgegeben hab.«

Bei diesen Worten schlug sie die Hände vors Gesicht. Sie stöhnte, als wäre die Last, die sie trug, zu schwer.

Sie schleppte sich zu einem Stein, der aus dem jungen Frühlingsgras herauslugte. Dort saß sie, hielt die Hände im Schoß gefaltet, schaute ins Tal hinab. Dort drüben lag der Schluchthof, auf dem sie diente. Ein großer Hof, ein mächtiges Geschlecht von stolzem Bauerngeblüt. Stolz und herrisch, so daß es Agnes erneut das Herz zusammenzog, wenn sie an die Bernardins dachte, bei denen sie diente.

Seit zwei Jahren war sie auf jenem stolzen Hof. Zwei Jahre war ihr Name unbescholten geblieben. Aber jetzt erwartete sie ein Kind.

Sie hatte sich auf dem Schluchthof gut eingelebt, damals, als die Eltern so kurz hintereinander starben und der Tochter nichts zurückließen. Sie hatte gehofft, auf dem Hof eine neue Heimat zu finden. Aber jetzt würde sie gehen müssen. Die Bäuerin war eine strenge, herrschsüchtige Frau. Agnes hatte Angst vor ihr.

Sie ahnte auch, daß die Bäuerin längst herausgefunden hatte, wie es um ihre Magd stand. Sie würde es nicht lange mehr dulden, daß eine, die im unehelichen Stand ein Kind erwartete, auf dem Hof blieb.

Agnes erhob sich. Sie hatte über eine Stunde in der Sonne gesessen. Jetzt fühlte sie sich ermattet. Als sie sich erhob, stöhnte sie leise. Sie hatte Durst. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an.

Mit ein paar Griffen ordnete sie ihr Sonntagskleid, band sich das Kopftuch fester um das dunkle Haar.

Sie warf noch einen Blick ins Tal zurück, wo das Dorf zwischen den Bergen eingebettet lag. Der Kirchturm ragte spitz in den Himmel. Und dort drüben, weit oberhalb des Dorfes, lag der Schluchthof. Er lag sehr einsam. Die, die ihn vor dreihundert Jahren gegründet hatten, schienen wortkarge Menschen gewesen zu sein, denn sie schlossen sich aus der Gemeinschaft der Dorfbewohner aus.

Agnes setzte ihren Weg fort. Und wieder glitten ihre Gedanken in die Vergangenheit, die wie Gift in ihrem Herzen gärte.

Ihr hatte es in der Bergeinsamkeit gut gefallen. Da gab es einen, der ihr mit süßen, verführerischen Worten das Herz schwach machte. Zuerst hatte sie ihm widerstehen können, da war noch Kraft in ihr. Aber dann hatte sich die Liebe in ihr Herz geschlichen, und sie hatte den Worten des Verführers nur zu gerne gelauscht. Sie hatte ihm vertraut, denn er hatte ihr in den leidenschaftlichen Stunden versprochen: »Ich steh zu dir, Agnes, weil ich mein Herz an dich verloren hab.«

Sie war blind und taub vor Liebe gewesen.

Plötzlich rannen ihr die Tränen wie Sturzbäche aus den Augen. Sie bog auf den Pfad ein, der eine Abkürzung zum Schluchthof bildete. Manchmal mußte sie stehenbleiben, wischte sich mit dem schmalen Handrücken über die Augen.

»Jetzt will er nix mehr wissen von den Worten«, murmelte sie vor sich hin. »Ich merk doch, wie er mir ausweicht. Ich hab ja mit ihm reden wollen, aber er hat mich fortgescheucht. Jetzt weiß ich, woran ich mit ihm bin. Seine Freud hat er haben wollen, und ich hab sie ihm gewährt. Mein Gott, sei barmherzig zu mir! Was soll ich denn tun?«

Der Hof tauchte vor ihr auf. Breit und behäbig stand das Wohnhaus da, weißgekalkt, denn bald war Kirchweih, da wurde auf dem Schluchthof ein gro­ßes Fest gefeiert und viel Besuch erwartet.

Um das zweite Stockwerk herum lief eine Holzwand. Die Fenster blickten wie blankgeputzte Augen in das Tal, aus den Holzkästen nickten die Frühlingsblumen, und bald würden es die Geranien sein, die leuchtend rot blühten. Über der Haustür prangte eine Malerei, die den heiligen Franz darstellte mit all seinen Tieren. Das alles nahm Agnes mit einem wehmütigen Blick in sich auf. Sie wußte jetzt, was sie zu tun hatte.

Noch in dieser Stunde würde sie mit der Bäuerin reden müssen. Sie wollte in dieser Sache das erste Wort haben. Aus eigenen, freien Stücken wollte sie vom Schluchthof gehen. Sie wollte nicht davongejagt werden wie eine Verbrecherin.

Mit hocherhobenem Kopf schritt sie durch das Hoftor. Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie hörte Schüsse. Sicher kamen sie vom Schluchtwald. Agnes hatte, ehe sie den Weg zum Pfarrer angetreten hatte, gesehen, daß Wolfram Bernardin mit seinem Vater zum Wald hinauf ging. Sie trugen die Flinten geschultert.

Groß und kraftvoll war der Wolfram an der Seite seines Vaters einhergeschritten. Aber es war wohl gescheiter für sie, wenn sie nicht mehr darüber nachdachte.

*

Die Schluchthoferin hatte einen einsamen Nachmittag hinter sich. Sie erhob sich aus dem Herrgottswinkel. Als die Langeweile sie plagte, hatte sie das Gebetbuch zur Hand genommen. Sonst tat sie das nur, wenn sie Zuschauer hatte, denn ein jeder sollte wissen, wie gottesfürchtig sie war.

Sie ärgerte sich über die Agnes, denn das Madl hatte sie gebeten, ins Dorf gehen zu dürfen. Dabei hätte es die Bäuerin lieber gesehen, wenn die Agnes auf dem Hof geblieben wäre und sie hätte ihren heimlichen Groll an ihr abreagieren können. Aber die Agnes war ihr aus dem Weg gegangen.

»Entrinnen kannst mir net! Bist ja nur eine Magd, und ich werd dir zeigen, daß ich Macht über dich hab.« Das waren ihre Worte, als sie sich nun erhob, um auf den Hof hinauszutreten. Dabei gingen ihr die wunderlichsten Gedanken durch den Sinn.

Als Agnes den Blick hob, sah sie sich der Bäuerin gegenüber. Groß und stattlich stand die Schluchthoferin dort. Eine imposante Erscheinung. Agnes hatte sich noch nie sonderlich zu dieser Frau hingezogen gefühlt. Sie hatte schon gleich bemerkt, daß die Bäuerin es nur darauf abgesehen hatte, bei allen im besten Licht zu erscheinen. Dabei hatte sie ein Herz aus Stein.

Alles, was sie tat, war nur auf Wirkung bedacht. Aber sie hatte mit keinem Menschen Mitleid. Und sie besaß einen großen Egoismus, mit dem sie schon oft anderen Menschen Leid zugefügt hatte. Aber darauf nahm die Bäuerin keine Rücksicht. Ihr ging es gut, sie war aus reichem Haus und hatte wieder reich geheiratet. Sie hatte den stattlichsten Burschen aus dem Tal zum Mann bekommen, saß als geachtete Bäuerin auf einem der größten Höfe, und sie hatte ihrem Mann einen stolzen Sohn geboren. Wie hätte sie sich in das verzweifelte Herz einer Magd hineindenken können?

Agnes erschrak, als die Bäuerin sie mit ihrer kalten, metallisch klingenden Stimme ansprach.

»Hier steh ich und wart schon eine ganze Weile auf dich, Agnes. Komm ins Haus, denn ich hab mit dir zu reden!«

»Vergebung, Bäuerin, aber ich möcht mich in meiner Kammer noch ein bissel erfrischen.« Die Worte kamen gequält. Agnes wankte, ehe die Bäuerin sie daran hindern konnte, in ihre Kammer. Dort benetzte sie ihr heißes Gesicht mit kühlem Wasser, das sie sich aus dem Brunnen geholt hatte.

»Jetzt kommt das, worauf ich schon gewartet hab«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Das schmale Gesicht schaute sie an, als wenn es einer Fremden gehören würde.

»Sie darf net das erste Wort haben. Ich will es ihr net gönnen, wenn ich auch nur noch einen Zipfel von meinem Stolz erhalten möcht«, sprachen die zitternden Lippen.

Wieder fielen droben im Schluchtwald ein paar Schüsse.

Als Agnes ans Fenster trat, sah sie, daß der Bauer allein aus dem Wald zurückkam. Sein Blick glitt suchend über den Hof. Da hörte Agnes die Bäuerin rufen: »Komm herein, Ignaz! Hab schon auf dich gewartet. Bin froh, daß der Wolfram net in deiner Gesellschaft zurückkehrt.«

»Was soll das bedeuten?« fragte Agnes sich. Es war ihr nicht recht, daß der Bauer dabei war. Sie hatte manchmal Mitleid mit ihm, denn sie wußte schon lange, daß er nicht viel zu bestimmen hatte.

Als Agnes in die Stube trat, saß der Bauer schon dort am Tisch.

»Ich möcht, daß der Bauer dabei ist«, hörte sie die Frau sagen.

»Es ist gut, daß du mich zu einer Aussprache gebeten hast, Schluchthoferin«, begann Agnes. Aber die Frau fuhr mit einer schnellen Handbewegung durch die Luft. Sie brachte damit Agnes zum Schweigen. Sie warf dem Bauern einen Blick zu und runzelte im gleichen Moment ärgerlich die Stirn, denn sie sah Mitleid in den Augen des Mannes.

»Setz dich, Agnes! Mußt net wie eine Fremde herumstehen«, sagte er und deutete auf einen Stuhl, der in der Nähe seines Platzes stand. Es war, als wenn er Agnes Mut und Trost spenden wollte. Aber aus den Augen seines Weibes traf ihn ein giftiger Blick.

Agnes setzte sich und faltete die Hände im Schoß. Wie eine Madonna sitzt sie da, ging es dem Bauern durch den Sinn. Aber dieser Gedanke verflüchtigte sich sehr schnell, als er die keifende Stimme seines Weibes hörte.

»Mir brauchst net die Augen zuzuschmieren, Agnes«, klangen die Worte der Frau an Agnes’ Ohr. »Ich hab längst herausgefunden, daß du ein Kind erwartest. Aber hier auf dem Schluchthof bist du bei gottesfürchtigen Leut. Wenn du mir net sagst, wer der Vater des Kindes ist, mußt vom Hof gehen. Wenn du mir den Namen nennst, dann werd ich dafür sorgen, daß er dich heirat. Ist doch bestimmt einer, der im Stand zu dir paßt.«

Abwertend starrte die Bäuerin das Mädchen an.

Agnes erhob sich. Die Worte der Bäuerin klangen in ihr nach: Ist doch bestimmt einer von deinem Stand!

Da hätte sie beinahe laut gelacht, obwohl ihr gar nicht danach zumute war.

Dann hob sie den Blick.

»Ich kann dir den Gefallen net tun, Bäuerin. Ich kann dir net sagen, wer der Vater meines Kindes ist.«

Der Blick der Frau weitete sich vor Erstaunen. Gab es denn so etwas, daß eine arme Magd sich noch tiefer ins Unglück brachte, wo die Bäuerin ihr höchstpersönlich beistehen wollte? Sie konnte es nicht glauben.

Ganz nah trat sie vor Agnes hin, betrachtete sie wie ein Weltwunder.

»Gehst her, Agnes, kannst dich doch in deinem Zustand net aufs hohe Roß setzen. Das hab ich net so gern, weißt. Wenn du starrsinnig bist, dann kannst zum Ersten gehen. Wirst ja schon gehört haben, daß der Wolfram gar bald Hochzeit feiert. Und wer seine Auserwählte ist, wirst auch schon gehört haben. Es ist die Gesa vom Wintringer-Hof. Eine, die etwas einbringt in die Ehe. Ich möcht es der Jungbäuerin net zumuten, eine Magd auf ihrem Hof zu dulden, die bald ein Balg anhängen hat. Wenn du den Vater von deinem Kind heiraten wirst, dann könnt ich es vielleicht einrichten, daß auch er auf den Hof kommt und hier sein Auskommen hat. Geh, zier dich net, sag uns schon den Namen!«

Dem Bauern wurde es unter den Worten seiner Frau schon recht ungemütlich, und so kam es, daß er sich einmischte.

»Geh, Marei, laß doch das Madl aus. Es gibt halt Dinge, über die man net reden möcht.«

»Du bist still, Ignaz!« fuhr sie ihn an. »Halt dich draußen! Verstehst allweil nix von solchen Dingen.«

»Hast mich gerufen, damit ich dabei bin und meine Meinung sagen kann, Marei«, sagte er. Es kam nicht oft vor, daß er es wagte, ihr die Stirn zu bieten. Sie schaute ihn deshalb auch recht erstaunt an. Aber er schwieg ja schon, und da gab sie sich zufrieden.

»Dir braucht keiner ein gutes Wort zu geben, Agnes, wenn du so verstockt bist«, wandte sie sich wieder an das Madel.

»Sie weiß ja jetzt, was du von ihr erwartest, Marei. Nun laß sie gehen, sie kann sich die Sache überlegen.«

Agnes ging schnell zur Tür. Ehe die Bäuerin sie auch nur mit einem einzigen Wort zurückhalten konnte, war sie draußen. Sie lief, als wenn jemand hinter ihr her wäre. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals herauf.

In ihrer Kammer schloß sie die Tür hinter sich ab. Dann warf sie sich auf ihr Bett und barg schluchzend den Kopf in den Kissen.

Als sie sich wieder aufrichtete, stand vor dem Kammerfenster schon die Dämmerung.

Sie hatte an diesem Abend noch ein paar Verpflichtungen in Haus und Stall. Es wurde ihr jetzt schon schwerer, ihrer Arbeit nachzugehen. Was sollte nur noch werden?

Als sie später aus der Tenne trat, kam Wolfram gerade aus dem Wald zurück. Als er Agnes sah, beschleunigte er seinen Schritt. Sie wollte nach ihm rufen, aber plötzlich waren ihr die Lippen wie versiegelt.

*

Stasia, das alte Weiblein aus der Einöde, war im Dorf und auf den Höfen bekannt. Sie war eine Wanderhändlerin, die einmal im Monat auf den Schluchthof kam, um ihre Ware feilzubieten. Es waren geheimnisvolle Dinge darunter. Und weil der Aberglaube in den Bergen oft noch heimisch ist, kam es vor, daß auch die Schluchthoferin die geheimnisvollen Kräutlein und Amulettchen, Tierhaare und Holzfigürchen kaufte.

»Aber wirst es keinem anderen ausplaudern, sonst hast an mir eine Kundin verloren, Stasia«, das waren jedesmal die Worte der Schluchthoferin.

Auch an diesem Morgen kam die Sta­sia schon sehr früh aus ihrer Einöde, und der erste Hof, den sie besuchte, war der Schluchthof.

Über den Berggipfeln stand die Sonne, und über der Steiner-Alm kreiste ein Steinadler. Der Schluchthofer stand mit seinem Sohn Wolfram auf dem Hof und hielt ein Fernglas vor die Augen, um den majestätischen Steinadler besser beobachten zu können.

»Was willst denn, Stasia? Geh ins Haus, die Bäuerin wartet schon auf dich!« rief der Bauer der Alten zu, denn er hatte bemerkt, daß sie sich suchend umschaute.

»Ich stell meine Kiepe auf die Haus­türschwelle und schau mich nach der Agnes um«, rief die Alte.

»Was willst denn von der? Will sie etwas kaufen bei dir?« Das war Wolframs spöttische Stimme.

Stasia warf ihm einen Blick zu, der ihn auf der Stelle zum Schweigen brachte. Ja, er gab es bei sich zu, daß es ihm unter dem Blick der Alten richtig komisch ums Herz wurde.

»Hast allweil keinen Grund, mit einem so losen Mundwerk herumzureden, Wolfram«, sagte sie.

»Was meint sie denn damit?« fragte der Bauer.

Wolfram hatte es plötzlich eilig, aus der Nähe der Alten fortzukommen, denn er fühlte sich von ihr durchschaut.

»Grüß Gott, Stasia!« rief die Bäuerin, die von der Tenne herüberkam. »Ich habe deine Worte gehört, und ich möcht meinen, daß du der Agnes vielleicht eine neue Stelle verschaffen möchtest. Wenn du sie suchst, sie ist droben bei der Furt, wo sie den Knechten hilft, die kleinen Holzstämme über den Hügel zu schaffen.

Da hatte es die Alte plötzlich eilig. Sie redete ganz laut vor sich her, als sie zur Furt hinaufkraxelte, was für ihre alten Beine ziemlich beschwerlich war.

»Da soll noch Gottes Segen auf so einem Hof liegen! Net zu glauben ist es für eine gottesfürchtige Frau, wie ich es bin.«

So redete sie und nahm keine Notiz mehr von den Leuten vom Schluchthof. »Rein kein Herz hat die Marei. Hat wohl vergessen, wie es ist, wenn man zu den Schwachen menschlich sein soll. Geh mir weg mit den Worten, die der Pfarrer sonntäglich von der Kanzel predigt. Sie fallen doch in taube Ohren.«

Schier außer Atem war sie, als sie endlich die Furt erreicht hatte.

Und da stand der Großknecht Stamperl. Der war ein Bursch, breit und wuchtig wie ein Kleiderschrank. Er hatte sich eine Pfeife angezündet und paffte ein paar Rauchwolken vor sich her. Als er die Stasia kommen sah, sagte er: »Grüß di, Stasia! Kann mir denken, daß dich die Sorge heraufbringt. Warst sicherlich auf dem Schluchthof. Drüben ist die Agnes. Ich hab sie geschont. Ist ein Jammer, daß man sich die Schinderei mit ansehen muß. Und das alles nur, weil die Agnes den Namen des Hallodri net nennen will. Sie ist viel zu nachsichtig mit diesem Dreckskerl, der sie ins Unglück gebracht hat. Rein vom Fleck weg würd ich eine wie die Agnes heiraten. Aber mich will sie net.«

Stasia hörte es gern, wie der Großknecht vom Schluchthof redete, denn ihr war die Agnes wie eine eigene Tochter ans Herz gewachsen. Und seit sie wußte, was mit ihr los war, machte sie sich große Gedanken um das Madel.

»Agnes, hast dir allweil ein bissel zuviel zugemutet in deinem Zustand«, sagte sie, als sie zu der Magd trat. »Laß uns eine kurze Verschnaufpause einlegen! Ich bin heraufgestiegen, um mit dir zu reden.«

»Arbeiten muß ich, sonst ist auf dem Schluchthof der Teufel los«, murmelte Agnes. Aber sie ging wie ein gehorsames Kind neben der Alten her. Sie setzten sich auf einen umgestürzten Baumstamm.

Stasia neigte sich vor: »Hast denn wirklich geglaubt, daß du mir etwas vormachen könnst, Agnes? Weiß es schon seit vier Wochen. Ich will dir helfen, glaub es mir, denn ich bin einsam, und du bist es auch. Ich hab dich in mein Herz geschlossen. Und auch ich bin net glücklich, wenn du unglücklich bist, Agnes.«

Sie kramte in ihrer Rocktasche. Schließlich zauberte sie ein Fläschchen hervor.

»Trink einen Schluck davon, er wird dir guttun.«

Agnes tat es. Ein Gefühl großer Dankbarkeit durchpulste sie.

»Ich hab mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich dir helfen könnt, Agnes.«

»Ich dank dir, Stasia. Ich dank dir von ganzem Herzen für deine Barmherzigkeit«, sagte Agnes. »Die Leut nennen dich wunderlich, aber das bist du wahrhaftig net.«