Herr Kuranaga - Günther Mayr - E-Book

Herr Kuranaga E-Book

Günther Mayr

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Beschreibung

Mysteriöse Erkrankungen nach Corona-Impfungen lassen einen Philosophie-Professor zum Detektiv werden: In Tateo Kuranaga vereinen sich die traditionsreichen Tugenden eines Samurai mit österreichischer Lebensart.  Ein Vogel im Orchestergraben, eine japanische Kommissarin auf einem Wanderfalken und menschliche Originale aus beiden Kulturkreisen kreuzen seinen Weg. Ein außergewöhnlicher Kriminalfall, der mit Kreativität und viel Witz gelöst wird.  Günther Mayr wurde schon mit vielen Namen betitelt: "Das Gesicht der Pandemie" nennen ihn die einen, durchaus als Kompliment gemeint. "Der Corona-Erklärer" die anderen, dankbar für die Präsentation von Fakten mit einer Brise Zuversicht und Lösungsansatz.  Und der ehemalige Gesundheitsminister Rudi Anschober nannte ihn gar "den Hugo Portisch der Wissenschaft". Nun legt der Leiter der Wissenschaftsredaktion des ORF einen Kriminalroman vor, der seine fachliche Kompetenz mit wunderbaren Sprachbildern, für die er so bekannt und beliebt ist, verbindet. Und Sie werden sehen, auch in diesem Metier glänzt Günther Mayr!

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Günther Mayr

Herr Kuranaga

Ein Samurai zwischen Sushi und Schweinsbraten

Mit freundlicher Unterstützung durch das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport

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1 Auflage 2022

© Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2022

ISBN 978-3-8000-7821-9 (print)

ISBN 978-3-8000-8226-1 (e-book)

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Saskia Beck, s-stern.com

Satz: Textwerkstatt Rotkel, rotkel.de

Konvertierung: bookwire.de, Frankfurt/Main

www.ueberreuter.at

Inhalt

K. u. k.-Kaisersohn und Känguru

Samurai – Freund und Feind

Konjō, Deppata

Lauchangriff

Frau Kommissarin gibt Gas

Idiotopathisch

Wiener Blut in Nippons Adern

Raketenfrau

Tofu-Syndikat

Der Vogel im Orchestergraben

Der Code des Fanatismus

Grausames Ritual

Teppanyaki – Deppat

Viergestrichenes Bier

Der Vogel im Pferd

Kampf mit leeren Händen

Wenn der Uguisu singt

Der Ruf des Meisters

Lethal Sax

Über das Buch

Über den Autor

K. u. k.-Kaisersohn und Känguru

Die Schwarte krachte. Tateo Kuranaga war wieder einmal innerlich zerrissen, wie er das bewerten sollte. Er nahm das Geräusch in seinen Körper auf wie den vertrauten Schluck aus einer Tasse Tee. Mit geschlossenen Augen spürte er Klangkaskaden nach, ließ seiner Wahrnehmung freien Lauf für Verbindungen in eine Vergangenheit, deren Spuren sein Geist noch abrufen konnte wie die Nummern einer Jukebox.

Japan – der Schritt auf eine dünne Eisschicht als Kind, das berstende Eis, klirrend, knirschend, scharf splitternd zu einer Fraktur zersprungen. Das schnalzende Krachen des Baumes, dem die Axt zwei Drittel seines hölzernen Herzens zerhackt hatte. Mit seinem eigenen Gewicht zerfetzte der verwundete Riese umkippend die letzten Fasern seines Stammes, wie ein Schuss das letzte Abreißen, ein flirrender Wind in den Ästen begleitete sein Fallen, dann schlug er ächzend hin. Das knackende Geräusch nach einem Tritt auf das Standbein des Gegners, dessen Knochen durchschlagen wurden, lauter zuerst das brechende Schienbein, fast wie ein Zirpen das Knicken des Wadenbeines.

All das klang ähnlich. Die Tugend des Samurai verbot es, das Gehörte mit Gefühlen zu verbinden – es ging einzig und allein um die Aufmerksamkeit, um das klare Bewusstsein, um das Sehen von hörbaren Mustern, farbigen Klängen. Es durfte keine Rolle spielen, ob Eis zersplitterte oder ein menschlicher Knochen zerbrach. Ohne Emotionen zu erkennen, wo die beiden Vorgänge nicht mehr zu unterscheiden waren, das war Erkenntnis. Geistige Klarheit in kosmischen und menschlichen Angelegenheiten – das verlangte der siebente Dan, einer der höchsten Grade in der asiatischen Kampfkunst. Tateo Kuranaga zählte zu den wenigen, die diesen siebenten Dan, den Nana-Dan, nicht nur an sich, sondern in sich trugen. Aber Kuranaga war längst auch zum Ausländer geworden, zum Gaijin, der auch den westlichen Genüssen frönte; das lenkte ihn ab von seinem klaren Weg des Samurai, es machte ihn zu einem innerlich zerrissenen Menschen.

Zu spüren bekam das die Schwarte. Krachend zersprang sie zwischen Kuranagas fünf links oben und sechs links unten. Wie tönende Lautsprecher übertrugen die Kieferknochen den knusprigen Lärm in die Verstärkeranlage Gehirn, seine Geschmacksknospen blühten auf wie japanische Kirschbäume im Frühling. Die scharfkantigen Zersplitterungsgeräusche trafen auf die Geschmackstöne des gebratenen weichen Fleisches. In Kuranaga stieg das Bild eines virtuosen Judowurfes auf, wo die brutale Kraft der Muskeln überging in eine anmutige Flugphase, wo zwei Kämpfer wie schwerelos in einem kurzen Moment der Stille schwebten, um dann krachend auf der Matte zu landen. Kuranaga biss die zweite Schwarte durch.

„Da schaust du wieder, Japaner, was?“ Helmut Freisinger, Wirt des Wiener Gasthauses „Zur Eisernen Hand“, wusste um die Vorliebe seines Stammgastes für Schweinsbraten, er bemerkte an den Kaugeräuschen und am Mienenspiel Kuranagas, dass das Schwein einmal mehr nicht umsonst gestorben war. Doch er erreichte seinen Gast noch nicht, der Tönen und Bildern nachspürte, die sich zu immer neuen Fantasiewelten zusammenbauten, die ihm sein Gehirn wie einen flimmernden Kurzfilm vom Unterbewusstsein ins Erleben spulte. Gerade als die zwei Judokämpfer in Zeitlupe der Matte entgegenschwebten und Kuranaga instinktiv mit seinem Kopf die Abwärtsbewegung nachvollzog, registrierte sein wacher Geist das Wort „Japaner“. Der Rest war ein geübter Reflex, eine einstudierte Verteidigungsfinte des Sprachzentrums, die ohne jede weitere Überlegung in Worte umgesetzt wurde: „Nicht schlecht, Kängurlu!“

Wenn es schnell gehen musste, schaltete das von Kindheit an auf Japanisch trainierte Gehirn manchmal zu langsam und so wurde aus dem längst im phonetischen Tiefenspeicher eingebläuten Känguru doch noch ein Kängurlu.

Helmut Freisinger war der Blödheit entwachsen, daraus einen Scherz zu machen. Er hatte bei seinem Leben auf verschiedenen Kontinenten, wie er meinte, „die schlechtesten Witze und die besten Menschen sowie umgekehrt“ kennengelernt. In Australien hatte es ihn ganze zehn Jahre gehalten, deshalb sein Beiname „Känguru“.

Mit fünfzehn Jahren war er vom steirischen Feldbach aufgebrochen und hatte in Hamburg ein Auswandererschiff bestiegen. Die australischen Einwanderungsbehörden fanden bei den medizinischen Routineuntersuchungen schnell heraus, dass der junge Mann auf einem Auge blind war, und ließen ihn nicht ins Land. Nach längerem Betteln und Bitten des Fünfzehnjährigen hatte einer der australischen Beamten eine Idee: „Du hast eine einzige Chance: Du verpflichtest dich für einen Arbeitseinsatz in Papua-Neuguinea.“ So gelangte Helmut Freisinger aus Feldbach in der Steiermark doch noch auf australisches Territorium. Ausgerechnet als Maler und Anstreicher wurde der Einäugige dort eingesetzt. Wenig später hatten ihm die Einheimischen aufgrund seines abenteuerlichen Werdegangs bereits einen Titel angehängt: „The mad painter“ – der verrückte Maler.

Kuranaga wusste um den erworbenen Beinamen und rief ihm deshalb zu: „Du, mad painter, hast du noch ein Schwartele?“

Am gleichen Tisch saß Ferdinand Reiter, ein EDV-Spezialist und Elektronikfreak, dem sie aufgrund des Anfangsbuchstabens seines Vornamens die Funkkennung „Foxtrott“ als Spitznamen verpasst hatten. Er spielte viel lieber mit Programmiersprachen als mit Worten und hatte deshalb mit schlechten Witzen kein Problem: „Komm schon, Känguru, hüpf in die Küche und bring dem Samurai noch eines.“

„Jaja, der tasmanische Teufel soll dich holen“, knurrte Freisinger, schob seinen australischen Akubra-Hut in den Nacken und schlurfte in Richtung Küche.

„Mit seiner schlampigen Körperhaltung würden sie ihn in einer japanischen Karateschule nicht Känguru, sondern Schildkröte nennen“, sagte Kuranaga und zog demonstrativ den Kopf ein, als versuche er, in seinen eigenen Panzer zu schlüpfen.

„Immerhin geht es ihm gut, im Gegensatz zu anderen, wie zum Beispiel der Irmi“, entgegnete Foxtrott und deutete auf seinen linken Oberarm.

„Was ist mit ihr?“

„Liegt im Koma, wenige Stunden nach der dritten Impfung.“

Kuranaga streckte sich durch und wich nach hinten, wie es Menschen tun, denen ihr Gegenüber eine unangenehme Nachricht überbringt. Bei ihm hatte es etwas Majestätisches, weil er in solchen Situationen in eine steife Haltung verfiel und seine Mimik hart und entschlossen wurde, wie er es in der Karateausbildung gelernt hatte – den Gegner fixieren, Entschlossenheit im Blick. Innerlich ging er die ihm bekannten Eckdaten des Gehörten durch: Irmgard „Irmi“ Rottenschlager, Opernsängerin und Jazzliebhaberin, Mitte vierzig, schlank und sportlich; ihr strahlend weißes Gebiss und ihre stahlblauen Augen kontrastierten mit den dunklen Haaren.

Foxtrott, der jegliches Interesse für Frauen bestritt, war ihr mehr zugetan, als er zugeben wollte. Ihre Stimme tat ein Übriges, machte sie als Gesamterscheinung aber so unnahbar, dass Foxtrott es bei einer heimlichen Schwärmerei beließ, die dennoch kaum jemandem in seinem Freundeskreis entgangen war.

Die ersten beiden Stiche der COVID-Schutzimpfung mit einem mRNA-Serum hatte Irmi Rottenschlager ohne Probleme absolviert, wenige Minuten nach dem dritten war sie kollabiert und bewusstlos in das Wiener Krankenhaus eingeliefert worden.

Als Universitätsprofessor für Philosophie dachte Kuranaga methodisch Möglichkeiten durch.

„War sie krank in letzter Zeit?“

„Nein“, erwiderte Foxtrott, „bis vorgestern jedenfalls nicht, da war sie noch sehr munter und gut gelaunt hier – sie war froh, dass sie bald den dritten Stich bekommt.“

„War sie gegen irgendwas allergisch, Heuschnupfen oder so etwas? Ich wüsste jedenfalls nichts …“

„Eher nicht, sie war ja sehr viel in der Natur unterwegs, hat nie von so etwas erzählt.“

„Wo wurde sie geimpft?“

„Impfstraße, ich glaub Messezentrum Wien.“

„Und wo ist sie jetzt?“

„AKH Wien, Intensivstation.“

„Welche Intensivstation?“

„AKH Wien!“

„Ich meine, welche Intensivstation am AKH?“

„Ah, gibt’s da mehrere?“

Kuranaga nickte. „Natürlich, das ist ja ein riesiger Tempel.“

„Dein Tempel ist hier in der ,Eisernen Hand‘!“ Känguru Freisinger hatte nur die letzten Wortfetzen mitbekommen und wieder einmal alles auf sich und sein Wirtshaus bezogen. „Da hast du dein Schwartele. Soll ich es dir mit einem Hüftwurf servieren?“

„Da musst du noch Jahrzehnte üben, du weißt: Ich will Ippon!“ Das war auch kurz nach seinem sechzigsten Geburtstag das Lebensmotto von Kuranaga: Es zählte nur die höchste Kunst, die höchste Wertung, und die hieß im japanischen Kampfsport nun einmal Ippon.

„Hast du das von Irmi gehört, Känguru?“

„Ja, schrecklich – irgendwie ist das unheimlich mit den Impfungen.“

Kuranaga kaute nachdenklich an seiner Schwarte und sinnierte über das Wort unheimlich. „Nichts ist unheimlich, sobald du es verstehen und beherrschen kannst“ – einer der obersten Lehrsätze seines Karatelehrers Naruto Gichin von der legendären japanischen Kampfsportinsel Okinawa. Gichin selbst war ihm lange unheimlich gewesen mit seiner stoischen Körperbeherrschung, die sich in extrem schnelle Bewegungen und Schläge entladen konnte, die dann wie ein Blitz aus heiterem Himmel einschlugen. In jungen Jahren konnte er die Aktionen seines Meisters nicht einmal erahnen. Oft nur Millimeter vor dem Gesicht, vor dem Körper seines Schülers stoppte Gichin die Angriffe. Bis eine Reaktion einsetzte, war er wie ein Schatten federleicht aus der Schlagdistanz gesprungen. Gichin stammte aus einer legendären Familie auf Okinawa, die über Generationen die besten Karatekämpfer Japans hervorgebracht hatte. Er war es, der Kuranaga bereits als Kind den Beinamen Kumachan gegeben hatte – „kleiner Bär“.

Kumachan, du musst deinem Namen Ehre machen. Noch bist du klein, aber wie dein Namensgeber im Wald sollst du neugierig sein und ohne Angst Neues erkunden. Geh dem Geruch des Honigs nach, Kumachan, und wenn dich die Bienen stechen, dann lass es dir gefallen – denn sieh: Mit ihren Stichen zeigen sie dir, dass sich jeder, sei er noch so klein, wehren kann. Und dennoch wirst du dich an ihrem Honig laben. Aber sei genügsam, Kumachan, nimm nur so viel, wie du gerade brauchen kannst. Denn wenn du die Bienen überleben lässt, überlebst auch du. Die Bienen fliegen zu den Kirschblüten – hörst du sie das Kinderlied summen? „Sakura, Sakura“ – die geküssten Blüten der Bäume werden zu Früchten. Die süßen Kirschen sind das zweite Geschenk der Bienen für dich, Kumachan. Nur wenn du das Geschenk des Honigs zu achten weißt, wirst du auch Kirschen ernten können.

Kuranaga kaute an der Schwarte, die plötzlich nach Kirschen schmeckte. Es irritierte ihn. „Känguru, die Rechnung bitte.“

Känguru Freisinger kratze sich hinter dem rechten Ohr. „Geht aufs Haus, heute ist japanischer Nationalfeiertag.“ In der „Eisernen Hand“ war nicht selten japanischer Nationalfeiertag.

„Österreichisch-japanische Freundschaft!“, rief Kuranaga – das bekannte Signal. Wirt und Gast stellten sich im Abstand von zwei Metern einander gegenüber auf und führten mit den Händen an der Hosennaht theatralisch eine Siebenachtelverbeugung aus. Es gehörte zum Ritual, dass Kuranaga dann wortlos mit ernster Miene und würdevollen Schrittes das Lokal verließ. Die Tür wurde standesgemäß mit einem Karatetritt geöffnet, einem verdutzten Paar, das gerade in die „Eiserne Hand“ gestolpert war, eröffnete Känguru: „In Japan reicht man sich die Füße, wenn man Leute trifft!“

Vor der „Eisernen Hand“ kramte Kuranaga in den Taschen seines beigen Mantels, der aussah, als hätte er ihn bei einem Columbo-Casting gestohlen. Er förderte ein altmodisches Mobiltelefon zutage, das wegen seiner Klobigkeit in Wien als „Funkziegel“ verspottet wurde. Kuranaga störte viel mehr, dass es südkoreanischer Bauart war. Es ärgerte ihn maßlos, dass Japan kein eigenes „Funkgurkerl“ hervorgebracht hatte. „Roku, roku, yon“, murmelte er und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Display des Telefons. Wie viele mehrsprachige Menschen verfiel auch er bei Zahlen in seine Muttersprache. Es war ohnedies eine gesprochene Fleißaufgabe, die Nummer von Piedro Maringer war ja eingespeichert, aber es gehörte zu einer Marotte Kuranagas, seinem abgewetzten Telefon zumindest die Vorwahl des Anzurufenden vorzusagen. Eine Emanzipation gegen ein Teil, das ihn aufgrund seines stupiden Speichers immer wieder daran erinnerte, dass sein Samurai-Schädel nicht in der Lage war, die digital verscharrten Namen eines Zahlenfriedhofs mit lebenden Menschen in Verbindung zu bringen.

„Servus Kaisersohn, ich steh gerade vor der OP-Schleuse, ist es sehr dringend?“ Piedro Maringer, Anästhesist und Notfallmediziner am Wiener AKH, klang etwas außer Atem.

Den Titel Kaisersohn hatte sich Kuranaga vor Jahren in einem Biergarten eingebrockt, als er mit dem fünften Halbliterkrug unter einer großen Eiche zu einem genealogischen Grundsatzreferat angehoben hatte und aus den Ästen und Zweigen der Eiche ein Diagramm seines Familienstammbaums ableitete, dessen Wurzeln ihren Ursprung direkt im japanischen Kaiserhaus hätten. Er stellte sich auf einen Sessel und deklamierte lautstark: „Ich bin sozusagen die Krone des Stammbaums, um nicht zu sagen der Schöpfung, darunter: jeder Ast eine Samurai-Familie, stark geworden durch die Stürme der Geschichte, veredelt vom Licht der Sonne, die Japans Flagge ziert, genährt von den Wurzeln jahrtausendealter Tradition, durchflossen von kaiserlichem Ahnensaft!“

Im Biergarten war es still geworden. Eine Kellnerin in einem rosaroten Dirndlkleid stand wie die Puppe einer Spieluhr im kiesigen Boden. Festgefroren in der Bewegung blickte sie halb verdreht über ihre rechte Schulter zurück zu Kuranagas Tisch, den Mund halb offen vor Staunen. Neben ihr furzte ein brauner Dackel so laut, dass er aus Schreck über sich selbst zu bellen begann. Foxtrott als geübter Schluckspecht unter Bäumen und Trinkkumpanen hatte als Erster die Fassung wieder: „Geh, Ahnensaft, Gerstensaft tut’s auch, Kanpai, Herr Kaisersohn!“

Es war einer der Momente, in denen Kuranaga in sich die abendländische Sehnsucht nach Klamauk und Theater, nach der Leichtigkeit des Seins spürte, als wäre er Teil dieser Kultur. Die Selbstbeherrschung aber, diese tief verankerte Vorgabe in seinem fernöstlichen Wesen, die ließ das nicht ohne Kompromisse zu. Kuranaga sprang auf, stützte sich mit den Armen auf die Lehne eines fragilen Gartensessels, stieg in den Handstand auf, war Augenblicke später mit seinem linken Fuß auf dem Tisch und verteilte mit seinem rechten Fuß Tritte in die biergeschwängerte Luft des Gartens. Mit einem Rückwärtssalto übersprang er Piedro Maringer, der instinktiv den Kopf einzog, und landete auf beiden Beinen im kiesigen Garten. Dann kreuzte er die Hände vor der Brust und brüllte in den Garten: „Österreichisch-japanische Freundschaft!!!“

Der immer noch statuenhaft versteinerten Kellnerin war das Tablett aus der Hand gefallen, eine blonde Frau mit Zöpfen streichelte geistesabwesend den Dackel. Zwei Schrecksekunden später sagte ein junger Mann mit rotem T-Shirt halblaut in die Stille: „Oiiida!“ Die blonde Frau, den Blick starr auf Kuranaga gerichtet, streichelte weiter ihren Hund, bis ihr Gehirn profane Pfade nahm und sie plötzlich dachte: Hoffentlich glaubt der Bello nicht, dass das Streicheln eine Belohnung fürs Furzen ist. „Oiiida“, wiederholte der junge Mann und sah ein junges Mädchen mit kurzen braunen Haaren an, das ihm gegenübersaß.

„So schaut’s aus, Oida!“, rief Kuranaga. Das Wort „Oida“ konnte in Wien sehr vieles bedeuten, je nachdem wie es betont wurde. Von bedrohlich über überrascht, von kleinlaut bis wütend. Eine junge Schauspielerin hatte dreiundzwanzig verschiedene Bedeutungen von „Oida“ in einem Video zusammengestellt. Kuranaga erinnerte sich an einen legendären Abend in der japanischen Botschaft. Der Koch der Botschaft kam immer aus Japan, das Servierpersonal traditionell aus Österreich. An diesem Abend waren Kellnerinnen und Kellner kaum zu beruhigen, ständig wurde gekichert und gelacht. Der etwas irritierte Botschafter konnte sich nicht erklären, was so lustig sein sollte. Eine Serviererin legte dann das Geständnis ab: Der neue Koch trug den Namen Oita. Begonnen hatte es mit einem jungen Mann, der den anderen erklärte: „Oida, der Koch heißt Oida!“ Die Folge war, dass es kaum jemand in die Küche schaffte, ohne sich vor Lachen zu krümmen, und beim Servieren quiekte sich das Personal ohne Unterlass zu: „Was ist der nächste Gang, Oida?“

Für Piedro Maringer und die anderen der Clique war Kuranaga von diesem Tag im Biergarten an „der Kaisersohn“ – was dieser, wie ein Sumoringer den Beinamen, mit finsterer Miene zur Kenntnis nahm.

„Ja, es ist dringend!“, sagte Kuranaga. „Die Irmi muss irgendwo bei euch auf einer Intensivstation liegen. Hast du gar nichts davon gehört?“

Maringer stutzte kurz. „Nein, bin gerade von einem Kongress zurück und beginne den ersten Dienst. Was ist passiert?“

„Sie hat gerade die dritte Teilimpfung bekommen.“

„Das bedeutet einmal gar nichts – ich kümmere mich darum.“

Maringer schlüpfte nachdenklich in seine grüne OP-Montur, in die grünen Plastikpantoffeln und runzelte die Stirn. „Idiopathische Verläufe und Interventionen nach der dritten Teilimpfung der Coronavakzine“ war ein großes Vortragsthema beim Notfallmediziner-Kongress in Seattle gewesen. Idiopathisch – da konnte er als präziser Diagnostiker nur zynisch lächeln. „Unbekannter Ursache“ also. „,Wir haben keine Ahnung‘ traut sich die Medizin ja noch immer nicht laut sagen“, murmelte er in den angelegten Mund-Nasen-Schutz.

Antworten auf Fragen nach einigen Dutzend Zwischenfällen nach einer Teilimpfung hatte auch der Vortrag nicht geliefert. Er hatte nur klar gezeigt, dass es offenbar über mehrere Länder verteilt ein Problem gab, das nicht gelöst werden konnte. Impflinge, wie sie die Medizin so niedlich nannte, klagten einige Stunden nach der Spritze über Symptome wie Übelkeit, Sehstörungen und Kopfschmerzen. Bei schweren Fällen traten plötzlich Atemlähmungen auf, meist wenige Minuten nach dem Stich – fast zehn Prozent dieser schweren Fälle hatten die Ärzteteams verloren: Sie waren tot. Die Suche nach Gemeinsamkeiten der Fälle ergab nichts – Vorerkrankungen waren in Einzelfällen im Spiel, ergaben aber keinerlei Muster. Die Altersstrukturen waren höchst unterschiedlich – der jüngste Betroffene war sechzehn, die älteste einundachtzig. Auch das Geschlecht spielte offenbar keine Rolle.

Das Virus war bekannt dafür, höchst unterschiedliche Symptome hervorzurufen – war es denkbar, dass das bei den Impfstoffen ähnlich war, die ja so etwas wie eine Mini-Infektion auslösen sollten, auf die der Körper mit Antikörpern reagierte? Aber warum bei nur wenigen Fällen, warum ohne irgendwelche erkennbaren Zusammenhänge? Maringer schüttelte nachdenklich den Kopf, während er eine Ampulle Narkosemittel aus einer Lade in einem Medizinschrank nahm – ein Kleinkind lag auf dem OP-Tisch. Niemand weltweit wusste besser Bescheid über das Sedieren von Kindern als Maringer. Und keiner konnte sich in ein Thema so verbeißen wie er, wenn er nach einer Lösung suchte. „Die Irmi auch noch, jetzt reicht’s mir – was ist da los?“, war sein Gedanke, bevor er sich der bevorstehenden Operation widmete.

Samurai – Freund und Feind

Kuranaga spielte scheinbar geistesabwesend irgendwelche Tonfolgen auf seinem Cello. In Wirklichkeit war das improvisierte Spielen die Vorbereitung auf eine tiefe Meditation, die bei Karatekämpfern in den höheren Dan-Graden zu den Grundtechniken gehörte. Zu Kuranagas Ritual gehörte auch, aufzustehen, sich vor seinem Instrument zu verbeugen und es dann vorsichtig abzustellen.

Kumachan, du musst Respekt haben. Vor jedem Menschen, der dir begegnet, vor jedem Gegner im Kampf, vor jedem Tier, vor jedem Essen, vor jedem Gegenstand, der dir Freude bereitet. Nichts ist selbstverständlich, nichts darf dich dazu verleiten, nachlässig zu sein. Wer den Respekt verliert, verliert gegen sich selbst. Dein größter Gegner, dein größter Feind ist in dir, wenn du es zulässt.

Kuranaga blickte lange auf sein Cello, dann schloss er die Augen, begab sich in den Lotussitz und versank immer mehr in sich. Die letzten tiefen Töne des Übens begleiteten den Übergang in einen anderen Bewusstseinszustand. Das Grundschema des Samurai-Denkens ließ sich immer auf eines zurückführen: Freund und Feind. Oft lauerte der Feind eben in einem selbst. Dem begann er jetzt nachzugehen. Warum bist du gerade so empört, so aufgewühlt? Was ist der Grund, dass dich deine Ruhe, deine Ausgeglichenheit verlassen hat?

Du musst dich selbst erkennen, Kumachan. Erst wenn du das getan hast, kannst du neue Wege beschreiten. Nimm dir Zeit dafür. Es gibt keine Abkürzung zu dir selbst.

Ihn beschäftigte, dass das mit der Irmi so überraschend gekommen war. Stets versuchte er, Dinge vorherzusehen, vorbereitet zu sein. Doch das hatte er nicht kommen gesehen. Es war wie der Schlag eines großen Karatekämpfers, den man nicht einmal im Ansatz antizipieren konnte. Diesmal war es ein Schicksalsschlag in die Magengrube, ausgeführt von – ja von wem eigentlich? Das Virus, eindeutig ein Gegner, da gab es nichts zu denken. Aber in diesem Fall war das nicht so eindeutig. Hatte er nicht schon öfter von Problemen mit diesen Impfungen gehört? „Das muss nichts bedeuten“, hatte Piedro Maringer gemeint. Kuranaga begann, sich die Feinde als Gestalten vorzustellen. Das Virus: ein feindlicher Samurai mit dem bekannten stachelförmigen Coronavirus auf dem Brustpanzer. Die Impfung: ein feindlicher Kämpfer mit einer Spritze auf seiner Brust. Wer von den beiden sah bedrohlicher aus? Für Kuranaga war schnell klar: der mit der Spritze. Er versuchte herauszufinden, warum er zu diesem Schluss kam.

Sieh dir deine Feinde genau an, Kumachan. Auch sie musst du erkennen. Lass dich nicht täuschen von Äußerlichkeiten, von Ablenkungen, von Drohungen. Studiere deine Gegner, bevor du einen Schritt machst. Greifen sie an, weiche zurück. Vermeide, wo du kannst, eine Schlacht gegen einen Gegner, den du nicht gut beobachtet hast.

Das Virus, so viel war klar, war ein Gegner, der bekannt war. Viren waren, glaubte man der Wissenschaft – und das tat Kuranaga –, von Beginn an ständige Begleiter des Menschen. Aber seit wann war Menschen bewusst, dass dieser winzige, unsichtbare Gegner Gefahr, ja sogar den Tod bedeuten konnte? Das war gar nicht so lang her: Es gab in Japan offiziell gar keine Samurai mehr, als Mediziner Viren als Erreger entdeckten. Dennoch wirkte das Coronavirus in seiner Darstellung weniger bedrohlich als die Spritze. Warum schien dieses Symbol, das eine Waffe gegen das Virus war, gefährlicher als das Virus selbst? „Warum?“, dachte Kuranaga. „Warum sehe ich dieses Symbol überhaupt als Feind, genauso wie das Virus?“

Freund und Feind zu unterscheiden, ist viel schwieriger, als du denkst, Kumachan. Du musst vorsichtig sein – du kannst auch niemanden fragen –, die Unterscheidung zwischen Freund und Feind musst du allein treffen, denn auch ein Rat kann von vermeintlichen Freunden oder von Feinden kommen.

Die unbestätigte Nachricht, dass eine Bekannte nach einer Impfung auf einer Intensivstation lag, hatte in kürzester Zeit aus einem Freund – einer gegen das Virus wirksamen Waffe – einen Feind gemacht. Du kannst nicht stabil sein, wenn das so schnell passiert, dachte Kuranaga. Die Stabilität – eines der obersten Prinzipien in den japanischen Kampfsportarten. War man aus dem Gleichgewicht gebracht, war die Niederlage nur eine Frage der Zeit, selbst schwächere Gegner erkannten einen unsicheren Stand sehr schnell. Langsam erhob er sich, stellte sich in eine sichere Position und baute eine Körperspannung auf wie kurz vor einem Kampf. Er sah seinem Gegner mit der Spritze auf dem Brustpanzer in die Augen, fixierte dann die Spritze, stellte sich einen unmittelbar bevorstehenden Angriff gegen sich vor. Muskeln und Sehnen waren unter Volllast und warteten nur noch auf das Kommando, sich zu entladen.

Du sollst sein wie ein Langbogen, Kumachan. Wenn die größte Spannung aufgebaut ist, alle Kräfte gesammelt sind, musst du immer noch warten können, ohne zu zittern, ohne den wachen Geist an den müde werdenden Körper zu verlieren. Du musst beides kontrollieren. Dann werden Geist und Körper eins sein.

Kuranaga schloss die Augen. Der Samurai mit der Spritze stand unbeweglich, sah ihn nur an. Die Schmerzen wurden unerträglich, aber Kuranaga hielt dem Blick stand. Für einen Augenblick hörte er das so verachtete „Make ru…“ in sich – ich werde verlieren! Nein, eben nicht den Geist an den Körper verlieren. Die Muskeln begannen unkontrolliert zu zittern, Schweiß stand auf der Stirn.

Dein Geist entscheidet, wann du müde bist, Kumachan!

Es war nur noch der Wille, der ihn stehen ließ, er war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, heftige Krämpfe blockierten jeden Versuch. „Keto!“ – „Du Tier!“, stammelte Kuranaga.

Langsam begann das Bild des gegnerischen Samurai zu verblassen. War es, weil seine Vorstellungskräfte ihn verließen oder weil er standgehalten hatte? So wichtig war das am Ende nicht. Entscheidend war, dass der Dämon verschwunden war.

Der einzig wahre Sieg ist der Sieg über dich selbst, Kumachan!

Von Verspannungen und Krämpfen durchzogen, humpelte Kuranaga zu seinem Bett und suchte ächzend eine Position, die einigermaßen erträglich war. Für ihn war klar, dass es einen sehr gefährlichen Gegner gab, der ihn forderte und beschäftigte – orten konnte er ihn nicht. Er fiel in einen unruhigen Schlaf.

Piedro Maringer hatte in einer Pause zwischen zwei Operationen herausgefunden, auf welcher Station Irmi Rottenschlager lag. Der dienstführende Arzt klang am Telefon sehr nüchtern: „Sie ist offenbar kurz nach einer Teilimpfung kollabiert, Lungenfunktion war relativ schnell im Keller, wir haben intubiert. Blutwerte bis auf die Sauerstoffsättigung im Wesentlichen normal. Stabil ist sie mittlerweile – wenn die Angaben der Angehörigen stimmen, war sie fit. Da muss etwas Gröberes passiert sein. Derzeit können wir uns keinen Reim drauf machen – ähnlich wie beim Virus.“

Maringer legte sein Mobiltelefon nachdenklich auf seinen Schreibtisch. Am Computer klickte er sich auf den Livestream der nationalen TV-Nachrichten. Schwerpunkt waren Demonstrationen von Impfgegnern, die den Verkehr in der Wiener Innenstadt lahmlegten. „Diese Idioten“, murmelte Maringer. Die Transparente der Demonstranten verkündeten das Übliche: „Lügenpresse“, „Finger weg von unseren Kindern“, „Tote für Pharma-Gewinne“, „Stoppt Gates“, „Wir sind keine Versuchskaninchen!“ Maringer dachte an Irmi, seine Gedanken konstruierten sehr schnell, was die Zukunft bringen könnte. Wenn das Problem mit diesen Zwischenfällen publik wird, dann haben wir es endgültig lustig mit diesen Vögeln.

Er sah sich noch einmal die Unterlagen des Notfallmedizin-Kongresses in Seattle durch. Es half alles nichts: Die Vorfälle waren unerklärlich, die Datenlage verwirrend. Eine Livereporterin berichtete gerade: „Hier sprechen Menschen von Vertuschung, von zurückgehaltenen Daten über Nebenwirkungen, von ernsten Zwischenfällen nach Impfungen.“ Hatten diese Menschen unrecht? Als Fachmann geriet Piedro Maringer in einen inneren Konflikt. Wenn etwas bei einem Fachkongress zur Sprache kam, nicht aber in die Öffentlichkeit gelangte – war das dann Vertuschung? Oder mussten Medizinerinnen und Ärzte nicht abwarten, bis eindeutige Ergebnisse vorlagen, um die Öffentlichkeit nicht zu verunsichern? In der Nachrichtensendung kam ein Impfstoffexperte zu Wort, der meinte, es seien so viele Fachleute involviert, da könne man nichts geheim halten, nichts vertuschen. Es sei alles transparent und nachvollziehbar.

„Leider nicht alles“, murmelte Maringer und beendete den Livestream. „Sys-te-ma-tisch!“, sagte er vor sich hin – ein eingelerntes Wort, das er sich immer vorsprach, wenn seine Gedanken zu Synapsenstampeden verkamen, die nicht mehr einzufangen waren. Also noch einmal die Zusammenfassung aus Seattle: hunderteinunddreißig Fälle in elf Ländern. Macht im Durchschnitt etwa zwölf Fälle pro Land. Eine leichte Häufung in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich mit fünfzehn, vierzehn und siebzehn Fällen. Insgesamt acht Todesfälle, zwei in der Schweiz, einer in Deutschland, drei in Österreich, einer in Tschechien, einer in den USA. Maringer schluckte, als er an Irmi dachte. Dann ging er die Länderliste mit den Zwischenfällen durch. Er runzelte die Stirn. Da ist ja eigentlich … – er blätterte am Bildschirm zurück und wieder nach vorn – da ist ja eigentlich kein einziges asiatisches Land dabei.

Der Mediziner in ihm begann zu spekulieren. Genetisch waren die Unterschiede zwischen Menschen aus Asien und anderen Kontinenten zum Teil erheblich. Konnte das eine Erklärung sein? Aber wer sagte denn, dass es sich bei einzelnen Patienten in den verschiedenen Ländern nicht auch um Menschen asiatischer Herkunft handelte? Das musste geklärt werden. Aber immerhin. Piedro Maringer hatte Witterung aufgenommen. Er suchte sich die Kontaktdaten der Studienautoren heraus und begann zu recherchieren.

Eine Autorin erreichte er tatsächlich in einem Krankenhaus im schwedischen Lund. Sie reagierte nordisch kühl: „Das ist sehr heikel. Wenn wir die Patientendaten so offenlegen und diskutieren, setzen wir uns sehr schnell dem Vorwurf aus, rassistisch zu argumentieren.“ Sie müsse das mit dem Team der Studienautoren besprechen. Als möglichen Erklärungsansatz ließ sie es immerhin gelten. „Klar sind genetische Unterschiede bekannt, aber wir müssen da sehr vorsichtig sein mit Zuschreibungen.“ Sie versprach Maringer, innerhalb der nächsten Tage Bescheid zu geben, wie man vorgehen könnte und was die Beratungen des Teams ergeben hätten.

Maringer begann, sich in die Materie zu vertiefen, und saß bis spät in der Nacht über Studien, die Impfergebnisse und Statistiken aus verschiedenen Ländern auswerteten. Es erschien ihm immer plausibler, dass hier ein Problemfeld übersehen worden war.