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Zeitreise-Liebesroman Nie hätte Eilidh gedacht, dass ihr Ausflug in die Culag Woods sie vierhundert Jahre in die Vergangenheit führen wird, wo sich nicht nur ihr Schicksal erfüllt, sondern sie auch noch die große Liebe kennenlernt. Doch gibt es finstere Machenschaften auf Ardvreck Castle, dem Stammsitz der MacLeods von Assynt, und mordlüsterne Hexenjäger stellen eine Bedrohung dar. Auch scheint die Legende über die zwei Geister, die hier ihr Unwesen treiben, einen wahren Kern zu besitzen.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Sharon Morgan
Highlander meines Schicksals
Impressum:
Copyright und Urheberrecht Oktober 2014 Sharon Morgan
Copyright Coverfotos:
Liebespaar: Yuliya Yafimik/Fotolia
Highlands Scotland: Michael Kempf / ShotShop.com
Copyright Unzialish Manfred Klein Lektorat und Korrektorat: Anti-Fehlerteufel, Jörg Querner
Pastel Sky 14: PixMixBox
Coverdesign: Sharon Morgan
Sharon Morgan
c/o Ursula Donner (Kaiser)
Egerlandstr. 12
96148 Baunach
Chan eil tighearnas aig an tim agus am bàs oirbh!
Die Zeit und der Tod haben keine Herrschaft über Sie!
Dieses Buch widme ich Gwydion. Danke! Ohne Dich wäre mein Schicksal viel schwerer zu tragen für mich.
Kreise des Schicksals
In der Gegenwart in den nordwestlichen Highlands von Schottland am Rande von Lochinver
»Einen toten Vogel auf dem Weg oder vor dem Haus zu finden bringt Unglück. Bist du dir sicher, dass du hier entlanggehen möchtest?«, fragte Beitiris mit einem Blick auf den toten Eichelhäher, der mitten vor ihnen auf dem Weg lag, der in die Culag Woods führte.
Eilidh nickte. »Natürlich gehe ich hier entlang. Der Vogel ist tot. Was soll er mir noch tun können?«
»Er selbst wird dir natürlich nichts tun, doch ist er ein böses Omen.«
Eilidhs jüngere Schwester Janet stemmte die Hände in die Hüften. »Ach, mach sie doch nicht verrückt mit deinem Aberglauben. Wenn Tante Mariot an so etwas glauben würde, könnte sie sich nicht mehr aus dem Haus trauen. Ihre Katzen schleppen ihr ständig tote Vögel an.«
Beitiris nickte. »Aye, aber ihre Katzen bringen immer nur Spatzen und niemals Eichelhäher. Die kriegen sie nämlich nicht.« Sie wandte sich an Eilidh. »Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund, warum du gerade jetzt so plötzlich und unerwartet nach Schottland auswanderst?«
Janet verzog das Gesicht. »Du musst nicht hinter allem etwas Übersinnliches vermuten.«
»Tu ich auch gar nicht. Aber jetzt sag doch mal selbst: Wirkt sie nicht irgendwie verändert in der letzten Zeit, ruhiger und nachdenklicher? Sie lacht auch nicht mehr so häufig wie im vergangenen Sommer.«
Eilidh seufzte. »Ich hatte in der letzten Zeit tatsächlich wenig zu lachen. Und ja, du hast recht: Ich habe einen guten Grund, hier zu sein. In Oklahoma wurde ich von meinem Ex-Freund gestalkt. Hier dürfte ich meine Ruhe haben, denn um nach Schottland zu fliegen, ist er zu geizig.« Zumindest hoffte sie das. Außerdem wusste er nicht, in welchem Teil des Landes ihre Verwandten lebten. Schließlich hatte er sich kaum dafür interessiert.
Janet schluckte. »Das hätte niemand von ihm gedacht.«
Beitiris, die Schwester ihrer Oma, starrte sie schockiert an. »Man kann den Leuten nicht in den Kopf schauen. Aber warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Weil ich dich nicht damit belasten wollte. Mit deinem Umzug im Herbst hast du genug zu tun. Wenn ich an all den Krempel denke, den unsere Familie gehortet hat. Ich hoffe nur, dass dein toter Vogel nicht bedeutet, dass mir dieser Typ wieder auf den Fersen ist.«
»Es tut mir leid. Ich konnte das nicht ahnen. Es muss schlimm für dich gewesen sein.«
»Ja, es war keine einfache Zeit, aber ich weiß ja, dass nicht alle Menschen so sind, und es ist ja nicht wirklich etwas passiert. Nur Briefe, Anrufe und hartnäckige Nachstellungen.«
Janet sah sie ernst an. »Noch war nichts passiert, aber der Typ war mir auch nicht geheuer.«
Beitiris strich sich eine schimmernde, mittelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich hoffe nur, das ist nicht der Hauptgrund, warum du hierher auswanderst. Aus der Großstadt Oklahoma in dieses kleine Nest zu ziehen, ist ein großer Schritt.«
Eilidh seufzte. »Leider ein notwendiger Schritt. Aber es ist nicht mal eine Flucht. Ich liebe Schottland. Es war wirklich nicht das erste Mal, dass ich mit dem Gedanken spielte, auszuwandern. Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben meine Entscheidung nur beschleunigt.«
»Für mich wäre das ja nichts. Viel zu provinziell. Einen Urlaub hier zu machen geht ja noch, aber auswandern käme für mich nicht infrage«, sagte Janet.
»Da sieht man mal wieder, wie verschieden wir sind.« Nur äußerlich waren sie sich ähnlich. Beide besaßen dieselben grünen Augen. Janets Haar war allerdings von einem etwas helleren Braun als Eilidhs.
Beitiris blickte auf ihre silberne Armbanduhr. »Es wird spät. Mariot wird schon auf uns warten. Soll ich dich später hier abholen oder gehst du zu Fuß?«
Eilidh schüttelte den Kopf. »Die paar Meter bis zu Mariots Haus kann ich laufen. Ich komme in etwa zwei, drei Stunden nach.« Diese Zeit für sich allein brauchte sie. Das war bei ihr schon immer so gewesen.
Ihre Großtante musterte sie. »Geht es dir auch wirklich gut? Können wir dich allein lassen? Ich meine wegen deines Ex-Freundes. Sicher bist du ängstlich.«
»Mir geht es so gut wie lange nicht mehr. Natürlich könnt ihr mich allein lassen. Ich bin schließlich kein Baby mehr und habe gelernt, mich zu verteidigen, auch wenn das hier sicher nicht nötig sein wird.«
Beitiris nickte »Aye, hier in Schottland ist die Kriminalitätsrate ziemlich niedrig. Viel Spaß, mein Mädchen.«
Janet winkte ihr zu. »Man sieht sich, Schwesterherz.«
»Bis dann.« Eilidh sah den anderen nach, wie sie wieder ins Auto stiegen und davonfuhren. Dann wandte sie sich ab, schulterte ihren Rucksack, stieg über den toten Vogel hinweg und marschierte den Weg entlang.
Eilidh liebte den Wald. Er war nicht nur reich an Vögeln, es gab hier auch viele Schmetterlingsarten und Fledermäuse. Etliche Bäume waren dermaßen mit Flechten bewachsen, dass man ihre Stämme kaum noch sah. Eine Unterart der Lobarion-Flechte, die hier recht verbreitet war, konnte Rückschlüsse auf das Alter der Bäume geben. Einige standen bereits seit Jahrhunderten hier. Einst war Schottland reich an Wäldern gewesen, doch viele davon waren Weideland gewichen. Diese Entwicklung hatte man inzwischen durch Aufforstung aufgehalten.
Eilidh kam an einer gemütlichen Holzbank vorbei. Sie nahm sich vor, sich nach einem ausgiebigen Spaziergang darauf zu setzen, die friedvolle Atmosphäre zu genießen und ein schönes Buch zu lesen. In ihrem Rucksack hatte sie einen historischen Liebesroman und ein Geschichtswerk über das schottische Clansystem mitgenommen.
Sich vorzustellen, wie es vor Hunderten von Jahren hier ausgesehen haben mochte, belebte ihre Fantasie ungemein. Einst waren hier Highlandkrieger zwischen den Ebereschen und Moorbirken umhergelaufen. Gewiss waren das interessante, aber auch gefahrenvolle Zeiten gewesen. Als Autorin historischer Liebesromane interessierte sie sich natürlich sehr für Geschichte und las viel.
Sie nahm ihren Rucksack ab, um einen Schluck Mineralwasser aus der mitgebrachten kleinen Flasche zu trinken. Kühl und erfrischend rann die Flüssigkeit ihre Kehle hinab. Sie verschloss die Flasche wieder, um sie wegzupacken. Eilidh schloss die Augen, um die Ruhe und den Duft des Waldes zu genießen. Es war herrlich hier. Bisher war sie keinem Menschen begegnet.
Plötzlich vernahm sie ein herzzerreißendes Weinen, das von einer Frau zu stammen schien. Hier war jemand in Not. Um dem Geräusch zu folgen, musste sie den Weg verlassen, aber hier war noch niemals was passiert. Außerdem war sie vorsichtig. Sie glaubte nicht, dass ihr Ex-Freund ihr bis hierher gefolgt war und ihr auflauerte. Er konnte ja kaum wissen, dass sie sich an diesem Ort befand. Dennoch kam sie sich beobachtet vor.
Eilidh gelangte auf eine kleine Lichtung, auf der eine zierliche Frau in einem traditionellen Earasaid auf dem Boden saß. Sie hatte Eilidh den Rücken zugewandt, sodass sie nur das Gewand und eine Unmenge dunklen Haares sah. Ob sie auf einem historischen Markt gewesen war? Sonst schien sich niemand in der Nähe zu befinden. Ihr fiel ein, dass sie ihren Rucksack vergessen hatte, doch den konnte sie immer noch später holen.
Eilidh trat näher. »Warum weinen Sie?« Die Frau tat ihr leid. Vielleicht konnte sie sie ja trösten, falls sie es zuließ. Doch die Fremde antwortete nicht. Sie schien sie nicht mal zu bemerken in ihrem Gram. Was war ihr wohl widerfahren?
Sie wollte sich der Fremden noch weiter nähern, da sah sie die Bäume um sich herum plötzlich nur noch verschwommen. Alles wirkte verzerrt und undeutlich, es wurde immer dunkler. Auch die Geräusche des Waldes vernahm sie dumpfer wie durch Watte.
Was geschah mit ihr? Die Bäume verwandelten sich in dunkelgrüne Schemen, in deren Mitte sich ein Wirbel aus Licht auftat, größer wurde, sie umsponn und schließlich verschlang. Sie verlor den Halt unter den Füßen und glaubte, ins Bodenlose hinabzustürzen. Ihr Bewusstsein schwand.
Als Eilidh erwachte, wusste sie nicht, wie lange sie dort gelegen hatte. Es war noch immer hell. Der Tag schien also nicht allzu vorangeschritten sein. Eilidh sah sich um. Die Fremde war von der kleinen Lichtung verschwunden. Das fand sie nicht besonders fein, zumal sie ihr hatte helfen wollen. Eilidh rief nach ihr, doch es kam keine Antwort. Gewiss war die Frau bereits über alle Berge.
Ihr fiel die seltsame Formation der Bäume auf, die sie zuvor nicht beachtet hatte, da ihre Aufmerksamkeit auf die Frau gerichtet gewesen war. Sie befand sich genau in der Mitte zwischen drei Bäumen: einer Eiche, einer Esche und einem Weißdorn, denen die Kelten einst magische Fähigkeiten nachsagten. Auch brachte man sie in Verbindung mit den Feen.
Eilidh blickte zu ihren Füßen. Es überraschte sie, in der Mitte des Baumkreises kein Hindernis zu erblicken. Nicht mal ein Stein oder ein Ast lag hier. Über irgendetwas musste sie doch gestolpert sein. Normalerweise fiel sie nicht einfach so hin. Auch war es das erste Mal, dass sie ohnmächtig geworden war. Das irritierte und verstörte sie. Mit ihrem Blutdruck war, soweit sie wusste, alles in Ordnung. Sie nahm sich vor, diesen und ihre Blutwerte demnächst beim Arzt überprüfen zu lassen. Vermutlich hatte sie in der letzten Zeit einfach zu viel Stress gehabt.
Ihr Rucksack dürfte noch am Wegesrand stehen, sofern ihn nicht jemand in der Zwischenzeit mitgenommen hatte. Doch daran glaubte sie nicht, denn die meisten Leute hier waren ehrlich.
Sie erhob sich vorsichtig. Glücklicherweise war ihr nicht mehr schwindelig. Sie fühlte sich ein wenig müde, aber ansonsten ganz in Ordnung. Sie klopfte etwas Erde von ihrem schlichten, lindgrünen Sommerkleid und lief in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Verdutzt sah sie einen unbekannten Teil des Waldes vor sich. Vom Weg war keine Spur zu sehen. Sie lief zurück zu den drei Bäumen und ging in die entgegengesetzte Richtung. Auch dort gab es keinen Weg. Abermals kehrte sie zur Baumtriade zurück und lief von dort aus in verschiedene Richtungen, doch in keiner davon fand sie den Weg. Das war höchst seltsam. Der Weg musste sich ganz in der Nähe befinden. Oder hatte sich jemand einen Scherz mit ihr erlaubt und sie während ihrer Bewusstlosigkeit zu einer anderen Stelle des Waldes getragen? Doch warum sollte jemand so etwas tun?
Es erschien ihr wahrscheinlicher, dass sie sich doch verlaufen hatte, auch wenn sie dies ungern zugab. Dabei war sie schon häufiger hier gewesen. So etwas war ihr in den Culag Woods noch niemals zuvor passiert. Allerdings hatte sie sich da stets an die Wege gehalten …
Wenn sie wenigstens ihren Rucksack finden würde, denn so langsam bekam sie Hunger. Das nächste Mal würde sie einen Kompass mitnehmen, selbst wenn sie verwunderte Blicke dafür erntete. Außerdem würde sie eine Hose anziehen, in deren Tasche ein Handy passte, denn da ihr Kleid keine Taschen besaß, lag ihr Handy im Rucksack.
Als ein Wassertropfen auf ihrer Stirn zerplatzte, blickte sie nach oben in den grauen Himmel. Auch das noch! Es würde doch hoffentlich nicht regnen. Wenn sie sich am Sonnenstand orientierte, konnte sie die ungefähre Himmelsrichtung auch ohne Kompass ermitteln.
Sobald sie hier herauskam, würde sie sich bei den Pfadfindern oder irgendeinem Überlebensprogramm anmelden. So etwas konnte auch nur ihr passieren. Die Leute hier würden sie auslachen. Vielleicht hatte sie einfach zu lange in der Großstadt gelebt, um in ländlicheren Gefilden noch überlebensfähig zu sein. Doch das sollte sich in Kürze ändern, nahm sie sich vor.
Der verdammte Weg konnte doch nicht einfach verschwunden sein. Ihr Orientierungssinn war zwar nicht der beste, aber so verlaufen hatte sie sich noch nie zuvor in ihrem Leben. Eilidh fluchte leise und lief stur geradeaus gen Norden, wo sie irgendwann auf die Straße nach Lochinver treffen müsste. Irgendwann endete jeder Wald.
Wenn sie wenigstens ihr Handy bei sich hätte. Dieses verdammte Kleid und vor allem die weißen Sandalen waren äußerst unpraktisch. Sie bereute es, nicht zweckmäßigere Kleidung angezogen zu haben, aber das hatte sie wirklich nicht ahnen können. Schließlich befand sie sich nicht zum ersten Mal hier.
Irgendwie erschien ihr der Wald größer und dichter bewachsen, als sie ihn vom vergangenen Jahr in Erinnerung hatte. Sie rief mehrmals nach Hilfe, doch es schien niemand in der Nähe zu sein. Offenbar war sie weiter vom Weg abgekommen, als sie gedacht hatte. Erneut traf sie ein Tropfen und dann noch einer. Sie vernahm das Tröpfeln auf dem Blätterdach.
Zu allem Verdruss knurrte auch noch ihr Magen. Sie hätte wirklich mehr zum Frühstück essen sollen. Immer schneller prasselten die Regentropfen herab und wurden schließlich zu Fäden. Ein Highlandplatzregen ging herunter, der Eilidh in kurzer Zeit bis auf die Haut durchnässte.
Sie schlug sich fluchend durchs Dickicht und hoffte, sich dabei nicht auch noch Zecken einzufangen. So einen Pechtag wie heute hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Am besten wäre sie heute Morgen gar nicht erst aufgestanden. Im Bett liegen, heißen Tee trinken, Kekse essen und ein Buch lesen war eine angenehme Vorstellung, wie sie diesen Tag hätte gestalten können. Stattdessen irrte sie nun hungrig und durchnässt durch den Wald.
Sie quetschte sich gerade zwischen zwei Haselnussbüschen hindurch, da stürmte eine junge Frau aus dem Unterholz. Es handelte sich allerdings nicht um dieselbe, wegen der sie den Weg verloren hatte, denn diese hier war blond. Erleichtert atmete Eilidh auf. Endlich war sie nicht mehr allein. Gewiss wusste sie, wie man aus dem Wald herauskam.
»Damainte!«, fluchte die schöne Fremde lauthals auf altertümlich klingendem Schottisch-Gälisch. Oder handelte es sich gar um Irisch, die irische Variante des Gälischen?
Die Frau erblickte Eilidh. Sie wirkte aufgebracht. Ihre Wangen waren gerötet und der Blick unstet. »Wer seid Ihr denn? Keinen Augenblick habe ich mehr meine Ruhe. Ich kann mich hier nicht mal in Ruhe erleichtern! Daran ist nur Raasay schuld!«
Das wollte Eilidh eigentlich gar nicht wissen. Wer war Raasay? Das war doch der Name einer Gegend.
»Es tut mir leid. Ich wollte Sie wirklich nicht stören. Ich habe mich verirrt. Könnten Sie mir bitte sagen, wo sich der Weg befindet?«
Die Frau ließ ihren Blick über Eilidh wandern. »Welchen Weg meint Ihr? Es gibt hier keine Wege, aber wohl den einen oder anderen Trampelpfad. Wie ist Euer Name, von welchem Clan stammet Ihr und welch seltsames Gewand ziert Euren Leib?« Die Frau strich sich ihr wirres Haar, in das ein Stück grün-blaues Plaid gebunden war, aus dem Gesicht.
Die musste gerade etwas über ihr Kleid sagen, denn ihr eigenes wirkte recht altmodisch. Das war noch untertrieben. Mit dem miederähnlichen Oberteil, dem zerknitterten Hemd, dem langen Rock und der Earasaid aus grün-blau-kariertem Tartan, die von einer runden Metallbrosche über der Brust gehalten wurde, sah sie aus, als hätten sie sie aus einem Historienfilm rausgeschmissen. Um ihren Hals hing an einem Lederband ein runder, blassrosa Stein.
Eilidh wollte gerade etwas erwidern, da stürmten plötzlich drei wie altertümliche Highlandkrieger gewandete, wild aussehende Typen mit gezückten Schwertern aus dem Unterholz. Sie umzingelten Eilidh und sahen sie an, als besäße sie zwei Köpfe.
Einer der Männer, ein Blonder musterte sie mit unverhohlener Lüsternheit im Blick. »Ich glaube, sie ist keine der MacKenzies. Von diesem dürren Weib wird wohl kaum eine Gefahr ausgehen.«
Eilidh kreuzte die Arme vor der Brust, da sie befürchtete, dass der Stoff ihres Kleides im nassen Zustand ziemlich durchsichtig war.
Ein anderer der drei, ein muskulöser Mann mit langem, dunklen Haar, nickte. »Das denke ich auch. Sie ist harmlos.« Er sah verdammt gut aus. Als Einziger trug er keinen Bart, wirkte dadurch aber auch nicht wesentlich zivilisierter. Sie alle machten den Eindruck, als hätten sie mehrere Tage und Nächte im Wald verbracht.
Der Rothaarige sah sie misstrauisch an. »Es könnte eine Falle sein. Warum sollte wohl ein Weib allein im Wald herumlaufen?«
Der Blonde grinste unverschämt. »Womöglich ist sie ihrem Gemahl davongelaufen. Wer weiß, was sie angestellt hat, denn dass sie allein hier herumirrt, ist höchst verdächtig.«
»Vielleicht sucht sie ja nur Beeren und Kräuter«, wandte die Frau überraschenderweise ein.
Der Rothaarige schüttelte den Kopf. »Nay, dann hätte sie einen Korb oder wenigstens ein Säcklein bei sich. Sagt, Weib, was habt Ihr hier im Wald zu suchen?« Wie die Frau trug er altertümliche Kleidung, ein langes Hemd und darüber den féileadh-mór, das gegürtete, auf sehr altmodische Weise getragene Plaid, den Vorgänger des modernen Kilts. Er sah verdammt authentisch aus, das musste sie ihm lassen.
»Ich habe mich verlaufen.« Sie starrte zu Boden.
Bis auf die Frau, die ihre Füße mit löchrigem Leder umwickelt hatte, waren alle barfuß. Im Gegensatz zu der Frau sprachen die Männer Scots. Wenn sie sich nicht irrte, war sie auf eine Gruppe Reenlarper gestoßen oder die vier kamen geradewegs von einem Mittelaltermarkt oder etwas Ähnlichem. Sie hob den Blick wieder.
Stirnrunzelnd sah der Rothaarige sie an. »Woher kommt Ihr?«
»Aus Balchladich«, sagte sie.
Er hob eine Augenbraue. »Nie gehört. Wo soll das sein?«
»An der B869 neben dem Loch Neil Bhan, ungefähr zwölf Meilen nordwestlich von Lochinver.«
»B869? Was soll das sein?«
»Na, die Schnellstraße«, sagte sie. Die spielten also wirklich das Leben in der Vergangenheit nach. Aber so langsam verlor sie die Geduld mit ihnen.
Er hob die Achseln. »Ich verstehe nicht, welche Straße Ihr meint. Ihr scheint nicht von hier zu sein, Eurem Akzent und dem seltsamen, äußerst freizügigen Gewand nach zu urteilen.« Er sah sie missbilligend an, als wäre sie irgendein Flittchen, was sie als Unverschämtheit empfand.
An ihrem Sommerkleid war nichts ungewöhnlich und besonders freizügig war es auch nicht. Wahrscheinlich gehörte der Mann einer extremen religiösen Gruppierung an.
»Sie haben recht, ich komme aus … aus …« Warum kam ihr das Wort ›USA‹ einfach nicht über die Lippen? Die Straßenbezeichnung hatte sie ja auch nennen können. »Es ist ein fernes Land auf der anderen Seite des Meeres.«
»Auf der anderen Seite des Meeres?« Das Gesicht des Rothaarigen erhellte sich. »Ah, dann weiß ich, woher Ihr kommt. Ihr seid eine von den Wilden aus dem Norden.«
Sie berichtigte ihn in seiner Annahme nicht.
Der Blonde grinste. »Sie sieht doch aus wie eine Dirne. Was gebt Ihr Euch mit ihr ab? Keine anständige Maid würde sich in so etwas aus dem Haus wagen. Geschweige denn, dass sie sich in dem dünnen Fetzen schnell den Tod holen wird.«
Sie war entrüstet. »Was ich trage, geht Sie gar nichts an!«
Der Blonde hob die Schultern. »Dieses Gewand ist äußerst eigenartig und dann diese Farbe. Vielleicht ist sie eine Hexe.« Seine Augen verengten sich.
Die blonde Frau schüttelte den Kopf. »Ach, redet keinen Stumpfsinn. Das lässt sich einfach erklären. Wurde es mit Birkenblättern, dem Moorgagelstrauch oder Brennnesseln gefärbt. Gar mit ein wenig Schwarzdorn und Holunder?«
Eilidh hob die Achseln. »Ich weiß es nicht, da ich es nicht selbst gefärbt habe. Aber es sieht wirklich so aus, als wären Moorgagelstrauch und Holunder verwendet worden. Ganz eindeutig.« Sie hatte keinen blassen Schimmer, wovon sie da sprach, aber die Männer schienen ihr Unwissen zu teilen und dementsprechend alles für bare Münze zu nehmen. Oder sie waren verdammt gute Schauspieler. Befand sich irgendwo eine versteckte Kamera?
»Aber das Garn ist so fein, als wäre es von den Sìth gewoben worden«, sagte der Blonde. Er verwendete das alte schottisch-gälische, von George Lucas zweckentfremdete Wort, das dem irischen Sidhe entsprach.
Hexen? Sìth? Als Nächstes kam der bestimmt noch mit der Zahnfee oder dem Osterhasen. Diese Reenlarper schmissen sich also Drogen und gehörten zudem einer extremen religiösen Gruppe an.
»Eigentlich wollte ich Sie nur nach dem Weg fragen. Aber wenn Sie den nicht kennen, gehe ich einfach weiter in diese Richtung. Tschüs. War interessant, Sie kennengelernt zu haben.« Sie setzte sich in Bewegung, da sie nur schnell wegwollte von diesen verrückten Leuten. Die waren doch nicht mehr ganz bei Trost.
»He, stehen bleiben, du Hexe!« Der Blonde stellte sich ihr in den Weg. Solch imposante Muskelmassen konnte frau wohl kaum ignorieren, besonders wenn sie dringend ein Bad benötigten.
Der bartlose Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. »Was wissen wir schon über die handwerklichen Fertigkeiten anderer Völker? Ein Gewand allein macht keine Hexe aus ihr. Wir sollten uns nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen hinreißen lassen.«
Der Rothaarige kratzte sich am Bart. »Dessen wäre ich mir nicht so sicher.«
»Wir müssen ihr ein anderes Gewand beschaffen, sonst gerät sie nur in Schwierigkeiten«, sagte die blonde Frau.
Der blonde Mann schüttelte den Kopf. »Gar nichts müssen wir. Sie ist eine Fremde. Die geht uns nichts an. Schon gar nicht, wenn sie eine Hexe ist und nach Ärger riecht. Was denkt Ihr außerdem, was ein Kleid kostet? Wir kaufen doch nicht jeder Bettlerin neue Gewänder.«
Eilidh wollte die Ablenkung nutzen, um sich aus dem Staub zu machen, doch der Rothaarige war schneller. Er umfasste ihre Taille und zog sie an seinen Leib. »Seht, das Täubchen will ausfliegen. Wie verdächtig. Offenbar hat sie etwas zu verbergen.«
Sie wand sich in seinen Armen, doch er war eindeutig stärker.
»Was machen wir mit ihr?«, fragte der Dunkelhaarige.
»Mich freilassen. Ich habe keinerlei Bedürfnis nach eurer Gesellschaft.«
Der Blonde starrte sie regelrecht nieder. »Dich hat keiner gefragt.«
»Jetzt reicht es mir!« Eilidh trat dem Rothaarigen mit voller Wucht gegen das Schienbein, woraufhin er sie fluchend losließ.
»Sagte ich es doch, sie ist eine Hexe!« Er versuchte, sie erneut zu fangen.
Der Dunkelhaarige stellte sich zwischen sie, bevor der andere sie ergreifen konnte. »Halt! Wir tun Weibern nichts! Dafür sind wir nicht Krieger geworden.«
Der Blonde grinste. »Na gut, dem Laird würde das auch nicht gefallen. Der mag das Weibsvolk. Nehmen wir sie eben für ihn mit, dann rennt sie nicht weiter im Wald herum und erschreckt arme Wanderer.«
Eilidh stemmte die Hände in die Hüften. »Wie können Sie es wagen, in dem Tonfall mit mir zu sprechen! Ich gönne Ihnen ja Ihren Spaß und habe durchaus Humor und Verständnis für anders Gesinnte und deren nicht alltägliche Interessen, aber halten Sie mich bitte aus Ihrem Reenlarpment-Zeug raus!«
Der Blonde sah sie verständnislos an. »Hä? Aus was für einem Zeug?«
»Reenlarpment. Das ist es doch, was Sie machen? LARP, Reenactement oder wie auch immer Sie es nennen. Ich halte mich da raus und Sie lassen mich in Ruhe! Ich verlasse jetzt diesen Wald und Sie können Ihr Spiel weitermachen wie geplant. Ich werde garantiert nicht mehr stören.« Je früher sie von diesen Irren wegkam, desto besser.
Der Rothaarige sah seine Begleiter an. »Was ist das für fremdländisches Zeug? Versteht Ihr, wovon sie spricht?«
Alle schüttelten die Köpfe.
So langsam gingen sie ihr auf die Nerven. Verarschen konnte sie sich selbst. Sie würde dieses Spiel nicht länger mitmachen.
»Vielleicht ist sie verwirrt. Ihr habt Ihr gewiss einen gewaltigen Schrecken eingejagt, so wie mir, als ich Euch das erste Mal erblickte«, sagte die blonde Frau.
Eilidh stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bin ganz sicher nicht verrückt – im Gegensatz zu Ihren Begleitern!« Die Frau schien ganz nett zu sein, aber diese Männer waren einfach unmöglich. Da sich die Blonde mit diesem Gesindel abgab, stellte sie das allerdings in kein viel besseres Licht.
Der Dunkelhaarige sah Eilidh nachdenklich an. »Wir können sie aber auch nicht hier allein im Wald lassen.«
»Doch das können Sie! Beachtet mich nicht weiter. Ich bin nie in euer Spiel hineingeraten. Mich gibt es nicht. Ich gehe jetzt!« Eilidh setzte sich in Bewegung, doch der Dunkelhaarige hielt sie auf. Schade, dass so ein gut aussehender Mann offenbar verrückt war.
»Und wenn Räuber und Diebe Euch überfallen? Nicht nur Geld und Gut vermögen sie Euch zu rauben. Ihr seid nur eine schwache Maid. Dann sagt uns wenigstens, wohin wir Euch begleiten sollen, damit Ihr in Sicherheit seid.«
a»Ich bin weder eine Hexe noch irgendeine Dirne. Ich will nur raus aus diesem verdammten Wald und nach Lochinver zu meiner Tante. Ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?«, fragte der Blonde.
Eilidh schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Warum musste sie mit diesen Irren gestraft sein?
Der Blonde sah sie mitleidig an. »Sie schlägt sich selbst. Ich befürchte, sie ist tatsächlich verwirrt. Bringen wir sie zu ihrer Tante. Soll die sich um das irre Weibsstück kümmern.«
Die vier Verrückten fanden erstaunlich schnell das Ende des Waldes und führten sie zu einer kleinen, altertümlich anmutenden Siedlung, die die Reenlarper selbst errichtet haben dürften. Dabei hatten sie ganze Arbeit geleistet.
Eilidh stemmte die Hände in die Hüften. »Nach Lochinver will ich, nicht in eure selbst gebaute Möchtegernsiedlung!« Sie rümpfte die Nase. Irgendwie roch es hier verdächtig nach Dung, Schweißfüßen und anderen Dingen, die sie lieber nicht identifizieren wollte.
Der Blonde sah sie verständnislos an. »Aber das ist Lochinver und wir haben es gewiss nicht erbaut.« Er lachte.
»Geht es Euch gut?«, fragte die blonde Frau. Ihre Augen waren von einem wunderschönen Grünton.
Eilidh verspürte Verzweiflung. Sie wollte nur noch nach Hause oder zu ihrer Tante, um in Ruhe einen Tee zu trinken und aus ihren feuchten Klamotten herauszukommen, die inzwischen zu trocknen begannen. Stattdessen stand sie hier in diesem stinkenden Kaff umgeben von Irren. Niedergeschlagen ließ sie ihren Blick über die Buden, Stände und alten Häuser gleiten. Die betrieben einen ganz schönen Aufwand, das musste man ihnen lassen.
Das wirkte schon sehr authentisch. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass so ein Fest hier stattfand. Andererseits hatten weder ihre Tante noch ihre Schwester Interesse an so etwas. Sie selbst noch am ehesten, solange sich die Leute vernünftig verhielten, was hier ganz eindeutig nicht der Fall war. Dennoch war es interessant, sich alles anzusehen. Solange man nicht zu tief einatmete …
Plötzlich stutzte sie, denn sie erkannte die Küstenlinie des Lochs Inver wieder. Diese war unverkennbar. Der Schock traf sie schlagartig. Es durchfuhr sie heiß und kalt. Sie war schon häufig hier gewesen, aber da hatte es an diesem Ort ganz anders ausgesehen.
»Oh mein Gott, ich bin in Lochinver!«, entfuhr es ihr.
»Aber natürlich sind wir in Lochinver. Das sagen wir doch schon die ganze Zeit.« Der Rothaarige schüttelte den Kopf. »Die Arme ist tatsächlich ganz verwirrt.«
»Fragen wir den Chieftain, was wir mit ihr tun sollen. In dem Zustand können wir sie nicht hier lassen«, sagte der Dunkelhaarige.
Da sie ohnehin schon alle für geistig umnachtet hielten, kam es auf diese Frage nun auch nicht mehr an. »Welches Jahr haben wir?«
»1625«, antwortete der Dunkelhaarige, der sie besorgt ansah.
»Aye, und zwar schon seit ein paar Monaten.« Der Rothaarige schenkte ihr einen Blick, demzufolge er sie für geistig umnachtet hielt.
Vierhundert Jahre! Beinahe vierhundert Jahre war sie in die Vergangenheit gereist. Das war unmöglich. Sie wusste von der Theorie der Wurmlöcher, die zwei Orte unterschiedlicher Raumzeit im Multiversum verbanden. Dass Elementarteilchen ein solches Wurmloch durchdringen konnten, vorausgesetzt Letzteres bliebe stabil, hielt sie für möglich, doch kein größeres Objekt oder gar etwas Lebendiges würde da, soweit sie wusste, wieder in einem Stück herauskommen.
Dennoch war sie hier und lebte und atmete die Luft von vor vielen Jahrhunderten und erblickte, was nie für ihre Augen vorgesehen war.
Doch noch etwas anderes kam ihr zu Bewusstsein: Ein Fehler in ihrem Verhalten genügte, um den Verlauf der Geschichte so zu verändern, dass sie damit die Zukunft, die sie kannte, für immer verändern oder gar auslöschen würde. Sie sollte nicht hier sein. Sie durfte nicht hier sein.
Nicht auszudenken, wenn sie irgendwelche Keime in die Vergangenheit verschleppt hatte. Diese waren im Laufe der Jahrhunderte mutiert. Die Leute hier konnten ihnen kaum Widerstand leisten. Sie konnten die gesamte Menschheit auslöschen.
Die Tragweite dieser Erkenntnis zwang sie in die Knie. Die Erschöpfung und die Aufregung der letzten Stunde taten ihr Übriges. Eilidh sank zu Boden.
Die blonde Frau hielt ihr einen Schlauch an die Lippen. Eilidh trank von dem schal schmeckenden Ale. Dankbar blickte sie zu der Frau auf, die mit den drei Verrückten unterwegs war. »Wie heißen Sie?«
»Ich bin Muireall NicFinlay vom Clan Cataibh. Man schickt mich als Heilerin nach Ardvreck Castle.«
War das nicht jene Burg der MacLeods, deren Chief einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein soll? Eilidh erinnerte sich, dass damals eine Tragödie stattgefunden haben musste, doch was genau geschehen war, fiel ihr nicht ein.
Sie sah ihr Gegenüber an. »Als Heilerin? Gab … Gibt es denn hier keine Ärzte wie die Beatons äh ich meine die MacBeths? Ich meine, nichts gegen Euch, aber ist es nicht so üblich?« Vermutlich trugen sie noch den älteren Namen, der später in ›Beaton› übergehen sollte. Die MacBeths waren die Heiler des Clans MacDonald. Sie trugen diesen Namen absichtlich, da ›mac beatha‹ so viel wie ›Sohn des Lebens‹ bedeutete.
Die Blonde nickte. »Ich wäre auch lieber bei meinem Clan geblieben, aber es ist dringend. Die MacBeths sind zu weit weg. Den letzten Arzt hat der alte Laird vergrault, weil er ihn bezichtigt hat, Schafe gestohlen zu haben. Daher ist der nicht sehr geneigt, ihm jetzt zu helfen.«
»Schweigt, Weib. Sie könnte zu den Feinden gehören. Woher wisst Ihr das mit den Schafen überhaupt?«
Die Blonde sah den Rothaarigen empört an. »Es spricht sich herum. Fürchtet Ihr Euch etwa vor einem einzigen Weib?«
Dieser schwieg.
Eilidh blickte die Blonde an. »Nach Ardvreck Castle wollt Ihr?« Sie konnte es immer noch nicht fassen. In ihrer eigenen Zeit war davon nichts als eine Ruine geblieben. Aufgrund der Einsturzgefahr wurde davor gewarnt, sich in nächster Nähe aufzuhalten.
Muireall nickte. »Ihr habt einen seltsamen Akzent. Seid Ihr wohl eine Engländerin?«
Das mussten gerade die sagen. Deren Gälisch klang auch ganz komisch. Offenbar handelte es sich um Early Modern Irish, aus dem das schottische Gälisch um 1700 hervorgegangen war.
»Ich bin keine Engländerin. Das vermag ich Euch zu versichern.« Eilidh gedachte, sich an die altertümliche Sprechweise der Menschen hier anzupassen, soweit ihr das möglich war. Schließlich wollte sie nicht noch mehr auffallen.
Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben war sie froh, so viel Interesse am Leben ihrer schottischen Ahnen zu haben, dass sie sowohl Gälisch als auch Scots erlernt hatte. Außerdem verfügte sie über einiges Wissen über die facettenreiche Geschichte des Landes, das sie jetzt nur sehr vorsichtig benutzen durfte, um die Zukunft nicht zu verändern.
Doch es gab noch eine weitere Möglichkeit, um zu erklären, was ihr widerfahren war: Sie hatte zu viele Highlander-Zeitreise-Liebesromane gelesen und jemand hat ihr Drogen in ihren Tee getan, sodass dies alles nur ein Traum war. In den Wochen vor ihrer Reise nach Schottland hatte sie vor lauter Sehnsucht nach der Heimat ihrer Ahnen etliche davon gelesen, neben diversen Bildbänden und zahlreichen Geschichtsbüchern. Vorsorglich zwickte sie sich, doch außer, dass diese Stelle jetzt leicht wehtat, änderte sich nichts.
Sie lächelte die fremde Frau an. »Ich bin Eilidh Lewis«
»Lewis? Ist das Euer Clan?«
»Nein, das ist der Name meines Vaters.«
»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Eilidh Lewis. Meine Begleiter sind die Krieger des Tighearns von Raasay. Der blonde Hüne ist Fergus MacMartin, der Dunkelhaarige heißt Cailean Donn Murchadh MacRaghnaill und der Name des rothaarigen Rüpels ist Lachlann Ruadh MacFaólain. Wir sind MacLeods, untertan dem Chieftain von Raasay.«
»He, ich bin kein Rüpel!«
Irgendwie bezweifelte Eilidh, dass sie sich die Namen würde merken können. Die ›Nachnamen‹ gaben zu jener Zeit den Vornamen des Vaters wieder und hatten nichts mit der Clanzugehörigkeit zu tun.
Fergus räusperte sich. »Sprecht Inglis, Weib, wenn Ihr Euch schon über uns äußert.«
Tatsächlich verwendete Muireall nun Scots, als sie sich ihm zuwandte. »Ich habe Euch der Maid vorgestellt, da Ihr selbst dies nicht getan habt.«
»Wie heißt denn nun Eure Tante und in welchem Haus wohnt sie?«, fragte Fergus, der ungeduldig wirkte.
»Ich … Ich komme jetzt schon allein zurecht, da ich endlich in Lochinver bin.«
Fergus schüttelte den Kopf. »Nay! Ihr führt mich umgehend zu ihr und sie bestätigt mir Eure Identität. Denn ich traue Euch nicht. Irgendwas an Euch erscheint mir nicht geheuer. Wir haben nicht noch mehr Zeit zu verlieren.«
Hilfe suchend sah Eilidh sich um. Freilich konnte sie das Haus ihrer Tante nirgendwo entdecken, da es ja erst viel später erbaut werden sollte. Stattdessen begegneten ihr nur sowohl neugierige als auch feindselige Blicke. Offenbar erschien sie den Menschen aufgrund ihres neumodischen Kleides tatsächlich suspekt.
Fergus tappte mit dem Fuß auf den Boden. »Ich warte!«
Sie konnte ihm wohl kaum erklären, dass ihre Tante erst in einigen Jahrhunderten geboren werden würde.
»Ihr habt recht. Ich habe gelogen, denn ich hatte Angst vor Euch.«
Er schnaubte empört. »Ich tue Weibern nichts, es sei denn, sie greifen mich zuerst an.«
»Wir müssen weiter!« Ungeduld lag in Caileans Stimme. »Schließlich erwartet man uns dringend auf Ardvreck Castle. Besorgt eine alte Gewandung für sie, aber beeilt euch!« Überraschenderweise wandte er sich ihr zu. »So wollt Ihr denn eine des Clans MacLeod werden? Überlegt es Euch gut, denn als Frau völlig allein, gebrochen und clanlos zu sein in der Fremde kann schnell zu Bedrängnis führen. Hungersnot ist noch eines der geringeren Übel.«
Lachlann Ruadh nickte. »Er hat recht.«
Wenn sie es recht überdachte, war es tatsächliche ihre beste Option, sich diesen Leuten anzuschließen, auch wenn ihr das widerstrebte. Cailean schien nicht mal so übel zu sein und die Frau mochte sie ohnehin.
Sie nickte. »Ich gehe mit Euch. Lasst uns Gefährten sein.«
Lachlann sah Cailean an. »Der Chieftain wird sicher nichts dagegen haben. Schließlich seid Ihr der Blutsbruder seines Sohnes Niall.«
»Blutsbruder? So wie bei Winne…?« Das Wort kam ihr nicht richtig über die Lippen.
»Aye, ein Blutsbruder, wie dieser Winne. Jeder trinkt ein paar Tropfen Blut des anderen und dann sind sie auf ewig verbunden. So ist das in unserem Land.«
»Aha, sehr interessant.« Eigentlich hatte sie das gar nicht so genau wissen wollen.
»Beeilt Euch. Wir haben keine Zeit zu vergeuden!«
Cailean hatte es offenbar wirklich sehr eilig, zurück zu Ardvreck Castle zu gelangen. Sie kannte es nur als Ruine unweit jener Calda House, für dessen Bau Steine der Burg verwendet wurden. Beide Gebäude brannten, soweit sie wusste, nach einem Blitzschlag ab. Jeder Historiker würde ein Jahr lang freiwillig auf Schokolade verzichten für nur einen Blick auf das intakte, ursprüngliche Gebäude.
»Ich besorge ihr rasch eine gebrauchte earasaid.« Muireall packte Eilidh am Arm und zerrte sie zur Hütte einer alten Weberin. Dort gab man ihr ein tunikaähnliches Untergewand, eine Art Mieder, das ihr Muireall sofort anlegte, und einen langen Rock. Sie drapierte auch das grün-blau-karierte Plaid über sie und befestigte es über ihrer Brust mit einer Hornbrosche. Zuletzt band sie ihr einen Streifen Tartan ins Haar.
»Ihr seid doch unverheiratet?«, fragte Muireall.
Als Eilidh nickte, erklärte ihr diese, dass es hier in den Highlands Brauch sei, ein Stück Wolle oder einen Streifen Stoff im Haar zu tragen, bis man heiratete. Danach wäre ein dreieckiges weißes Leinenstück als Kopfputz üblich oder, sofern man reich war, eine feine Kappe.
Eilidh war es recht, dass Muireall sie für eine Fremde dieses Landes hielt und ihr daher einiges erklärte. Wenn sie als diese durchging, dann wunderte man sich vermutlich nicht so über ihre Unwissenheit in vielen Dingen, ihr anderes Auftreten und ihren Akzent. Zufrieden betrachtete sie ihr Gewand. Zumindest äußerlich hatte sie sich jetzt ihrer Umgebung angepasst.
»Ist Euer Land weit von hier entfernt? Ich erinnere mich nicht, jemals jemanden kennengelernt zu haben, der solche seltsamen Gewänder trug wie Ihr. Warum seid Ihr so weit gereist?«, fragte Muireall, als sie die Hütte der Weberin verließen.
»Eigentlich wollte ich meine Tante hier besuchen, aber offenbar wohnt sie nicht mehr hier.« Oder noch nicht, was sie Muireall wohl kaum sagen konnte.
»Verwandte, die auswandern, sieht man häufig nie wieder, besonders wenn es so große Strecken sind wie bei Euch. Sagt bloß, Ihr könnt schreiben und habt von Eurer Verwandten einen Brief erhalten?«
»Ich kann nicht schreiben oder lesen.« Die Wahrheit zu sagen, hätte nur weitere Fragen aufgeworfen. Außerdem war ihre Schrift und Rechtschreibung mit Sicherheit ganz anders als die in dieser Zeit übliche.
Muireall hob die Schultern. »Manchmal können Leute schreiben. Es hätte ja sein können, dass Euer Brief sehr lange unterwegs war. Wir müssen jetzt weiterreisen, denn der Sohn des Lairds wartet auf meine Behandlung.«
»Er ist krank?«
»Soweit ich weiß, hat er eine Dolchwunde.«
Eilidh spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Das erklärte Caileans Eile. Ihr wurde noch eindringlicher als zuvor bewusst, in welcher gefährlichen Zeit sie sich jetzt befand, in der Clanfehden und Kämpfe Alltag waren. Man starb noch an Mandel- und Blinddarmentzündungen. Schon eine kleine Wunde konnte, wenn sie sich entzündete, tödlich sein.
»Dann sollten wir uns beeilen.«
»Sag ich ja!«, sprach Fergus, der ihnen entgegenkam. »Endlich seid ihr mit eurem Weiberzeug fertig.«
»Ich muss nur schnell mein altes Kleid holen.« Das konnte sie wohl kaum in dieser Zeit zurücklassen.
Sie betrat die Hütte der Weberin, welche die Tür offen stehen gelassen hatte.
Die alte Frau stand neben dem stark qualmenden Feuer. Eilidh konnte gerade noch erkennen, wie sie ihren BH ins Feuer warf. Da Muireall ihr beim Anlegen der Kleidung geholfen hatte, hatte sie darauf verzichtet, diesen anzulegen.
»Was tut Ihr da?«, fragte Eilidh.
Mit einem langen, dürren Finger deutete sie aufs Feuer, in dem die Überreste der Kleidungsstücke schwelten. »Ich verbrenne das Teufelszeug, bevor es noch Schaden anrichtet!«
»Aber das alles hat mir gehört.«
»Teufelszeug! Ebenso wie die anderen Sachen.«
»Ihr habt alles verbrannt?«, fragte Eilidh ungläubig. Sie war einfach fassungslos.
Die Alte nickte. »Aber gewiss. Schlimm hat es gestunken und gequalmt, als würde es sich gegen das Verbrennen wehren. Teufelszeug sage ich Euch!«
»Nur aus Aberglauben bewirkt Ihr dieses Werk der Zerstörung?«
»Das mag sein, aber wegen so etwas werde ich mein Leben nicht verwirken! Jetzt verlasst mein Haus und …«
Muireall betrat die Hütte. »Wo bleibt Ihr so lange? Wir müssen weiter.«
Eilidh deutete auf die Alte. »Sie hat meine Kleidung verbrannt!«
Muireall sah sie ernst an. »Das war vermutlich besser so.«
»Jetzt fangt Ihr nicht auch noch so an.«
Muireall stemmte die Hände in die Hüften. »Die Kleidung ist verbrannt. Nichts vermag sie zurückzuholen. Findet Euch damit ab. Die MacLeods waren nicht besonders angetan davon, dass ich jetzt schon Kosten verursache, bevor ich den Sohn ihres Chieftains geheilt habe.«
»Sie werden es Euch doch hoffentlich nicht vom Lohn abziehen?« Sie sah Muireall schockiert an.
Diese hob die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls werde ich mich nicht unter meinem Wert verkaufen.«
»Warum tut Ihr das alles für mich? Ich werde es Euch vergelten, wenn ich kann.«
»Ich bin einfach ein Mensch, der hilft, wenn er jemanden in einer Notlage sieht. In dem anderen Gewand hätte Euch früher oder später der Tod ereilt.«
»Danke.«
»Jetzt kommt, lassen wir die MacLeods nicht noch länger warten. Die sind ohnehin schon ganz unruhig. Wenn wir nicht gleich gehen, zerren sie uns noch raus.«
»Das würde mir gerade noch fehlen.« Schnell verließ sie hinter der Heilerin die Hütte der Weberin. Es war ohnehin recht stickig dort drinnen.
Es kam ihr alles immer noch so surreal vor. Ob sie sich vielleicht doch in einer Art Wachtraum befand? Oder war es wie im Film ›Matrix‹? Jedenfalls musste sie sich was einfallen lassen, um hier wieder herauszukommen. Vielleicht befand sich die Antwort auf ihre Fragen an jener Stelle des Waldes, wo sie in die Vergangenheit geraten war. Irgendwo dort musste sich ein Zeittor befinden.
Siedend heiß fiel es ihr ein. Die Bäume! Diese seltsame Anordnung der magischen Bäume könnte eine Art von Feenkreis bilden. Meistens wurden Feenringe aus Pilzen geformt, jedoch hatte sie auch schon von welchen aus Moosen und Gräsern gehört. Dass es welche aus Bäumen gab, war ihr neu. Der Sage nach entstanden Feenringe durch die Tänze der Feen und waren nicht nur Zeittore, sondern auch Portale in andere Welten. Es klang bizarr, aber das war ihre ganze Situation.
Es musste möglich sein, den Prozess umzukehren und wieder in ihre eigene Zeit zurückzureisen. Oder befand sie sich noch immer im Wald im Feenring auf dem feuchten Moos und den Farnen, unter dem Einfluss der Feen, die ihren Geist manipulierten? Mittlerweile wunderte sie gar nichts mehr.
War die weinende Frau, die sie im Wald gesehen hatte, eine Fee gewesen? Jedenfalls war sie spurlos verschwunden.
Hufgetrappel riss sie aus ihren Gedanken. Die drei Highlandkrieger kamen auf Pferden und Ponys auf sie zugeritten.
»Wir haben genügend Zeit vertrödelt. Steigt rasch bei mir auf. Leider haben wir nur vier Reittiere. Meines ist davon am belastbarsten«, sagte Cailean.
»Ihr könnt mich bestimmt wieder zurück in den Wald bringen an jene Stelle, wo Ihr mich gefunden habt?« Hoffnungsvoll sah sie ihn an.
Er schüttelte den Kopf. Kurz zeigte sich ein Anflug von Bedauern auf seinem Gesicht. »Ich befürchte, das geht leider nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil uns die Zeit davonläuft.«
»Dann bringt mich in die Nähe davon, soweit es Euer Weg zulässt. Den Rest laufe ich allein.«
»Denkt Ihr, das wäre klug?«
Eilidh musste ihm recht geben, denn allein würde sie die Stelle nicht mehr finden, geschweige denn bestand die Gefahr, Räubern und anderem Gesindel in die Hände zu fallen.
»Kann ich nicht bei Muireall mitreiten?«
»Ihr reitet bei einem von uns mit. Nicht, dass Ihr die Heilerin auf dumme Gedanken bringt«, sagte Fergus. In seinem Blick war ganz deutlich sein Misstrauen zu erkennen.
»Welche dummen Gedanken denn?«
»Wir haben keine Zeit mehr, Weib, und es wäre äußerst unklug von Euch, allein durch die Wälder zu irren.« Cailean ritt auf sie zu und führte das Pferd seitlich an ihr vorbei. Ehe sie sich versah, umfasste er plötzlich ihre Hüfte und hob sie vor sich auf sein Pferd. Von hinten legte er die Arme um sie. Vorsichtig lugte sie über ihre Schulter, sodass ihr Blick seinem begegnete. Wärme lag in seinen dunklen Augen und ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen.
»Es wird alles gut«, sagte er.
Sie war nicht sicher, was er damit meinte, aber irgendwie vertraute sie ihm. Was blieb ihr auch anderes übrig?
Muireall bekam ein eigenes Reittier. Auf diesem Pony hätten sie wirklich nicht zu zweit Platz gehabt.
Fergus ritt voran, gefolgt von Cailean mit ihr, dann kam Muireall und Lachlann Ruadh bildete die Nachhut.
Zu Eilidhs eigener Zeit galt dieser Teil der Highlands als dünn besiedelt, doch damals war es keineswegs besser gewesen. Sie kamen an mehr Seen vorbei als an Höfen. Dörfer konnte sie keine entdecken. Dafür sah sie immer wieder den verschlungenen, mal breiter und mal enger werdenden, gelegentlich Inseln bildenden River Inver mit seinem steinigen Flussbett, das sich durch die sattgrüne Landschaft schlängelte. Wildblumen wuchsen an seinem Ufer. Vereinzelt erblickte sie Bäume, die sich im Winde wiegten.
Die Gegend erinnerte sie tatsächlich ein wenig an jene der Zukunft. Im Gegensatz zu den USA wurden hier offenbar niemals Flussbegradigungen durchgeführt. Die Schönheit der Landschaft profitierte davon. Zudem würde es wohl wenige Überschwemmungen geben.
Als es nieselte, tat sie es Muireall gleich und zog die Earasaid von hinten über ihren Kopf. Sie war erstaunt, wie viel Wind und Regen der Tartan abhielt. Dennoch fröstelte sie ein wenig.
Cailean, dem dies offenbar nicht entging, zog sie daraufhin ein wenig dichter an sich heran. Obwohl er ein Fremder war, fühlte sie sich in seinen Armen sicher.
Glücklicherweise hörte der leichte Schauer so schnell auf, wie er gekommen war. Dies stellte nichts Ungewöhnliches dar für Schottland. Zumindest hielt der Wind diese winzigen Mücken fern. Aber sie wollte sich nicht zu früh freuen, denn wenn es im Frühjahr viel regnete, fiel diese Plage im August besonders schlimm über einen her.
Sie sehnte sich nach ihrem warmen Bett, einer Tasse heißen Tee, einem Sandwich und Schokolade. Unwillkürlich knurrte ihr Magen. Hier gab es kein Schnitzelsandwich und erst recht keine Schokolade. Ob die Leute hier überhaupt schon Tee kannten? Wie ihre Betten aussahen, mochte sie erst gar nicht wissen.
Cailean reichte ihr ein Stück geräucherten Fisch und einen Oatcake. »Wir können leider nicht anhalten, da wir schon zu viel Zeit verloren haben.«
»Ist schon in Ordnung. Es tut mir leid, Euch so aufgehalten zu haben.« Keinesfalls wollte sie, dass der Tighearn wegen ihr seiner Verletzung erlag. Sie biss etwas von dem Fisch ab.
»Steht es sehr schlimm um ihn?«, fragte sie.
»Schlimm genug.«
»Es tut mir leid.«
»Ist schon gut. Wir werden unser Bestes geben. Die Wunde wäre vermeidbar gewesen.«
»Warum?«, fragte sie.
»Es steht mir nicht an, mich darüber auszulassen.«
Sie ritten schnell und kamen gut voran. Wenigstens wurde ihr nicht schlecht und sie behielt das Essen in sich. Über die Gegend verstreut standen einzelne Eichen, Haselnussbüsche, Birken, Ulmen, Ebereschen und Zitterpappeln, die wohl die Überreste des ehemals reichen Waldlandes der Highlands darstellten.
»Loch Assynt! Endlich!«, sagte sie nach einigen Stunden, die ihr endlos vorgekommen waren.
Cailean hob eine Augenbraue. »Ihr kennt Euch also in der Gegend aus?«
Immerhin war es nicht die erste Burg, an der sie vorbeigekommen waren.
»Nein, aber ich habe von Ardvreck Castle gehört, das am Loch Assynt am Fuße eines Berges liegen soll.« Sie hielt es für klüger, ihm nicht zu sagen, dass sie bereits dort gewesen war, denn das würde nur weitere Fragen aufbringen, die sie nicht beantworten konnte. Außerdem hatte sich die Gegend tatsächlich verändert, weswegen sie nicht mehr so gut auskannte.
»Aye, aber ich muss dich enttäuschen, das ist noch nicht Loch Assynt, sondern Loch na Garbh Uidhe.«
»Es kann sich also nur noch um Stunden handeln.«
Das konnte ja heiter werden.
Ein Ort der Legenden
»Ich sehe Reiter!«, rief Muireall.
Cailean umfasste Eilidhs Hüfte und hob sie vom Pferd neben Muirealls stämmiges Pony. »Bleibt hinter uns, denn die MacKenzies springen nicht gerade zimperlich mit Gefangenen um, selbst wenn diese Frauen sind.«
Eilidh sah zu Muireall, die bleich wurde. Ihr war also die Tragweite des Ganzen bewusst und sie hatte Angst. Dennoch hielt sich die Heilerin sehr aufrecht und hatte den Kopf hoch erhoben, wohl um ihre Gefühle nach außen hin nicht zu zeigen. Eilidh bewunderte sie dafür, denn sie selbst war innerlich ein Nervenbündel.
Die Angreifer stellten sich als eine Horde aus fünf wild aussehenden Männern heraus. Allesamt waren sie bärtig und langhaarig.
Cailean und Fergus nahmen sich jeweils zwei vor und Lachlann kümmerte sich um den Fünften. Obwohl die Angreifer in der Überzahl waren, erkannte Eilidh, dass die Kampftechniken doch einiges ausmachten. Cailean und Fergus schlugen sich tapfer. Sie atmete scharf ein, als Cailean von einer der wirbelnden Klingen am Arm getroffen wurde. Doch er kämpfte wacker weiter, als wäre nichts geschehen.
Bald hatte er einen vom Pferd gehauen und den anderen entwaffnet. Von Fergus’ Gegnern lag einer wie tot am Boden und der andere hielt sich den blutenden Arm. Lachlanns Kontrahent war von seinem Schwert durchbohrt worden.
»Ihr wolltet die Heilerin entführen, nicht wahr?«, fragte Fergus. Dass die Angreifer das nicht abstritten, nahm er offenbar als Eingeständnis.
Lachlann Ruadh starrte die Männer an. »Bei solchen Dingen gehen wir kein Risiko ein. Richtet Eurem Chieftain aus, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, schon gar nicht auf unserem eigenen Land! Wenn Ihr noch mal kommt, töten wir Euch alle und schicken Eure abgetrennten Köpfe zurück zum Laird von Tarbat.«
»Mäßigt Eure Zunge, denn Ihr sprecht vom Laird MacLeod!«, warf der blutende Gegner ihnen entgegen.
Fergus’ Blick war hasserfüllt. »Die Baronie hat er sich durch eine erzwungene Heirat erschlichen.«
»Seine Braut ging freiwillig mit ihrem Herrn. Etwas anderes zu behaupten, wären dreiste Lügen!«
»Nie ginge eine MacLeod freiwillig die Ehe ein mit einem von euch. Eher würde sie sterben!«
Der MacKenzie spuckte vor sich auf die Flechten zu seinen Füßen. »Sie starb aber nicht. Tatsache ist, dass Ihr Euren eigenen Hauptsitz nicht mehr habt. Ein deutlicheres Zeichen der Schwäche existiert wohl kaum.«
Fergus ging erneut auf den Mann los. Schwerter klirrten und sausten dicht an Hälsen und Brüsten vorbei. Dann ging auch dieser Mann tödlich getroffen zu Boden. Der letzte Gegner jedoch floh und zog die Schmach dem Tode vor.
»Die Leichen beseitigen wir später. Bringen wir erstmal die Weiber in die Burg«, sagte Fergus. Die anderen nickten.
Cailean hob Eilidh wieder zu sich aufs Pferd. »Ihr habt Euch umsichtig verhalten«, sagte er.
»Was blieb uns anderes übrig?«
»Ich kenne Weiber, die davongelaufen wären.«
»So dumm sind wir nicht. Man weiß nicht, ob nicht noch mehr von ihnen irgendwo lauern.«
»So ist es. Jedenfalls werden wir Augen und Ohren offenhalten.« Er trieb sein Pferd an.
»Ihr rechnet mit einem weiteren Angriff?«, fragte sie erstaunt.
»Hier muss man mit allem rechnen. Muireall NicFinlay ist die beste Heilerin des Clans Cataibh und der einzige Sohn unseres Chieftains liegt schwer verletzt darnieder. Wenn jemand ihn retten kann, dann sie. Für die MacKenzies wäre sie also aus mehreren Gründen eine willkommene Beute.«
»Ich wusste nicht, dass es ihm so schlecht geht, sonst hätte ich Euch nicht aufgehalten.«
»Bei all meiner Verantwortung dem Sohn des Chieftains gegenüber, so konnte ich Euch auch nicht Eurem Schicksal überlassen.« Sie sah ihn über ihre Schulter hinweg an. Seinem Blick nach zu urteilen meinte er seine Worte ernst.
Eilidh fühlte sich gerührt. »Danke. Aber ich wäre auch allein zurechtgekommen.«
»Das wärt Ihr nicht.«
»So schwach bin ich nicht.«
»Das wollte ich damit nicht sagen. Gewiss seid Ihr kein schwaches Weib, doch Ihr seht aus, als hättet Ihr in der letzten Zeit einiges mitgemacht. Außerdem geht es hier rauer zu, als Ihr es offenbar aus Eurer Heimat gewohnt seid, sonst wärt Ihr nicht ohne eine Eskorte in diesen Wald gegangen.«
Sein Scharfsinn überraschte sie. »Ich habe tatsächlich einiges mitgemacht.« Bestürzt stellte sie fest, dass sie sich ihm am liebsten anvertrauen würde. Konnte er ihr helfen, in ihre Zeit zurückzukehren?
»Möchtet Ihr darüber sprechen?«, fragte er.
»Nicht jetzt. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.« Das stimmte, denn die Zeitreise hatte sie durcheinandergebracht. Es fiel ihr noch immer schwer, zu akzeptieren, einfach in eine andere Zeit gestolpert zu sein, ohne zu wissen, ob sie jemals zurückkonnte. Ihre Familie starb sicher vor Angst. Vermutlich wussten sie bereits von ihrem Verschwinden. Sie hatte keine Lust, hier in dieser primitiven Zeit an einer Infektion oder einem Blinddarmdurchbruch dahinzuscheiden.