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Wenn die Weihnachtsüberraschung anders ausfällt als gedacht … Trennung statt Verlobungsring – so hat Marie sich das nicht vorgestellt! Kurzerhand packt sie ihre Sachen und flüchtet in die Blockhütte ihrer besten Freundin. Eine Auszeit in den Bergen erscheint ihr genau richtig, um ihr gebrochenes Herz zu flicken und wieder in Weihnachtsstimmung zu kommen. Immerhin stehen die Feiertage vor der Tür! Dummerweise hat ihr Plan einen großen Haken: Kellan. Er ist nicht nur der Bruder ihrer besten Freundin und verdammt gutaussehend, sondern kann sie auch nicht leiden. Als er urplötzlich ebenfalls in der Hütte auftaucht und sie ihn beinahe vermöbelt, scheint ihr Plan zum Scheitern verurteilt zu sein. Doch ein Schneesturm hält die beiden gefangen, und schon bald bemerken sie, dass die Hitze zwischen ihnen nicht einzig auf das prasselnde Kaminfeuer zurückzuführen ist. Je länger das Unwetter anhält, desto mehr geraten ihre Gefühle durcheinander … Heiße Schokolade, Kaminfeuer und Schnee. Die perfekte Mischung für eine winterliche Romanze. Aber haben die beiden überhaupt eine Chance?
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Herzklopfen im Schnee
Emma S. Rose
1. Auflage
November 2020
© Emma S. Rose
Rogue Books, Inh. Carolin Veiland, Franz - Mehring - Str. 70, 08058 Zwickau
Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung Stockfotografien von Vasyl; Subbotina Anna / Adobe Stock sowie Shumo4ka / Shutterstock
Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten.
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Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, liegen alleine bei der Autorin. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadensersatz.
Sämtliche Figuren und Orte in der Geschichte sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit bestehenden Personen und Orten entspringen dem Zufall und sind nicht von der Autorin beabsichtigt.
Für meinen geliebten Opi.
Du wirst immer einen ganz besonderen Platz
in meinem Herzen haben.
Alles, worauf die Liebe wartet, ist die Gelegenheit.
MIGUEL DE CERVANTES
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Epilog
Danksagung
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Über den Autor
Schöne Bescherung – im wahrsten Sinne des Wortes!
Schniefend wische ich mir über die Nase und versuche, die bitteren Tränen hinunterzuschlucken, die sich erneut einen Weg Richtung Oberfläche bahnen. Ich will nicht mehr weinen! Will nicht eine einzige Träne mehr wegen dieses Blödmanns vergießen! Und doch überkommt mich immer wieder dieses schreckliche Brennen hinter den Lidern und in der Kehle; verräterische Trauer um einen Kerl, der es sowieso nicht verdient hat.
So ein Arsch!
Mein Leben war bis gestern wirklich perfekt. Als freie Lektorin für verschiedene Verlage und Indies kann ich praktisch überall arbeiten, lebe damit schon seit zwei Jahren meinen absoluten Traum. Was gibt es Schöneres, als all seine Energie in die Entstehung neuer literarischer Werke zu stecken? Für mich nicht viel.
Zudem war ich drei Jahre lang in einer festen Beziehung mit einem Mann, den ich während des Studiums kennen- und lieben gelernt habe. Ich war mir sicher, dass er mir bald einen Antrag machen würde; wir waren glücklich.
Zumindest dachte ich das.
Blöderweise stellte sich gestern heraus, dass ich selbst einem Hirngespinst hinterhergerannt bin, während Leif offenbar viel klarer gesehen hat. Für ihn war unsere Beziehung nichts weiter als ein Zeitvertreib, ehe er die »Richtige« findet. Ich war seine Zwischenlösung, ein bequemer Platzhalter, nett an der Seite zu haben, nett im Bett, aber eben nicht dauerhaft. Klingt hart? Ja, finde ich auch. Hat er mir aber genau so um die Ohren gehauen. Gestern, als wir eigentlich unsere Koffer für einen Kurztrip packen wollten. Ich schniefe erneut, dieses Mal klingt es wütender. So ein beschissenes Timing! Ich hatte sogar schon ein kleines Vor-Weihnachtsgeschenk für ihn besorgt, und ich war wirklich überzeugt davon, dass er mir einen romantischen Antrag im Schnee machen würde. Gott, was bin ich nur für ein naives Ding! Stattdessen kam er mit diesem ernsten Blick daher und hat mit einem Schlag meine Hoffnungen zerstört. Als wären sie nichts wert, als würden sie nichts bedeuten …
Das Brennen hinter meinen Augen wird stärker. Spontan beschließe ich, zumindest eine kurze Pause einzulegen und mich zu sammeln. Zwar bin ich die Fahrerei langsam leid und würde lieber endlich ankommen, aber dafür brennen Wut und Scham so lodernd in mir, dass ich das Feuer erst einmal bekämpfen muss. Idealerweise mit einem Kakao. Alkohol kann ich mir aktuell ja leider noch nicht gönnen.
Als nur wenige Minuten später eine Ausfahrt auftaucht, setze ich kurzerhand den Blinker. Etwas flotter als nötig biege ich ab, lache dabei über mich selbst. Es wäre absolut typisch, wenn ich jetzt im Graben landen würde. Aber es geht gut und ich gleite in eine freie Parklücke direkt hinter der Tankstelle. Zwar bietet dieser Rasthof keine bekannte Fastfoodkette, aber ich nehme mit dem Angebot des kleinen Shops vorlieb und gebe eine horrende Summe für Eiskaffee, zwei Tetrapaks Kakao und eine schwindelerregende Menge an Schokoriegeln und Nüssen aus. Vermutlich wirke ich leicht irre, während ich mit roten Wangen und verquollenen Augen den ganzen Kram eilig in meine Handtasche stopfe, bis ich den Reißverschluss nicht mehr schließen kann, nur um dann eiligen Schrittes davonzueilen. Ganz wie ein Junkie auf der Jagd nach seiner nächsten Dosis. In meinem Fall: Zucker.
Erst zurück im Wagen atme ich wieder durch, doch kaum habe ich den Motor gestartet, schießen mir wieder verräterische Tränen in die Augen – dieses Mal, weil einer meiner liebsten Weihnachtssongs im Radio ertönt. Last Christmas. Ja, ich gehöre zu der Fraktion jener, die offen dazu stehen, ihn zu mögen, anstatt jedes Mal zu stöhnen, sobald die ersten Takte erklingen. Leif hat mich immer damit aufgezogen, aber als ich ihn vergangenes Jahr in den gleichnamigen Kinofilm geschleppt habe, war er doch angetan. Hat er zumindest behauptet. Dummerweise stelle ich nun alles infrage – und den Song genießen kann ich auch nicht mehr. Zumindest nicht jetzt.
Verdammt! Ich bin nichts als ein Häuflein Elend, das eine gute Woche vor Weihnachten alleine in die Berge flüchtet, um dort sein gebrochenes Herz zu kitten. Im Gepäck: Schokolade, Nüsse, Kakao und die Last der gesamten letzten Jahre. Großartig.
Das letzte Stück bringe ich schnell hinter mich. Auf dem Beifahrersitz wächst der Haufen Cellophan-Papier, weil ich einen beträchtlichen Teil der überteuerten Riegel direkt in mich stopfe, mich dadurch aber doch nicht besser fühle. Am Horizont ballen sich dunkelgraue Wolken zusammen, die einen Teil der Berge bereits bedecken. Normalerweise ist der Anblick spektakulär, doch heute sind die Spitzen gar nicht erst zu erkennen und die Dörfer am Fuße der Berge wirken, als würden sie bald von grauen Massen begraben werden. Es hat etwas Bedrohliches an sich, obwohl ich weiß, dass es nichts als schlichte Wolken sind. Keine Lawinen, kein Weltuntergang. Und dennoch: Bisher waren die Berge jedes Mal von strahlendem Sonnenschein beleuchtet, der blaue Himmel ungebrochen, wenn ich hergekommen bin. Dreimal war ich schon hier, jedes Mal mit meiner besten Freundin Kira. Mein Ziel, eine rustikale Berghütte, gehört ihren Großeltern, die mittlerweile aber zu alt sind, um dort noch Urlaub zu machen. Wir haben daraus Mädels-Trips gemacht, mit Schneespaziergängen, Ski-Versuchen (bei denen ich glorreich gescheitert bin), heißem Kakao mit Marshmallows und kuscheligen Abenden vor dem offenen Kamin. Leif hat uns kein einziges Mal begleitet, teils, weil wir es nicht wollten, teils, weil ihm diese Art von Urlaub zu »rudimentär« war. Auf gut Deutsch: Kiras Hütte in den Bergen ist Leif-Erinnerungsfreie-Zone. Grund genug, jetzt hierherzukommen. Als ich Hals über Kopf meine Sachen gepackt habe, hatte ich sofort Kiras Worte im Ohr. Bei unserem letzten Trip hat sie mir am – zugegebenermaßen weinlastigen – letzten Abend versichert, dass ich jederzeit herkommen dürfte und mir feierlich ihren Ersatzschlüssel überreicht. Nur deshalb bin ich unterwegs. Ohne ihr Wissen – denn wenn ich ihr gesagt hätte, dass Leif mich verlassen hat, hätte sie mich niemals alleine fahren lassen – und ohne wirklichen Plan.
Die Wolken werden dunkler, türmen sich zunehmend höher auf. Nervös beäuge ich die massive Front, die immer tiefer ins Tal vorzudringen scheint. Noch ist sie weit von meinem Ziel entfernt, aber wer weiß, was sich dort zusammenbraut. Ich bin so überstürzt aufgebrochen, dass ich gar nicht daran gedacht habe, die Wettervorhersage zu prüfen. Ich erinnere mich, dass die Hütte mit einem Notfallgenerator ausgestattet ist. Sollte es ein Unwetter geben, werde ich nicht ohne Strom dastehen. Viel wichtiger erscheint es mir plötzlich, Vorräte zu besorgen. Eigentlich wollte ich das morgen machen, mich heute einfach von meinem Schrott ernähren. Doch angesichts der heranrückenden Wolkenfront ändere ich spontan meinen Plan und mache einen weiteren Stopp beim letztmöglichen Supermarkt. Primäre Posten in meinem Einkaufswagen: Kohlenhydrate, Kaffee, noch mehr Schokolade und Wein. Es ist mir nicht einmal peinlich, als der Kassierer die Sachen scannt. Soll er doch denken, was er will.
Die kommende Woche werde ich mich einigeln und niemandem unter die Augen treten, inklusive Frustessen, Leggings und ungewaschenen Haaren. Danach … werde ich über die Feiertage zu meinen Eltern fahren und einen neuen Lebensabschnitt antreten, als die neugeborene Marie, Single, aber froh darüber, selbstbewusst und karriereorientiert.
Und nicht mehr traurig.
Der Gedanke gefällt mir, auch wenn mir eine leise Stimme zuflüstert, dass es ganz sicher nicht so leicht werden wird. Egal. Man klammert sich an jeden Strohhalm, und das hier ist meine letzte, verbliebene Hoffnung. Ich werde das Beste daraus machen.
Die Sonne steht bereits merklich tiefer, als ich die Zivilisation hinter mir lasse und die schmale Straße ansteuere, die in Schlangenlinien den Berg hinauf führt. Die Luft knistert, so als würde sich etwas Großes anbahnen. Nun, Überraschung – das tut es auch. Die Wolken kommen näher und sie werden dunkler. Es wird dringend Zeit, mich in Sicherheit zu bringen.
Beinahe verpasse ich die kleine private Zufahrt, die zu Kiras Blockhütte führt; fasziniert von den Mengen an Schnee, abgelenkt von den tief hängenden Ästen und dem Glitzern, das noch zu erkennen ist, obwohl sich die Lichtverhältnisse bereits rapide verschlechtern. Erinnerungsfetzen ziehen an meinem inneren Auge vorbei; an Ausflüge, die von wesentlich weniger Schwere begleitet wurden. Plötzlich mischt sich ein anderes Gefühl unter. Die schwere Betrübtheit wird von etwas Kribbelndem aufgelockert; Vorfreude. Zum ersten Mal seit mehr als 24 Stunden spüre ich, wie meine Mundwinkel in die Höhe zucken. Kurz nur, nicht viel mehr als der schwache Abklatsch eines Lächelns, aber besser als nichts.
Das werte ich als gutes Zeichen.
Endlich taucht es vor mir auf. Das kleine, aber massive Blockhaus wirkt verwaist, die Fenster dunkel. Augenblicklich bemerke ich, wie mich eine Welle der Erleichterung erfasst. Die kommenden Tage entfalten sich bereits deutlich vor meinem inneren Auge. Ein Stückchen hinter dem Blockhaus, am Ende der Zufahrt, gibt es einen Carport, in dem ich meinen Wagen parke. Sobald ich den Motor abstelle, klackt es laut im Innenraum; die Stille dröhnt in meinen Ohren. Ich atme ein paar Sekunden tief durch, starre an die dunkle Rückwand – dann löse ich ruckartig den Gurt. Es wird Zeit, diese kleine Mitleidsblase gegen eine größere einzutauschen.
Dreimal muss ich gehen, ehe ich meine Sachen und die Einkäufe sicher in der Hütte verstaut habe. Der Wind frischt merklich auf und mein Herz pocht heftig. Scheinbar habe ich es noch so gerade eben geschafft, ehe was auch immer sich über mir entlädt. Die Luft in der Hütte ist im Vergleich zu draußen stickig und abgestanden, weshalb ich die Fenster kurz aufreiße. Zwar lasse ich damit auch die Kälte hinein, aber dagegen kann ich gleich mit dem Kamin angehen. Erschaudernd und gleichzeitig erfüllt von dem Gefühl, eine riesige Last hinter mir gelassen zu haben, stehe ich an dem riesigen Fenster im hinteren Bereich der Hütte, noch immer in dicker Winterjacke und mit brennenden Fingerspitzen. Von hier aus kann man über eine kleine Lichtung blicken, ehe etwa fünfzig Meter weiter steile Felswände in die Höhe schießen. Auf dieser Seite des Bergs gibt es mehrere Hütten wie diese, sie alle sind auf kleinen Plateaus errichtet und schmiegen sich an den wachsenden Hang. Einst haben Kiras Großeltern diese kleine Oase gebaut; ich weiß, wie stolz sie auf ihr Werk sind, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr herkommen. Das übernimmt der Rest ihrer Familie. Ich seufze leise. Auf dieser kleinen Lichtung haben Kira und ich bereits mehr als einmal Schneeengel gemacht, und auch jetzt spiele ich mit dem Gedanken, mich auf die jungfräulich wirkende Schneedecke zu werfen; doch dazu fehlt mir die Leichtigkeit.
Noch.
Ich nehme mir fest vor, spätestens am Ende des Trips genau das zu tun. Mit Weihnachtsmusik im Ohr und heißem Kakao, der in der Hütte auf mich wartet. Beinahe grimmig entschlossen nicke ich mir selbst zu. Das klingt doch nach einem Plan.
Nach einer Weile schließe ich die Fenster und hocke mich vor den Kamin, um ein Feuer zu entfachen. Wer auch immer zuletzt hier war, hat den Holzkorb großzügig gefüllt, die Scheite sind trocken und groß. Ich stelle mich zwar ziemlich ungeschickt an, schaffe es aber irgendwie, eine kleine Flamme zu entzünden. Seufzend plumpse ich auf den Hintern, noch immer in Jacke und Schal, und starre auf die Feuerzungen, die gierig am Holz und den alten Zeitungsresten lecken. Es qualmt etwas mehr als nötig, aber der harzige Geruch von altem Holz erfüllt mich mit Behaglichkeit, verdrängt zumindest kurzfristig all die komplizierten Gefühle. Am liebsten würde ich mir stolz auf die Brust klopfen. Hugh, ich habe Feuer gemacht! Bei diesem Gedanken muss ich lächeln. Es kann so einfach sein. Eine kleine Hütte in den Bergen, Feuer, Wein und Nudeln. Die fiesen Trennungsschmerzen flachen etwas ab – und im Laufe der nächsten Tage werde ich mit Sicherheit auch geübter, was das Entzünden des Feuers angeht.
Ehe ich für immer hier sitzen bleibe und mich von den Flammen hypnotisieren lasse, rapple ich mich schließlich auf, schäle mich aus der Jacke und bringe meine Sachen in das erste der beiden Schlafzimmer. Normalerweise schlafe ich in dem anderen, aber dieses hat die schönere Aussicht, und da ich alleine bin, kann ich ausnahmsweise frei wählen. Nur kurz zögere ich, ehe ich mein Handy mit der Anlage verbinde und eine Playlist mit Weihnachtsliedern öffne. Ja, es tut weh, mich von diesem Heile-Welt-Zauber einhüllen zu lassen, wo in meinem Herzen doch gerade ein solches Durcheinander herrscht, aber gleichzeitig wächst mein Widerwille. Normalerweise liebe ich die Weihnachtszeit – das will ich mir jetzt, auf der Zielgeraden, nicht versauen lassen!
Grimmig singe ich mit; zunächst mit wackeliger Stimme, dann immer sicherer. Mit jedem verklingenden Song fällt es mir leichter. In den Pausen zwischen zwei Liedern höre ich, wie der Wind weiter zunimmt und um die Ecken pfeift; zufrieden darüber, mich sicher im Warmen zu wähnen, macht mir das Wetter plötzlich keine allzu großen Sorgen mehr. Im Gegenteil. Lächelnd wickele ich mich in eine Decke und kuschele mich auf die Couch, starre in die Flammen und versuche, meinen Kopf auszuschalten.
Als es zunehmend dunkel wird und ich ein paar zusätzliche Lampen anknipsen muss, ziehe ich in Erwägung, Kira Bescheid zu geben, verschiebe diese Entscheidung jedoch auf morgen. Noch bin ich nicht bereit für die Art von Gespräch, die unweigerlich auf mich zukommen würde. Stattdessen koche ich die erste von vielen geplanten Portionen Nudeln mit Tomatensoße, gieße mir ein großzügiges Glas Rotwein ein und kehre zurück auf die Couch neben dem Kamin. Langsam wird es warm und gemütlich, die graue Wolldecke ist nicht mehr nötig. Ich lasse meinen Blick durch die Hütte schweifen. Als sie damals gebaut wurde, lag das Hauptaugenmerk nicht auf Luxus. Es musste funktional sein und gemütlich. Das Erdgeschoss besteht eigentlich aus nichts weiter als einem einzigen, großen Raum. Rechts vom Eingang befindet sich die offene Küche, die nicht gerade riesig, aber mit allem Wichtigen ausgestattet ist. Ein grober Holztresen mit drei Hockern grenzt sie vom Rest des Raumes ab, direkt dahinter steht noch ein Esstisch, der Platz für bis zu acht Personen bietet, obwohl es effektiv nur vier Betten in zwei Schlafzimmern gibt. Die befinden sich im ersten Stock, erreichbar durch eine langgezogene, offene Treppe auf der linken Seite des Eingangs, unter der sich die Garderobe befindet. Zwischen den Schlafzimmern liegt das geräumige Bad mit einer freistehenden Badewanne auf Klauenfüßen und einer riesigen Dusche, der wohl einzige, richtig luxuriöse Raum. Trotz allem füllt der erste Stock nur die Hälfte der Hütte aus, abgegrenzt von einer Galerie und einer kleinen Leseecke auf der einen Seite. Die andere Hälfte des Hauses ist offen bis zum Dachgebälk, das sich rustikal und dunkel über mir erstreckt. Besonders gemütlich sind die vielen Details. An jedem freien Ort befinden sich Regale mit Büchern. Dicke, gemütliche Kissen, weiche Wolldecken und geschmackvolle Dekoration erfüllen ebenfalls ihren Zweck. Die Möbel mögen schon etwas älter sein, aber allesamt sind sie rustikal und stabil. Besonders hat es mir der Ohrensessel neben dem Kamin angetan; dort werde ich mit Sicherheit noch viele Stunden sitzen und lesen. Im Prinzip sind es einzig die technischen Geräte, die mich daran erinnern, mich nicht auf eine Zeitreise in die Vergangenheit begeben zu haben. Der riesige Fernseher zum Beispiel, der an der Wand rechts vom Kamin hängt, oder die dezenten Lautsprecher der Dolby-Surround-Anlage, die an den Wänden befestigt wurden. Ich seufze tief durch, während ich mich auf der bequemen, wenn auch durchgesessenen Couch ausstrecke und meine Füße in das Schaffell grabe, das am einen Ende über den Bezug geworfen ist. Kurz überlege ich, den Fernseher anzuschmeißen, entscheide mich dann aber doch für Ruhe und das beruhigende Knistern des Feuers. Selbst die Musik stelle ich aus.
Mittlerweile ist der Wind so laut geworden, dass es im Gebälk ächzt und knackst. Mit zuckenden Mundwinkeln ziehe ich mein Handy hervor, um den Wetterbericht zu prüfen – und stöhne auf, halb belustigt, halb entnervt. Natürlich kündigen sie einen Schneesturm an. Nur ich kann das Glück haben, genau dann in die Berge zu fahren, wenn ein solches Unwetter droht. Gott sei Dank bin ich nicht ein paar Stunden später losgefahren. Ich habe in ausreichenden Mengen eingekauft und nicht vor, so schnell meine Festung zu verlassen, kann den Sturm also einfach aussitzen. Wenigstens habe ich damit die perfekte Begründung, mich ein paar Tage lang von jeglicher Zivilisation zurückzuziehen.
Irgendwann verlasse ich meine kleine Sofafestung, um den Laptop zu holen. Eine Weile ziehe ich in Erwägung, an meinem aktuellen Auftrag weiterzuarbeiten, bleibe dann jedoch bei Facebook hängen, wo mir ausgerechnet eine Statusänderung von Leif ins Auge fällt.
Er ist nun Single. Und er hat offenbar keine Zeit verschwendet, um das aller Welt zu verkündigen.
Schon verfliegt sie, meine kurzfristige Motivation, verschwindet in dem schwarzen Loch, das seit gestern unaufhörlich an mir nagt. Kurzerhand klappe ich meinen Laptop wieder zu und springe auf, um mir den Wein zu holen, dieses Mal gleich die ganze Flasche. Es ist sowieso mein erster Tag; ich habe mir verdient, mich zu betrinken. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Deprimiert und in Gedanken bei einer mehr als bekannten Roman- und Filmfigur summe ich schräg »All by myself«, dann gieße ich mein Glas randvoll. Das ist Tag eins. Ich kann es mir noch erlauben, mich von ihm runterziehen zu lassen.
An meinem neuen Ich arbeite ich ab morgen.
»Fuck!