Herr Heiland und die Tochter des Sünders - Johann Simons - E-Book

Herr Heiland und die Tochter des Sünders E-Book

Johann Simons

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Beschreibung

Folge 3 - Herr Heiland erhält ein Hilfegesuch: Die Dorfschullehrerin Jenny Jessen hat ein belastendes Geheimnis. Ihr Vater Theo, ein berüchtigter Wilderer aus der Region, sitzt seit über zehn Jahren wegen Mordes in Haft, bestreitet die Tat aber noch immer. Ob Heiland helfen könne, den Fall neu aufzurollen? Der Pastor kann die verzweifelte Frau nicht enttäuschen. Also beginnt er zu recherchieren. Da geschieht ein neuer Mord, der ganz offensichtlich mit dem alten in Verbindung steht ...

Über die Serie: Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin, dem überambitionierten Bürgermeister und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen ...

Herr Heiland - ein himmlischer Cosy-Krimi für alle Fans von gemütlichen Ermittlungen.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Inhalt

CoverHerr Heiland – Die SerieÜber diese FolgeÜber den AutorTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6In der nächsten FolgeImpressum

Herr Heiland – Die Serie

Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin Fräulein Dimpel, dem überambitionierten Bürgermeister Moritz Mindenfeld und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen …

Über diese Folge

Herr Heiland erhält ein Hilfegesuch: Die Dorfschullehrerin Jenny Jessen hat ein belastendes Geheimnis. Ihr Vater Theo, ein berüchtigter Wilderer aus der Region, sitzt seit über zehn Jahren wegen Mordes in Haft, bestreitet die Tat aber noch immer. Ob Heiland helfen könne, den Fall neu aufzurollen? Der Pastor kann die verzweifelte Frau nicht enttäuschen. Also beginnt er zu recherchieren. Da geschieht ein neuer Mord, der ganz offensichtlich mit dem alten in Verbindung steht …

Über den Autor

Johann Simons ist ein deutscher Autor, der bereits viele Romane unter vielen Namen verfasst hat. Unter diesem Pseudonym lebt er seine Vorliebe für gemütliche Krimis mit charmantem Schmunzelhumor aus.

JOHANN SIMONS

Kapitel 1

Der Satan aus dem ersten Stock

Der Leibhaftige wohnte in Sonntal … und ging in die Grundschulklasse 2b. Laut hallte sein infernalisches Gebrüll durch die offenen Fenster des Schulgebäudes, raus auf den nahezu menschenleeren Hof und tief rein in die Gehörgänge des dort soeben eintreffenden Dorfpfarrers.

»Ich …« Klaas Heiland blieb stehen. Nervös leckte er sich über die Lippen. Trotz der warmen Vormittagssonne war ihm plötzlich eiskalt. »Ich kann das nicht, Fräulein Dimpel. Wir müssen diesen Termin absagen.«

»Papperlapapp«, sagte die strenge Dame an seiner Seite. Fräulein Dimpel trug ihre geliebte Kittelschürze und deutete mit fester Entschlossenheit voraus. »Religionsunterricht absagen, wo kommen wir denn da hin? Als Nächstes wollen Sie dann die Sonntagspredigt überspringen oder die wöchentliche Beichtstunde aussetzen. Nein, nein, Herr Heiland. Sie haben Lampenfieber, das ist alles. Ich versichere Ihnen: Sie müssen absolut nichts befürchten. Das sind doch nur Kinder.«

Abermals ließ der Satan sein lautes Organ hören – beinahe als habe er nur auf sein Stichwort gewartet. Heiland lief ein Schauer über den Rücken, und er sandte ein stummes Gebet an seinen aktuell leider nicht minder stummen Schöpfer. Nur Kinder? Nur?

Heiland lebte erst seit wenigen Wochen in Sonntal, einer idyllischen kleinen Gemeinde mitten im bayerischen Nirgendwo, die von grünen Wiesen, dunklen Wäldern und einem wunderschönen Stausee flankiert wurde. Der zweiundsechzigjährige Geistliche mit der Halbglatze und dem stets ein wenig zu wohlgenährten Bauch stammte ursprünglich von der Ostsee. Doch die Launen des Schicksals hatten ihn ans andere Ende des Landes versetzt – in einen Ort, an dem zwar nicht die Uhren anders gingen, aber doch einiges sonst.

Pastoren, die Schulklassen unterrichten?, dachte er abermals und sah zu seinen tatsächlich leicht zitternden Händen. Das ist doch vorsintflutlich. Das hat man im Rest des Landes schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört …

In all den Dienstjahren hatte er noch nicht eine richtige Schulstunde gegeben, nirgendwo! Selbst für den Kommunionsunterricht hatte er früher in Niendorf stets willige Mütter und Väter gefunden, die diese ehrenvolle Aufgabe dankend übernahmen. Er war ein Mann der Kanzel und gewöhnt an schweigende Zuhörer, die freiwillig zu ihm kamen. Der Gedanke, vor einer Gruppe zeternder Knirpse zu stehen, die lieber draußen spielen wollten, erschreckte ihn zutiefst. Konnte er wirklich Verantwortung für deren religiöse Bildung übernehmen? Was, wenn ihm niemand Beachtung schenkte? Was, wenn die Kinder alle so wild waren wie der kleine Teufel, der da oben so laut schrie? Was, wenn ihm jemand Fragen stellte, die er nicht beantworten konnte? Kinder kannten doch keine Grenzen!

Das kann nicht gut gehen. Sein Blick wanderte erneut zu dem lang gezogenen Schulgebäude, von den offenen Fenstern im Obergeschoss über die steinernen Stufen vor dem Haupteingang bis hin zur seitlich angebauten kleinen Turnhalle mit ihren bunt mit Wolpertingern bemalten Außenwänden. Ich bin für Lehrerpult und Tafel einfach nicht gemacht, da müssen geschulte Pädagogen ran.

»Fräulein Dimpel«, wandte er sich an seine Haushälterin. »Nehmen Sie’s mir bitte nicht übel, aber wir kehren besser ins Pfarrhaus zurück und …«

In dem Moment ging die breite Eingangstür der Grundschule auf, und eine Frau trat ins Freie. Sie war Ende dreißig und von zierlicher Gestalt. Ihr blondes Haar war schulterlang, und der Blick ihrer grünen Augen wirkte ebenso freundlich wie schüchtern. Sie trug eine blassgraue Strickweste über einem blassgelben Kleid.

»Jenny!« Hatte Fräulein Dimpel eben noch ausgesehen, als sei sie bereit für die Mutter aller Standpauken, so strahlte sie nun über das ganze Gesicht. »Wie schön, dich zu sehen!«

Die resolute alte Dame umarmte die Frau im gelben Kleid. Dann sah Letztere zu Klaas Heiland.

»Da sind Sie also, hm?«

»Jenny Jessen«, verkündete Fräulein Dimpel. »Darf ich dir Klaus Heiland vorstellen, unseren neuen Pfarrer und Religionslehrer.«

»Klaas«, korrigierte Heiland. Dimpel hatte sich seinen Vornamen noch nie merken können. Oder wollen. Er schüttelte die Hand, die die jüngere Frau ihm zaghaft reichte. »Sie sind die Direktorin, ja?«

»Jessen.« Sie nickte scheu. »Ich leite diese Einrichtung seit ein paar Jahren. Und selbstverständlich weiß ich, wer Sie sind. Willkommen bei uns in der Grundschule.«

»Und wir sind keine Minute zu früh dran«, ergänzte Fräulein Dimpel mit an Heiland gerichtetem Tadel in der Stimme. Jedes Wort klang, als ende es auf einem Ausrufezeichen. »Ihr erster Unterricht beginnt in wenigen Augenblicken, Herr Pfarrer.«

Jessen lächelte und sah zu Boden. »Die 2b ist schon wahnsinnig gespannt auf Sie«, gestand sie. »Seitdem Ihr Vorgänger vorzeitig in den Ruhestand ging, mussten wir vom Kollegium die Religionsstunden mit übernehmen, aber das ist einfach nicht dasselbe.«

»Ja, nicht wahr?«, stimmte Fräulein Dimpel entschieden zu. »Findest du nicht auch, Jenny? Es ist toll, dass wir endlich wieder einen echten Pfarrer im Dorf haben.«

Heiland überlegte immer noch, wie in Gottes Namen er aus der Nummer wieder herauskommen sollte, als die Schulglocke erklang. Sie übertönte sogar den Schreihals aus dem ersten Stock mühelos.

»Halb zehn«, erklärte die Direktorin. Fast schon entschuldigend wandte sie sich an Heiland. »Wir wären dann so weit, Herr Pfarrer.«

Er öffnete den Mund zu einer ebenso verzweifelten wie schamvollen Ausrede. Doch alles, was über seine Lippen kam, war: »Gott, steh mir bei.«

Dann folgte er Jenny Jessen zum Haupteingang des Schulgebäudes. Auf der Schwelle angekommen, sah er ein letztes Mal zu Fräulein Dimpel. Die Haushälterin nickte ihm aufmunternd zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch nicht einmal die Gewissheit, sie besänftigt zu haben, konnte etwas gegen die Angst bewirken. Klaas Heilands Knie zitterten an diesem Morgen, und kalter Schweiß perlte auf seiner fraglos leichenblass gewordenen Stirn.

Das Lehrerzimmer der Grundschule Sonntal am See lag im Erdgeschoss, gleich neben dem winzigen Büro der Direktorin. Der rechteckige Raum war gemütlich eingerichtet, mit deckenhohen Regalen voller Lehrbücher, mehreren Sofas und Tischen und einer kleinen Teeküche an der hinteren Wand, die kaum einen Wunsch offen ließ.

Heiland stand an Letzterer, ließ seinen Blick über die immense Auswahl an Kräuterbeutelchen und Cappuccinopulvern gleiten und entschied sich dann doch für das einzig wahre Allheilmittel: Filterkaffee mit Milch und richtig viel Zucker. Die vergangene Unterrichtsstunde saß ihm in den Knochen – dass Kinder auch so fürchterlich neugierig sein mussten –, und seine Hand zitterte noch, als er zur Kanne griff.

»Sie sind der Neue, hm?«

Die Stimme war direkt hinter ihm erklungen. Heiland erschrak so sehr, dass er sich beinahe das heiße Gebräu über die Hand goss.

»Oh, Verzeihung.« Der Besitzer der Stimme kam in sein Sichtfeld und griff sichernd nach der Kanne. »Das wollte ich nicht. Ich dachte, Sie hätten mich längst bemerkt.«

Der Mann war etwa fünfzig und sah aus, als sei er bereits als Lehrer auf die Welt gekommen: Er hatte aschfarbenes Haar, einen sorgsam gestutzten Vollbart und trug einen Rollkragenpullover unter seinem Cordsakko. Er lächelte entschuldigend, während er Heilands Tasse für ihn füllte.

»Pfarrer Heiland, richtig? Ich bin Georg Appenzell, Deutsch und Sachkunde.« Er reichte Heiland den Kaffee und hielt ihm auffordernd das Schälchen mit den Zuckerstückchen hin, das neben der Kaffeemaschine ruhte. »Greifen Sie zu, das haben Sie sich verdient. Sie hatten ja gerade die 2b, wenn ich nicht irre.«

Heiland bediente sich gern. Er nahm gleich drei der köstlichen weißen Würfel.

Fräulein Dimpel ist ja schließlich nicht hier, dachte er. Und Appenzell wirkt nicht gerade, als würde er mich verpetzen wollen. »Sie kennen die Klasse?«

Der Bärtige lachte. »Jeder kennt die.« Einladend deutete er auf eine Couch am Fenster. »Und jeder fürchtet sie, ehrlich gesagt. Ich bin seit knapp drei Jahrzehnten Lehrer, Herr Pfarrer, aber so vorlaute Biester wie die sind mir nur selten untergekommen.« Dann zwinkerte er verschwörerisch. »Das habe ich nie laut gesagt, klar?«

»Glasklar.«

Heiland setzte sich auf die Couch. Die zurückliegende Unterrichtsstunde hatte seine Befürchtungen zumindest in Teilen bestätigt. Zwar hatten sich die meisten Sonntaler Dreikäsehochs, kaum dass ein Erwachsener vor ihnen stand, gleich viel gesitteter gezeigt, doch ein, zwei Störenfriede gab es vermutlich in jeder Klasse. Das, so schätzte er, war in dem Alter gewiss ganz normal. Dennoch beneidete er Herrn Appenzell nicht um dessen Beruf. Heiland mochte Kinder, das war es nicht. Er fragte sich nur manchmal, ob Kinder ihn mochten.

Die große Pause war jedenfalls ein willkommener Segen. Erleichtert lehnte Heiland sich zurück und nippte am süßen Kaffee. Sein Blick wanderte abermals durch das Lehrerzimmer. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen war aktuell hier versammelt. Manche standen suchend vor den hohen Regalen, andere unterhielten sich oder bissen hungrig in mitgebrachte Butterbrote. Im Sessel neben der Couch las eine Frau mit Nickelbrille in der heutigen Ausgabe der lokalen Tageszeitung und wirkte dabei so streng, als sähe sie in jeder einzelnen Schlagzeile eine persönliche Beleidigung. Heiland wartete insgeheim nur darauf, dass sie den Rotstift zückte und Korrekturen vornahm.

»Sie sind zum ersten Mal bei uns, hm?«, fragte Appenzell. Er zog einen Apfel aus der Tasche und biss herzhaft hinein.

Heiland nickte. »Ich bin der Nachfolger von Pastor Schmitzbauer. Und ich fürchte, ich sah mich nie als Lehrkraft. Im Gegensatz zu meiner neuen Gemeinde. Die Sonntaler Traditionen und ich stehen mitunter noch auf Kriegsfuß miteinander, wissen Sie?«

Appenzell winkte ab. Fruchtsaft klebte an seinem Bart. »Machen Sie sich nichts draus. Das lernen Sie schon. Seien Sie einfach Sie selbst. Die Knirpse bekommen dann schon Respekt – und die meisten sind ja auch wirklich brav. Haben Sie heute noch eine zweite Klasse?«

»Die 1a«, gestand Heiland. »Gleich nach der Pause. Ich …« Er verstummte, als ihm der Gesichtsausdruck seines Gegenübers auffiel. »So schlimm?«

Appenzell schluckte schnell den Bissen hinunter. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »A… Ach was, das schaffen Sie schon«, stotterte er und versuchte vergebens, sich sein Mitleid nicht anmerken zu lassen. »Nur Mut!«

Heiland wollte gerade etwas erwidern – zum Beispiel nach dem schnellsten Weg zum Notausgang fragen –, als die Dame mit der Nickelbrille rechts neben ihm die Nase rümpfte.

»Ist etwas, Magda?«, fragte Appenzell. Er beugte sich vor und sah sie an.

Die Angesprochene ließ die Zeitung sinken. »Vierhunderttausend«, sagte sie, als wäre das eine Antwort. »Das muss man sich mal vorstellen. In Sonntal!«

»Bedaure, meine Liebe.« Appenzell biss in den Apfel und sprach schmatzend weiter. »Der Herr Pfarrer und ich verstehen nur Bahnhof.«

»Na, diese Preise.« Anklagend deutete die strenge Frau auf die Zeitung. Heiland sah, dass sie die Immobilienanzeigen aufgeschlagen hatte. »Vierhunderttausend Euro für ein Haus drüben im Neubaugebiet, das ist doch Wucher.«

Appenzells Mundwinkel zuckten. »Unsere gute Frau Dengler unterrichtet Musik und Kunst. Außerdem sucht sie seit Monaten nach einer neuen Bleibe. Richtig, Magda?«

»Na, hier finde ich sie jedenfalls nicht.« Dengler warf die Zeitung auf den kleinen Tisch vor der Couch. »So viel steht fest.«

»Na, komm.« Appenzell winkte ab. »Das Neubaugebiet war schon immer zu teuer für Leute wie uns. Mit Lehrergehältern kann man sich eben keine Paläste leisten.« Dann sah er zu Heiland. »Da geht’s Pfarrern sicher nicht anders, hm?«

»Nun, als Palast würde ich das hiesige Pfarrhaus nicht beschreiben«, erwiderte der Geistliche. »Aber als sehr gemütlich.« In dem Punkt passten das Haus und sein neuer Bewohner tatsächlich sehr gut zusammen.

Die Tür zum Lehrerzimmer ging auf, und Jenny Jessen betrat den Raum. Einmal mehr bemerkte Heiland, wie schüchtern die Direktorin sein musste. Sie sah niemanden ihrer Kollegen an und setzte sich allein an einen noch freien Tisch. Erst als sich eine Lehrerin zu ihr gesellte und sie in ein Gespräch verwickelte, taute die blonde Schulleiterin auf.

»Frau Jessen ist ein sehr privater Mensch, nicht wahr?«, fragte Heiland.

Appenzell nickte. »Das ist sie. Liegt vermutlich an ihrer Familiengeschichte. Ich kann’s ihr jedenfalls nicht verdenken. Sie wissen ja, wie Dörfler so sind: Es wird viel getratscht und leider nur wenig vergessen.«

Nun war Heiland derjenige, der eine Braue hob. Was meinte der Lehrer nur?

Er kam nicht dazu, Appenzell zu fragen. Abermals war es die Pausenglocke, die seine Pläne durchkreuzte.

»Also dann, Herr Pfarrer.« Der Bärtige erhob sich seufzend und verstaute die Reste seines Apfels wieder in der Cordjacke. »Die Pflicht ruft. Genießen Sie Ihren ersten Tag bei uns. Und lassen Sie sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen, ja? Die sind nicht alle so wie die 2b … oder wie die 1a.«

Heiland dankte schwach, straffte die Schultern und ergab sich in seine zweite Schulstunde des noch jungen Tages. Einmal mehr wünschte er sich, es wäre dauerhaft seine letzte.

Es ging auf Mittag zu, als Heiland durchs Dorf nach Hause schlenderte. Die Sonne schien, die Luft war warm und klar, und die Erleichterung beflügelte jeden seiner Schritte. Die Stunde in Klasse 1a hatte seine Befürchtungen nicht bestätigt. Im Gegenteil: Die frisch Eingeschulten – insgesamt hatte es sich um gut zwanzig Jungen und Mädchen gehandelt – waren ausgesprochen artig und aufmerksam gewesen, während er ihnen von Jona und dem Wal erzählte. Ein rothaariger Knirps namens Leon, der in der zweiten Reihe saß und bei nahezu jeder von Heilands Fragen begeistert aufzeigte, hatte sich sogar als wahrer Bibelkenner erwiesen. Heiland beschloss, Fräulein Dimpel nach der Familie des Jungen zu fragen, da er sie nicht kannte. Die Einundsiebzigjährige mit den grauen Locken und dem Faible für geblümte Schürzen war fest verwurzelt in Sonntal und stets bestens informiert.

Der Pastor erreichte den runden Platz in der Ortsmitte. Rechts von sich konnte er die Kirche St. Hilarius sehen, seine Wirkungsstätte. Der weiße Turm ragte weit über die übrigen Dächer hinaus, und beide Zeiger der großen Uhr näherten sich der Zwölf. Auf der linken Seite des Platzes wusste Heiland das Dorfgasthaus Zur stolzen Kaiserkrone mit seiner Fachwerkfassade und den üppig bewachsenen Blumenkästen an den Fenstern. Direkt voraus sah der Pastor die Bäckerei Bais mit ihrem schicken Café und davor Bienes winzigen Zeitungskiosk im Schatten des riesigen Maibaums. Heilands Magen knurrte, als er der köstlichen Düfte gewahr wurde, die von dort herüberwehten. Seit dem Frühstück war viel Zeit vergangen, und in den Pausen hatte er vor Aufregung keinen Bissen herunterbekommen.

»Ein Himmelreich für ein Mittagessen«, murmelte er bei sich, während er an der Kirche entlang in Richtung Pfarrhaus ging. »Und sei es eins mit Gemüse.«