Herr Blunagalli auf großer Kreuzfahrt - Angelo Colagrossi - E-Book

Herr Blunagalli auf großer Kreuzfahrt E-Book

Angelo Colagrossi

0,0

Beschreibung

Angelo Colagrossi - in Comedykreisen auch bekannt als Herr Blunagalli - hat ein typisches Autorenproblem: sein Verlag wartet ungeduldig auf das längst überfällige Manuskript, aber Herrn Colagrossi hemmt eine Schreibblockade. Liegt es an der Trennung von seinem langjährigen Lebensgefährten? Oder an einer heißen Affäre? Der Verleger weiß jedoch Rat und schickt seinen Autor auf eine Kreuzfahrt entlang der italienischen Mittelmeerküste, auf der er Lesungen für sein letztes Buch geben und gleichzeitig konzentriert das neue Manuskript – ein autobiografisches Kochbuch – fertig schreiben soll. Aber so einfach funktioniert das nicht, denn die Ablenkungen sind vielfältig: Wie soll einer sich auf Tante Antonias großartige Kompositionen aus eingelegten Kapern, Pancetta, Schwertfischcarpaccio und Pecorino konzentrieren, wenn Reinhard und Silvio, die vorwitzigen inneren Stimmen der deutschen und italienischen Seele von Angelo Colagrossi, unablässig ihre vorwitzigen Kommentare hinausposaunen? Angelo Colagrossi hat mit seinem neuen Roman einen temporeichen Ritt durch Dialekte, Charaktere und Nationalitäten geschrieben, der unterhält, Spaß macht und ein Feuerwerk an Situationskomik bietet. Bellissimo!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 353

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Angelo Colagrossi

Herr Blunagalliauf großer Kreuzfahrt

Angelo Colagrossi

Herr Blunagalliauf großerKreuzfahrt

LAGO

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2017

© 2017 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: MagaRo/Shutterstock; Indigo Fish/Shutterstock; Vertes Esmond; Mihai/Shutterstock; xenia_ok/Shutterstock; Crixtina/Shutterstock

Satz: Digital-Design, Eka Rost

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95761-172-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-085-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-086-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

»Hab selten so gelacht!«Akuma Chen (chinesischer Unternehmer)

Für all meine neuen Freunde

Kapitel 1

Eines habe ich noch nie verstanden: Warum eigentlich sieht man einen Wald vor lauter Bäumen nicht? Den Wald hinter lauter Hochhäusern nicht zu sehen, wie in Neapel-Fuorigrotta oder in Berlin-Marzahn, das leuchtet mir ein. Aber Bäume? Oder Türen. Ich suche jedenfalls die Tür zum Zimmer 5454, genauer gesagt, das Büro »Bordentertainment«. Und wenn es hier etwas gibt, dann sind es Türen. Dieses Schiff besteht hauptsächlich aus Türen, und die sehen nicht nur alle gleich aus, ihre Nummerierung folgt einem System, das nur Eingeweihte verstehen können. Oder sollen. Ich kenne aus Berlin die Hufeisennummerierung (auf der einen Seite beginnt man zu zählen und am Ende der Straße zählt man auf der anderen Seite wieder bis zum Anfang zurück). Zudem gibt es die bekannte wechselseitige Zickzacknummerierung (auf der einen Seite die geraden Nummern, auf der anderen die ungeraden). Aber hier komme ich nicht klar. Ich laufe einfach weiter.

Die Frauen mit Motto-T-Shirt: »Die fröhlichen Klabauterinnen, seit 1988. Eine Seefahrt, die ist lustig.« Sie blockieren den Gang, ich quetsche mich an ihnen vorbei. Sektgeruch. Überall Sektgeruch. Es ist erst elf und mir schlecht. Schnell weiter.

»5454?«, rufe ich einer Putzfrau zu, die, grob geschätzt, einhundertzwanzig Türen weiter hinten im Gang ihr Wägelchen um die Ecke schiebt. Sie hört mich nicht. Die Rezeptionistin sagte: »Ganz einfach, Herr Colagrossi, Sie fahren rauf in die fünfte Etage. Wenn Sie aus dem Lift kommen, laufen Sie immer geradeaus. Richtung Heck. Sie wissen, was und wo das Heck ist?«

»Heck heißt hinten, stimmt’s?«

»Hinten heißt ›achtern‹, das Heck ist der hintere Teil des Schiffs.«

Achtern? Ich fragte noch einmal nach.

»Signora, mi scusi, also zur Sicherheit: Ich fahre in den fünften Stock und achtere einfach immer geradeaus?«

»Nein. Also ja. Fünfter Stock und dann geradeaus Richtung… ?« Fragend sah sie mich an.

»Heck!«, platzte ich heraus.

Die Gäste, die sich mittlerweile hinter mir gestaut hatten, klatschten so begeistert, als hätte ich bei Günther Jauch die Millionenfrage richtig beantwortet. Madonna, wie peinlich.

»Herzlich willkommen an Bord der ›Mare Bello II‹!« Mit diesen Worten überreichte mir die Rezeptionsdame meine Papiere, ich griff nach meinem Trolley, steckte meinen Pass und das Ticket ein und drückte die »5« am Aufzug. Es erstaunt mich auch nach fast dreißig Jahren, dass die Aufzüge in Deutschland immer funktionieren. So wie hier, an Bord der »Mare Bello II«, die trotz ihres Namens fest in der Hand einer deutschen Reederei ist. Man drückt, und es tut sich was. Und wenn man fährt, bleibt man nicht stecken.

Anders in Italien. Man kann froh sein, wenn man die »5« drückt und nicht in der Tiefgarage herauskommt. Oder zu Fuß gehen muss. Der Reinhard in mir meint: »Allerdings. Das reinste Chaos. Dauerbaustellen, wo man hinschaut. Nichts wird fertig.« Silvio erwidert: »Du redest von Deutschland, mein Lieber!« Reinhard: »Wie bitte?« Silvio: »BER. Das ist eine Dauerbaustelle, schlimmer als alle in Italien zusammen. Also, wenn du mich fragst, lieber ein kleines italienisches Chaos als kalte Gürkchen zum Abendessen.«

Reinhard und Silvio. Die beiden tauchten zum ersten Mal auf, als ich ein Kind war, und zwar in meinem von vier Geschwistern plus Eltern besetzten Wohnzimmer meiner Familie in Rom. Damals waren sie sich auch schon nie einig, hatten allerdings noch keine Namen, sondern nannten sich schlicht A und B. Ich habe sie Reinhard und Silvio getauft, als ich nach Deutschland kam, und damit begann der Kampf zwischen meiner deutschen und meiner italienischen Seele.

Natürlich hatte ich damals keinen Schimmer davon, dass sie mein Leben derart verkomplizieren würden. Sie nerven. Sie quatschen. Sie streiten sich. Ich habe mich schon oft gefragt, wer von beiden im echten Leben wohl mein Freund sein würde. Das ist jedoch sehr schwer zu sagen, wenn auch Reinhard einen ganz klaren Vorteil hat: Er hat einen Plan – Silvio kommt einfach nie zum Punkt.

Reinhard: »Genau. Der Plan ist, Zimmer 5454 zu finden. Er ist schließlich nicht zum Vergnügen hier.« Silvio: »Das musste ja so kommen. Arbeit und Vergnügen schließen einander aus. Spaßbremse!«

Mir schwirrt der Kopf vom inneren Gezerre, während ich in den Lift steige. Reinhard und Silvio sind so gleich und so verschieden wie Italiener und Deutsche eben sind. Als ich Kind war, so erinnere ich mich, während sich die Türen schließen, fuhr ich mit Mama und Papa in den Weihnachtsferien zur väterlichen Verwandtschaft. Ich war von Anfang an fasziniert von all den Menschen, die ständig durcheinanderredeten, alle gleichzeitig – laut und viel. Und ihre Worte unterstrichen sie mit jeder Menge Gesten, alle waren ständig in Bewegung. Bei meiner italienischen Familie gab es einfach keinen Stillstand und keine Ruhe – außer während der obligatorischen mittäglichen Siesta. Da hörte man zwei Stunden lang keinen Mucks von Oma, Opa, Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen, Nichten, Neffen und der ganzen Nachbarschaft. Aber gleich danach schienen sie doppelt so schnell alles loswerden zu wollen, was sie sich während der Mittagsruhe nicht hatten sagen können.

An jedem Weihnachtsfeiertage fuhren meine Eltern, meine Geschwister und ich samt Oma und Opa zu einem unserer vielen Verwandten, um sämtliche Onkel, Tanten und deren Ableger zu besuchen – beladen mit allen möglichen, am Abend vorher zubereiteten hausgemachten Gerichten wie Lasagne, gefüllten Cannelloni, frittiertem Gemüse, Hühnchen aus dem Backofen mit Rosmarinkartoffeln und anderen Köstlichkeiten. Auf dem Schoß. Zusammengepfercht hockten wir in dem engen, schwarzen Fiat 1100 meines Opas. Das Auto war ein ambulantes Delikatessengeschäft, dem, sobald die Tür geöffnet wurde, eine Wolke köstlicher Düfte entstieg. Nach mindestens fünf Stunden Völlerei fuhren wir singend, untermalt von Adriano Celentanos Lied »Azzurro, il pomeriggio è troppo azzurro«, mit leeren Töpfen und Schüsseln wieder nach Hause – um das Ganze drei Tage hintereinander zu wiederholen. Es war ein geheimnisvolles, irritierendes, faszinierendes Schauspiel, das ich auf jeder gemeinsamen großen Feier bestaunte. Vor allem diese Lust und der Spaß am gemeinsamen Kochen und natürlich Essen. Damals entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Kochen. Ich bekomme allerdings noch heute Platzangst, wenn ich das Lied »Azzurro« höre …

»Hömma!«, rutscht es mir raus, als ich aus dem Lift trete. Die Frau stürmt aus einer Tür und läuft einfach in mich hinein, stolpert über meinen Trolley und wirft uns beide zu Boden. Ohne zu reagieren, rappelt sie sich wieder auf, während, klack, die Tür ins Schloss schnappt. Die Frau stakst stumm den Gang hinunter. »Hallooo?«, rufe ich betont entrüstet der seltsamen Erscheinung nach. Trug sie eine riesige Jackie-Onassis-Sonnenbrille? Und rote Handschuhe? Bei dieser Hitze? Mir läuft der Schweiß herunter und sie trägt Handschuhe! Rote – das erkenne ich auch von hinten.

Vor mir liegt ein Haufen Wäsche. Schmutzwäsche. Das Hemd kenne ich. So ein blaues mit weißem Kragen habe ich gestern noch in die Wäsche geworfen. Vor allem kommt mir der Eigelbfleck auf der Knopfleiste bekannt vor. Heiliger Bimbam.

Reinhard: »Und ich hab’s kommen sehen. Ein gebügeltes Hemd kann man nämlich gar nicht mit einem verschwitzten verwechseln. Aber der Herr Signore hier ist sich ja zu fein zum Bügeln.« Silvio: »Hast du schon mal einen italienischen Mann ein Hemd bügeln sehen?« Hämisches Lachen. Reinhard: »Er ist aber anders als die meisten Männer.« Silvio: »Und? Das ändert nichts. Mann ist Mann.«

Da liege ich also auf meinem Achtern, neben mir mein geöffneter Trolley, und stelle fest, dass ich meine gesamte Schmutzwäsche der letzten Wochen eingepackt habe, und bin jetzt schon reif für ein frisches Hemd. »Die werden hier bestimmt eine Waschmaschine haben, oder?«, mache ich mir selber Hoffnung. Wenn ich nicht in den nächsten zehn Minuten das blöde Büro finde, springe ich in voller Montur in den Pool, es wird mir nichts anderes übrig bleiben.

Neun lange Flurminuten später stehe ich vor einer Wand. Und kein Zimmer Nr. 5454 in Sicht. Finito, Ende, Heck, Achtern. Mit einem Seufzer drehe ich mich um und stapfe zurück. Im Takt meiner Schritte höre ich eine altbekannte Stimme. Reinhard: »Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön …« Silvio: »Holahi. Holaho.« Bei Strophe zehn komme ich an der Stelle vorbei, wo ich den Zusammenstoß mit dieser komischen Frau hatte. Reinhard: »… und im Heizraum bei ’ner Hitze von fast über fünfzig Grad muss der Stoker feste schwitzen, und im Luftschacht sitzt der Maat.« Silvio: »Holahi. Holaho.«

Soeben frage ich mich, woher ich eigentlich solche Lieder kenne? Aus dem Deutschkurs? Da sehe ich auf dem Boden etwas glitzern. Ich hebe das Ding auf, es ist eine, wie sagt man gleich: Brosche? Branche? Brioche? Sie ist schwer. Vermutlich aus Gold und mit einer blauen Perle verziert. Ich drehe sie um. Auf ihrer Rückseite ist in Großbuchstaben »TITANIC« eingraviert. Madonna! Ist das die Brioche von Rose?

Ich klopfe an die Kabine, aus der Jackie Onassis herausgestürmt ist. Niemand macht auf. Was mache ich jetzt? Was das Ding wohl wert ist? Sechstausend? Zwanzigtausend? Eine Million? Oder ist es nur Modeschmuck? Auf dem Wochenmarkt in Rom haben sie meiner Mutter mal eine Silberkette angedreht, die hat nach einer Woche angefangen zu rosten. Hier rostet nichts. Ich klopfe noch einmal, diesmal lauter. Keine Reaktion. Könnte ich das Ding nicht einfach liegen lassen? Reinhard: »… und die heil’gen zwölf Apostel für ’ne Räuberbande hält.« Silvio: »Holaho.«

Hier gibt es sicher ein Fundbüro. Oder ich lasse die Brioche einfach im Büro 5454, wenn ich es denn gefunden habe, und die kümmern sich darum. Madonna – das Büro! Ich stecke das Schmuckstück in die Hosentasche. Neben dem Lift war doch ein Plan des Decks abgebildet. Ich sehe mich um. Die allgegenwärtige Sektwolke hat sich verflüchtigt, und da sehe ich mit einem Mal an einer Tür vier Zahlen: 5454! Und ein Messingschild: »Bordentertainment-Manager«.

Kaum habe ich geklopft, geht die Tür auch schon auf. »Hallöchen! Herr Colagrossi! Guten Morgen! Verlaufen? Falsches Deck oder falscher Gang? Egal, jetzt sind Sie ja hier. Wie geht’s Ihnen? Wollen Sie ein Gläschen Sprudelwasser?« Sie zwinkert mir zu. »Kommen Sie erst mal rein. Ach so, Merkel, wie Angela, nur Sabine. Aber das wissen Sie ja, nicht wahr?« Sie streckt mir ihre Hand hin, und bevor ich »Angel-.« sagen kann, sitze ich schon in dem Ledersessel vor ihrem Schreibtisch und stoße mit ihr an. Ich suche in ihrem Gesicht nach den berühmten nach unten hängenden Mundwinkeln, finde sie jedoch nicht. Vor mir sitzt eine adrette, dynamische Entertainment-Befürworterin, die offenbar vollkommen überzeugt ist von dem, was sie da tut. Geschmeichelt, dass sie mich sofort erkannt hat, vergesse ich, dass ich um diese Uhrzeit nicht trinke, und lasse mir ein Glas einschenken.

Nur das runde Bullauge mit dem Blick auf die Hafenanlagen von Livorno verrät, dass wir auf einem Schiff sind. Die Wände sind mit honigfarbenem Holz verkleidet, in Messingrahmen hängen Bilder anderer Kreuzfahrtschiffe und in einer kleinen Vitrine, die eines Kapitäns würdig wäre, steht ein Modell der »Bunten Kuh«, mit der die Hanse einst Jagd auf Klaus Störtebeker und seine Gesellen machte. »Die ›Mare Bello II‹ ist das größte Schiff unserer Flotte«, erklärt Merkel voller Enthusiasmus und ihre blauen Augen leuchten unter großzügig aufbereiteten Wimpern hervor. »Wir haben hier Platz für dreitausend Passagiere plus tausend Crewmitglieder.« Links neben ihrem Schreibtisch entdecke ich gerahmte Autogrammkarten. Den da kenne ich: ›Stay happy! Für Sabine. Jürgen.‹ Oder die da: ›Mast- und Schotbruch! Für Sabine. Claudia.‹ Wer ist allerdings: ›Ahoi, liebe Sabine! Bussi, Olaf‹?

»Wir haben vierzehn Decks. Auf Deck drei wird eingecheckt. Darüber befinden sich die Büros und darüber die Kabinen der Passagiere. Ab da beginnt der Urlaub. Und da spiele ich mit dem Bordentertainment natürlich eine zentrale Rolle.« Sie holt kurz durch die Nase Luft und fährt wichtig fort. »Das Wohl der Gäste steht immer, und damit meine ich immer, on top of the list. Wir sehen sozusagen unsere Arbeit mit den Augen der Gäste, Sie wissen, was ich meine. Und es soll ja schließlich unbedingt so sein: Die erste Kreuzfahrt ist wie der erste Kuss − den vergisst man nie.« Wir nippen beide an unserem Sekt. »Schön, dass Sie es so spontan einrichten konnten. Ich habe Ihre Karriere verfolgt – von den Erfolgen in Fernsehen und Kino über Ihr ›Blunagalli‹-Buch natürlich bis zu Ihrem letzten Roman. Ähm …« Sie rollt die Augen nach oben, offenbar auf der Suche nach irgendetwas.

»›Spaghetti al dente‹! Hat mir total gut gefallen!«, strahlt sie.

»›Kartoffeln …‹«, korrigiere ich. Sie starrt mich an. »›Kartoffeln al dente‹ hieß es.«

»Ach ja, richtig.« Sie kichert und nimmt einen Schluck. »Spaghetti – Kartoffeln, Hauptsache, Kohlenhydrate. Und ich bin ein Kohlenhydratetyp. Die Rezepte am Ende des Buches sind ganz köstlich, und es ist soooo lustig geschrieben. Unsere Gäste werden Ihre Shows lieben!« Sie nickt mir freundlich zu, schiebt mir den Vertrag auf meine Seite des Schreibtischs und kreist mit dem Kuli zwei Daten ein. »Zweimal ›Lesung und Kochen‹. Die erste haben wir für übermorgen eingeplant, die andere in vier Tagen. Den Rest der Zeit haben Sie frei!«

»Va bene, das passt perfekt. Ich wollte nämlich den Rest der Zeit nutzen, um …«

»Gehen wir noch einmal Ihre Zutatenliste durch: Ich habe alles organisiert, top Qualität. Hier: Kapern surfine in Salz eingelegt oder hier: die Rehrücken exklusiv aus dem Bayerischen Wald.«

»D’accordo, perfekt. Ich vertraue Ihnen da.« Ich bemerke einen Tropfen, der knapp neben dem Papier auf dem Schreibtisch landet, und hoffe, dass er vom Sektglas kam. Ich brauche eine Dusche. Sicherheitshalber lehne ich mich zurück und trinke aus. Wohin mit dem Glas? Ich stelle es auf meinem Knie ab.

Reinhard: »Das geht schief!« Silvio: »Aber er sieht gut aus. Lässig. Ziemlich souverän, findest du nicht?« Reinhard: »Er sieht eher aus wie einer, der gleich eine Riesensauerei anrichtet.« Ich will die Brosche, die ich im Flur gefunden habe, aus meiner Tasche holen und sie ihr geben, aber sie redet wie eine Prosecco-Flasche, die sich über mich ergießt, weiter.

»Herr Colagrossi, da wäre noch eine kleine Sache.« Beim ernsten Tonfall ihrer Stimme horche ich auf und das Glas kippt mir vom Knie. Es landet mit einem sehr unglasigen Geräusch auf dem Teppichboden. »Normalerweise passiert uns so etwas nicht, aber wir können Ihnen die zugesagte Kabine nicht zuweisen.« Jetzt macht sie eine Pause. Welche Reaktion erwartet sie? Ich beuge mich nach vorn. Frau Merkel lehnt sich zurück. Der Alkohol schießt mir in den Kopf. Soll das bedeuten, ich bekomme eine Kabine ohne Dusche? Ohne Fenster? Oder sogar ohne Bett? Nein, so etwas gibt es nicht mal auf einem Containerschiff, oder?

»Unsere Kreuzfahrt ist eine ausgesprochen beliebte Tour durchs Mittelmeer. Deshalb sind wir auch fast immer ausgebucht. Dieses Mal sind wir sogar überbucht …und deshalb mussten wir …aber das steht ja alles in Ihrem Vertrag, den Sie unterschrieben haben … Sie wissen schon. Wenn das Schiff voll ist, haben Sie sich bereiterklärt, Ihre Kabine als ›Eins als Doppel‹ zu nutzen, verstehen Sie?« Sie unterstreicht ihre Worte, indem sie den Mittelfinger über den Zeigefinger kreuzt, und sieht mich erwartungsvoll an.

Ich kapiere gar nichts.

Kapitel 2

»Schreibblockade, Herr Colagrossi! Oder soll ich lieber Herr Blunagalli zu Ihnen sagen? Wir müssen das Wort endlich laut aussprechen, nicht wahr? Sie haben eine Schreibblockade«, seufzte Hübner, der Programmleiter meines Berliner Verlags.

»Va bene. Va bene«, murmelte ich und mied seinen Blick.

»Was ist denn los?«, versuchte Hübner es auf die milde Art. »Haben Sie die Blockade wegen der Vorwürfe von Ihrem Finanzamt«

»Das wurde aber eingestellt«, widersprach ich schmallippig.

»Wegen Ihrer seltsamen Affäre?«

»Ach, das war nur eine Falschmeldung.«

»Wegen Ihrer Trennung?«

Ich raunte ein leises »Ach, nein …«. Mehr brachte ich nicht über die Lippen.

»Herr Colagrossi«, Hübners Ton wurde, wenn auch nicht lauter, etwas dringlicher. »Schreiben Sie sich die Seele leer. Alles, was Sie belastet, schreiben Sie es runter. Und bringen Sie meinetwegen so viel wie möglich davon in Ihr autobiografisches Kochbuch rein. Das wollen die Leser haben. Sie werden schon sehen, dann sind Sie die Blockade bald los. Schreiben Sie alles auf, was Sie gerade quält oder gequält hat!«

»Aber ich brauche nur ein bisschen mehr Zeit. Drei Monate und ein bisschen noch.«

»Nicht schon wieder, ich habe Ihnen schon drei mal drei Monate gegeben und die Vorauszahlung haben Sie auch schon abkassiert. Jetzt sind Sie dran mit Liefern. Ich will endlich Colagrossis autobiografisches Kochbuch lesen.«

Die Tür zum Besprechungszimmer flog auf. »Herr Hübner? Es ist gleich Viertel nach zwölf.« Er nickte, stand langsam auf und sagte leise: »Ich bin sofort da. Wir sind hier fertig, glaube ich.« Und während er mir die Hand gab: »Wollen Sie das schöne Geld wieder zurückzahlen? Kein Buchautor sein, sondern Koch werden? Sie schaffen das, Herr Colagrossi. Zögern Sie nicht, Ihre Lektorin anzurufen. Das letzte Buch ging Ihnen doch leicht von der Hand, ich habe keine Zweifel, dass Sie auch diesmal der Blitz der Erleuchtung treffen wird.«

Ich fühlte, wie mein Blutkreislauf sich verlangsamte. Zweihundertzwanzig Seiten? In drei Monaten? Das ist doch nicht so viel, beruhigte ich mich. Zumal ich alle Rezepte und alle Geschichten im Kopf hatte.

»Ich weiß, Sie haben alles im Kopf. Aber ein Buch wird nur dann draus, wenn Sie endlich anfangen zu schreiben. Denken Sie einfach daran, wie Sie die wunderbaren Rezepte Ihrer Großmutter genossen haben. Auf Wiedersehen, Herr Colagrossi.«

Familienrezepte und Familiengeschichten. Einige würde ich noch ausschmücken müssen, sinnierte ich, wegen anderer sollte ich noch mal mit meinen Freunden in Italien telefonieren. Da waren noch so viele Erinnerungen, etwa daran, wie ich mit vier Jahren diese Pasta mit Brokkoli und Pancetta – einer speziellen Specksorte – gegessen hatte. An Details konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern, außer dass mir die Orecchiette, die Öhrchen, zunächst etwas suspekt vorgekommen waren.

Gut, mein autobiografisches Kochbuch. Ich rechnete erneut durch: zweihundertzwanzig Seiten in drei Monaten. Das wären zweieinhalb Seiten pro Tag. Die Kiste mit den Familienfotos war immer noch nicht aufgetaucht. Die Handschrift meiner Oma hatte ich bisher nur zur Hälfte entziffern können, und die Druckerpatronen waren leer! Nicht mit eingerechnet: der ganze Leerlauf wegen fehlender Inspiration! Ich glaubte, eine Luftveränderung nötig zu haben. In Deutschland käme ich sonst nie auf einen grünen Zweig.

Vor dem Verlagshaus setzte ich mich auf eine Bank, unter der ein Tetrapak »Domkellerstolz« und zwei, drei Fläschchen »Doornkaat« lagen. Madonna, war Horst hier? Ich schaue mich suchend um. Nicht. Ich atmete tief durch. Ich war mir ganz sicher und außerdem hatte ich es mir geschworen. Okay, um ehrlich zu sein, hatte ich bei dem Schwur die Finger gekreuzt – man weiß ja nie. Aber ich war mir sicher: Ich höre jetzt damit auf. Hier, an diesem Ort. Endgültig.

In meiner Jackentasche tastete ich nach meinen Zigaretten. In der Schachtel war nur eine Fluppe. Meine letzte! Voller Vorfreude nahm ich sie heraus. Entschlossen zerknüllte ich das Päckchen mit meiner linken Hand und warf es mit einer lässigen Bewegung in den orangefarbenen Mülleimer auf dem Gehweg. Ich traf exakt die schmale Öffnung. Ob das ein gutes Omen war? Lächelnd schaute ich mir meine Zigarette an. Die weiße, papierne Umhüllung. Das braune Ende. Die wollte ich zelebrieren. Ich betrachtete sie von allen Seiten, schnupperte das feine Tabakaroma, lauschte dem leisen Knistern, als ich sie zwischen meinen Fingern drehte. Es kam mir vor, als ob es nicht nur meine letzte Zigarette war, sondern die allerletzte auf der ganzen Welt.

Ich habe euch geliebt, genossen und begehrt, meine kleinen, hübschen, blonden Glimmstängel. Aber jetzt ist Schluss. Nach dir, du Schöne, kommen mir keine weiteren mehr zwischen die Finger und schon gar nicht in den Mund. Ich schaffe das! Mit links! Ganz sicher! Also dann – einmal noch. Ein letztes Mal…

Ich hatte Angst vor meiner eigenen Entscheidung. Vorsichtig umschlossen meine Lippen den Filter. Mit der rechten Hand schnippte ich das Feuerzeug an, während meine linke geübt den nötigen Windschatten bildete, damit sich der Tabak entzündete.

Das vertraute Geräusch brennenden Tabaks – wenn die Flamme die getrockneten Blätter berührt –, nie hatte ich es deutlicher vernommen. Es war Musik in meinen Ohren. Der erste Zug. Ich saugte am Filter und spürte, wie der Rauch sich in meinem Mund ausbreitete. Ein kräftiger Atemzug und er verschwand tief in meinem Rachen. Das vertraute Kratzen im Hals und dann die entspannte Ruhe, als die zarte Rauchfahne sich ihren Weg zurück durch den Mund ins Freie suchte. Lächelnd atmete ich aus, bis auch das letzte Wölkchen vor meinen Augen schwebte und sich auflöste. Ich spürte dem Geschmack auf meiner Zunge nach. Oh, war das toll! Hätte ich bloß jede der unzähligen Zigaretten, die ich in meinem Leben schon geraucht hatte, derart genossen und gefeiert, hätte ich unmöglich diese drastische Entscheidung getroffen. Es war zu spät, all den vergebenen Chancen nachzutrauern.

Ich schloss die Augen und inhalierte den nächsten tiefen Zug. Doch statt ihn ebenso zu genießen wie den ersten, wanderten meine Gedanken ab. Schweiften zurück zu dem, was vor wenigen Minuten geschehen war. In dem großen Haus gegenüber.

Ich war wieder im Verlag, stand im Flur vor dem Aufzug und erinnerte mich an die Worte von Herrn Hübner… »Schreibblockade – Trennung – Steuerproblem – seltsame Affäre?« Wie sollte ich all das bitte in meinem Kochbuch unterbringen? Ich zog an meiner Zigarette und pustete den Rauch achtlos aus, als mir bewusst wurde, dass dies doch meine allerletzte Zigarette war, die ich da in der Hand hielt. Die wollte ich doch zelebrieren! Stattdessen hatte ich sie so gedankenlos weggequalmt wie Tausende vor ihr. Aber vielleicht hatte es so sein sollen. Es war vorbei. Ein letztes tiefes Einatmen, dann war sie endgültig aufgeraucht. Ich ließ die Kippe fallen und trat die Glut aus. Hob den platt gedrückten Stummel auf und stopfte ihn in den Mülleimer, in dem schon die leere Schachtel gelandet war. Unschlüssig blickte ich auf das grüne Feuerzeug in meiner Hand. Das brauchte ich auch nicht mehr, konstatierte ich und ließ es hineinpoltern. Mit der flachen Hand klopfte ich zum Abschied gegen das Blech des Eimers und drehte mich um. Dabei fuhr ich mir mit der Zunge über meine Lippen, um den letzten Rest Nikotin abzulecken. Bah, schmeckte das widerlich! Wie konnte man nur rauchen? Ich war sehr stolz auf mich. Ja, ich war jetzt ein Exraucher! Ich würde nie wieder eine Kippe anrühren. Ich war damit durch. Ich pausierte nicht nur von einer Zigarette bis zur nächsten, ich hatte komplett aufgehört.

Silvio: »So ein Quatsch, morgen früh ist er wieder drauf.« Reinhard: »Diesmal zieht er’s durch.« Silvio: »Raucher sind lässig. Rauchende Autoren sind superlässig.« Reinhard: »Er kommt langsam in ein Alter, in dem man sich über seine Gesundheit Gedanken machen sollte.« Silvio: »Ach, das ganze Leben ist ungesund und endet bekanntlich immer tödlich.«

Meine Handy nervte mit seinem Piepen, das mir sagen sollte: »Sie haben eine Nachricht.«

»Sehr geehrter Herr Colagrossi, als Repräsentantin der ›Mare Bello Cruises Kreuzfahrten AG‹ würde ich Sie gerne zu unserer nächsten zwölftägigen Mittelmeertour einladen. Mein Vorschlag: Als Stargast der Veranstaltung ›Lesung und Kochen‹ lesen und kochen Sie aus Ihren Büchern an zwei Abenden auf unserer Showbühne vor unseren Gästen – der Rest der Zeit gehört ganz Ihnen. Ich gehe davon aus, dass der beiliegende Prospekt (pdf im Anhang) Ihren Zuspruch finden wird. Eine Einzelkabine der Kategorie CA ist bereits für Sie reserviert. Der Return-Flug von Berlin nach Livorno wird selbstverständlich von uns übernommen. Vollpension und Übernachtungen übernimmt die ›Mare Bello Cruises Kreuzfahrten AG‹. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie Zeit und Lust hätten, unser Gast zu sein. Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen, Ihre Sabine Merkel, Manager Bordentertainment«

»Mare Bello Cruises« – was für ein dämlicher Name! Und Merkel? Sehr einfallsreich. Für wie blöd hielten die mich? Ich wollte keine Bearbeitungsgebühr auf ein afrikanisches Konto überweisen und auch deren virenverseuchten Anhang nicht öffnen. Penner! Ha! Gelöscht!

Ich und Kreuzfahrt, wie kamen die nur darauf? Ich hatte ein Buch zu schreiben! Und zwar den Bestseller der nächsten Koch-Roman-Biografie-Buchsaison mit dem Titel: »Der große Parmaschinken«.

Ein Buch mit so einem Titel konnte gar nicht floppen. Andererseits hatte Hübner schon recht: Der Titel allein reichte nicht, es sollte auch was drinstehen. Vor allem sollte etwas drinstehen, was es so noch nie gab. In meinem Kopf war alles geplant. Das Konzept war fantastisch, das hatte er mir wiederholt bestätigt. Nur all die verdammten Wörter fehlten noch. Und jemand, der die Handschrift der Rezepte meiner Oma entziffern konnte.

Was machten andere Autoren in meiner Situation? Sie googelten vermutlich: »Gründe einer Schreibblockade«.

1. Das Gefühl, in der Scheiße zu stecken.

2. Der gesamte Vorschuss war schon verprasst,bevor man sich an den Schreibtisch setzte.

3. Man ist zu sehr von der Realität bedrängt.

4. Es fehlt die Zeit zum Schreiben.

5. Seekrankheit.

Ich googelte, wie man aus einer solchen Situation herauskommt.

1. Ruhige Umgebung zum Schreiben suchen.

2. Niemand ist perfekt– nicht zu hohe Erwartungen an sich selbst stellen.

3. Mittendrin beginnen.

4. Eine andere Aufgabe angehen.

5. Sich verlieben.

Emotionslos hakte ich die Punkte ab. 1 bis 3 waren kein Thema. Punkt 4: Meine »andere Aufgabe« der letzten Wochen war, Aufschub beim Verlag herauszuschinden. Das war demnach erledigt. Aber Nr. 5! Wie ging das noch mal? Eines fehlte mir in dieser sehr deutschen Liste.

Silvio: »Er meint eine Muse.« Reinhard: »Besser als Zigaretten.« Allerdings. Ich ließ das Handy in die Hosentasche gleiten. Ich musste mich jetzt auf mein neues Buch »Der große Parmaschinken« konzentrieren. Irgendwelche E-Mails und Merkels sollten mich nicht ablenken. Während ich mich vorwärtsschleppte, tastete ich nach meinen Zigaretten. Erfolglos. Stimmt, ich rauchte ja nicht mehr.

Kapitel 3

Sabine Merkel redet, als würde sie eine Cornflakestüte über mir ausschütten, während ich nur »M-hm« murmeln kann und wie ein Welpe hinter ihr hertrotte, wieder an den vielen Türen vorbei. Plötzlich bleibt sie stehen und klopft vorsichtig an die Kabinentür mit der Nummer 8239. Presst ihr Ohr an das Holz und lauscht. Da offenbar nichts zu hören ist, zückt sie eine Magnetkarte und schiebt sie in den dafür vorgesehenen Schlitz.

»Oh, die Karte klemmt ein bisschen. Verdammt! So, aber jetzt!« Sie drückt gegen die Tür, die mit einem Plopp-Ton aufspringt. »Willkommen! Ihr Zuhause für die nächsten zwölf Tage, Herr Colagrossi!«

Ich blicke mich um: ein Laptop, Frauenklamotten − viele Frauenklamotten! Cremedosen, Kosmetikartikel, noch mehr Frauenklamotten, Pumps, CDs und überhaupt lauter Sachen, mit deren Gegenwart ich mich ganz und gar nicht anfreunden kann.

»Was ist das?«, frage ich.

Sabine Merkel stellt meinen Trolley auf die Kofferablage und sucht nach einem Platz für meine Laptoptasche. »Kommen Sie, Angelo. Ich zeige Ihnen Ihr Luxusschlafzimmer.«

Die Schiebetür in der rechten Ecke hatte ich bisher gar nicht bemerkt. Merkel schlüpft mit meinem Laptop unter dem Arm hindurch, ich hinterher. Ah, endlich ein Bett! Daneben: noch ein Bett. Und überall noch mehr Frauenklamotten.

»Frau Schulz ist gerade erst angekommen, wissen Sie, sie räumt das bestimmt noch …« Weiter kommt sie nicht.

»Wer ist Frau Schulz?«

»Helene! Ihre Mitreisende – Ihre Kollegin sozusagen.«

»PREGO?!«, platze ich ungläubig heraus und suche instinktiv in meiner Tasche nach den Zigaretten.

Frau Merkel scheint schockiert wegen meines heftigen Ausbruchs. Einen winzigen Moment lang entgleiten ihre Gesichtszüge – die Mundwinkel hängen nach unten. Na, bitte! Wusste ich es doch! »Nun, das wollte ich Ihnen ja die ganze Zeit erklären. Den Lapsus, den Fehler, das Problem, die Überbuchung. Sehen Sie’s positiv: Umso mehr Menschen kommen zu Ihren Shows und kaufen Ihre Bücher. Mal ganz ehrlich, das Zimmer ist so was von upgrade. Wissen Sie, was das kostet, wenn man’s bezahlen müsste?«

Ich stürze hinaus auf den Gang und deute auf die ungefähr zweihundert Türen: »Und hier ist gar nichts mehr frei?«

Sabine Merkel steht im Türrahmen wie ihre Namensvetterin nach der Ankunft ihres Privatjets und schüttelt den Kopf.

»Ein bisschen frei auch nicht?«, frage ich.

»Doch. Ein bisschen frei ist hier. Tut mir leid, wir mussten Platz für zahlende Gäste machen. Aber Sie werden sehen, Sie werden sich blendend mit Frau Schulz verstehen. Sie ist eine ganz unterhaltsame Person und… warten Sie mal ab, ich glaube, ich verspreche Ihnen nicht zu viel.«

Ich bummele kommentarlos an Frau Merkel vorbei, auf direktem Weg durch die Schiebetür ins Schlafzimmer und lasse mich trotzig auf die Ruhestatt fallen. Auf all die Kleidungsstücke, die auf meinem − meinem! − Bett verstreut liegen.

Von draußen höre ich, wie die Tür erneut aufspringt und Frau Merkel sagt: »Ach, die restlichen Koffer. Den Koffer dorthin und den anderen, na ja, ich weiß auch nicht, stellen Sie ihn einfach mal ab!«

Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen. Am Handgelenkt taste ich meinen Puls und denke an meinen Kardiologen, der mir ein rhythmusregulierendes Medikament empfohlen hat. Auf pflanzlicher Basis. Ich muss mir überlegen, was ich aus dieser verfahrenen Situation mache. Ich muss schreiben. Ich brauche meine Ruhe. Ich habe eine fremde Brioche in der Tasche und einen Koffer voller Schmutzwäsche. Die wird den Augen einer Frau nicht lange verborgen bleiben, außerdem ist sie womöglich sehr kommunikationsfreudig. Sie wirft meine Pläne komplett durcheinander. Ich bin geliefert. Die Tür geht erneut und in der Suite wird sofort geräumt, geraschelt und gewuselt. Ich müsste noch einige Einwände vorbringen, doch je länger ich hier liege, desto weniger habe ich auch nur die geringste Lust darauf.

Wie aus einer anderen Welt höre ich: »Ich glaube nicht, dass er lang im Bad braucht. Oder?«

Es wird gekichert.

»Keine Ahnung. Er ist Italiener!«

»Hast du eine Ahnung, was er für ein Parfüm trägt? Trussardi mag ich.«

Trussardi – das hatte meine Schwägerin immer gekauft. »Probier mal, Angelo!« Und sie sprühte mir eine halbe Flasche hinters Ohr. Tagelang hatte ich gerochen wie Herr Trussardi persönlich. Nein, wie die ganze Sippe Trussardi, mit sämtlichen Schwagern, Schwippschwagern und deren Nachbarn.

»Ist er wirklich Italiener? Der Akzent kommt mir immer so aufgesetzt vor, dieses Bussi-Bussi-Signora-hier-Signora-da. Ich meine, ich kenn ihn ja nur aus den Zeitschriften, aber er erinnert mich total an einen Typen, den es wirklich gibt: und zwar an den Chef aus der Pizzeria bei mir nebenan. Der macht auch einen auf Ciao-Bella und kommt in Wirklichkeit aus Kroatien. Gähn.«

»Pssst …! Ja, aber der hier ist echt.«

»Hey, dauernd Nudeln. Dauernd Pizza. Klar ist das lecker, aber damit gleich ins Showbusiness? Wie viele Pizzerien gibt es in Deutschland? Hunderttausend? Wenn die alle berühmt werden, na bravo! Ich sag dir, der hat so etwas von Erfolg, weil er so ’nen, hm, Integrationsakzent hat.«

»Da unterschätzt du ihn aber. Von wegen Pizza. Er kann richtig toll schreiben, also so richtig toll! Geh doch einfach zu den Shows!«

»Na ja, überleg ich mir noch. Ich schreib dann was drüber. Auch wenn ich echt keine Lust habe.«

»Du musst sowieso drüber schreiben, Helene. Immerhin ist er einer unserer Stargäste!«

»Toller Stargast. In ’nem halben Jahr kennt den doch keiner mehr. Dann Dschungelcamp und das war’s. Hihi, da muss er dann Bolognese mit Maden kochen. Iiiih!«

»Du kannst aber auch echt gemein sein. Noch ’n Sprudelwasser?«

Ich höre das Geräusch von Gläsern, die aneinanderstoßen, und blinzele vorsichtig unter halb geöffneten Lidern hervor. Da sehe ich eine blonde Frau am Fußende stehen. Sie ist vielleicht Ende zwanzig, hat ein leeres Glas in der Hand und prustet gerade in selbiges. Aus der Suite dringt ein hektisches »Pssst!«, woraufhin sie ziemlich laut flüstert: »Schei-ße. Er liegt drauf.« Und giggelt. »Er pennt auf meinem Patizia-Pepe-Kleid.« Von hinten lacht Sabine Merkel.

An meinen Füßen höre ich »Partizia. Nee, Pratizia. Nee, Pa. Tri. Zia.« Ein Kleidungsstück wird unter mir weggezogen, was natürlich nicht funktioniert, denn ich bin zu schwer, und ehrlich gesagt, habe ich nicht das geringste Interesse, mich leichter zu machen. Ich öffne die Augen und starre die Blonde anklagend an. »Ach, jetzt hab ich dich aufgeweckt. Du, ich will nur kurz da an mein Kleid. Du liegst da mit dem rechten Bein… oder Moment, isses das linke, egal …« Sie zerrt stärker. »Hilf doch mal mit!« Sie kichert wieder. »Ich lass dich gleich wieder schlafen. Sorriiiieeee!« Tatsächlich – was ist nur in mich gefahren – folge ich brav und hebe meine Beine kurz an, als hätte meine Mutter mich aufgefordert, sie vom Tisch zu nehmen.

»Prego, Signora«, schnarre ich übertrieben schlaftrunken und schwupp, ist sie schon wieder weg. Warum kann ich nicht ›auf den Tisch hauen‹, wie der Deutsche so schön sagt? Silvio: »Weil Schönheit alles verzeiht!« Reinhard: »Sie ist schön?« Silvio: »Madonna, hast du keine Augen im Kopf?«

Frau Merkel verlässt meine Suite und Frau Schulz und ich sind einander ausgeliefert. Ich erhebe mich ächzend und stelle mich ins Nirgendwo, ebenso verloren wie mein Koffer, während diese Frau Helene Schulz ihre Kleider nun von meinem Bett nimmt. Ich betrachte sie verstohlen und suche nach einem Weg, meine Schmutzwäsche vor der zugegebenermaßen ziemlich ansehnlichen Helene geheim zu halten.

»Welchen Schrank wollen Sie: rechts oder links?«, frage ich, um Zeit zu gewinnen.

»Mir egal. Willst du einen bestimmten?«

»Nein, nein, ich wollte nur höflich sein. Ladies first.«

»Komm, wir knobeln!«

»Knobeln?«

»Schnick, Schnack, Schnuck? Kennst du nicht?«

»Nein.«

»Komisch. Also, ich zeig’s dir. Auf drei muss deine Hand entweder Schere, Papier oder Stein formen. Kapiert?«

»Ah – Morra Cinese! Warten Sie mal – wie wäre es mit dem Original?«

»Wie geht denn das Original?«

»La Morra? Also: Deine Hand hat fünf Finger. Meine auch. Wir müssen raten, welche Zahl alle Finger zusammen machen. Capisce?«

»Nö.«

»Sie zeigen einen Finger, ich fünf, macht also sechs. Wenn ich ›vier‹ rufe und Sie rufen ›sechs‹, haben Sie gewonnen. Natürlich gleichzeitig. Und erst nachdem wir ›drei zwei eins‹ gezählt haben. Klar?«

»So ungefähr. Probieren wir’s?«

»Okay. Drei, zwei, eins – SIEBEN!« Ich schreie sie an. So haben wir das als Kinder immer gemacht, um unseren Gegner einzuschüchtern.

Sie bleibt stumm. »Entschuldigung. Noch mal.«

»Drei, zwei, eins – ZEHN!«

»Vier, nein, acht!«

»Nur einmal, Signora. Nicht betrügen! Also noch mal. Drei, zwei, eins – FÜNF!«

»Eins!« Ihre Hand zeigt einen ausgestreckten kleinen Finger, meine Hand Zeige- und Mittelfinger.

»Äh, ›eins‹ geht nicht«, sage ich.

»Warum nicht?«

»Weil ich an jeder Hand Finger habe.«

Sie ballt eine Faust: »Stein?«

Und ich schaue auf meine Zwei-Finger-Schere. »Sie haben die Wahl, Signora.«

Helene sägt wie Dieter Bohlen zu Zeiten von Modern Talking mit der Faust durch die Luft.

»Yeah, ich hab gewonnen! Also, ich nehme den linken Schrank.«

»Gut, ich den rechten.«

Wir drängen uns vor den geöffneten Schranktüren. Der Unterschied zwischen Mann und Frau: Ein Trolley mit Schmutzwäsche steht einem ganzen Schrank voller gebügelter, schöner Kleider gegenüber – einer Menge, mittels deren man an einem einzigen Tag drei verschiedene Persönlichkeiten darstellen könnte.

Während Helene schon Kleid um Kleid auf die Bügel hängt, suche ich noch nach einer Ausrede, um meinen Trolley nicht öffnen zu müssen. Ah, mein Koffer mit den Büchern und Kochutensilien! Den werde ich zuerst auspacken, damit kann ich nichts falsch machen. Ich wuchte ihn die drei Meter von der Tür bis zum Schrank und stelle sogleich fest, dass mir die Zahlenkombination nicht mehr einfällt. Wie war mein Eselsrücken, äh, meine Eselsbrücke? Drei Eier, vier Tassen Mehl, acht Tropfen Likör. Nein, das war die Kombination für mein Fahrradschloss. Noch mal: 45 Minuten bei 100 Grad, wobei die Nullen nicht zählen? Also 4-5-1? Nein, das war es auch nicht. Angy51 war das Passwort meines Computers.

»Was ist?«, fragt Helene mit einem Kleiderbügel in der Hand. »Was vergessen?«

»No, no. Tutto bene, fällt mir schon wieder ein.«

»Man soll ja immer an den Ort zurückgehen, an dem man sich zuletzt daran erinnert hat.« Ein lautes Hupen dröhnt durch das Schiff. Ich zucke nur mit den Schultern und Helene lacht. Sie wedelt mit dem Kleiderbügel vor meiner Nase herum, als wollte sie »Oceans Eleven« nachspielen: »Ich kann so was knacken. Soll ich?«

»Warte mal noch zehn Minuten. Mir fallen die Zahlen schon wieder ein. Warte! Ich hab sie notiert. In meinem Laptop!« Ich greife nach meiner Computertasche und suche nach einem Ort, um sie abzustellen. Da passiert es. Als ich mir den Riemen über die Schulter stülpe, stößt das Ding gegen meine Hosentasche und die Nadel der Brioche piekst mir in den Oberschenkel. »Ah!«, höre ich mich keuchen und ziehe eine entsprechende Grimasse.

Helene schaut mich mit aufgerissenen Augen an, was ich mit einem »No, niente« quittiere. »Einen Moment«, rufe ich dann eilig und versuche, das Schmuckstück aus meiner Hosentasche zu fischen. Es muss sich irgendwie verhakt haben. Als ich mein Bein anwinkle, rutscht mir die Laptoptasche von der Schulter. Ich versuche vergeblich, sie mit der Hand, die in der Hosentasche steckt, aufzufangen. Diese ruckartige Bewegung ist ein Fehler. Die Spitze meines Zeigefingers befreundet sich augenblicklich mit der Spitze der Nadel und eines ist sicher: Die beiden machen gehörig einen drauf. Meine linke Hand, die eben noch auf dem Koffer ruhte, ist augenblicklich eifersüchtig, fischt aber die Laptoptasche aus der Luft, bevor sie auf den Boden prallen kann. Der Koffer kippt langsam zur Seite, und da Helene mich mit offenem Mund anstarrt, bemerkt sie natürlich nicht, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten – was hier die Kofferkante und Helenes Zeh sind – auch in diesem Fall nach dem zweiten Newton’schen Gesetz bestimmt wird. Ich will etwas rufen, aber Helene kommt mir zuvor. Es tönt unschön und klingt irgendwo zwischen wütend und hoffnungslos. Woher ich so genau weiß, wie »wütend« und wie »hoffnungslos« klingt? Meine Schwester stieß immer einen wütenden Schrei aus, wenn ich ihr ohne Vorwarnung kaltes Wasser in den Nacken goss (ich war acht und sie sechs). Und meiner Mutter entfuhren immer ein paar keuchende, sehr hoffnungslose Schreie, wenn ich es wieder geschafft hatte, meine Spielzeugautos derart auf dem Boden zu verteilen, dass sie sie mit ihren nackten Füßen gar nicht verfehlen konnte. Einmal fiel deshalb das Abendessen aus, denn… Helene! Wo ist sie?

»Oh oh! Mi scusi! Che bel pasticcio! Mamma mia! Entschuldige, tut es weh?« Ich rufe in die Ferne, wie ich es früher in Filmen gesehen habe: »Un dottore!«, und dann zu ihr: »Soll ich einen Arzt rufen?«

Sie kauert auf dem Boden, blickt mich böse an und Tränen laufen ihr knallrotes Gesicht hinunter. Mit zusammengekniffenen Lippen schüttelt sie den Kopf.

»Sicher nicht? Lass mal sehen!« Ich knie mich hin, um ihren Fuß zu begutachten, doch sie zieht ihn schmollend weg. Als ich trotzdem nach ihm greife, fällt Helene mein blutverschmierter, gepiercter Zeigefinger auf. »Oh mein Gott, lass mal sehen! Was ist das denn?« Ihr ganzer Schmerz scheint vergessen und, wie sagt man, wie weggeblasen. Sie greift nach meiner Hand und pustet kurz drauf. Ich bin doch kein Kind, denke ich und rolle meinen Finger ein wie die Schildkröte ihren Kopf.

»Wie ist das denn passiert, sag mal? War ich das?«

»Nein, nein. Eine Brosche. In meiner Hosentasche!«

Ungläubig schaut sie mich an. »Eine Brosche?«

»Ich wollte sie zurückgeben, aber ich hab’s vergessen.«

»Wem zurückgeben?«

»Einer Frau. Sie sucht sie bestimmt.«

»Ts, ts, ts. Autoren …« Helene tippt sich an die Stirn. »Was für ein Aftershave benutzt du?« Was ist denn das für eine Frage? »Es gibt welche, da krieg ich Kopfweh. Deshalb.«

»Ich weiß nicht. Ich probiere mich so durch. Ich hab ein paar von diesen Probefläschchen.«

»Oh. Stell sie mir im Bad mal hin, dann sortiere ich sie. ›Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen‹.«

Im Bad?! Wir beide teilen uns ein Bad? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Wir können ja auch eine Liste machen für die zwölf Tage, wer wann aufsteht, damit wer wann wie lang im Bad bleiben kann«, meint Helene, und ich frage mich, ob sie das wirklich ernst meint.

Ich betrachte noch einmal das Schlafzimmer, setze mich auf die Kante des rechten Betts, denn auf dem Nachttisch des linken steht bereits ein Wecker. Wenn ich recht verstehe, soll die rechte Matratze also meine sein, ein Gedanke, mit dem ich mich nur insofern anfreunden kann, als dass ich es etwas näher zur Tür habe. Die Entfernung der beiden Betten zueinander bereitet mir da schon größere Sorgen. Ich hasse es, wenn man mich bereits morgens mit einem fröhlichen Redeschwall begrüßt. Ob aus dem Radio oder aus dem Mund einer lebendigen Person, egal, wie attraktiv sie auch sein mag, ist mir dabei ziemlich schnuppe.

»Meinetwegen«, murmele ich in Helenes Richtung und setze noch ein »Ich schlafe dann hier« drauf.

»Du sprichst ja super Deutsch! Fast ohne Akzent. Ich hab ja überhaupt kein Talent für Fremdsprachen.«

Fast ohne Akzent? Ich hatte mir immer eingebildet, Hochdeutsch mit einem charmanten römischen Touch zu sprechen. Der Wortschatz ist eher meine Achillesverse, genauso wie die Rechtschreibung, die ich seit der letzten Reform noch weniger verstehe als vorher. In welcher anderen Sprache gibt es bitte Wörter mit drei aufeinanderfolgenden »L«? Etwas Vergleichbares gibt es höchstens in einem sogenannten Land wie Wales, wo es Orte namens »Llanfairpwgyllyschiessmichtot« gibt. Aber dort isst man auch Lamm mit Minzsoße, öligen Fisch mit öligen Pommes und ölige Pommes mit öligem Fisch. Noch dazu mit Essig.

Reinhard: »Wenn er nur seine Scheuklappen ablegen könnte! ›Du sollst keine andere Küche haben neben der italienischen‹ – ich kann mich erinnern, dass ihm einmal beim Vorbeilaufen an einer bayerischen Metzgerei das Wasser im Mund zusammengelaufen ist. Aber er wollte es natürlich nicht zugeben.« Silvio: »Ich kann mich auch erinnern. Gab es dort nicht diesen seltsamen Zuckersenf zu gekochten Würsten, die zu allem Überfluss auch noch weiß und schwammig wie ein Tosellakäse waren und deren Haut man nicht mitessen konnte? Pfui.« Reinhard: »In Italien gibt es einen Käse, der besteht aus Maden, die sich mit Käse vollgefressen haben. Kein Kommentar.« Silvio: »Der schmeckt richtig lecker.« Reinhard: »Die Weißwürste auch.« Silvio: »Aber der Senf!« Reinhard: »Oh ja, genau: der Senf!«