Herzklopfen im Paradies - Melina Meyer - E-Book
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Herzklopfen im Paradies E-Book

Melina Meyer

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Beschreibung

Die Seychellen – der Stoff, aus dem Flitterwochenträume gemacht sind. Doch nicht für Nina! Erstens fehlt ihr der passende Mann zum Heiraten, zweitens das nötige Kleingeld für einen Urlaub auf der herrlichen Inselgruppe im Indischen Ozean. Sie will einfach nur schnell das Hotel verkaufen, das ihr Vater ihr vererbt hat, und dann wieder abreisen. Doch das Coral Beach Hotel ist eine Bruchbude, und Nic Valmont, der einzige Kaufinteressent, ein echter Widerling. Ehe sie an den verkauft, friert die Hölle zu! Guter Rat ist also teuer. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und während sie gegen fiese Intrigen kämpft und ein paar unbequeme Wahrheiten aufdeckt, muss sie erkennen, dass Nic doch gar kein so übler Kerl ist. Oder spielt er ihr nur etwas vor ...?

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Prolog

 

„Herzlich willkommen bei Meier und Steppke, was kann ich für Sie tun?“

Nina Becker drückte die Kopfhörer des ausgeleierten alten Headsets an die Ohren, damit sie die Stimme des Anrufers am anderen Ende der Leitung hören konnte. Das Call-Center, für das sie seit ein paar Monaten arbeitete, zahlte nicht sonderlich gut, die Arbeitszeiten waren fürchterlich, und die Ausrüstung, mit der sie arbeiten mussten, war total veraltet. Doch was sollte sie machen? Sie brauchte den Job und konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein.

„Ja, hallo“, hörte sie eine leise Stimme im Hintergrund, die von einigem Rauschen und statischen Knacken durchsetzt war. „Ich … bestellt und … beschweren, weil …“

Mit einem unterdrückten Seufzen versuchte Nina sich zusammenzureimen, was die Kundin – dem Klang nach handelte es sich um eine ältere Dame – wollte. Im Grunde war es eigentlich immer dasselbe. Der Händler, für den sie telefonierte, verkaufte den Leuten über Drücker-Kolonnen an der Haustür irgendwelchen Krimskrams, der sich am Ende als vollkommen unbrauchbar herausstellte.

„Geben Sie mir doch bitte die Kundennummer, die oben rechts auf dem Lieferschein steht … Nein, das ist die Artikelnummer, die … Es tut mir wirklich leid, dass Sie unzufrieden sind, aber … Nein, bedauerlicherweise ist es mir nicht möglich, Sie mit meinem Vorgesetzten zu verbinden.“

So ging das andauernd. Nina und ihre Kollegen waren so etwas wie die Knautschzone für die Unternehmen, die versuchten, ihre Kunden am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen und sie auf diese Weise zum Bezahlen zu bringen. Es gefiel ihr nicht, und nicht selten nahm sie die Reklamation des Anrufers auch wirklich auf und schickte sie an die entsprechenden Abteilungen. Sie wusste allerdings auch, dass dieses Verhalten sie früher oder später ihren Job kosten würde.

Aber sie war ja bereits daran gewöhnt, dass ihr Leben nicht unbedingt unter einem glücklichen Stern stand. Ihr Vater hatte seine Familie im Stich gelassen, als war sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Obwohl ihre Mutter wie verrückt geschuftet hatte, war das Geld danach trotzdem immer knapp gewesen. Umso mehr motivierte Helene Becker ihre Tochter, sich in der Schule anzustrengen, damit sie später einmal studieren und eine gut bezahlte Arbeit finden konnte.

Nun, mit einem Studium hatte Nina nach dem Abitur auch begonnen. Architektur. Doch schon nach den ersten zwei Semestern war ihre Mutter schwer erkrankt, und Nina hatte sich eine Auszeit von der Uni genommen.

Eine Auszeit, die schließlich mit dem Tod ihrer Mutter geendet hatte. Tja, und dann war ihr Studienplatz futsch gewesen, und sie stand mit einem Berg Schulden da, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte.

Deshalb arbeitete sie nun in gleich zwei Jobs, um Monat für Monat das Geld für die Raten zusammenkratzen zu können.

Die Frau am anderen Ende der Leitung war inzwischen so richtig in Fahrt gekommen, und wenn Nina ehrlich sein wollte, war sie froh, dass sie nur die Hälfte von dem verstehen konnte, was die Kundin sagte.

Nina seufzte. Sie war immer freundlich zu den Kunden. Das war einfach ihre Art. Und anders als ihre Kollegen unterbrach sie für gewöhnlich auch keine Gespräche. Doch als das Handy in ihrer Hosentasche zu vibrieren begann, verabschiedete sie sich kurz und trennte dann die Verbindung.

Es war aus Datenschutz strengstens verboten, Handys mit ins Büro zu bringen, doch niemand hielt sich wirklich daran. Sie stellte ihre Telefonanlage auf Pause, zog sich das Headset ab und eilte zur Toilette.

Zu ihrer Überraschung handelte es sich bei dem Anrufer um ihre Freundin und Mitbewohnerin Kathrin. Sie hatte Nina noch nie auf der Arbeit angerufen.

Stirnrunzelnd nahm Nina das Gespräch an.

„Was ist los, Kathrin? Du weißt doch, dass ich auf der Arbeit nicht telefonieren darf.“

„Ja, ja, aber … Ich dachte, das könnte vielleicht dringend sein … Du hast Post von einem Notar bekommen.“

„Von einem Notar? Wozu denn das?“

„Das habe ich auch gedacht, deshalb hielt ich es für besser, dich anzurufen. Soll ich den Brief … öffnen?“

Nina dachte kurz über das Angebot ihrer Freundin nach. Sie vertraute Kathrin, und sie hatte keinen Grund, etwas vor ihr zu verbergen. „Ja, mach ruhig.“

Sie hörte ein Rascheln am anderen Ende der Leitung, dann ein reißendes Geräusch. Ihr Herz klopfte augenblicklich schneller, dabei wusste sie selbst nicht so genau, warum sie so nervös war. Vermutlich handelte es sich nur um irgendeine Formalität wegen ihrer Mutter.

Trotzdem flatterten ihre Nerven wie verrückt. „Was dauert denn da so lange?“

„Ich hab’s ja, ich hab’s. Also … Sehr geehrte Frau Becker, blablabla … Ihnen mitteilen … Oh …“

„Was ist denn?“, stieß Nina atemlos hervor. „Nun mach’s doch bitte nicht so spannend!“

„Es geht um deinen Vater“, sagte Kathrin.

Irritiert hob Nina eine Braue. „Meinen Vater?“ Es war eine kleine Ewigkeit her, seit sie zuletzt etwas von ihm gehört hatte. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie daran auch eigentlich gar nichts ändern. Sie seufzte. „Wenn das so ist, interessiert es mich nicht …“

„Hör zu, ich weiß, dass du auf deinen alten Herrn nicht gut zu sprechen bist, aber ich glaube, du solltest dir das hier zu Ende anhören.“

Genervt verdrehte Nina die Augen. „Wenn du meinst. Aber mach schnell, ich muss gleich wieder zurück ans Telefon.“

„Nina, es tut mir leid, aber hier steht, dass dein Vater tot ist“, sagte Kathrin leise.

„Oh …“ Mehr sagte Nina nicht. Stattdessen horchte sie in sich hinein. Suchte nach etwas, das man für gewöhnlich in solchen Situationen fühlte. Trauer. Entsetzen. Wut. Doch irgendwie war da nichts von alldem. Zumindest nicht so richtig.

„Und du hast seinen gesamten Besitz geerbt, Nina“, fügte Kathrin nach einer Weile hinzu. „Von jetzt an bist du stolze Besitzerin eines Hotels auf den Seychellen!“

 

 

1.

„Air Seychelles wünscht einen angenehmen Aufenthalt auf den Seychellen.“ Die Stewardess schenkte den Fluggästen ein besonders strahlendes Lächeln. „Wir bedanken uns, dass Sie mit uns geflogen sind, und hoffen, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen.“

Nicht halb so sehr wie ich … Mit einem wehmütigen Seufzen trat Nina hinaus auf die Gangway. Nach der Kühle in der klimatisierten Flugzeugkabine traf die Hitze sie wie ein Schlag. Mit einer Hand beschirmte sie die Augen gegen die Sonne, die strahlend am makellos blauen Himmel stand.

„Ist es nicht traumhaft schön hier?“ Die ältere Dame, die während des Fluges auf dem Platz neben ihr gesessen hatte, lächelte glücklich. „Sie müssen entschuldigen, aber ich träume schon sehr lange von so einer Reise. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich hier bin.“

Ironischerweise erging es Nina ganz ähnlich, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Unter erfreulicheren Umständen wäre sie sicher auch in der Lage gewesen, sich auf ihren Aufenthalt auf Mahé, der idyllischen Hauptinsel der Seychellen, zu freuen. Sonne, kilometerlange Sandstrände und verschwiegene Lagunen …

Vergiss es, du bist hier nicht im Urlaub, rief sie sich zur Ordnung. Es war am besten, wenn sie diese leidige Geschichte so schnell wie möglich hinter sich brachte. Womöglich war es sogar ein Fehler gewesen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, aber Nina hatte mit eigenen Augen sehen wollen, für welche hochfliegenden Träume ihr Vater sie und ihre Mutter im Stich gelassen hatte. Jetzt allerdings war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob es nicht doch besser gewesen wäre, einen Anwalt mit der Wahrung ihrer Interessen zu betrauen.

Nina seufzte. „Ich wünsche Ihnen wirklich von Herzen, dass diese Reise genauso unvergesslich sein wird, wie Sie es sich vorgestellt haben.“

„Da bin ich absolut sicher“, erwiderte die ältere Dame lächelnd, als sie in den Shuttlebus stiegen, in dem die anderen Reisenden schon dicht an dicht gedrängt standen. „Dasselbe wünsche ich Ihnen auch.“

Nun, was das anging, würden sich ihre guten Wünsche sicher nicht erfüllen, davon war Nina überzeugt. Allerdings hatte sie sich damit bereits vor ihrer Abreise abgefunden. Alles, was sie im Augenblick wirklich brauchte, war ein klimatisierter Mietwagen und dann, wenn sie ihr endgültiges Ziel erreicht hatte, eine ausgiebige kühle Dusche, um die Anstrengungen der Reise abzuschütteln.

Zuvor musste sie jedoch noch gut eine halbe Stunde an der Kofferausgabe warten, bis ihr Gepäck endlich auf dem Laufband erschien. Schweißgebadet und entsprechend finster gestimmt, lenkte sie ihren Trolley durch das hektische Gewühl, das in der Ankunftshalle des Flughafens herrschte. Der unerträgliche Lärm, der von allen Seiten auf sie eindrang, trug nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern. So war es für Nina schließlich fast eine Wohltat, das klimatisierte Büro der am Flughafen ansässigen Avis-Niederlassung zu betreten und den Krach und die Hektik hinter sich lassen zu können.

Zielstrebig steuerte sie den Serviceschalter an, hinter dem eine elegante Blondine stand, die gerade in ein Telefonat verwickelt war. Die Frau nickte ihr knapp zu und lächelte geistesabwesend. Nina seufzte. Was soll’s, wenigstens ist es hier drin schön kühl, dachte sie und ließ sich auf einen der Besucherstühle im Eingangsbereich sinken. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Sie wollte nur einen winzigen Moment entspannen, doch als das Glöckchen, das über der Eingangstür hing, leise klingelte, schrak sie zusammen und erkannte verlegen, dass sie eingenickt sein musste. Offenbar war sie doch erschöpfter, als sie es sich hatte eingestehen wollen.

Aber schon eine Sekunde später war ihre Müdigkeit verflogen. Der große, braungebrannte Mann, der soeben das Mietwagenbüro betreten hatte, sah einfach verteufelt gut aus. So gut, dass Ninas Herz augenblicklich schneller zu schlagen begann. Seine perfekt sitzenden Jeans und das kurzärmelige Hemd ließen deutlich erkennen, wie durchtrainiert er war. Er trug sein glattes dunkelbraunes Haar kurz geschnitten, und seine Augen waren so strahlend blau, dass Nina in ihren Tiefen hätte versinken mögen. Im Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut war der Effekt einfach atemberaubend – wie sie an ihrer eigenen Reaktion mühelos erkennen konnte.

Als er ihr jetzt den Rücken zuwandte, hatte sie sich noch längst nicht an seinem Anblick satt gesehen und empfand ein irritierendes Gefühl der Enttäuschung. Zielstrebig ging er auf den Schalter zu, wo die Angestellte gerade ihr Telefonat beendete.

Die Blondine schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Guten Tag, Sir, was kann ich für Sie tun?“

„Mein Name ist Nicolas Valmont, ich …“

Seine Stimme hatte einen rauen, aber nicht unangenehmen Klang, und er sprach Englisch mit einem leichten französischen Akzent. Sexy, schoss es Nina durch den Kopf, doch sie verdrängte den Gedanken hastig. Stattdessen sprang sie auf und schob sich an ihm vorbei, wobei ihre Hand versehentlich seinen Unterarm streifte. Sofort raste ein elektrisierendes Prickeln durch ihren Körper, und ihr Puls beschleunigte sich. Einen Sekundenbruchteil später hatte sie sich wieder unter Kontrolle, stellte aber zu ihrer Überraschung fest, dass ihr die Berührung bereits fehlte. Offenbar war ihr das feuchtheiße Klima der Insel bereits zu Kopf gestiegen.

„Entschuldigung“, sagte sie auf Englisch und maß die Frau hinter dem Tresen mit einem kühlen Blick. „Ich warte schon eine ganze Weile darauf, endlich von Ihnen bedient zu werden. Der Herr ist nach mir an der Reihe.“

„Verzeihung, Sie haben natürlich vollkommen recht.“ Die Blondine lächelte, doch Nina hatte das Gefühl, dass sie sie insgeheim für ihre Einmischung zum Teufel wünschte. Dementsprechend herzlicher fiel ihr Lächeln für ihren zweiten Kunden aus. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, noch einen Augenblick Platz zu nehmen, Mr. Valmont? Sobald ich mit der Dame hier fertig bin, werde ich mich um Sie kümmern.“

Valmont brummte etwas Unverständliches, zog sich aber schließlich zurück, was Nina fast ein wenig bedauerte, da sie nun keine Gelegenheit mehr hatte, seine durchtrainierte Figur zu bewundern. Ob der Oberkörper, der sich unter dem blütenweißen Hemd verbirgt, wohl hält, was er verspricht?, überlegte sie unwillkürlich.

„Hören Sie, Miss, wie Sie sehen, habe ich noch andere Kunden. Wie kann ich Ihnen also helfen?“

Nina schrak zusammen, als sie erkannte, dass sie schon eine ganze Weile verträumt vor sich hingestarrt hatte. Reiß dich zusammen, rief sie sich zur Ordnung.

„Becker“, sagte sie stockend und ärgerte sich über ihre eigene Schwäche. „Mein Name ist Nina Becker. Ich habe im Internet einen Wagen reserviert.“

„Moment, ich sehe mal kurz nach.“ Die Blondine tippte etwas in den Computer ein und nickte dann. „Ja, hier haben wir es. Die Reservierung ist bestätigt, eine Anzahlung erfolgt.“ Sie verschwand in einem Hinterzimmer und kehrte mit einem Autoschlüssel in der Hand zurück. Dann füllte sie ein Formular aus und reichte es Nina zur Unterschrift. „Sie haben übrigens Glück, dass Sie vorab reserviert haben. Im Augenblick sind Mietwagen auf der ganzen Insel rar.“

Nina nahm Wagenschlüssel und Papiere entgegen, drehte sich um und wollte das Büro verlassen, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, zuvor noch einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Ausgerechnet in diesem Moment schaute Nicolas Valmont auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Für eine Sekunde schien Ninas Herz stillzustehen. Ihr wurde schwindelig, und sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Hastig trat sie die Flucht nach draußen an.

Auf dem Parkplatz der Autovermietung angekommen, ärgerte sie sich bereits wieder über ihre heftige Reaktion. Du benimmst dich ja fast, als wäre dir noch nie ein attraktiver Mann über den Weg gelaufen, stellte sie irritiert fest. Sie verstand beim besten Willen nicht, was dieser Valmont an sich hatte, dass sie sich plötzlich fühlte wie ein verknallter Teenager. Vor allem nach dem Fiasko mit Gregor …

Der Gedanke an ihren Ex ließ ihre Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt sinken, und sie wollte nur noch zum Wagen, die Klimaanlage anstellen und dann auf dem schnellsten Weg ins Hotel. Für einen kurzen Moment raubte ihr die Hitze, die ihr entgegenschlug, als sie ins Freie trat, schier den Atem. Zum Glück musste sie ihren Wagen nicht lange suchen, denn es standen insgesamt nur zwei Autos auf dem umzäunten Gelände. Eines davon war ein funkelnagelneuer Chevrolet Coupé, ein Stück weit entfernt stand ein ziemlich heruntergekommenes älteres Ford-Modell, das eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte.

Na, da wird sich jemand ganz gewiss freuen, dachte Nina ein wenig schadenfroh. Schmunzelnd versuchte sie sich den großen Mann in dem winzigen, klapprigen Ford vorzustellen, was ihr aber nicht gelang. Allerdings würde ihm wohl kaum eine Wahl bleiben, sofern er auf einen fahrbaren Untersatz angewiesen war.

Noch immer lächelnd, drückte sie den Funkschlüssel, doch es tat sich nichts. Stattdessen steckte sie nun den Schlüssel ins Türschloss. Ihr Lächeln begann zu schwinden, als sich der Chevrolet auch nach mehreren Versuchen nicht öffnen ließ. Zuerst dachte sie, das Schloss sei defekt. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie begriff, wo das Problem lag. Das Türschloss des Wagens hatte jedenfalls nichts damit zu tun. Es war schlicht und einfach das falsche Auto, denn als Nina ihren Schlüssel probehalber an dem alten Ford versuchte, passte er auf Anhieb.

Nein, das muss ein böser Scherz sein, dachte sie und stöhnte leise. Hatte sich heute denn wirklich alles gegen sie verschworen? Dieser Schrotthaufen verfügte ja nicht mal über eine Klimaanlage!

Nina gehörte gewiss nicht zu der Sorte Frauen, die leicht aus der Ruhe zu bringen waren, doch das hier war selbst für sie zu viel. Aufgebracht stürmte sie zurück in das Büro der Autovermietung. An der Tür wäre sie beinahe mit Nicolas Valmont zusammengestoßen, der gerade das Büro verließ, doch sie beachtete ihn kaum, drängte sich an ihm vorbei und knallte der Angestellten den Wagenschlüssel auf den Tresen.

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!“, fauchte sie gereizt. „Ich habe telefonisch einen Mittelklassewagen reserviert. Was Sie mir hier andrehen wollen, ist allerdings eine echte Frechheit!“

Die Blondine wirkte leicht irritiert. „Ich sagte Ihnen doch bereits, dass momentan ein Mangel an Mietfahrzeugen auf der Insel besteht. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen leider keinen anderen Wagen anbieten.“

Energisch schüttelte Nina den Kopf. Sie wäre nicht sie selbst gewesen, hätte sie sich diese Behandlung einfach so gefallen lassen. „Und was ist mit dem schwarzen Sportwagen da draußen?“, erkundigte sie sich. „Wenn es sein muss, zahle ich auch gerne den Aufschlag für die höhere Fahrzeugklasse.“

„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, Miss Becker. Der Chevrolet ist soeben an einen anderen Kunden vermietet worden.“

Nina starrte die Blondine ungläubig an. „Doch nicht etwa an diesen eingebildeten Kerl von vorhin?“, stöhnte sie. „Das ist nicht fair! Ich war zuerst hier!“

„Nun, es steht Ihnen natürlich frei, Mr. Valmont um einen Fahrzeugtausch zu bitten, aber …“

Kopfschüttelnd winkte Nina ab und stürmte nach draußen. Wenn niemand ihr helfen wollte, gut und schön, dann würde sie sich eben selbst helfen müssen. Sie kochte vor Wut. In ihren Augen war es eine bodenlose Frechheit, sie mit einer alten Klapperkiste abspeisen zu wollen und den einzigen verbleibenden Wagen an einen anderen Kunden abzugeben.

Sie sah Valmont bereits hinter dem Steuer des schwarzen Chevrolets sitzen, als sie den Parkplatz erreichte. Entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, klopfte sie an die getönte Scheibe, die sich kurz darauf mit einem elektrischen Summen herabsenkte.

Jetzt, da sie ihn gut sehen konnte, schätze Nina ihn auf Anfang bis Mitte dreißig. Seine Wirkung auf Frauen musste umwerfend sein – sie selbst war das beste Beispiel dafür. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich, als sie spürte, dass sie ihn schon eine Spur länger angestarrte hatte, als es eigentlich angebracht gewesen wäre.

„Ich …“, begann sie, doch nun, wo sie vor ihm stand, wusste sie plötzlich nicht mehr so genau, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Ihr Kopf war wie leergefegt, und schuld daran war nur dieser verflixte Mann.

„Hallo“, sagte er und erwiderte ungerührt ihren verunsicherten Blick, wobei die ungewöhnlich blauen Augen in dem markanten Gesicht spöttisch aufblitzten. „Kann ich Ihnen helfen oder gehört es vielleicht zu Ihren speziellen Angewohnheiten, wildfremde Männer mit Ihren Blicken auszuziehen?“

Einen Augenblick lang brachte Nina kein Wort heraus. Normalerweise war sie nicht um eine schlagfertige Antwort verlegen, doch jetzt konnte sie vor Scham, Wut und einem anderen, nicht näher definierbaren Gefühl heraus nur empört nach Luft schnappen.

„Sie …“ Zu ihrem Ärger spürte sie, wie sie errötete. „Sie scheinen Ihre Attraktivität leicht überzubewerten, Mister. Aber leider muss ich Sie enttäuschen.“

„Ach ja?“

„Ja. Ich bin Ihnen nämlich nur aus einem einzigen Grund gefolgt.“

Nic musterte die junge Frau neugierig. Schon vorhin im Büro der Autovermietung war sie ihm aufgefallen. Kein Wunder, ihre zinnoberrote Lockenmähne war ein echter Blickfang. Jetzt, wo sie direkt vor ihm stand, musste er allerdings feststellen, dass sie weit mehr zu bieten hatte als eine außergewöhnliche Haarfarbe.

Mit dem dunklen Hosenanzug, der für das hiesige Klima völlig unpassend erschien, schaffte sie es nicht gänzlich, ihre wohlgeformte Figur zu kaschieren. Und ihre strahlend grünen Augen, die ihn jetzt ärgerlich anfunkelten, waren einfach atemberaubend.

Hör auf, sie wie ein verliebter Schuljunge anzuhimmeln, rügte ihn eine innere Stimme. Wirst du denn niemals aus deinen Fehlern lernen?

„Und was für ein Grund wäre das?“, fragte er betont kühl.

„Also, es ist so“, erwiderte sie, und das nervöse Zucken ihrer Mundwinkel strafte ihren gelassenen Tonfall Lügen. „Der Dame von Avis ist leider ein kleiner Fehler unterlaufen. Ich hatte telefonisch einen Mittelklassewagen reserviert, der nun versehentlich an Sie herausgegeben wurde.“

Lässig zuckte er die Schultern. „Mon dieu, das tut mir natürlich leid für Sie, ma belle, aber was erwarten Sie jetzt von mir?“

„Na, ich dachte, das wäre offensichtlich. Ich möchte, dass Sie sofort mit mir zurück in das Büro der Autovermietung gehen und das Missverständnis aufklären.“

Er starrte sie für einen Augenblick verblüfft an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Je suis desolé, es tut mir leid, aber ich muss Ihr freundliches Angebot leider ablehnen. Mir gefällt dieser Wagen nämlich. Nennen Sie mir einen Grund, warum ich ihn wieder abgeben sollte.“

Sie schnappte hörbar nach Luft. „Warum Sie …“ Sie schüttelte aufgebracht den Kopf. „Wenn Sie ein Gentleman wären, würden Sie mir diese Frage gar nicht stellen, Mister!“

„Na gut, ma chére. Sie haben ganz offensichtlich einen völlig verkehrten Eindruck von mir gewonnen. Was kann ich tun, um Sie davon zu überzeugen, dass Sie mich falsch eingeschätzt haben? Ah, ich weiß! Ich lade Sie heute Abend zum Essen ein. Und keine Sorge – ich hole Sie selbstverständlich ab.“ Er zwinkerte ihr zu. „Mit Ihrer Rostlaube können Sie sich ja nirgendwo blicken lassen.“ Flirtete er etwa gerade mit ihr? Nic konnte selbst nicht glauben, was ihm da soeben entschlüpft war.

„Sie … Sie … Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie halten sich wohl für unwiderstehlich, wie? Aber ich sage Ihnen was, Mister: Keine Frau mit ein bisschen Verstand würde sich mit einem Ekel wie Ihnen verabreden.“ Ihre Augen wurden schmal. „Nicht für alles Geld der Welt – und ganz sicher nicht für einen Mietwagen!“

Ihre Worte trafen ihn wie eine kalte Dusche. Ohne es zu wissen, hatte sie einen empfindlichen Punkt bei ihm getroffen. Seine Züge wurden hart. „Na, dann bin ich aber froh, dass wir das geklärt haben“, sagte er kalt. „Sie erlauben, dass ich mich jetzt verabschiede? Ich habe noch einen dringenden Termin und kann es mir nicht leisten, noch mehr Zeit in Ihrer, zugegebenermaßen entzückenden, Gesellschaft zu verbringen. Au revoir!“

„Aber …“, rief sie noch protestieren, doch Nic hatte bereits den Motor angelassen und rollte los. Im Rückspiegel sah er, wie sie ihm fassungslos nachblickte. Rasch schaute er weg. Sein rüdes Verhalten tat ihm jetzt schon fast wieder ein bisschen leid, er hatte einfach überreagiert.

Vergiss sie endlich, sagte er sich selbst. Doch das war, wie er knapp eine Stunde später feststellte, gar nicht so leicht.

„Fichtre!“, fluchte er in seiner Muttersprache. „Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!“

Es war bereits das dritte Mal, dass er an der hübschen, weißgetünchten Kapelle vorbeifuhr. Mach dir nichts vor, Nic, du hast dich hoffnungslos verfahren, dachte er frustriert. Und warum? Wegen einer Frau, die du alles in allem gerade mal fünf Minuten gesehen hast. Es war ihm die ganze Zeit nicht gelungen, sie aus dem Kopf zu bekommen. Und das, wo er sich eigentlich um ganz andere Dinge kümmern sollte.

Seufzend fuhr er an den Straßenrand und checkte noch einmal sein Navi, das steif und fest behauptete, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Blieb nur zu hoffen, dass sich wenigstens der Rest der Angelegenheit, wegen der er hergekommen war, nicht so schwierig gestaltete. Aber eigentlich erwartete er da keine größeren Probleme.

Auf seinem Gebiet war Nicolas ein absoluter Experte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich bei seinem neuen Arbeitgeber, der Hôtel Etoile Hotelgruppe, in die oberste Führungsebene hochgearbeitet. In weniger als acht Monaten hatte er mehr lukrative Geschäfte an Land gezogen als all seine Konkurrenten. Es machte ihm nichts aus, dass er dafür oft achtzehn Stunden am Tag oder länger im Büro verbringen musste. Ihm fehlte nur noch ein winziger Schritt, um sich bis ganz an die Spitze des erfolgreichen Touristikunternehmens zu katapultieren. Und zu Hause – wenn man das Penthouse, in dem er eigentlich nur seine Nächte verbrachte, so nennen wollte – machten ihn die Stille und die Einsamkeit ohnehin nur verrückt.

Er lenkte den Wagen von der Hauptstraße, an der sich Fünf-Sterne-Hotel an Fünf-Sterne-Hotel drängte, und bog in eine kleine, von Kokospalmen und gelbblühenden Allamandabüschen gesäumte Seitenstraße ein. Nach etwa einer halben Meile folgte eine scharfe Kurve, und plötzlich sah er das türkisblau glitzernde Meer vor sich.

Es war ein atemberaubender Anblick, doch Nic hatte im Moment einfach keinen Sinn für die Schönheiten der Natur. Stattdessen klappte er die Sonnenblende herunter, um seine Augen gegen das grelle Sonnenlicht zu beschirmen. Dabei fiel sein Blick in den kleinen Spiegel, der an der Rückseite der Blende angebracht und normalerweise durch einen Schieber verdeckt war. Jetzt lag der Spiegel frei. Nic runzelte die Stirn. Der mürrisch dreinblickende Kerl, der ihm daraus entgegenblickte, war ihm selbst fremd.

Früher war er ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch gewesen. Früher – das schien ihm schon eine Ewigkeit her zu sein …

„So, nun haben Sie alles gesehen, Miss Nina.“ Die rundliche Spanierin, die sich als Rosalinda Gonzales vorgestellt hatte, lächelte strahlend. „Und? Was sagen Sie? Es ist nicht gerade ein Fünf-Sterne-Hotel, ich weiß, aber das Coral Beach hat viel mehr Charakter als diese monotonen Touristenbunker, finden Sie nicht?“

„Nun ja.“ Nina wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Ich …“

„Ach, wo bin ich nur mit meinen Gedanken?“, rettete Rosalinda sie aus der Klemme. „Der lange Flug, die Klimaumstellung. Sie müssen völlig erledigt sein, Miss Nina. Sicher möchten Sie sich erst einmal ein Weilchen ausruhen, nicht wahr?“

„Bitte, nennen Sie mich doch einfach Nina.“ Sie lächelte. „Das ‚Miss‘ klingt so förmlich. Und ausruhen kann ich mich auch später noch. Eigentlich würde ich lieber einen Blick in die Bücher werden.“

„Natürlich, ich führe Sie in das Büro Ihres Vaters.“

Die Bezeichnung ‘Büro’ erschien Nina angesichts des kleinen, vollgestellten Raumes, der sich direkt hinter der Rezeption befand, ein wenig übertrieben. Der Schreibtisch sah aus, als wäre eine Bombe darauf eingeschlagen, und die Aktenschränke an den Wänden quollen beinahe über. Nina konnte sich gerade noch zusammenreißen, um nicht die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.

„Und wo ist der Computer?“, fragte sie Rosalinda.

„Computer?“ Die Frau lachte schallend. „Es tut mir leid, aber ich fürchte, Ihr Vater ist kein großer Freund von technischen Geräten.“ Dann wurde sie plötzlich ernst. „Ich meine natürlich, er war …“ Sie seufzte. „Es fällt mir noch immer schwer, von ihm in der Vergangenheit zu sprechen. Ihr Vater war ein so liebevoller Mensch. Er wird uns allen hier schrecklich fehlen.“

Mühsam schluckte Nina einen abfälligen Kommentar herunter. Rosalinda hatte sie sofort freundlich empfangen, und ihre Worte schienen wirklich von Herzen gekommen zu sein. Es erschien ihr nicht richtig, sie vor den Kopf zu stoßen – auch wenn sie selbst ein völlig anderes Bild von Roland Becker hatte.

„Ich lasse Sie dann mal allein. Es sind zwar nicht allzu viele Zimmer belegt, aber die Arbeit macht sich trotzdem nicht von selbst.“

„Natürlich.“ Nina war regelrecht erleichtert, als sie endlich für sich war. Stöhnend barg sie das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Vor knapp zwei Stunden hatte sie das Coral Beach Hotel erreicht – und seitdem einen Schock nach dem anderen erlebt.

Schon von außen war kaum zu übersehen gewesen, dass das Hotel ihres Vaters seine guten Tage längst hinter sich hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---