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In Italien verschwinden immer wieder junge Menschen, die am Rande einer sozial ausgegrenzten Unterschicht leben. Sie werden nach Serbien verschleppt und dort in einem alten Armeebunker aus dem Jugoslawienkrieg grausam gefoltert und anschließend umgebracht. Neben dem sexuellen Hintergrund der jeweiligen Tat stellt es sich heraus, dass der Vatikan in die Sache verwickelt ist. Anscheinend wollen gewisse Kräfte der katholischen Kirche eine Säuberung des Landes von unerwünschten Personen, welche nicht den Gott der etablierten Konfessionen heiligen. Fast könnte man Parallelen zur Inquisition des Mittelalters ziehen. Aber auch im evangelischen Glauben offenbart sich ein Drama. Hexen sind eben nicht konfessionstreu – oder gibt es sie gar nicht?
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Seitenzahl: 394
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Maria Migdal
Hexen gibt es nicht
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
1. Katharina
2. Des Pfarrers Leid
3. Schweizer Garde
4. Des Pfarrers Traum
5. Circus Maximus
6. Hilde Ströbel
7. Der Flughafen Frankfurt
8. Sizilien und Gianna
9. Stephans Eltern
10. Hildes Pläsier
11. Diskussion über Gott und die Welt
12. Herzbergers Barbesuch
13. Hintergründe gewisser Machtbesessener im Vatikan
14. Hildes Schmerzen und Erfüllung
15. Verschollenensuche
16. Glaubensfragen
17. Dossier der Botschaft
18. Die Offenbarung des Propstes
19. Kronbergs Enkel
20. Neue vor der Engelsburg
21. Des Pfarrers trautes Heim
22. Glauben und Wissen aus dem heiligen Hause
23. Hexen gibt es doch
24. Hildes Gefühl der Sehnsucht
25. Pfarrers Rückkehr
26. Kronbergs Frauen
27. Fehler der Konkurrenz
28. Roms Herrscher greifen zu
29. Herzbergers Strafe
30. Die Suche nach dem Teufel
31. Auswärtiges Amt
32. Rückkehr
33. Vermisstenmeldung
34. Re-Import
35. Berlin sucht Heimatlose
36. Hamburgs Pläne auf Rache
37. Des Vatikans Hunde
38. Marcantas Einsicht
39. Vier im Visier
40. Kleeblatt hat Glück
41. Rettung aus Deutschland und Kirche ohne Geld
42. Klar Schiff zum Entern
43. Kronbergs Beichte
44. Lügen im Beichtstuhl
45. Agent seiner Majestät
46. Wohnungsfragen
47. Ungewollte Kardinalfreude
48. Ein fahrendes Argument
49. Lukas Taufe
50. Eine Urlaubsreise ins Ungewisse
51. Die Banane kann helfen
52. Kardinal im Feuer
53. Kokablätter sind auch nachts gut
54. Batido mit Ei
Aus dem Vatikan:
EPILOG
Impressum neobooks
Wenn ein Einfältiger zu seiner Erbauung in Gott die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments lesen will, so muss er sich mit allem Fleiß davor hüten, dass er nicht etwa einen heimlichen falschen Grund in seinem Herzen habe oder irgendeinen unrechten Zweck, warum er die Heilige Schrift lese.
Denn die Schriftgelehrten und Pharisäer lasen auch die Heilige Schrift und waren doch dadurch nicht gebessert.
Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding;
wer kann es ergründen?
Jeremia 17, 9
Langsam kam sie wieder zu Bewusstsein. Ein stechender Schmerz in ihrem Kopf und ein allgemeines Unwohlsein, hervorgerufen durch die lange Zeit der Bewusstlosigkeit, war das Erste, was sie wahrnahm. Ihr war kalt und sie wollte sich den Kopf mit den Händen stützen, aber ihre Hände reagierten nicht. Als ihr bewusst wurde, dass sie mit Kabelbinder aus Kunststoff an einen Stuhl gefesselt war, kam Panik in ihr auf.
Sie schaute an sich herunter und nahm in dem Dämmerlicht war, dass sie nackt war. Ihre Panik wurde mit jeder Sekunde größer. Sie wusste, das ist kein böser Traum, der gleich vorübergeht. Die Kabelbinder an ihren Hand- und Fußgelenken schnitten mit jeder Bewegung ins Fleisch und der Schmerz zeigte ihr, dass sie nicht träumte. Sie schrie, zumindest dachte sie es, aber aus ihrem Mund kam nur ein heiseres Krächzen. Nach endlos langen Minuten hörte sie in der Ferne eine Tür schlagen. Ein Mann betrat den muffigen, kalten Kellerraum. Er nahm nur kurz von ihr Notiz und ging zur Wand. Dort waren auf einem Tisch einige Gegenstände ausgebreitet, die er in Augenschein nahm. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie er eine Zange, eine Pinzette, verschiedene andere Werkzeuge und ein Schlachtermesser mit einer leicht gebogenen, langen Klinge auf einen
Servierwagen legte. Er fuhr den Wagen zu ihr in die Mitte des Raumes. Ihre Panik ging ins Unermessliche. Ihr Herz raste und ihr Kopf schien vom hohen Blutdruck schier zu platzen.
Sie flehte ihn an: »Helfen Sie mir! Bitte! Was soll das Ganze? Machen Sie mich los!«
Doch der Fremde reagierte nicht auf ihr Flehen. Er schaltete eine Leuchtstoffröhre über ihr an. Dann sah er sie einige Minuten lang an, legte den Zeigefinger auf die Lippen und zeigte ihr somit, dass sie ruhig sein sollte. Er wusste genau, dass er damit das Gegenteil erreichte. Es war seine Absicht. Und sie ging auf. Die Angst beflügelte nun ihre Stimme und sie schrie aus Leibeskräften. Dies jedoch schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er machte keinerlei Anstalten, das Schreien zu unterbinden. Hier unten im Bunker konnte sie keiner hören.
Mit beiden Händen tastete er genüsslich ihren Körper ab. Dabei strich er ihr fast zärtlich über den Kopf und legte die in das Gesicht gefallenen Haare hinter ihre Ohren. Als er mit den Händen über ihre Brüste streichelte, hörte sie auf zu schreien und änderte ihre Taktik.
»Ich gebe Ihnen Geld. Meine Eltern sind reich! Nur lassen Sie mich frei. Es wird auch keiner etwas erfahren. Bitte!«
Sie sprach viel zu hektisch und ihre Stimme überschlug sich. Als der Fremde keinerlei Reaktion zeigte, weinte sie hemmungslos.
»Das wird in der Tat keiner. Aber du bist doch ein Waisenkind und hast doch gar keine Eltern. Wie kannst du nur so lügen? Mädchen … Mädchen, du enttäuschst mich!«
Während er sprach, schien sie sich etwas zu beruhigen.
»Ich werde dich bestrafen müssen!«
Als sie wieder anfing zu weinen, drehte er ihr ruckartig den Rücken zu und begann, sich langsam auszuziehen. Seine Kleider hängte er ordentlich auf einen Kleiderständer hinter einer Sichtschutzwand. Er ging zu ihr zurück und wäre um Haaresbreite mit den nackten Füßen auf der Folie am Boden ausgerutscht. Es war kalt, doch das spürte er nicht. Er setzte sich breitbeinig auf ihre Oberschenkel. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
»Wenn du alles schön brav machst, was ich dir befehle, wirst du vielleicht auch ein bisschen Spaß haben.«
Sie bog jedoch den Kopf so weit wie möglich nach hinten. Er nahm ihn in seine Hände und zog ihn wieder zu sich.
»Komm, sei schön brav und küsse mich!«
Das tat sie aber nicht. Er küsste ihre Stirn, die Augen und die Nase. Sein Mund wanderte über ihre vom Herzrasen rotgezeichneten Wangen zum linken Ohr. Dann nahm er ihr Ohrläppchen zwischen seine Lippen und saugte daran. In diesem Ohrläppchen steckte kein Ring. Im anderen Ohr hatte sie einen kleinen runden Silberring. Gerade wollte sie wieder um Freiheit betteln, als er erbarmungslos zubiss. Ihr Schrei erregte ihn stark. Doch er wollte die Sache langsam angehen und ihre Qual auskosten. So gaben seine Zähne ihr Ohrläppchen wieder frei.
»Ich habe doch gesagt, du sollst mich küssen. Wenn du nicht auf mich hörst, muss ich dich eben zwingen. Also, was ist nun mit uns beiden?«
»Ja, … ja, ich mach ja schon.«
Sie zitterte am ganzen Körper. Speichel rann aus ihrem Mund, als sie ihm einen Kuss auf den Mund hauchte.
Er stöhnte und legte seine Stirn an ihre, als er sagte: »Mädchen … Mädchen, was soll ich nur mit dir machen? Soll das etwa Küssen sein? Du bist 18 Jahre alt, hast schon zweimal abgetrieben und wer weiß wie viele Kerle gehabt.
Das kannst du doch besser.«
Verwundert stellte sie sich für einen Moment die Frage, woher er das wusste. Sie würde keine Antwort bekommen. Er drehte ihren Kopf zur Seite und nahm das rechte Ohrläppchen in den Mund. Einen Augenblick zögerte er und sie dachte schon, dass er wieder zubeißen würde, doch dann nahm er den Ring zwischen seine Zähne, zog an ihm und schnellte mit seinem Kopf nach hinten. Der Ring riss ihr das Ohrläppchen auf, das Blut tropfte in einem kleinen Rinnsal auf ihre Schulter. Der markerschütternde Schrei kam mit Verzögerung. Er spuckte den Ring auf den Boden. Seine Erregung nahm immer mehr zu und sein Glied ragte zur vollen Größe empor. Er ließ ihr Zeit. Er ließ sich Zeit.
Er stieg von ihr herunter und ging zur Wand. Er öffnete eine Flasche Wodka und setzte sie an den Mund. Gierig trank er drei – vier Züge. Aber er wollte nicht betrunken sein. Er wollte das Leid der jungen Frau genießen. Er kehrte zu ihr zurück und nahm wieder, wie vorher, auf ihren Oberschenkeln Platz. Noch einmal versuchte sie, mit ihm zu reden. In Filmen hatte sie einmal gesehen, dass man mit dem Vergewaltiger ein Gespräch aufbauen sollte. So könnte eine Beziehung entstehen, die zur Aufgabe des Täters führen könnte.
»Ich bin Kathi, wie heißt du? Ich will dir auch alles machen, wie du es willst. Kannst du mich nicht ein bisschen losmachen? Es tut so weh. Ich laufe nicht weg. Ich besorg’s dir auch, wie du’s haben willst!«
Aber genau das war es, was er nicht wollte. Es ihm besorgen, konnte er einfacher haben. »Ich weiß, dass du Katharina heißt, eine Tramperin vor dem Herrn bist. Eine Fixerin. Eine Diebin. Ein ganz schlechtes Mädchen. Aber du hast mich immer noch nicht richtig geküsst.«
»Ich … ich mach’s sofort, sofort.«
Verwirrt machte sie sich darüber Gedanken, woher er das alles von ihr wusste. Sie kam ihm nun wirklich mit dem Mund entgegen und presste ihre Lippen auf seine.
Seine Erregung ging um einen Grad herunter aber er hielt eine Minute still. Dann sagte er ihr in gutmütigem Ton, dass dies doch nur ein bisschen Geknutsche sei. Sie solle ihn doch richtig heiß küssen und ihre Zunge in seinem Mund versenken.
Eine große in ihr aufsteigende Angst jagte ihr eine Gänsehaut über Schulter und Rücken. Doch ihr blieb keine andere Wahl. Sie musste sich auf Zungenküsse einlassen.
»Streck sie richtig raus, soweit du kannst.«
Er nahm ihre Zunge in seinen Mund und saugte an ihr. So glitt sie weiter in seinen Mund. Das, was nun kommen sollte, bereitete ihm wiederum ein zum Bersten gespanntes Glied. Langsam umkreiste er mit seiner Zunge die ihre. Nun nahm er mit den Zähnen an ihrem Zungenschaft Kontakt auf. Sie ahnte, dass er wohl gleich zubeißen wollte, und zog ihre Zunge zurück. Jedoch war sie nicht schnell genug und er erwischte ihre Zungenspitze mit seinen Schneidezähnen. Er biss zu. Erst zögernd, dann kräftiger und zum Schluss mit mahlenden Bewegungen. Es dauerte ganze dreißig Sekunden, bis die Spitze abgebissen war. Nach vier oder fünf kurzen, lauten Schreien ließ sie den Kopf zur Seite fallen und wimmerte nur noch vor sich hin. Er kaute auf ihrer Zungenspitze genüsslich, verdrehte die Augen und stöhnte auf. Er griff zur Wodkaflasche, nahm einen kräftigen Schluck und spülte Zungenreste und Blut hinunter. Etwas Wodka schüttete er ihr ins Gesicht und Mund, was ihr weiteren Schmerz zufügte.
Dann erhob er sich.
»Ich brauche etwas Ruhe«, sagte er leise mehr zu sich selbst. Sie hörte ihn sowieso nicht. Ihr Kopf war auf ihre Schulter gefallen und zuckte hin und her. Sie schluckte Blut. Er ging mit der Flasche Wodka hinter die Sichtschutzwand. Dort befand sich ein Bett, an dem an den vier Pfosten Tücher angeknotet waren. Er legte sich hin und wurde nach einigen Minuten tatsächlich ruhiger.
Nach einer halben Stunde klopfte es außen an die Tür.
»Alles in Ordnung?«
Benommen erhob er sich.
»Ja, verschwinde.«
Dann war er wieder so aufgeregt wie vorher. Er zwang sich jedoch zur Ruhe. Jetzt stellte sich in seinem Kopf ein stechender Schmerz ein. Gleichzeitig legte sich in seiner Brust eine Feuerfaust um sein Herz. Hastig nahm er zwei Kopfschmerztabletten aus seiner Jacke und schluckte sie runter. Er wollte es noch nicht – aber er musste die Sache gleich beenden. Der Druck in seinem Schädel war nicht zum Aushalten. Die Schritte zu der Gefesselten kamen ihm ewig lange vor. Mit tränengefüllten und blutverschmierten Augen sah sie ihn verschwommen an. Er setzte sich wieder auf ihre Oberschenkel und rutschte zu den Knien. Das Messer kam wie von selbst in seine Hand. Das Mädchen schien zu spüren, was nun folgen sollte und ergab sich in ihr Schicksal. Ein kurzes Aufbäumen mit der Folge, dass sich die Kabelbinder bis auf die Knochen in ihre Handgelenke fraßen, war die letzte Abwehr, die sie machte.
Sein Puls erreichte einen Spitzenwert. Doch noch kam er nicht zum Höhepunkt. Er überlegte, ob es nicht besser wäre, ihre Brustwarzen abzubeißen. Aber er handelte ohne weiteres Nachdenken, getrieben von einer unerklärbaren innerlichen Kraft. Das Messer fuhr wie von alleine tief in ihre Vagina. Er umfasste den Schaft mit beiden Händen und zog die Klinge hoch. Der Bauch öffnete sich und es floss ein Blutschwall an ihm herunter. Die Klinge stieß gegen eine Rippe. Er drehte sie seitlich nach oben und teilte das Herz. Dann zog er das Messer aus ihrem geöffneten Körper. Das Mädchen spürte davon nichts mehr, der Tod war sofort eingetreten. Magen- und Darminhalt verteilten sich auf ihr und ihn gleichermaßen. Doch noch immer kam er nicht zum Höhepunkt. Jetzt trennte er mit dem scharfen Metzgermesser, mit zwei schnellen Schnitten beide Brüste ab, nahm sie in beide Hände und massierte mit ihnen seinen Penis. In diesem Moment explodierte er förmlich. Er ejakulierte mit einem tierischen Schrei auf ihren aufgeschlitzten Bauch.
Das war sehr heftig, dachte er. Aber es war auch viel zu früh. Ich muss lernen mich besser zu beherrschen. Er stand von ihr auf und ging rückwärts zur Wand. Jetzt erst nahm er den Gestank von Blut, Stuhl und Tod wahr. Er ekelte sich. Im Waschbecken weiter hinten übergab er sich. Dann ging er in den Waschraum nach nebenan und duschte ausgiebig.
Er trank einen großen Schluck aus der Wodkaflasche. Als er sich angezogen hatte, trat er auf den Flur und verließ das Gebäude durch den Keller. Jetzt schon taten ihm die dreißigtausend Euro leid, die er für das Mädchen bezahlt hatte. Er fand, sie war die Summe nicht wert. Nächstes Mal, so nahm er sich vor, sollten es zwei Frauen sein. An der Angst der einen Person, während er die andere behandelte, könnte er sich stärker erbauen.
Draußen kam ihm ein Mann entgegen.
»War alles in Ordnung?«
»Ja, mach die Sauerei da drinnen weg!«
Auf dem Platz vor dem verfallenen Gebäude wartete ein Wagen auf ihn. Er ließ sich auf den Rücksitz fallen und sagte zum Fahrer: »Zum Flugplatz – schnell.«
Noch bevor er im Flugzeug saß, wurde der Leichnam des Mädchens in dem großen Heizofen des ehemaligen Geheimdienstgebäudes in Kraljevo in Zentralserbien vollständig verbrannt.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich.
Psalm 118,1
Gregor Herzberger hatte vor Kurzem seinen 44. Geburtstag gefeiert. Er saß in seinem kleinen Büro im Haus, welches sich direkt neben seinem Arbeitsplatz, der Kirche, befand und arbeitete an seiner Predigt für den nächsten Sonntag.
Die Familie Herzberger wohnte nun schon seit fünfzehn Jahren in dem kleinen Ort im Landkreis Gießen. Gregors zweiter Vorname war Philipp. Er benutzte ihn jedoch nicht gerne. Der Name Philipp, eine Abkürzung, die eigentlich von Philippus herrührte, einem der 12 Apostel Jesu, war ihm seit seiner Kindheit unangenehm. Daran änderte auch seine spätere Berufswahl nichts. Gregor schrieb seine Predigt nie vollständig nieder, sondern machte sich nur Notizen und redete im Allgemeinen frei. Meist hatten seine Reden im zweiten Teil der Predigt, die er immer von der Kanzel hielt, nicht nur einen Themeninhalt, sondern gleich zwei oder drei. So auch dieses Mal. Er wollte zum einen über die, wie er meinte, fortschreitende sexuelle Tabulosigkeit Jugendlicher und zum anderen über die ständige Gefahr der Atomkraftwerke reden, die seit dem Gau in Japan weiterhin präsent war. Hierbei die notwendige Aufmerksamkeit der Kirchgänger zu bekommen, stufte er als schwierig ein. Ein Gott hat das alles so nicht gewollt reichte da nicht aus. Es machte sich in letzter Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit und eine gewisse Ohnmacht gegenüber der Situation breit, nicht wirklich genug gegen die Gefahr einer Atomkatastrophe tun zu können.
Herzberger hörte, wie in der Küche ein Teller oder eine Tasse zu Bruch ging. Er eilte zu seiner Frau in die Küche und sah, dass er richtig vermutet hatte. Seine Frau war den Tränen nahe. Sie hatte sich an den Scherben eines Tellers den Finger aufgeschnitten. Die Wunde jedoch rief nicht ihre Tränen hervor, vielmehr war die zunehmende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes Auslöser ihrer Depressionen. Gregor Herzberger holte aus dem Badezimmer ein Pflaster und klebte es auf ihre Wunde. Ingrid Herzberger saß seit gut einem Jahr im Rollstuhl. Die Diagnose wurde schon vor fünfzehn Jahren gestellt: Multiple Sklerose.
Am Anfang waren es nur leichte Sehschwächen, mit der Zeit jedoch wurden die Schübe häufiger und stärker. Schwindelgefühle und Durchblutungsschwächen kamen hinzu. Bis ihr vor Kurzem die Beine versagten und sie nur noch im Rollstuhl sitzen konnte. Das kam relativ schnell für ihr Alter und ihr Gemütszustand wurde immer schlechter. Die Familie Herzberger hatte in der Vergangenheit weitere große Schicksalsschläge zu verkraften. Von den vier Kindern der Herzbergers verstarb eins mit sechs Monaten an dem sogenannten »plötzlichen Kindstod«. Es lag am Morgen friedlich, aber doch tot, im Bett. Ein weiteres Kind wurde im Alter von vier Jahren von einem Auto erfasst und getötet. Von den beiden verbliebenen Kindern, Melanie 13 Jahre alt und Sven 17 Jahre alt, ist nur der Junge gesund. Das Mädchen leidet an einer aggressiven Form von Leukämie. Für sie suchten die Herzbergers seit langem einen Knochenmarkspender. Tausendmal stellten sich Ingrid und Gregor Herzberger die Frage, ob diese Schicksalsschläge eine Prüfung Gottes sein sollten. Ingrid hatte schon lange ihren Glauben an Gott und die Kirche verloren. Sie wollte mit ihrem Mann auch nicht darüber reden. Sie wusste, dass er weiterhin auf seinen Glauben vertraute.
»So eine Scheiße!«, fluchte sie und warf zornig eine Kaffeetasse gegen die Wand. Beim Ausräumen der Spülmaschine fiel ihr ein Teller aus der Hand. Das ließ sie wieder einmal ihre Behinderung deutlich spüren.
»Jetzt verzweifle nicht. Es ist doch nur Porzellan«, sagte Gregor Herzberger.
»Geh mir nicht auf den Geist. Du hast doch keine Ahnung, wie ich mich fühle. Du kannst hingehen, wohin du willst. Dein Gott zeigt dir schon deinen Weg. Aber mir nicht. Mein Gott hat mir alles genommen.«
»Red nicht so. Glaubst du, mir fällt das alles leicht? Aber ich finde im Gebet meinen inneren Frieden. Verzag nicht. Denk auch an Melanie und Sven.«
Sie war müde und wollte nicht weiter streiten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, fuhr sie mit dem Rollstuhl ins Badezimmer. Hier zog sie ihren Pulli und den BH aus, warf beides wütend in die Ecke und streifte ihre Hose und den Slip herunter, indem sie ihr Gewicht erst auf die rechte Pobacke und dann auf die linke verlagerte. Beide Teile, Socken und die Schuhe, ließ sie ebenfalls achtlos auf den Boden fallen. Nachdem im Badezimmer vor einem Jahr einige Umbauten gemacht wurden, kam sie hier ganz gut zurecht. Sie zog sich an einem der Griffe an der Wand hoch, klappte den Behindertensitz in der Dusche herunter, zog sich in die Kabine hinein, drehte sich und setzte sich auf den Sitz.
Sie wollte das Wasser andrehen, stellte aber fest, dass die Handbrause ganz oben hing. Zu oft schon hatte sie ihrem Mann gesagt, er sollte doch das Ding nach dem Duschen immer wieder herunterziehen. So zog sie sich wieder am Griff hoch, hielt sich mit einer Hand fest und zog mit der anderen den Schlauch mit der Brause herunter. Als sie sich wieder hingesetzt hatte und das warme Wasser sprudelte, beruhigte sie sich.
Dann stellte sie fest, dass es kein Duschgel gab.
»Gregor!«
Sie schrie es zur Tür. Gregor, der in der Küche inzwischen die Scherben beseitigt hatte, war sofort zur Stelle.
»Es ist kein Duschgel da! Kannst du welches holen und mir den Rücken einseifen?!«
»Ja, natürlich.«
Er trug Duschgel auf seine Hände und streichelte zärtlich über ihren Rücken.
»Die Haare auch?«
»Ja, die müssen auch gewaschen werden.«
Ihre Stimme hörte sich etwas sanfter an. Er nahm Shampoo und massierte ihren Kopf. Sie ließ den Wasserstrahl über ihre Haare laufen und wusch die Seife wieder aus. Sie ist immer noch und trotz Behinderung eine schöne Frau, schoss es ihm durch den Kopf. Er gab nochmals Duschgel in die Hände, welches er auf ihren Schultern verteilte. Dann berührten seine Hände ihre Brüste und streichelten sie.
Sofort stieß sie seine Hände weg und sagte in einem drohenden Ton: »Lass das!«
Mit Tränen in den Augen verließ er das Badezimmer. Er ging nach draußen. Frische Luft tat ihm jetzt gut. Hinter der Garage wurde irgendwann einmal Holz für den Kamin angeliefert. Die Scheite waren jedoch zu dick und mussten noch mal gespalten werden. Gregor nahm das Beil und begann, wild auf die Holzscheite einzuhauen. Seine Gedanken waren jedoch nicht beim Holz.
Er stellte sich vor, Menschen den Kopf zu spalten. Gesunden erwachsenen Menschen. Er erschrak über seine Gedanken. Nach einer knappen halben Stunde wurde er ruhiger. Körperlich ausgepowert, doch noch etwas verwirrt, ging auch er unter die Dusche. Er wusste mit seinen Gedanken nicht so recht umzugehen. Niemals vorher hatte er solche Eingebungen. Und er wollte sie auch nie wieder haben.
Gregor Herzberger zog sich an und ging hinüber zur Kirche. Jetzt wollte er seinem Herrn nahe sein. Vor dem Altar kniete er nieder und sprach lange im Gebet.
Wenn du in das Land kommst, das dir der Herr, dein Gott, zum Erbe geben wird,
und nimmst es ein und wohnst darin.
Mose 26,1
Die Schweizer Garde wurde 1506 von Papst Julius II. gegründet. Heute ist sie das einzige bewaffnete Armeekorps des Vatikans. Sie sichert die Vatikanstadt, den apostolischen Palast und die Sommerresidenz des Papstes, den Eingang des Castels Gandolfo. Außerdem ist sie für die persönliche Sicherheit des Papstes bei öffentlichen Auftritten verantwortlich. Sie fungiert praktisch als Hauspolizei und ist im Grunde ein Sicherheitsunternehmen. Mit ihren farbenfrohen Uniformen, orange-blau gestreiften Hosen und Stiefeln und den silbernen Helmen mit roter Feder, den weißen Handschuhen und weißen Halskrausen, könnten die Gardisten ein Überbleibsel aus mittelalterlicher Zeit sein. Aber der Betrachter sollte sich nicht täuschen, es ist eine hochmoderne, schlagkräftige Schutztruppe.
Laut Reglement hat die Garde 110 Mann, bestehend aus einem Kommandanten, einem Vizekommandanten, einem Kaplan, einem Major, zwei Hauptleuten, 26 Unteroffi zieren und 78 Gardisten. Neben der sichtbaren Bewaffnung der Gardisten mit Hellebarde und Schwert, die letztendlich aus nostalgischen sowie touristischen Gründen weiterhin Bestand haben, verfügt die Schweizer Garde aber auch über andere, moderne Waffen. Die Garde hat eine deutsche Pistole der Marke SIG P220 der Firma Sauer und Sohn in Eckernförde. Das Sturmgewehr SG550, hergestellt von der SAN Swiss Arms AG, wurde 1990 in den Bestand aufgenommen. Eine diverse Sammlung von Messern und Pfeffersprays runden das Arsenal der Garde ab.
Seit dem 4. Mai 1998 ist es um die Schweizer Garde ruhig geworden. Damals wurden der Kommandant Alois Estermann und seine Gattin Gladys Meza Romero von dem Gardisten Cedric Tomay ermordet. Dieser hat sich daraufhin in der Kommandantenwohnung angeblich selbst das Leben genommen. Zu dem Mord wurden Gerüchte und Verschwörungstheorien verbreitet und für die Boulevard-presse war dieser Mord ein gefundenes Fressen. Zu den Gerüchten zählte auch eine Annahme, dass Estermann für den damaligen Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet habe. Auch die Theorie einer homosexuellen Beziehung des Kommandanten wurde öffentlich diskutiert. Obwohl vom Vatikan alle Anschuldigungen gegen Estermann dementiert wurden, blieben in der Öffentlichkeit Zweifel hängen.
Seit dieser Zeit sind keine nennenswerten Skandale der Schweizer Garde bekannt geworden. Das Interesse der Öffentlichkeit konzentriert sich auf die Einflussnahme des neuen Papstes aus Deutschland auf das Weltgeschehen.
Papst Benedikt XVI, alias Josef Aloisius Ratzinger, ist der 8. deutsche Papst und seit 2005 im Amt. Er ist durch die Schweizer Garde wohl behütet und fühlt sich sicher, wie er einmal in einem Interview im ersten Programm des italienischen Rundfunks erwähnte. Er wird nicht nur durch die Gardisten geschützt, er wird auch durch eine Gruppe auf Personenschutz getrimmter junger Männer im Vatikan abgeschirmt. Man hält alles Unangenehme, auch den Vatikan betreffend, von ihm fern. So erfährt der Papst nicht, wer und wie viele Personen wann zu seinem Wohl eingesetzt werden. Ihm werden vermeintlich unwichtige Vorkommnisse nicht mitgeteilt. Man möchte ihn nicht mit unwichtigen Dingen belasten.
So berichtete man ihm auch nicht, dass ein offenbar verwirrter alter Mann über den Petersplatz ging und immer wieder laut und deutlich rief: »Wo sind die Hexen?«
Um den alten Mann kümmerten sich zwei Gardisten. Diese gingen gemütlichen Schrittes zu ihm und nahmen ihn in ihre Mitte.
Sie versuchten zu erfahren, was der alte Mann sagen wollte. Aber alles, was sie zu hören bekamen, war die Frage: »Wo sind die Hexen hin?« Sie geleiteten den Alten über die Piazza San Pietro zur Via della Conciliazione. Eigentlich dürfen Gardisten den Petersplatz nur in Ausnahmesituationen verlassen. Da aber gerade Ablösung war und die beiden Gardisten nun sowieso freihatten, wurde ihnen vom Oberst der inoffizielle Befehl erteilt, den alten Mann ein Stück des Weges zu begleiten. Sie sollten ihn in eine Nebenstraße weg vom Petersplatz führen. Kurz vor dem Castel Sant’Angelo, besser bekannt als die Engelsburg, ließen sie ihn allein und kehrten um. Das war zwar nicht gerade eine Nebenstraße, die Gardisten hatten jedoch Durst und wollten so schnell wie möglich zurückkehren.
Aus einem oberen Fenster der St. Peter’s Basilica wurde das Ganze mit einem Präzisionsfernrohr beobachtet. Der Betrachter legte die Stirn in Falten. Er hatte den Alten auf dem Petersplatz schon mehrmals gesehen. Ihm war auch bekannt, was der scheinbar verwirrte alte Mann gerufen hatte. Er wusste, wen er mit der Frage, wo sind die Hexen,
gemeint hatte. Er überlegte, wie er es verhindern konnte, dass diese Situation ausuferte. Aus seinen sorgenvollen Gedanken um den alten Mann wurde er aber durch die Ankündigung eines Gastes gerissen.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des Herrn seid.
Psalm 118, 26
Das Telefon klingelte und Gregor Herzberger nahm den Hörer ab.
»Pfarramt, Herzberger am Apparat«, meldete er sich altmodisch.
»Hallo Herzberger, ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«
Der Anrufer stellte sich nicht vor. Herzberger erkannte ihn jedoch an seiner Stimme, obwohl sie sich verschnupft anhörte. Es war Dekan Blechlinger. Sein Vorgesetzter.
»Ja, was gibt es?«
»Sie müssen mich bei dem Termin mit Propst Kerner in Serbien vertreten. Eigentlich sollte auch der Kirchenpräsident von Hessen-Nassau dabei sein, aber der ist mit einer Herzattacke verhindert. Nun hat es mich auch erwischt. Sie hören ja, Schnupfen ohne Ende. Nun, die Begegnung ist wichtig. Es sollen Wege für einen Austausch der Schüler in die Wege geleitet werden. Weiter wollen wir noch mal einen Versuch unternehmen, und das ist eigentlich der Hauptgrund der Reise, ein gemeinschaftliches Gespräch mit allen europäischen Kirchenvertretern, auch den Moslems, herbeizuführen.«
»Hm, ich bin allerdings in keiner Weise eingeweiht.«
»Ach, das ist auch nicht notwendig. Kerner wird sowieso die Verhandlungen führen wollen, wie ich ihn kenne. Sie sollen nur dabei sein und mir anschließend berichten. Machen Sie sich ein paar schöne Tage in Belgrad.«
»Wann soll es denn losgehen?«
»Ach, hätte ich fast vergessen. Morgen 14.30 Uhr geht der Flug ab Frankfurt.«
»Was? Aber das ist unmöglich. Meine Predigt am Sonntag und …«
»Ach, habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie die junge nette Kollegin aus dem Nachbardorf vertreten wird? Sorry, hab ich vergessen. Also kommen Sie morgen Vormittag bei mir vorbei. Ich habe das Flugticket und die Unterlagen für Sie hier liegen. Muss Schluss machen. Der Hausarzt schaut gerade vorbei.«
»Ja … nun gut. Ich komme.«
Was sollte er sonst noch sagen? Äußerst ungelegen kam ihm diese Situation. Gerade jetzt, wo er sich mit seiner Frau noch nicht ausgesprochen hatte. Er hatte es in der Zwischenzeit schon zweimal versucht, doch sie hatte jedes Mal abgewinkt und ihn einfach stehen lassen. So ging er ins Schlafzimmer an den Wandschrank und packte seinen Koffer für die Reise ins Ungewisse. Er wusste nicht, was ihn in Serbien erwartete. Er wusste nicht einmal, wie das Wetter in Belgrad war. Er wusste auch nicht viel über Serbien selbst. Er wusste eigentlich gar nichts. Das Einzige, was er einmal gelesen hatte, war, dass der Präsident Boris Tadic hieß und die Währung serbische Dinare sind. Er hatte auch gehört, dass die Serben sehr gerne Euros nehmen würden. Ein Umtausch war wohl nicht notwendig.
Gregor Herzberger schaute im Internet nach und informierte sich über die Republik Serbien. Er fand einige Details, die er sich zu merken versuchte.
Serbien liegt inmitten der Balkanhalbinsel. Im Norden an Ungarn, im Osten an Rumänien und Bulgarien grenzend, liegt im Süden der Kosovo mit Mazedonien und Albanien. Im Südwesten grenzt Serbien an Montenegro, im Westen an Bosnien, Herzegowina und Kroatien. Einst war es der größte Teilstaat Jugoslawiens. Nachdem die wirtschaftliche Lage nach dem Jugoslawienkrieg am Boden war, erholte sich das Land mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von bis zu zehn Prozent. Dies wurde möglich mit hohen ausländischen Investitionen, die wiederum durch die EU-Beitrittsbemühungen Serbiens hervorgerufen wurden. Wichtige Erfolge im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses, wie das Inkrafttreten eines Interimsabkommens für Handelserleichterungen mit der EU und die Abschaffung der Visapfl icht für serbische Staatsbürger, befähigte Serbien 2009 offiziell, seine Kandidatur zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union einzureichen.
Die überwiegende Mehrheit der Einwohner sind Christen. 6,3 Millionen davon, das sind 84 Prozent, gehören dem serbisch-orthodoxen Glauben an. Der Rest teilt sich in Katholiken, Protestanten und einige wenige neuapostolische Christen auf. Es sind aber auch Muslime und Atheisten zu finden. Juden sind im ganzen Land mit circa 2000 Personen in der absoluten Minderheit.
Im politischen Dschungel des Landes behaupten sich die beiden großen Parteien, die Serbische Radikale Partei, offensiv nationalistisch und die Demokratische Partei, welche EU-orientiert ist. Die unterschiedlichsten Auffassungen vieler anderer Parteien haben bis heute dazu geführt, dass Serbien weder der EU noch der Nato angehört. Die Zukunft des Kosovo bleibt auch nach der Unabhängigkeitserklärung durch das Parlament in Priština in 2008,
dessen völkerrechtlicher Status umstritten ist, ein zentrales Problem der serbischen Regierung. Serbien hält weiterhin an früheren Beamten und an dem System, die Staatsauto-rität und ihre Unantastbarkeit durchzusetzen, fest. Immer mehr serbischen Bürgerinnen und Bürgern erscheint das unbegründet und sie werfen der Regierung Korruption vor. Westliche Wirtschaftswissenschaftler sprechen mittlerweile von einer systematischen Korruption. Andere Gründe für den Westen, den EU-Beitritt zu verzögern, sind bestehende Menschenrechtsverletzungen, wie die Diskriminierung Homosexueller in Serbien.
Siebenundsechzig Prozent der Serben sind laut Umfrage heute noch davon überzeugt, Homosexualität sei eine Krankheit, die mit einiger Anstrengung heilbar sei. Die Bereitschaft, gewaltsam dagegen vorzugehen oder eine Vorgehensweise zu unterstützen, liegt nach neuesten Umfragewerten bei zwanzig Prozent. Nur vor Titos Tod im Jahre 1980 waren diese ermittelten Werte noch größer.
Herzberger schaltete den PC aus und ging ins Bad. Seine Frau hatte sich schon ins Bett gelegt, war aber noch wach.
»Ich hatte noch einen Anruf von Dekan Blechlinger. Ich muss morgen mit unserem Propst zu einer Tagung nach Belgrad fliegen.«
»Ja flieg nur. Ob ich hier alleine klarkomme oder nicht, ist dir doch sowieso egal.«
»Ingrid, nun fang nicht schon wieder an mit Streit.«
»Dir ist doch alles egal, sonst würdest du dich nicht immer hinter deinem Herrn verbergen.«
»Lass uns nicht streiten. Wir bleiben nur drei Tage. Wenn ich zurück bin, können wir vielleicht einmal etwas ausspannen und zwei oder drei Tage wegfahren.«
»Wegfahren? Wohin? Und wenn wir dann zurückkommen, ist meine MS dageblieben?«
»Ich kann doch auch nichts dafür, dass es dir nicht so gut geht. Gott ist mein Zeuge, ich würde wahrlich viel dafür geben, wenn du gesund werden würdest.«
»Dein Gott ist dein Zeuge. Wach endlich auf. Deinen Gott gibt es nicht!«
Herzberger nahm wortlos seine Decke und das Kopfkissen und ging zu dem alten Sofa ins Wohnzimmer. Er bereute seinen Auszug aus dem Schlafzimmer spätestens, als er merkte, dass es ziemlich unbequem auf dem durchgelegenen Sofa aus den 50er Jahren war. Es war die erste Nacht, in der er schlecht schief. Es sollten noch einige schlaflose Nächte folgen.
Als er dann doch eingeschlafen war, griffen durchsichtige Gestalten nach ihm. Er wollte weglaufen, sie kamen ihm aber immer näher. Als sie ihn eingeholt hatten, umkreisten sie ihn. Sie wurden immer größer. Oder wurde er immer kleiner? Um seinen Hals wurde plötzlich ein Strick gelegt und irgendeine unsichtbare Macht zog ihn zu. Das Atmen fiel ihm schwer. Er wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Weit hinten, durch Feuer und Rauch umhüllt, kam ein Wesen auf ihn zu. Ein Gesicht, wie zur Fratze entstellt, tanzte vor seiner Nase. Herzberger zuckte zurück. Die Fratze kam immer näher. Du bist der Teufel! Weiche von mir Satan! Herzberger schrie es. Doch er schrie es nur im Traum. Jetzt öffnete der Teufel seinen Mund. Schwefliger, fauler Gestank drang aus des Teufels Mund, als er sprach:
Deinen Gott gibt es nicht! Wach endlich auf! Recht hat sie, deine Frau. Ich bin der Herrscher. Du gehörst mir! Ich bereite dir Freude und Lust!
Dann war der Traum plötzlich vorbei. Schweißgebadet wachte Gregor Herzberger auf und bekam einen Hustenanfall. Sein Hals tat ihm weh. Ungläubig schüttelte er den Kopf und
flüsterte: »Das war doch nur ein Traum. Ein wirklich böser Traum. Aber doch nur ein Traum.«
Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen,
also tut ihnen gleich auch ihr.
Lukas 6, 31
Der »Circus Maximus« lag im strahlenden Sonnenschein. Einst war es der größte Zirkus Roms. Er hatte eine Fläche von 45.000 Quadratmetern und war damit zwölfmal so groß wie das Kolosseum. Er bot einst 150.000 bis 300.000 Zuschauern Platz. Bis ins späte erste Jahrhundert n. Chr. wurden darin auch athletische Wettbewerbe und Tierhetzen veranstaltet. In seinem Ausbauzustand im Jahre 117 n.Chr. war der Circus Maximus 580 m lang und 80 m breit. In aller Welt bekannt wurde er durch den legendären Film Ben Hur mit Charlton Heston in der Hauptrolle, aus dem Jahre 1959. Der Monumentalfilm bekam 1960 in 11 Kategorien den Oscar. Heute ist der Circus Maximus eher ein unscheinbarer, ungepflegter Acker mitten in Rom. Optisch gesehen eher eine Enttäuschung für viele Touristen. Gleichwohl spürt man an diesem Ort ein Hauch von Historie, setzt man sich zum Beispiel auf eine Bank an die Längsseite des »Ackers« und lässt die antiken Geschehnisse im Geiste vorüberziehen.
Am Ende des Zirkusses, wo die Via del Circo Massimo in die Viale Aventino mündet, stehen große schattenspendende Bäume. Eine Gruppe junger Leute saß an diesem Vormittag darunter. Es war heiß, trotzdem trugen alle schwere, schwarze Umhänge oder Mäntel. Die vier jungen Frauen waren allesamt auf einer Kopfhälfte rasiert. Sie hatten schwarzlackierte Fingernägel und schwarzen Lippenstift aufgetragen. Die drei jungen Männer zogen sich die Kapuzen bis in die Stirn. Ihre teilrasierten Schädel wurden so vor der Sonne geschützt. Einige hatten Ketten mit Kreuzen, deren Querbalken nach unten wiesen, um den Hals hängen. Sie diskutierten aufgeregt.
»Ich kann das einfach nicht verstehen, seit einer Woche ist Katharina verschwunden. Vor drei Wochen ist genau das Gleiche mit Markus geschehen.«
Der älteste der jungen Männer unter ihnen schüttelte den Kopf.
»Vielleicht haben sie einen Ausweg gefunden oder sind jetzt irgendwo zu ein bisschen Geld gekommen«, warf ein Mädchen ein.
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Nie im Leben hätten die beiden uns ohne ein Wort zu sagen verlassen. Nein, nein, denen ist hundert pro etwas passiert.«
»Was soll denn schon passiert sein? Vielleicht sind sie außerhalb Roms in eine Kontrolle geraten und verhaftet worden und …«
»Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, wiederholte sich die junge Frau.
»Dazu sind sie schon viel zu lange weg.«
»Und was sollen wir nun machen? Zur Polizei gehen?«
»Auf keinen Fall. Die buchten uns nur wieder ein.«
»Wir müssen vorsichtiger werden. Vielleicht sollten wir unsere Treffen vorerst einstellen.«
»Und was wird aus unseren Messen? Ich halte an unserem Glauben fest. Das gibt mir so viel innere Kraft.«
»Ich sagte doch vorerst mal einstellen.«
»Na gut, aber ich brauche etwas zur Beruhigung.«
»Ich habe noch einen Rest von den Tabletten für dich.
Für uns alle bekomme ich morgen eine neue Lieferung. Wir brauchen aber noch etwas Geld. Die Bettelei bringt nicht so viel. Versucht, ein bisschen mehr zu bekommen. Wir sollten uns jetzt trennen. Da werden schon Leute auf uns aufmerksam. Wir sehen uns heute Abend nach zwölf im Kolosseum. Passt auf, der Zaun ist wieder aufgestellt. Weiter hinten ist aber ein neues Schlupfl och. Also, bis dann.«
Nach und nach gingen die jungen Frauen und Männer getrennte Wege. Jeder versuchte in den nächsten Stunden, so gut er konnte, Geld zu beschaffen. Das war tagsüber genauso gut möglich wie nachts. Rom schläft nie. Man muss nur seine eigene Methode finden und innerliche Barrieren überwinden. Das sagten sich schon lange, alle Mitglieder des Zirkels.
Stephan Kronberg, der Student aus Deutschland, war nie der Schnellste und nie der Fleißigste. Und so war seine Art der Geldbeschaffung einfach nur durch Bettelei zu machen. Nie war er dabei lange an einem Standort, obwohl er schon das Kolosseum oder den Hauptbahnhof bevorzugte. Auch die Mitleidstour, eine hinkende Gangart, brachte ihm den einen oder anderen Euro ein. Als Sammelmedium benutzte er stets eine Blechdose, auf der in deutscher und italienischer Sprache: Für die Tsunamiopfer stand. Entwendet hatte er sie aus der Basilika Santa Maria sopra Minerva, kurz bevor er mit Nachdruck gebeten wurde, die Basilika zu verlassen. Man sagte ihm auf seine Frage, warum er nicht wie alle anderen das Recht hätte, sich in dieser wunderschönen gotischen Kirche auszuruhen, dass man Ungläubigen schon, bevor sie Schaden anrichten könnten, entgegentreten müsse. Stephan verstand die ungewöhnlich rabiate Vorgehensweise der Dominikanermönche in der Basilika nicht, und so empfand er das Mitnehmen der Sammelbüchse als ausgleichende
Gerechtigkeit.
Später erfuhr er, dass die Basilika Santa Maria sopra Minerva in der Vergangenheit ein Schauplatz wichtiger Inquisitionsprozesse gewesen war. Hier wurde über einfache sowie auch über höhergestellte Personen gerichtet. Prozesse wie der gegen Galileo Galilei und Luigi Pasquali fanden ebenfalls hier statt.
Naja, sagte er sich‚ die haben wohl Angst um ihre schönen Gemälde und Statuen gehabt. In der Tat sind in der Basilika zahlreiche Kunstwerke, Decken- und Wandgemälde von Michelangelo und Bernini gefertigt.
Vom Circus Maximus aus ging er in Richtung Kolosseum, lief dann nach links in die Via dei Fori Imperiali über den Corso Vittorio Emanuele und kam nach ewig langer Zeit an der Brücke Ponte Pricipe Amendeo Savoia Aosta an. Die Brücke ist eine von zwei Brücken, die über den Tiber direkt zur Vatikanstadt führen. Die vergangene Zeit machte ihm nicht zu schaffen, seine Füße jedoch brannten höllisch. Auf der Piazza San Pietro nahm er hinter einer Säule Platz. Er schaute nach oben zu der gegenüberliegenden Fensterfront, von der er wusste, dass die beiden rechten Fenster zu den Räumen des Papstes gehörten. Die Läden waren geschlossen. Der Papst war also wieder einmal in der Welt unterwegs.
Seine Sammelbüchse war nur zur Hälfte gefüllt. Er leerte sie und steckte die Münzen, Scheine waren zu seinem Bedauern nicht vorhanden, in eine Innentasche seines schwarzen Umhanges. Nach kurzer Pause ging er zu einem Getränkestand in der Via della Conciliazione, kaufte sich eine Literflasche Aqua con gas und kehrte wieder zum
Petersplatz zurück. In der Mitte umkreiste er den Obelisken und klapperte mit seiner Büchse. Ab und zu vergaß er zu hinken, was aber nicht bemerkt wurde.
Eine Schulklasse sammelte sich um ihren Lehrer und hörte ihm aufmerksam zu: »In Rom stehen die meisten Obelisken auf der Welt. Acht altägyptische und fünf an-tike, römische. Größtenteils dienten sie als Wegweiser für Pilger. Der Obelisk auf dem Petersplatz ist 25 Meter hoch und der einzige nicht Beschriftete.«
Stephan ging auf die andere Seite des Obelisken. Auch heute noch haben Obelisken eine magische Anziehungskraft auf Touristen. So rechnete Stephan damit, direkt unter der Säule mehr Geld zu bekommen. Aber auch hier hielt sich die Freigiebigkeit der Touris in Grenzen. Nach weiteren unendlich langen Minuten, in denen nur wenige Euros in die Büchse wanderten, kam ein amerikanisches Paar mit einem Fotoapparat auf Stephan zu.
»Please, can you take a picture of us?«
»Yes, of corse.« Natürlich wollte er behilfl ich sein. Der Amerikaner gab ihm die teure Canon in die Hand.
Das Pärchen aus Michigan in den USA stellte sich mit dem Rücken zur Frontseite des Hauptportals des Domes. Die Sonne schien ihnen ins Gesicht, was für die Aufnahme wegen der Ausleuchtung von Vorteil war. Doch dadurch etwas geblendet, konnten sie nicht sofort alles registrieren, was vor ihnen geschah. So erkannten sie zu spät, dass der junge Mann sich mit dem Fotoapparat umdrehte und in Richtung Via di Porta Angelica davon stürmte. Er war schon so weit weg von den beiden, dass er ihre Rufe nach der Polizei nicht mehr hörte. Über die Piazza del Risorgimento bog er in die Via Catone ein, als neben ihm ein
schwarzer Lieferwagen anhielt. Dass er die ganze Zeit auf dem Petersplatz beobachtet worden war, erfuhr er nie. Genauso wenig erfuhr er, wer die Männer im Lieferwagen waren. Sie stellten sich ihm in den Weg.
Scheiße, dachte er. Jetzt verbringst du wieder eine Nacht in irgendeinem Commissariato. Warum bist du auch so blöd und wirfst den Fotoapparat nicht weg? Klar, der hätte mindestens fünfzig Euro gebracht.
»Ok. Ich geb’s zu. Hier ist der Apparat. Nicht beschädigt. Seid gnädig und lasst mich laufen.«
»Das können wir nicht«, sagte die Stimme hinter ihm.
»Steig ein!«
Etwas ließ ihn hellhörig werden. War es der Tonfall des Mannes oder das unübliche Fahrzeug, das ganz und gar nichts mit einem Carabinieriwagen gemeinsam hatte? Oder war es beides? Doch es blieb ihm keine andere Wahl, als einzusteigen.
»He, habt ihr einen Leihwagen?«
Der Scherz wurde von den beiden Männern überhört. Der Fahrer, Dritter im Bunde, fuhr zügig an und beschleunigte den Kastenwagen sehr schnell. Stephan hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er schaute sich um. Hinten stand eine große Kiste. Es deutete wirklich nichts auf ein Polizeifahrzeug hin. Die beiden Männer handelten auch nicht wie Leute von den Carabinieri.
»Deine Hände!«, befahl ihm einer der beiden. Der andere hielt seine Handgelenke fest und legte ihm Handschellen an.
»Och, muss das denn sein? Ich bin doch harmlos. Ich wollte den Fotoapparat ja auch gar nicht klauen. Könnt ihr mich nicht freilassen?« Er bekam keine Antwort. Aus den Augenwinkeln heraus sah er den Fotoapparat auf dem Boden des Fahrzeuges liegen. Das Objektiv war beschädigt.
Er dachte noch: Das ist nicht mir passiert. Was läuft hier eigentlich? Während der Mann, der ihm gegenüber saß, ein kleines Fläschchen aufschraubte und den Inhalt auf ein Tuch schüttete, nahm ihn der andere mit seinem linken Arm in den Schwitzkasten. In Stephan kam nun richtige Panik auf und er setzte sich zur Wehr. Das waren keine Polizisten! Stephans Herz fing an zu rasen. Mit der rechten Hand griff ihm einer der Männer ins Haar, um seinen Kopf ruhig zu halten. Zu Stephans schwarzer Gesinnung gehörte allerdings auch ein teilrasierter Schädel und so zeigte der Griff ins Haar kaum Wirkung. Es kam nun der Mann mit dem Narkosemittel hinzu. Während er sich auf Stephans Beine setzte, drückte er ihm das Tuch auf Mund und Nase. Stephan versuchte, die Luft anzuhalten. Er hatte sich allerdings beim Laufen ausgepowert und so dauerte es weniger als eine Minute und er trat ins Reich der Träume ein.
Der Lieferwagen fuhr durch die Innenstadt Roms auf die A91 an die Westküste Italiens nach Fiumicino. Als sie im Hafen von Fiumicino ankamen, war es bereits dunkel. Der Jachthafen war ausgelegt für fast 200 Boote und Jachten. Es war wenig Betrieb, es waren nur etwa 120 Boote festgemacht. Der Lieferwagen fuhr um den quadratisch geformten Hafen herum auf die gegenüberliegende Seite, wo sich die Werft befand. Das Ziel der Insassen war das größte, aber auch wohl das älteste Schiff im Hafen.
»Keinen Fuß möchte ich auf diesen alten Kahn setzen«, maulte der Mann mit dem Chloroform.
»Musst du auch nicht, wir stellen die Kiste raus und fahren sofort zurück.«
»Ich versteh es immer noch nicht, weshalb wir die Ware nicht an die Adria nach Pescara bringen. Ist doch viel kürzer als der Seeweg um Sizilien herum.«
»Ja, aber auch viel gefährlicher. Zu viele Kontrollen in letzter Zeit. Denk an die Kleine, die wir wegen einer Fahndung freilassen und anschließend von der Autobahnbrücke werfen mussten.«
»Mhh, so gesehen ist es wirklich sicherer mit dem Schiff«, sagte er doppeldeutig.
»Los jetzt, packt an.«
Sie zogen die Kiste aus der hinteren Tür auf einen Rollwagen. Dabei gingen sie nicht gerade vorsichtig vor. Stephan, den man bewusstlos in die Kiste gelegt hatte, stieß sich den Ellenbogen und den Kopf am Holz an. Doch das merkte er nicht. Er war immer noch im Land der Träume.
Vom Boot aus wurde ihr Treiben gesehen. Ein Mann winkte ihnen zu und leierte von Hand einen Kranausleger über ein eisernes Zahnrad nach außen. Mit einer anderen Kurbel ließ er ein Seil, an dem sich zwei Schlaufen befanden, herunter. Dann ging er über die schmale Brücke an Land, legte die Schlaufen um die Kiste und schlenderte gemütlich aufs Boot zurück. Er kurbelte die Kiste hoch, fuhr den Kranarm wieder ein und setzte die Kiste durch eine geöffnete Luke im Bauch des alten Seelenverkäufers ab. Dies alles sahen die drei Boten der Ware nicht mehr, sie waren schon wieder auf dem Rückweg nach Rom.
Der Kapitän des Bootes lag in der Kajüte und schnarchte, als ihm der Maat, der die Ware entgegen nahm, berichten wollte, dass sie auslaufen könnten, sobald der Doc an Bord sei. Kurze Zeit später kam der, den man nur als »Doc« kannte, mit einem Taxi angefahren.
Der Kapitän, inzwischen aufgewacht von den Toten, knurrte ihn an: »Reichlich spät.«
Lallend erwiderte der Doc: »Musste noch die letzte Sprechstunde zu Ende bringen.«
»Die fand dann wohl in der Bar zur leeren Ginflasche statt.«
Angewidert drehte ihm der Kapitän den Rücken zu.
»Sobald wir auf See sind, bist du wieder nüchtern und schaust nach unserer Fracht!«
»Aye, aye Käpt’n.«
Kurz darauf liefen sie aus. Das Ziel des alten Kahns war Marsala auf Sizilien.
Wie soll ich dir denn gnädig sein, weil mich deine Kinder verlassen, und schwören bei dem, der nicht Gott ist? Und nun ich ihnen vollauf gegeben habe, treiben sie Ehebruch und laufen ins Hurenhaus.
Jeremia 5,7
Seit zwei Tagen stand die Nachricht im Internet. Nur wer das Passwort kannte, gelangte auf die Seite mit der einschlägigen Information. Zwei Tage schon und noch keine Reaktion. Das war ungewöhnlich für den Absender in Serbien. Der Kunde hatte es meist sehr eilig, seine Ware zu bekommen, zumal sie ja schon im Voraus bezahlt wurde.
Hilde Ströbel saß vor dem Rechner in ihrer acht Millionen teuren Villa in der Feldbergstraße im Frankfurter Westend. Aus ihrem Fenster im zweiten Stock hatte sie einen wunderschönen Blick auf den Palmengarten. Dort war sie Patin einer seltenen Baumart aus Uruguay. Dafür spendete sie dem Palmengarten jedes Jahr einen stattlichen Betrag.
Hilde Ströbel, die im vergangenen Winter ihren 48. Geburtstag gefeiert hatte, hatte zwei gescheiterte Ehen hinter sich, wobei die Männer sie jedes Mal ausgenommen hatten. Sozusagen doppelt, während der Ehe und nach der Scheidung. Nicht, dass ihr das finanziell wehgetan hätte, aber ihr Ego wurde jedes Mal stark getroffen und der Ärger fraß sich immer tiefer in ihr Gehirn. Sie hatte auch keinerlei Verbindung zu ihren Exmännern. Das Thema interessierte sie nicht im Geringsten. Die Ehen blieben kinderlos, was im Nachhinein betrachtet positiv war. Als nun in Abständen von zwei Jahren auch noch drei weitere Liebschaften in die Brüche gingen, schwor sie sich, Männer ab sofort nur noch auszunutzen. Im gleichen Maße, wie ihr Hass auf Männer stieg, stieg aber auch ihr sexuelles Verlangen. Diverse Versuche mit Mietboys endeten jedoch fast immer mit dem gleichen Frust ihrerseits. Der letzte käufliche Mann namens Martin versuchte zwar, es ihr in jeder Hinsicht recht zu machen, verlangte aber von ihr, als sie ihn ans Bett gefesselt hatte, die Handschellen wieder zu öffnen. Ein Funke Angst in seinen Augen befl ügelte sie. Mit ihren Fingernägeln zerkratzte sie ihm den Rücken. Erst als er sie anschrie und mit den Füßen trat, öffnete sie die Handschellen.
Ein Schweigegeld von fünfhundert Euro besänftigte Martin und er zog von dannen. Seit dieser Zeit hatte sie eine innere Unruhe und eine nie gekannte Sehnsucht in sich. Die Sehnsucht, Männern Schmerzen zuzufügen.