Herzklopfen auf Schottisch - Karin Lindberg - E-Book

Herzklopfen auf Schottisch E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Das letzte, was Michelle erwartet, als sie ein Pub in Schottland betritt, ist, dass ein Highlander urplötzlich seinen Kilt hebt. Hat der Kerl einen Vogel? Um diesem wortkargen Wallace, dessen Gründe für diese Aktion sie gar nicht erst wissen will, macht sie fortan einen extragroßen Bogen. Doch in einem kleinen Dorf am Loch Ness kann man sich schlecht aus dem Weg gehen. Und ausgerechnet der verschlossene Wallace bringt ihre Pläne, sich nicht zu verlieben, rasend schnell ins Wanken… so war das alles nie geplant!

Der Roman ist in sich abgeschlossen.

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HERZKLOPFEN AUF SCHOTTISCH

LIEBE AM LOCH NESS

BUCH FÜNF

KARIN LINDBERG

Lektorat Dorothea Kenneweg

Korrektorat Ruth Pöß

Copyright © 2024 by Karin Lindberg

Herzklopfen auf Schottisch

Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de

Covermotiv: © – depositphotos.com, evokecity – shutterstock.com, ansh_trupatiAll rights reserved.

Karin Baldvinsson Am Petersberg 6a 21407 Deutsch Evern

No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.

Impressum

Lektorat Dorothea Kenneweg

Korrektorat Ruth Pöß

Copyright © 2024 by Karin Lindberg

Herzklopfen auf Schottisch

Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de

Covermotiv: © – depositphotos.com, evokecity – shutterstock.com, ansh_trupatiAll rights reserved.

Karin Baldvinsson Am Petersberg 6a 21407 Deutsch Evern

No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.

HERZKLOPFEN AUF SCHOTTISCH

Das letzte, was Michelle erwartet, als sie ein Pub in Schottland betritt, ist, dass ein Highlander urplötzlich seinen Kilt hebt. Hat der Kerl einen Vogel? Um diesem wortkargen Wallace, dessen Gründe für diese Aktion sie gar nicht erst wissen will, macht sie fortan einen extragroßen Bogen. Doch in einem kleinen Dorf am Loch Ness kann man sich schlecht aus dem Weg gehen. Und ausgerechnet der verschlossene Wallace bringt ihre Pläne, sich nicht zu verlieben, rasend schnell ins Wanken… so war das alles nie geplant!

INHALT

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Hol dir dein Geschenk

Über die Autorin

PROLOG

Wallace MacDonnall schwenkte sein Whiskyglas und beobachtete, wie die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Tumbler kreiste. Er saß auf der Fensterbank im Erker seiner kleinen Einliegerwohnung im Erdgeschoss. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Heute war einer der Tage, die er am liebsten aus dem Kalender streichen würde – aber aus Erfahrung wusste er, dass es schlicht unmöglich war, so zu tun, als gäbe es das heutige Datum nicht. Er hatte nicht nur wegen seiner Schulterschmerzen kaum ein Auge zugemacht in der letzten Nacht.

Wallace trank den letzten Schluck und stellte das Glas auf dem Beistelltisch ab. Dann zog er das braune Holzkästchen zu sich und klappte den Deckel auf. Sein Magen krampfte sich zusammen. Es kam ihm so vor, als stiege ihm der Hauch ihres Parfums in die Nase. Aber das konnte nicht sein, es war zu lange her.

Wallace nahm einige ausgeschnittene und mittlerweile verblichene Zeitungsartikel heraus. Er musste die Zeilen nicht lesen, um zu wissen, was dort stand. Er kannte den Text in- und auswendig.

Als ob das etwas ändern würde.

Seine chronisch verspannten Schultern wurden von Selbstvorwürfen nach vorn gedrückt, sie wogen schwerer als die Summe aller Mühlsteine dieser Erde. Es war egal, wie oft Leute ihm erzählt hatten, dass er nicht schuld an ihrem Tod war. Er fühlte sich trotzdem dafür verantwortlich, dass Katee nicht mehr lebte. Die Schuldgefühle zerfraßen ihn seit Jahren langsam von innen heraus.

Was wäre, wenn ich nicht nach Edinburgh gefahren wäre? Ich hätte es verhindern müssen, dachte er zum millionsten Mal und schloss die Augen für einen Moment, um das Brennen hinter seinen Lidern überhaupt ertragen zu können. Es gelang ihm nicht, es gelang ihm nie.

Wallace legte die Artikel beiseite und betrachtete ihr Foto. Katee würde für immer jung und schön bleiben – zumindest ihr Andenken.

Gerade wollte er sich noch einen Drink eingießen, als das Bimmeln seines Telefons ihn für einen Moment ablenkte. Aus Gewohnheit nahm Wallace den Anruf entgegen, obwohl er nicht im Dienst war. »Hallo?«

»Hey, ich wollte nur sichergehen, dass du nachher kommst«, hörte Wallace Alejandros muntere Stimme.

Kurz überlegte Wallace, was der Argentinier meinte, dann fiel es ihm wieder ein. Kendra hatte Geburtstag, und zu ihren Ehren schmiss Alejandro eine Party für sie. Der ehemalige Profi-Polospieler hatte sich wunderbar in das Leben im schottischen Dörfchen eingefügt. Obwohl er noch nicht lange hier lebte, hatte er viele neue Freunde gewonnen, und alle behandelten ihn, als wäre er kein »Zugereister«, sondern einer von ihnen. Wallace mochte Alejandro, er war mit seiner unaufgeregten, aber verbindlichen Art ein echter Zugewinn für die kleine Gemeinde am Loch Ness.

Wallace hatte trotzdem keine Lust auf Gesellschaft – heute noch weniger als sonst –, aber er wollte nicht absagen. Das würde Katee nicht lebendig machen, und Kendra hatte Geburtstag, sie lebte, und das sollte gefeiert werden. Das Leben. Auch wenn es ihm schwerfiel. Doch Wallace war über die Jahre ein guter Schauspieler geworden, und an den meisten Tagen kam er mittlerweile ganz gut zurecht. Nur heute war keiner dieser Tage. Dennoch, Kendra lag ihm am Herzen, und ihretwegen würde er seine Trauer wieder tief in sich vergraben und so tun, als sei alles in Ordnung. »Natürlich komme ich, Alejandro. Wann, sagtest du noch mal, soll ich da sein?«, erwiderte Wallace bemüht fröhlich.

»Ich habe noch gar nichts gesagt.« Alejandro klang amüsiert. »Deswegen rufe ich doch an. Komm gegen sieben ins Lantern, auf die Minute kommt es nicht an.«

Kurz überlegte Wallace, ob er Kendras Geburtstagsfeier einfach »verpassen« könnte. In seinem Zustand war er keine Partykanone und vermutlich zu Hause besser aufgehoben. Aber nein, er hatte zugesagt und würde Kendra nicht enttäuschen. Er musste ja nicht lange bleiben. »In Ordnung, sieben Uhr«, äußerte er mit fester Stimme.

»Wunderbar, und vergiss nicht, deinen Kilt zu tragen.«

O Mann, das hatte er total vergessen. Er unterdrückte ein Seufzen.

Eine Feier in traditioneller Kleidung versprach lang und feuchtfröhlich zu werden – genau das, was Wallace heute nicht gebrauchen konnte. Normalerweise trug er die traditionellen schottischen Kleidungsstücke sehr gern, aber gerade war ihm nicht danach. Er verdrehte die Augen. »Mache ich«, sagte er dennoch, weil er mehr auffallen würde, wenn er sich weigerte. »Bis später, Alejandro.«

Schnaubend schob Wallace das Handy beiseite und goss sich einen weiteren Whisky ein.

Er warf einen letzten Blick auf Katees Foto. Dann schob er die Zeitungsartikel zusammen und legte alles in das Holzkästchen zurück, das er anschließend wieder in der betagten Kommode verschloss.

Sein Apartment bestand aus einem Sammelsurium alter Möbel, die er größtenteils von seinen Eltern übernommen hatte, ihm lag nicht viel an modernem Kram. Es war zweckmäßig eingerichtet, er hatte alles, was er brauchte. Er wohnte hier, aber lebte er auch?

Kurz hielt Wallace inne. Nur das Ticken der Wanduhr durchbrach die Stille im Raum, seine Hand ruhte auf dem kühlen Holz. Er verharrte einen Moment länger. Der Drang, sich seinem Schmerz erneut hinzugeben, war groß.

Nein, für heute war es genug, beschloss Wallace mit zusammengepressten Zähnen. Stundenlang auf die Fotos und Zeitungsberichte zu starren, veränderte nichts. Offiziell galt Katees Tod als tragischer Unfall, aber er wusste es besser.

KAPITEL1

Böiger Wind peitschte dicke Regentropfen über den dunklen Asphalt. Wo bin ich hier nur gelandet?, schoss es Michelle durch den Kopf. Sie umklammerte das Lenkrad fester, Schneematsch und tiefe Pfützen hatten sich auf der schmalen Straße gesammelt. Die Bäume reckten ihre nackten Äste wie magere Arme in den Abendhimmel. Die Dämmerung hatte eingesetzt, lange würde es nicht mehr dauern, bis alles in Dunkelheit verschwamm. Hoffentlich erreichte sie ihr Ziel vorher, sonst würde sie womöglich nie ankommen. Die Navigationsapp auf ihrem Handy hatte Michelle schon vor geraumer Zeit im Stich gelassen – kein Empfang. Zudem kam sie lediglich im Schneckentempo voran, weil sie aufgrund der Wetterverhältnisse vorsichtig fahren musste. Die Schlaglöcher in den Straßen taten ihr Übriges, so dass Michelle lieber einen Gang zurückschaltete, ehe ihr Auto noch in alle Einzelteile zerfiel oder - schlimmer – im Graben landete.

Natürlich hatte Michelle nicht erwartet, dass das Wetter in den schottischen Highlands im Januar einladend und sonnig sein würde, aber etwas freundlicher hätte ihr Empfang ruhig ausfallen dürfen. Egal, sagte sie sich und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Einfach war das weiß Gott nicht, schon gar nicht mit dem klapprigen Kleinwagen, den sie sich von ihren letzten Ersparnissen gekauft hatte, ehe sie London verlassen hatte. In der Großstadt hatte sie sich stets auf die öffentlichen Verkehrsmittel beschränkt, das war hier oben, fernab von jeglicher städtischen Infrastruktur, schlichtweg unmöglich.

Michelle seufzte leise und hoffte, dass sie ihr Ziel bald erreichte. Auf der richtigen Route müsste sie sich nach wie vor befinden. Die letzte größere Stadt, Fort William, hatte sie vor einer Weile hinter sich gelassen, und seitdem ging es für sie nur noch in eine Richtung – nach Norden.

Das, was sie bisher gesehen hatte, war beeindruckend gewesen. Dichte Wälder, sanfte Hügel, Heidelandschaften, tiefe Gewässer und niedliche Häuschen. Wie viele Seen es hier gab! Nein, Lochs, verbesserte sie sich stumm und schmunzelte.

Michelles Telefon schrillte. Sie zuckte zusammen, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass sie wieder Empfang haben könnte. Eine Freisprecheinrichtung gab es in dem klapprigen Vauxhall nicht, deshalb stellte sie das Handy auf Lautsprecher und legte es sich auf die Beine. »Hallo?«, rief Michelle.

»Hey, Süße, wo steckst du, bist du schon angekommen? Ich habe ein paar Mal angerufen, aber es ist nur die Mailbox angesprungen.«

»Nein, ich bin leider noch unterwegs. Die Telefonverbindung hier oben ist mittelmäßig«, gab Michelle zu, obwohl sie wusste, dass sie ihrer Freundin damit quasi einen Freifahrtschein gab, ihre Meinung zu äußern. Deirdre war von Michelles Plänen, für ein paar Monate in Schottland zu arbeiten, alles andere als begeistert.

»Welcher Teufel hat dich nur geritten, diesen Job anzunehmen?«, hörte sie Deirdre auch schon fragen.

»Das Thema haben wir schon hundertmal durchgekaut.« Michelle konnte ihre Sorgen nachvollziehen, doch Zweifel wollte sie selbst gar nicht erst aufkommen lassen.

»Ich weiß, aber ich verstehe es immer noch nicht, Liebes. Was zur Hölle willst du bloß in Schottland?«

Michelle konnte nicht genau sagen, warum sie sich darauf eingelassen hatte. Nach einer langen Arbeitswoche hatte sie im November schlicht der Frust gepackt. Als Angestellte in einem Londoner Krankenhaus zu arbeiten, ohne die Aussicht, jemals selbst eine eigene Praxis führen zu können, hatte sie zunehmend unzufrieden gestimmt. Als sie dann an einem trüben Wochenende eine Stellenanzeige in einem Online-Portal entdeckt hatte, war es passiert: Michelle hatte in einer Weinlaune ihre Bewerbung abgeschickt – und überraschenderweise war sie nach einem netten Gespräch, das sie mit ihrem zukünftigen Chef über Zoom geführt hatte, als Chiropraktikerin eingestellt worden. Auf Probe zunächst und danach auch nur für die Dauer von sechs Monaten, aber das war genau das, was in Michelles Ohren perfekt geklungen hatte.

»Ich brauchte einfach einen Tapetenwechsel«, erklärte Michelle, und es entsprach sogar der Wahrheit. »Dieses ewige Treten im Hamsterrad ging mir einfach so krass auf die Nerven. Wenn ich noch länger geblieben wäre, hättest du mich nach dem Winter in die Klapse einliefern können.«

»Das verstehe ich ja, meine Liebe, aber musste es gerade Schottland sein? Am Ende der Welt? Ich habe mir eben mal einige Infos zu den Highlands durchgelesen. Du bist dir schon darüber im Klaren, dass es dort so gut wie jeden Tag regnet? Hast du das gehört? Jeden Tag? Auch im Sommer! Ich kann’s nicht verstehen, echt nicht. Oder hast du was verbrochen und musstest deswegen aus London fliehen? Du kannst doch mit mir reden!«

Michelle konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der echauffierte Tonfall und die Übertreibungen ihrer Freundin genügten, um zu ahnen, dass sie beim Sprechen wild gestikulierte und unruhig durch die Wohnung tigerte – oder wo auch immer sie sich gerade aufhielt. Das war etwas, was Michelle an Deirdre schätzte. Sie trug das Herz auf der Zunge und hatte selten ihre Mimik im Griff. Michelle war nicht besonders gut darin, ihre Gefühle zu verstecken, aber sie war dabei zurückhaltender in der Ausdrucksweise als Deirdre. Michelle war trotzdem schon manches Mal in peinliche Situationen geraten, weil man ihr allzu deutlich angesehen hatte, was sie dachte. Jedenfalls wusste man bei ihr und auch bei Deirdre jederzeit, woran man war – im Guten wie im Schlechten.

Eine Welle der Traurigkeit schwappte in diesem Moment über Michelle. Sie vermisste ihre Freundin jetzt schon. Aber das würde vergehen. Bestimmt. Michelle war felsenfest davon überzeugt, dass es wichtig war, aus dem ewigen Trott rauszukommen. Sie wollte in Schottland herausfinden, wo für sie – beruflich gesehen – die Reise in der Zukunft hingehen sollte. »Du weißt so gut wie ich, dass ich in meinem Leben noch nicht mal einen Kaugummi geklaut habe. Natürlich habe ich nichts verbrochen. Ich brauche nur ganz dringend eine neue Perspektive. Ich bin sowas von ausgelaugt und leer, ich kann einfach nicht mehr weitermachen wie bisher! Ich sehne mich nach einer Veränderung.«

»Das weiß ich doch. Aber Schottland? Wenn du dir eine Stelle auf einem Kreuzfahrtschiff gesucht hättest, würde ich das ja noch verstehen, oder in der Karibik. Du wirst dir da oben dein süßes Ärschlein abfrieren.«

Michelle schmunzelte. »London ist im Winter auch nicht gerade schön. Ja, zugegeben, meine Aktion war vielleicht ein wenig unüberlegt, aber hey, es sind doch nur ein paar Monate. Ruckzuck bin ich zurück, du wirst es kaum merken. Schließlich bist du ja selbst permanent unterwegs.«

Ihr Ein-Zimmer-Studio hatte Michelle quasi im gleichen Moment untervermietet, als sie die Anzeige online gestellt hatte. Es war geradezu erschreckend, wie einfach es gewesen war, ihre Zelte in London abzubrechen. Den alten Job war sie nach der Kündigung natürlich unwiederbringlich los, aber den wollte sie auch gar nicht zurück. Modernes Sklaventum, mehr fiel Michelle dazu nicht ein. Dafür hatte sie nicht so hart und intensiv an ihrer Karriere gearbeitet, dass sie sich nach Studium, dem praktischen Jahr und der weiteren Ausbildung zur Chiropraktikerin wie eine Leibeigene behandeln lassen musste. Nein. Das, was sie mit ihrer Reise nach Schottland vorhatte, war richtig. Ein Zwischenjob, um sich in Ruhe zu überlegen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Mehr würde diese Station in Kiltarff für Michelle nicht sein, aber auch nicht weniger.

»Ich sehe es schon kommen, du angelst dir einen Schotten im Kilt, und ich sehe dich nie wieder«, holte Deirdre sie aus ihren Gedanken zurück.

Michelle lachte. »Du bist süß, aber das wird bestimmt nicht passieren. Sam Heughan ist, soweit ich weiß, vergeben. Obwohl ich zugeben muss, dass ich diesen schottischen Akzent mag. Aber mal ehrlich: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in einem so kleinen Nest wie Kiltarff jemanden kennen oder sogar lieben lerne, nachdem es mir in London seit Jahren nicht mal gelungen ist, ein vernünftiges Date klarzumachen?«

Michelles Liebesleben war, gelinde gesagt, traurig. Durch das Desaster mit ihrem Ex Ronan hatte Michelles Vertrauen in Männer allgemein ziemlich gelitten, auch wenn sie sich insgeheim immer noch wünschte, eines Tages dem Richtigen zu begegnen. Mittlerweile hatte sie es fast schon aufgegeben, sich überhaupt auf Verabredungen einzulassen, weil schlicht nie etwas dabei herauskam. Nichts Gutes jedenfalls. Entweder hatten die Typen eine Vollmeise oder wollten lediglich unverbindlichen Sex. Nein, danke. Dann blieb sie lieber Single.

Deirdre plapperte weiter, aber Michelle bekam nicht alles mit, weil sie sich an einer Abzweigung auf den Weg konzentrierte.

»Warte mal«, murmelte Michelle vor sich hin und las die Aufschriften der Schilder. Sie waren zweisprachig in Englisch sowie Gälisch verfasst. Rechts ging es in Richtung Roybridge und links nach Invergarry. Weil Michelle ihre Freundin am Apparat hatte, konnte sie nicht auch noch auf die Navigationsapp zugreifen. Sie meinte sich zu erinnern, dass sie Invergarry gelesen hatte, als sie sich die Route vor der Abreise online angesehen hatte – als hätte sie geahnt, dass sie sonst nie ankommen würde. »Vielleicht muss ich mir für die Zeit in Schottland sowas wie eine Landkarte zulegen«, meinte Michelle gedankenverloren.

»Du meinst eine aus Papier? So wie früher? Gibt es sowas überhaupt noch? Meine Eltern haben mir mal einen alten Straßenatlas gezeigt, als sie umgezogen sind. Das Ding ist dann in den Container gewandert.«

»Tja, meine Liebe, ich würde sagen, dass das hier die Gegend ist, wo Tankstellen vermutlich noch Straßenkarten führen.«

Deirdre reagierte mit einem gequälten Stöhnen. »Du wirst es sowas von hassen«, prophezeite sie.

»Vielleicht«, antwortete Michelle mit fester Stimme. »Vielleicht aber auch nicht. Vor allem freue ich mich darauf, endlich anzukommen. Das lange Autofahren ist schon ganz schön anstrengend.«

Sie erhielt keine Antwort. »Hallo?«, rief Michelle.

Nichts.

Sie schaute aufs Display. Kein Empfang mehr.

»Na super«, brummte sie und legte das Telefon zurück auf den Beifahrersitz. Sie würde ihre Freundin nachher zurückrufen, wenn sie das Ziel erreicht hatte.

Hoffentlich gab es WLAN in der Wohnung. Im Bewerbungsgespräch hatte Angus Sinclair erklärt, dass dem Stellenangebot auch eine kostenlose Unterkunft folgte. Nicht irgendwo ein Zimmer zur Untermiete, eine ganze Bleibe nur für sie allein. In weiser Voraussicht hatte er ihr auch genau erklärt, wie sie dort hinkam. Bitte bald, dachte Michelle und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Der Regen war stärker geworden, sie stellte die Scheibenwischer eine Stufe höher.

Nachdem sie Invergarry hinter sich gelassen hatte, dauerte es glücklicherweise nicht mehr lange, bis sie das Ortsschild von Kiltarff passierte. Zu ihrer Rechten entdeckte sie einen Campingplatz, der aber – bis auf ein paar Dauermieter, die an der befestigen Umrandung zu erkennen waren – leer war. Links gab es einen Laden. »Girvan’s Hardware« las sie auf einem beleuchteten Schild. Sie fuhr ein Stück weiter, dann sah sie die imposanten Mauern des Schlosses, das Angus erwähnt hatte. Kiltarff Castle, erinnerte sie sich. Dort sollte sie links abbiegen, über den Caledonian Kanal fahren und dann ein Stück weiter geradeaus, bis sie die Straße erreichte, in der sich die Wohnung befand.

Mittlerweile war es dunkel geworden, lediglich ein schmaler, heller Streifen war noch am Horizont zu sehen. Und es hatte aufgehört zu regnen. Endlich.

»Absolut malerisch«, stieß Michelle hervor, als sie über die kleine Brücke zuckelte. »Wie aus einer anderen Zeit.« Sie konnte den Loch Ness erkennen, in dem sich der Mond und die Sterne spiegelten. Riesig und geheimnisvoll wirkte das sagenumwobene Gewässer um diese Uhrzeit. Sie konnte gut verstehen, warum sich so viele Mythen darum rankten. Michelle konzentrierte sich wieder auf den Weg, damit sie sich so kurz vor dem Ziel nicht doch noch verfuhr.

An der nächsten Ecke, nachdem sie den Kanal überquert hatte, befanden sich ein Bücherladen mit Café und weitere Geschäfte. Die Lädchen wirkten mit ihren alten Steinen, den Schindeldächern, beleuchteten Schildern und rauchenden Schornsteinen einfach nur hinreißend. Sie waren alt, aber nicht heruntergekommen. Nichts schien – auf den ersten Blick zumindest – in den letzten hundertfünfzig Jahren gebaut worden zu sein. »Hoppla!«, murmelte Michelle und musste scharf bremsen, als sie beinahe einen Mann im Kilt angefahren hätte, der plötzlich vor ihrer Motorhaube, nur wenige Meter entfernt, auf der Straße aufgetaucht war.

Die Reifen quietschten, und der Vauxhall geriet ins Schlingern. Michelle hupte reflexartig, der Mann machte glücklicherweise einen Satz zur Seite, der ihn rettete, und rief etwas, was sie nicht hören konnte. Blut rauschte in Michelles Ohren, ihr Herzschlag donnerte, die Hände waren feucht geworden.

»Was für ein Irrer!«, schimpfte sie und unterdrückte den Drang, das Fenster herunterzukurbeln und ihm das auch gleich persönlich an den Kopf zu knallen. Aber wer wusste, ob sie dem Kerl nicht noch mal begegnete? Gut möglich in einer Kleinstadt, dessen war sie sich bewusst und hielt sich deshalb zurück. Sie wollte es sich nicht bereits vor ihrer Ankunft mit den Leuten verscherzen. Obwohl es natürlich seine Schuld gewesen war, dass sie ihn fast erwischt hätte. Michelle schob die Schrecksekunde gedanklich beiseite.

Es war nichts passiert. Zum Glück.

Trotzdem hatte dieser Beinahe-Zusammenstoß Spuren an ihrem Nervenkostüm hinterlassen, das nach der langen Reise ohnehin dünn war. Ihr Puls beruhigte sich nur langsam. Michelle atmete ein paarmal durch, ehe sie die Fahrt fortsetzte.

Kurz darauf erreichte sie die von Angus genannte Adresse, ihr Handy hatte zur richtigen Zeit wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen können und sie verbal dorthin geführt. Michelle stellte den Motor ab und schaute sich das Haus mit der Nummer sieben an. Die aus Messing gefertigte Zahl war angelaufen und hing schief, die Steine, aus denen das Cottage gebaut war, wirkten ein wenig verschmutzt. Das Dach mit seinen grauen Schindeln sah auch mitgenommen aus. Aus dem Kamin stieg kein Rauch auf, das Häuschen lag im Dunkeln. Auf dem Gehweg und der Straße lag Schneematsch, der Mond spiegelte sich in den Pfützen. Es war ganz schön dunkel, die wenigen Straßenlaternen spendeten spärlich Licht. Umso heller leuchteten die Sterne. Für eine Sekunde verlor sich Michelle im Anblick des schottischen Abendhimmels. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus.

Es war einerseits die Vorfreude auf etwas Neues, aber auch die Sehnsucht nach einem Zuhause. Sie wusste natürlich, dass Kiltarff nicht dieser Platz war, sie hatte ja noch nicht einmal alles von dem kleinen Dorf gesehen. Trotzdem war da plötzlich dieser Wunsch nach Zugehörigkeit.

Michelle versuchte den Gedanken zu verdrängen, denn bis jetzt war sie nirgendwo heimisch geworden. Sie wusste gar nicht, was das überhaupt bedeutete. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester war sie oft umgezogen, bis sie schließlich in einem Vorort von London hängen geblieben waren. Aber ein Wohlfühlort war das auch nicht gewesen.

Wie immer, wenn sie an ihre Mutter dachte, wurde sie traurig und gleichzeitig glücklich, weil sie sie stets in allem unterstützt und ermutigt hatte. Für einen Moment glaubte sie, ihre Stimme in ihrem Kopf zu hören: Ich bin stolz auf dich, Mäuschen, du wirst dein Glück finden. Der Kloß in Michelles Hals wurde riesengroß, aber sie wollte jetzt nicht weinen, sondern das Positive in diesem Neuanfang sehen. Sie warf einen letzten Blick in den Abendhimmel und schickte einen Wunsch zu den Sternen.

KAPITEL2

Ein Klopfen an der Beifahrerscheibe ließ Michelle erschrocken zusammenfahren.

Ihr Herz blieb für eine Sekunde lang stehen. Dann entdeckte sie das freundliche Gesicht des älteren Mannes, für den sie von nun an arbeiten würde, und entspannte sich. Woher hatte Angus gewusst, dass sie angekommen war? Sie hatte ihn doch noch gar nicht angerufen!

Michelle stieg aus und bereute sofort, dass sie ihre Jacke nicht gleich übergezogen hatte. Es war saukalt in den Highlands.

Angus schien es nicht so zu empfinden, er trug lediglich eine dünne Steppjacke und keine Mütze auf dem silbergrauen Haar. »Guten Abend«, begrüßte er sie, kam um den Wagen herum und hielt ihr seine riesige Hand hin. Sein Atem hinterließ kleine weiße Wölkchen in der Abendluft.

»Hallo Angus. Kannst du hellsehen, oder wie hast du herausgefunden, dass ich hier bin?«, scherzte Michelle und erwiderte den Händedruck.

»Die Spatzen singen es von den Dächern, wenn zu dieser Jahreszeit ein fremdes Auto die Dorfgrenzen überquert.«

Michelles Mund klappte auf. Leider wusste sie selbst sehr gut, wie schockiert sie aussehen musste, und bemühte sich darum, ihre Überraschung nicht so deutlich zu zeigen. »Nicht im Ernst?«, stieß sie dann hervor.

Möglich war es, dass hier der Buschfunk in Lichtgeschwindigkeit funktionierte. Sie wusste, dass die Highlands im Sommer ein beliebtes Reiseziel bei Touristen aus aller Welt waren. Im Winter sah das vermutlich anders aus, und ein fremdes Auto fiel dementsprechend auf. Trotzdem, so ganz konnte sie nicht glauben, dass es wirklich so schnell gehen sollte mit dem Dorftratsch. Seit dem Telefonat, in dem es nicht nur um die Praxis gegangen war, in der sie als Chiropraktikerin anfangen würde, wusste sie, dass Angus nicht hier wohnte, sondern ein paar Straßen weiter. Aber so zügig hätte er unmöglich herkommen können, oder?

Angus’ Antwort auf ihre Reaktion war ein tiefes und kehliges Lachen, dann klopfte er ihr väterlich auf die Schulter, als wären sie alte Freunde. »Wo ist dein Gepäck, ich zeige dir alles. Du willst dich vermutlich erst einmal einrichten?« Ihre Frage beantwortete das nicht, aber das war auch nicht schlimm.

»Natürlich, sehr gern sogar. Vielen Dank.«

»Wunderbar, dann komm mit.« Er umrundete Michelles Kleinwagen und blieb vor dem Kofferraum stehen. Michelle öffnete die Klappe, dahinter befanden sich ihre Klamotten in schwarzen Müllsäcken – für Koffer war der Stauraum zu klein. Einiges hatte sie auch auf dem Rücksitz. Ein paar Bücher in Pappkartons, ihren Laptoprucksack und ihre Papiere. Es war, wenn man es so betrachtete, traurig, dass ihr ganzes Leben in dieses Auto passte – von den Möbeln mal abgesehen. Aber auch die würde sie nicht vermissen, sie hatte sich seinerzeit alles mehr oder weniger im Schlussverkauf zusammengeklöppelt.

Finanziell hatte Michelle sich während des Studiums mit diversen Jobs über Wasser gehalten, konnte aber mit Stolz von sich behaupten, noch nie einen Kredit aufgenommen zu haben. Michelle wollte niemandem etwas schulden, auch jetzt nicht. Sie wusste, wohin das führen konnte.

»Ich weiß, es sieht aus, als hätte ich meine tote Vermieterin im Kofferraum transportiert«, versuchte sie die Müllsäcke scherzhaft zu erklären.

Sie hinterließ einen ersten Eindruck, der ihr peinlich war. Sie ärgerte sich, dass sie nicht mehr Wert auf die Art und Weise des Transports gelegt hatte. Sie hätte zumindest ein paar Reisetaschen … Nein, jetzt war es ohnehin zu spät. Sie hörte auf, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, schließlich hatte sie den Job bereits in der Tasche und musste Angus nur noch von ihrer Kompetenz in der Praxis überzeugen.

»Na, hoffen wir mal, dass ich nicht auf dieselbe Weise ende«, scherzte Angus mit einem Augenzwinkern und schnappte sich zwei Säcke, die er zur Tür trug. Er scherte sich glücklicherweise keinen Deut darum, ob sie ihre Klamotten in Mülltüten oder Designerkoffern beförderte.

Angus zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und sperrte die Tür auf. Michelle nahm ebenfalls zwei Säcke und folgte ihm – damit hatten sie den Kofferraum ausgeräumt.

»Dann komm mal rein«, forderte er sie auf und schaltete das Licht an, ehe er selbst hineinging.

Wie aufregend, dass es sich bei ihrer Angestelltenwohnung um ein eigenes Cottage nur für sie handelte, das hatte er bei ihrem Gespräch nicht erwähnt. Sie freute sich plötzlich riesig auf die kommenden Wochen, auch wenn sie noch immer nervös war.

Es roch ein wenig muffig, aber das war nichts, was man mit ordentlichem Lüften nicht beheben könnte. Auf dem Steinboden lag ein ausgetretener und verblichener Läufer. Das Licht war nicht besonders hell, von LEDs hatten die Eigentümer vermutlich noch nie gehört. Und kalt war es.

»Hier am Schlüsselbrett hängen zwei Schlüssel für dich«, erklärte er, und Michelle nickte höflich.

Die Wände wurden von einer vergilbten Tapete geziert, an einigen Stellen gab es hellere Flecken, wo früher vermutlich einmal Bilder gehangen hatten. Im Flur befand sich eine massive Kommode aus sehr dunklem Holz, auf der Michelle ein gehäkeltes Deckchen und ein Gesteck mit getrockneten Blumen entdeckte. Angus hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern bog nach rechts in ein Zimmer ab. »Hier ist das Schlafzimmer«, ließ er sie wissen, während sie ihm folgte.

Über dem breiten Ehebett baumelte eine einsame Glühbirne. An der langen Seite stand ein braunes Monster von Kleiderschrank.

Bitte lass keine Sachen mehr drin sein, dachte sie und sandte ein stummes Gebet gen Himmel. Zwei dicke Daunendecken und Kopfkissen in passend geblümtem Baumwollbezug lagen auf den Matratzen. Sie war ohne Luxus aufgewachsen, auch ihre Bude in London hätte ein Makeover nötig gehabt, trotzdem war alles fremd in diesem alten Cottage. Sie fröstelte. Obwohl sie ohne große Erwartungen hergekommen war, merkte sie, dass sie sich hier nicht so einfach heimisch fühlte, wie sie noch vor ein paar Minuten gehofft hatte.

Es ist sicher nur die Müdigkeit am Ende eines langen Reisetages, sagte sie sich und dachte nicht weiter über dieses seltsame Gefühl in ihrer Magengrube nach.

»Hat meine Frau frisch bezogen«, erklärte Angus gerade, dem – höchstwahrscheinlich – Michelles Mimik nicht entgangen war.

Hoffentlich glaubte er nicht, dass es ihr hier nicht gefiel, denn das stimmte nicht. Obwohl die Einrichtung und das Cottage selbst alt waren, war es doch auf eine gewisse Weise niedlich – nur es war eben nicht ihr Zuhause. »Ich werde mich hier bestimmt wohlfühlen, wenn ich erst einmal angekommen bin und ausgepackt habe«, sagte sie und betete still, dass das auch der Fall sein würde.

Angus nickte. »Ganz sicher.«

Im Schlafzimmer luden sie die Säcke mit den Klamotten ab. »Ich richte mich später ein«, erklärte Michelle.

»In Ordnung. Das Bad befindet sich gleich nebenan.« Er zeigte auf eine kleine Tür, ging aber nicht hinein, sondern über den Flur in die andere Hälfte des Cottage. Angus war für sein Alter gut gebaut, hatte breite Schultern und wirkte robust und fit. Das Gesicht war trotz der kalten Jahreszeit leicht gebräunt, ein silbriger Bartschatten lag auf seinen Wangen. Lachfältchen hatten sich tief neben seinen blauen Augen eingegraben. Das Leben auf dem Lande schien bekömmlicher zu sein als das in London, wo gefühlt alle mit verkniffenem Gesichtsausdruck, käsebleicher Haut und hängenden Mundwinkeln herumliefen.

Michelle folgte Angus und sparte sich die Badezimmererkundung für später auf. »Hier haben wir die Küche Schrägstrich Wohnzimmer. Das Cottage ist klein, aber hoffentlich fein genug«, erklärte Angus mit einem Schulterzucken.

»Natürlich«, beeilte sie sich zu antworten. Es war vollkommen ausreichend für sie, aber von innen genauso in die Jahre gekommen wie von außen.

»I-ist das da ein Ofen?«, fragte Michelle kleinlaut, während sie sich verstohlen nach Heizkörpern umsah. Neben dem eisernen Ungetüm stand ein Binsenkörbchen mit Holzscheiten.

Angus klopfte auf die Platte. »In der Tat, man kann darauf sogar kochen, aber keine Sorge, in der Küche gibt es mittlerweile auch einen Elektroherd.«

Michelle musste husten, weil sie sich verschluckt hatte – Angus pries den Herd als eine moderne Errungenschaft an. Für sie war es etwas, was sie als Standard betrachtet hatte. Gut, da musste sie wohl das erste Lehrgeld zahlen, überlegte sie und amüsierte sich innerlich über ihre Naivität. Zentralheizung gab es also keine, die Frage konnte sie sich getrost sparen. »Ich bin keine besonders gute Köchin«, gab sie allerdings zu.

In London war das auch nicht nötig gewesen, dort hatte sie sich einfach unterwegs etwas gekauft oder hatte, noch zu Krankenhauszeiten, in der Kantine gegessen. Während des Studiums hatte sie, seinerzeit aus finanziellen Gründen, von Toastbrot und Nudeln gelebt … Eventuell würde diese Art von Mahlzeiten hier ein Revival erleben. Dieses Mal aber nicht, weil es an Geld mangelte. Denn erst jetzt realisierte Michelle, dass man hier nicht an jeder Ecke ein anderes Take-away zur Auswahl hatte. Vielleicht gab es in Kiltarff nicht einmal einen Lieferservice.

»Ich wusste nicht, ob du nicht womöglich was mitbringst, deshalb haben wir nichts für dich eingekauft. Aber wenn du etwas brauchst, dann kannst du im Grunde alles zum Überleben bei der Tankstelle bekommen. Sie hat bis um zehn offen, dort gibt es einen kleinen Lebensmittel-Shop, und die Post ist auch dort, falls du mal was versenden willst.«

Michelle sparte sich die Antwort, dass es niemanden gab, dem sie einen Brief oder ein Paket schicken würde. Und mit Deirdre kommunizierte sie über das Telefon.

»Ich denke, die Einkäufe werde ich morgen erledigen«, gab sie zurück und hoffte, dass man ihr nicht ansah, wie verloren sie sich plötzlich fühlte. »Vielleicht mache ich aber nach der langen Zeit im Auto gleich noch einen Spaziergang und schaue, ob ich ein Pub finde, wo ich was essen kann.«

Angus’ Gesicht hellte sich auf. »Das ist eine super Idee, dann komm doch mit mir, ich zeige dir, wo es langgeht. Übrigens, ich bin vorhin tatsächlich nur zufällig vorbeigekommen, weil ich auf dem Weg ins Dorf war. Keine Sorge, das mit dem Buschfunk war nur ein Scherz.« Er zwinkerte ihr zu, und Michelle musste lachen.

»Ich habe es dir wirklich geglaubt!«

Fünf Minuten später waren sie auf dem Weg zum örtlichen Pub, nachdem sie noch die restlichen Sachen von der Rücksitzbank ins Haus getragen hatten. Obwohl sich Michelle nach der langen Fahrt müde und auch ein wenig klebrig fühlte, nutzte sie die Gelegenheit, mit Angus ins Dorf zu spazieren. Er hatte etwas Väterliches an sich, das ihn sympathisch machte. Nicht, dass Michelle viele Vergleiche hätte, ihren eigenen Dad hatte sie nie kennengelernt. Aber Angus hatte eine offene und unkomplizierte Ausstrahlung, die ihr ein gutes Gefühl vermittelte. Tatsächlich fühlte sie sich schon jetzt weniger verloren als noch vor ein paar Minuten.

»Du wirst dich hier schnell zurechtfinden. Schau, hier haben wir die Fußgängerbrücke über den Kanal, die Zugbrücke ist manchmal oben, also immer, wenn ein Boot durchfahren möchte. Im Sommer ist deutlich mehr los in unserem Dörfchen, dann liegen immer ein paar Schiffe an der Mauer, die auf die Schleuse warten. Momentan ist es sehr ruhig.«

Michelle merkte, dass die Luft am Loch Ness klar und rein war, nicht einfach nur kalt. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase, sie konnte nicht genau sagen, was es war. Auf jeden Fall müffelte es nicht wie in London, was wenig überraschend, aber sehr erfrischend war. Michelle hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie anders Schottland sein würde. Das, was sie bisher kennengelernt hatte, gefiel ihr. Sie schaute wieder zum Loch Ness, Nebelschwaden zogen über das sanft schwappende Wasser des dunklen Sees. Der Geruch von nasser Erde stieg ihr in die Nase, nachdem sie die Brücke überquert hatten und ein paar Stufen nach unten gingen. Sie wollte sich nach Nessie erkundigen, weil sie sich wirklich fragte, wie es sein konnte, dass dieser schottische Loch jedes Jahr hunderttausende Besucher anlockte. Michelle ließ es aber sein. Als sie einen weiteren Blick auf den Loch Ness geworfen hatte, spielte es keine Rolle mehr, ob ein Monster darin herumschwamm oder nicht. Der See faszinierte Michelle, und sie verstand nun, warum so viele Menschen Schottland liebten – diesem Ort wohnte ein ganz besonderer Zauber inne, den man nur fühlen und nicht erklären konnte.

Sie merkte, wie sich ihre verspannten Nackenmuskeln lockerten und die Schultern ein Stück herabsanken. In der Ferne schrie ein Kauz, ansonsten war es – bis auf ihre Schritte auf dem Asphalt – still.

»Ich bin auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier. Die beste Gelegenheit, um dich gleich allen vorzustellen«, durchbrach Angus das Schweigen und holte Michelle ins Hier und Jetzt zurück.

Sie riss die Augen auf, nachdem sie begriffen hatte, was er ihr eben eröffnet hatte. »Das geht doch nicht!«, stieß sie hervor. »Ich bin gar nicht eingeladen.«

Er lachte leise, was komischerweise eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. »Aber sicher geht das, alle werden sich freuen, dich kennenzulernen. Einige kommen auch regelmäßig in die Praxis. In Kiltarff trifft man sich, Michelle, und du gehörst jetzt dazu.«

Ja, dass man sich in so einem kleinen Ort untereinander kannte, war ihr auch vorher schon bewusst gewesen. Das hieß jedoch nicht, dass sie gleich am ersten Abend als ungeladener Gast in eine Party platzen musste. »Aber ich habe gar kein Geschenk«, protestierte sie kleinlaut und wusste bereits, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren. Sie wollte Angus nicht vor den Kopf stoßen, indem sie sich weigerte. Außerdem war sie selbst neugierig auf die Bewohner Kiltarffs. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengrube aus.

Angus ignorierte ihren Einwand wie erwartet und steuerte schnurstracks den Pub an. Michelle verzog die Lippen und merkte, dass sie schief grinste. Dass dieser Abend so enden würde, hatte sie nicht kommen gesehen, aber es machte ihr weniger aus, als sie angenommen hatte, statt unter die Dusche jetzt zu einer Party zu gehen.

»The Lantern« prangte beleuchtet über dem Eingang.

Als Angus die schwere Tür aufzog und ein Schwall warmer Luft zusammen mit Stimmengemurmel, Musik und Lachern aus dem Lokal drangen, wurden ihre Hände feucht. Sie wollte nicht lange bleiben, einfach kurz Hallo sagen. Nervös war sie trotzdem.

Es herrschte reges Treiben im Pub. Vielleicht war nicht das ganze Dorf gekommen, aber doch zumindest das halbe, dachte Michelle. Besonders auffällig war, dass viele der Gäste traditionell in Kilt und Tartan gekleidet waren. Angus und sie bildeten eine der wenigen Ausnahmen.

Im großen, steinernen Kamin loderte ein Feuer. Auf den Tischen brannten Kerzen, es lief Dudelsackmusik im Hintergrund. Über dem mit Speiseplatten bedeckten urigen Tresen hingen bunte Lampions und eine Lichterkette.

»Hübsch hier, nicht?«, fragte Angus mit einem aufmunternden Zwinkern. »Keine Sorge, die Leute beißen nicht.«

Michelle erwiderte sein Lächeln und folgte ihm hinein. Sie hängten ihre Jacken an einer rollbaren Garderobe auf, die vermutlich nur für den heutigen Tag aufgestellt worden war, denn sie wirkte ein wenig fehl am Platz. Dann begann Angus damit, sie allen möglichen Leuten vorzustellen, bis sie sich zum »Geburtstagskind« vorgekämpft hatten.

»Happy Birthday, Kendra!« Angus gratulierte einer jungen Frau mit kupferroten Haaren und umarmte sie freundschaftlich. Er zog daraufhin ein kleines Geschenk, das in rosafarbenem Seidenpapier verpackt war, hervor und überreichte es ihr. »Ich hoffe, dein Argentinier hat dich reich beschenkt, denn ich habe nur eine Kleinigkeit für dich.«

Kendra lachte. »Lieben Dank, Angus! Die Überraschungsparty ist Alejandro wirklich gelungen, ich hatte bis vorhin keine Ahnung!«

Michelle fand sie sofort sympathisch. Angus trat zur Seite und, an Kendra gewandt, sagte er: »Ich habe jemanden mitgebracht. Darf ich dir Michelle Fielding, meine Vertretung, vorstellen? Sie ist eben angekommen, und ich dachte, ich werfe sie direkt ins kalte Wasser«, begann er, und Michelle wurde heiß. Es war ihr zuerst peinlich, aber die Sorge war unbegründet, denn Kendra begegnete ihr mit offenem und herzlichem Blick.

»Alles Gute zum Geburtstag«, wünschte Michelle verlegen und streckte ihre Hand aus, um Kendra zu gratulieren. »Schön, dich kennenzulernen.«

Kendras grüne Augen leuchteten auf, und statt Michelles Hand zu nehmen, umarmte sie sie. »Wie schön! Herzlich willkommen bei uns, Michelle! Ich freue mich, dich kennenzulernen.«

Nach der Begrüßung wandte Kendra sich an Angus. »Es ist toll, dass es mit der Vertretung geklappt hat. Darüber wird Alejandro sich bestimmt sehr freuen, er hatte schon Sorge, dass du einen groben Knochenbrecher engagieren würdest, der ihm noch mehr Schmerzen zufügt als du.«

Von irgendwoher bekamen Michelle und Angus jeweils ein Bier gereicht. Michelle war leicht überfordert mit der Situation und hielt erst einmal die Klappe, obwohl Kendras Begrüßung ihr immerhin ein wenig von der Nervosität genommen hatte.

»Habe ich meinen Namen gehört?« Ein dunkelhaariger, äußerst attraktiver Mann drückte Kendra einen Kuss auf die Wange und strahlte dann in Michelles und Angus’ Richtung.

»Wenn man vom Teufel spricht«, meinte Kendra fröhlich. Ihre Augen funkelten. »Michelle, darf ich vorstellen? Mein Freund Alejandro. Alejandro, das ist Michelle, sie wird Angus in der Praxis vertreten.«

»Halleluja, ich bin erleichtert«, gab Alejandro von sich und begrüßte Michelle mit einem Küsschen rechts und links. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Danke, gleichfalls«, gab Michelle zurück und wusste nicht so recht, was sie sonst sagen sollte. Sie war versucht zu erwähnen, dass sie sich nicht uneingeladen auf der Party vergnügen wollte. Da sie jedoch nicht das Gefühl vermittelt bekommen hatte, unerwünscht zu sein, ließ sie es sein und nippte stattdessen an ihrem Bier.

Mit so einer herzlichen Aufnahme hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie in London auf Partys vorgestellt wurde, lief das oft steif ab, man musterte sich gegenseitig, und es ging erst einmal darum, sich selbst zu präsentieren. Das war in Kiltarff anders, das Kennenlernen war nicht mal ansatzweise oberflächlich oder gar kühl gewesen. »Wenn ihr Hunger habt, am Tresen haben wir ein kleines Buffet aufgebaut, und Drinks gibt es auch genügend«, erklärte Kendra jetzt. »Nachdem ich den Pub von meinen Eltern übernommen habe, ist Alejandro mit eingestiegen und hat aus seinem Hobby eine Passion gemacht. An drei Tagen in der Woche steht er in der Küche, für die übrigen Tage haben wir einen Koch eingestellt, weil wir außerdem noch Pferde und Hochlandrinder züchten. Es wird uns sonst zu viel.«

Der Argentinier wurde von jemandem angesprochen und gab mit einem Lächeln zu verstehen, dass er sich kurz entschuldigen musste, während er mit dem anderen Mann, der auch einen Kilt trug, ein Stückchen zur Seite ging.

Angus war mittlerweile in ein Gespräch mit einem weiteren Schotten vertieft, so dass Michelle allein mit Kendra war. »Ich möchte dich nicht aufhalten, immerhin ist es deine Party, und bestimmt wollen noch mehr Leute mit dir reden«, gab Michelle ihr Gelegenheit, sich wieder ihren Gästen zuzuwenden.

Kendra winkte lächelnd ab. »Du hältst mich nicht auf, im Gegenteil. Ich bin wahnsinnig gespannt zu hören, was dich nach Kiltarff verschlägt.« Sie beugte sich ein wenig nach vorn und fuhr in verschwörerischem Tonfall fort. »Doch nicht etwa ein gebrochenes Herz?«

Michelle war so perplex, dass sie anfing zu lachen. »Nein, gar nicht! Ich brauche einfach einen Tapetenwechsel, eine neue Herausforderung.«

Kendra wirkte überhaupt nicht enttäuscht, sie nickte fröhlich. »Das sind sehr gute Gründe, ich hoffe, du wirst dich bei uns im Dorf wohlfühlen. Schau mal, da kommen Ava und Maisie, zwei gute Freundinnen von mir. Den beiden Goldstücken stelle ich dich am besten gleich mal vor, sie sind wunderbar.«

Gesagt, getan, kurz darauf fand sich Michelle im Gespräch mit der Buchhändlerin Maisie und der hübschen Innenarchitektin Ava wieder. Sie freute sich, dass sie von keiner der Frauen das Gefühl vermittelt bekam, nicht willkommen zu sein. Bisher hatte sich keiner misstrauisch oder skeptisch gezeigt – das genaue Gegenteil also von dem, was Michelle von Leuten aus einer Kleinstadt erwartet hatte. Vielleicht hatte Michelle da auch ein paar Vorurteile gegenüber den Dörflern gehabt.

»Ich bin überrascht, wie viele junge Leute hier sind«, sprach Michelle das aus, was sie dachte. »Ich habe immer geglaubt, auf dem Land leben eher ältere Menschen, und die jungen flüchten sich in die Großstädte.«

Ava grinste. »So ging es mir damals auch, als ich hergekommen bin. Ich konnte gar nicht fassen, wie viele gut aussehende Typen hier wohnen – mittlerweile sind ein paar davon glücklich liiert, aber wir haben noch ein paar Singles zu vergeben, falls du auf der Suche bist.«

»Gott bewahre«, stieß Michelle hervor.

Alle fingen an zu lachen.

»Ja, das dachte ich auch erst«, meinte Ava amüsiert. »Aber das hat sich schnell geändert. Ich hatte eine kleine Firma in London, aber nachdem ich mich in Colin verliebt hatte, habe ich alle Zelte in der Hauptstadt abgebrochen. Hierher verschlagen hat es mich aber zunächst, weil ich einen Großauftrag im Schloss ergattern konnte – aber der Job war nicht der ausschlaggebende Punkt für meinen Umzug. Der Grund war eher der Dunkelhaarige im Kilt da hinten.«

Colin schien zu merken, dass über ihn gesprochen wurde, er hob sein Glas und prostete den Frauen zu. Er sah wirklich gut aus, und dass zwischen ihm und Ava eine besondere Verbindung bestand, spürte man auch über die Distanz.

Michelle wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und schwieg, während Ava und Colin sich gegenseitig mit Blicken verschlangen. Michelle wandte sich an Maisie, auch, weil sie das Paar nicht anglotzen wollte.

---ENDE DER LESEPROBE---