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Ein Bed and Breakfast, ein berühmter Musiker inkognito und ein Sommer voller Gefühle Surfen und Poolpartys gehören zu Ninas entspanntem Alltag in Australien. Bis der plötzliche Tod ihrer Oma sie zurück in ihre alte Heimat an die Ostsee bringt. Der Bauernhof, auf dem sie ihre ganze Jugend verbracht hat, ist auf einmal ein modernes Bed and Breakfast, das kurz vor der Eröffnung steht. Während Nina völlig überfordert versucht, Oma Josies Traum weiter zu führen, taucht der nervigste Gast aller Zeiten auf. Fabio Smith bringt Nina mit seinen unverschämten Sonderwünschen ständig auf die Palme. Ausgerechnet ihn soll sie einen ganzen Monat lang ertragen. Was Nina nicht ahnt: Fabio ist ein berühmter Sänger, der nach einem Skandal vor den Paparazzi flüchtet und um jeden Preis unerkannt bleiben möchte. Auch wenn Nina anfangs immun gegen seinen Charme ist, ändert sich das, sobald sie seine einzigartige Stimme hört ... Dieser Sommerroman versprüht pure Urlaubsstimmung – vollgepackt mit Humor, Romantik und Herzklopfen entführt er dich ans Meer und sorgt für ein echtes Feel-Good Leseerlebnis! Für alle, die diese Tropes lieben: enemies to lovers, holiday romance, secret popstar, forced proximity, slow burn
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
Epilog
Soundtrack
Danke
Leseprobe
Über die Autorin
Herztausch
Lisa Ebinger
Impressum
Copyright © Lisa Ebinger 2025
Fotoatelier Ebinger
Am Obertor 11, 72622 Nürtingen
Dieses Buch wurde über tolino media veröffentlicht. ISBN 9783819401961
Alle Rechte vorbehalten.
Die Vervielfältigung, Verbreitung oder Weitergabe, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Genehmigung der Autorin nicht gestattet.
Umschlaggestaltung: Lisa Ebinger
Verwendung von Adobe Stock Motiven
Alle Charaktere in dieser Veröffentlichung
sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit
mit realen Personen, lebend oder verstorben,
ist rein zufällig. Außer Hans, der Hahn. RIP Hans.
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Für Jasmin – eigentlich habe ich dieses Buch nur für dich geschrieben.
Und für alle, die beim Autofahren völlig ausrasten, wenn der Lieblingssong im Radio läuft und in voller Lautstärke mit grölen.
Musik wäscht den Staub des Alltags von der Seele. (Berthold Auerbach)
Für alle Musiker da draußen, die uns mit ihren Melodien verzaubern, unsere Herzen berühren und den Soundtrack zu unserem Leben schreiben - eure Musik macht den Alltag bunter.
An dieser Stelle ganz besonderen Dank an Christoph Sakwerda! Dein Song Herztausch war die ultimative Inspiration für dieses Buch.
Nina
Ich spürte die Wellen unter meinem Surfbrett hinweg rollen. Die Sonne Australiens spiegelte sich glitzernd in den klaren Wassermassen, während ich auf meinem Brett auf dem offenen Meer saß. Jack und ich saßen schon eine Weile hier und warteten auf die perfekte Welle.
„Die nächste nehme ich“, rief er mir zu und fing an zu paddeln. Er wurde immer schneller, bis die Welle sein Board erreichte. Dann stellte er sich blitzschnell auf und verschwand mit der Spitze der Welle aus meinem Sichtfeld Richtung Strand. Jack beherrschte das Surfen wie kein anderer. Kein Wunder, dass er seine Passion zum Job gemacht und Surflehrer geworden war. Mit zweiundzwanzig hatte er seine eigene Surfschule in Byron Bay gegründet.
Die nächste Welle sah vielversprechend aus und auch ich begann zu paddeln. Mit kräftigen Bewegungen schob ich mein Board an und passte den richtigen Moment ab, um mich aufzustellen. Das Gefühl, eine Welle zu reiten war für mich auch nach vielen Jahren noch unbeschreiblich. Da war immer dieser Adrenalinkick, wenn das Brett diese gewaltigen Wassermassen entlang glitt. Ich strecke meine Hand aus und berühre die Wasserwand neben mir, die mich zum Strand schob. Mit einem Flip wechselte ich die Richtung und Stolz durchströmte mich, weil ich das Surfboard mittlerweile wie ein Profi beherrschte.
Als ich am Wategos Beach ankam, wartete Jack schon auf mich. Auch er strahlte mich stolz an und legte einen Arm um mich, während wir durch den warmen Sand zum Surfshop liefen.
„Du hast es im Blut, Babe“, murmelte er an mein Ohr und küsste mich auf die Schläfe. Wassertropfen perlten an seinem vom jahrelangen Surfen gestählten Oberkörper herunter. Er schüttelte seine schulterlangen hellbraunen Haare und lachte, weil ich mich deswegen wegdrehen wollte.
„Du bist doch kein Hund“, schimpfte ich und gab ihm einen Klaps auf den Po.
„Ich könnte heute Nacht dein Hund sein.“
Seine grünen Augen leuchteten, als er mich frech ansah. Grübchen begleiteten sein breites Lächeln und ich fragte mich, wie um alles in der Welt ich es geschafft hatte, dass ich diesen attraktiven Mann meinen Freund nennen durfte.
„Du bist echt unglaublich unanständig“, protestierte ich ebenfalls mit einem Lachen.
Sein Kumpel Liam nahm unsere Bretter entgegen, als wir bei unserer Surfschule ankamen.
Heute war unser freier Tag. Aber sogar da konnten wir unsere Finger nicht von den Boards lassen. Es war, als hätte das Meer eine magische Anziehungskraft auf uns.
„Kommt ihr nachher zu mir? Ich habe ein paar Leute zur Poolparty eingeladen“, rief Liam uns über die Schulter zu, während er unsere Boards abspritzte.
„Klar, klingt gut“, antwortete ich.
Obwohl das Meer vor der Haustür lag, hatten trotzdem fast alle hier in Byron Bay einen Pool.
Jack und ich duschten uns hinter der Surfschule ab und ich schlüpfte in Shorts und einen grauen Hoodie, auf dem das bunte Logo der Surfschule aufgedruckt war. Es hatte angenehme zwanzig Grad hier im australischen Winter. Ich liebte es, das ganze Jahr von der Sonne geküsst zu werden. Selbst im Winter konnte man mit Flip Flops durch die Gegend laufen. Frieren war für mich zu einem Fremdwort geworden.
♫♪ Francis on my mind – Swimming pools ♫♪
In Liams Pool befanden sich bereits vier hübsche Frauen und tranken Sekt, als wir bei der Party ankamen. Jack klopfte ihm zur Begrüßung anerkennend auf die Schulter, doch ich verdrehte nur die Augen. Das war typisch Liam. Eine neue Frau reichte ihm nicht, es mussten gleich vier sein. Hoffentlich waren sie nicht alle miteinander verwandt. Es kursierten die wildesten Geschichten über seine Errungenschaften. Angeblich hatte er einmal sogar Zwillinge abgeschleppt.
Liam war wie ein Bruder für Jack und auch mir war er mit den Jahren sehr ans Herz gewachsen. Aber was seine Frauengeschichten anging, schaute ich lieber nicht zu genau hin. War ich froh, dass Jack da anders war. Für ihn gab es nur mich. Seit über neun Jahren waren wir ein Paar und er schaute mich immer noch verliebt an.
Jemand drückte mir eine Flasche Bier in die Hand. Wir begrüßten den Rest unserer Freunde und machten es uns auf den Liegestühlen am Pool gemütlich. Jack Johnson spielte im Hintergrund und mein Blick wanderte nach oben, zu dem mit Sternen übersäten Himmel. Manchmal fühlte es sich immer noch an wie ein Traum, dass ich Australien mein Zuhause nennen durfte. Denn das war gar nicht der Plan gewesen. Eigentlich hätte ich nach einem Jahr Work and Travel wieder abreisen müssen. Aber dann hatte ich Jack bei meinem Surfkurs kennen gelernt und wir hatten uns sofort unsterblich ineinander verliebt. Schnell war uns klar geworden, dass wir uns nicht trennen wollten und ich bemühte mich um ein Arbeitsvisum. In Australien war es gar nicht so einfach, eines zu bekommen. Aber das Schicksal entschied, dass ich bei Jack in Byron Bay bleiben sollte. Ich war in seinen Bungalow mit Meerblick eingezogen und hatte es nie bereut, nicht nach Deutschland zurück gekehrt zu sein. Mein unbeschwertes Leben war ein Traum hier. Ich konnte jeden Tag ausschlafen, half Jack in der Surfschule und am Wochenende kellnerte ich in einer Bar. Das Geld reichte mir, um gut über die Runden zu kommen. Es war ein einfaches Leben, aber dafür hatte ich weder Sorgen noch Ängste. Wieso hätte ich je nach Deutschland zurückkehren und mir den Stress eines richtigen Jobs antun sollen, wenn ich hier mein Leben chillen konnte?
***
Mitten in der Nacht hatte mich der Anruf aus dem Schlaf gerissen. Ich erinnere mich noch jetzt an den Moment, als mein Herzschlag für mehrere Sekunden aussetzte.
„Frau Rose?“
„Ja, die bin ich.“
„Hier ist das Krankenhaus Kiel, leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Josephine Rose gestern in unserem Haus ihrer Krankheit erlegen ist.“
Die Worte kamen in meinem schlaftrunkenen Hirn an und trotzdem verstand ich sie nicht. Wieso rief mich ein Krankenhaus wegen meiner Oma an? Was für eine Krankheit? Noch vor zwei Wochen hatte ich mit ihr telefoniert. Da war sie quicklebendig und gesund gewesen. Wir hatten uns stundenlang ausgetauscht. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass sie so voller Energie sprudelte, dass sie gar nicht mehr auflegen wollte. Sie hatte von einer großen Überraschung gesprochen.
„Frau Rose?“
„Ja?“
„Das ist jetzt ein ziemlicher Schock für Sie. Ihre Oma ist an ihrem Brustkrebs verstorben.“
„Brustkrebs“, wiederholte ich ungläubig.
„Sie war nur ein paar Tage bei uns. Wir konnten nichts mehr für sie tun, nachdem sie die Chemotherapie diesmal so rigoros abgelehnt hat.“
Der Boden rutschte mir unter meinen Füßen weg. Ich fühlte mich schwindelig und meine Hände fingen an zu schwitzen. Das musste ein schlechter Traum sein.
„Was meinen Sie mit diesmal?“, brachte ich gerade so hervor. Mein Herz raste so schnell, dass ich Angst hatte, es würde mir gleich aus der Brust springen.
„Nachdem die Chemo vor zwei Jahren so gut angeschlagen hatte, wollten wir die Behandlung wiederholen. Doch Ihre Oma lehnte es ab. Sie wollte nicht wieder Monate im Krankenhaus verbringen.“
Oma hatte vor zwei Jahren eine Chemotherapie gehabt und ich hatte nichts davon gewusst. Das traf mich mit einem Schlag, der mich völlig umhaute. Mit keinem Wort hatte sie je Krebs erwähnt. Geschweige denn eine Therapie. Wie konnte sie mir so etwas verheimlichen? Ich war ihre einzige Enkelin. Ich war mehr als ihre Enkelin, ich war wie eine Tochter für sie gewesen. Und sie war die einzige richtige Familie, die ich noch hatte.
***
Nachdem meine Eltern vor sechzehn Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, war ich zu meiner Oma auf ihren Bauernhof an der Ostsee gezogen. Ich hatte meine gesamte Jugend in einem kleinen, malerischen Ort am Meer unter ihrer Obhut verbracht. Wir waren schnell zusammen gewachsen, hatten mit der Zeit ein unschlagbares Team gebildet, welches im Alltag bestens eingespielt war. Sie hatte mir alles über die Landwirtschaft beigebracht. Und ich hatte sie so gut es ging auf dem Hof unterstützt. Mit zwölf konnte ich bereits Traktor fahren und blind eine Kuh melken. Ich war in kürzester Zeit selbstständig und erwachsen geworden. Die Tiere auf dem Hof hatten mir nach dem schrecklichen Tod meiner Eltern Trost gespendet und die viele Arbeit hatte mich abgelenkt. Und Oma war so fürsorglich und einfühlsam gewesen. Josephine war der liebste Mensch, den ich auf dieser Welt kannte. Sie war für mich nicht nur Oma, sondern zugleich ein Stück weit auch Mama gewesen. Sie hatte mir immer zugehört, hatte mich immer in meinen Ideen und Vorhaben unterstützt. Sie war es gewesen, die mir mein Flugticket nach Australien zu meinem Schulabschluss geschenkt hatte. Weil sie wusste, dass mich der kleine Küstenort, in dem es mehr Schafe als Einwohner gab, manchmal frustrierte. Weil ich ihr so oft erzählt hatte, dass ich die Welt bereisen wollte. Natürlich hatte keiner von uns beiden ahnen können, dass ich niemals zurückkehren würde. Das war nicht der Deal gewesen. Aber Oma Josie wollte, dass ich glücklich war. Sie hatte mich über die Jahre oft gebeten, sie in Deutschland zu besuchen. Aber sie hatte mich niemals gezwungen, zu ihr zurück zu kommen. Ihr wäre es nicht mal im Traum eingefallen, meinem Glück in Australien im Weg zu stehen.
Und ich? Wieso hatte ich sie nicht ein einziges Mal besucht? Wo sie mir doch bei fast jedem Telefonat mitgeteilt hatte, wie gerne sie mich mal wieder in die Arme nehmen würde. Die Jahre waren so an uns vorbeigeflogen und ich hatte immer Ausreden vorgeschoben. Hatte sie immer auf das nächste Jahr vertröstet.
Vielleicht hatte ich Angst gehabt, dass es mir zu schwer fallen würde, meine Oma nach dem Besuch wieder zu verlassen. Vielleicht hatte ich Angst, dass es ihr das Herz brechen würde, mich wieder gehen lassen zu müssen. Vielleicht wollte ich sie um jeden Preis vor diesem Abschiedskummer bewahren. Tief in mir drin fühlte ich mich schuldig, weil ich sie am anderen Ende der Welt alleine gelassen hatte. Ich war unfassbar egoistisch gewesen und ein Feigling obendrein.
***
Nach dem Telefonat schleifte ich meine Bettdecke mit nach draußen auf die Veranda, wo ich mich in Embryostellung auf den Schaukelstuhl verzog. Ich schlang die Hände um meine Knie und wippte unaufhörlich vor und zurück. Ich fühlte mich innerlich betäubt. Wahrscheinlich befand ich mich in einer Schockstarre. Ich weiß nicht, wie lange ich eingehüllt vom Dunkel der Nacht so draußen saß. Das einzige Geräusch um mich, das rhythmische Rauschen der Wellen, die an den Strand gespült wurden. Die Welt drehte sich weiter und doch war meine stehen geblieben.
Irgendwann sank die Realität ein und deren Erkenntnis brachte einen Schmerz mit sich, der mich fast zerriss. Ich begann zu wimmern und versuchte mein Inneres mit aller Macht zusammen zu halten. Es fühlte sich an, als hätte jemand mein Herz herausgerissen. Tränen begannen meine Wangen herunter zu laufen. Ich konnte nichts tun, um sie aufzuhalten. Ich fasste meine Hände noch stärker um meine Knie und schaukelte weiter vor mich hin, bis irgendwann ein silberner Streifen am Horizont erschien. Der Sonnenaufgang über dem Meer hätte an diesem Morgen nicht schöner sein können, doch durch meinen Schleier aus Tränen nahm ich ihn kaum wahr. Ich hörte, wie die Schiebetür aufgeschoben wurde und Jack nach draußen trat.
„Babe, ist was passiert? Warum bist du nicht im Bett?“ Sein Gesicht war voller Sorge, als er sich vor mich kniete und mir sanft über den Arm streichelte.
„Oma Josie ist gestorben“, flüsterte ich.
Da. Ich hatte es laut ausgesprochen. Eine neue Welle voller Kummer erfasste mich und ich vergrub mein Gesicht in den Händen, um mein Schluchzen zu verbergen.
„Das tut mir so leid.“ Jack setzte sich seitlich auf die Lehne des Schaukelstuhls und schlang seine Arme fest um mich. Doch irgendwie wollte ich jetzt lieber alleine sein, als von ihm getröstet zu werden. Er war der Grund, warum ich hier in Australien war. Ich hatte mich in gewisser Weise für ihn und gegen meine Oma entschieden. Zu meiner Trauer mischte sich eine ungeheure Wut. Am meisten war ich wütend auf mich selbst, weil ich alle Möglichkeiten hatte einfach verstreichen lassen. Ich wütete darüber, dass ich nie wieder die Chance bekommen würde, meine Besuche nachzuholen. Sogar auf Jack war ich wütend, obwohl ich wusste, dass er überhaupt nichts falsch gemacht hatte.
Plötzlich überkam mich ein Heimweh, dessen Verdrängung ich all die Jahre meisterhaft perfektioniert hatte. Was würde ich jetzt geben, um in der gemütlichen Landhausküche meiner Oma zu sitzen, während sie ihren geliebten Apfelkuchen zubereitete und vor sich hin summte. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich den herrlichen Duft des Kuchens fast in meiner Nase riechen.
Nina
Der Jetlag steckte mir tief in den Knochen, als ich nach einer dreißig stündigen Reise endlich in Appelgrün ankam. Der kleine Küstenort hatte sich kaum verändert. Kilometerweit um ihn herum säumten saftig grüne Wiesen das Land, auf denen Weidetiere ein glückliches Leben führten. Vor dem Ortsschild graste eine Herde Schafe, die alle interessiert die Köpfe hoben, als mein Taxi an ihnen vorbei fuhr.
Es war seltsam, nach zehn Jahren wieder hier zu sein. Alles fühlte sich vertraut und gleichzeitig fremd an. Wir fuhren an dem Haus von Josies bester Freundin Thea vorbei und bogen links ab. Als mein Zuhause in Sichtweite kam, hielt ich vor Spannung die Luft an und umklammerte meine Handtasche etwas fester.
Mir klappte die Kinnlade herunter, als ich den Bauernhof erblickte, der einst mein Zuhause gewesen war. Ich erkannte ihn fast nicht wieder. Die Fassade war in einem warmen cremeton gestrichen worden. Blaue Fensterläden zierten die zahlreichen Sprossenfenster, die dem Haus ihren unverkennbaren Charme gaben. Das Reetdach fasste eine breite Gaube ein, die wohl neu ins Dachgeschoss eingebaut worden war. Als das Taxi die gepflasterte Einfahrt entlang fuhr, entdeckte ich hübsch angepflanzte Buchskugeln, zahlreiche weiße Rosenbüsche und verschiedene Blumen, die den Wegrand säumten. War das wirklich Oma Josies Bauernhof?
Ich bezahlte den Taxifahrer und kramte in meiner Handtasche nach dem Hausschlüssel. Als ich ausstieg nahm ich sofort die salzige Meeresluft um mich herum wahr. Ich war es gewohnt, das Meer um mich zu haben und dennoch roch die Luft hier anders, als in Byron Bay. Schafe blökten im Hintergrund und von irgendwoher krähte ein Hahn aus voller Kehle.
Zögernd stand ich vor der alten Haustür, die genau wie alles andere, ein Makeover bekommen hatte. Wenigstens passte der Schlüssel noch und ich ließ die Tür langsam nach innen aufschwingen. Auch im Haus war nichts mehr so, wie ich es kannte. Oma musste ganze Wände heraus gerissen haben, um den Eingangsbereich so zu vergrößern. Wo früher eine alte Garderobe aus dunklem Holz stand, lud jetzt ein hübsches, gestreiftes Sofa zum Verweilen ein. Die bodentiefen Sprossenfenster fluteten den Eingang mit Tageslicht. In der Mitte des Raumes stand eine Empfangstheke aus hellem Holz, hinter der ein Durchgang in ein Büro führte. Alles war im Landhausstil gehalten und fühlte sich einladend und modern an. Neugierig trat ich näher an die Theke heran. Dort entdeckte ich Flyer, die in einem kleinen Ständer arrangiert waren. Ich griff mir ein Exemplar heraus.
Willkommen im Bed and Breakfast Appelgrün.
Der Ort, an dem Sie sich im Urlaub wie zu Hause fühlen werden. Genießen Sie die einzigartige Landschaft der Ostseeküste, kommen Sie bei einsamen Strandspaziergängen zur Ruhe und lassen sie sich von unserem mit Liebe zubereiteten Frühstück verwöhnen.
Bed and Breakfast? Hatte Oma Josephine den Bauernhof etwa verkauft?!
Hinter mir klopfte es an der Tür. Ich schreckte herum und mein Gehirn erwartete fast, dass da Oma stehen würde, um mich mit einem Lächeln und einer herzlichen Umarmung willkommen zu heißen. Stattdessen blickte ich in das Gesicht von Thea, der besten Freundin meiner Oma. Haselnussbraune Augen schauten mich gutmütig an. Ohne Worte strecke die alte, rundliche Dame die Arme nach mir aus und ich lief automatisch auf sie zu, um ihre Umarmung zu erwidern. Sie drückte mich fest und lange an sich, bis sie mich mit beiden Händen auf Armeslänge von sich schob, um mir ernst in die Augen zu blicken.
„Das wurde jetzt aber wirklich Zeit, dass du nach Hause kommst, Nina.“
Ich wich ihrem Blick aus und schaute mich weiter im Eingangsbereich um. Ich hatte so viele Fragen.
„Schön dich zu sehen, Thea. Was hat Oma mit dem Bauernhof gemacht? Wollte sie ihn verkaufen?“
„Verkaufen?“ Theas Augenbrauen schossen erstaunt nach oben. „Deine Oma hätte den Bauernhof niemals verkauft. Er war ihr Ein und Alles. Nach dir natürlich.“
Autsch. Ich spürte, wie die große klaffende Wunde in mir, die ich versucht hatte mit einem Pflaster notdürftig zu schützen, sofort wieder anfing zu bluten.
„Als sie nach der Chemotherapie vor zwei Jahren wieder zu Kräften kam, hat sie sich entschieden, sich endlich ihren lebenslangen Traum von einer Pension zu erfüllen.“
Schockiert drehte ich mich wieder zu ihr.
„Du hast von ihrer Krebserkrankung gewusst?!“
Tadel lag in Theas Blick.
„Natürlich habe ich von ihrem Brustkrebs gewusst. Ich bin ihre beste Freundin. Ich habe sie zu jedem Arzttermin gefahren und durch die ganze Chemotherapie begleitet.“
Ich spürte, wie mir leicht übel wurde. Wahrscheinlich wusste das ganze Dorf Bescheid. Nur mir hatte sie es verschwiegen. Ich hätte doch in Australien alles stehen und liegen gelassen und wäre zu ihr gekommen, hätte ich es gewusst.
„Wieso hat sie es mir nie erzählt?“, fragte ich flüsternd und konnte ihr dabei nicht in die Augen schauen.
Einen Moment blieb sie still, so als müsste sie ihre Antwort sorgfältig abwägen.
„Sowas erzählt man nicht am Telefon. Sie wollte es dir persönlich sagen. Aber egal, wie sehr sie dich bat, sie zu besuchen, du bist nie gekommen.“
Ich dachte, ich hätte den schlimmsten Schmerz schon durchgestanden. Doch jetzt überrollte mich eine neue Welle erdrückender Gefühle, die drohte, mich zu begraben. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Schuldgefühle verspürt. Ich legte mir die Hände auf die Augen, doch es half nichts, um die Tränen aufzuhalten, die sich ihren Weg nach draußen bahnten.
Thea legte einen Arm um mich und führte mich zu dem gestreiften Sofa. Dort tätschelte sie mein Bein, während ich völlig zusammenbrach. Sie hielt mich wortlos, bis mein Körper nicht mehr in der Lage war, auch nur eine weitere Träne zu produzieren.
„Du musst müde sein von der langen Reise. Ich zeige dir das Haus und dann ruhst du dich erst mal aus“, schlug Thea vor. „Alles Weitere können wir morgen in Ruhe besprechen.“
Sie lief um die Theke und zeigte mir das Bürozimmer dahinter. Der Raum war nicht allzu groß, doch es reichte für einen großen Schreibtisch mit Computer und zwei Regalen, die mit jeder Menge Ordnern vollgestopft waren. Trotzdem sah es hier gemütlich aus.
„Josephine war sehr fleißig die letzten Jahre. Sie wollte, dass alles perfekt wird. Die Vision von einem Bed and Breakfast schlummerte ja schon lange in ihrem Kopf. Ich erinnere mich, wie sie mir schon vor zwanzig Jahren davon vorgeschwärmt hat. Und als ihr durch die Krebserkrankung bewusst geworden war, dass ihre Lebenszeit bald zu Ende gehen könnte, wollte sie sich ihren Traum unbedingt noch erfüllen. Ich glaube auch, dass ihr das unheimlich durch die Chemotherapie geholfen hat. Sie hatte ein Ziel vor Augen und das hat ihre Heilung sehr positiv beeinflusst.“
Ich saugte jedes Wort auf, über diese, mir bisher verborgen gebliebene Seite meiner Oma. Thea führte mich weiter in das ehemalige Wohnzimmer, welches durch einen Anbau vergrößert worden war. Sonnenlicht drang durch die zahlreichen bodentiefen Sprossenfenster, die den Blick auf einen Teil des Gartens und die Dünen freigaben. Wenn man sich auf Zehenspitzen stellte, konnte man hinter den bewachsenen Sandhügeln das Meer sehen. Der große, offene Kamin dominierte die Mitte des Raumes. Vor dem hatte ich früher im Winter am liebsten meine Zeit mit lesen verbracht. Der Raum wurde durch mehrere gemütlich aussehende Sitzgelegenheiten und grüne Pflanzen geschickt aufgelockert. Wir gingen weiter in den Frühstücksraum. Dort hatten irgendwie vier kleinere Tische Platz gefunden, ohne dass es zu vollgestopft wirkte. Durch eine weitere Tür gelangten wir in die Küche. Auch hier war alles komplett neu gestaltet worden. Eine große Kücheninsel mit Barhockern bot viel Platz zum Kochen und Backen und verlieh der Landhausküche einen modernen Charme. Die cremefarbenen Fronten passten perfekt zur restlichen Einrichtung des Hauses.
„Das muss doch alles ein Vermögen gekostet haben“, stellte ich fest. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Das ganze Bauernhaus war sehr geschmackvoll modernisiert und eingerichtet worden.
„Josephine hatte ganz genaue Vorstellungen darüber, wie alles werden sollte. Es war eine Menge Planung und Vorbereitung mit dem ganzen Vorhaben verbunden. Aber du kennst ja deine Oma, sie hat nie halbe Sachen gemacht.“
Thea öffnete den doppeltürigen Kühlschrank und holte verschiedene Sachen heraus. Sie stellte einen Teller mit Matjesbrötchen vor mich.
„Du hast bestimmt Hunger nach der langen Reise. Willkommen zurück an der Ostsee.“
Oh lecker! Das hatte ich schon ewig nicht mehr gegessen. Ich verschlang die Brötchen im Rekordtempo. Als ich fertig war, schob sie mir sofort den nächsten Teller vor die Nase.
„Ist das etwa Mehlbüddel mit Pflaumenkompott?“ Begeistert schnappte ich mir eine Gabel.
„Ich hoffe, das isst du noch genauso gerne wie früher.“
Ich schloss die Augen, als der erste Happen in meinem Mund landete. Himmlisch. Es schmeckte genauso gut wie früher und weckte unwillkürlich Erinnerungen an mein Aufwachsen hier.
„Möchtest du jetzt die Zimmer sehen? Auf die war deine Oma besonders stolz. Jedes Zimmer ist ein Unikat und hat ein ganz bestimmtes Farbthema. Es gibt insgesamt zehn Gästezimmer: Ozeanbrise, Kirschblüte, Rosenquarz, Butterblume, Champagner, Eisblumen, Mondstein, Kornblume, Vergissmeinnicht und Bergkristall.“
Thea führte mich die aufbereitete Holztreppe nach oben, die bei jedem Schritt vertraut knarzte. Auch im ersten Stock war kaum noch etwas so, wie ich es aus meiner Jugend kannte. Die Türen im Gang waren alle in einer anderen Pastellfarbe gestrichen. Thea öffnete die rosafarbene Tür, neben der auf einem Vintageschild Kirschblüte zu lesen war. Eine wunderschöne Kirschblütentapete zierte den Raum. Die Möbel im Landhausstil waren alles Einzelstücke, passten aber wunderbar zusammen und verliehen dem Raum einen einzigartigen Charme. Neben der nächsten Tür stand Butterblume auf dem Schild. Neugierig öffnete ich die dunkelgelbe Tür. Sattgelbe Butterblumen zierten die Wände und auch hier waren einzelne Möbelstücke geschickt zusammen kombiniert worden. Ich konnte nicht genau sagen wieso, aber auch in diesem Zimmer fühlte ich mich so wohl, dass ich es gar nicht mehr verlassen wollte. Voller Spannung öffnete ich ein Zimmer nach dem anderen. Jedes Mal war ich erstaunt, wie gemütlich und behaglich sie sich anfühlten. Mir fielen kleine Details in den Zimmern auf, die das jeweilige Farbthema aufgriffen. Im Rosenquarz-Zimmer gab es beispielsweise eine Lampe aus diesem Edelstein, im Kornblumen-Zimmer stand eine Vase mit getrockneten Kornblumen auf dem Nachttisch. Im obersten Stock öffnete ich zuletzt das Zimmer Ozeanbrise. Es war das größte Gästezimmer von allen. Ich liebte die Tapete, die sämtliche Farben des Meeres enthielt. Die Deckenlampe bestand aus hunderten kleinen perlfarbenen Muscheln, die in kunstvollen Strängen von oben herab hingen.
„Dein Zimmer ist gleich nebenan“, riss mich Theas Stimme von der Tür aus meiner Bewunderung.
Neben der dunkelblau gestrichenen Tür hing ein Schild mit der Aufschrift Privat. Das war wohl Omas eigenes Reich gewesen. Auf Anhieb liebte ich die graublaue Tapete mit den weißen, erhabenen Rosen, die den Raum in eine Wohlfühloase verwandelte. Es gab genügend Platz unter der Dachschräge für eine Couch mit Fernseher, einem breiten Doppelbett und einem kleinen begehbaren Kleiderschrank. Das Badezimmer war zwar nicht gerade groß, aber immerhin gab es eine Badewanne und eine Dusche.
Ich streifte die Schuhe ab und ließ mich rückwärts auf das Bett fallen. Auf einmal fühlten sich meine Arme und Beine so schwer an, als wären sie aus Blei. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen, um mich auszuruhen. Der Jetlag schlug jetzt mit voller Wucht zu.
„Schlaf dich aus, Nina. Ich bringe dir morgen Frühstück vorbei und dann besprechen wir alles Weitere“, hörte ich Thea sagen.
Im Halbschlaf nahm ich noch wahr, wie sie mich zudeckte und dann leise die Tür hinter sich schloss.
***
Ich erwachte mit der Morgendämmerung. Die Sonne musste gerade aus dem Meer geschlüpft sein, denn sie tauchte das Zimmer in ein schönes, warmes Licht. Wirklich erholt fühlte ich mich nicht, obwohl ich mehr als zwölf Stunden geschlafen hatte. Trotzdem schwang ich meine Beine aus dem Bett und begann im Zimmer umher zu wandern. Meine Finger strichen über das Tapetenmuster und es fühlte sich genauso samtweich an, wie es aussah. Neugierig öffnete ich jede Schublade und jeden Schrank und stellte fest, dass sie alle leer waren. Hatte Oma gar nicht in diesem Zimmer gewohnt?
Ich packte meinen Koffer aus und gönnte mir eine ausgiebige Dusche. Danach fühlte ich mich schon besser. Gestern hatte ich nur das Haus gesehen und jetzt wollte ich unbedingt noch den Rest des Hofes inspizieren. Ich öffnete die Schiebetüre, die auf die Terrasse hinaus führte. Sofort wehte mir die kühle Meeresluft um die Nase. Ein Strandkorb stand zwischen eingetopften Gräsern und ein paar Liegestühlen. Ich folgte den Treppenstufen nach unten in den Garten. Der Walnussbaum war in den letzten zehn Jahren riesig geworden und beschattete den Großteil des Rasens. An einem ausladenden Ast hing an zwei langen Seilen ein Schaukelbrett aus Holz. Kurz vor dem Weg durch die Dünen zum Meer gab es jetzt einen schönen Feuerplatz, um den Holzmöbel standen. Der Gemüsegarten war vergrößert worden hatte ein Upgrade in Form eines hübschen Holzzaunes bekommen, an dem rosafarbene Clematis nach oben rankten. Der Kies knirschte unter meinen Sneakern, als ich dem Weg entlang zum Hühnerstall folgte.
„Kikeriki“, schrie der Hahn, als hätte er meine Ankunft bereits erwartet. Am eingezäunten Außenbereich blieb ich stehen und um die zwanzig Hühner kamen sofort angerannt.
Entschuldigend hob ich die Hände. „Sorry, ich habe nichts für euch.“
Empört schrie der Hahn noch lauter und plusterte sein Gefieder auf.
„Schon verstanden. Du bist hier der Boss“, rief ich ihm zu. Ich beobachtete die Hühnerschar noch eine Weile, bevor ich zum offenen Stall hinüber wanderte, in dem früher Kühe gehalten worden waren. Bis auf ein paar Lämmer, die auf dem mit Stroh bedecktem Boden lagen, war der Stall leer.
„Oh, wer seid ihr denn?“
Die kleinen wolligen Schafe sahen entzückend aus. Schüchtern blickten sie zu mir empor, rührten sich aber keinen Zentimeter. Ich lief zurück in den Gemüsegarten und stibitzte ein paar Salatblätter, um die Lämmchen damit anzulocken. Es funktionierte. Zögernd kam das Mutigste von ihnen auf mich zu. Als es mir genüsslich das erste Salatblatt aus den Finger zog, überwanden auch die anderen ihre Scheu und näherten sich langsam. In Sekunden hatten sie alle Salatblätter vernichtet. Ich streckte meine Hand über die Absperrung, um zu fühlen, ob sich ihr Fell wirklich genauso flauschig anfühlte wie es aussah, doch die schüchternen Lämmer flohen schnell zurück in den hintersten Winkel des Stalles.
„Sie sind erst vier Monate alt und noch sehr scheu“, hörte ich Thea hinter mir sagen. Ich hatte sie gar nicht näher kommen gehört.
„Guten Morgen Thea“, begrüßte ich sie. „Kühe gibt es wohl keine mehr oder?“
„Nein, die hat Josephine schon länger gegen eine kleine Schafherde eingetauscht. Die machen etwas weniger Arbeit und bringen dazu noch super Dünger für den Gemüsegarten.“
„Wie hat sich Oma das alles überhaupt vorgestellt? Pension und Bauernhof? Und dazu noch der riesige Garten. Das ist doch viel zu viel Arbeit für eine Person.“
„Das habe ich ihr auch gesagt. Aber in diesem Punkt war sie stur und wollte nicht auf mich hören. Ich habe ihr natürlich meine Hilfe angeboten. Aber ich denke, auf lange Sicht hätte sie auf jeden Fall zusätzlich noch eine Aushilfe einstellen müssen.“
Thea kramte in ihrer Handtasche und brachte einen Brief hervor. Sie drückte ihn an sich, während sie mich aus ihren treuen Augen ansah.
„Diesen Brief soll ich dir geben. Sie hat ihn für den Fall geschrieben, dass ihr euch vor der Eröffnung des Bed and Breakfast nicht mehr persönlich sehen könnt. Niemals hat sie damit gerechnet, so schnell zu versterben. Vor einer Woche ging es ihr noch gut. Zumindest hatte ich nicht den Eindruck, dass es anders wäre. Dann ist sie bei mir zu Hause gestürzt und im Krankenhaus waren ihre Werte plötzlich nicht mehr in Ordnung. Es ging alles so schnell.“
Ich konnte ihr ansehen, dass es ihr schwerfiel darüber zu reden. Dass auch sie eine große Last auf ihren Schultern trug. Zaghaft streckte sie mir den Brief entgegen.
„Eins sollst du wissen: Sie hat nie einen Groll gegen dich gehegt, weil du nicht zurückgekommen bist oder sie nie besucht hast. Dich glücklich zu wissen war das einzige, was sie immer wollte.“
Meine Hände zitterten leicht, als ich den Brief entgegen nahm.
„Ich bereite uns drinnen Frühstück zu. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.“ Sie tätschelte meine Schulter und ließ mich dann allein.
Ich starrte auf den Brief in meinen Händen. War ich schon bereit, ihn zu lesen? Ein Teil von mir wollte unbedingt ihre geschriebenen Worte sehen, ihre Stimme in meinem Kopf hören. Doch ein viel größerer Teil fürchtete sich davor, ihre letzten Worte an mich aufzunehmen. Benommen schlenderte ich zu dem großen Walnussbaum und ließ mich auf der Schaukel nieder. Egal ob ich den Brief jetzt gleich öffnete oder später, der Schmerz würde genau der gleiche sein. Meine Finger fuhren unter das Papier und rissen den Umschlag behutsam auf. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen, als ich ihre feine Handschrift auf dem cremefarbenen Papier sah.
Meine liebe Nina,
ich hoffe, dass du diesen Brief niemals lesen wirst. Ich wünsche mir so sehr, dass wir uns bei der Eröffnung meines Bed and Breakfasts endlich wieder sehen. Es wäre für mich das allerschönste Geschenk, was ich mir vorstellen kann.
Du weißt es noch nicht, aber ich habe mir meinen langjährigen Traum von einer eigenen Pension erfüllt. Ich habe mein ganzes Herzblut in dieses spannende Projekt gesteckt. Und ich bin mehr als stolz, was dabei heraus gekommen ist. Mein Traum ist Wirklichkeit geworden und ich kann es kaum erwarten, meine ersten Gäste zu begrüßen. Vor allem kann ich es kaum erwarten, dir alles zu zeigen. Wie oft habe ich mir vorgestellt, dein lachendes Gesicht in meiner neuen Küche zu sehen. Oder wie wir beide am Lagerfeuer sitzen und ein Glas Wein zusammen trinken. Nicht mehr lange und ich kann dich endlich wieder in die Arme schließen.
Für den Fall, dass du diesen Brief doch lesen musst...
Es tut mir leid, dass ich dich nie in Australien besucht habe. Du weißt, dass ich überhaupt nicht gerne fliege und der lange Flug hat mich immer davon abgehalten, deine Welt am anderen Ende der Welt kennenzulernen. Oft habe ich mir Bilder im Internet angesehen, von den Dingen, die du mir erzählt hast. Ich weiß, dass du dir in Australien dein eigenes Leben aufgebaut hast. Und ich will, dass du weißt, wie stolz mich das macht. Meine Nina lebt ihren Traum.
Ich kann dir gar nicht sagen, wie weh es mir tut, dass ich dich ab jetzt nur noch vom Himmel aus begleiten kann. Aber glaube mir, ich werde immer bei dir sein. Ich werde über dich wachen und dich beschützen. Ich werde mich mit dir freuen, wenn große Ereignisse in deinem Leben stattfinden. Ich werde dir beistehen, wenn du eine Schulter zum Anlehnen brauchst. Ich werde immer da sein für dich.
Das Bed and Breakfast gehört nun dir. Du kannst selbst entscheiden, was du damit machst. Falls in Australien je alle Stricke reißen sollten (was ich natürlich nicht hoffe!), findest du vielleicht hier eine neue Chance. Vielleicht wird mein großer Traum ja irgendwann auch zu deinem. Wer weiß.
In jedem Fall möchte ich, dass das Bed and Breakfast ein Ort ist, an dem sich alle Gäste wie zu Hause fühlen. Es soll ein magischer Ort sein, an dem man seine Sorgen vergessen kann. An dem positive Dinge passieren und schöne Erinnerungen gesammelt werden. Denn so habe ich mir das Bed and Breakfast immer in meinen Träumen vorgestellt.
Meine liebe Nina, ich drücke dich so fest ich nur kann und hülle dich ein mit meiner Liebe. Danke, dass du mir solch eine Freude bereitet hast, mit mir ein Stück durchs Leben zu gehen. Ich hätte mir niemand anderes an meiner Seite gewünscht.
In Liebe,
deine Oma Josie
Ich drückte den Brief ganz fest an mein Herz. Es war, als könnte ich Oma in diesem Moment tatsächlich spüren. Als wäre ihr Geist immer noch hier.
„Ich bin so stolz auf dich“, flüsterte ich ihr zu. „Was du aus dem alten Bauernhof gemacht hast, ist unglaublich.“
Obwohl mir eigentlich zum Weinen zumute war, verzogen sich meine Lippen zu einem sanften Lächeln.
„Ich sehe, wieso das dein lebenslanger Traum war. Denn das Bed and Breakfast ist ein einziger Traum.“
In diesem Moment wurde mir klar, was ich zu tun hatte. Ich würde Omas Traum weiterführen. Zumindest bis ich jemand Geeigneten fand, der diese Aufgabe für mich übernehmen würde. Das war das Mindeste, was ich für sie tun konnte. Ein Stück von ihr würde für immer in ihrem Vermächtnis weiter leben.
„Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, deinen Traum wahr werden zu lassen.“
Nina
„Was meinst du mit fast ausgebucht?“, schockiert starrte ich Thea an, während sie seelenruhig ihren Tee schlürfte. Es war der Abend nach der Beerdigung. Heute Vormittag hatten wir im Rahmen einer kleinen Trauerfeier auf dem Friedhof Abschied genommen.
„Josephine hat in verschiedenen Magazinen Anzeigen geschaltet. Daraufhin sind einige Buchungen eingegangen.“
„Aber ich kann mich unmöglich in weniger als einer Woche in alles einarbeiten. Ich habe keine Ahnung, wie man eine Pension führt.“
Die Panik, die ich spürte, wenn ich an diese Mammutaufgabe dachte, war aus meiner Stimme zu hören.
„Ich helfe dir, so gut ich kann“, versuchte sie mich zu beruhigen. „Wir kriegen das zusammen schon hin.“
Die wenigen Tage, die bis zur Eröffnung blieben, hatten nicht annähernd genügend Stunden, um dem immensen Arbeitspensum gerecht zu werden. Mir schwirrte der Kopf, von dem Buchhaltungsprogramm, in das ich mich versuchte einzuarbeiten. Josephine hatte die Aufgaben rund um das Bed and Breakfast sorgfältig dokumentiert und trotzdem hatte ich tausend Fragen, die mir niemand beantworten konnte. Frustriert fuhr ich den Computer herunter. Mit den Fingern massierte ich meine Schläfen und versuchte das Gefühl der Überforderung zu verdrängen, das immer wieder in mir hoch kam. Ich wüsste nicht, was ich ohne Theas Hilfe tun würde. Sie war wortwörtlich meine Retterin in der Not. Sie half mir mit der Versorgung der Tiere, kümmerte sich um den Garten, bereitete die Wäsche vor und ging mit mir sämtliche Checklisten durch. Mein Tagesablauf hier auf dem Hof könnte nicht unterschiedlicher sein, zu dem, wie er in Australien war. Mein Wecker klingelte zu unmenschlichen Zeiten, bei denen ich down under nicht mal im Traum daran gedacht hätte, aufzustehen. Vom Ausmisten der Ställe und der harten körperlichen Arbeit hatte ich Schwielen an den Händen bekommen. Hans, der Hahn hatte es zu seiner persönlichen Mission gemacht, mich mit allen Mitteln vom Hühnerstall fern zu halten. Zweimal schon hatte er mich hinterhältig ins Schienbein gepickt. Das tat verdammt weh und gab miese blaue Flecken. Die Lämmer waren immer noch so scheu, dass sie vor mir flohen, wenn ich den Stall betrat. Dafür waren zwei der erwachsenen Schafe so aufdringlich, dass ich sie mir manchmal kaum vom Leib halten konnte. Seit meiner Ankunft hatte ich an keinem einzigen Tag freie Zeit gehabt, um mal nur etwas für mich zu tun. Abends fiel ich so erschöpft ins Bett, dass ich sofort einschlief, sobald mein Kopf das Kissen berührte. Mein easy life hatte sich in das eines hart arbeitenden Menschen verwandelt.
***
Am Tag der Eröffnung fühlte ich mich keineswegs bereit dafür. Ich musste wohl oder übel ins kalte Wasser springen. Thea und ich hatten bis in die Nacht letzte Vorbereitungen getroffen. Jetzt stand ein Sektkühler auf der Empfangstheke und unsere ersten Gäste, ein Rentnerehepaar, genossen ein Gläschen Sekt, während ich ihnen alles Wichtige für ihren Aufenthalt erklärte. Wenigstens war das Wetter heute gnädig gestimmt. Die Regenwolken der letzten Tage hatten sich verzogen und die Sommersonne ließ die Temperaturen wieder in die Höhe steigen.
Acht von zehn Zimmern waren an unserem Eröffnungswochenende belegt. Es waren ausschließlich Rentner, die bei uns eincheckten. Ich fragte mich, ob jemals auch Menschen in meinem Alter hier Urlaub machen würden. Die alten Leute waren allesamt nett und unterhielten sich gerne. Aber ich stellte schnell fest, dass sich die Gesprächsthemen entweder um das Wetter, die Küstenseeschwalben oder um Beschwerden wie Arthrose drehten.
Ich vermisste Jack und seinen lustigen Humor. Leider klappte es aufgrund der Zeitverschiebung und meines vollgepackten Tages nur selten, dass wir uns am Telefon erwischten. Er war über meine Entscheidung, für eine Weile hier zu bleiben, schockiert gewesen. Selbst nach zwei Wochen war er noch immer beleidigt, weil ich nicht sofort zu ihm zurückkam. Doch ich musste das hier jetzt einfach tun. Ich hatte es Oma versprochen.
Der erste Morgen mit Gästen im Bed and Breakfast war eine echte Herausforderung. Ich hatte mich so sehr in der Zeit verschätzt, dass das Frühstücksbuffet erst mit einer halben Stunde Verspätung im Frühstücksraum eröffnet werden konnte. Alle vier Tische waren bereits vor sieben Uhr besetzt und die Rentner schon ganz hibbelig, weil sie während der Wartezeit literweiße Kaffee in sich hinein geschüttet hatten. Ein Pärchen hatte keinen Platz gefunden und stand nun missmutig im Gang herum. Ich bot ihnen an, im Wohnzimmer oder auf der Terrasse in einem der Strandkörbe zu frühstücken. Als Entschuldigung brachte ich ihnen zwei Gläser Sekt. Als ich in den Frühstücksraum zurückkam, waren die Senioren wie eine Herde hungriger Grashüpfer über das Buffet hergefallen und hatten fast alles leer gegessen. Schnell eilte ich in die Küche, um neues Rührei zu machen und eine zweite Ladung Würstchen anzubraten. Frau Maier aus dem Champagner-Zimmer klopfte an der Küchentür und teilte mir mit, dass ihr leider die Kaffeetasse aus der Hand gefallen war. Ich ließ sofort alles stehen und liegen, um die Sauerei auf dem Holzboden weg zu wischen. Als ich wieder in die Küche kam, rauchte die Pfanne mit den Würstchen. Sie waren alle verbrannt. Der Feuermelder sprang an und gab ein nervtötendes Piepsen von sich. Ich riss die Fenster auf und kippte den Inhalt der Pfanne in den Müll. Auf einem Barhocker balancierend versuchte ich den Feuermelder an der Decke zu erreichen. Doch ich war zwei Zentimeter zu klein. Verzweifelt blickte ich mich in der Küche um. Ich wollte, dass dieses grauenhafte Piepsen endlich aufhörte. Einem Einfall folgend holte ich eine Edelstahlschüssel, stellte diese umgedreht auf den Barhocker und konnte nun endlich den Feuermelder von der Decke schrauben. In diesem Moment kam Thea besorgt in die Küche gerannt und hielt mich im letzten Moment fest, bevor die Schüssel vom Barhocker rutschte und ich unsanft nach unten plumpste.
„Meine Güte Nina, willst du gleich am ersten Tag die Bude abfackeln und dir ein Bein brechen?“
Sie sah sich in der Küche um. Es herrschte das reinste Chaos. Jede freie Fläche war mit Schüsseln, Essen oder Geschirr vollgestellt.
„Ich helfe dir mit dem Frühstück“, bot sie an.
Toll. Ich war an meinem ersten Morgen kläglich gescheitert und konnte nicht mal alleine die Frühstückszeit meistern. Frustriert schrubbte ich die verbrannten Reste aus der Pfanne, ehe ich einen neuen Versuch wagte, Würstchen anzubraten.
Als alle Gäste sich nach Ende der Frühstückszeit auf ihre Zimmer oder in den Garten verzogen hatten, war ich völlig durchgeschwitzt. Die letzten Stunden war ich zwischen Kaffeebestellungen, Buffet auffüllen und Geschirr abräumen nur hin und her gehetzt. Jetzt ließ ich mir erst mal selbst einen Kaffee aus der Maschine und setzte mich damit auf die Schaukel unter dem Walnussbaum. Irgendwie war das zu dem Platz geworden, an dem ich täglich mit Oma Josie sprach. Ich erzählte ihr von meinen Missgeschicken und davon, wie überfordert und frustriert ich mich gerade fühlte. Wieder spürte ich diese Wärme um mein Herz, die mich auf seltsame Art und Weise tröstete.
„Morgen werde ich alles besser schaffen. Ich verspreche es“, flüsterte ich ihr zu.
Nach der kurzen Verschnaufpause brauchte ich Stunden, um die Küche aufzuräumen und alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu bringen. Thea hielt so lange am Empfang die Stellung, um für die Gäste da zu sein. Während das Haus um die Mittagszeit immer stiller wurde, machte ich mich an die Reinigung der Zimmer. Das gute an Rentnern war, dass sie ihre Zimmer sehr ordentlich verließen. Wirklich überall waren die Betten tadellos gemacht und die Klamotten ordentlich in den Schränken verstaut worden. Ich konnte also flott durch die Zimmer saugen und die Bäder putzen. Trotzdem brauchte ich mehrere Stunden, bis ich mit allen Zimmern fertig war.
Ein Wäscheberg wartete in der Waschküche auf mich, der Frühstücksraum war noch nicht für den nächsten Tag eingedeckt und ich musste unbedingt noch die Buchungen des heutigen Tages abarbeiten. Doch ich brauchte jetzt wirklich eine Pause. Es zog mich nach draußen in den Garten. Ich hörte die kleinen Lämmchen im offenen Stall vor sich hin blöken. Im Gemüsebeet stibitzte ich wieder ein paar Salatblätter, um die süßen Babyschafe anzulocken. Langsam schienen sie sich an mich zu gewöhnen und kamen schon weniger zaghaft auf mich zu. Doch als ich die Hand zu ihnen ausstreckte, um sie zu streicheln, rannten sie wieder vor mir davon, als wäre ich ein gefährlicher Wolf. Seufzend gab ich meine Annäherungsversuche für heute auf.
Seit meiner Ankunft war ich noch nicht einmal am Meer gewesen. Vor dem Holzweg, der vom Garten zum Strand führte, streifte ich meine Schuhe ab und spazierte barfuß den Pfad entlang. Ich entdeckte eine Küstenseeschwalbe, von der alle Rentner so besessen waren. Sie landete mit einem kleinen Krebs im Schnabel in einem Nest am Boden, wo ein putziges grau geflecktes Küken schon ungeduldig wartete. Nach ein paar weiteren Metern endeten die mit Gräsern überwachsenen Dünen und der weiße Sandstrand begann. Der Sand fühlte sich ganz fein unter meinen Füßen an. Das Meer lag glasklar und ruhig vor mir. Kleine Wellen schwappten fortwährend an den Strand. Traurig stellte ich fest, dass die Wellen bei Weitem nicht zum Surfen ausreichen würden. Ich vermisste es schon jetzt, auf dem Surfboard zu stehen.
Ich lief ein paar Schritte ins Meer, bis das Wasser meine Knöchel umspülte. Warm war etwas anderes. Aber das machte mir nichts aus. Im australischen Winter lag die Wassertemperatur auch nur bei knapp zwanzig Grad und da surfte ich schließlich auch jeden Tag im Meer. Ich blickte den menschenleeren Strand entlang und erkannte in der Ferne ein Gebäude, welches vor zehn Jahren definitiv noch nicht hier gewesen war. Neugierig lief ich darauf zu. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es ein Café war. Vor einer blau gestrichenen großen Holzhütte standen ein paar kleine Tische zwischen Palmen in Kübeln, die zum Verweilen einluden. Ein paar Menschen saßen da tatsächlich und tranken Aperol Spritz. Die Eingangstür war mit Muscheln und Seesternen verziert. Auf einem Schild stand Windsurfschule & Beachcafé. Das gab es doch nicht. Eine Attraktion so nahe bei Appelgrün. Wieso hatte es das nicht schon zu meiner Zeit damals gegeben?
„Frau Rose“, rief jemand laut. Frau Maier und ihr Mann saßen an einem der Tische und winkten mir energisch zu. Ich musste automatisch lächeln, als sie fast ihren Aperol in der Hand verschüttete, weil sie mir so schwungvoll zuprostete.
„Frau Rose, haben Sie schon mal dieses orangefarbene Getränk probiert? Das trinken hier alle. Das müssen sie unbedingt kosten!“
Ich fragte mich, der wievielte Aperol das wohl war, den sie in der Hand hielt.
„Das werde ich auf jeden Fall. Danke für den Tipp“, gab ich lächelnd zurück.
Eine braunhaarige attraktive Frau meines Alters kam aus der Holzhütte und stellte eine Schale mit Oliven und Chips vor den Maiers ab. Interessiert musterte sie mich einen Augenblick.
„Darf es für dich auch etwas sein?“, fragte sie nach.
Die Frau kam mir irgendwie bekannt vor. Ich konnte ihr Gesicht aber nicht zuordnen.
„Ich bin hier nur spontan vorbei gelaufen, aber danke“, setzte ich an.
„Papperlapapp“, warf Frau Maier schnell ein. Sie rückte den Stuhl neben sich zurecht und bedeutete mir, Platz zu nehmen.
„Frau Rose hätte gerne auch dieses orange Getränk.“
Als die Bedienung mit der Bestellung wieder verschwunden war, nahm ich zögernd Platz.
„Frau Rose, Sie waren heute Morgen so im Stress. Kein Wunder, bei diesem scheußlichen Feueralarm. Wir wollten schon die Feuerwehr rufen.“
Ich merkte, wie sich meine Wangen rosa färbten, versuchte aber cool zu bleiben.
„Wir haben noch nie in einem so schönen Gästehaus übernachtet“, plapperte sie weiter. „Und Sie kümmern sich so herzlich um uns. Da ist es doch das mindeste, dass wir Sie auf dieses Aperol Getränk einladen.“
Aperol betonte sie dabei ganz besonders. Ich konnte ihr an der Nasenspitze ablesen, dass es ihr der Aperol Spritz wirklich angetan hatte.
„Das ist nett. Vielen Dank. Und schön, dass Sie sich im Bed and Breakfast so wohl fühlen. Wie Sie wissen ist es unser Eröffnungswochenende und wir geben unser Bestes, allen Gästen einen schönen Urlaub zu bescheren.“
Die braunhaarige Frau kam mit meinem Aperol zurück und stellte ihn vor mir ab.
„Habe ich das gerade richtig mitbekommen. Dir gehört das Bed and Breakfast Appelgrün?“, fragte sie neugierig nach.
„Eigentlich gehört es meiner Oma“, setzte ich an. Schnell biss ich mir auf die Lippe. „Aber jetzt führe ich das Bed and Breakfast weiter.“
„Nina? Du bist es doch oder?“
Ich hatte richtig gelegen, dass ich sie von irgendwoher kannte. Und dann fiel der Groschen.
„Carolin?“
Wir waren zusammen auf die gleiche Schule gegangen. Sie war eine Jahrgangsstufe unter mir gewesen und wohnte im nächstgelegen Ort.
Ein aufrichtiges Lächeln spielte über ihr Gesicht, als sie näher kam und mich auf einmal an sich drückte.
„Wahnsinn, das müssen jetzt bestimmt zehn Jahre gewesen sein. Wie geht es dir? Ich dachte, du lebst in Australien?“
„Letzte Woche war ich auch noch in Australien. Aber jetzt bin ich hier und übernehme das Bed and Breakfast meiner Oma“, erzählte ich ihr und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es mich immer noch schmerzte, das laut auszusprechen.
„Oh nein, ich habe es mit bekommen, dass deine Oma gestorben ist. Das tut mir wahnsinnig leid.“
Die Maiers verfolgten unseren Austausch mit dem größten Interesse, während sie heimlich an ihren Strohhalmen sogen.
„Weißt du was, ich habe eh gleich Feierabend. Die nächste Runde geht aufs Haus.“
Sie verschwand kurz im Café, um dann mit einer Flasche Schnaps und vier Gläsern wieder zu kommen. Großzügig goss sie uns allen ein und hob dann ihr Glas.
„Auf Josephine und das Bed and Breakfast. Ich habe schon gehört, wie schön alles geworden ist.“
„Auf Josephine“, murmelten die Maiers und wir stießen gemeinsam an.
Der Schnaps brannte den gesamten Weg meine Kehle hinunter. Schnell nahm ich einen Schluck von dem Aperol hinterher.
„Du kannst gerne vorbei kommen und dir alles ansehen, wenn du willst“, schlug ich vor.
Ich konnte eine Freundin hier dringend gebrauchen. Wir waren aufgrund des Altersunterschiedes zwar nie eng befreundet gewesen, aber Carolin hatte ich schon immer sehr gerne gemocht.
„Ist das dein Café?“, wollte ich jetzt von ihr wissen.
„Japp. Ich habe es vor zwei Jahren eröffnet. Sonst gibt es an diesem Strandabschnitt nicht sonderlich viel und ich wollte, dass endlich etwas geboten wird. Für Einheimische und Urlauber. Die Surfschule macht richtig Spaß. Wenn du magst, bringe ich dir das Windsurfen bei.“
Die Aussicht auf Windsurfen machte mir sofort gute Laune. Es war, als würde ein bisschen Leben in mein Inneres zurückkehren. Etwas, worauf ich mich freuen konnte.
„Das würde ich sehr gerne. Ob du es glaubst oder nicht, ich war in Australien Surflehrerin.“
„Wirklich? Dann wirst du keine großen Schwierigkeiten haben. Und glaub mir, Windsurfen macht richtig Spaß, wenn man es erst mal beherrscht.“
Wir quatschten noch, bis ich mein Glas leer getrunken hatte. Dann drückte ich Carolin zum Abschied noch mal an mich und wir verabredeten uns, uns schon bald zum gemeinsamen Surfen zu treffen.
Frau Maier hakte ich auf dem Rückweg über den Strand sicherheitshalber bei mir unter. Sie konnte zwar noch einigermaßen gerade aus laufen, aber ich wollte nicht, dass einer meiner Gäste wegen zu viel Aperol Spritz in der Ostsee ertrank. Ich brachte die Maiers sicher auf ihr Zimmer wollte dann Thea im Büro ablösen. Doch die hatte mir eine Nachricht hinterlassen, dass sie bereits nach Hause gegangen war. Gähnend arbeitete ich noch die eingegangenen Buchungen ab und mein leicht angeschwipstes Gehirn beschloss, das Decken des Frühstücksraumes auf morgen zu verschieben.
***
Der Wecker klingelte zum zehnten Mal, ehe ich es schaffte, meine müden Beine aus dem Bett zu hieven. Erst nach meiner zweiten Tasse Kaffee fühlte ich mich einigermaßen bereit, in den Tag zu starten. Ich war jetzt schon mit meinem Zeitplan hinterher. Im Hühnerhaus sammelte ich schnell Eier für das Frühstück ein. Dann machte ich mich daran, den Frühstücksraum einzudecken. Ich stellte Kaffee in Thermoskannen auf die Tische und bestückte das Buffet mit Getränken. In der Küche versuchte ich gleichzeitig Eier zu kochen, Würstchen anzubraten, Obst und Gemüse aufzuschneiden und alles schön anzurichten. Kurz vor sieben Uhr hörte ich, wie die ersten Gäste den Frühstücksraum betraten. Ich stellte die Backwaren nach draußen und beeilte mich so schnell es ging, das Buffet zu befüllen. Es fühlte sich an, als würde die Zeit wie Sand durch meine Finger rieseln. Egal wie sehr ich mich abhetzte, ich wurde einfach nicht rechtzeitig fertig. Die Senioren schien das glücklicherweise nicht sonderlich zu stören. Sie waren wohl im Warten geübt.
Auch heute war der Ansturm in der ersten Frühstücksstunde so groß, dass ich ein paar Gäste ins Wohnzimmer und auf die Terrasse bitten musste. Auf Dauer war das keine Lösung. Da musste ich mir noch etwas einfallen lassen.
Als die letzten Gäste gegen zehn Uhr den Frühstücksraum verließen, konnte ich endlich aufatmen. Ich hatte den Morgen überstanden, ohne einen Feueralarm auszulösen oder Speisen anbrennen zu lassen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass dieser Stress mir schon bald graue Haare bescheren würde.
Fabio
Mein Handy vibrierte im Sekundentakt. Alleine in den letzten paar Minuten waren über hundert Meldungen und Nachrichten eingegangen. Genervt griff ich nach meinem Smartphone und wischte über den Bildschirm. Ich hatte zwanzig verpasste Anrufe. Drei darunter von meiner Mutter. Sie hatte eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Ich war kurz davor, das Handy einfach aus dem Fenster zu werfen, um meine Ruhe zu haben. Doch der gut erzogene Sohn, der ich nun mal war, befahl mir, wenigstens die Mailbox abzuhören.
„Fabio? Wieso gehst du nicht ans Handy? Stimmt es wirklich, was heute Morgen in der Bildzeitung steht? Hat Tiffany dich verlassen?“
Die schrillen Worte meiner Mutter hallten in meinem Kopf. Verdammt. Ich schloss die Augen und lehnte mich tiefer in die Couch zurück. Mein Leben war ein verdammter Alptraum, seit ich heute Morgen aufgewacht war. Gestern dachte ich noch, die Welt läge mir zu Füßen.
Ich hatte es in meiner Karriere so weit gebracht. Stand mitten an der Spitze. Ich hatte so hart für meinen Erfolg gearbeitet und mir jeden Musikpreis, jeden Award verdient. Mein Herzblut, meine gesamte Energie hatte ich in meine musikalische Karriere gesteckt. Seit Jahren schossen meine Songs sofort an die Chartspitze und ich hatte mit der Musik schon mehr Geld verdient, als ein normaler Arbeiter je in seinem ganzen Leben haben würde. Ich fuhr einen Porsche GT3 RS und Luxusmarken wie HUGO BOSS bettelten mich an, ihre Produkte zu bewerben.
So hatte ich auch Tiffany kennen gelernt. Beim Fotoshooting für eine BOSS Kampagne. Sofort hatte ich mich in ihre makellose Schönheit verliebt. Sie sah aus wie ein Engel, mit ihren hohen Wangenknochen, den perfekt geschwungenen grünen Augen und dunkelbraunen Haaren. Nicht nur ihr Gesicht war perfekt. Noch nie hatte ich einen Körper wie ihren gesehen. Endlos lange Beine, schmale Taille, perfekte große Brüste. Kein Wunder, dass sie seit Jahren für Victoria´s Secret und über die internationalen Laufstege dieser Welt lief.
Sofort hatte es bei uns beiden gefunkt. Wir konnten die Finger nicht voneinander lassen. Auch wenn es schwer war, zwischen unseren vollgepackten Terminkalendern überhaupt Zeit zu finden uns zu sehen, hatte ich nie an unserer Beziehung gezweifelt. Fast ein Jahr waren wir ein Paar gewesen. Bis gestern Abend. Da hatte sie mir öffentlich mitgeteilt, dass sie nun mit diesem amerikanischen Rapper zusammen war. Sie hatte über Instagram mit mir Schluss gemacht - und die ganze Welt hatte dabei zugesehen.
Das Video, das sie hochgeladen hatte, musste ich mehrmals anschauen, bis mein Gehirn bereit war zu realisieren, dass es kein schlechter Scherz war, sondern ihr verdammter Ernst. Sie saß in einem Hauch von Minidress auf dem Schoß von diesem aufgeblasenen Rapper in einer Limousine. Während sie sich wild küssten, grabschte er ihr ganz ungeniert an die Brüste. Das Video hatte sie mit den Hashtags #sohot #wheninvegas kommentiert. Und darunter schrieb sie sorry @Fabio but it´s over.
Was. Zur. Hölle? Was bildete sich diese kleine Schlampe eigentlich ein? Ich war nicht irgendjemand unbedeutendes. Ich war Fabio, der musikalische Superstar Deutschlands. Wut kochte in mir auf und ich hatte Mühe, diese ungeheuren Gefühle im Zaum zu halten. Ich spürte, wie die Aggressivität durch meinen ganzen Körper wanderte. Seit heute Morgen jedes Klatschblatt über meine peinliche Abfuhr berichtet hatte, kochte die Wut in meinen Adern. Mein Manager hatte mich den ganzen Morgen genervt und mein PR-Team eine Krisensitzung einberufen. Und jetzt lag mir auch noch meine Mutter im Nacken. Das war einfach zu viel. Ich stand auf und schob die Vorhänge meines Apartments beiseite. Sofort begann ein Blitzlichtgewitter.
Heute Morgen waren es nur eine Hand voll Paparazzi gewesen, doch nun schien ganz Berlin vor meiner Haustür zu lauern. Schnell zog ich die Vorhänge wieder zu. Ich war gefangen. In meinen eigenen vier Wänden. Ich konnte nicht raus gehen, in irgendeine Bar und meinen Frust in Alkohol ertränken. Ich konnte nicht durch den Park joggen, um den Kopf frei zu kriegen. Ich fühlte mich eingesperrt, in dem einzigen Raum, der mir Privatsphäre bot. Wie in einem Gefängnis.
Meine Hände fingen an zu zittern, so wütend war ich in diesem Moment. Ein Schrei entfuhr meiner Kehle. Ich griff nach meiner Gitarre, die in der Ecke stand und haute sie mit voller Wucht auf den Couchtisch. Ich rastete völlig aus. Wieder und wieder schlug ich die Gitarre zu Boden, bis Holz um mich splitterte. Keuchend hielt ich inne. Scheiße. Der Gitarrengriff hing leblos seitlich ab, wie ein gebrochener Arm. Ich Idiot hatte gerade meine Lieblingsgitarre geschrottet. Auf ihr hatte ich die letzten zwei Alben komponiert. Mit ihr war ich auf Europatournee gegangen. Sie war meine treue Begleiterin gewesen und hatte mir immer Glück gebracht.
Ich musste hier raus. Scheiß auf die Paparazzi. Wenn ich mich jetzt nicht richtig abreagierte, würde meine ganze Wohnung bald in Trümmern liegen. Ich schnappte mir die Schlüssel meines Porsches, zog mir die Kapuze meines grauen Hoodies über den Kopf und drückte ungeduldig den Knopf für den Aufzug, der direkt von meiner Wohnung in die Tiefgarage führte. Im Auto setzte ich mir schnell noch meine Sonnenbrille auf den Kopf, bevor ich mit durchdrehenden Reifen durch das sich öffnende Garagentor schoss. Ein metallisches Kratzen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich hatte gerade einen Seitenspiegel abgefahren.
Ein Blitz nach dem anderen traf mich, als ich mir mit röhrendem Motor den Weg durch die Paparazzi bahnte. In letzter Sekunde sprang ein besonders penetranter Klatschfotograf zur Seite. Ich drückte auf Vollgas und raste die Straße entlang. Im Rückspiegel sah ich, dass ein Kamerateam mir nachrannte. Ich presste die Zähne so fest aufeinander, dass es wehtat.
Diese verdammten Blutsauger hatten alles gefilmt.
***
Ich hatte gedacht, gestern wäre ein Alptraum gewesen. Doch heute musste ich die Maßstäbe dafür noch mal neu definieren. Das Video, wie ich mit abgefahrenem Spiegel aus der Garage flüchtete, hatte es bis in die Abendnachrichten geschafft. Auf TikTok war es sogar viral gegangen.
Superstar Fabio Weiß dreht jetzt völlig durch schrieb die Bildzeitung. Die gesamte Titelseite zierte ein Foto, wie ich mit hängendem Spiegel aus der Garage schieße. Im Internet verbreiteten sich Bilder von mir, wie ich wütend einen Wichser zeige und mich fast mit einem Paparazzi prügele, der mir zu nahe kommt.
Wieder hörte ich eine Nachricht meiner Mutter von der Mailbox ab.
„Fabio, was ist los mit dir? Melde dich doch bitte mal bei uns. Papa und ich machen uns wirklich Sorgen.“
Genau das brauchte ich im Moment auf keinen Fall: Den gut gemeinten Rat meiner Mutter. Ich wusste, dass sie mit mir über alles reden wollte, was gerade mit ihrem sonst so musterhaften Sohn vor sich ging. Aber ich mochte jetzt einfach nur für mich sein. Ich wollte, dass mich alle in Ruhe ließen. Ganz besonders die Herde an bedrängenden Fotografen und Filmteams, die mich auf jedem Schritt verfolgen, den ich aus meiner Wohnung machte.
***
Seit meiner weniger erfolgreichen Spritztour gestern saß ich in meinem Apartment fest. Meine Aufzugtür öffnete sich mit einem Ping und mein Freund Thomas, der gleichzeitig mein Manager war, kam heraus. Mit besorgter Miene musterte er mich einen Moment still, bevor er sich zu mir auf die Couch fallen ließ. Mit der Hand fuhr er sich besorgt durch sein dichtes Haar.
„Man Fabio, das ist eine ziemliche Shitshow die du da gerade ablieferst. Das Label ist stinksauer.“
Ich schnaubte nur. Das Label war mir gerade herzlich egal. Mein Plattenvertrag war mir gerade herzlich egal. Die konnten mich alle mal am Arsch lecken. Das waren genauso Blutsauger wie diese lästigen Paparazzi. Denen ging es nicht um mein persönliches Wohl. Sie alle wollten nur, dass die Maschine Fabio am Laufen blieb, damit sie mit mir alle schön viel Geld verdienen konnten.
„Jolie hat vorgeschlagen, dass es das Beste sei, wenn du erst Mal eine Weile untertauchst. Etwas Urlaub machst. Bis sich dieser ganze Medienzirkus etwas beruhigt hat.“
Er schaute mich durchdringend von der Seite an. Ich saß nach wie vor mit verschränkten Armen auf der Couch und starrte düster vor mich hin. Sein Blick wanderte zu meinem demolierten Couchtisch. Fragend hob er eine Augenbraue.
„Was ist denn hier passiert?“
Ich deutete nur stumm in die Ecke, wo die Überreste meiner verstümmelten Lieblingsgitarre an der Wand lehnten. Er schwieg eine Weile, dann stand er auf und zwang mich dazu, ihn anzusehen.
„Ich glaube es ist wirklich das Beste, wenn du jetzt deine Sachen packst. Dein Hotel ist schon gebucht. Nimm dir so viel Auszeit wie du brauchst. Aber sieh zu, dass du deinen Kram auf die Reihe kriegst. Diese impulsiven Aktionen, die du gerade bringst, schaden deinem Image enorm. Als dein Manager rate ich dir, ab jetzt einfach den Kopf einzuziehen und kommentarlos an den Paparazzi vorbei zu gehen. Ignorier sie. Ignoriere diesen Zirkus. Wenn du eine Weile verschwindest, werden sie das Ganze vergessen und dich wieder in Ruhe lassen.“
Zum Abschied klopfte er mir auf die Schulter, bevor er wieder im Aufzug verschwand.
***