Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Roman ist zweifelsohne Engels größter Erfolg. Herr Lorenz Stark ist ein Kaufmann zu Hamburg, schon bei Jahren, in dem Rufe, ein Sonderling, aber dabei ein äußerst braver Mann zu sein. Durch eigenen Fleiß und verständige Gewerbsamkeit reich geworden, lebt er einfach, aber anständig, und wie es sein Platz in der Gesellschaft fordert. Die Fehler, deren dieser vortreffliche Mann nicht wenige hatte, und die denen, welche mit ihm leben mußten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, dass die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der Tat klüger war als fast alle, mit denen er zu tun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, daß man ihm selbst seiner Gesinnungen und Handlungen wegen keinen begründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen andere ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 231
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Herr Lorenz Stark
Johann Jakob Engel
Inhalt:
Johann Jakob Engel – Biografie und Bibliografie
Herr Lorenz Stark
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
Herr Lorenz Stark, J. J. Engel
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849611668
www.jazzybee-verlag.de
Herr Lorenz Stark galt in ganz H...., wo er lebte, für einen sehr wunderlichen, aber auch sehr vortrefflichen alten Mann. Das Aeußerliche seiner Kleidung und seines Betragens verkündigte auf den ersten Blick die altdeutsche Einfalt seines Charakters. Er ging in ein einfarbiges, aber sehr feines Tuch, grau oder bräunlich, gekleidet; auf dem Kopfe trug er einen kurzen Stutz, oder wenn's galt, eine wohlgepuderte Troddelperücke; mit seinem kleinen Hute kam er zwei Mal aus der Mode, und zwei Mal wieder hinein; die Strümpfe waren mit großer Zierlichkeit über das Knie hinaufgewickelt, und die stark besohlten Schuhe, auf denen ein Paar sehr kleiner, aber sehr hell polirter Schnallen glänzten, waren vorn stumpf abgeschnitten. Von überflüssiger Leinwand vor dem Busen und über den Händen war er kein Freund; sein größter Staat war eine feine Halskrause mit Spitzen.
Die Fehler, deren dieser vortreffliche Mann nicht wenige hatte, und die Denen, welche mit ihm leben mußten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, daß die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der That klüger war, als fast Alle, mit denen er zu thun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, daß man ihm selbst seiner Gesinnungen und Handlungen wegen keinen gegründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen Andere ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter; und weil er, bei seiner natürlichen Gutmütigkeit, über keinen Fehler sich leicht erhitzen, aber auch keinen ungeahndet konnte hingehen lassen, so war er sehr ironisch und spöttisch.
In seiner Kasse stand es außerordentlich gut; denn er hatte die langen lieben Jahre über, da er gehandelt und gewirthschaftet hatte, den einfältigen Grundsatz befolgt, daß man, um wohlhabend zu werden, weniger ausgeben als einnehmen müsse. Da sein Anfang nur klein gewesen, und er sein ganzes Glück sich selbst, seiner eigenen Betriebsamkeit und Wirthlichkeit schuldig war, so hatte er in früheren Jahren sich nur sehr karg beholfen: aber auch nachher, da er schon längst die ersten Zwanzigtausend geschafft hatte, von denen er zu sagen pflegte, daß sie ihm saurer als sein nachheriger ganzer Reichthum geworden, blieb noch immer der ursprüngliche Geist der Sparsamkeit in seinem Hause herrschend; und dieser war der vornehmste Grund von dem immer steigenden Wachsthum seines Vermögens.
Herrn Stark waren von seinen vielen Kindern nur zwei am Leben geblieben: ein Sohn, der sich nach dem Beispiel des Vaters der Handlung gewidmet hatte, und eine Tochter. Letztere war an einen der berühmtesten Aerzte des Orts, Herrn Doctor Herbst, verheirathet: einen Mann, der nicht weniger Geschicklichkeit besaß, Leben hervorzubringen, als zu erhalten. Er hatte das ganze Haus voll Kinder und eben dies machte die Tochter zum Liebling des Alten, der ein großer Kinderfreund war. Weil der Schwiegersohn unfern der Kirche wohnte, die Herr Stark zu besuchen pflegte, so war es ausgemacht, daß er jeden Sonntag bei dem Schwiegersohn aß: und seine Frömmigkeit hätte zuweilen wol gern die Kirche versäumt, wenn nur seine Großvaterliebe den Anblick so werther Enkel und Enkelinnen hätte versäumen können. Es ging ihm immer das Herz auf, wenn ihm der kleine Schwarm, beim Hereintreten in's Haus, mit Jubelgeschrei entgegensprang, sich an seine Hände und Rockschöße hängte, und ihm die kleinen Geschenke abschmeichelte, die er für sie in den Taschen hatte. Unter dem Tischgebete schweiften zuweilen die Augen der Kleinen umher, und er pflegte ihnen dann leise zuzurufen: Andacht! Andacht! aber der gerade am wenigsten Andacht hatte, war er selbst; denn sein ganzes Herz war, wo seine Augen waren, bei seinen Enkeln.
Mit seinem Sohne war dagegen Herr Stark desto unzufriedener. Auf der einen Seite war er ihm zu verschwenderisch, weil er ihm zu viel Geld verkleidete, verritt und verfuhr; insbesondere aber, weil er zu viel auf Kaffeehäuser und in Spielgesellschaften ging. Auf der andern Seite verdroß es Herrn Stark, daß der Sohn als Kaufmann zu wenig Unternehmungsgeist, und als Mensch zu wenig von der Wohlthätigkeit und Großmuth seines eigenen Charakters hatte. Er hielt ihn für ein Mittelding von einem Geizhalse und einem Verschwender; zwei Eigenschaften, die Herr Stark in gleichem Grade verabscheute. Er selbst war der wahre Sparsame, der bei seinem Sammeln und Aufbewahren nicht sowol das Geld, als vielmehr das viele Gute im Auge hat, das mit Geld bewirkt werden kann. Wo er keine Absicht fand, da gab er sicherlich keinen Heller; aber wo ihm die Absicht des Opfers werth schien, da gab er mit dem kältesten Blute von der Welt ganze Hunderte hin. Was ihn aber am meisten auf den Sohn verdroß, war der Umstand, daß dieser noch in seinem dreißigsten Jahre unverheiratet geblieben war, und daß es allen Anschein hatte, als ob er die Zahl der alten Hagestolzen vermehren würde. Der Vater hatte den Sohn zu keiner Heirath bereden, der Sohn keine Heirath ohne des Vaters Einwilligung schließen wollen; und Beide waren in Geschmack und Denkungsart allzuverschieden, als daß ihre Wahl oder ihr Wunsch je hätte übereinstimmen können.
Herr Stark hatte seine ganze Handlung der Aufsicht des Sohnes übergeben, und ihm zur Vergeltung für seine Mühe einige nicht unwichtige Zweige derselben völlig abgetreten. Nur die Geldgeschäfte, deren er viele und sehr beträchtliche machte, hatte er sich selbst vorbehalten. Indessen unterließ er nie, besonders weil er in die kaufmännische Klugheit seines Stellvertreters nicht das meiste Vertrauen setzte, sich um die übrige Handlung, so wie um das ganze Leben des Sohnes, zu bekümmern; und da er ohne Unterlaß Etwas versäumt oder nicht ganz nach seinen Grundsätzen fand, so gab dies zwischen Vater und Sohn zu sehr unangenehmen Auftritten Anlaß, die am Ende von beiden Seiten ein wenig bitter und beleidigend wurden.
Man sehe hier zur Probe nur einen der letzten dieser Austritte, der für die Ruhe und Glückseligkeit der Familie die bedeutendsten Folgen hatte.
Der junge Herr Stark hatte sein Wort gegeben, im öffentlichen Concert zu erscheinen, und sich zu diesem Ende in ein lichtbraunes sammtnes Kleid mit goldgestickter Weste geworfen. Er hatte sich über dem Anziehen ein wenig versäumt, und fuhr jetzt mit großer Eile in das gemeinschaftliche Arbeitszimmer, wo eben der Alte beim Geldzählen saß. – Friedrich! Friedrich! rief er, indem er die kaum zugeworfene Thüre mit Geräusch wieder aufriß.
Gott sei bei uns! sagte der Alte; was gibts? – und nahm die Brille herunter.
Der Sohn forderte Licht zum Siegeln, warf sich an seinen Schreibtisch, und murmelte dem Alten seitwärts die Worte zu: Ich habe zu arbeiten – Briefe zu schreiben.
So eilfertig? sagte der Alte. Ich wiederhole es Dir schon so oft: bedächtig arbeiten und anhaltend hilft weiter, als hitzig arbeiten und ruckweis. –Doch freilich! freilich! Je eher man sich vom Arbeitstisch hilft, desto früher – – –
Kommt man zum Spieltisch, wollte er sagen; aber weil eben Friedrich mit Licht hereintrat, so besann er sich und verschluckte das Wort.
An wen schreibst Du denn da? fing er nach einiger Zeit wieder an.
An Eberhard Born in S**.
Den Sohn?
Der Vater heißt August, nicht Eberhard.
Gut! Meine Empfehlung an ihn! Ich denke noch oft an die Reise von vorigem Sommer, wo ich ihn kennen lernte. Es ist doch ein vortrefflicher junger Mann.
O ja! murmelte der Sohn in sich hinein. Wer nur auch so wäre!
Ein ordentlicher, arbeitsamer, gesitteter Mann, wie geboren zum Kaufmann. Voll Muths, Etwas zu unternehmen, aber nie ohne Bedacht; in seinem Aeußerlichen so anständig, so einfach; von Sammt und Stickereien kein Freund, und was ich an ihm ganz vorzüglich schätze – kein Spieler. Ich denke, er soll in seinem Leben noch sein erstes Solo verlieren. – Wenn er ja einmal spielt, so ist es nicht in der Karte, sondern mit seinen Kindern! Er hat so liebenswürdige Kinder! – Ach, und der Alte, sein Vater! Der kann so ganz aus vollem Herzen gegen ihn Vater sein. Das ist ein glücklicher Mann! – Ich kenne Väter, fuhr er ein wenig leiser fort, die sich an ihm versündigen, die ihn beneiden könnten.
Schreib, oder – sagte der Sohn, indem er eine Feder nach der andern auf den Tisch stampfte und hinwarf.
Der Alte sah das eine Weile mit an, – Du bist ja ganz ärgerlich, wie es scheint?
Wer's nicht wäre! murmelte der Sohn wieder in sich.
Bin etwa ich daran Ursache? Habe ich Deinen Geschmack nicht getroffen? – Er stand auf, und ging zum Tische des Sohns. – Ich weiß, Du bist von Winken und von Anspielungen eben kein Freund, und ich kann ja auch deutlicher reden.
O, es braucht dessen nicht, sagte der Sohn, und schrieb fort.
Der Alte nahm ihm ruhig die Feder aus der Hand, spritzte sie aus, und legte sie hin. – Sieh! fing er dann an: es wird mir von Tag zu Tag immer ärgerlicher, daß ich einen Menschen von so weitläuftigem Kopfe und von so engem Herzen zum Sohn haben muß. Einen Menschen, der für seinen Putz, sein Vergnügen, der in L'hombre und Whist ein Ducätchen nach dem andern, oft auch wol dutzendweise, vertändelt; der nur noch gestern wieder bis in die sinkende Nacht gespielt hat, und der, wenn er eine großmüthige Handlung thun sollte, vielleicht keines Thalers Herr wäre; – einen Menschen, der ewig ledig bleibt, weil keine Partie ihm reich genug ist, und der doch immer übrig hat, zu fahren, zu reiten, den Cavalier zu machen, Sammt und Stickereien zu tragen. – Ich muß wol nicht Unrecht haben, fuhr er nach einigem Stillschweigen fort; denn Du kannst mir nicht antworten.
O, ich könnte, sagte der Sohn, indem er mit Hitze aufstand; aber – –
So sprich! Was verhinderte Dich?
Bei Gott! ich bin es müde, so fortzuleben.
Daß ich das hoffen dürfte!
Ich bin nun, denk' ich, ein Mann, und kein Kind mehr. Warum wird mir denn noch immer begegnet wie einem Kinde?
Sohn! Sohn! Es gibt alte Kinder.
Ich bin aufmerksam; ich versäume Nichts, was zu thun ist; ich setze nie die Achtung und die Ehrerbietung gegen Sie aus den Augen –
Nur den Gehorsam ein wenig.
Ich verwalte das Ihrige mit Redlichkeit und mit Treue: und doch – doch kann ich keine Stunde in Ruhe leben; doch wird mir durch Vorwürfe ohne Ende jeder Augenblick meines Daseins verkümmert; doch wird mir jede Zerstreuung, jedes elende Vergnügen gemißgönnt.
Du sprichst sehr hart, aber sehr wahr. Jedes elende Vergnügen!
Elend – weil es mir Nichts, oder eine Wenigkeit kostet. Was habe ich denn noch verloren, wenn ich verlor?
Das Kostbarste, was wir haben: die Zeit.
Und soll ich denn gar keinen Genuß meiner Jugend haben? Soll ich immer so fortarbeiten, wie Sie; mich eben so tragen, eben so einschränken, wie Sie? eben so – –
Nun, was stockst Du? Sprich aus!
Eben so – bei Thalern zusammensparen, um bei Hunderten wegzuwerfen?
Wegzuwerfen! sagte der Alte, dem Nichts in der Welt so unerträglich schien, als daß Kinder ihre Eltern über den freien Gebrauch eines selbsterworbenen Vermögens richten sollten. – Dacht' ich es doch, daß der junge Mensch noch würde mein Vormund werden! Wegzuwerfen! Was verstehst Du darunter? Was heißt bei Dir wegwerfen? Sprich! – Er ging ihm nach, und hielt ihn etwas unsanft am Arme. – Seinen Beutel für jeden ehrlichen Mann offen halten, der Beistand braucht; etwa das?
Ehrlich! sagte der Sohn mit ziemlich gesunkener Stimme. Wenn sie es Alle wären!
O, ich bin noch wenig betrogen. Ich fasse meinen Mann erst in's Gesicht, ehe ich gebe. Und was nennst Du denn wegwerfen? Sprich!
Sie borgen Allen – ohne das Geringste davon zu haben.
Thor! Ohne das Geringste davon zu haben? – Er zog die Hand von seinem Arme, und gab ihm einen Blick voll Verachtung. – Ich habe das davon, zu sehen, daß es meinem Mitmenschen wohl geht. Rechnest Du das für Nichts? – Und wenn sie mich einst die lange Straße hinabtragen, und ich hier Alles dahinten lasse, so hoff' ich, es soll da Mancher mit Thränen in seinen Augen sprechen: Schade um den rechtschaffenen Mann! Ich hab' ihm mit Weib und Kindern meinen ganzen Wohlstand zu danken. Ich war in Noth und kam zu ihm; da half er mir auf, und ich konnte bei Ehren bleiben. – Bei Dir hingegen – – Doch was stehe ich da und predige in den Wind? Dein Kopf hat einmal seine eigene Philosophie, und wollte Gott, daß es eine gescheidtere wäre! – Nur immer wieder an Deine Arbeit! Schreib! Schreib!
Herr Stark setzte sich wieder ruhig an seinen Tisch, und achtete wenig darauf, daß der Sohn eine geraume Zeit mit großen, heftigen Schritten umherging. Er hatte den Grundsatz, daß man einem geschlagenen, weinenden Kinde Zeit lassen müsse, um auszuschnucken, und daß es unvernünftig sei, von einer aufgeregten Leidenschaft augenblickliche Stille und Ruhe zu fordern. Der Kampf im Herzen des Sohnes würde sich wahrscheinlich, wie schon so oft, zum Vortheil der kindlichen Liebe und Ehrerbietung entschieden, und Alles würde seine vorige Gestalt angenommen haben, wenn nicht unglücklicher Weise ein Mensch hereingetreten wäre, der dem jungen Herrn Stark aus mehr als einer Ursache verhaßt war. – Es war ein gewisser Herr Specht, einer der kleinen Anfänger, die auf die Güte des alten Herrn bei jeder Gelegenheit Anspruch machten, und die für die Wünsche des Sohnes nur allzuoft darin glücklich waren. Dieser hier hatte den Vorzug vor allen Uebrigen; denn er war Pathe und Gevatter zugleich: Verhältnisse, die dem Herrn Stark nach alter Sitte, noch sehr wichtig und ehrwürdig schienen. Was aber den Sohn besonders gegen ihn aufbrachte, war der aus gewissen aufgefangenen Reden geschöpfte Verdacht, als ob Herr Spechteine junge liebenswürdige Wittwe, Madame Lyk, die bei dem Sohne sehr viel und bei dem Vater sehr wenig galt, bei letzterem angeschwärzt, und ihm Veranlassung zu allen den bittern Glossen gegeben hätte, womit er dann und wann über sie herzufahren pflegte.
Ei! sagte nach seiner gewöhnlichen gleißnerischen Art der Herr Specht, indem er gerade beim Hereintreten zu seinem großen Verdruß auf den Sohn stieß, der noch immer umherging: – Ei mein werthester Herr Stark! Gleich hier an der Schwelle bin ich so glücklich – –?
Seine tiefen Verbeugungen und seine süßen Mienen hatten dem Sohne noch nie so fade und unausstehlich geschienen, als jetzt. – Was gibt's? Was solls? fuhr er den ganz erstaunten und erschrockenen Besuch ein wenig unartig an.
Himmel! sagte Herr Specht, und griff wieder nach dem Drücker der Thüre; ich hoffe doch nicht, daß ich ungelegen komme? daß ich Störung verursache?
Es wäre möglich. Die Zeit ist edel, mein Herr. –
Ja wol! ja wol Schon bei unser Einem; und erst vollends bei Ihnen! bei einem Manne, der solche Geschäfte macht, solch' ein Werk führt! – Wahrlich, ich begreife oft nicht – –
Was es gibt? Was Sie wollen? hab' ich gefragt. – Borgen etwa? noch ehe die alte Schuld ganz getilgt ist? – Oder wieder Nachrichten von der Wittwe, Ihrer Nachbarin, bringen? – Da! Wenden Sie sich an meinen Vater, und nicht an mich!
Indem noch Herr Specht mit den Augen in allen Winkeln war, und nicht wußte, ob er gehen oder bleiben, ob er schweigen oder antworten sollte, drehte der alte Herr Stark, dem nachgerade das Gehör ein wenig schwach ward, und der nicht wußte, ob er etwas und was er hörte, sich auf seinem Stuhle herum, und half ihm durch ein freundliches Willkommen! von seiner Herzensangst. – Der Sohn warf sich wieder an seinen Tisch, um weiter zu schreiben.
Nun? Und was steht denn zu Diensten? sagte Herr Stark, nach mehreren unbedeutenden Fragen; – denn umsonst pflegt Er nicht zu kommen, mein lieber Pathe.
Ich – ich wollte so frei sein, stotterte dieser, indem er schielende, mißtrauische Blicke nach dem Sohn zurückwarf – ich habe, diese Tage über, Gelegenheiten gefunden – so allerhand kleine Gelegenheiten – –
Das versteh' ich ja nicht. Was für Gelegenheiten?
Ich meine: einen vortheilhaften Handel zu schließen, mir einen kleinen Gewinn zu verschaffen –
Ja so! – das ist mir lieb; das ist schön. – Immer zugegriffen, mein lieber Specht!
Aber – wie's denn bei Anfängern geht – die Beutel sind so eng und so flach. So, wie man hineingreift, hat man auch auf den Boden gegriffen. – Dies war, beiläufig zu sagen, einer der eigenen Einfälle des Herrn Stark, die Herr Specht sich sorgfältig zu merken und gelegentlich bei ihm selbst, mit immer gutem Erfolg, wieder anzubringen pflegte. – Und da wollt' ich denn also – wenn's ohne Beschwerden geschehen könnte – –
Frischen Vorrath holen. Nicht wahr? – Nur heraus mit der Sprache!
Herr Specht lächelte, und schlug den Alten mehrmals hinter einander, mit den äußersten Fingerspitzen, sanft und schmeichlerisch auf die Schulter. – Sie sind doch ein vortrefflicher Mann, liebster Herr Pathe –
Ja, ja. Weil ich ein so guter Prophet bin. – Aber was war's denn, das Er vorhin mit meinem Sohne absprach? Hat Er sich dem schon entdeckt?
Ich wollte. Ich hatte die Absicht, aber – der junge Herr –
Wird vermuthlich bedauert haben? wird sich außer Stande gesehen haben, zu dienen?
So schien's beinahe. –
Es kann Ernst damit sein. – Die Zeiten sind sich nicht immer gleich, und ich denke, es mag ihm jetzt selber fehlen.
Hehehe! liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch manchmal zu spaßen wissen!
Zu spaßen? sagte der Alte, und wies nach dem andern Tisch auf die reichgestickte Weste hinüber. – Sieht Er denn nicht, daß mein Sohn sein Gold hat verarbeiten lassen? – Ein Jeder freilich nach seinem Geschmack! Der Eine hält's mit einer vollen, der Andere mit einer flimmernden Tasche.
Dieses Wort, in keiner ganz üblen Laune und mit einem ziemlich gutmüthigen Tone gesagt – denn Herr Stark war wohl Spötter, aber kein hämischer; und wenn er im Verdrusse erst wieder witzig ward, so war das immer ein Zeichen seiner schon wiederkehrenden Ruhe – dieses Wort folgte auf zu bittere, zu ernstliche Vorwürfe, und ward in Gegenwart eines zu gehaßten, zu verachteten Menschen gesprochen, als daß es auf das Herz des Sohnes nicht eine sehr unglückliche Wirkung hätte thun sollen. Er sprang mit Ungestüm auf, murmelte heftige unverständliche Worte zwischen den Zähnen, und warf die Thüre.
Mein Gott! sagte Herr Specht, dem vor Schrecken beide Arme am Leibe niedersanken; der junge Herr war ganz erhitzt, ganz ergrimmt. Ich will doch nicht hoffen, daß meine Gegenwart –
Nicht doch! tröstete ihn der Alte, den seine Uebereilung schon innerlich zu gereuen anfing: es ist nur seine Art so; er macht es nicht anders. – Dann gab er Herrn Specht die benöthigte Summe, mit hinzugefügter Warnung, daß er sein Geld nicht verstecken, sich nicht in mehr oder größere Geschäfte verwickeln sollte, als die er verstände, und übersehen könnte. – Uebrigens, sagte er, wünschte ich, um Lebens und Sterbens willen, eine kleine Verschreibung. Er kann sie mir diesen Nachmittag bringen.
Gewiß! gewiß! sagte Herr Specht; und klopfte ihm wieder, wie zuvor, mit leichter, schmeichelnder Hand auf die Schulter. – Ich dacht' es doch gleich, liebster Herr Pathe, daß mir von Ihnen würde geholfen werden. Auch meine Frau sagte: Geh' immer! So ein Mann, sagte sie, wie der Herr Stark ist, lebt auf der Welt nicht weiter. – Nun, guten Morgen! guten Morgen!
Er hätte ein Vieles darum gegeben, wenn er das unglückliche Wort von der Frau hätte zurückholen können; aber es war heraus, und mit dem Forteilen wollt' es nicht glücken. Herr Stark winkte ihm, wieder umzukehren, und drohte ihm, nicht ohne Ernst, mit dem Finger.
– Weil Er doch selbst von ihr anfängt, mein lieber Specht, und weil ich's bisher immer vergessen habe; – sag' Er mir einmal recht aufrichtig: wär' Er nicht ein wenig verliebt in die Frau?
Je nun, stotterte dieser – ein junger Ehemann – freilich –
Der selige Lyk, denk' ich, war's auch. Und nun, die Wittwe – die ihm das Seinige vertändelte, verputzte, vertanzte, verschmauste – Er weiß ja wol besser, als ich's Ihm sagen kann, was dort für Umstände sind. Gar nicht mehr so glänzende, als vordem. – Nehm' Er sich also in Acht, lieber Specht! Sei Er auf seiner Hut!
Aber wie so, bester Herr Pathe? wie so? – Meine Frau –
Ist mir gar sehr nach der Mode. Alles, was nur aufkommt, das macht sie mit. Und darum stell' ich mir vor – weil Er doch nur ein Anfänger ist, und weil ich Ihn doch sonst als guten Haushälter kenne – ich stelle mir vor: Er hat so eine gewisse schwache Seite, und die junge Frau hat die ausgekundschaftet. – Hab' ich's getroffen?
Liebster, bester Herr Pathe – –
Man gesteht das nicht gern. Schon gut! – Aber ich bitt' Ihn, als Freund, lieber Specht! nehm' Er sich in Acht! Sei Er ein Mann! – Bei einer schlechten Wirthin geht der beste Wirth von der Welt zu Grunde; da ist kein Haltens. Er füllt da in ein löcherichtes Sieb: und wenn Er sich auch zu Schanden füllte, Er bringt in Ewigkeit Nichts hinein. – Ich weiß zwar wol, fuhr er nach einem Weilchen mit Schmunzeln fort, wie's die Weiber zu machen pflegen –
Ja freilich, freilich, seufzte hier Specht, und fuhr sich mit dem Finger hinter die Ohren. Da steckt's!
Wie sie den jungen Mann in die Enge treiben; Launen haben, Zufälle haben, Beklemmungen und Ohnmächten haben – Gott weiß, was Alles? – und wie dann auf einmal wieder das Wetterglas steigt und heitere Sommerluft wird; wie sie da schmeicheln, liebkosen, tändeln, und dann so unversehens, als wenn ihnen Nichts drum wäre, damit herausrücken: die da, die trägt Dies und trägt Das; die geht hier hin und dort hin; die macht Dies mit und Das mit: – die Närrin! – Unser Eine ist doch eben, was sie ist. –
Nun wahrhaftig! rief Specht, dem über die gute Laune des Alten das Herz wieder ganz leicht ward: – Es ist, als ob Sie hätten dabei gestanden.
Und wenn sie dann den guten Tropf in der Schlinge haben: wie sie da küssen, liebäugeln, herzen –
Ganz, wie sie's zu machen pflegen! – indem er die größte Verwunderung vorgab – ganz nach der Natur! Zug vor Zug!
Ei, ich weiß das. Ich bin ja alle die Schulen durchgegangen. – Aber, zum Henker, Pathe! Der Mann muß Mann sein; er muß ein Herz von Stahl und von Eisen haben. – Immer liebreich, nie verliebt: ist die Regel. – Und was verliert man denn nun, wenn man sich darnach hält? Man gewinnt! Denn wer der Frau nachgibt, der hat nur dann und wann gute Tage; wer sein Ansehen behauptet, der hat sie immer. – Oder meint Er etwa, daß die junge Frau des Mannes nicht eben so bedürftig ist, als der junge Mann ihrer? – Possen, Possen, mein lieber Specht! Eben so bedürftig; und unter uns: oft wol mehr!
Nun wart! – sagte dieser, indem er hinter sich sah, und die strengste Miene zog, die in sein flaches Gesicht nur hineinwollte – an das Gespräch will ich denken. – Ich will Dich mir künftig anders ziehen. –
Aber mit Art, versteht sich. Mit Art!
Ei freilich! die Art ist die Hauptsache. Die muß nicht vergessen werden. – Und nun wandt' er Geschäfte vor, die ihn eiligst nach Hause riefen, und ging. Des festen Vorsatzes vermuthlich, Nichts zu wagen, was ihn vielleicht gereuen, und Nichts anzufangen, was er vielleicht nicht durchsetzen möchte.
Während Herr Stark über seinen Streifzug gegen das schöne Geschlecht aller Sorgen vergaß, ging der Sohn, voll der äußersten Erbitterung, auf seinem Zimmer umher. – So mich zu mißhandeln, rief er: seinen einzigen leiblichen Sohn; und das in Gegenwart eines so verächtlichen, eines so nichtswürdigen Menschen!
Eines so unbedeutenden, armen Wichts! hätte er sagen können: der sich mit Bücklingen und Schmeicheleien durch's Leben windet, und der übrigens noch eine ganz gute, ehrliche Haut ist –
Mich der Verachtung, dem Spott, dem bittersten Hohngelächter Preis zu geben; und das auf eine so hämische, so gesuchte, so recht ausgekünstelte Art!
Auf eine freilich ärgerliche, aber dem Alten nun einmal gewöhnliche und hier von selbst sich darbietende Art, woher doch, wie sonst immer, der Ehre und des guten Namens geschont ward. –
Mir in dem Augenblicke, wo ich mich hinsetze und für ihn arbeite, so grundlose, so aus der Luft gegriffene, so abscheuliche Vorwürfe zu machen!
Grundlos nun in der That, wenigstens was Spiel und was Nachtschwärmen betraf; aber darum nicht aus der Luft gegriffen; denn unmöglich konnte der Vater von den jetzigen geheimen Gängen des Sohnes anders als nach Ähnlichkeit der ehemaligen urtheilen; und so waren sie in seinen Gedanken noch immer auf die Kaffeehäuser und zum Spieltisch gerichtet. – Daß jetzt wirklich die müßigen Augenblicke des Sohnes und mitunter auch halbe Nächte zu sehr lobenswürdigen, sehr edlen Handlungen verwandt wurden, das war Niemandem weniger als dem Vater bekannt; und diese lobenswürdigen, edlen Handlungen hatten auch so ein gewisses Aber, daß sie der Sohn für keinen Preis dem Alten hätte wollen bekannt werden lassen. –
Doch zu Bemerkungen, die den Vater hätten entschuldigen oder gar rechtfertigen können, war für jetzt der Sohn nicht gestimmt: er sprach vielmehr sich selbst durch die heftigsten, überspanntesten Ausdrücke immer tiefer in den Verdruß hinein; und endigte zuletzt mit dem Entschluß, seine Lage auf einmal und so ganz zu verändern, daß er schlechterdings außer aller Verbindung mit dem Vater hinausträte, nicht blos das väterliche Haus, sondern auch die väterliche Stadt verließe, und an einem ganz fremden Orte mit dem Wenigen, was er vor sich gebracht hatte, ein eigenes Haus errichtete. Die Vernunft selbst, glaubte er, billigte nicht nur, sondern beföhle diesen Entschluß; denn seine vollen dreißig Jahre hatte er bereits verlebt, und zwar in so herznagendem Kummer, in so tödtenden Aergernissen und Sorgen, daß die zweiten dreißig zu hoffen Thorheit war; und warum er eines wunderlichen, grillenhaften, unverbesserlichen Vaters wegen mehr als die erste, schönste Hälfte seines Lebens aufopfern sollte, das konnte er nicht einsehen. Sein Herz sprach dagegen zu laut, und im Gesetz fand er's nirgends geschrieben.