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Allzu fahrlässig sind Max und seine Freunde in die Falle des Finanzjongleurs Hagen Herwig, aus der sie sich mit legalen Mitteln nicht mehr befreien können, gestolpert. Ihr Geld scheint für alle Zeiten verloren ... Da stellt sich heraus, dass auch die Familie Orsini, ehedem ein mafioser Clan, zu den Opfern Herwigs zählt. Bruno, ein außerehelicher Spross des Hauses Orsini, bringt neue Dynamik ins Spiel um verloren geglaubte Lebensperspektiven. Max freundet sich im Laufe abenteuerlicher Verfolgungsjagden mit Bruno an. In dem Buch geht es um Anlagenbetrug, die Debakel und teilweise aberwitzigen Reaktionen der Betroffenen. Es finden Liebe, Mord und Selbstmord statt. Die Schauplätze ändern sich in rascher Folge, bis schließlich schicksalhafte Ereignisse dem kriminellen Treiben ein vorläufiges Ende setzen.
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Seitenzahl: 382
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Für meine Schwester Silke
Zum Gelingen dieses Buches haben beigetragen:
Karin Ebeling
Norbert Eierdanz
Irene Langmann
Günter Marburge
und, nicht zuletzt
Doris und Jörn Schimmelmann.
Kapitel *1*
Kapitel *2*
Kapitel *3*
Kapitel *4*
Kapitel *5*
Kapitel *6*
Kapitel *7*
Kapitel *8*
Kapitel *9*
Kapitel *10*
Kapitel *11*
Kapitel *12*
Kapitel *13*
Kapitel *14*
Kapitel *15*
Kapitel *16*
Kapitel *17*
Kapitel *18*
Kapitel *19*
Kapitel *20*
Kapitel *21*
Kapitel *22*
Kapitel *23*
Kapitel *24*
Kapitel *25*
Kapitel *26*
Kapitel *27*
Kapitel *28*
Kapitel *29*
Kapitel *30*
Kapitel *31*
Kapitel *32*
Kapitel *33*
Kapitel *34*
Kapitel *35*
Kapitel *36*
Kapitel *37*
Kapitel *38*
Kapitel *39*
Kapitel *40*
Kapitel *41*
Kapitel *42*
Kapitel *43*
Kapitel *44*
Kapitel *45*
Kapitel *46*
Kapitel *47*
Kapitel *48*
Kapitel *49*
Kapitel *50*
Kapitel *51*
Kapitel *52*
Kapitel *53*
Kapitel *54*
Kapitel *55*
Kapitel *56*
Kapitel *57*
Kapitel *58*
Kapitel *59*
Kapitel *60*
Kapitel *61*
Kapitel *62*
Kapitel *63*
Kapitel *64*
Kapitel *65*
Kapitel *66*
Kapitel *67*
Kapitel *68*
Kapitel *69*
Kapitel *70*
Kapitel *71*
Kapitel *72*
Kapitel *73*
Kapitel *74*
Kapitel *75*
Kapitel *76*
Kapitel *77*
Kapitel *78*
Kapitel *79*
Kapitel *80*
Kapitel *81*
Kapitel *82*
Kapitel *83*
Kapitel *84*
Kapitel *85*
Kapitel *86*
Über den Autor
Vor einiger Zeit war Hagen Herwig der Gedanke gekommen, dass er ein Leben unter seinen intellektuellen Möglichkeiten führte. Seitdem hatte sich Unbehagen bei ihm breit gemacht.
An jenem Morgen vor dem Treffen mit Miller hatte er den feuchten Finger in die Luft gehalten, um festzustellen, woher der Wind wehte. Das hätte einen ersten Hinweis auf den Ausgang des Gesprächs erbracht, glaubte er. Aber es wehte überhaupt kein Wind. Nicht mal ein Lüftchen.
Einige Tage zuvor erst war er auf die Annonce gestoßen, die für ihn maßgeschneidert schien. Er hatte die angegebene Nummer angerufen und sich dann mit diesem Finanzmakler zu einem ersten Gespräch in einem Schwabinger Lokal verabredet.
Man sähe ihm den Mann nicht an, der so lange auf dem Bau gearbeitet hätte, sagte Miller. Und so war das Gespräch an diesem Abend sofort in das richtige Fahrwasser geraten.
Bier um Bier war man sich näher gekommen. Und ein paar Gläser später stieß man bereits auf seine vielversprechende Zukunft an.
Zugleich war man zum vertraulichen „Du“ übergegangen.
Er, Christoph, sei langsam in die Jahre gekommen und suche eine „rechte Hand.“ Eine Persönlichkeit, die ihn unterstützte, ihm eigenständig zuarbeitete und eines Tages seine Nachfolge antreten würde.
Es war ein glücklicher Umstand, ja eine Fügung, diesem Mann begegnet zu sein, dachte Hagen. Und als dieser behauptete, er, Hagen Herwig, besäße Charme und Charisma, exakt die Eigenschaften, um an das Geld anderer Leute zu gelangen, waren die Würfel gefallen.
Christoph selber wollte sein Mentor bleiben, jedenfalls so lange, wie es nötig wäre. Nach Kräften wolle er ihn bei seinen ersten Gehversuchen auf bis dahin unbekanntem Terrain unterstützen. Zu beider Vorteil, eine typische „Win-Win-Situation.
Als er nach Hause eilte und die kühle Nachtluft genoss, fing er zu pfeifen an. Der Frust der vergangenen Jahre war mit einem Mal von ihm abgefallen.
Der Handelnde muss bedenkenlos sein, hatte Christoph beteuert.
Offenbar sein Credo, denn er hatte es einige Male wiederholt. Dieser Satz, ein Goethe-Zitat, hatte sich hartnäckig in sein Hirn gebohrt. Seine Auslegung aber war ein klassisches Missverständnis. Doch das hätte den weiteren Lauf der Dinge nicht beeinflusst.
Einige Tage später waren sie wieder zusammen gekommen. Man hatte sich gerade auf eine Vorgehensweise verständigt, als ein Mann mittleren Alters eingetreten war und sich suchend im Lokal umblickte. Unsicher streifte sein Blick die Anwesenden und blieb einen Moment lang an Christoph hängen. Er stutzte unmerklich, ging ein paar Schritte vor, blieb unentschlossen stehen, um schließlich auf ihren Tisch zuzustolpern.
„Vorsicht,“ raunte Hagen, „der will etwas von dir.“
„Kennen wir uns nicht?“ fragte der Mann und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Mit einem lauernden Ausdruck blickte er Christoph aus stark geröteten Augen an. Eine Wolke aus Alkohol schlug diesem entgegen.
„Muss ich Sie denn kennen?“ Christoph wandte sich umständlich dem Fragenden zu. „Wohl besser nicht, oder?“
Hagen hielt die Luft an. Gerade lernte er eine neue Seite des noblen Freundes kennen, nicht ohne Bewunderung für dessen Kaltschnäuzigkeit.
„Sie haben es doch nicht wirklich vergessen... Rudi Pape ist mein Name!
Seinerzeit haben Sie mir dieses sogenannte Spezialpapier angedreht. Genau an diesem Tisch, jawohl! Hier durfte ich Ihnen mein Geld hinblättern… es war alles, was ich hatte.“
„Ja und?“ Christoph Miller machte eine wegwerfende Geste. „Man muss immer damit rechnen, dass nicht alle Blütenträume reifen.“
„Und dann waren Sie weg, verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Warte mal, ich komme gleich auf deinen Namen…“
„Bemüh´ dich nicht, hau einfach ab! Lass uns in Ruhe! Du siehst doch, dass du störst.“
Miller hatte gewiss mit irgendeiner Reaktion gerechnet, aber nicht so plötzlich. Der andere hatte ansatzlos zugeschlagen, und Christoph hielt sich die blutende Nase. Als der Mann ein zweites Mal hinlangen wollte, war Hagen schon auf den Beinen und fing die geballte Faust ab. Dann drehte er, der den anderen um Kopfeslänge überragte, dessen Arm auf den Rücken, schleppte ihn zum Ausgang und warf ihn kurzerhand hinaus.
Das geschah innerhalb weniger Sekunden. Zu diesem Zeitpunkt waren kaum noch Gäste im Lokal. Außer dem Barkeeper hatten vielleicht ein bis zwei Leute die Szene beobachtet, dann aber keine weitere Notiz genommen. Offensichtlich kein außergewöhnliches Ereignis in diesen Räumlichkeiten.
Der Barkeeper reichte Christoph eine Serviette, um das Blut zu stillen, das aus der Nase tropfte. Dann sagte er, als sei nichts geschehen, dass er jetzt Feierabend habe und schließen möchte. Christoph beglich die Rechnung, bestellte eine Taxe und ging erhobenen Hauptes zur Tür hinaus. Hagen folgte ihm auf den Fersen. Sie verabredeten sich noch ein weiteres Mal für den neuen Tag, der längst begonnen hatte.
„Dumm gelaufen,“ hatte Christoph noch im Weggehen gemurmelt.
„Sowas darf sich nicht wiederholen.“
Hagen Herwig hatte sich noch in einer Beziehung befunden, als er auf seine spätere Partnerin traf. Ein Sohn und ein Posten in seinen Kontoauszügen erinnerten noch regelmäßig an diesen „Sündenfall.“
Vera betrieb in Schwabing ein Schönheitsstudio für Männer, was ihm ungewöhnlich erschien. Er hatte ein Faible für originelle Geschäftsideen, so dass er sich automatisch zu der Betreiberin dieses maskulinen Verschönerungtempels hingezogen fühlte. Vera hatte sich die Ausbeutung männlicher Eitelkeiten auf die Fahnen geschrieben.
Zu ihrem Glück war sie auf einem Niveau angelangt, das ihr die Niederungen des Tätowierungs-Handwerks und des sogenannten Piercings als obsolet erscheinen ließ. Als sie auf Herwig traf, entdeckte sie schon bei seiner ersten Sitzung eine Nische, die sie mit perfektem Minimalismus zu nutzen verstand. Mit seiner Duldung schuf sie ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn optisch vom Gros aller Haut-und Haarfetischisten abhob. Von nun an lief er, ein Triumph ihrer Schaffenskraft, mit Glatze und charakteristischen Strichbärtchen unter der Nase herum, sein noch lange gültiges Markenzeichen unter Eingeweihten. Und nach diesem erfolgreich ausgeführten Eingriff hatten sie ihr erstes Date. Was Herwig dabei übersah... es nahm ihm die in seinem neuen Geschäftsfeld so wichtige Seriosität. Doch niemand in seinem Umfeld traute sich, ihn auf diesen Widerspruch hinzuweisen. Und eher instinktiv, gewiss nicht aus Bescheidenheit, verstand es Herwig stets, im Hintergrund zu bleiben. Manche seiner Opfer stellten denn auch später fest, dass sie niemals bei duma 25 investiert haben würden, hätten sie Herwigs Konterfei vorher zu Gesicht bekommen.
Eigentlich hatte Rudi nur seinen alten Kumpel Max treffen wollen, war aber dann in einer anderen Kneipe hängen geblieben. Zum wiederholten Male hatte sich ein Thekennachbar geduldig die larmoyante Schilderung seiner Biographie angehört. Rudi war selber immer wieder fasziniert von der eigenen Vergangenheit. Max hatte noch eine Weile über die vereinbarte Zeit hinaus an seinem Platz gewartet, sich aber dann davon getrollt, bevor sein alter Freund seinen gewalttätigen Auftritt hatte.
Rudi hatte sich nicht eben mit Ruhm bekleckert. Der Abgang war auch nicht nach seinem Geschmack. Immerhin aber hatte er es diesem arroganten Pinsel gezeigt und ihm eins auf die „Zwölf“ gekloppt. Er würde sich nicht wundern, wenn dieser jetzt ein neues Nasenbein brauchte. Später war ihm der Namen wieder eingefallen... Bergmann hatte er geheißen. Gut, dass Max schon fort und nicht Zeuge dieser Peinlichkeit geworden war.
Rudi war erst vor fünf Jahren nach München gekommen. Bis dahin hatte er irgendwo im Norden eine Tankstelle betrieben. Wenn er gefragt wurde, wem die Tankstelle gehöre, antwortete er auffallend offen: „Mir und der Sparkasse.“
Tatsächlich hätte die Reihenfolge anders herum lauten müssen. Und das ließ ihn die Bank in regelmäßigen Abständen spüren.
Da machte ihm eines Tages ein Mitbewerber ein Kaufangebot, das er nicht ausschlagen konnte. Danach hätte er seine Bankschulden problemlos ablösen können.
Da aber die vertragliche Laufzeit des Kredits noch nicht beendet war, hätte er jetzt Vorfälligkeitszinsen zahlen sollen. Also bunkerte er den Gegenwert zunächst auf einem Festgeldkonto und sah sich nach einer lukrativen Anlage um.
Währenddessen hatte in München schon ein gut dotierter Job auf ihn gewartet. Leichten Fußes kehrte er seiner Heimatstadt den Rücken und begann am neuen Ort bei einem Autozulieferer. Mit dem Vorbehalt im Hinterkopf, eines Tages wieder zurückzukehren.
Schon zu Beginn seiner Münchner Zeit lernte er in einem Lokal einen gewissen Herrn Bergmann kennen, gleich ihm ein Zugereister. Unschwer konnte man an seinem angelsächsischen Akzent ausmachen, dass dieser nicht aus Bayern stammte.
Bergmann war zu dieser Zeit noch in Sachen Versicherungen und Finanzierungen unterwegs. Es war nicht so, dass er sich jeden Abend nur in dieser einen Kneipe aufhielt. Aber grundsätzlich hatte er Lokale, wo Einheimische und Zugereiste miteinander verkehrten, als ein Terrain erkannt, das seinem Geschäft sehr zuträglich war. Schnell und unkompliziert kam er dort mit potentiellen Kunden ins Gespräch.
Und so bot er Rudi eines Abends Schiffspapiere an, die dieser versuchsweise für 20.000 Euro zeichnete. Das Geld zwackte er von dem Festgeldkonto ab, wo er den bis dahin unangetasteten Verkaufserlös für die Tankstelle zwischengelagert hatte.
Eines Tages traf Rudi wiederum auf Bergmann, der diesmal mit einem ungewöhnlichen Angebot aufwartete. Er überraschte ihn mit einer Spezialanleihe, wie sie angeblich nur zwischen Banken üblich war. Er versprach ihm jährliche Zinsen in der unglaublichen Höhe von 18 %! Bei nur 5-jähriger Laufzeit.
Eigentlich hätten jetzt die Alarmglocken läuten müssen. Da aber die Sache mit den Schiffspapieren problemlos verlief und die Auszahlungen pünktlich in voller Höhe überwiesen worden waren, plagten Rudi diesmal keine Zweifel. Angeblich hatte Bergmann sich an diesem Abend ausschließlich an ihn gewandt, weil er Rudis Durchblick und seine Kompetenz in Wirtschaftsfragen zu schätzen wüsste. Zudem nannte Bergmann einhunderttausend Euro als Mindesteinsatz, eine gigantische Herausforderung!
Aber natürlich schmeichelte es Rudi, dass Bergmann in ihm den potenten Investor sah. Und er bediente sich prompt wieder von dem Konto, auf dem sein und das Geld der Bank gebunkert waren. Das Geschäft habe natürlich Eile, denn es seien nur noch begrenzt Zeichnungen möglich, so Bergmann.
Tatsächlich erhielt Rudi pünktlich nach zwölf Monaten die ersten achtzehntausend Euro vermeintlicher Zinsen ausgezahlt, allerdings in bar und ohne Quittung. Auch das war ihm recht, da diese Einnahme bei der nächsten Steuererklärung nicht unbedingt erwähnt werden müsste. Denn Rudi gehörte zu jenen Menschen, die in einem derartigen „Steuersparmodell“ nur einen vernachlässigbaren Kavaliersdelikt sahen.
In den folgenden Monaten lief er wie auf Wolken, gab gerne einen aus, auch mal zwei. Und an schlechten Tagen trug ihn die Aussicht auf weitere Zinserträge wieder nach oben. Kumuliert würde die Summe unglaubliche neunzigtausend Euro betragen. Entsprach dies doch beinahe einer Verdoppelung des eingesetzten Kapitals!
Doch schon der zweite Zinstermin brachte Ernüchterung. Nachdem er voller Ungeduld zwölf lange Monate auf die nächste Auszahlung gewartet hatte, fand diese plötzlich nicht mehr statt.
Nach einem Jahr ohne Tiefen musste er feststellen, dass er diese sorgenfreie Zeit zu teuer erkauft hatte. Bergmann selbst war verschwunden und blieb auch telefonisch unerreichbar.
Zunächst konnte er es nicht fassen, aber die einhunderttausend Euro waren futsch! Noch schlimmer... sie blieben es.
Viel später erst kam ihm etwas von einem Zivilprozess zu Ohren. Ein Anwalt aus Düsseldorf hatte angerufen, aber lediglich eine Bestätigung des Sachverhalts verlangt. Womöglich würde er als Zeuge gebraucht.
Auf Rudis Frage, ob er sich an den Prozess noch anhängen dürfe, hatte der Anwalt mit einem klaren „Nein“ geantwortet. Das Boot sei leider voll. Und Rudis Schaden im Vergleich zu den Verlusten anderer nur „Peanuts“.
Ein anderes Mal hatte er erfahren, dass die beiden „Weggefährten“ dieses Herrn Bergmann zu mehreren Jahren Knast verurteilt worden seien. Doch konnten keine nennenswerte Beträge bei ihnen sichergestellt werden. Bergmann selber sei zwar ebenfalls zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden, aber leider nur in Abwesenheit. Das Geld selbst befand sich nach Aussage der beiden Delinquenten zusammen mit Bergmann auf der Flucht.
In jener Nacht also war er ihm zum erstenmal wieder begegnet, leider völlig unvorbereitet. Und zu allem Überfluss in einem desolaten Zustand. Oder anders ausgedrückt: Er war schlicht besoffen.
Jetzt saß Rudi in seinem VW-Bus und überlegte, was zu tun sei. Nach dem Rauswurf aus der Kneipe war er schlagartig nüchtern geworden. Doch nicht nüchtern genug, um eine Meldung auf der nächsten Polizeiwache zu machen, ohne seinen Führerschein zu riskieren.
Den VW-Bus hatte er anschaffen müssen, weil er seit geraumer Zeit darin Obst und Gemüse zu seiner „Grünkram-Boutique“ am Viktualienmarkt-Markt transportierte. Das war die mittelbare Folge des Finanz-Desasters, das ihn dem Allzeit-Tröster „König Alkohol“ in die Arme getrieben hatte. Frei nach Wilhelm Busch, „wer Sorgen hat, hat auch Likör,“ hatte er das Trinken angefangen. Es blieb nicht verborgen, war bald auch den Vorgesetzten zu Ohren gekommen. Schließlich hatte er nach halbherzigen Belehrungen und den obligatorischen Abmahnungen die fristlose Kündigung erhalten.
Den Absturz verdankte er diesem Bergmann, wie er glaubte. Und entsprechend war jetzt sein Motivation, den Kerl irgendwie in den Griff zu kriegen, was man durchaus wörtlich nehmen konnte. Für Bergmann wäre es dann um Leben oder Tod gegangen.
Während er noch unschlüssig aus seinem VW-Bus nach draußen starrte, fiel ihm ein Taxi auf, das schon eine Weile vor dem Lokal gewartet hatte. In diesem Augenblick traten Bergmann nebst Begleiter heraus. Während sich dieser verabschiedete und davoneilte, stieg Bergmann ins Auto und fuhr in Richtung Innenstadt.
Rudi nahm die Verfolgung auf. Doch schon nach zwei Ampeln bog das Taxi in die Lindwurmstraße ein und stoppte vor einem kleinen Hotel.
Rudi lenkte sein Fahrzeug auf den Bürgersteig und hielt nun ebenfalls an. Er beobachtete, wie Bergmann im Gebäude verschwand.
Zufall oder nicht- der kleine, unauffällige Betrieb gehörte seinem Freund und Landsmann Max, den er an diesem Abend verpasst hatte. Max war das Hotel von einem Onkel vererbt worden. Was zur Folge hatte, dass er nun ebenfalls in den Freistaat gezogen war.
Seit diesem Zeitpunkt war Max mit der Sanierung des Gebäudes beschäftigt, wenn ihm das laufende Geschäft die Zeit dafür ließ. Die Bausubstanz hatte sich als ziemlich marode erwiesen. Die sanitären Installationen etwa stellten sich als antiquiert oder total versifft dar. Allein die veraltete Anordnung der Bäder auf den Fluren war eine finanziell kaum zu stemmende Herausforderung. Der verstorbene Onkel hatte irgendwann aufgehört zu investieren, was aber angesichts der allgemeinen Entwicklung unumgänglich gewesen wäre. Nur die günstige Lage inmitten der Stadt hatte ein vorzeitiges Desaster verhindert.
Durch die große Glastür sah Rudi, dass sich Max noch höchst persönlich an der Rezeption befand. Er war gerade dabei, Bergmann ein Papier zu überreichen. Eine Rechnungsübergabe mitten in der Nacht? Das sah nach überstürzter Abreise aus. Dazu würde aber das Taxi passen, das noch vor dem Hotel wartete.
Für einen Augenblick verschwand Bergmann aus seinem Blickfeld, erschien aber kurz darauf mit einem Koffer vor dem Ausgang.
Sofort zog sich Rudi in den Schatten eines Mauervorsprungs zurück. Der Taxifahrer eilte zur Glastür, um Bergmann den Koffer abzunehmen. Bergmann selber verschwand im Fond des Wagens, der sich darauf in Bewegung setzte.
Erst jetzt realisierte Rudi, dass er zu lange gewartet hatte. Er lief zurück zu seinem Bus, um wieder die Verfolgung aufzunehmen. Als der alte Karren nach einigen heiseren Tönen endlich ansprang, war das Taxi bereits außer Sichtweite. Er wendete das Fahrzeug und fuhr mit quietschenden Reifen in die Richtung, in welcher das Taxi verschwunden war. Zunächst entlang der Lindwurmstraße bis zu einer roten Ampel, die ihn abrupt ausbremste. Ihm dämmerte, dass er Bergmanns Spur verloren hatte. Abermals war ihm dieser „durch die Lappen gegangen“.
Er hatte seine Chance gehabt, aber leider nicht genutzt. Er hatte ihm bis zu einer neuen Adresse folgen wollen, um von dort die Kripo zu alarmieren. Minuten später wäre dann die Falle zugeschnappt.
Resigniert trat er die Heimfahrt an. Von der Lindwurmstrasse bis zur Aidenbachstraße war es nicht weit, aber auch nicht nah genug, um nicht doch in eine Kontrolle zu geraten. Erst jetzt wurde er sich des Risikos bewusst. Der Führerschein war Grundlage seiner Existenz. Er fuhr auf einen freien Parkplatz und winkte die nächste Taxe heran.
Der Flug nach Bali mit Zwischenstopp in Kuala Lumpur gelang ohne Zwischenfälle. Britta hatte auf dem Rest des Fluges ihre nervigen Fragen eingestellt und geschwiegen. Warum nicht gleich so, dachte Florian. Er hatte genug mit seinen eigenen Zweifeln zu tun und ließ jetzt seinen Gedanken freien Lauf.
Albrecht, ein befreundeter Chemiker vom BKA, hatte sich kundig gemacht und ihnen einen Tipp gegeben, nur einen vorsichtigen Hinweis, für dessen Richtigkeit er sich nicht verbürgen wollte. Bergmann solle sich nach neuester Einschätzung auf Bali aufhalten.
Die junge Dame im Reisebüro empfahl ihnen das „Bakung Beach Resort“, ein 3 Sterne Hotel im Osten der Halbinsel Badung. Es sei preiswert und komfortabel. Da hatte es eine erstaunliche Auswahl gegeben.
„Glück gehabt,“ sagte Florian und blickte Britta müde lächelnd an. Sie befanden sich an der Rezeption, wo zwei mandeläugige Grazien ihre Daten aufnahmen.
„Abwarten und Tee trinken,“ antwortete sie. Vorschußlorbeeren zu verteilen, war nicht ihre Art. Obwohl früher Lehrerin, hatte sie selber von der „Pädagogik des Lobes“ nicht viel verinnerlicht.
Als Florian sah, wie Britta sich mit einem Tuch die Schweißperlen abtupfte, sagte er:
„Ich schaue mal, ob ich etwas Trinkbares finde,“ und eilte davon.
Den Begrüßungsaperitif hätte ihnen eigentlich Bergmann servieren sollen, dachte er voll bitterer Selbstironie.
Als er kurz darauf mit Mineralwasser zurückkehrte, war er völlig verschwitzt.
„Dieses Land ist eine einzige Sauna. Am liebsten würde ich sofort schwimmen gehen.“ Er sah sie fragend an. „Kommst du mit? Wir könnten das mit einem Spaziergang zu Bergmanns Hotel verbinden.“
„Nein, gewiss nicht. Ich will zu allererst das Zimmer sehen. Da wird es wohl eine kalte Dusche geben.“
„Okay. Aber du verstehst... ich möchte keine Zeit verlieren. Es soll sich bei Bergmanns Immobilie um ein Resort der Spitzenklasse handeln. Also, bis dann, mein Schatz.“
„Ja, Moment mal… soll ich denn allein unsere Koffer ins Zimmer schleppen? Mein Gott, hast du es eilig!“
„Schau mal hinter dich. Da steht schon einer, der ganz wild auf unsere Koffer ist. Falls du dir Gedanken um meine fehlende Badehose machst… ich schwimme nackt oder leihe mir von Bergmann einen Lendenschurz.“ Florian spürte, dass sein Witz nicht zündete.
„Du musst nicht immer seinen Namen erwähnen,“ flüsterte sie, während sie skeptisch die jungen Malaiinen hinter dem Empfangstresen musterte. „Hast du keine Angst, dass er dich am Ende schon erwartet?“
Florian schüttelte den Kopf.
„Nein, das denke ich nicht. Wir sollten nicht gleich zu ängstlich werden und glauben, dass sein Einfluss allgegenwärtig ist.“
Eine Stunde später stand Florian vor dem „Bali Matahari Resort“. Auf dem Wege dahin hatte er ein kurzes Bad genommen. Die Stelle war durch Mangroven vor Blicken geschützt, so dass er sich eigentlich sicher war, keine Schamgefühle verletzt zu haben.
Dann war er an einigen Hotels vorbeigekommen, aber weder Name noch Ausstrahlung passten zu der Beschreibung, die er von dem Bekannten erhalten hatte. Irgendwann fing er zu joggen an. Die wenigen Fußgänger auf dem sauber angelegten Weg hatten sich umgedreht und ihm nachgeblickt. Ein kleiner Junge ließ seinen Ball fallen und rief etwas auf balinesisch. Dann war er ihm nachgerannt und nach wenigen Metern wieder umgekehrt. Einige Male hatte er Passanten das Foto von Bergmann, das ihm der Bekannte vom BKA überlassen hatte, unter die Nase gehalten.
Und tatsächlich, einige der Befragten erinnerten sich an das markante Konterfei. Nur mit dem Namen hatten sie nichts anfangen können. Ihre Hinweise auf balinesisch verstand er nicht, ausgenommen das Wort „Hotel“, aber sie wiesen stets mit der Hand in die vorgegebene Richtung.
Der Weg beschrieb im letzten Drittel einen weiten Bogen. Einmal musste er auf die Bankette ausweichen, weil ein Shuttle-Bus mit Hotelgästen an ihm vorbei preschte.
Im Vertrauen auf seine Intuition war er immer weiter gelaufen, bis der Weg abrupt in einem weitläufigen Wendehammer mit integrierten Parkplätzen endete.
Er schaute sich um. Hier war offenbar Ende. Abgesehen von einem Privatweg, der zu einer mit exotischen Figuren gesäumten Einfahrt abbog. Dahinter entdeckte er ein Gebäude, das wie ein verzaubertes Schloss aus Rhododendron-Büschen und Azaleen hervorlugte.
Das war es also, was die Menschen gemeint hatten. Und tatsächlich, an der Einfahrt stand der Name “Bali-Matahari-Resort“.
Mit seinem geschwungenen, reetgedecktem Dach unter Dattel-und Kokospalmen mitten in einem Blütenmeer aus exotischer Flora, wirkte es wie ein Traum aus „Tausend und einer Nacht“.
Florian blieb stehen und blickte fassungslos auf die Prachtentfaltung vor seinen Augen, staunend und unfähig zu einem klaren Gedanken. Es war offensichtlich - hier hatte sich jemand seinen kühnsten Traum erfüllt, konsequent und rücksichtslos.
Als er näher trat, unterschied er nach und nach einzelne Bungalows, hinter denen sich kleinere Häuser verbargen. Alle waren harmonisch miteinander verknüpft und in einem überreichlichen Tropengarten angesiedelt. Und dahinter lockte ein mit Sonnenschirmen dekorierter Strand vor einem gleißenden Meer mit schaukelnden Booten.
Mit jedem weiteren Meter offenbarte sich ein neues Highlight. Er schritt auf Ornamentsteinen an Swimmingpools mit integrierten Komfortzonen, wie zufällig angeordnet, vorbei. Wer sich hier niederließ, erlebte die Illusion ineinander fließender Wasserflächen und das barrierefreie Verschmelzen mit dem dahinter liegenden Meer. Und über all der exotischen Vielfalt spannte sich das satte Grün eines uralten Baumbestandes.
Florian hätte schreien können. Denn in dem Maße, wie er Bergmanns Werk bewunderte, überkam ihn ein Gefühl ohnmächtigen Zorns. Da also war sein Erspartes nebst der aufgenommenen Kredite versenkt worden! Sein lächerliches Geld, nur Peanuts im Verhältnis zum Ganzen, zur großen Sinfonie... Eine Selbstverwirklichung, die teuer erkauft worden war mit den Albträumen der vielen Opfer, die er verhext hatte. Menschen, die nicht begriffen, was mit ihnen passiert war und nun am Rande ihrer Existenz vegetierten.
Die „Metamorphose“ des Geldes... Nach einer scheinbar langen Wanderung erlangte es hier im Paradies der Götter und ihrer Tempel seine wahre Verheißung.
Darüber konnte man glücklich sein, oder weinen. Weinen über sich selbst und diese steinernen Götter, die überall ihre mitleidlose Präsenz zeigten. Dieser Ort suggerierte geradezu eine demütige Zurückhaltung.
Zweifellos war hier ein lukratives Unternehmen entstanden, ein großartiges Resort, das seine Rendite abwarf. Aber es war Bergmanns Rendite, eine Wertschöpfung, die nur ihm zugute kam. Was Florian betraf, so hatte seine dem Leben zugewandte Haltung einen Knacks bekommen. Monate lang war er den Menschen aus dem Weg gegangen, hatte seine freien Stunden auf die Nacht verlegt und war bei Dunkelheit umhergeirrt.
Als einziger Aktivposten war das Geschäft geblieben. Aber die Möbelkonjunktur hatte nachgegeben, das Geschäft lief nicht mehr so reibungslos wie ehedem. Auch der Bankkredit, den er ohne Brittas Wissen zum Zwecke der Geldvermehrung aufgenommen hatte, saß ihm im Genick. Nun zollte das Ereignis seinen Tribut und zwang sie, sich einzuschränken.
Wohl hatte man zwei der insgesamt drei Betrüger gefasst und einsperren können. Bergmann aber war und blieb bis heute verschwunden... vom Geld keine Spur.
Es ging das Gerücht, Bergmann sei gelegentlich in München gesichtet worden. Man hatte ihn bereits als „das Phantom“ bezeichnet. Denn jeder beabsichtigte Zugriff war ins Leere gegangen.
Die mit diesem Fall befassten Stellen sahen den Flüchtigen auf einer Insel in der Karibik residieren. Sie schienen taub für andere Hinweise. Er wollte aber nicht soweit gehen und behaupten, hier sei Korruption im Spiel. Wieso war er sich im Moment so sicher, Bergmann tatsächlich in diesem Resort zu begegnen? Noch hatte sich der Gesuchte nicht blicken lassen. War der Wunsch wieder einmal Vater des Gedankens?
Aber da war das Foto... Es konnten doch nicht alle irren, die ihn erkannt haben wollten. Es waren freundliche, zuvorkommende Menschen gewesen, die er gefragt hatte. Sie hatten aufgeregt genickt und immer das Gleiche geantwortet.
Seine Zunge klebte am Gaumen. Vielleicht sollte er sich zum Strand begeben, um noch einmal schnell ins Wasser zu tauchen. Ein kurzes Bad und ein kühler Kopf wären die beste Vorbereitung auf ein Treffen mit Bergmann.
Er brauchte ein Ergebnis, etwas Vorzeigbares. Er durfte Britta nicht wieder enttäuschen. Die Angst, eines Tages vielleicht allein zu sein, machte ihm zu schaffen. Denn wer respektierte schon auf Dauer einen Partner, den offenbar das Glück verlassen hatte…
Doch was würde er Bergmann eigentlich sagen wollen?
Noch zuhause hatte er eine wohl gesetzte Ansprache formuliert, sie ausprobiert und dann wieder verworfen. Im Flieger wollte ihm nichts rechtes mehr einfallen. Das Problem war, dass er nicht wusste, welche Sprache dieser Mann verstand.
Natürlich hatte er ihm sagen wollen, dass er sein Geld zurückverlange. Wenn dies nicht möglich wäre, müsste man über angemessene Ersatzleistungen reden. Warum nicht über eine Beteiligung an dieser Liegenschaft? Ein plausibler Gedanke, fand Florian. Oder doch nur ein Hirngespinnst, dem Jetlack geschuldet?
Während er unentschlossen im Eingangsbereich herumging, beobachtete er die Gäste, die ankamen oder das Haus in Richtung Flugplatz verließen. Manchmal spuckte ein hoteleigenes Shuttle gleich mehrere Paare auf einmal aus. Einmal wurde er gebeten, Fotos von einer Gruppe aus Melbourne zu schießen. Mit dem Traumhotel im Hintergrund, versteht sich. Auch die üppig blühenden Bougainvillee und Azaleen vor dem Portal mussten mit aufs Foto.
Als er sich gerade von einem Paar aus Singapoore verabschiedete, kamen mehrere Personen aus dem Empfangsgebäude, von denen eine Bergmann ähnlich sah. Dahinter lief ein junger Balinese mit Koffern, die dieser sogleich in einem Shuttle-Bus verstaute, der kurz zuvor auf dem Vorplatz eingetroffen war.
Also, keine Frage, mein Geld arbeitet, dachte Florian in einem Anflug von Galgenhumor. Doch sollte sich Bergmann mit der Idee anfreunden und ihn tatsächlich beteiligen, so würde er eigene Ideen einbringen wollen. Obwohl...das Konzept schien eigentlich perfekt zu sein.
Aber so etwas ließ sich immer optimieren. Spontan kam ihm die Idee, dass man etwa Trauungen und ganze Hochzeiten im hoteleigenen Park arrangieren könnte. Nicht sonderlich originell, doch das würde gewiss für zusätzlichen Umsatz sorgen. Aber vielleicht gab es das bereits. Dann hätte er sicherlich bald eine andere Idee. In seiner kreativen Art begann er, sich Bergmanns Kopf zu zerbrechen... Er zog eine Baseballkappe aus der Hosentasche, glättete sie und setzte sie auf, um sich schließlich mit Sonnenbrille und 3-Tagebart der Gruppe bis auf wenige Schritte zu nähern. Hier verharrte er und wartete geduldig, bis sich das letzte Paar verabschiedet und der Kleinbus in Bewegung gesetzt hatten.
Der Mann in heller Hose und weißem Hemd drehte sich zu ihm um.
Florian zuckte zusammen, als sich ihre Blicke trafen. Nur Bruchteile von Sekunden betrachtete jeder sein Gegenüber. Dann kam Bergmann auf ihn zu. Er wirkte gealtert und schmaler, als er ihn in Erinnerung hatte. Viel zu weite Jeans flatterten um seine dünnen Beine. Dann blieb er stehen und blickte Florian nachdenklich an. Es war nicht zu übersehen, dass er in seinem Gedächtnis kramte.
„Kann ich etwas für Sie tun?“ fragte er schließlich. „Sie sehen so aus, als suchten Sie vielleicht eine Unterkunft?“ Er strich zerstreut über sein dünnes Haar.
„Wir, meine Frau und ich haben bereits eingecheckt,“ antwortete Florian. „Leider!“
„Ja, dann ist das so. Es gibt viele schöne Orte auf dieser Insel.“
„Ich überlege aber gerade, ob wir nicht wechseln sollten,“ fuhr Florian fort. „Was meinen Sie, ist vielleicht noch etwas in Ihrer wundervollen Residenz frei?“
„Für sympathische Leute ist immer noch etwas frei. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen sofort einen anderen Bungalow zeigen.“ Mit der Hand wies er einladend auf einen der Bungalows. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen eine andere Art der Unterbringung.“
Miller hatte den anderen längst erkannt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er erinnerte sich sogar noch an ihr Gespräch und die Geldübergabe in diesem kleinen Möbelladen am Stadtrand von München. Das war eine Weile her. Er glaubte aber nicht, dass Florian zu einer ernsten Bedrohung werden könnte. Dennoch, er hatte gelernt, jederzeit auf der Hut zu sein.
Bergmann zeigte auf eine finster blickende Statue am Eingang zur überdachten Terrasse.
„Bei dieser Figur,“ erklärte er, „handelt es sich um eine sogenannte Patong Statue. Es ist eine zu Stein gewordene Gottheit. Sie soll vor unerwünschten Eindringlingen schützen und den Frieden bewahren helfen.“
Florian lächelte mild. Die Gottheit beeindruckte ihn nicht, und Bergmanns Erklärung hielt er für zufällig. Er nickte und blickte zu der jetzt ins Blickfeld geratenen Terrasse.
Bergmann war seinem Blick gefolgt.
„Diese Daybeds dort auf der Terrasse sind eine äußerst angenehme Einrichtung. Sie können hier spontan ausruhen oder in heißen Nächten darauf schlafen,“ erklärte er mit der Gestik eines Schlossführers, der eine auswendig gelernte Lektion herunter leiert. Einen Augenblick lang überlegte Florian, ob diese Daybeds nicht auch etwas für seine Möbelausstellung wären. Aber da folgte schon die nächste Verlautbarung.
„Achten Sie mal auf diese Paneelen! Man sieht es nicht gleich, aber sie sind schwenkbar, so dass wir auf eine Klimaanlage verzichten konnten.“ Er demonstrierte stolz das praktische Highlight, indem er ein hochstehendes Holzelement von innen nach außen und wieder zurück drehte. „Statt der Klimaanlagen haben wir im Innern Ventilatoren installiert.“
Bergmann hätte vielleicht noch eine Weile so weiter doziert, wenn nicht in diesem Augenblick eine junge Balinesin zu ihm herangetreten wäre. Sie flüsterte diesem etwas ins Ohr, um gleich darauf auf leisen Sohlen wieder zu verschwinden. Bergmann nahm den Faden wieder auf.
„Es sind Orte zum Entspannen, zur inneren Erneuerung und Inspiration...“ Er rang nach Atem und schaute sein Gegenüber auf seine irritierende Art an. „Solche kleinen Paradiese anzubieten ist meine Mission.“
Plötzlich schien er es eilig zu haben..
„Sie müssen mich jetzt entschuldigen“, sagte er. „Aber ich habe einen wichtigen Termin vergessen. Sind Sie noch interessiert?“
„Selbstverständlich! Ich bin beeindruckt. Doch meine Frau trifft die Entscheidungen. Würde es passen, wenn ich morgen zusammen mit ihr erscheinen würde? Seliger ist übrigens mein Name...“
„Sind Sie sicher?“
„Verzeihung, was meinen Sie mit sicher?“
„Sind Sie sicher, dass Sie morgen wiederkommen werden? Also, ich würde Ihre Buchung solange in der Schwebe halten. Mir fällt ein, ich habe mich noch nicht vorgestellt…mein Name ist Miller, Christoph Miller. Das Hotel gehört mir.“
„Da kann man Sie nur beglückwünschen,“ sagte Florian.
Anstatt sich jetzt zu offenbaren und Bergmann den Marsch zu blasen, knickte er nun ein weiteres Mal ein vor der sichtbaren Allmacht Bergmanns und seines Mammons. Und absurderweise hatte sein eigenes Scherflein zu diesem Form und Materie gewordenen Sinnesrausch beigetragen, wenn auch nur im Promille-Bereich.
„Natürlich werden wir morgen kommen…ich kann mir nicht vorstellen, dass es meiner Frau hier nicht gefallen würde.“
Er ließ den Blick noch einmal respektvoll über das vermeintliche „Joint Venture“ gleiten und verabschiedete sich scheinbar gelassen, obwohl es in ihm heftig brodelte. Er spürte Millers Blick im Rücken, bis er hinter dichten Stauden verschwunden war. Also Bergmann hieß jetzt „Miller“. Er musste achtgeben, dass er die beiden Namen beim morgigen Treffen nicht verwechselte. Er konnte nicht ahnen, dass Miller alias Bergmann durch ähnliche Besuche längst vorgewarnt war und nicht im entferntesten daran dachte, „feindliche Übernahmen“, auch nicht im Promille-Bereich, zu irgendeiner Zeit zuzulassen.
Florian traf Britta im Hotelzimmer an, wo sie auf ihn gewartet hatte. Sie schien bereit fürs Abendessen, das auf einer kleinen Veranda mit Blick aufs Meer stattfinden sollte. Das hatte sie bereits herausgefunden.
„Na, was hat unser Sherlok Holmes denn heute zustande gebracht?“ Sie lächelte ironisch in ihren Handspiegel, mit welchem sie ihre Kurzhaarfrisur einer letzten Prüfung unterzog.
„Er ist es, heißt aber jetzt Miller,“ platzte Florian heraus. „Du wirst es kaum glauben, aber er besitzt ein Paradies! Das schönste Resort auf ganz Bali. Keine Übertreibung!“
„Ach was!“ Sie stand auf und legte Spiegel nebst Bürste auf einem bizarr geformten Sims ab.
„Du musst mir alles haarklein berichten, gleich beim Essen. Ich gehe schon mal, um uns einen Tisch zu sichern.“
Florian nickte stumm und ging ins Bad. Als er wenig später bei ihr auf der Terrasse auftauchte, wurde bereits die Vorspeise gereicht.
„Mann o Mann,“ bemerkte sie zwischen zwei Happen, „allein das Dinner ist die Reise wert.“
Britta war so sehr mit ihrem Essen beschäftigt, dass sie offenbar gar nicht auf das Ergebnis seiner Recherchen neugierig schien. Erst beim Dessert durfte Florian berichten. Diesmal unterbrach ihn Britta nicht.
Später in der Nacht berührte sie seinen Arm. „Du schläfst noch nicht? Dann erzähl mir doch bitte…wie willst du Bergmann denn nach Deutschland schaffen? Soweit ich weiß, gibt es kein Auslieferungsabkommen mit Bali, also mit Indonesien…“
„Das ist der Casus Knacktus.“
„Ja und dann? Etwa im gelben Sack?“
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wir müssen vernünftig mit ihm reden, an sein Gewissen appellieren…“
„An sein Gewissen? Hat der nicht! Da muss uns schon mehr einfallen.“
„Er machte auf mich den Eindruck eines altersmilden Mannes. Bis morgen fällt uns bestimmt noch etwas ein.“
„Altersmilde? Dass ich nicht lache! Vielleicht können wir ihn ja dazu überreden, sein Testament zu unseren Gunsten abzufassen. Also wirklich!“ Sie kicherte. Doch dann streichelte sie versöhnlich seinen Arm, weil sie seine Verzweiflung spürte.
„Ach komm, gib mir einen Gute-Nacht-Kuss und versuch zu schlafen. Morgen ist wieder ein Tag, und da müssen wir fit sein.“
„Bist du denn fest entschlossen, mitzukommen? Du musst nicht.“
„Ich kann dich doch nicht alleine in die Höhle des Löwen gehen lassen… Du weißt doch, hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Das wird Eindruck machen, wenn ich in deiner Begleitung erscheine,“ sagte sie. Ihr Sarkasmus machte vor ihr selbst nicht halt.
„So, nun kuschle noch mit mir, oder sing ein Gute-Nachtlied, bis ich eingeschlafen bin. Such´s dir aus!“
Nachdem Florian aus einem Koma ähnlichen Schlaf aufgewacht war, fand er sich auf dem verdreckten Boden einer Holzhütte liegen. Wie aus der Ferne hatte er schon eine Weile Brittas Aufforderungen vernommen. Als er jetzt die Augen aufschlug, saß sie rittlings auf ihm und versuchte, ihn wachzurütteln.
„Was ist passiert?“ fragte er benommen und noch nicht Herr seiner Sinne.
„Nun komm schon, mein Ritter,“ stöhnte Britta. „Komm endlich zu dir. Eigentlich wollte ich in einer Traumvilla aufwachen, nicht in diesem Albtraum! Mann o Mann, wenn mein Kopf doch nicht so brummen würde!“
Sie löste sich von Florian und half ihm auf die Beine.
„Sieht aus, als hätte hier jemand Schweinezucht betrieben.“
Er deutete auf die grob gezimmerten Nischen. Plötzlich fiel ihm der Abend wieder ein.
„Diese Halunken haben uns K.O.-Tropfen ins Getränk gemischt. Ich kann noch gar nicht richtig denken.“
„Macht das einen Unterschied zu vorher...“
Florian überhörte geflissentlich ihren bösen Einwurf.
„Es waren doch Mixgetränke, oder? Ich mochte diese noch nie leiden.“
Er machte einige Dehnübungen. Die Beine zeigten nur eingeschränkte Funktion. Vor allem schmerzte der Rücken, dem harten Boden geschuldet.
„Du weißt, wie wir hierher gekommen sind?“
„Nein, das weiß ich nicht mehr,“ stöhnte er. Es gab anscheinend keine Stelle am Körper, die nicht wehtat.
„Wie sind wir denn hierher geraten? Das kann dieser Hering doch nicht allein geschafft haben.“
“Das waren seine mandeläugigen Bodygards. Warum haben sie uns nicht gleich die Kehle durchgeschnitten...“
„Bergmann alias Miller muss sich auf seiner Insel sicher fühlen. Er wusste aber gleich, woher er mich kannte…“
„Dein Bart war wohl keine wirksame Tarnung… hätte ich Dir gleich sagen können. Und über Dein Angebot wollte sich der „altersmilde Mann“ vor Lachen ausschütten….“
„Filmriss... weiß ich auch nicht mehr. Aber lass uns doch einmal schauen, wo wir hier überhaupt sind.“
Er stieß eine Tür auf und trat ins Freie.
„Nein, wirklich, das muss man nicht glauben!“
Er starrte auf ein mit Maschendraht eingezäuntes Areal, dahinter ein dichter Mangroven-Gürtel. Der Zaun reichte einige Meter über die Uferlinie ins Wasser hinaus. Dahinter lag das Meer. Trockenen Fußes konnte man hier nicht entkommen.
Britta war ihm gefolgt.
„Als Kind habe ich immer vom großen Abenteuer geträumt. Jetzt brauche ich das eigentlich nicht mehr.“
Florian schwieg schuldbewusst. Wieder einmal war er auf Bergmann reingefallen, diesmal mit unabsehbaren Folgen für Leib und Leben. Insbesondere für Brittas Leben. Noch schien sie nicht wirklich beunruhigt. Ihr Ton war wie immer von leichtem Sarkasmus durchsetzt.
„Wir stehen erst am Anfang unseres Urlaubs,“ stellte sie fest. „Ab jetzt kann es eigentlich nur besser werden.“
Sie ging zum Ufer und bog die Zweige eines Busches beiseite.
„Florian, komm mal her!“ rief sie aufgeregt. „Hier liegt ein dicker Äppelkahn. Hat sogar einen Außenborder.“
Tatsächlich lag da ein altes Fischerboot auf dem zugewucherten Uferstreifen, aber bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Und zu schwer, um es mit dem Wasser umzukippen.
Florian nahm eine Handvoll und schlürfte.
„Kein Salzwasser... Regenwasser!“ stellte er beruhigt fest. „Es könnte also dicht sein.“
„Es könnte also dicht sein,“ äffte sie ihn nach. „Ist das alles, was dir dazu einfällt?“
Florian öffnete den Tankdeckel des Außenborders und blickte in den Tank.
„Da ist genügend Sprit drin, um von hier wegzukommen,“ stellte er fest.
„Du willst doch wohl nicht diesem Äppelkahn unser Leben anvertrauen! Ebenso gut könntest du zu Fuß übers Wasser laufen wollen. Lass es uns irgendwie anders versuchen.“
„Was glaubst du, warum die uns hierher gebracht haben!?
Ohne Buschmesser kommen wir hier nicht raus. Schau Dich doch um... nichts als Mangroven und Sumpf. Und sicherlich auch Schlangen. Und wir haben nur die dämlichen Sandalen an den Füßen!“
Er musste aufpassen, dass die Stimmung nicht kippte. Jetzt muste jeder Schritt genauestens geplant werden. Jeder Fehler könnte tödlich enden.
Wie dämlich waren sie doch in die Falle getappt! Und als er seinen Vorschlag hinsichtlich einer Beteiligung machte, hatte Bergmann einen Lachkrampf bekommen. Es war, wie Britta vorausgesagt hatte, eine einzige Demütigung.
Aber hätte er sie nicht auch umbringen und verschwinden lassen können? Kein Hahn hätte nach ihnen gekräht. Niemand wäre auf die Idee verfallen, sie als vermisst zu melden.
Bestenfalls eine Schlagzeile mit dem Text “Verschollen auf Bali“, hätte in einem Boulevard-Blatt an sie erinnert und für eine befristete Aufmerksamkeit gesorgt.
Britta hatte zu ihrem Pragmatismus zurückgefunden. Mit einem großen Yoghurtbecher hatte sie begonnen, das Wasser aus dem Kahn zu schöpfen. Dann hatte sie ihre Hände genommen, als sie merkte, das dies effektiver war.
„Hier schwimmt ein Zettel in der Brühe,“ rief sie plötzlich. „Mit einer Nachricht für uns.“
Die Schrift war verwaschen, aber lesbar. Sie reichte Florian vorsichtig das feuchte Blatt. Er las:
Werte Herr und Frau Seliger,
wenn Sie losfahren, werden Sie feststellen, dass Sie sich auf einem Eiland befunden haben. Halten sie immer nach Westen, dann kommen sie irgendwann irgendwo an, sofern der Sprit reicht. Wenn nicht, dann nehmen sie das Hilfssegel, das in der Hütte liegt. Wenn sie keine nautischen Erfahrungen haben, dann gnade Ihnen Gott.
Mein Ratschlag: Sollten Sie entgegen jeglicher Logik doch überleben, dann kommen Sie besser nie wieder nach Bali!
Christoph Miller alias Bergmann
Vera Lange war keine Frau, die jemals „die Katze im Sack“ gekauft hätte. Verliebtsein etwa bewirkte bei ihr nicht, dass sie sich unkontrolliert in eine komplexe Beziehungsstruktur begeben hätte. Hier scheute sie das Risiko wie der Teufel das Weihwasser.
Nein, ihre Gefühle waren wohl dosiert und steuerbar. Und so ließ sie ihre Aufmerksamkeit zu gleichen Teilen dem neuen Partner als auch seinem Entwicklungspotential zuteil werden. Im Zweifel konnten dessen über Creditreform abgerufenen Geldströme als geeignetes Indiz gewichtet werden. Denn alles war messbar und Männer austauschbar, glaubte sie.
Ihre Freundin Uta schwamm auf gleicher Welle. Als kritische Journalistin war sie es aber gewohnt, noch genauer hinzuschauen als Vera. Deshalb verfolgte sie interessiert die Karriere des neuen Galans ihrer Freundin in den Fachblättern, soweit ihr diese zur Verfügung standen. Mit Genugtuung nahm sie erste Achtungserfolge von Hagen zur Kenntnis. Versteht sich, dass sie solche Meldungen zeitnah an die Freundin weiterreichte. Dabei vergaß sie nie, ihre eigene Bewertung mit einfließen zu lassen.
Denn manche Kommentare in der Presse schienen ihr zu euphorisch, andere sprachen neidvoll von Anfängerglück. Ganz böse Zungen behaupteten sogar, es handelte sich um manipulierte Artikel, lanciert durch Strohmänner des Auftraggebers Hagen Herwig. Tatsächlich konnten in „Börse und Aktionär“, ein führendes Fachblatt, solche Manipulationen nachgewiesen werden. Doch das ging unter im allgemeinen „Blätterrauschen,“ und plötzlich hörte man nichts mehr davon.
Die Fälle waren wohl zu komplex und zeitraubend, und die Materie schwierig. Es folgten keine strafrechtlichen Konsequenzen, schnell war es „Schnee von gestern“.
Aber auch solche Meldungen unterschlug die Freundin nicht.
„Solltest du ihn tatsächlich ehelichen, dann schließ mal gleich eine Lebensversicherung ab,“ schlug sie vor. „Ist nicht teuer, aber könnte sich eines Tages lohnen.“ Sie lachte und zwinkerte mit den Augen. „Ich meine es total ernst,“ ergänzte sie dann.
Vera verstand nicht gleich. Uta erinnerte sie daher an einen kürzlichen Fall von Anlagenbetrug, wo der Verantwortliche zunächst verschwand, dann aber posthum in einem Baggersee als Wasserleiche wieder auftauchte... ein verstörender Anblick!
Angesichts solcher Negativmeldungen blieb Vera merkwürdig desinteressiert. Nach anfänglicher Vorsicht ließ Ihr Filter nur die positiven Nachrichten durch. Subversive Statements, wie sie es nannte, wurden in Gesprächen zwischen Herwig und ihr nie thematisiert. Sie erwähnte sie erst gar nicht. Schon bald nahm er sie auf eine Reise nach Mali mit. Dem Beispiel des Ökonomen Muhammad Yunusin folgend, der in 2006 für seine beispielhafte Idee den Friedensnobelpreis erhalten hatte, verteilte Herwig publikumswirksam eine Million Euro an Bedürftige vor Ort. Die zwischengeschaltete Bank verlieh das Geld zu Niedrigzinsen an sogenannte „Kleinstunternehmer“, ohne irgendwelche Sicherheiten zu fordern.
Dieser Coup zu Lasten der „weichen Kosten“ erzeugte die erwartete Aufmerksamkeit. Zugleich einen solchen Schub, dass von einem aufgehenden Star am Himmel des grauen Finanzmarktes die Rede war. Schon sah Vera sich zusammen mit Herwig als neues Traumpaar der Münchener Society.
Als Herwig in der Folge damit begann, seine wachsenden Geschäftsfelder zu einem unüberschaubaren Firmengeflecht zu verschachteln, wurden zunächst nur die notorischen Zweifler mißtrauisch. Auch manchen Fachleuten schien es wie ein bewusst herbeigeführtes Anlage-Chaos, aus dem immer wieder neue „Produkte“ wie aus dem Nichts an die Oberfläche drangen. Investitionsschwerpunkte waren dabei angebliche Öl- und Gasfelder in Übersee. Hinzu kamen Beteiligungen an Infrastrukturmaßnahmen in Nah-und Fernost, Zementherstellung in Abu Dhabi - angeblich privilegiert durch persönliche Präferenzen des jeweiligen Potentaten. Und mit Dreifach-A-Noten in den internationalen Rankings bewertet.
„Na, wie findest du das?“ fragte Vera voller Genugtuung eines Nachmittags ihre Freundin. „Bist du immer noch skeptisch?“
„Ehrlich gesagt, ich finde diesen gigantischen Erfolg ein bisschen unheimlich. Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich.“
„Er sammelt aber waschkörbeweise das Geld der Investoren ein…“
Für Vera gab es kein überzeugenderes Argument.
„Glaubst du, das geht alles mit rechten Dingen zu? Hast du noch nie von einem sogenannten Schneeballsystem gehört?“
„Das interessiert mich nicht die Bohne. Wichtig ist doch nur der Erfolg!“
Anfang Juni erhielt eine Frau Lilli Seefelder folgendes, in verkürzter Form wiedergegebenes Schreiben von Hagen Herwig:
Sehr geehrte Frau Seefelder,
in meiner Funktion als langjähriger Finanzmarktspezialist wurde ich gebeten, die Geschäftsführung der MNC-Gesellschaften zu übernehmen, um die vorliegenden Informationen zu den Öl-und Gasinvestitionen auszuwerten, um auf dieser Basis eine Strategie für einen optimalen Verlauf ihrer Beteiligung zu strukturieren.
Auch wenn meine Lebens planung eigentlich eine ganz andere war, stelle ich mich dieser wichtigen Herausforderung.
Ich habe bereits eine Task Force gebildet, bestehend aus ebenso erfahrenen Beratern, die mich bei meiner Arbeit unterstützen werden… bla-bla-bla…
Obwohl in Eile - sie durfte ihren Zug nach Berlin nicht verpassen - wählte sie die Nummer von Max. Der meldete sich sofort.
„Ich dachte, Du bist schon unterwegs,“ sagte er.
„Nur ganz schnell - ich habe gerade ein Schreiben von MNC geöffnet… hast Du es auch bekommen?“
„Allerdings,“ lachte Max gequält.
„Mir ist noch schlecht von dieser salbungsvollen Ausdrucksweise. Klingt nicht gut, ist nicht gut. Aber bis Montag weiß ich mehr, dann unterhalten wir uns, okay?“
„Ja, gern. Ich muss auch dringend los, sonst kann ich die ganze Strecke mit dem Auto fahren!“
Hastig beendete sie das Telefonat. Max wusste, dass Lilli die lange Fahrt per Auto als Höchststrafe empfand.
„Also, was sagt man dazu…“ Tonio zupfte nachdenklich an seinem Schnäuzer und legte das Schreiben auf den Tisch. Sie frühstückten wie immer um diese Zeit im noch geschlossenen „Da Tonio“, eine schicke Pizzeria und zugleich ein rundum bekanntes Feinschmecker-Lokal.
Früher waren immer noch die Kinder, Marcello und Renata, beim Frühstück anwesend, inzwischen aber erwachsen und in alle Richtungen davongeflogen.
„Da schreibt doch dieser Hagen Herwig etwas von Lebensplanung… dass er sich diese anders vorgestellt habe. Wollte dieser junge Schnösel denn jetzt schon aufhören zu arbeiten? Dio mio…“
Er schob das Schreiben seiner Frau Anna hin. „Da, lies mal, und sag mir, was davon zu halten ist.“
„Nicht viel,“ meldet sich Anna nach kurzem Studium. „Aber vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden. Was meinst du, wie steht es jetzt um unsere Anlage?“
Tonio zupfte zerstreut an seinem Schnäuzer und schaute durch den Schlitz neben der Gardine, die er gleich nach dem Frühstück zurückziehen würde.
„Ich weiß es nicht… Caramba, das hat uns gerade noch gefehlt! Bitte, schließ die Tür auf, Lena muss gleich kommen. Wir sind spät dran. Du weißt, sie war schon auf dem Markt und bringt die Einkäufe fürs Wochenende.“
Mit hängenden Schultern schlurfte Anna zur Tür und öffnete sie. Dann ging sie zum hinteren Saal und stellte die Stühle von den Tischen auf den Boden. Das machte sie jeden Tag, und das seit gefühlten hundert Jahren.
„Wir müssen zwei Stühle austauschen,“ sagte sie. „Sonst bricht sich noch jemand den Hals. Aber das muss wohl erst passieren, eh du etwas unternimmst.“
Seine scheinbar ewig vitale Anna schien plötzlich alt geworden. Man sieht ihr langsam die vielen Jahre an, die sie an seiner Seite verbracht hat, zog es Tonio flüchtig durchs Hirn, als er ihr mit seinem zerstreuten Kontrollblick folgte. Ohne Zweifel war diese Nachricht auch ein Schock für sie. Vielleicht hätte er ihr den Brief unterschlagen sollen.
Was meinte dieser Hurensohn mit „um die vorliegenden Informationen zu den Öl-und Gasinvestitionen auszuwerten, weitere zu beschaffen und…eine Strategie für den optimalen Verlauf ihrer Beteiligung zu strukturieren…“