Hello Sunshine - Laura Dave - E-Book

Hello Sunshine E-Book

Laura Dave

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Beschreibung

Wenn dein Leben absolut perfekt ist – ist es dann nicht Zeit, etwas Neues zu wagen?

Sunshine Mackenzie lebt ihren Traum! Mit ihrer YouTube-Kochshow und ihren Lifestyle-Büchern begeistert sie Millionen von Fans. Sie ist einfach die Person, mit der jeder gern befreundet wäre. Noch dazu hat sie ihren Traummann geheiratet, den Architekten Danny, der ihr treu bei allem zur Seite steht. Alles scheint perfekt, bis ausgerechnet an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag herauskommt, dass die hochgelobten Rezepte aus der Show gar nicht von ihr sind. Die Fans sind empört, und Sunshine sieht nur einen Ausweg: Sie verlässt New York, um in einem kleinen Küstenstädtchen noch einmal von vorn zu beginnen …

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Seitenzahl: 448

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Buch

Sunshine Mackenzie lebt ihren Traum! Mit ihrer YouTube-Kochshow und ihren Lifestyle-Büchern begeistert sie Millionen von Fans. Sie ist einfach die Person, mit der jeder gern befreundet wäre. Noch dazu hat sie ihren Traummann geheiratet, den Architekten Danny, der ihr treu bei allem zur Seite steht. Alles scheint perfekt, bis ausgerechnet an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag herauskommt, dass die hochgelobten Rezepte aus der Show gar nicht von ihr sind. Die Fans sind empört, und Sunshine sieht nur einen Ausweg: Sie verlässt New York, um in einem kleinen Küstenstädtchen noch einmal von vorn zu beginnen …

Die Autorin

Laura Dave hat bereits einige international erfolgreiche Romane veröffentlicht. Darüber hinaus schreibt sie für namhafte Zeitungen und Magazine, wie zum Beispiel The New York Times, Oprah Magazine und Glamour. Cosmopolitan kürte sie zur »witzigsten und furchtlosesten Erzählerin des Jahres«. Hello Sunshine ist nach Ein wunderbares Jahr Laura Daves zweiter Roman in deutscher Sprache.

Von Laura Dave bereits erschienen:

Ein wunderbares Jahr

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Laura Dave

Hello

Sunshine

Roman

Deutsch von Ivana Marinovic

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel »Hello, Sunshine« bei Simon & Schuster, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2017 by Laura Dave

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

LH · Herstellung: sam

ISBN: 978-3-641-18389-9 V003

www.blanvalet.de

Meinen Js.

Das Geheimnis des Lebens besteht in Ehrlichkeit und redlichem Handeln. Wenn du das vortäuschen kannst, hast du es geschafft.

Groucho Marx

Juni

1

Zwei Sachen sollten Sie besser vorab wissen. Die erste ist: Am Morgen meines fünfunddreißigsten Geburtstags – dem Tag, an dem ich meine Karriere, meinen Ehemann und mein Zuhause mit einem einzigen Schlag verlor – weckte mein Radiowecker mich mit einem meiner absoluten Lieblingssongs. Ich erwachte zu Moonlight Mile, das sonst so gut wie nie im Radio lief, und dachte tatsächlich: Die Welt ist gut. Ich blieb in meiner nagelneuen, luxuriösen Frette-Bettwäsche liegen (einem Geburtstagsgeschenk an mich selbst), das Sonnenlicht strömte durch die Fenster, die Morgenluft war kühl und klar. Ich hörte mir das ganze Lied an, während es durch meine Wohnung klang und mich mit einem Gefühl grundloser Zuversicht erfüllte.

Sagt Ihnen der Song Moonlight Mile etwas? Er ist von den Rolling Stones – wenn auch nicht ansatzweise so beliebt wie ihr allgegenwärtiges You Can’t Always Get What You Want und auch nicht so schmalzig wie der notorische Hochzeits-Hit Wild Horses.Moonlight Mile ist einfach nur der ehrlichste Rocksong, der jemals aufgenommen wurde. Ich sage das jetzt nicht als meine persönliche Meinung, sondern als schlichte Tatsache. Es ist einfach eine unbestreitbare Wahrheit, die Sie in Herz und Hirn verinnerlichen sollten, und falls einmal jemand einen anderen Song als Inbegriff von Genialität preist (seien Sie auf die Beatles gefasst, die für gewöhnlich gegen die Stones ins Feld geführt werden), können Sie sich lächelnd zurücklehnen und im Stillen denken: Ich weiß es besser. Es ist schön, es besser zu wissen. Es ist schön, das abschließende Gitarrenriff des Songs zu hören und zu wissen, dass ein Musikstück tatsächlich gleichzeitig so sanft und komplex sein kann, so gefährlich und still, so voller Leben, Liebe und Tod – es offenbart ein Geheimnis; und zwar eins, das ich gerade erst zu verstehen begann – über all das, was in dieser Welt zählt, all das, was uns bindet und uns irgendwann mit einem Schlag verlässt.

Das Heikle an der Sache ist, dass der Song das Ergebnis einer nächtlichen Jam-Session zwischen Mick Jagger und dem Gitarristen der Rolling Stones, Mick Taylor, war. Taylor nahm ein kurzes Gitarrenstück, das Keith Richards zuvor aufgenommen hatte, und bearbeitete es für die Session. Es war auch Taylors Idee, am Ende ein Streicher-Arrangement hinzuzufügen. Es heißt, dass Taylor aus gutem Grund versprochen wurde, ihn als Mitautor zu nennen, und doch wurde Moonlight Mile offiziell Jagger/Richards zugeschrieben. Keith Richards stritt später jegliche Beteiligung Taylors ab und behauptete, dass Mick Jagger ganz allein den Song beigesteuert hätte.

Nach meiner Meinung gefragt, würde ich normalerweise sagen: Wenn juckt’s? Die Credits sind nicht wichtig – was zählt, ist der Song. Taylor spielte weiterhin für die Band, also hatte er die Sache wohl auf sich beruhen lassen.

Nur dass mich diese Ungerechtigkeit an jenem fraglichen Morgen – dem Morgen meines fünfunddreißigsten Geburtstags, als ich in meinen frischen Frette-Laken lag und die Welt mir so gut und richtig schien – nicht losließ. Also griff ich nach meinem Handy, um die Sache im Internet zu recherchieren.

In Anbetracht dessen, was sich über meiner Welt zusammenbraute, war es mehr als seltsam, dass mich Taylor genau in diesem Moment so sehr beschäftigte. Nennen Sie es Vorsehung, nennen Sie es Intuition, aber zum ersten Mal verspürte ich so etwas wie Mitgefühl für ihn. Was nicht heißen soll, dass ich in meiner ganz speziellen Geschichte die Art Heldin bin, mit der man mitfiebert. Ich bin nicht Mick Taylor. Nicht einmal Mick Jagger.

Ich bin Keith Richards, der die Lorbeeren einheimst und Lügen erzählt, obwohl er nicht einmal dabei war.

Ich hörte ein Stöhnen neben mir. »War das nicht deine Regel: keine Handys im Bett?«

Ich drehte mich um und betrachtete meinen Mann, der gerade aufwachte und dabei demonstrativ gähnte. Danny Walker: gebürtig aus Iowa, markantes Kinn, furchtloses Gemüt. Er hatte die Augen mit den langen Wimpern (dicht und dunkel, als hätte sie jemand mit einer dicken Schicht Mascara bepinselt) fest zusammengekniffen.

»Du kannst mein Handy doch nicht mal sehen«, protestierte ich.

»Das muss ich nicht … ich kann es spüren«, entgegnete er. Er öffnete seine unglaublich grünen Augen, die von den dunklen Wimpern umrahmt wurden. Ich war neidisch auf diese Wimpern, diese Augen. Danny verfügte über mehr natürliche Schönheit, als eine Frau je künstlich erreichen könnte – allen voran seine Ehefrau. Und auch wenn manche Frauen stolz darauf gewesen wären oder so glücklich verliebt, dass sie keine albernen Vergleiche anstellten, war ich keine dieser Frauen. Ich stellte Vergleiche an. Das war nicht immer so gewesen, doch irgendwann im Lauf unserer Beziehung hatte ich damit angefangen. Aber Moment, ich greife voraus.

»Es ist deine Regel«, beharrte er und deutete auf das Handy. »Mach es aus.«

»Ist das wirklich das Erste, was du mir heute sagen möchtest?«, fragte ich.

»Alles Gute zum Geburtstag.« Er schenkte mir sein wundervolles Lächeln. »Mach es aus.« Dann strich er mit seiner Hand meinen Bauch hinab; seine Finger waren eisig. Wir wohnten in einem alten umgebauten Loft in Tribeca, New York (kürzlich erst für den Architectural Digest fotografiert), das nur wenige Blocks vom Hudson River entfernt lag und morgens eiskalt war. Ungeachtet der Jahreszeit und ungeachtet der Junihitze, herrschten in der Frühe winterliche Temperaturen. Die Wohnung war zudem ungewöhnlich laut, mit den Geräuschen des Highway und des Flusses, die sich vermengten, um einen daran zu erinnern, dass es keinen anderen derart zerrissenen Ort auf der Welt gab. Es war mit Abstand die hübscheste Wohnung, in der wir bisher zusammen gelebt hatten – eine echte Steigerung zu unserer ersten Studentenbude in Oregon, die vom Vermieter als Garten-Apartment angepriesen worden war, und er hatte durchaus recht gehabt, man konnte den Garten sehen – wenn man durch die Kellerfenster hochschaute.

Danach folgten drei andere Wohnungen, aber keine davon verfügte über die großzügigen Eckfenster des Lofts – mit Ausblick auf den Hudson River und den Battery Park.

Ich warf das Handy neben mich aufs Bett, und mit ihm Mick Taylor.

»Gut, dann lass uns noch mal von vorne beginnen: Alles Gute zum Geburtstag, Liebling«, sagte er, während ich mich für eine Sekunde fragte, ob er ebenfalls an unsere Immobilien-Vergangenheit und unsere gemeinsame Geschichte gedacht hatte.

Dann begann er mich zu küssen, und ich hörte auf zu denken. Nach all den Jahren konnte ich mich immer noch in seinen Küssen verlieren – in ihm verlieren. Wie viele Menschen konnten das nach einer vierzehnjährigen Beziehung behaupten? Und ja, ich vertusche dabei den anderen Teil – den Teil, wo unsere Beziehung einen ziemlich hässlichen Kratzer bekam. Aber ich hatte mir geschworen, einiges zu ändern, und in diesem Moment war ich entschlossen, es auch zu tun. Fest entschlossen.

Danny schob sich auf mich, und seine Hände glitten langsam meine Schenkel hinab, als ich es hörte: das Summen meines Handys neben mir, während eine E-Mail-Benachrichtigung aufleuchtete. Ich zuckte zusammen und wollte instinktiv danach greifen. Es hätte etwas Wichtiges sein können – immerhin arbeiteten einhundertfünfzig Menschen an meiner Show, also war es normalerweise wichtig.

Danny schielte aus dem Augenwinkel aufs Display. »Wie war das mit dem Handy?«

»Ich mach’s kurz«, beschwichtigte ich ihn. »Versprochen.«

Er zwang sich zu einem Lächeln und rückte von mir ab. »Nein, wirst du nicht.«

Ich klickte mein Postfach an, und da war die E-Mail.

Die Betreffzeile war einfach gehalten.

Hello Sunshine

Ich kannte den Absender nicht, darum hätte ich die Mail beinahe nicht geöffnet. Manchmal sage ich mir, dass ich, wenn ich es nicht getan hätte, womöglich hätte aufhalten können, was danach kam.

Tür eins: Sunshine Mackenzie ignoriert die Mail, hat tollen Geburtstags-Sex mit ihrem Ehemann, und das Leben geht weiter wie gehabt.

Tür zwei: Sunshine schubst ihren Ehemann beiseite, öffnet die E-Mail von jemandem namens AintNoSunshine, und ihr Leben, wie sie es kannte, findet ein jähes Ende.

Und nun lasst uns raten, welche Tür ich wohl nahm.

Weißt du, wer ich bin? Hier ein kleiner Hinweis: Ich bin dabei, dich zu ruinieren.

Ich lachte einen Tick zu laut. Immerhin handelte es sich um eine reichlich lächerliche Mail, total übertrieben – wie diese Spam-Nachrichten aus Nigeria, die einen auffordern, seine Kontodaten zu schicken.

»Was ist so lustig?«, wollte Danny wissen.

Ich schüttelte den Kopf. »Ach nichts. Nur eine dämliche E-Mail.«

»Tja, das sind sie für gewöhnlich.«

Das war so ein Streitpunkt zwischen uns. Während meine gesamte Karriere sich online abspielte, war Danny Architekt und checkte sein Postfach oft keine zweimal täglich. Er hatte gelernt, es zu kontrollieren und dämliche E-Mails von schwierigen Kunden zu ignorieren, die von ihren eleganten Stadthäusern in Gramercy Park und ihren Dachterrassenwohnungen in Bowery besessen waren. Er hatte gelernt, es zu kontrollieren, damit er es überhaupt schaffte, seine Arbeit für genau diese Leute fertigzubekommen. Es war eine Fähigkeit, die seine Frau sich scheinbar erst noch aneignen musste.

Ich wandte mich wieder meinem Handy zu.

»Na schön«, sagte er. »Du hast deine Wahl getroffen.« Er schlug die Decke zurück und stand auf.

»Nein!«, rief ich und griff nach ihm, um ihn wieder ins Bett zurückzuziehen. »Danny! Bitte komm zurück. Das ist ein Geburtstagsbefehl.«

Er lachte. »Nö, zu spät.«

Dann kam die nächste E-Mail. Denkst du etwa, ich mache Spaß? Ich bin nicht so der spaßige Typ. Manche würden sogar behaupten, humorlos: www.twitter.com/sunshinekocht

Ich erstarrte. Humorlos – warum hatte er dieses Wort gewählt? (Zu diesem Zeitpunkt war ich noch völlig ahnungslos und glaubte, der Hacker sei ein Er.) Also klickte ich den Link an. Und da blickte mir auch schon mein gesicherter Twitter-Account entgegen. Da war mein Profil, inklusive eines Fotos von mir in meiner Studioküche; ich trug eine Bauernbluse und eine stylish zerrissene Jeans, das Haar zu einem lockeren Dutt hochgebunden.

@sunshinekocht

Kochen für eine neue Generation. Mit #alittlesunshine. NY-Times-Bestsellerautorin: #Farmerstochter, #vomFeldauf denNewYorkerTisch & (kommt bald!) #vonderSonnegeküsst

Und ein neuer Tweet an meine 2,7 Millionen Follower.

Scheinbar von mir.

Ich bin eine Betrügerin. #aintnosunshine

Ich muss laut nach Luft geschnappt haben, denn Danny drehte sich zu mir um. »Was ist?«

»Ich glaube, mein Twitter wurde gehackt«, erklärte ich.

»Was redest du da?« Er kam zum Bett zurück, um selbst nachzuschauen, doch ich zog schnell das Handy weg. Selbst in dem Chaos, das über mir hereinbrach, hatte ich das instinktive Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, es für mich zu behalten. Und natürlich, es von ihm fernzuhalten.

»Ach, ist halb so wild.«

»Sunny …«

»Ich leite es gleich an Ryan weiter. Er wird sich darum kümmern. Ist schließlich sein Job.«

Danny schien nicht überzeugt. Vierzehn Jahre. Er wusste, wenn etwas im Busch war. »Bist du sicher?«

Ich zwang mich zu einem Lächeln und wiederholte, dass alles in Ordnung sei. Also nickte er nur und ging raus.

Doch zuerst beugte er sich herab und küsste mich. Ein süßer Kuss. Ein Geburtstagskuss. Nicht der Sex, den wir beinahe gehabt hätten, aber immerhin etwas. Etwas Schönes.

In diesem Moment leuchtete das Handydisplay abermals auf, und ein weiterer Tweet erschien.

Aber lassen Sie mich hier aufhören.

Bevor wir zum nächsten Tweet kommen, zum nächsten Hack. Bevor wir zu seinem Inhalt kommen. Zu der Enthüllung, die zum ruinösen Ende meiner Karriere, meines Zuhauses und meiner Ehe führte.

Erinnern Sie sich noch, wie ich sagte, dass es zwei Sachen gäbe, die Sie vorab wissen sollten?

Die erste war, wie es geschah: Am Morgen meines fünfunddreißigsten Geburtstags beglückwünschte mich Moonlight Mile zu meinem Ehrentag, mein Ehemann liebte mich noch, und dann traf diese E-Mail ein. Es war der Beginn von etwas, das ich nicht aufhalten konnte.

Die zweite Sache, die Sie wissen sollten? Ich war (zumindest zu jenem Zeitpunkt) kein guter Mensch. Definitiv nicht. Manche würden sogar sagen, ich war ein schlechter Mensch. Und alles, was der Verfasser jener Mail – der Hacker, der Zerstörer meines perfekten Lebens – über mich zu sagen hatte, war die Wahrheit.

Fällt Ihnen auf, dass ich Ihnen zuerst erzählt habe, wie diese schlimme Geschichte ihren Anfang nahm? Mitleid heischend. Nehmen Sie das als Beweis für Punkt zwei.

2

Ich saß in meinem Wohnzimmer, meinen Laptop auf dem Schoß aufgeklappt, als der zweite unheilvolle Tweet hereingeflattert kam.

Glücklicherweise hatte Danny einen Kundentermin für ein wichtiges Projekt am Central Park West, darum war es kein Problem gewesen, ihn schnell aus der Wohnung zu kriegen, um mich allein in meinem »Ei« zu verkriechen – einem lila Designer-Drehsessel aus den Fünfzigerjahren, den ich mir für viel zu viel Geld geleistet hatte, kurz nachdem A Little Sunshine als Serie anlief. Normalerweise liebte ich es, in meinem Eiersessel zu sitzen. Dafür, dass er so hässlich wie überteuert war, hing ich auf ganz komische Art und Weise an ihm. Doch in diesem Moment bescherte mir selbst mein Lieblingssessel Pickel. Na gut, vermutlich war es nicht der Sessel. Vermutlich waren es die Tweets.

Um die »Ich bin eine Betrügerin«-Sache« zu erhellen … hier kommt Beweisstück Nr. 1: #aintnosunshine

Dann folgte ein Foto. Es zeigte eine herausgerissene Seite aus meinem ersten Kochbuch: A Little Sunshine– Rezepte einer Farmerstochter. Es war die Seite mit meinem berühmtesten Rezept, meiner Tomatenpie – eine moderne, zeitgemäße Variation des Südstaaten-Klassikers, mit knusprig-dünnem Boden und einem Belag aus aromatischen alten Tomatensorten, Balsamico-Essig, frischem Basilikum, Pinienkernen und cremigem Mozzarella. Dazu kamen noch frische Gartenkräuter, zerstoßener Pfeffer und – mein Markenzeichen – Zitrone anstelle von Salz.

Nur dass mein Name ganz oben auf der Seite durchgestrichen war und dort stattdessen mit dickem schwarzen Filzstift der Name Meredith Landy prangte.

Meredith Landy war die Frau meines Produktionsleiters, Ryan. Sie war ehemals Souschefin im bekannten Babbo-Restaurant gewesen und hatte schon vor einer Ewigkeit ihre undankbaren Arbeitszeiten als Köchin gegen einen Umzug nach Scarsdale getauscht, wo sie wiederum viel zu viel Zeit damit verbrachte, ihre 90-Quadratmeter-Küche neu einzurichten – zuerst um Diane Keatons Küche aus dem Film Was das Herz begehrt nachzugestalten, später dann die Landhausküche der Fernsehköchin Ina Garten.

Außerdem war sie – und ich hatte bisher angenommen, dass nur zwei Menschen auf dieser Welt das wüssten – die eigentliche Erfinderin des famosen Tomatenpie-Rezepts. Von zwei Mitwissern auf 2,7 Millionen, und das auf einen Schlag. Ich musste mich an der Lehne festkrallen, um nicht aus meinem Sessel zu kippen.

»Ich versuche, jemanden bei Twitter ans Telefon zu kriegen!« Ich drehte mich in meinem Sessel um, als Violet, meine Assistentin, mit zwei Bechern Kaffee und ihrem Handy am Ohr in die Wohnung spaziert kam. »Diese verdammte Zeitverschiebung. Bestimmt schlafen die da drüben an der Westküste noch«, schimpfte sie. »Ich hänge seit einer Ewigkeit in der Warteschleife. Ist Ryan da?«

»Kannst du ihn etwa sehen?«, gab ich zurück

Violet reichte mir einen Kaffee und ließ sich unbeeindruckt von meinem harschen Tonfall aufs Sofa fallen. Sie war vierundzwanzig, einen Meter achtzig groß, mit einer wilden roten Mähne, einem bezaubernden Lächeln und einem ausgeklügelten Plan, bis zu ihrem achtundzwanzigsten Geburtstag ihr eigenes kulinarisches Reich aufzuziehen (Es war einmal… eine Veganerin). Sie sagte gerne, dass sie, wenn es so weit wäre, mit ihrer persönlichen Violet wesentlich gröber umspringen würde als ich mit ihr.

»Ryan hat mich von unterwegs angerufen. Er ist schon dabei, Merediths Stellungnahme zu veröffentlichen«, erklärte sie. »Dass sie nichts mit deiner berühmten Tomatenpie oder sonst irgendeinem Rezept zu tun hat … dass Sunshine gehackt wurde, bla, bla, du weißt schon …«

»Was glaubst du, wer das geschrieben hat?«

Sie stand abrupt auf. »Hallo?«, rief sie ins Handy. »Wer sind Sie?« Dann schritt sie im Loft auf und ab, vom Wohnzimmer in die offene Küche und zurück, wobei die deckenhohen, stahlgerahmten Fenster ihren Weg säumten. Danny hatte die Wohnung ausgehend von diesen Fenstern gestaltet, deren klare Linien das Backsteingebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite umrahmten – eine Teegroßhandlung aus dem achtzehnten Jahrhundert –, auf dessen Fassade der weiße Schriftzug immer noch LAPPIN TEA anpries. »Nein! Ich brauche Craig …«, schrie sie die Person am anderen Ende der Leitung an.

Ich wandte mich wieder meinem Computer zu und las die neuesten Antworten auf den Meredith-Landy-Tweet.

@sunshinekocht Ist das wahr? #WaszurHölle

@sunshinekocht Dachte mir schon, dass du zu mager bist. #echteKöcheessen

@sunshinekocht Liebe Sunshine, du bist ein Monster.

Monster schien mir eine ausgesprochene Überreaktion, und zum ersten Mal war ich froh, dass ich aus meinem System ausgeloggt war, sodass ich nichts auf @kittymom99 antworten konnte, was ich später womöglich bereuen würde. Ich schloss das Twitter-Fenster und machte mich wieder daran, Erklärungen für den Rest meiner Social-Media-Ichs zu entwerfen. Ich hatte eine Angestellte, die meine Profile betreute, aber ich wollte mich nicht auf eine fünfundzwanzigjährige Uni-Absolventin verlassen, um eine adäquate Nachricht an meine 1,5 Millionen Facebook-Freunde zu verfassen.

»Sie schließen den Account!«, rief Violet triumphierend. »Craig schließt den Account!«

Ich blickte auf und sah Violet zu, die einen Moonwalk auf dem Perserteppich hinlegte und an den Fenstern vorbeitanzte, als auch schon Ryan durch die Eingangstür spaziert kam – wie immer gerade rechtzeitig, um die Lorbeeren einzuheimsen.

»Sie schließen den Account«, verkündete er, als hätte Violet nicht gerade dasselbe gesagt.

Ryan Landy. Absolvent der Columbia University in Jura und Wirtschaftswissenschaften, jugendliche vierzig Jahre alt und wie aus Marmor gemeißelt – Kiefer, Kinn, Schultern. Er trug wie üblich Jeans und Sakko, das Hemd einen Knopf zu weit geöffnet. Seit seinem Vierzigsten trug er zusätzlich die zwanghaft-lässigen Hipster-Sneaker, die seine perfekte Mischung aus Jungenhaftigkeit, Verdorbenheit und einem trügerisch-charmanten Etwas unterstrichen, das so gut wie jede Frau zu Wachs in seinen Händen werden ließ – einschließlich seiner Ehefrau Meredith, die nicht in der Lage schien, irgendwas anderes zu tun, als ihm all diese anderen Frauen zu verzeihen.

Violet, die immer noch am Handy hing, legte ihre Hand über den Hörer. »Ich hab Craig dran«, sagte sie. »In dreißig Sekunden sollte es vom Netz sein.«

»Das hätte VOR DREISSIG SEKUNDEN vom Netz sein sollen, Craig!«, rief Ryan laut genug, damit Craig es auch hörte.

Violet hielt sich das andere Ohr zu. »Was meintest du, Craig?«, fragte sie und hastete davon.

Ryan kam zu meinem Eiersessel, wirbelte mich herum und schenkte mir sein schelmisches Grinsen.

»Hast du Hunger?«, fragte er.

»Ob ich Hunger habe? Äh … nein.«

Er steuerte die Küche an. »Nun, ich hoffe stark, du hast was zu essen da … ich bin nämlich am Verhungern.«

Ryan öffnete meinen Kühlschrank und holte einen grünen Smoothie und ein hartgekochtes Ei heraus. Dann schwang er sich auf die Arbeitsfläche – meine wunderschöne graue Schieferarbeitsfläche, die sich so umwerfend machte zu dem gläsernen Kühlschrank, dem achtflammigen Gasherd und den Edelstahlbacköfen.

Es war in jeglicher Hinsicht die Küche eines echten Profis, auch wenn ich das in keinster Weise war.

Ryan schob sich das komplette Ei in den Mund. »Guck nicht so verängstigt«, sagte er schmatzend.

»Ich bin nicht verängstigt. Ich bin stinksauer. Wie konnte das passieren?«

»Mit Kevin konnte das passieren. Aber Jack hat den gesamten Morgen damit verbracht, deine anderen Accounts mit einer Firewall zu sichern«, erläuterte er mit vollem Mund. »Neue Passwörter, neue Sicherheitscodes. Niemand außerhalb dieses Raums wird sie haben. Das heißt, niemand außer Jack.«

»Wer ist Jack?«

»Der neue Kevin.«

Ich runzelte die Stirn. »Es ist trotzdem schon passiert. Die Leute werden glauben …«

»Die Leute werden genau das glauben, was wir ihnen sagen«, unterbrach er mich. »Ich meine, hör dir nur mal Merediths Stellungnahme an«, sagte er, zückte sein Handy und las laut vor. »Mein Mann, der renommierte Produzent Ryan Landy, hat mit Sunshine Mackenzie zusammengearbeitet, seit er ihr erstes Video auf YouTube entdeckt hat, in dem sie eben dieses Rezept zubereitete. Bis auf die Tatsache, dass ich ein großer Fan bin (und wie ich meine, auch eine geschätzte Vorkosterin), hege ich keinerlei Ansprüche auf irgendeine von Sunshines köstlichen Kreationen.«

»Warum reden alle mit mir, als hätte ich das nicht selbst geschrieben?«, fragte ich.

Er grinste. »Ich lobe nur deine gute Arbeit.«

Ich nickte, verspürte jedoch keine Erleichterung. Das Ganze war ziemlich knapp gewesen. Und keiner von uns sprach die Wahrheit aus: Meredith war die echte Köchin. Es waren ihre Rezepte. Ihre Vision. Oder, besser gesagt, Ryans Vision, und ihre Ausführung derselben.

»Du glaubst aber nicht, dass Meredith dahintersteckt, oder?«

Ryan lachte. Offenbar fand er die Vorstellung, dass seine Frau ihn hintergehen könnte, höchst amüsant. »Nie im Leben!«

»Aber was, wenn sie …?«

»Sie war’s nicht. Das würde uns finanziell ruinieren. So etwas würde sie niemals tun.«

»Wer dann?«, bohrte ich weiter.

Ryan schüttelte den Kopf. »Ein Hacker, jemand, der sich in deinen E-Mail-Account …«

Seine Lässigkeit begann mich allmählich zu nerven. »Aber wie könnte irgendein wildfremder Hacker der Wahrheit so nahekommen?«

Er zuckte die Achseln. »Ich hab’s dir doch gesagt. Je höher du steigst, desto mehr Leute sind hinter dir her. Und irgendwer hat es ganz offensichtlich auf dich abgesehen. Wahrscheinlich ist jemand nervös geworden wegen deines Deals mit Food Network …«

Mein Vertrag mit Food Network. Ich hatte es nicht ansprechen wollen. Ich war als Co-Moderatorin einer neuen Frisch-auf-den-Tisch-Kochsendung verpflichtet worden. Mittlerweile waren Kochwettbewerb-Shows der Heilige Gral des Senders – niemand bekam noch direkt eine Kochsendung angeboten, wenn es sich nicht gerade um einen Filmstar handelte, der das Kochen für sich entdeckte. Doch A Little Sunshine hatte es tatsächlich zu so viel Beliebtheit geschafft. Die Sendung sollte im September anlaufen – zumindest war das der Plan. Falls dieser Hacker uns keinen Strich durch die Rechnung machte.

Ryan hüpfte von der Arbeitsfläche. »Aber die Sache sieht so aus: Ich habe seinen Zugang blockiert, und es gibt nichts, was er jetzt noch tun könnte.«

Er. Ryan sagte auch er. »Du denkst, dass es ein Kerl ist? Das ist interessant. Mein Bauchgefühl sagt mir dasselbe.«

Er kam auf mich zu, bis er direkt vor mir stand, und umfasste zärtlich meinen Nacken. »Können wir das endlich abhaken? Ich hab noch andere Dinge, die wir besprechen sollten, okay?«

Ich wandte den Blick ab; ich hatte keine Lust, mich mit seinen anderen Dingen zu beschäftigen. »Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel heute Abend. Die Party.«

Ich schloss die Augen. Bei dem ganzen Chaos hatte ich das ganz vergessen. Danny hatte eine Überraschungsparty im Hinterzimmer des Locanda Verde für fünfzig unserer engsten Freunde geplant.

»Wir sollten sie abblasen«, erwiderte ich.

»Kommt nicht infrage!«

Mir war klar, was er vorhatte. Er wollte meine Party dafür benutzen, diese Sache wieder geradezurücken. »Du willst die Geschichte zu unseren Gunsten drehen.«

»Ich sehe schon, ich habe dir ordentlich was beigebracht, kleine Sunshine.«

Ich bedachte ihn mit einem finsteren Blick. Aber er hatte nicht unrecht. Er hatte mir etwas beigebracht.

»Ich werde die Presse einladen. People, US Weekly. Es ist eine großartige Möglichkeit, diesen Gerüchten ein für alle Mal ein Ende zu setzen.«

Normalerweise hätte ich mitgespielt. Aber ich zögerte. Der Hacker-Angriff, dieser Tag, der Rolling-Stones-Song – irgendwas daran, nein, eigentlich alles, hatte mir zugesetzt. Und ich verspürte … etwas Seltsames.

»Danny will heute Abend keine Publicity. Das hat er ausdrücklich gesagt.«

»Und warum noch mal sollte mich interessieren, was Danny sagt?«

Ich warf Ryan einen schneidenden Blick zu. Ich war nicht in der Stimmung, seinem Ego zu schmeicheln – so zu tun, als hätte er die letzte Schlacht zwischen Arbeits-Ehemann und echtem Ehemann gewonnen. Und ich wollte Danny nicht verärgern, zumal Geburtstage für uns beide eine große Sache waren. Wir waren seit unserem einundzwanzigsten Lebensjahr unzertrennlich, seit der Uni. Und jedes Jahr versuchten wir, das vorige Jahr für den anderen zu übertreffen. Danny war schon eingeschnappt gewesen, dass ich in seine E-Mails mit den Details für die Party gespickt und darum gebeten hatte, ein paar Änderungen vorzunehmen (Gästeliste, Menü und Zeit – mit der Örtlichkeit hingegen war ich einverstanden).

»Hör zu, du könntest doch so tun, als ob du von nichts gewusst hättest«, schlug Ryan vor.

Das war wirklich das Letzte, was ich tun wollte. Auch wenn ich mit den Jahren so etwas wie eine routinierte Lügnerin geworden war – eine Grundvoraussetzung für meinen Job –, war ich doch früher mal eine grundehrliche Person gewesen. Und das war die Person, die Danny kannte – die Person, in die er sich verliebt hatte. Jedes Mal, wenn ich bei ihm versuchte, die Wahrheit zurechtzubiegen, durchschaute er mich. Außerdem wollte ich nicht mit ihm streiten.

»Regle das, wie du willst«, sagte Ryan. »Aber wir müssen das machen, okay?«

»Na schön, von mir aus. Aber sorg dafür, dass die Sache unter Kontrolle bleibt.«

»Wann bitte tue ich das nicht?« Nachdenklich hielt er inne. »Sieht man mal von heute Morgen ab.«

»Ryan, wir werden uns mit ihm befassen müssen.«

»Mit Danny?«, fragte er verwirrt.

»Mit dem Hacker.«

Er verdrehte die Augen. »Ich befasse mich doch mit ihm! In genau diesem Moment opfern fünf Leute ihre Zeit, um herauszufinden, welcher Spinner, der noch zu Hause bei Mutti in Idaho wohnt und sich einmal zu oft zu deinen Videos einen runtergeholt hat, diesen Mist verzapft hat.«

»Igitt, bist du eklig.«

Ryan schlürfte am Smoothie. »Stets zu Diensten.«

»Äh … Leute?« Violet kam in die Küche getänzelt. »Jetzt schaltet sich auch noch Amber ein …«

Amber war Amber Rucci, aka Tollster Toast der Stadt. Eine berühmte kulinarische YouTube-Kollegin. Sämtliche ihrer Gerichte basierten auf Toastbrot: dickes altmodisches Brioche, gesalzenes, körniges Roggenbrot. Manche ihrer Rezepte bestanden ganz schlicht aus hausgemachter Mandelbutter auf geröstetem Brioche. Ging das überhaupt als Rezept durch? Offensichtlich ja, denn ihre Fans liebten sie. Außerdem war sie jung und attraktiv … und die Gastgeberin der zweitpopulärsten YouTube-Kochshow, gleich hinter A Little Sunshine. Vor ein paar Jahren hatte sie sich bei mir gemeldet und mir ein Sortiment an Kochutensilien geschickt (Lass uns kochen!!), um so etwas wie eine Freundschaft zwischen uns zu zementieren. Ich war natürlich mehr als glücklich gewesen, ebenfalls einen auf nett machen zu können, und hatte ihre Aufmerksamkeit mit einem exklusiven Messer-Set (Dein Herd oder meiner?) erwidert. Unsere »Freundschaft« gipfelte in gemeinsamen Auftritten in der Show der jeweils anderen und einem Artikel in der »Night Out«-Kolumne der New York Times. Das Menü bestand aus meiner famosen Tomatenpie, begleitet von ihrem Avocado-Minz-Toast.

Und jetzt schien es, als wolle sie die Welt wissen lassen, dass sie keine bloße Schönwetterfreundin war.

Glaubt an die Macht von Sunshine! #Köchinnenhaltenzusammen #LiebeundPfeffer

Sie hatte einen Link zu einem Instagram-Foto hinzugefügt, auf dem wir in ihrer Küche gemeinsam ein Abendessen vorbereiteten.

Violet ließ ihr Handy sinken. »Das ist doch nett, oder?« sagte sie. »Trotzdem, warum hat sie keine persönliche E-Mail geschickt?«

»Wofür wäre das denn gut gewesen?«, entgegnete Ryan. »Das hätte doch niemand gesehen!«

»Ich hasse Toast«, fügte ich hinzu.

Ryan grinste. »Das ist mein Mädchen!«

»Violet, ich möchte, dass du die nächste Viertelstunde ein paar Tweets raushaust«, sagte ich. »Irgendwas wie … Hallo Leute, ich bin’s, eure Sunshine (die echte Sunshine)… was für ein Morgen! Du weißt schon.«

Sie eilte Richtung Wohnzimmer. »Bin schon dabei.«

»Nimm auch eins von diesen inspirierenden Instagram-Zitaten rein«, rief Ryan ihr hinterher. »Darüber, wie beängstigend es sein kann, wenn jemand an deiner Stelle spricht und so tut, als wäre er du … Wie stark du dich fühlst, wieder deine eigene Stimme benutzen zu können. So Zeug.«

Violet drehte sich um. »Ooh! Ich habe da ein super Zitat von Maya Angelou!«

»Hab ich dich etwa um Details gebeten?«, gab Ryan zurück und bedeutete ihr mit einem Wink zu verschwinden. »Benutz auf jeden Fall einen gelben Hintergrund!« Dann wandte er sich an mich. »Die Leute verbinden mit der Farbe Gelb Wahrheit«, erklärte er mir.

Hatte ich das nicht schon irgendwo gelesen? Oder war Ryan nur so überzeugend, wenn er seinen Mist verzapfte, dass ich es nicht nur glaubte, sondern darüber hinaus auch glaubte, es schon immer geglaubt zu haben? Ich griff nach meinem Kaffeebecher. »Gut zu wissen.«

»Ich kann auf Sarkasmus verzichten.«

»Dann bring gefälligst diese Sache in Ordnung, Ryan«, sagte ich. »Was, wenn jemand anfängt herumzuschnüffeln? Food Network wird mich fallen lassen. Alle werden mich fallen lassen!«

»Das wird nicht passieren«, beschwichtigte mich Ryan.

Ich blickte ihn zweifelnd an.

»Hör zu, wir haben das offizielle Statement von Meredith, in dem sie schreibt, dass das Gerücht nicht stimmt. Wer sollte da noch herumschnüffeln? Und warum? Abgesehen davon, will niemand im Wespennest herumstochern – immerhin gab es im letzten Jahrzehnt zwei Persönlichkeiten, die ein Kochbuch veröffentlicht haben und nichts mit den darin enthaltenen Rezepten zu tun hatten. Im besten Fall hast du einen Promi, der die Gerichte kreiert hat. Die Rezepte werden in einer Laborküche von einem Ghostwriter ausgearbeitet, der tatsächlich Ahnung hat von dem, was er tut.«

»Ein Ghostwriter, der namentlich genannt wurde«, warf ich ein.

»Soll das heißen, du willst der Welt jetzt erzählen, dass Meredith dein Ghostwriter ist? Dafür ist es ein wenig zu spät, würde ich sagen.«

Ich dachte an die eine Sache, die unser kleines kulinarisches Imperium dem Untergang weihen könnte, wenn sie herauskäme. »Du weißt, dass es nicht nur die Rezepte sind«, sagte ich.

»Sunny …« Ryans Blick wurde weicher, und für einen Moment hatte ich nicht mehr das Gefühl, als sei er nur mein Produzent. Ich hatte das Gefühl, er sei mein Freund. »Wir sind die Einzigen, die das wissen. Vertrau mir. Wir sind auf der sicheren Seite«, sagte er und nickte mit absoluter Überzeugung. Ich spürte, wie ich mich bei seinen Worten entspannte. Sein Tonfall reichte, um meine Bedenken zu zerstreuen. »Dann ist also alles gut so weit?«, fragte er.

»Ja, alles gut«, erwiderte ich und meinte das auch noch ernst.

Es ist in der Tat erstaunlich, was man alles verdrängen kann, wenn man sich nur stark genug wünscht, dass alles wieder gut wird, nicht wahr? In diesem Fall war, was ich verdrängte, die Wahrheit.

3

Nur für den Fall, dass es noch nicht deutlich wurde: Ryan hat es mit der Wahrheit noch nie so genau genommen. Eine der ersten Sachen, die er mir über sich erzählte, war tatsächlich, dass er Lüge und Wahrheit für nutzlose Kategorien hielt. Er zog den Begriff Story vor.

Und meine Story – soweit die Öffentlichkeit sie kannte – war eine recht gewöhnliche. Es war eine Geschichte, mit der eine Menge Frauen sich identifizieren konnten. Ich war ein Kleinstadtmädchen, das nach dem Studium beschloss, nach New York City zu ziehen. Ich war jung, frisch verlobt und versuchte, mir einen Namen als Journalistin zu machen. Ich schuftete zu schrecklichen Arbeitszeiten für ein Sportmagazin. (Wir hatten uns auf Sport geeinigt, weil Ryan fand, Frauenzeitschrift wäre zu klischeehaft.) Letztendlich ging es darum, dass ich an einen Ort, weit weg von meinem Heimatstädtchen, gezogen war – doch anstatt mich gut zu fühlen, verspürte ich eine seltsame Sehnsucht nach meinen Wurzeln. Und so ging ich am Tag, an dem ich sechsundzwanzig wurde, zum Bauernmarkt in Park Slope, um ein traditionelles Lieblingsgericht meiner Familie zuzubereiten – Tomatenpie. Ich spazierte mit Danny von Stand zu Stand und erzählte zu jeder frischen Zutat eine Geschichte von der Farm. Irgendwann schnappte Danny sich seine Kamera und filmte mich dabei, wie ich die Backform in den Ofen schob – und später filmte er dann die fertige, unverschämt leckere Pie.

Wir hatten unser Abendessen so sehr genossen – viel mehr als das pappige Sesamhähnchen, das wir uns sonst sonntags holten –, dass ich am nächsten Sonntag das Gleiche noch mal machte. Genauso wie den Sonntag danach.

Und so erblickte eine Tradition das Licht der Welt. Jeden Sonntagabend kochte ich eine neue feldfrische Mahlzeit, mit Rezepten, welche die saisonalen Produkte regionaler Farmer in den Mittelpunkt stellten. Alles war ganz leicht zuzubereiten (ein Versprechen, das jeder Koch gerne macht) und bot zudem Spaß. Auf der anderen Seite der Kamera lachte Danny über die peinlichen Anekdoten meiner Kindheit und Jugend auf der Farm, die ich ihm erzählte und mit den Rezepten, aber auch unserem heutigen gemeinsamen Leben verknüpfte. Von meinem ersten Video an versprach ich den Leuten mehr als nur ein feldfrisches Gericht – ich versprach noch etwas anderes. Freundschaft. Ehrlichkeit. Ich war jemand, der ihnen sagte, dass es vollkommen okay war, seine Herkunft zu akzeptieren, denn sie war ein Teil von uns.

Danny begann damit, die Videos auf YouTube zu posten, um sie mit unserer Familie und unseren Freunden zu teilen. Er nannte sie: A little bit of Sunshine– Sonntagabende mit einer Farmerstochter. Natürlich hatte er keine Ahnung, dass sie sich rasend schnell zu einem Internet-Hit entwickeln würden.

Na ja, rasend schnell ist vielleicht übertrieben. Dennoch, das erste Video wurde von fünfzigtausend Menschen angeklickt. Und nachdem wir fünf weitere gepostet hatten, erregten sie die Aufmerksamkeit eines Food-Network-Produzenten namens Ryan Landy, der in diesem aufgeweckten Kleinstadtmädchen die Möglichkeit sah, einer neuen Generation von Zuschauern das Kochen schmackhaft zu machen. Es waren nicht nur die Rezepte, die ihm gefielen, erzählte er später im ersten Artikel über A Little Sunshine im New York Magazin; es war vielmehr das Gefühl, das ich vermittelte. Ein Kleinstadtpflänzchen, das sich in eine Dame von Welt verwandelte. Mein kleines Apartment im East Village war rustikal und gemütlich eingerichtet. Mein Verlobter in lässiger Jeans und Hemd sah gut aus, ohne sich groß dafür anzustrengen. Und während ich selbst einfach nur T-Shirt und Jeans trug, das Haar zu einem lockeren Dutt hochgesteckt, sah ich aus, wie man eben aussehen wollte, wenn man das Haar zu einem lockeren Dutt hochsteckte: nett, offen und aufrichtig – ein Mädchen, das jeder gerne zur Freundin hätte.

A Little Sunshine, so behauptete Ryan, sei richtungsweisend für junge, ambitionierte New Yorkerinnen: Mittzwanzigerinnen und Mittdreißigerinnen, die nicht mehr Klamotten shoppten, sondern sich ein besonderes Stück zulegten; die 75-Quadratmeter-Wohnungen in glamouröse Fünfziger-, Sechzigerjahre-Apartments verwandelten; die durch schiere Willenskraft (und Achtzigstundenwochen) ihre Beziehungen und Jobs in jene Familien und Karrieren verwandelten, die ihnen vorschwebten. Doch bei all ihren Bemühungen, die Frau zu werden, von der sie glaubten, dass sie sie sein sollten, verloren diese Frauen jenes Mädchen aus den Augen, das sie einst waren – und jene Frau, die sie wirklich waren. Hier war nun aber eine Person, die wirklich sie selbst war. Und die dafür geliebt wurde.

Meine unscharfen, verwackelten Videos gaben den Leuten das Gefühl, ich sei ihre authentischste Freundin; und vom ersten Tag an verzehrten sich meine Fans (wie seltsam es doch anfangs war, von meinen Fans zu denken) nach dieser Authentizität. Sie schrieben E-Mails, sie schrieben Briefe, sie schrieben in den Kommentarbereich: Wer hätte gedacht, dass ich in der Küche ein Stück von mir selbst wiederentdecken würde? #nureineZahnarzttochter. (Tatsächlich war sie Hedgefonds-Managerin, die bereits zwei Midas Awards gewonnen hatte und in einem Zehn-Millionen-Dollar-Loft in der Hubert Street residierte.) Wir platzierten ihre Referenz ganz oben auf unserer Homepage.

Diese Frau – all diese Frauen, mit ihren perfekten Fünfzig-Dollar-Föhnfrisuren, ihren Pilates-Stunden und dem grünen Smoothie zum Frühstück – servierten nun jeden Sonntag, anstelle eines mitgebrachten Essens vom Nobel-Imbiss, A Little Sunshine. Es war kein bloßes Kochen; es war vielmehr eine Flucht aus dem Alltag, ein Ausdruck von Lebensfreude. Kochen als Weg, ihren Freunden und Ehemännern das Gefühl zu geben, gewollt zu sein. Kochen als Möglichkeit, ein wenig Zeit mit Sunshine Mackenzie zu verbringen – einem hübschen (aber nicht zu hübschen) Mädchen, das sich, genauso wie sie, eine kleine Auszeit nahm von dem Versuch, es allen recht und alles richtig zu machen, und zwar, um sich selbst treu zu bleiben.

Das war doch eine tolle Geschichte, oder?

Wenn nur irgendetwas davon wahr gewesen wäre.

An dem Tag, als ich sechsundzwanzig wurde, lud ich kein Video auf YouTube hoch. Ich arbeitete in einer schmierigen Grillbar in Red Hook. Damals war es fast die einzige Grillbar in Red Hook, einem kleinen Viertel am äußersten Zipfel Brooklyns, benannt nach der hakenförmigen Halbinsel, die in die Upper New York Bay hinausragte. Heutzutage war das Viertel beinahe so hip und teuer wie die anderen Gegenden von Brooklyn; aber zu jener Zeit kämpfte es noch wacker gegen seine Gentrifizierung an – eine IKEA-Filiale, die sich niederließ, Künstler, die Stadthäuser erwarben, ein Sternekoch, der ein Lokal in einer leerstehenden Tankstelle eröffnete. Doch obwohl Red Hook total unpraktisch war, um nach Manhattan zu gelangen, lag es ziemlich nahe an der Fachhochschule, an der Danny seinen Master in Architektur machte.

Natürlich war Red Hook im Lauf der Zeit mehr für uns geworden als nur eine günstige Wohngegend – es war zu einem Plan geworden. Es gab da ein typisches New Yorker Reihenhäuschen am Ende der Pioneer Street, das wir uns nicht mal ansatzweise leisten konnten. Es benötigte eine Kernsanierung, einen guten Gartengestalter und eine Innentoilette (kein Witz!), trotzdem liebten wir es – den kleinen Garten hinter dem Haus, die freigelegte Backsteinwand, die sich über die gesamte Länge des Wohnzimmers erstreckte. Danny hatte sich mit dem Besitzer angefreundet, der mehrere ähnlich baufällige Immobilien in der Gegend besaß. Er überlegte, es uns günstig zu verkaufen, wenn Danny das Reihenhaus zu einer Art Vorzeige-Immobilie herrichtete – als Beispiel dafür, was man mit etwas liebevoller Sanierungsarbeit aus den anderen Objekten machen konnte. Danny vereinbarte zudem, dass er auch diese Häuser ausbauen würde, sollten die potenziellen Käufer Interesse haben.

Rein theoretisch profitierten wir also alle davon. Ich liebte die Vorstellung, ein eigenes Haus zu besitzen – ein echtes Heim, auf das ich mich nach der Arbeit freuen konnte (etwas, das ich niemals gehabt hatte). Danny wiederum brauchte Kunden. Und der Besitzer wollte mit der zunehmenden Popularität von Red Hook ordentlich Geld scheffeln.

Ich kellnerte, um die Miete zu bezahlen, und Danny arbeitete an den Wochenenden schwarz für ein Architekturbüro in Tribeca, um den Rest abzustottern, einschließlich unserer Anzahlung fürs Haus. An besagtem Abend sah es so aus, als würden wir es unmöglich schaffen, meinen Geburtstag zu feiern. Wir würden es nicht schaffen, bis wir einen gemeinsamen freien Tag fänden – und damals sah das nach irgendwann im August aus.

Ryan kam gegen zweiundzwanzig Uhr in die Bar spaziert. Ich weiß die Uhrzeit noch, weil ein betrunkenes Pärchen – zwei meiner Stammgäste, Austin und Carla – sich an der Theke stritt. In dem Moment, als die Eingangstür aufging, kippte Carla ihren Bierkrug über Austins Kopf aus.

»Tut mir echt leid«, sagte Austin. Ich wusste nicht, ob er mit mir sprach oder mit seiner Freundin.

Ich kniete mich hin, um die klebrige Plörre aufzuwischen, wobei ich immer wieder zur Wanduhr schielte und die Minuten zählte, bis ich dichtmachen konnte. Damit ich nicht auf der Stelle kündigte. Damit ich keinen frischen Bierkrug füllte, um ihn den beiden über den Schädel zu kippen.

»Ganz schöne Sauerei, die Sie da angerichtet haben«, kommentierte Ryan.

Das war das Erste, was er zu mir sagte, während er sich in seinem Nadelstreifenanzug auf einen Barhocker setzte. Ich blickte auf und wischte ein letztes Mal über den Boden.

»Ist nicht meine Sauerei«, gab ich zurück.

Er zuckte die Achseln. »Was macht das schon für einen Unterschied, solange Sie diejenige sind, die es aufwischen muss?«

Ich schenkte ihm ein trockenes Lächeln und bereitete mich darauf vor, ihn zu ignorieren. Manchmal landeten sie hier – schmierige Typen in sauteuren Anzügen, deren Ehefrauen nichtsahnend in ihren hübschen Stadthäusern in Park Slope schlummerten. Normalerweise schleiften sie irgendeine Frau an, mit der sie sonst nirgendwo gesehen werden wollten. Ich blickte zur Tür und erwartete halb, dass eine hereinkommen und sich zu ihm gesellen würde.

Ryan behauptete später immer, dass ich ihn mit einem freundlichen Lächeln willkommen geheißen hätte, aber ich habe da meine Zweifel. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich auch nur die geringste Lust verspürt hätte, ihm einen Drink zu servieren – diesem Kerl, der mich von seinem Barhocker aus vollsabbelte, während ich auf dem Boden herumkroch.

»Ich glaube, ich bin ein wenig overdressed für den Laden«, fuhr er unbeirrt fort.

Ich zuckte die Achseln. »Mir egal.«

»Tja, mir war einfach noch nicht danach, nach Hause zu gehen. Ich habe gerade meinen Job verloren.«

»Oh …«

»Ja, tja, eigentlich habe ich gekündigt, um ein geheimes Projekt weiterzuverfolgen.«

»Und Sie dachten, das finden Sie hier?« Ich arbeitete fürs Trinkgeld. Man könnte also meinen, ich hätte mir mehr Mühe gegeben, meine Zunge im Zaum zu halten. Aber ich hatte Bier an den Knien und nicht sonderlich viel Mitleid übrig für einen Kerl, der seinen Anzug verkaufen und damit mehr Kohle machen könnte, als ich in einem Monat verdiente.

Er lachte. »Nein, ich dachte, ich betrinke mich hier und sehe morgen weiter.«

»Na dann, was darf ich Ihnen bringen?«

»Machen Sie Martinis?«

»Keine guten.«

»Dann nur ein Bier.«

Ich zapfte ein Pint und stellte es vor ihn auf den Tresen. »Fünf Dollar.«

»Fünf Dollar?« Er schüttelte den Kopf, zückte einen Zehner und bedeutete mir, ihm bei einem Bier Gesellschaft zu leisten. Es war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte – mir selbst ein Bier zu zapfen, damit ich die restlichen fünf Dollar einstecken konnte.

»Vielleicht sollten Sie lernen, wie man Martinis macht«, sagte er. »Um die Gewinnspanne zu erhöhen.«

»Ich habe nicht vor, so lange hier zu sein, als dass es eine Rolle spielen würde.«

»Wo wollen Sie dann sein?«

»Überall sonst.«

Er legte den Kopf schräg und sah mich aufmerksam an; sein aufgesetztes Lächeln verschwand und wich einem anderen Ausdruck. Als hätte ich auf einmal sein Interesse geweckt.

»Na dann, auf überall sonst«, sagte er, hob sein Bier und stieß mit mir an.

Ich hörte ein Glas auf dem Boden zersplittern und drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie Austin aufsprang und Carla ihm gegen die Brust schlug.

»Mir reicht’s, ich verschwinde hier!«, brüllte er, stieß die Eingangstür auf und stürmte hinaus. Carla begann, hysterisch zu schluchzen.

Ryan nickte in ihre Richtung. »Reizendes Pärchen«, sagte er trocken.

»Die sind beinahe so lange hier wie ich.«

Er deutete zur Tür. »Ich habe gerade in dem neuen französisch-koreanischen Restaurant ums Eck gegessen. Waren Sie schon mal dort?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Mein Boss wollte, dass ich es mit ihm teste.«

»Bevor er Sie gefeuert hat?«

»Wir machen da gerade diese neue Fernsehsendung … Restaurants abseits der ausgetretenen Pfade. Besser gesagt, Food Network macht eine Sendung über Restaurants abseits der ausgetretenen Pfade«, korrigierte er sich. »Aber wenn ich das richtig sehe, sind Sie keine regelmäßige Zuschauerin.«

»Nicht wirklich.«

»Kochen Sie gerne?«

»Zählen gegrillte Käsesandwichs?«

»Aber Sie essen gerne?«

Ehrlich gesagt, aß ich für mein Leben gerne. Mein liebstes Hobby, seit ich in New York wohnte, war es, tolle Restaurants ausfindig zu machen und Danny hinzuschleifen. Trotz Geldmangels und irrer Arbeitszeiten sammelte ich immerhin noch Notizen zu den Lokalen, die ich unbedingt ausprobieren wollte, und ihren ansprechendsten Gerichten – nur für den Fall, dass wir irgendwann mal wieder Zeit hätten, eins zu besuchen.

Aber ich hatte gar nicht die Gelegenheit, ihm das zu erzählen. Ryan musterte mich von Kopf bis Fuß, und die extra Pölsterchen auf meinen Hüften schienen ihm Antwort genug.

»Ganz offensichtlich essen Sie gerne.«

»Hätten Sie vielleicht die Güte, zum Punkt zu kommen?«

»Ich interessiere mich für das gegrillte Käsesandwich«, sagte er. »Ihr gegrilltes Käsesandwich.«

»Wieso?«

»Ich würde gerne hören, wie Sie es zubereiten.« Er legte noch einmal zwanzig Kröten auf den Tresen und bedeutete mir nachzuschenken. »Tun Sie mir den Gefallen.«

Ich wollte ihm schon erzählen, dass ich Scheiblettenkäse und Supermarkt-Toast verwendete, doch die zwanzig Dollar, die mir vom Tresen aus zuzwinkerten, kombiniert mit meiner Unlust, Carla den nötigen Trost zu spenden, motivierten mich zu einer ehrlichen Antwort.

»Ich bin in Montauk, in den Hamptons, aufgewachsen, und ein paar Ortschaften weiter gibt es da diese tolle Bäckerei … Sie hat erst zwei Jahre, bevor ich zum Studieren wegzog, aufgemacht, und sie hat das frischeste, köstlichste Brot, das Sie je probiert haben.«

»Levain.«

Ich war ein kleines bisschen beeindruckt. Die meisten Leute kannten nur die Barefoot Contessa, die seit damals geschlossen hatte. Scheinbar war mir meine Überraschung anzusehen, denn Ryans Lächeln wurde vor lauter Stolz noch ein bisschen breiter.

»Das ist mein Job«, erklärte er. »War mein Job, meine ich. Sie verwenden also Brot von Levain? Und was für Käse?«

»Schweizer Käse. Außerdem pack ich noch Tomaten, Avocado und Mayonnaise drauf.«

»Mayonnaise? Das klingt irgendwie eklig.«

»Mayo macht das Brot auf eine Art und Weise weicher, wie es Butter alleine nicht schafft.«

»Mayo macht es mehr wie Montauk?« Jetzt war Ryan an der Reihe, beeindruckt zu sein. »Levain hat eine Filiale in der Upper West Side. Sie sind ziemlich bekannt für ihre Cookies.«

»Dabei sollten sie eigentlich für ihr hervorragendes Brot bekannt sein.«

»Und heutzutage machen Sie Ihre Montauker Käsesandwiches also hier, in Red Hook.« Es war keine Frage – es schien vielmehr, als würde er in Gedanken etwas durchgehen. »Das klingt exotisch.«

»Womöglich glauben die Leute, es wäre exotisch, aber …«

»Was die Leute glauben, ist das Einzige, was zählt.« Er nickte bestimmt, als schon wieder die Eingangstür aufging, der betrunkene Austin zurückkehrte und Carla ihm um den Hals fiel. Sie begannen sich zu küssen, glücklich wiedervereint, ihr Streit längst vergessen.

»Ich nehme an, Sie haben einen Freund?«

»Einen Verlobten.«

Er nahm einen Schluck von seinem Bier. »Verlobter. Und was macht der Herr Verlobte so?«

»Er ist Architekt.« Ich hielt inne. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich den Wert von Wahrheit noch zu schätzen und versuchte stets, korrekt zu sein. »Beziehungsweise Architekturstudent.«

»Und was wollen Sie tun, wenn Sie mal groß sind?«

Darauf wollte ich nicht antworten. Hauptsächlich, weil ich keine besonders tolle Antwort parat hatte. Ursprünglich war der Plan gewesen, wieder an die Uni zurückzukehren, sobald Danny mit seinem Studium fertig wäre, aber allein bei dem Gedanken wurde ich ganz müde. Vielleicht war ich einfach nur erschöpft.

»Wissen Sie, Ihr Kreuzverhör wird mir langsam unangenehm.«

»Na gut, lassen Sie mich nur noch eins fragen.« Er deutete auf den Stuhl neben sich. »Können Sie sich einen Moment zu mir setzen?«

»War das die Frage? Denn die Antwort lautet Nein. Ich habe Gäste.«

Er blickte sich in der weitestgehend leeren Bar um; Austin und Carla machten mittlerweile in der Ecke herum.

»Nicht besonders viele«, erwiderte er lächelnd und leckte sich über die Lippen. Mr. Betrunkener Nadelstreifenanzug hielt sich ja für so was von charmant; er wollte etwas von mir, das ich definitiv nicht gewillt war, ihm zu geben.

»Tja, wie schon gesagt, ich habe auch einen Verlobten«, fügte ich hinzu.

»Der berühmte Architekt. Schon kapiert.« Er deutete auf seinen Ehering. »Ich möchte mich nur mit Ihnen unterhalten.«

»Worüber?«

»Ihr Aussehen.«

»Mein … was?«

»Wohnhaft in Red Hook. Jung und hübsch …« Er legte den Kopf schräg, als müsse er sich noch mal vergewissern.

Wollte dieser Kerl mich eigentlich verarschen? Abwehrend strich ich mir das Haar hinter die Ohren. Das war der Danny-Effekt. Ich hatte mir noch nie groß Gedanken um mein Äußeres gemacht (vielleicht lag es daran, dass ich ohne Mutter aufgewachsen war), aber Danny gab mir stets das Gefühl, dass ich umwerfend aussah: mein langes blondes Haar war plötzlich sexy, meine übliche Kluft aus Tanktop und Cargohose in seinen Augen schick, ohne bemüht zu wirken. Was glaubte dieser Kerl, wer er war, mich so von oben herab zu beurteilen?

»Genau das richtige Maß an Hübschheit«, sagte er, als wäre die Angelegenheit damit entschieden. »Daraus lässt sich definitiv was machen. Die Mädels werden sich nicht eingeschüchtert fühlen; vor allem, da Sie eine Außenseiterin sind. Gebürtige Südstaatlerin, aufgewachsen auf dem Land.«

»Ich komme aus Montauk … hier im Norden.«

Er schüttelte den Kopf. »Nee, das klingt zu bonzig. Wir nehmen das ländliche Florida oder Texas. Und aus Ihrem Vater machen wir einen Tomatenfarmer.«

Ich schaute ihn verwirrt an.

»Wie heißen Sie?«, fragte er.

»Sunny«, erwiderte ich perplex.

»Und das ist die Abkürzung für …?«

»Sunshine.«

Er lachte verzückt. »Im Ernst? Das ist einfach zu perfekt. Ein echter Sonnenschein. Ja, daraus lässt sich absolut was machen. Sunshine Mackenzie. Farmerstochter! Ein Landei, das sich im Big Apple treu bleibt.«

»Das ist doch überhaupt nicht mein Nachname.«

»Es ist der Name eines Stars. Eine Gastrokritikerin, die heute Abend ebenfalls in dem Restaurant essen war, heißt so. Sie hatte etwas an sich. Damit lässt sich arbeiten. Du wirst mein persönlicher Justin Bieber sein … für die Welt des Kochens.« An diesem Punkt schien er mehr mit sich selbst zu sprechen.

Ich sah ihn verständnislos an. »Bitte, wer?«

»Die Leute lieben Zufallsentdeckungen. Und genau so werden wir die Sache aufziehen.« Er hielt einen Moment inne. »Eine junge Köchin für die nächste Generation. Das ist es, was diese verdammten Trottel nicht kapieren. Was sie noch nie kapiert haben. Wie man verdammt noch mal einen auf fresh macht.«

Ich deutete zu Carla und Austin, die bedenkliche Anstalten machten, sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen. »Ich schau mal nach den beiden.«

»Hey, Sunny!«, rief er mir hinterher. »Ich zahle dir ein ganzes Monatsgehalt, wenn du dich morgen mit mir auf einen Kaffee triffst.«

Ich blieb stehen. »Warum sollten Sie das tun?«

»Wegen des Jobangebots, von dem ich dir gerade erzähle.«

»Sie haben mir erzählt, dass Sie gefeuert wurden. Sie haben keinen Job, den Sie mir anbieten könnten.«

Er lächelte selbstgefällig. »Oh doch, ich denke schon.«

Ich lehnte mich über den Tresen. Wollte er es nicht kapieren? »Ich mache ganz ordentliche gegrillte Käsesandwiches«, sagte ich. »Das war’s aber auch schon.«

»Ein gewisser TV-Promi, der gerade erst sein fünftes Tex-Mex-Restaurant eröffnet hat, war dabei, einen Dosenwurst-Taco zuzubereiten, als ich ihn entdeckt habe. Mehr braucht es nicht.«

Ich starrte ihn ungläubig an, während ich zu begreifen versuchte, was er mir da vorschlug: So zu tun, als ob ich eine Art Kochshow-Moderatorin wäre? »Hören Sie mal, ich weiß, dass Sie einen heftigen Abend hinter sich haben, aber …«

»Drei Monatsgehälter. Nenn mir von mir aus das Doppelte von dem, was sie dir hier zahlen. Ich meine, woher soll ich das wissen?«

Die Wahrheit war: Wir hatten kein Geld und kein gar nichts. Danny jobbte nun nebenher auch noch im Botanischen Garten. Wir hatten uns letzte Woche insgesamt fünf Stunden gesehen. »Sie sind doch verrückt.«

»Bring morgen deinen Verlobten mit«, sagte er. »Dann kannst du dich immer noch entscheiden.«

Ryan streckte die Hand aus, um den Deal zu besiegeln. Sie war weder schleimig noch kalt. Sie war angenehm und warm, genau in dem Moment, in dem ich Wärme benötigte.

»Ich sage nur Ja zum Kaffee.«

»Schon kapiert. Keine Versprechungen.«

Aber er hielt an meiner Hand fest wie an einem Versprechen. Und ich glaube, dass ich in jenem Moment beschloss, mich darauf einzulassen. Nicht nur auf das Treffen, sondern auf den Job.

Natürlich hätte ich nie gedacht, dass die Sache sich so entwickeln würde. Niemand hätte sich das vorstellen können. Außer vielleicht Ryan – ich schätze mal, dass Ryan es von Anfang an wusste.

Das klingt jetzt so, als würde ich nach Entschuldigungen suchen. Aber warum sollte ich? Da saß ein Kerl vor mir, der mir erzählte, dass er mir die Möglichkeit geben wollte, mit dem Kellnern aufzuhören, einen Haufen Kohle zu verdienen und endlich ein Erwachsenenleben zu leben. Und zwar nur dafür, dass ich so tat, als könnte ich selbstständig ein Essen zusammenrühren?

Selbst Danny, der stets mein Maßstab für das Gute und Schlechte in dieser Welt war, fand die ganze Sache irgendwie witzig. Bei unserem ersten Treffen am nächsten Tag schien er kein bisschen besorgt. Es war ja auch keine wirklich große Sache – die erste Lüge. Immerhin war der Einsatz niedrig. Es war nur ein Rezept. Es war nur ein Filmchen. Bis aus einem Filmchen hundert wurden. Und eine professionell produzierte YouTube-Show. Und ein Kochbuch, das die Bestsellerlisten stürmte. Und ein zweites Kochbuch, das es ebenfalls schaffte. Und schließlich ein ganzes Imperium.

Doch irgendwann dreht die Lüge sich bei Weitem nicht mehr nur darum, was du kochst oder wie du es kochst; sie umfasst dein gesamtes Leben. Wo du herkommst. Wer du bist. Wohin du gehst.

Aber wie kann man zu diesem Zeitpunkt den Zug noch anhalten? Selbst wenn man es wollte? Und ich habe nie behauptet, dass ich es wollte.

Es wäre einfach, so zu tun, als hätte ich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen; und Ryan glaubte tatsächlich nicht, dass wir etwas Unrechtes taten. Ich jedoch … Tief in mir drin wusste ich immer, dass es nicht richtig war.

Wer von uns beiden war hier also der Teufel?

4

Danny kam kurz nach fünf nach Hause. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte; ich war nicht gerade darauf erpicht, ihm die Zusammenfassung des Tages zu liefern … und auch nicht auf seine Miene, wenn das Gespräch auf meine Arbeit kam. Ich drehte den Plattenspieler auf, in der Hoffnung, Bob Dylan könne sich mildernd auf einen Streit auswirken. Doch zu meiner Überraschung kam Danny mit einem strahlenden Lächeln und einem Strauß Gerbera in die Küche spaziert.

»Ein bisschen Dylan?«, sagte er. »Das ist aber eine schöne Begrüßung.«

»Ein Blumenstrauß ist sogar noch schöner.«

Er deutete auf die Gerbera. »Oh, die hier? Die sind nicht für dich.«