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Noch nie war Marie, 16, so glücklich: Der süße Felix ist tatsächlich in sie verliebt. Sie lässt sich im Sturm von ihm erobern. Doch als ihr Vater plötzlich schwer erkrankt, muss die Liebe warten. Für die fiese Hannah ist es die Gelegenheit, eine Intrige zu spinnen. Es sieht so aus, als würde Marie alles verlieren. Noch nicht einmal der charmante, witzige Henry kann mit seiner aufrichtigen Zuneigung etwas für Marie tun. Oder doch? Ein Roman über die erste Liebe, familiäre Bande, starke Glücksgefühle und große Verluste.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
„Los, lasst uns noch einmal zu den Autoskootern gehen!" Marie hakte ihre Freundinnen Hannah und Lili unter und stapfte los.
Hannah kicherte. Seit Marie diesen coolen, blonden Jungen gesehen hatte, wollte sie dauernd zu den Autoskootern.
„Marie, er hat dich noch nicht einmal angeschaut!" Hannah konnte sich nicht vorstellen, wie ein so attraktiver Typ ihre unscheinbare Freundin überhaupt bemerken sollte. Dann schon eher sie, dachte Hannah insgeheim.
Marie ging auf Hannahs Einwand nicht ein. Ein weiterer Versuch, in die Nähe des unbekannten Jungen zu kommen, würde auf keinen Fall schaden. „Jetzt hab dich nicht so, ich spendiere dir auch eine Fahrt." Damit war Hannah überredet.
„Dort ist er", flüsterte Lili, als die Mädchen gerade an der Jaguarbahn vorbeikamen.
Marie lachte. „Wie wäre es mit einer Fahrt?" Sie schaute ihre Freundinnen an.
„Okay.“
Schon nach der ersten Runde wurde Marie schlecht. Sie schloss die Augen. Karussells und dergleichen hatte sie noch nie besonders gut vertragen. Was für eine bescheuerte Idee! Außerdem war durch den Fahrtwind garantiert ihre Frisur im Eimer. Dabei hatte sie heute Nachmittag die dunkelbraunen Locken mit viel Schaum und dem neuen Lockenstab in einer stundenlangen Aktion in Form gebracht. Kein einziger dieser beknackten, völlig überflüssigen Pickel auf ihrer Stirn war auf diese Art zu sehen. Die Mühe hätte sie sich also sparen können. Während Lili und Hannah großen Spaß an der wilden Fahrt hatten und total übertrieben herum kreischten, stöhnte Marie leise. Blöde Übelkeit. Noch blödere Pickel! Kein Tag verging, an dem sie nicht vor dem Spiegel stand und sich ein anderes Gesicht wünschte. Eines wie Emma Watson oder Selena Gomez. Sicher, sie war nicht hässlich, aber was würde sie für Hannahs ebenmäßigen Teint geben! Oder für Lilis zarte Blässe, die einen sagenhaften Kontrast zu ihren schwarzen Haaren bildete. Weshalb sie manchmal Schneewittchen gerufen wurde. Lili hasste den Namen, aber Marie fand, es gab schlimmere Spitznamen. Sie selbst hingegen war weder auffallend groß oder klein, sondern einfach nur Durchschnitt, hatte immer noch diesen Babyspeck an den Oberschenkeln und eben eine Million Pickel. Doch ihr Vater sagte immer, sie habe wunderschöne, dicke Haare und die treuesten braunen Augen der Welt. Damit musste sie sich begnügen. Das Leben war extrem ungerecht.
Endlich hielt die Bahn an. Hannah und Lili hatten Maries Unwohlsein gar nicht bemerkt und plapperten aufgedreht. Marie öffnete die Augen, blinzelte kurz und hielt den Atem an. Da stand er, keine fünf Meter von ihr entfernt, schaute ihr geradewegs ins Gesicht und lächelte!
„Die Pickel!", schoss es Marie durch den Kopf. Mit einer hektischen Handbewegung strich sie sich ein paar Locken in die Stirn. Der Junge schaute immer noch zu ihr. Er hatte die blauesten Augen, die Marie jemals gesehen hatte. Blauer als Schwimmbadfliesen. Verlegen blickte sie weg. Sie rappelte sich aus dem Sitz.
Als sie an dem Jungen vorbei gingen und auf gleicher Höhe mit ihm waren, hob Marie kurz den Kopf, schaute ihn direkt an, nahm all ihren Mut zusammen - und lächelte. Hannah bemerkte es. Sie kniff die Freundin übermütig in die Seite. „Mensch, Marie, er hat dich angeguckt, er hat dich tatsächlich angeguckt!"
„Nicht so laut!“, flüsterte Marie. Sie lächelte beseelt. „Er hat mich angelächelt!" Sie zupfte sich wieder ein paar Strähnen in die Stirn.
„Vielleicht hättest du ihn ansprechen sollen!" Lili warf einen Blick zurück, um zu sehen, ob der Junge ihnen eventuell folgte.
„Ansprechen! Du spinnst doch! Ich kenne ihn ja gar nicht."
Marie ließ die Schultern hängen. „Außerdem muss es sich ja wohl um ein Missverständnis handeln. Wieso sollte er mich anlächeln?"
Lili warf mit einem Ruck ihre schwarze Mähne zurück. Marie staunte immer wieder darüber, wie sehr ihre Freundin diese megacoole Geste beherrschte.
„Mach dich nicht so klein“, sagte Lili. „Das nervt."
Hannah warf einen besorgten Blick auf die Uhr. „Heute ist es jedenfalls zu spät für eine Eroberung. Wenn ich um acht nicht zu Hause bin, kriege ich Stress."
Marie und Lili hoben die Brauen.
„Was denn, wir schreiben morgen Mathe. Noch eine Sechs und mein Vater zieht mein Ballettröckchen an und dreht durch!"
Sie lachten.
„Adios, schöner Unbekannter.“ Marie seufzte. Sie und Lili wussten, Widerrede half gar nichts, wenn es um Hannahs Vater ging.
Sie trotteten schweigend zur Bushaltestelle, jede in ihre eigenen Gedanken vertieft. Marie dachte an das wunderschöne Lächeln dieses Jungen. Sie hätte so gerne gewusst wie er hieß und auf welche Schule er ging. Aber auch sie musste nach Hause, denn ihre Schwester hatte sich für den Abend angekündigt. Carolin würde enttäuscht sein, wenn Marie sie hängen ließ. Bis nach Fürstenfeldbruck, dem Vorort, waren es ungefähr zwanzig Kilometer.
Marie liebte Jahrmärkte, besonders die in den kleineren Ortschaften. Das Münchner Oktoberfest allerdings war ihr etwas zu unübersichtlich. Überhaupt mochte sie Großstädte nicht besonders. Sie liebte das Land und die Natur, und sie liebte vor allem ihre beiden Hunde Jasper und Gap. Wenn Marie mit den beiden wuscheligen Mischlingen über die Wiesen und Felder hinter ihrem Elternhaus lief, dann war sie glücklich.
Lili und Hannah stießen sich heimlich an und tauschten vielsagende Blicke.
„Marie-Schatzi, hallo, hier spricht dein Oktoberfestprinz!", flötete Hannah der Freundin ins Ohr. Marie zuckte zusammen. Die beiden anderen lachten.
„Ihr seid doof!" Marie errötete. Sie hing oft ihren Gedanken nach. In ihrer Familie hieß sie deshalb Traumfee.
„Ihr gönnt mir noch nicht einmal, dass er mich angelächelt hat!"
Hannah schaute unschuldig. „So'n Quatsch. Der Typ interessiert uns doch gar nicht. Den kannst du haben." Und damit überließ sie die gekränkte Marie wieder ihren träumerischen Gedanken.
+++
„Endlich!" Maries Schwester Carolin öffnete die Haustür und lächelte erleichtert. „Dicke Luft. Ich brauche deine Unterstützung.“
Marie verdrehte die Augen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Wie sie diese permanenten Auseinandersetzungen zwischen den Eltern und ihrer Schwester hasste!
„Ich habe doch sowieso nichts zu sagen."
Carolin zog sie einfach ins Wohnzimmer, wo Katrin und Stefan Hallhuber auf dem Sofa saßen. Ihr Mienenspiel verriet nichts Gutes. Beim Anblick Maries hellte sich das Gesicht der Mutter jedoch auf. „Hallo, Traumfee, wie war's auf dem Fest?"
„Super!"
Marie ließ sich auf die Couch fallen und griff nach einem Keks.
„Wieso seid ihr so still?" Sie schaute in die Runde. Natürlich wusste sie längst, weshalb, aber irgendwie fühlte sich Marie immer verpflichtet, zwischen ihrer älteren Schwester und den Eltern zu vermitteln.
Frau Hallhuber hob die Schultern. „Deine Schwester will nicht einsehen, dass wir es nur gut mit ihr meinen!" Sie holte tief Luft. „Und dass sie ins größte Unglück läuft!" Die Stimme der Mutter kippte ein wenig. Marie wusste, dass sie sich in den nächsten Minuten weiter aufschaukeln würde, wenn sie Pech hatten bis hin zu spitzen, hysterischen Schreien.
Carolin hielt den Kopf gesenkt. Auch sie kannte die Mutter gut. „Mama, ich bin alt genug, um zu wissen, was gut für mich ist."
„Du bist gerade zwanzig! Ich will dir sagen, was du bist! Du bist unreif, ohne jede Lebenserfahrung! Statt deine ersten Erfahrungen mit einem Gleichaltrigen zu sammeln, wirfst du dich einem vierzigjährigen Mann an den Hals!" Die Stimme der Mutter schraubte sich noch etwas höher. Marie hätte sich sehr gern auf ihr Zimmer verdrückt. Dieser ganze Zoff ging sie doch eigentlich nichts an und regeln konnte sie hier auch nichts für Carolin. Ehrlich gesagt verstand sie auch nicht ganz, wieso ihre Schwester sich in einen Vierzigjährigen verknallt hatte.
Herr Hallhuber räusperte sich. „Mich stört sein Alter auch. Aber noch mehr stört mich, dass du wegen dieses Kerls deine Ausbildung abgebrochen hast. Schämst du dich denn nicht, als Kassiererin zu arbeiten?!"
„In einem Supermarkt!“, setzte Frau Hallhuber nach und machte dabei ein Gesicht, als würde sie sich an ein Klärwerk denken. Oder noch schlimmer, ein Bordell.
„Nein", sagte Carolin. „Viele Menschen verdienen so ihr Geld. Ich wüsste nicht, warum ich mich schämen soll."
Marie und ihre Schwester wechselten einen Blick. Die Zeiten, in denen sie herum albernd mit ihrem Vater über den Wohnzimmerboden kullerten, die waren definitiv längst vorbei. Seit Carolin den Eltern von ihrer Beziehung zu dem Vierzigjährigen erzählt hatte, waren die wie besessen vom Unglück ihrer Tochter. Dabei fühlte es sich für Carolin wie pures Glück an. Sie war zum ersten Mal über die Maßen und uneingeschränkt verliebt. Marie konnte daran dann eigentlich auch nichts Verwerfliches finden. Liebe war doch stärker als zwanzig Jahre Altersunterschied.
„Papa, du warst doch selber mal jung“, versuchte es Marie. Ihr Vater war im Grunde ein ziemlich entspannter Mensch. Die Sache mit dem Vierzigjährigen interessierte ihn auch nur am Rande. Ihn enttäuschte vielmehr, dass Carolin das Studium der Zahnmedizin nach einem Semester wieder abgebrochen hatte.
„Du verschenkst dein junges Leben, Carolin." Herr Hallhuber blickte seine Tochter an. „Du wirst es später schwer haben, wenn du jetzt nicht den Grundstein für ein gutes, sicheres Leben legst!"
„Und wir würden das Studium von Anfang bis Ende finanzieren, du hättest es so leicht, könntest in aller Ruhe deinen Abschluss machen, ohne Geldsorgen wie andere Studenten!", fügte die Mutter hinzu.
Carolin knetete ihre Hände. „Ich will aber keine Zahnärztin werden! Ich will mein eigenes Geld verdienen! Ihr würdet mir sowieso nichts geben, solange ich mit Eddie zusammenlebe!"
Bei dem Namen Eddie zuckte Frau Hallhuber zusammen. „Ich ertrage diesen..., diesen ordinären Namen nicht!" Ihre Augen funkelten Carolin böse an. „Du wirst dich von ihm trennen! Er könnte dein Vater sein, er hat schlechte Manieren und er wird dir nie irgendetwas bieten können."
„Er kann mir sogar eine Menge bieten, Mama, davon kannst du nur träumen!“, rief Carolin.
Marie schielte zu ihrer großen Schwester hinüber. Sie war sich nicht sicher, ob sie die letzte Äußerung verstanden hatte. Die Mutter machte ein Gesicht, als hätte sie verstanden. Sie wurde knallrot.
„Das kann nicht viel sein!“, schrie sie.
„Naja, einen Uni-Abschluss hat er nicht, das stimmt.“ Carolin erhob sich. Ihre Hände zitterten jetzt. „Denn darum geht es euch doch. Einzig und allein darum.“
Marie schaute zu ihrer Schwester hoch. Woher nahm die plötzlich den Mut? So hatte sie noch nie mit den Eltern geredet.
„Das Wichtigste ist doch, wenn jemand nett ist“, sagte Marie, aber sie bezweifelte, ob Carolin ihre Unterstützung heute benötigte.
„Du musst mir nicht auch noch in den Rücken fallen!", herrschte Frau Hallhuber Marie an.
„Außerdem verstehst du gar nichts von diesen Dingen!"
Carolin warf Marie einen dankbaren Blick zu. „Mama, mit dir kann ich nicht diskutieren, du hast ja sowieso immer Recht."
„In diesem Fall hier habe ich auch Recht, verlass dich darauf!“
Marie schaute zu Boden und schwieg. Was würden die Eltern wohl sagen, wenn sie ihren ersten Freund nach Hause brachte? Ob der Blonde vom Oktoberfest hier Gnade finden würde? Nein. Marie stellte sich ihre Mutter beim Anblick dieses Jungen vor. Sein ärmelloses T-shirt würde nackten Ekel hervorrufen.
„Müsst ihr denn immer und immer wieder über dieses Thema reden?", wagte Marie einen erneuten Versuch. „Ihr kommt seit Monaten zu keinem Ergebnis."
Herr Hallhuber nickte zustimmend. „Stimmt. Vielleicht sollten wir mal eine Feuerpause einlegen und die Sache vorerst auf sich beruhen lassen!"
Frau Hallhuber sprang wutentbrannt auf. „Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig! Ich will, dass dieses Verhältnis beendet wird, Carolin, verstehst du? Erst dann werde ich Ruhe geben!"
„Diesen Gefallen werde ich dir aber nicht tun können!" Auch Carolin hatte sich erhoben. Mit den Tränen kämpfend, wandte sie sich ab und rannte aus dem Wohnzimmer.
Marie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel und wollte ihrer Schwester hinterherrennen.
„Hier geblieben!", befahl Frau Hallhuber. „Das fehlt noch, dass du sie tröstest!"
Herr Hallhuber räusperte sich. „Ich denke, die Sitzung ist damit vertagt, oder?" Er schaltete den Fernseher ein.
Marie ging in die Küche, gefolgt von ihrer Mutter, die laut seufzte. „Ach Kind, mach du mir bitte nie diesen Kummer. Ich möchte wenigstens eine Tochter haben, die nicht aus der Art schlägt."
Marie schluckte. Immer wenn ihre Mutter das sagte, was sie in letzter Zeit ungefähr täglich tat, verspürte sie ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust.
„Mach dir keine Sorgen. Für mich interessiert sich sowieso niemand."
„Ach, das geht schneller, als man denkt.“ Frau Hallhuber sah Marie an. „Aber ich möchte, dass du einmal einen anständigen und gebildeten Jungen mit nach Hause bringst!"
+++
Marie saß in ihrem Zimmer und starrte auf ihr Tagebuch. Irgendwie wollten die Gedanken heute nicht fließen, obwohl sie wirklich einen ziemlich aufregenden Tag erlebt hatte. Normalerweise hätte sie sich seitenweise über den coolen Jungen ausgelassen. Doch stattdessen dachte sie an Carolin, die seit dem Disput im Wohnzimmer nicht mehr aufgetaucht war. Dabei stand ihr Auto noch im Hof – sie konnte also noch nicht zu Eddie zurückgefahren sein.
Arme Carolin! Marie liebte ihre Schwester sehr. Sie war ehrlich, humorvoll und immer um andere besorgt. Auch den Eltern wollte sie es immer recht machen.
Es klopfte an der Tür. Schnell schlug Marie ihr Tagebuch zu und verstaute es in der Schreibtischschublade.
„Gute Nacht, meine Fee. Ich gehe jetzt schlafen. Hat wohl keinen Sinn, auf Carolin zu warten." Frau Hallhuber klang resigniert.
„Ach, Mama, warum müsst ihr euch ständig streiten?" Marie schaute Frau Hallhuber fragend an.
„Weil sie meine Tochter ist und mir ihr Glück am Herzen liegt."
„Aber wenn Carolin ihren Freund einfach gern mag?" Eine vage Hoffnung, die Mutter könnte diesmal vielleicht Verständnis zeigen, keimte in Marie. Doch Katrin Hallhuber beharrte auf ihrer Meinung.
„Schatz, ich glaube, ehrlich gesagt, dass du noch ein bisschen zu jung bist, um das zu beurteilen. Ich als Mutter weiß hingegen sehr gut, was für meine Töchter gut ist und was schlecht."
Schon wieder Fehlanzeige! Matt zuckte Marie mit den Schultern. Frau Hallhuber drückte ihrer jüngsten Tochter einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Marie saß eine Weile auf ihrem Stuhl und blickte in ihrem noch relativ neuen Zimmer umher. Sie hatte es, nach monatelanger, schwerster Überzeugungsarbeit, endlich nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten dürfen. Am besten gefiel ihr das breite Bett, auf dem nun eine superschöne indische Tagesdecke lag und darauf zahllose Kissen unterschiedlichster Farben. Es lud zum Abhängen und Träumen und Lesen ein, Maries Lieblingsbeschäftigungen. Auf dem Parkettboden lag ein bunt gemusterter Webteppich, den ihr der Vater, ebenso wie die indische Decke, von einer seiner Geschäftsreisen mitgebracht hatte. Auf den Regalen türmten sich Bücher über Pferde, Hunde und Katzen. Tiere waren Maries große Leidenschaft. Überall im Zimmer standen und lagen kleine Tierfiguren, die sie im Laufe der Jahre gesammelt hatte, aus Stein, Holz, Stoff, selbst fünf Schildkröten aus Seife hatten ihren Platz. Marie liebte ihr kleines Reich, und wenn sie abends ihr orangefarbenes Lieblingstuch über die große Deckenlampe hängte, breitete sich eine feierliche, verwunschene Atmosphäre in dem Zimmer aus. Heute Abend stand ihr nicht der Sinn danach. Sie wartete unruhig auf die Rückkehr ihrer Schwester.
+++
Ein klirrendes Geräusch ließ Marie hochfahren. Für einen Augenblick überlegte sie, warum sie angezogen auf ihrem Bett eingeschlafen war. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Gleich Mitternacht! Da fiel ihr ein, sie hatte auf Carolin gewartet. Erneut klirrte etwas am Fenster. Marie sprang vom Bett, um nachzusehen.
„Mensch, Carolin, ich habe so lange gewartet!" Vorwurfsvoll schaute Marie aus dem Fenster. Auf der Wiese hinterm Haus stand ihre Schwester. Sie sah traurig aus. „Willst du nicht einen Moment zu mir runterkommen, es ist noch total warm draußen."
Marie nickte, schloss das Fenster und stahl sich auf leisen Sohlen aus dem Haus.
Aus der Nähe betrachtet sah Carolin dann doch etwas verfroren aus.
„Wo hast du denn gesteckt?", fragte Marie.
Carolin fing an zu schluchzen. „Ich kann es niemandem recht machen! „Ich halte das nicht mehr lange aus."
Marie nahm ihre Schwester tröstend in die Arme.
„Wenn ich dir doch irgendwie helfen könnte!“
Carolin schniefte und kramte ein Taschentuch aus der Hosentasche. Sie wischte die Tränen ab. Marie sah, dass die Hände ihrer Schwester zitterten. „Reg dich nicht so auf, Carolin, es hilft doch nichts." Sie reichte der Schwester ein frisches Taschentuch. „Vielleicht solltest du einfach dein Ding machen.“
Carolin sah sie an. „Wie meinst du das?“
Marie wusste es selbst nicht so genau. „Na ja, leb dein Leben, lass dir nicht dauernd von Mama und Papa reinreden.“
„Wenn ich das nur könnte! Ich denke immer, ich muss es ihnen um jeden Preis recht machen. Nach alldem, was sie für mich getan haben."
„Und wenn du einfach so tust, als hättest du dich von Eddie getrennt?".
Carolin schüttelte den Kopf. „Nein. Das kann ich noch weniger. Und es würde auch auffliegen und dann wäre die Kacke erst recht am dampfen.“
Marie schwieg. Sie dachte nach. Sie wollte ihrer Schwester so gerne einen guten, einen nützlichen Rat geben. „Und eine Trennung kommt unter gar keinen Umständen in Frage?"
„Nein! Ich liebe ihn über alles!" Carolin verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Marie verzweifelt an. „Wenn du deiner großen Liebe begegnest, wirst du mich verstehen."
„Ich verstehe dich auch so." Marie lächelte. „Übrigens, ich habe heute einen supersüßen Typen gesehen."