Herz und Fuß - Anne Bax - E-Book

Herz und Fuß E-Book

Anne Bax

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Beschreibung

Der erste Roman der Autorin der berühmten Erzählungen aus dem lesbischen Liebesalltag! Zu Beginn des Romans befindet man sich mitten im Ambiente des Ruhrgebiets, besser, über dem Ruhrgebiet, auf der Plattform eines riesigen Gasspeichers, der jetzt Museum ist. Die Protagonistin arbeitet dort. Sie träumt beim Sonnenuntergang über ehemaligen Hochöfen von der Liebe. Vor 8 Jahren war ihre letzte Beziehung dramatisch zu Ende gegangen, keine neue hat sie bisher gefunden. Bevor sie wieder in ihr Büro zurückgeht, macht sie in einer Ecke der Plattform einen grausigen Fund.Und so brechen die Ereignisse einfach über sie herein. … Bis der Sommer vorbei ist, muss Charlotte um ihr Leben fürchten. Und um ihr Herz, denn die Frau, auf derem Hals eine Gänsehaut wie eine Einladung aussieht, liebt einen Mann, nicht irgendeinen, sondern auch noch Charlottes besten Freund aus Schulzeiten. Die Polizei findet nichts heraus. Sogar Charlottes Mutter scheint mehr zu wissen. Denn sie ist Internetfan geworden, seit sie nach dem Unfalltod des Vaters das Haus kaum mehr verlässt. Und dann macht Charlotte einen zweiten schrecklichen Fund, diesmal liegt eine Buchseite dabei, ein Gedicht von Rilke. Ist Charlotte selbst gemeint? Wird sie bedroht? Hat das Ganze etwas mit ihr abrupt beendeten alten Beziehung zu tun? Doch mit den furchtbaren Ereignissen hat sie auch diese Frau kennengelernt, eine Journalistin, die sie zu ihren furchtbaren Fund interviewt. „Haarscharf beobachtet sie die Frauen auf ihrer hingebungsvollen, manchmal verzweifelten Suche nach wahrer und ewiger Liebe. Bodenlos amüsant, schreiend komisch werden auch die unsäglichsten Situationen in Anne Bax' schneller Schreibe zu einem atemberaubenden Lesevergnügen", schrieb AVIVA zu Anne Bax' Erzählungen aus dem lesbischen Liebesalltag. Auch dieser Roman ist nah am Liebesalltag, zugleich ein Thriller, voller wunderbarer alter und junger ProtagonistInnen und sehr spannend!

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Inhaltsverzeichnis

Klappentext

Das ganze Ruhrgebiet

Der Himmel über mir

In IHREN Armen

Die nächsten Tage

Ein heller Vollmond

Schlechtes Licht und schlechter Kaffee

Rendezvous

Zwei Gänse mit langen, schwarzen Hälsen

Laute Stimmen aus dem Wohnzimmer

Diesen Tag

ErzEngel empfing mich

Sie zog mich in ihre Arme

Bis zum Sonnenaufgang

Baby hatte viele gute Ideen,

If I had a hammer

»Sie haben ihn gefasst!«

Wir umarmten uns nicht.

Die Geier waren zurück.

Wie geht es dir?

Das Warten auf den nächsten Fuß,

Die erste Septemberwoche

»Was können wir tun?«,

Die Sonne ließ sich gerade vom Mond erzählen,

Jedes Geräusch war gleichzeitig Hoffnung

Die Nacht kam zurück.

Wir erwachten gemeinsam

Irene fuhr allein in ihre Wohnung,

Wir fuhren zügig, aber ohne Blaulicht

Sie war wieder da,

Ich erwachte in völliger Dunkelheit

Das Telefon klingelte

Das Krankenhaus roch heute

Das Haus war nicht leer,

Ihr Wagen parkte dort,

Ihre Nummer zu löschen,

»Sie kann sich um gar nichts kümmern,

Unser Alltag wurde so auffallend ruhig,

Falls ich mich jemals gefragt hatte,

Einen winzigen Augenblick lang

Ich schaute auf die beiden großen Kühltruhen,

Es gab nur eine Möglichkeit.

»Charly?«

»Es war ein Unfall.«

Diesen Teil erzählte ich Helmut nicht.

Sein Plan war einfach.

Die Sirenen heulten.

Und da klingelte es wieder.

Wir fuhren nach Bruckhausen

Es war genau 02.00 Uhr,

Das ganze Ruhrgebiet

Impressum

Anne Bax

Herz und Fuß

Roman 

konkursbuch

Verlag Claudia Gehrke

Klappentext

Eine Mischung aus Thriller und Liebesgeschichte. Charlotte ist fünfunddreißig und hat das Ende ihrer ersten großen Liebe damals nicht kommen sehen. Natürlich sieht sie auch jetzt nicht, was da zusammen mit den heißen Sommertagen auf sie zurauscht. Und so brechen die Ereignisse einfach über sie herein.

Auf der Plattform des riesigen Gasspeichers, der jetzt Museum ist, macht Charlotte ihre allabendliche Runde. Sie arbeitet dort als Aufsichtskraft. Und träumt beim Sonnenuntergang über ehemaligen Hochöfen von Liebe. Doch als sie wieder in ihr Büro zurückgehen möchte, macht sie in einer Ecke der Plattform einen schrecklichen Fund …

Bis der Sommer vorbei ist, muss Charlotte um ihr Leben fürchten. Und um ihr Herz, denn die Frau, auf derem Hals eine Gänsehaut wie eine Einladung aussieht, liebt einen Mann, nicht irgendeinen, sondern auch noch Charlottes besten Freund aus Schulzeiten.

Die Polizei findet nichts heraus. Sogar Charlottes Mutter scheint mehr zu wissen. Denn sie ist Internetfan geworden, seit sie nach dem Unfalltod des Vaters das Haus kaum mehr verlässt. Und dann macht Charlotte einen zweiten schrecklichen Fund, diesmal liegt eine Buchseite dabei, ein Gedicht von Rilke. Ist Charlotte selbst gemeint? Wird sie bedroht? Hat das Ganze etwas mit ihrer abrupt beendeten alten Beziehung zu tun? Doch mit den furchtbaren Ereignissen lernt sie diese Frau kennen, eine Journalistin.

Eine erste Pressestimme: Die Autorin sorgte bereits mit Erzählbänden und einem erotischen Kochbuch für Kurzweil und Genuss. In ihrem ersten Roman verbindet sie gekonnt Krimi und Lesben-Lovestory miteinander. Herz und Fuß hält, was der Titel verspricht: Der Plot zeigt sich lebensnaher, als es bei den meisten Kriminalromanen um psychopathische Verbrechen der Fall ist. Der Suspense wird nicht in den Fokus der Handlung gestellt, vielmehr entwickelt die Autorin aus dem gruseligen Anfangsszenario eine Geschichte, die auch viel bittersüße Romantik für das Herz enthält, kontrastiert pointiert durch anspruchsvoll surreale Komponenten. Dabei beschreibt sie die Gefühlswelt ihrer sympathischen Ich-Erzählerin sehr authentisch, wodurch eine spontane Identifikation leicht fällt und der Roman nicht wieder aus der Hand gelegt wird, bis alle kriminalistischen und romantischen Rätsel gelöst sind. AVIVA, Oktober 2011

Auch wenn es die Orte wirklich gibt, sind die Menschen in dieser Geschichte frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre von daher ein sehr großer Zufall.

Ganz wichtig: Die Aufsichten des Gasometers sind in Wirklichkeit ein wilder, wunderbarer Haufen und ich verdanke ihnen einige sehr schöne Jahre meines Lebens.

Wie soll ich meine Seele halten, daß

sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie

hinheben über dich zu andern Dingen?

Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas

Verlorenem im Dunkel unterbringen

an einer fremden stillen Stelle, die

nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.

Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,

nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,

der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?

Und welcher Geiger hat uns in der Hand?

O süßes Lied.

Rainer Maria Rilke

Das ganze Ruhrgebiet

lag uns im Abendlicht zu Füßen. Stadt an Stadt an Stadt, so weit das Auge reichte. Der hohe Gitterzaun, der die weitläufige Industriebrache, die uns umgab, vor Besuchern ohne Eintrittskarte schützte, wurde auf meinen Befehl zum unüberwindbaren Wassergraben um unser eisernes Schloss. Es war ein Freitag im Juli und das war unsere erste richtige Verabredung. Ich überlegte kurz. Vielleicht auch unsere zweite, auf keinen Fall unsere dritte, dafür wusste ich noch zu wenig über sie. »Von hier oben kann man bis Düsseldorf sehen«, flüsterte ich so stolz in ihr Ohr, als hätte ich den 117 Meter hohen und 68 Meter breiten Oberhausener Gasometer, auf dessen vorderer Aussichtsplattform wir standen, persönlich und nur für diesem Zweck umgebaut. Ich wies über Rhein-Herne-Kanal und Emscher hinweg weltgewandt in die Richtung, in der ich Düsseldorf vermutete. Mit bloßem Auge gesehen hatte Düsseldorf von hier oben noch kein Mensch. Wenn man es ganz genau betrachtete, war das einfach einer der Sätze, die wir in den täglichen Führungen gern benutzten, um Reisende aus ländlich geprägten Bundesländern zu beruhigen. Die Tatsache, dass man eine so gepflegte und modisch tonangebende Stadt wie Düsseldorf vom Dach einer gewaltigen, eisernen Tonne sehen konnte, deren Innenwände auf ewig mit dunklem Schmierfett bedeckt waren, ließ ganz Oberhausen gleich mehr nach Armani und weniger nach Armut aussehen. Dort im fernen Düsseldorf roch es schon morgens nach Chanel, hier roch es den ganzen Tag nach Kanal.

Ihr war das natürlich vollkommen unwichtig. Sie winkte fröhlich hinab zu einem langen Güterzug, der sich parallel zum Kanal mit vielen bunten Containern einem unbekannten Ziel entgegenschleppte. Ich nahm vorsichtig ihre warme Hand, ihre Finger schlossen sich mit angenehmem Druck um meine und wir schauten gemeinsam in den Sonnenuntergang. Die Sonne ging über Oberhausen natürlich nie an einem geraden Horizont unter, sondern sie blieb vorher immer an irgendeiner verbeulten Satellitenschüssel, einem qualmenden Schornstein oder einer frisch renaturierten Halde in der Nähe von Duisburg hängen. Im Moment riss sie sich gerade die komplette linke Seite an der Silhouette dreier stillgelegter, rostiger Hochöfen blutig und der ganze Himmel zerfloss dunkelrot.

Meine neue Eroberung fand auch das schön. Die warme Luft, die ihr das lange Haar zerzauste, umgab uns mit dem Duft von feuchtem Asphalt, irgendwo weit weg hatte es schon zu regnen begonnen. Ich zog sie näher zu mir und suchte in ihren blauen Augen nach meinem Spiegelbild. Da war ich, mein schmales Gesicht, meine dunklen Augen, mein fragender Mund mitten in ihrem sanften Lächeln. Sie war ein paar Jahre jünger als ich oder sie war deutlich älter. Vielleicht waren wir auch beide fünfunddreißig. Mein Herz klopft, flüsterte sie. Ich lauschte. Wenn ich noch ein Herz gehabt hätte, hätte es jetzt bestimmt auch heftig und hörbar geklopft. Aber leider blieb es in dem hohlen Raum in meiner Brust absolut still. Was sicher nicht nur an dem emotionalen Frontalzusammenstoß lag, der mir in einem Sommer wie diesem vor ziemlich genau acht Jahren das Herz zertrümmert hatte, sondern auch daran, dass ich in Wirklichkeit hier oben auf dem Gasometer vollkommen allein war.

Auf dem Kanal fuhr ein langes Binnenschiff Richtung Rhein und zog gerade seine Brücke ein, um unter der nächsten Eisenbahnüberführung hindurchzupassen. Kluges Schiff. Rechtzeitig den Kopf einzuziehen, hatte ich erst spät gelernt. Ich probierte, wie weit ich meinen Kopf zwischen die Schultern senken konnte, und war zufrieden, ich hätte locker unter der Brücke hindurchgepasst. Dann drückte ich meine Stirn gegen den Gitterkäfig über der Plattform, der verhinderte, dass Unglückliche ihre Probleme hier oben mit Hilfe der Schwerkraft lösten, und seufzte. Warum stellte ich mir ausgerechnet an diesem luftigen Ort immer so plastisch vor, dass es nach all den Jahren wieder eine Frau neben und ein Gefühl in mir geben könnte? »Weil das hier einfach unser Lieblingsplatz ist, nicht wahr?«, sagte ich zu der schmutzig grauen Taube, die am Rande des Daches bestätigend mit dem Kopf nickte. So nah am Abgrund, wie sie dort hockte, lief in ihrem Leben wohl auch nicht alles ganz glatt.

Vielleicht hätte ich ja etwas mehr gespürt, wenn ich mir die Augen der Frau, die mir das vergiftete Apfel-stück aus dem Hals küssen sollte, grün vorgestellt hätte und ihre Haare kurz und perfekt geschnitten? Oder wenn ich ihr dunkle Augen gegeben hätte? Braune? Gesprenkelte? Ein grünes und ein blaues? Eine Augenklappe? Welches war eigentlich die häufigste Augenfarbe? Und welche gefiel mir am besten? Hatten mir IHRE Augen damals eigentlich von Anfang an gefallen? Ich starrte auf das eiserne Gitter, an dem ich allein lehnte, auf die Taube, die immer noch nickte, und konnte mich nicht erinnern. Das war gut. Alles was ich über SIE vergessen konnte war gut. Die Taube gurrte jetzt leidgeprüft und spähte entschlossen in die Tiefe. »Erstens kommt, wer auch immer dich verlassen hat, davon auch nicht zurück, zweitens kannst du fliegen. Also lass es!« Ich sprach so laut, dass die Taube erschreckt aufflog und mit wirrem Blick Richtung Kanal davonflatterte. Konnten Tauben schwimmen?

Die Sonne hatte den Kampf gegen die drei toten Hochöfen mittlerweile verloren und war ergeben in einen der stillgelegten Erzbunker gefallen. Das nutzte der Regen, um zusammen mit der Dämmerung heranzueilen und das Dach, den Güterzug, das Schiff, die Stadt und mich mit den ersten kleinen Tropfen zu besprenkeln. In meiner Hand knarzte das schwarze Funkgerät leise und erinnerte mich daran, dass ich meinen abendlichen Kontrollgang über die drei Aussichtsplattformen auf dem Dach des Gasometers nun endlich fortsetzen sollte. Ich nahm die Stirn vom Gitter und ging langsam weiter.

Eigentlich mochte ich diese stillen Stunden am Abend, die mir mein Job als Projektleiterin dieser spät berufenen Ausstellungshalle bot, besonders. Es war die Zeit, wenn die Aussichts- und Kulturhungrigen die Welt wieder durch ihren Fernseher betrachteten und wir in unserem untergegangenen Industrieriesen in kleiner Besetzung dem Ende des Tages entgegenträumten. Das heißt, ich träumte, der Hausmeister reparierte, die Aufsichten rauchten und die Kassenkräfte zählten.

Ich machte mich auf den Weg von Plattform eins, an der der Außenaufzug hielt, mit dem ich vor einigen Minuten angekommen war, auf den Rundkurs zu den beiden anderen Plattformen. Zurück würde ich auf dem äußeren Treppenturm zwei Stockwerke bis in die zehnte Etage gehen und von dort den gläsernen Aufzug im Innern nehmen, der einen durch den gigantischen, dunklen, stillen Raum schweben ließ wie einen einsamen Taucher durch die Tiefsee.

Sein kathedraler Innenraum hatte diesen gelernten Gasspeicher Ende der achtziger Jahre vor dem Abriss bewahrt und ihm diesen neuen Job als Wahrzeichen und Museum auf dem zweiten Bildungsweg beschafft. Die Fahrt durch die Schwärze hinab in die wechselnden Ausstellungen wurde mir nie langweilig, aber bevor ich heute schweigend schweben konnte, galt es erst mal auszuschließen, dass jemand die Nacht hoch über dem Ruhrgebiet verbringen wollte. Es gab zwar für jede Plattform auf dem Dach auch eine Überwachungskamera, aber diese Wunderwerke der Technik hatten mehr tote Winkel als der frühe VW-Käfer.

Ich schlenderte in Richtung Plattform zwei. Alles hier oben war ruhig und menschenleer, kein vergessener Besucher, der noch die Aussicht genoss, kein Lebensmüder, der nach ewigem Schlaf suchte. Von dieser Aussichtsplattform hatte ich den direkten Blick auf Europas größtes Einkaufszentrum, das die Frontlinie der ganzen Region in der Schlacht gegen den Untergang darstellte. Früher hatten auf dem gleichen Gelände Zehntausende in Stahlwerken und an Hochöfen gearbeitet, heute brachte es diese selbst ernannte neue Mitte der Stadt auf ungefähr dreihundert Tapfere, die Freizeitkleidung und Flachbildfernseher verkauften. Sollten wir die Schlacht verlieren, würden wir dort später einfach einen Gedenkstein aufstellen: Wanderer, kommst du nach Oberhausen …

Gerade spuckte der lang gestreckte Flachbau seine Besucher Kleinwagen für Geländewagen für Mittelklassewagen in Richtung A 42 aus. Eine träge Metallpolonaise, die im dunklen Rot des Sommerabends angemessen bedeutungsvoll glänzte. Der Wind trug mit den Regentropfen buntes Tonkonfetti des Karaokewettbewerbs, der an Sommerabenden mit gnadenloser Regelmäßigkeit in einem der Biergärten rund um das Konsumschlachtfeld stattfand, zu mir herauf. Ein eiliger Schwarm in der Mitte getrennter Akkorde und zerrissener Texte, die selbst so kleinteilig noch von dem Schrecken kündeten, den sie auf ebener Erde zu verbreiten wussten. Ich wanderte schnell weiter, der letzten Plattform entgegen. Ein großer Fetzen eines vielstimmigen Refrains über einen Stern, der meinen Namen trug, verfolgte mich bis zur nächsten Kurve, wo seine kurze stellare Reise von der Außenwand des Gasometers unsanft beendet wurde. Mich freute das, denn von Liebesliedern schmerzte mir auch nach acht Jahren ohne Liebe noch anfallartig die Milz.

Irgendetwas schimmerte in einer Ecke der letzten Plattform zwischen den Gitterstäben grünlich, als ich dem Weg weiter folgte. Ich ging unwillkürlich ein wenig schneller. Wahrhaftig, in der linken Ecke der dritten, großen Plattform lag oder stand ein grüner Gegenstand. Sehr grün, unangenehm grün. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, aber der unbestimmte grüne Gegenstand ließ sich mit den begrenzten Möglichkeiten meiner Augen nicht näher heranzoomen. Wahrscheinlich hatte wieder jemand seinen Rucksack zum Fotografieren abgenommen und ihn dann einfach vergessen. Leute vergaßen alles Mögliche, Taschen, Schirme, Mäntel, manchmal sogar Kinder. Wir trugen alles zusammen und bewahrten es auf, die Kinder unterhielten wir altersgerecht mit Geschichten über den garstigen Gasometergeist, der unter dem Dach schwebte, was ihre Freude über die Rückkehr der Eltern verstärkte. »Hat jemand heute nach einer grünen Tasche gefragt? Oder irgendetwas Grünem?« Ich drückte die Taste der Funke, während ich langsam Richtung Plattform ging.

Helmut, der Hausmeister, knurrte als Erster eine Antwort. »Bei mir nicht.«

Auch die Kasse und die Garderobe verneinten und verabschiedeten sich in den Feierabend. Ich ging näher. Also hatten wir hier einen Gegenstand, den niemand vermisste. In der Dämmerung und auf diese Entfernung sah die Fundsache jetzt eher wie eine kleine Skulptur aus, vielleicht fünfzehn Zentimeter hoch, unten breiter oben schlanker. Konnte auch eine Vase sein. Wer vergaß denn eine Vase? »Helmut schaust du mal auf den Monitoren, ob noch jemand außer mir auf dem Dach ist?« Vielleicht ließ sich der Besitzer ja noch zeitnah mit seinem Eigentum wieder vereinigen.

»Wer soll denn da noch sein? Ich sehe nix!« Wahrscheinlich hatte er gar nicht geguckt.

Ich trat vom Weg, der in weitem Kreis um die erhöhte Dachmitte des Gasometers führte, auf die Plattform hinunter und blieb ungefähr zwanzig Meter vor dem grünen Gegenstand stehen. Ein ganz kleines, aber trotzdem spürbares Gefühl von Unbehagen ließ mich an dieser Stelle innehalten. Weit unten kreischten die Bremsen des Güterzugs klagend auf, als sollten sie den Soundtrack für einen Horrorfilm liefern. Ich spielte mit der Taste des Funkgeräts und überlegte kurz, ob ich Helmut bitten sollte, zu mir aufs Dach zu kommen. Um gemeinsam eine Vase im Zwielicht zu betrachten? Seine Meinung dazu würde ich mir dann wochenlang anhören können. Vielleicht war das ja sogar ein Scherz der Aufsichten. Wenn ich mir allerdings überlegte, wer heute Dienst hatte, war auch das mehr als unwahrscheinlich. Diese spezielle Gruppe städtischer Angestellter musste schon in Einzelgesprächen beruhigt werden, wenn sie ihre Kaffeetassen verwechselte.

Ich sah jetzt zum ersten Mal ganz genau hin. Nein, eine Vase war das auch nicht. Eher ein Schuh, ein großer, halbhoher Stiefel, über den ein Witzbold einen schrecklich grünen Wollstrumpf gezogen hatte. Der obere Teil hatte einen Zipfel, als hätte man dort einen Knoten gemacht. Also doch ein Scherz? Sehr lustig. Vom Licht des Tages war jetzt nicht mehr viel übrig. Die blauen Scheinwerfer, die den oberen Teil des Gasometers bei Einbruch der Nacht in einen Lichtkranz hüllten, glimmten langsam auf und tauchten die Plattform in unwirkliches Zwielicht. Der Güterzug fuhr auf der anderen Seite mit einem lauten Zetern seiner eisernen Räder wieder an und ich fuhr mit einem kleinen Schrei zusammen. Was war denn heute Abend mit mir los? Ich ging entschlossen weiter. Ja, das war ein Schuh, ein ziemlich großer halbhoher Herrenschuh, und auch das mit dem grünen Strumpf stimmte. Ich stellte mein Funkgerät auf den metallenen Boden und hob den Schuh hoch. Er war eiskalt und ein wenig feucht. Ich drehte ihn in beiden Händen. Die Kälte war so intensiv, dass ich sie in meinen Fingern spüren konnte. Wie konnte ein Schuh, noch dazu ein Schuh in einem so dicken, dichten Wollstrumpf, an einem so warmen Julitag so kalt sein? Schwer war er auch noch. Vielleicht war er aus Metall. Ich stellte den Schuh wieder auf den Boden und nestelte an dem Knoten, mit dem der Strumpf oben zusammengebunden war. Die neonfarbene Wollsünde war eindeutig selbst gestrickt, an den Fasern einiger giftgrüner Wollfäden hingen winzige, glitzernde Wassertropfen. Der Regen wurde stärker und ich fluchte, während der Knoten nur widerwillig nachgab. Endlich hatte ich ihn gelöst, zog das längere Ende aus der Schlaufe und spähte vorsichtig in die Öffnung. Die Seiten des Strumpfes klebten aneinander. Da war etwas Dunkles, etwas Rotes? Es sah aus wie eine … Blume? Ich zögerte kurz und griff dann langsam in den kalten, grünen Strumpf, der meinen Unterarm einen unschönen Augenblick lang wie ein feuchter, kratziger Ärmel umschloss, und berührte etwas Weiches. Ein wenig angewidert zog ich meine Hand schnell aus dem klammen, engen Wolltunnel und brachte mit festem Griff das weiche Objekt mit ans Dämmerlicht. Es war die perfekte Blüte einer großen, roten Rose ohne Stil. Eine Rose ohne Dornen. Sie war wunderschön und ihre Blätter schienen genau für dieses Licht gemacht zu sein, denn sie changierten gekonnt zwischen tiefschwarz und blutrot. Ich nahm eines der dunklen Blütenblätter zwischen die Finger. Es war ebenfalls eiskalt. Ein kleiner Regenschauer huschte über die Plattform und hinterließ eine feine Gänsehaut auf meinem Arm. Der Tag hatte plötzlich viel von seiner Wärme verloren. Warum stellte jemand einen Schuh mit einer wunderschönen roten Rose und einer extrem hässlichen grünen Wollsocke auf das Dach des Gasometers? Ich krempelte den Strumpf langsam tiefer, um zu sehen, was für eine Art Schuh es war. Falls Helmut doch einen seiner durchgeschwitzten Arbeitsstiefel im kleinen Grünen als Spaß hier für mich auf die Plattform gestellt hatte, dann würde sein Abend unerfreulich enden. Aber Helmut würde keine vollkommene Rose für mich auf den Schuh legen, ich war mir nicht einmal sicher, ob Helmut wusste, dass es Schnittblumen gab. Der Strumpf war ziemlich lang und eigenartig steif, fast wie gefroren. Er ließ sich nur schwer krempeln. Schließlich erreichte der Strumpfbund den Rand des Schuhs und das Leder wurde sichtbar. Ich hatte irgendetwas Dunkles erwartet, das wurde mir plötzlich bewusst, als der Rand erschien.

Das Leder war aber nicht dunkel. Es war blass. Es war blass, es war bläulich und marmoriert.

Mein Blut schoss aus dem Kopf, weil es nicht mehr in der Nähe meiner Augen sein wollte, und sammelte sich brodelnd im Magen. Die Magensäure tanzte von dieser Invasion beleidigt schäumend nach oben. Ich würgte und fühlte mich leicht werden. Ich starrte auf das obere Ende des Schuhs und sah den glatt durchgesägten Knochen umgeben von gefrorenem Fleisch.

Das war kein Leder.

Das war kein Schuh.

Das war ein menschlicher Fuß.

Dann fiel ich um.

Der Himmel über mir

war dunkel und der Boden unter mir warm.

»Charlie! Charlotte!« Aus dem Funkgerät schallte hektisch mein Name. Ich schlug beide Augen gleichzeitig auf und sie starrten ins Grüne. Der feine Flaum aus winzigen Fasern, der die dicken, grünen Wollfäden umgab, kitzelte meine Nase. Ich fuhr entsetzt hoch und mein rechtes Knie tat dabei höllisch weh. Offensichtlich war ich zuerst auf ein Knie gesackt und dann seitlich umgekippt. Genau neben den gefrorenen Fuß, der immer noch dort stand und dem nichts mehr wehtat. Mir wurde schlecht. »Helmut …« krächzte ich würgend und schluckend in das Funkgerät, dessen Sprechtaste ich endlich gedrückt hatte. Ich blickte flehend zu der Überwachungskamera, die ihre Bilder an seinen Arbeitsplatz übertrug. Bewegen konnte ich mich nicht, mein ganzer Körper fühlte sich taub an und mir war, als würde auch ich am Boden festfrieren.

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