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Das Glück wartet in einem kleinen Buchladen in den schottischen Highlands …
Die Buchhändlerin Maisie Fenshawe träumt zwischen alten Schmökern, Dating-Ratgebern und Urlaubsromanen von romantischen Buch-Helden. Bedauerlicherweise gibt es im echten Leben keinen Mr. Darcy an Maisies Seite. Ihr Liebesleben ist nicht existent. Das könnte sich ändern, als ein attraktiver Fremder im Laden auftaucht. Leider entpuppt der sich schon bei der ersten Bestellung als arroganter Widerling. Also wieder kein schottischer Traumprinz! Oder? Seinen stressigen Alltag in Inverness eine Weile hinter sich zu lassen, kommt dem charismatischen Anwalt Matt Keating sehr gelegen, als er sich in den abgeschiedenen Highlands um den Verkauf des elterlichen Anwesens kümmern muss. Doch statt Ruhe und Abgeschiedenheit erwarten ihn unliebsame Überraschungen und ein ungelöstes Familienrätsel, dem er unbedingt auf die Spur kommen will. Als hätte er nicht schon genug um die Ohren, verdreht ihm auch noch die schüchterne Buchhändlerin Maisie den Kopf. Als sie sich in der alten Bibliothek des Herrenhauses näherkommen, bekommt die harte Schale des unnahbar wirkenden Junggesellen allmählich Risse…
Ein humorvoller Wohlfühlschmöker von Bestseller-Autorin Karin Lindberg – heiter, gefühlvoll und so romantisch wie eine laue Sommernacht unter Sternen.
Die Highland-Romane sind in sich abgeschlossen, für den besonderen Lesegenuss empfiehlt sich die folgende Reihenfolge: Sommer auf Schottisch Winter auf Schottisch Frühling auf Schottisch
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Copyright © 2022 by Karin Lindberg
Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de
Covermotiv: ©️ rebenok991, wawritto, schiva, Karma15381 – depositphotos.com
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: Sybille Weingrill, Ruth Pöß - www.das-kleine-korrektorat.de
K. Baldvinsson
Am Petersberg 6a
21407 Deutsch Evern
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Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
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Über die Autorin
Das Glück wartet in einem kleinen Buchladen in den schottischen Highlands …
Die Buchhändlerin Maisie Penshawe träumt zwischen alten Schmökern, Dating-Ratgebern und Urlaubsromanen von romantischen Buch-Helden. Bedauerlicherweise gibt es im echten Leben keinen Mr. Darcy an Maisies Seite. Ihr Liebesleben ist nicht existent. Das könnte sich ändern, als ein attraktiver Fremder im Laden auftaucht. Leider entpuppt der sich schon bei der ersten Bestellung als arroganter Widerling. Also wieder kein schottischer Traumprinz! Oder?
Seinen stressigen Alltag in Inverness eine Weile hinter sich zu lassen, kommt dem charismatischen Anwalt Matt Keating sehr gelegen, als er sich in den abgeschiedenen Highlands um den Verkauf des elterlichen Anwesens kümmern muss. Doch statt Ruhe und Abgeschiedenheit erwarten ihn unliebsame Überraschungen und ein ungelöstes Familienrätsel, dem er unbedingt auf die Spur kommen will. Als hätte er nicht schon genug um die Ohren, verdreht ihm auch noch die schüchterne Buchhändlerin Maisie den Kopf. Als sie sich in der alten Bibliothek des Herrenhauses näherkommen, bekommt die harte Schale des unnahbar wirkenden Junggesellen allmählich Risse…
Ein humorvoller Wohlfühlschmöker von Bestseller-Autorin Karin Lindberg – heiter, gefühlvoll und so romantisch wie eine laue Sommernacht unter Sternen.
Als Matt vor einigen Wochen durch das schmiedeeiserne Tor von Keating Manor gefahren war, hatte er gedacht, dass es das letzte Mal sein würde. Er hatte sich geirrt. Wie schon oft in seinem Leben. Nun stand er erneut vor der Entscheidung, was mit seinem Elternhaus geschehen sollte.
Kies knirschte unter den breiten Reifen seines Sportwagens. Seine Mundwinkel zuckten beim Gedanken daran, was sein Vater über das schwarz glänzende Coupé mit sechs Liter Hubraum, 560 PS und der Anmutung eines Düsenjets sagen würde. Er hörte die tadelnden Worte förmlich in seinem Kopf: Was für eine Verschwendung. Matt stieß die Luft aus und umklammerte das Lenkrad fester.
Vielleicht war das sogar der Grund gewesen, warum er diesen sündhaft teuren Wagen überhaupt gekauft hatte. Mit Sicherheit zu einem Teil, zum anderen – dem größeren –, weil er die Geschwindigkeit liebte, das Gefühl, beinahe schwerelos über den Asphalt zu rasen. Jetzt fuhr er allerdings sehr langsam, beinahe im Schritttempo, auch, weil er im Grunde überhaupt nicht hier sein wollte. Und irgendwie doch. Das war das Schlimme mit der eigenen Identität – er konnte sie nicht verleugnen, aber glücklich war er mit seiner Herkunft auch nicht geworden.
Genau aus diesem Grund hatte er das Anwesen kürzlich erst an einen Argentinier verkauft, weil er gedacht hatte, dass er damit die nagenden Erinnerungen, die Demütigungen loswerden würde. Leider war das nicht der Fall gewesen. Im Gegenteil. Nahezu jeden Tag hatte er seither damit gehadert, sein Erbe aufgegeben zu haben. Matt seufzte, als die Auffahrt einen rechten Bogen machte; das Herrenhaus war nun zu sehen. Hinter den hohen Fenstern brannte kein Licht. Alles wirkte sauber und aufgeräumt, auch wenn der Garten nach wie vor eher einem Dschungel ähnelte. Die Kutsche unter der Remise war restauriert worden. Alejandro Alvarez hatte in kurzer Zeit dafür gesorgt, dass in dem verlassenen Haus wieder ein Hauch von Leben zu spüren war. Mehr, als Matt selbst in den drei Jahren, in denen es ihm gehört hatte, geschafft hatte. Er hatte es damals auch nicht einmal versucht. Matt hatte sein Erbe schon immer als Belastung und nicht als Segen empfunden. Noch zu Lebzeiten seiner Eltern war er so selten wie möglich hergekommen. Das war auch ein Grund gewesen, warum er sich dazu entschieden hatte, es loszuwerden. Das Haus war eine Bürde.
Und doch war er wieder hier. Was sagte das über ihn aus?
Matt schnitt sich selbst eine Grimasse und beantwortete diese stille Frage nicht. Manchmal war es besser, keine Antworten zu bekommen.
Er war angespannt, obwohl er das niemals zugeben würde. Durch jahrelange Übung wusste er, dass auch kein anderer bemerken würde, wie sehr ihn das alles mitnahm. Wenn er in seinen zweiunddreißig Jahren eines gelernt hatte, dann, seine Emotionen zu verbergen. Die gingen nur einen was an: ihn selbst.
Matt parkte nicht direkt vor der Haustür, das stand ausschließlich dem Besitzer zu, und das war er nicht mehr. Er stellte seinen Bentley Continental GZ ein wenig entfernt hinter dem Springbrunnen ab und stieg aus.
Matt schloss den oberen Knopf seines dunkelblauen Jacketts und schluckte trocken. Dunkle Wolken spiegelten sich in den Pfützen. Ein raues Lüftchen wehte hier am Loch Ness. Es grünte überall, obwohl man heute nur wenig mehr vom Frühling erkennen konnte als die ersten Knospen. Vermutlich würde es bald regnen, was keine Seltenheit in dieser Gegend war. Er hatte nicht erwartet, mit Sonnenschein und warmen Temperaturen empfangen zu werden. Herzlichkeit hatte er an diesem Ort selten bis nie erlebt. Früher hatte er es vermisst, heute brauchte er das nicht mehr. Er war erwachsen geworden, und andere Dinge trieben ihn an. Erfolg war das eine, finanzielle Freiheit das andere. Er hatte es auch ohne das Vermögen seiner Familie geschafft, ein erfolgreicher Anwalt zu werden. Geld spielte für ihn keine übergeordnete Rolle, weil er genug davon hatte.
Matt klaubte einen Fussel von seinem linken Ärmel und blickte dann auf die Armbanduhr. Es war kurz vor drei, er war pünktlich.
Ein Teil von ihm wollte direkt wieder in den Wagen einsteigen und verschwinden, aber er war kein Feigling, zudem gab es ja einen Grund, warum er gekommen war. Alejandro Alvarez hatte ihm kürzlich mitgeteilt, dass er das Anwesen wieder verkaufen wollte. Zudem hatte der Argentinier Matt wissen lassen, dass er im Schreibtisch persönliche Dinge gefunden hatte, die er Matt zurückgeben wollte. Um das Anwesen samt Interieur an den Ausländer zu verkaufen, hatte Matt eine Firma damit beauftragt, alles Persönliche zu entfernen – und zu entsorgen. Dass das Unternehmen dabei vergessen hatte, gerade den Schreibtisch des alten Barons auszuräumen, fand er zum einen nachlässig, zum anderen musste er sich leider eingestehen, dass er neugierig war, was es wohl sein könnte, was Alejandro Alvarez dazu veranlasst hatte, ihn zu kontaktieren.
»Sei es drum«, murmelte Matt und ging mit langen Schritten zum Haupteingang. Er betätigte die Klingel und trat einen Schritt zurück. Sein Puls beschleunigte sich, er presste die Lippen fest zusammen.
Irgendwo hatte Matt einmal gelesen, dass an den Scheidewegen des Lebens keine Wegweiser standen. Leider konnte er dem nur zustimmen, denn genau in diesem Moment hatte er keine Ahnung, was er tun sollte.
›Lauf‹, schrie ein Stimmchen in seinem Kopf.
›Sei ein Mann, und stell dich deiner Pflicht‹, ein anderes.
»Entschuldigen Sie bitte«, sprach ihn jemand von hinten an.
Matt zuckte kaum merklich zusammen und wandte sich um. »Oh«, stieß er hervor. Er hatte erwartet, dass Alejandro Alvarez – oder ein Angestellter – öffnen würde, nicht, dass er sich von hinten anschlich. Offensichtlich war er nicht zu Hause gewesen, vielleicht auf einem Spaziergang, und kehrte gerade zurück.
»Guten Tag, freut mich, Sie wiederzusehen«, begrüßte der Argentinier ihn mit einem freundlichen, offenen Blick.
Eigentlich waren sie vor ein paar Tagen schon verabredet gewesen, aber der Argentinier hatte das Treffen kurzfristig verschoben, aus persönlichen Gründen, hatte er ihm damals am Telefon erklärt. Matt war nicht traurig über den Aufschub gewesen.
»Ebenso«, erwiderte Matt und nickte knapp. »Wie ich sehe, haben Sie was aus dem etwas vernachlässigten Anwesen gemacht, es sieht sehr gut aus, Mr. Alvarez.«
»Nennen Sie mich bitte Alejandro, ich habe es nicht so mit Förmlichkeiten, wenn es für Sie in Ordnung ist. Ja, ich habe hier kürzlich eine Verlobungsfeier für einen Freund ausgerichtet, es war sehr ergreifend. Traditionell. Keating Manor ist einfach großartig, da brauchte es nicht viel, um den alten Glanz aufleben zu lassen.«
»In der Tat«, stimmte Matt zu. Er wollte nicht ungeduldig wirken oder gar unfreundlich, aber seine Unruhe wuchs von Sekunde zu Sekunde.
»Es war Kenneth McGregors Verlobung, Sie kennen ihn vielleicht? Kommen Sie, lassen Sie uns reingehen.«
Alejandro klopfte Matt auf die Schulter. Eine vertrauliche Geste, aber nicht distanzlos, wie Matt feststellen musste. Der Mann war ihm sympathisch, deswegen war er damals so froh gewesen, dass gerade er Keating Manor gekauft hatte. Matt hatte gehofft, dass mit dem neuen Eigentümer auch ein frischer Wind durch die alten Gänge wehen würde.
»Leider kennen wir uns nicht persönlich«, erklärte Matt. »Ich habe Kiltarff schon früh hinter mir gelassen und die meiste Zeit meiner Kindheit und Jugend im Internat verbracht.«
»Ah, tatsächlich? Das zumindest haben Sie mit Kenneth gemeinsam.« Alejandro öffnete die Tür und ließ Matt den Vortritt. Vertraute Gerüche wehten ihn an, als er die hohe Eingangshalle betrat, aber auch neue, worüber er froh war. Alejandro schaltete das Licht an und der kristallene Lüster erstrahlte in einem schillernden, warmen Ton.
Matt räusperte sich und wandte sich an Alejandro, obwohl er sich bestens in dem alten Gemäuer auskannte. Aber es war nicht mehr sein Eigentum, und so ließ er dem Argentinier als neuem Hausherrn den Vortritt.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, wollte dieser von ihm wissen. »Einen Kaffee oder etwas … Stärkeres?« Alejandro blickte ihn direkt an, ein wenig forschend vielleicht.
»Nein, vielen Dank. Lassen Sie uns lieber gleich zur Sache kommen, ich habe heute leider noch anderweitige Verpflichtungen.«
Ein leises Lächeln umspielte den Mund des attraktiven Argentiniers, während er verständnisvoll nickte. Matt wusste, dass Alejandro nach Schottland gekommen war, weil er eine räumliche Veränderung und Ruhe gebraucht hatte, um seine Memoiren zu schreiben. Obwohl es Matt interessierte, ob er seine Meinung diesbezüglich geändert hatte, und wenn ja, warum, so stellte er diese Frage nicht. Es ging ihn nichts an, warum der Argentinier das Anwesen so schnell schon wieder loswerden wollte.
»Selbstverständlich, kommen Sie.« Alejandro ging vor. Er trug eine dunkle Hose und lederne Stiefel zu einer Winterjacke. Matt schmunzelte in sich hinein, er konnte sich vorstellen, dass man sich an die oft harschen Witterungsbedingungen in der Gegend erst einmal gewöhnen musste.
Die Sohlen ihrer Schuhe tönten auf dem blank polierten Boden. Als sie in den Gang zum Arbeitszimmer und der Bibliothek abbogen, dämpfte ein langer Teppich die Geräusche ihrer Schritte. Die Gemälde an den Wänden waren Matt vertraut, Alejandro schien auf den ersten Blick nicht viel verändert zu haben. Matt erschauderte, während er an die Ahnengalerie im ersten Stock dachte. An die strengen Augen seiner Vorfahren, die ihn seit der Kindheit bei jeder Gelegenheit an seine Pflichten, die Bürde, die er zu tragen hatte, seine Unzulänglichkeiten, erinnert hatten.
Matt schob die Gedanken beiseite und folgte Alejandro ins Arbeitszimmer. Es roch nach Leder und einem würzigen Duft, den Matt nicht kannte. Es wirkte frischer, in der Tat, der neue Besitzer hatte dem Raum, ohne etwas am Mobiliar zu ändern, einen lebendigeren Touch verpasst. Ein Glück, dachte Matt und atmete erleichtert aus. Bis eben hatte er nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Früher war dieses Zimmer tabu für ihn gewesen, sein Vater wollte nicht bei der Arbeit, bei seinen Geschäften oder was auch immer gestört werden. Und Matt hatte schnell begriffen, dass es besser für ihn war, seinem Erzeuger aus dem Weg zu gehen. Egal, wie sehr er sich als kleiner Junge etwas anderes gewünscht hatte.
Matt hätte nicht gedacht, dass ihn dieser Raum auch heute noch sofort in eine Art Starre versetzen konnte, daran änderte selbst Alejandros Einfluss nicht viel.
Matt schluckte trocken und ging zu einem der bodentiefen Fenster, von dem aus man einen ganz ausgezeichneten Blick auf den Loch Ness und Kiltarff Castle hatte. Das Schloss war um einiges größer und herrschaftlicher. Es erinnerte Matt daran, dass – egal was man ihm früher erzählt hatte – Keating Manor und der Titel keine große Rolle für die Gesellschaft spielte. Letztlich war es heute für niemanden mehr von Belang, außer für ihn selbst vielleicht. Sosehr er auch hatte frei sein wollen, es immer noch wollte, er konnte sich nicht vom Gedanken lösen, dass es seine Aufgabe war, den Titel fortzuführen und weiterzugeben. Das Einzige, was man von ihm als Spross dieser ehrwürdigen Familie erwartete. Egal, wie sehr er dieses Verharren in alten Traditionen auch verachten mochte, es war dennoch tief in ihm verankert. Matt seufzte kaum merklich und wandte sich zu Alejandro um. Der Argentinier hatte ihn beobachtet, ihre Blicke trafen sich.
»Diese Räume bergen sicherlich viele Erinnerungen«, meinte er jetzt, und Matt wunderte sich, wie gut der Mann ihn offenbar einschätzen konnte, obwohl sie sich kaum kannten.
»Da haben Sie recht«, erwiderte Matt und behielt für sich, dass es keine guten waren. »Was war es, was Sie mir zeigen wollten?«
»Ich denke, dass Sie ein wenig Zeit benötigen werden, um alles durchzugehen. Dieser Schreibtisch hier ist voller Papiere und Unterlagen. Als ich herkam, waren die Fächer verschlossen, den Schlüssel fand ich jedoch schnell und wunderte mich, dass das der einzige Bereich war, in dem noch Persönliches lag. Ich nahm an, dass man sie schlichtweg vergessen hat, deswegen habe ich mich bei Ihnen gemeldet.«
Matt schwieg, er wusste nicht, ob er sich über die Firma ärgern oder dankbar sein sollte. Sein Bauch und sein Kopf waren sich uneinig. Dabei war Matt schon seit langer Zeit ein Mensch, der nur glaubte, was er schwarz auf weiß sah. Gefühle waren etwas für Schwächlinge, nicht für erfolgreiche Siegertypen wie ihn.
Matt unterdrückte den Impuls, sich die Stirn zu reiben. Hinter seinen Schläfen pochte es dumpf. »Ich fürchte, dafür fehlt mir momentan die Zeit«, gab er zurück.
Und auch die Motivation, ergänzte er im Stillen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sich um den Inhalt dieser Schubfächer zu kümmern.
»Das verstehe ich natürlich.« Die Frage, warum er überhaupt hergekommen war, wenn er keine Zeit hatte, stand zwischen ihnen im Raum. Aber Alejandro besaß genug Taktgefühl, um darüber hinwegzugehen.
»Nun«, meinte der Argentinier jetzt, trat an den Kaminsims und lehnte sich mit der Schulter dagegen. »Ich hatte es am Telefon ja schon angedeutet, das Anwesen ist wunderschön und großzügig. Die Lage ist einzigartig, der Blick auf den Loch Ness atemberaubend …«
»Aber?«, unterbrach Matt ihn ungeduldig.
Alejandro zuckte die Schultern. Sein Blick war frei von Unmut oder Ärger. »Für mich ist es zu groß. Zu einsam. Sehen Sie, ich bin der Sohn eines Bauern. Das hier«, er machte eine umschweifende Handbewegung, »ist pompös, gemacht für einen Baron, wie Sie einer sind. Ich bin ein einfacher Mann. Und meine Freundin«, auf einmal verzogen sich seine Lippen zu einem strahlenden Lächeln, »sie möchte lieber mit mir in einem hübschen Cottage leben – und ich möchte das auch. Deshalb habe ich Sie kontaktiert, Matt, nicht nur wegen der persönlichen Dinge im Schreibtisch. Ich wollte Ihnen das Anwesen anbieten, ehe ich es auf den Markt gebe. Sind Sie wirklich sicher, dass Sie es nicht zurückhaben wollen?«
Matt spürte, wie seine Knie weich wurden. Obwohl er gewusst hatte, was der Argentinier mit ihm besprechen wollte, traf es ihn doch bis ins Mark, diese Worte aus Alejandros Mund zu hören.
Bevor er es auf den Markt geben würde.
Alejandro hatte sich also längst entschieden, Keating Manor nicht zu behalten. Entweder Matt kaufte es zurück, oder irgendein Schnösel riss den Kasten womöglich ab, um eine neumodische Supervilla auf den alten Grund zu bauen. Matt war überrascht, wie sehr ihm dieser Gedanke missfiel. Er atmete tief ein und dachte einen Moment nach, ehe er antwortete. »Das kommt jetzt alles sehr plötzlich«, fing er an.
»Das verstehe ich natürlich. Es ist auch nicht dringend. Ich will keine Spielchen spielen. Sie bekommen das Haus zum alten Preis zurück, das, was ich investiert habe, ist mein Problem. Denken Sie darüber nach. Soll ich Sie einen Moment alleine lassen, damit Sie sich ansehen können, was sich in den Schubladen befindet, ehe Sie losmüssen?«
Matt wollte nur noch eines: weg. »Nein«, erwiderte er ein wenig zu hastig.
Alejandros Augen weiteten sich in Erstaunen, dann nickte er, sagte aber nichts.
»Ich habe mich in der Zeit verschätzt«, log Matt. »Ich muss leider sofort zurück nach Inverness. Ich melde mich bei Ihnen, Alejandro. Geben Sie mir bitte ein paar Tage.«
»Natürlich, Matt. Gar kein Problem.«
Nach einer kurzen Verabschiedung verließ Matt sein Elternhaus mit langen Schritten. Er blickte nicht nach rechts, nicht nach links. Jeder, der ihn beobachtete, würde merken, dass er auf der Flucht war.
Wovor genau, wusste Matt selbst nicht.
Maisie war davon überzeugt, dass sie im falschen Jahrhundert geboren war. Sie fuhr mit den Fingerkuppen über den Buchdeckel eines ihrer Lieblingsromane und seufzte leise. Der schnuckelige Buchladen mit einem kleinen Café war ihr ganzer Stolz. Man könnte fast sagen: ihr Lebensinhalt.
Obwohl sie es vor anderen nie zugeben würde, war sie einsam. Ein Gefühl, das sie schon länger begleitete. In diesen bedrückenden Augenblicken widmete sie sich ihrer wahren Leidenschaft – den Büchern. Nun musste sie doch lächeln, als sie auf die wunderschönen Buchdeckel des neu arrangierten Verkaufstisches blickte. Ihr Geschäft war schon ein wenig speziell, das musste sie zugeben, aber das machte auch den besonderen Charme aus. Es gab neben den vielen Bücherregalen zwar auch den üblichen touristischen Kram, Lektüre über die Highlands, Schottland und die alten Clans sowie moderne Belletristik. Aber Maisies besondere Liebe galt den Klassikern der englischen Literatur. Deswegen hatte sie ihre Lieblingsromane auch in neu gestalteten Auflagen bestellt und sie hübsch im Vordergrund präsentiert. Maisie war zufrieden.
Gleichzeitig spürte sie diese tiefe Sehnsucht in sich, den Wunsch, dass auch sie einem Mr. Darcy begegnete. Dass sie ihr persönliches, verzückendes Happy End erlebte.
Das Türglöckchen bimmelte und riss sie aus ihren romantischen Fantasien. Maisie straffte sich und schaute sich um. Ihr Atem stockte, als sie in das Gesicht eines überaus attraktiven Anzugträgers blickte. Er trug sein dunkelblondes Haar ordentlich gescheitelt und war glatt rasiert. Seine Kleidung passte wie angegossen. Maßgeschneidert, schoss es ihr durch den Kopf. Breite Schultern, schmale Hüften und eine souveräne Ausstrahlung, als sei er einem Gemälde entstiegen.
Seine alles durchdringenden blauen Augen schweiften durch den Laden und blieben schließlich an ihr hängen. Maisie schluckte trocken. Es kam ihr so vor, als könne dieser Fremde geradewegs in die tiefsten Abgründe ihrer Seele blicken. Seine Züge waren durch und durch männlich, geprägt von einem Selbstbewusstsein, das beinahe arrogant auf sie wirkte. Unfassbar sexy. Genau der Typ Mann, für den sie sterben würde.
›Ich kann es nicht fassen‹, dachte Maisie aufgeregt und merkte, wie ihr Herz raste. War es möglich, dass ihre Gebete endlich erhört worden waren? Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, und sie kam nicht umhin, sich die Frage zu stellen, was ein Mann wie er in einem Dorf wie Kiltarff zu suchen hatte. Dieser Fremde war auf einer Skala von eins bis zehn eine glatte Zwölf. Bedauerlicherweise war Maisie sich durchaus bewusst, dass solche Typen niemals auf Frauen wie sie abfuhren. Sie mit ihrem aschblonden Haar, den zu breiten Hüften und dem durchschnittlichen Gesicht war zudem noch viel zu schüchtern, um überhaupt die Aufmerksamkeit eines solchen Prachtkerls auf sich zu lenken – und zu halten.
Während ihr diese und noch tausend andere Überlegungen durch den Kopf wirbelten, beobachtete sie, wie er mit langen Schritten den Laden durchmaß und vor dem Tresen des Cafés stehen blieb. Er wandte sich ihr zu.
Sie beobachtete gebannt, wie sich seine Lippen öffneten. Maisie erwartete die ersten Worte und erschauderte innerlich. Sie sah ihre Zukunft vor sich, eine große Liebe, das Glück und ein Leben voller Lachen und Herzlichkeit.
»Wird man in diesem Laden auch mal bedient?«, knurrte der Fremde.
Seine Stimme klang angenehm, tief und melodisch. Er sprach in einem ganz leichten schottischen Akzent, nicht sehr ausgeprägt, aber eindeutig. Und dann begriff Maisie, dass er sie gerade angepflaumt hatte. Eine seiner ansehnlichen Augenbrauen wanderte langsam in die Höhe. Spöttisch geradezu, ungeduldig in jedem Fall.
Maisie blinzelte, und die romantische Blase zerplatzte.
Sie wusste selbst nicht, womit sie gerechnet hatte, aber sicher nicht damit, dass der erste Satz, der an sie gerichtet wurde, eine derart banale Bemerkung sein würde.
Enttäuschung bebte durch ihren angespannten Körper.
Maisie wurde bewusst, dass sie sich – mal wieder – in einem ihrer Wunschträume verloren hatte. Dieser Mann war garantiert nicht ihr Mr. Darcy. Er war nur ein Kunde. Ein arroganter noch dazu, der keine drei Sekunden warten konnte, bis sich jemand um seine Wünsche kümmerte.
Ein hochmodernes Arschloch. Kein Gentleman.
Natürlich nicht. Sie lebte in der Realität und nicht in einem ihrer geliebten Romane, in denen sich die gut aussehenden Männer immer auch als die geistreichen und liebevollen entpuppten.
Maisie räusperte sich und lächelte. Es war ein falsches Lächeln, eins, das ihre Augen nicht erreichte. Das wusste sie, auch ohne in den Spiegel zu schauen. »Guten Tag, Sir, bin gleich für Sie da«, erwiderte sie höflich, aber kühl. Zum Glück war ihrer Stimme nicht anzumerken, wie enttäuscht sie war. Hätte er nicht wenigstens etwas einfallsreicher meckern können? Ein Jammer, denn rein optisch gesehen war er wirklich ein Volltreffer.
»Ich habe es eilig, wäre also schön, wenn es nicht bis übermorgen dauert«, gab er daraufhin gereizt zurück und bestätigte damit nur, was Maisie eben schon begriffen hatte. Kein Traumtyp. Kein Märchenprinz. Nur ein arroganter Durchreisender, niemand, der bleiben würde, um ihr Herz im Sturm zu erobern.
Sie unterdrückte ein Seufzen.
Während Maisie in angemessenem Tempo – nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam – hinter den Verkaufstresen des Cafés ging, spürte sie, dass es nicht nur Enttäuschung allein war, die sich in ihr breitmachte. Wut über die Unflätigkeit dieses zugegeben verdammt attraktiven Schnösels brannte bis in die Spitzen ihrer Ohren. Sie ließ sich nichts anmerken, immerhin war das ihr Geschäft und der Kunde ein König, selbst wenn er es so wörtlich nahm wie dieser hier.
»Was darf es sein?«, erkundigte sie sich und blickte ihm geradewegs ins hübsche Gesicht. Er hatte ein kantiges Kinn, eine gerade Nase und einen schön geschwungenen Mund. Zu schade, dass nur Unfreundliches über seine Lippen kam.
»Einen Kaffee. Schwarz, zum Mitnehmen«, war alles, was er erwiderte, dann hob er seinen linken Arm und blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr. Es war kein protziges Modell, stellte sie fest, aber teuer wirkte sie allemal. Daraus schloss sie, dass er kein neureicher Kapitalist war. Altes Geld, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, sprach aus seiner Erscheinung. So was gab es auch in Schottland, nicht nur im Süden.
»Sehr gern«, entgegnete Maisie in ihrem höflichsten Tonfall. »Darf es sonst noch etwas sein?«, fragte sie auch noch, obwohl sie genau wusste, dass Typen wie er niemals Kuchen bestellten.
»Nein«, brummte er und kramte einen Geldschein aus seinem Jackett hervor.
Sie bedauerte zutiefst, dass sie ihn schon nach so kurzer Zeit analysiert hatte, dass sich kein Geheimnis hinter seinem Auftreten verbarg, das sie lüften konnte. Merkwürdigerweise verlor sie dennoch nicht das Interesse, im Gegenteil, sie musste ihn immer wieder anstarren.
Maisie gab sich einen Ruck und machte sich an die Arbeit. Sie trödelte nicht, während sie an der Siebträgermaschine hantierte, aber sie führte jeden Handgriff mit Bedacht aus, weil sie ahnte, dass sie den ungehobelten Kerl damit indirekt reizte. Ein bisschen Spaß musste sein, vielleicht auch Rache.
Bis auf das Geräusch der Kaffeemaschine herrschte Stille im Raum. Sie spürte seinen bohrenden Blick im Rücken, das löste ein Kribbeln in ihrer Magengrube aus. Leider nicht nur dort. Sie war entsetzt, als sie merkte, dass die Hitzewelle sich bis hinunter in ihren Unterleib ausbreitete.
Der Duft von Kaffee zog durchs Geschäft. Maisie war froh, als sie ihm kurz darauf den Pappbecher mit seinem Getränk über den Tresen schob. Sie lächelte, dieses Mal war es echt. Sie nahm den Schein und reichte ihm sein Wechselgeld. »Einen schönen Tag noch«, wünschte sie ihm, natürlich nicht ganz ernst gemeint.
»Ebenso«, gab er so knapp wie barsch zurück, schnappte sich den Becher und verließ den Laden, als wäre er auf der Flucht. Er konnte offensichtlich kaum erwarten, aus Kiltarff wegzukommen, und Maisie kam nicht umhin, sich zu fragen, wieso er sich aufführte, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her. Vielleicht rankte sich ja doch ein Geheimnis um ihn und seinen Besuch. Obwohl es ihr eigentlich egal sein sollte, war es das nicht.
Das war das Problem mit der Sprache. »Eigentlich« bedeutete leider nicht »ganz sicher«.
Egal. Der Kerl war verschwunden, und so grimmig, wie er gewirkt hatte, würde er auch nicht wiederkommen.
Ein Glück, sagte sie sich im Stillen, weil sie sich selbst davon überzeugen musste.
Auf Kunden wie ihn konnte sie gut und gern verzichten.
Sie schmunzelte in sich hinein. Ob er wohl merken würde, dass sie ihm entkoffeinierten Kaffee serviert hatte? Die kleine Heimzahlung für seine unhöfliche Art hatte sie sich nicht nehmen lassen wollen – ob er es nun herausfand oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Typen wie er brauchten keinen sichtbaren Denkzettel für ihr unflätiges Verhalten gegenüber anderen Menschen, das würde ohnehin nichts ändern.
Maisie zupfte an ihrer hellgrünen Bluse, ihr war leider immer noch heiß, als das Türglöckchen erneut ertönte. Kurz hatte sie Angst, dass es sich um den unhöflichen Mann handeln könnte, der ihr den Kaffee ins Gesicht kippen wollte, weil er doch gemerkt hatte, dass er koffeinfrei war. Aber das war höchst unwahrscheinlich, und tatsächlich, es war nicht er, sondern ihre Freundin Kendra. Ein breites Lächeln schmückte ihr herzförmiges Gesicht. Die roten Haare fielen ihr locker auf die schmalen Schultern.
»Hey, Liebes«, grüßte Kendra, Maisie umrundete den Tresen, um ihre Freundin zu umarmen.
»Schön, dich zu sehen«, gab Maisie zurück.
»Ich brauche Kaffee«, platzte Kendra direkt heraus. »Dringend.«
»Wenig Schlaf bekommen, hm?«, scherzte Maisie und bemerkte, dass Kendra leicht errötete. Bei ihrer hellen Haut konnte sie das schwer verbergen. Maisie war froh, dass ihre Freundin so glücklich verliebt war. Die Liebesgeschichte war schwierig genug gewesen, aber zum Glück hatten der Argentinier Alejandro und Kendra doch noch zueinandergefunden.
Kendra nickte. »Und ob, mach mir lieber gleich einen doppelten Espresso.«
»Kommt sofort, und bei dir nehme ich sogar die richtigen Bohnen.« Maisie grinste breit.
Kendra hob eine Braue. »Wie meinst du das?«
»Ach, eben war so ein blöder Kerl im Laden, ganz unhöflich, sage ich dir, dem habe ich als Strafe für sein Benehmen einen koffeinfreien Kaffee gegeben.«
Kendra prustete los. »Nicht dein Ernst, oder? Machst du das öfter?«
»Nur bei den Arschlöchern.«
»Da sag noch mal einer, dass das mit den stillen Wassern nicht stimmen würde.« Kendra gackerte.
Maisie seufzte. »Dass die gut aussehenden Kerle immer so ätzend sein müssen.« Sie reichte Kendra ihren Espresso und goss sich selbst einen Earl Grey auf.
»Nicht immer, Süße. Du liest einfach zu viele Bücher«, meinte Kendra und gab zwei Löffel Zucker in ihre Tasse.
»Zu viele? Das geht doch gar nicht«, empörte sich Maisie.
»Nicht?« Kendra hob erneut eine Braue. »Wie viele Romane hast du in den letzten sieben Tagen verschlungen?«
»Zählen auch die, die ich schon kannte?«, versuchte sich Maisie rauszureden.
Kendra schüttelte den Kopf. »Ich fasse es nicht, komm, sag schon, und ja, die zählen natürlich auch mit. Buch ist schließlich Buch, oder?«
Maisie merkte, dass sie rot wurde. »Siebzehn«, verkündete sie kleinlaut und guckte in ihren dampfenden Tee.
»Siebzehn?«, kreischte Kendra entsetzt.
»Tja, was soll ich sagen?« Maisie rührte mit einem Löffelchen in ihrer Tasse herum. Das Klappern des Porzellans klang selbst in ihren Ohren laut.
»Ich sag dir mal was«, Kendra beugte sich ein wenig in Maisies Richtung, »du solltest dir endlich einen echten Kerl suchen, nicht immer nur diese Bookboyfriends. An die kommt doch kein Mann in Fleisch und Blut ran!«
Maisie wusste, dass ihre Freundin recht hatte. Es war ja nicht so, dass sie es nicht versucht hätte, aber bislang war ihr einfach niemand begegnet, bei dem ihr Herz langfristig höher schlug. Für einen Augenblick schweiften ihre Gedanken zu diesem merkwürdigen Anzugträger zurück. Nein, er war auch kein romantischer Held, wie er im Buche stand.
Maisie nahm eine Ausgabe von Stolz und Vorurteil vom Verkaufstisch und blätterte bis zum ersten Kapitel. »Nicht umsonst ist das noch immer einer der beliebtesten Liebesromane der Welt«, erklärte sie an Kendra gerichtet.
»Hab ich nicht gelesen.«
»Solltest du unbedingt tun.«
Kendra verzog ihren Mund. »Liebes, du hast Hobbys, bei denen du ganz bestimmt nie einen geeigneten Kandidaten kennenlernen wirst«, meinte Kendra leise. »Sag mir mal, wie viele Männer unter sechzig am Buchclub und an deinem Schreibworkshop teilnehmen.«
Maisie hob abwehrend eine Hand. »Keiner?«
Ihre Freundin nickte bestimmt. »Eben.«
»Für mich gibt es einfach keinen passenden Deckel.« Kendra wusste, dass Maisie ganz genaue Vorstellungen von ihrem Traummann hatte. Es war nicht das erste Mal, dass die beiden eine ähnliche Konversation führten. Früher war es jedoch so gewesen, dass Kendra Maisies Gefühle nachempfinden konnte, denn in einem Dorf wie Kiltarff gab es nicht gerade eine unbegrenzte Auswahl an infrage kommenden Singles. Für Kendra hatte sich mit Alejandro alles geändert. Das wollte Maisie ihrer Freundin selbstverständlich nicht zum Vorwurf machen. Es kam Maisie seitdem jedoch so vor, als wäre sie die einzige Frau auf dem Planeten, für die es keinen passenden Partner gab. Sie würde als alte Jungfer sterben – nicht buchstäblich, aber im übertragenen Sinne. Natürlich hatte sie schon Sex gehabt. Nicht oft, auch fand sie, dass das nicht alles gewesen sein konnte, aber dass sie irgendwann den Mann fürs Leben finden würde, hielt sie mit ihren einunddreißig Jahren langsam für unwahrscheinlich. Wirklich aktiv suchte sie nicht – weil sie insgeheim wusste, dass der eine, der all ihre Ansprüche erfüllen konnte, erst noch gebacken werden musste. Das war das Problem. Ihr Traummann musste klug sein und witzig und liebevoll – und leidenschaftlich, dabei spielte das Aussehen überhaupt keine so große Rolle. Aber der erste Eindruck zählte ja irgendwie doch, und gegen eine starke Schulter zum Anlehnen hätte sie definitiv keine Einwände.
Maisie stieß einen theatralischen Seufzer aus und schob die Überlegungen beiseite, es führte ohnehin zu nichts.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Buchseite und las vor: »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau. ~ Jane Austen.«
Maisie blickte auf und lächelte.
Kendra machte große Augen. »Klingt irgendwie witzig. Ironisch sogar.«
Maisie war hocherfreut. »Eben. Und eigentlich ist es heute doch nicht so anders, oder?«
Kendra kratzte sich am Kinn. »Hm. Jetzt, wo du es sagst, stimmt. Wie geht’s weiter?«, wollte sie wissen.
Maisie klappte das Buch zu und reichte es ihr. »Hier, lies selbst. Es ist eine der schönsten Liebesgeschichten, die jemals erzählt wurden.« Sie seufzte leise und schloss die Augen. Sie dachte an die Verfilmung mit Colin Firth – den würde sie auch nehmen, in einer jüngeren Version selbstverständlich. Gott, sie musste damit aufhören.
Kendra blätterte ein wenig im Buch, auf einmal blickte sie auf. »Sie ist passabel, aber nicht schön genug, um mich in Versuchung zu bringen«, las Kendra vor und guckte Maisie irritiert an.
»Das ist aus Kapitel drei«, wusste Maisie sofort. »Herrlich, ich sehe die Szene geradezu vor mir. Sie stehen im Ballsaal, und Elisabeth hört mit, wie der ungehobelte Mr. Darcy sie mit voller Absicht beleidigt. Ich könnte mich stundenlang über seine empörenden Unverschämtheiten amüsieren, weil ich weiß, dass er es nur getan hat, um seine Bewunderung zu verbergen.« Maisie hatte keine Ahnung wieso, aber sie musste an den Anzugträger denken, der sie so durchdringend und unverhohlen angestarrt hatte. Unverschämt war er gewesen, das konnte Maisie nicht abstreiten. Trotzdem auch irgendwie sexy. Und souverän.
Kendra furchte ihre Stirn. »Hm. Erst beleidigt er sie, und dann verlieben sie sich?«
»Ja! Ist das nicht romantisch? Lies es mal, mir zuliebe. Wenn du es nachher nicht magst, nerve ich dich nie wieder mit Klassikern.«
»Na schön. Aber ich werde es kaufen.« Kendra zückte einen Geldschein. »Nicht, dass du auf die Idee kommst, es mir zu schenken.«
»Ich bin mir sicher, dass du den Roman auch in Alejandros Bibliothek finden würdest. Die ist beeindruckend, oder?«
Kendra gackerte. »Dir kann ein Mann nicht mit einem dicken Konto imponieren, bei dir muss er die richtigen Erstausgaben haben!«
»Das kann ich nicht leugnen«, erwiderte Maisie grinsend. »Schau doch mal in Alejandros Regale. Ich bin mir sicher, du findest dort unfassbare Schätze. Jedes gut sortierte Bücherregal sollte mindestens eine Ausgabe von Jane Austens Werken beherbergen.«
»Ich hole es mir lieber bei dir. Weißt du, Alejandro überlegt nämlich gerade, das Anwesen wieder zu verkaufen. Wir sind nie dort. Wir fühlen uns viel wohler im Cottage. Es ist so viel gemütlicher als in diesem großen alten Gemäuer, um ehrlich zu sein.«
»Ach, wirklich? Er will es wieder loswerden? Das dürfte doch eher schwierig sein, oder?«
Kendra zuckte die Schultern. »Du wirst es kaum glauben, aber der Vorbesitzer denkt darüber nach, es zurückzuerwerben. Sie haben sich vorhin getroffen.«
»Tatsächlich? Wie sieht er aus?«
Kendra wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. »Bist du an Matt Keating interessiert?«
Maisie schnaubte. »Ich bin nur neugierig. Bisher bin ich ihm nie begegnet.« Sie kannte Keating Manor von Ellies und Kenneth Verlobung, aber weder die Vorbesitzer noch deren Sohn, mit dem Alejandro Geschäfte machen wollte. Die Adelsfamilie hatte schon immer zurückgezogen gelebt und war nicht in Maisies Kreisen verkehrt – oder eher umgekehrt, wie man es nahm.
»Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen, aber ich war nicht dabei. Ist aber schon ein bisschen mysteriös, oder? Ein Junge, der hier geboren ist, aber seit Jahrzehnten woanders lebt. Er hat sogar einen Titel.«
Beim Wort mysteriös horchte sie auf. Maisie liebte Geheimnisse fast so sehr wie Romantik. »Als ob mich das kümmern würde«, murmelte sie und dachte wieder an den arroganten Kerl von vorhin zurück. »Was ist er, ein Baron? Dann heißt er sicher nicht Matt. Diese adeligen Leute haben doch mindestens drei Vornamen.«
Kendra gackerte. »Wir werden es herausfinden, Liebes. Jetzt muss ich ins Lantern rüber, wir sehen uns bald. Ich halte dich auf dem Laufenden und werde Alejandro mal fragen, ob der Typ attraktiv ist und für dich infrage kommt.« Sie zwinkerte Maisie zu.
Die winkte ab. »Sei nicht albern. Das wirst du nicht tun! Gott, das ist ja peinlich.«
Kendra hob das Buch und wedelte beim Hinausgehen damit. »Na gut. Ich finde erst einmal heraus, wie dein Mr. Darcy überhaupt sein muss. Dann überlegen wir, wo wir ihn für dich auftreiben.«
Maisie wollte ihrer Freundin etwas an den Kopf werfen, aber Kendra war schon weg. Die Tür fiel ins Schloss, und Maisie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. In der gleichen Sekunde knallte ein Buch vom Tisch, den sie nicht mal berührt hatte. Sie glaubte nicht an Zeichen. Oder an Omen. Und schon gar nicht an ein Märchen, in dem sie die Hauptrolle spielen würde, egal wie sehr sie es sich auch wünschte.
Maisie griff nach der besonders schmucken Ausgabe von Emily Brontës Sturmhöhe und legte sie zurück. Sie schmunzelte. Wenn dieser unmögliche Kerl von vorhin tatsächlich Matt Keating war und er das alte Manor zurückkaufen würde, gäbe es womöglich doch eine Parallele. Sofort hatte Maisie ein Zitat im Kopf: Ein einsiedlerischer Nachbar, der ihr noch zu schaffen machen würde. Heathcliff, der faszinierendste Unhold der klassischen Literatur, hatte die hübsche Cathy am Ende in den Wahnsinn getrieben. Maisie legte das Buch zurück und schüttelte den Kopf über sich und ihre wirren Gedanken. Sie musste endlich in der Realität leben und sollte aufhören, sich ständig in ihren Fantasien zu verlieren.
Matt Keating gähnte. Der Kaffee hatte leider nicht die erhoffte Wirkung gehabt. Kein Wunder, ein bisschen Koffein konnte seine Probleme mit Sicherheit nicht lösen. In der letzten Nacht, wie in vielen zuvor, hatte er sich schlaflos in seinem Bett hin und her gewälzt. Und nach dem heutigen Treffen wusste er noch weniger, was er tun sollte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Pflicht oder Freiheit. Tradition oder neue Wege. Wenn es so einfach wäre zu wählen, hätte er es längst getan. Wobei, das stimmte so nicht ganz. Vor einigen Wochen hatte er eine Entscheidung getroffen, aber sie seitdem jeden Tag bereut. Matthew William Pembroke Keating war kein Mann, der an höhere Mächte glaubte und schon gar nicht an Zufälle. Trotzdem war er überrascht gewesen, als der Argentinier ihn gefragt hatte, ob er das Herrenhaus zurückkaufen wollte.
Auf gar keinen Fall, war Matts erste Reaktion gewesen. Leider war sein zweiter Impuls genau gegenteilig ausgefallen. Egal, wie oft Matt es versucht hatte, er hatte sich nie von seiner Vergangenheit, seiner Bürde, lösen können. Dabei hatte selbst der Verkauf des Anwesens nicht geholfen. Also konnte er es genauso gut auch behalten. Oder zurückkaufen.
»Verdammt«, fluchte er und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad seines Coupés.
Matt stand mit seinem Wagen an einer roten Ampel in Inverness und fragte sich, wie lange er noch warten musste, bis es grün wurde. Endlich, das Licht sprang um, und er brauste los.
Er fuhr schneller, als es erlaubt war, weil er es eilig hatte. Sein Alltag war streng durchgetaktet, sein Job als Anwalt und Teilhaber in einer angesehenen Kanzlei gestattete keine Verzögerungen. Trotzdem war er spät dran und musste sich beeilen, weil er auf dem Rückweg von Kiltarff an einer Parkbucht angehalten hatte, um das Anwesen aus der Ferne zu betrachten. Auf der Suche nach einer Antwort hatte er wertvolle Zeit vertrödelt. Völlig untypisch für ihn, normalerweise war genau das eine seiner Stärken: sich in seinen Entscheidungen sicher zu sein, nicht zu zögern, sondern einen Weg einzuschlagen, den er für richtig hielt. Nun, in diesem Fall war es ein wenig komplizierter.
Er parkte im Halteverbot, eilte ins Haus und nahm ausnahmsweise den Aufzug nach oben. In seinem Penthouse dudelte Pop-Musik aus den Lautsprechern, er hörte das Wasser im Badezimmer rauschen. Der helle Marmorfußboden glänzte im schwachen Sonnenlicht, er ließ seine Schlüssel in eine Schale fallen, die auf einem schmalen Sideboard stand, über dem ein abstraktes Gemälde hing. Er trat ins Wohnzimmer, aber dort war niemand. Auf dem hellen Designersofa lag eine Strickjacke, eine leere Tasse stand auf dem Couchtisch aus Aluminium und Eisen. Er liebte die klaren Formen und das schlichte, aber edle Design seiner Möbel. Gut, er hatte nicht jedes Stück selbst ausgewählt, dafür fehlte einem Mann wie ihm schlicht die Zeit, aber die Innenausstatter, die er nach dem Kauf der Immobilie beauftragt hatte, hatten alles nach seinen Wünschen entsprechend ausgewählt. Matt war es wichtig, dass sein Zuhause stimmig, funktionell und dennoch modern eingerichtet war. Es war genau das Gegenteil von dem, was er auf Keating Manor erlebt und kennengelernt hatte. Hier gab es kein Rosenmuster, keine wuchtigen Schränke oder edlen Teppiche aus vorigen Jahrhunderten.
Matt zog die Schuhe aus und ging ins Ankleidezimmer, dort hängte er seinen Anzug ordentlich auf einen Bügel, ebenso wie die Krawatte. Das weiße Hemd stopfte er in die Wäschetonne, damit war seine Pflicht, was die Hausarbeit anging, getan. Alles Weitere fiel in den Aufgabenbereich seiner langjährigen Haushälterin.
Nackt ging er ins Bad. Camille hatte das Wasser gerade abgestellt und trat, in ein flauschiges Handtuch gewickelt, aus der Dusche.
»Du kommst zu spät, mein Lieber«, begrüßte sie ihn mit einem breiten Lächeln und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. »Ein paar Minuten früher, und wir hätten gemeinsam duschen können. Ich hätte mich über jemanden gefreut, der meinen Rücken einseift«, umschmeichelte sie ihn.
»Jemanden?«, wiederholte er mit hochgezogener Augenbraue.
Sie grinste und warf den Kopf in den Nacken. »Über dich natürlich, du Dummerchen.« Sie wusste, wie attraktiv sie war, und reckte ihm ihren Hals geradezu als Einladung entgegen. Aber Matt war nicht in Stimmung, er wollte lieber allein sein. Deswegen ließ er sie stehen und trat an ihr vorbei in die Dusche.
Camille hatte den Zugangscode zu seinem Apartment. Sie schliefen zusammen, schon länger. Er wusste, dass die ehrgeizige Anwältin sich Hoffnungen auf mehr machte. Einen Liebesschwur. Einen Ring am Finger. Seinen Namen. Aber er war noch nicht bereit für den nächsten Schritt.
Er hatte keine Ahnung, ob er das jemals sein würde.
Matt schob die lästigen Überlegungen beiseite, er hatte jetzt nicht die Nerven, schon wieder an seine Pflichten, die er als Erbe eines Titels zu erfüllen hatte, zu denken. Wen sollte es kümmern? Seine Eltern waren tot. Er war der Letzte seiner Art. Nicht ganz, aber seiner Schwester war der Titel aus anderen Gründen versagt. Zudem sprachen sie nicht mehr miteinander.
Matt unterdrückte den Impuls, etwas gegen die Wand zu werfen. Normalerweise ließ er sich durch nichts aus der Ruhe bringen, aber die aktuellen Ereignisse, der damit verbundene Schlafmangel und ein komplizierter Prozess waren offenbar genug, um seine innere Balance zu erschüttern.
Leider war diese Familien-Thematik nicht so leicht ad acta zu legen, wie es ihm lieb war. Denn wenn man ihm eines nicht nachsagen konnte, dann, dass er nicht gründlich war. Er war der Typ Mensch, der seine Aufgaben erfüllte, seinen Kram erledigte. Nur, dass er in diesem Fall genau das nicht wollte.
Und irgendwie doch.
Himmelherrgott noch mal! Er stieß ein Knurren aus und knirschte mit den Zähnen.
Auch wenn er seit Jahrzehnten nicht mehr in seinem Heimatort lebte, so war er sich mit jedem Atemzug, mit jeder Faser seines Seins bewusst, was von ihm als neuem Baron erwartet wurde: das vererbte Geld zu vermehren, zu heiraten und einen Erben in die Welt zu setzen.
Der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich diesem Druck beugte.
Er holte tief Luft. »Es hat leider länger gedauert bei meiner letzten Besprechung heute, und ich möchte nicht zu spät kommen«, erklärte er Camille, die noch immer auf eine Antwort wartete. Er drehte das Wasser auf und stellte sich unter den warmen Strahl.
Sie hakte nicht nach und beschwerte sich auch nicht über sein Verhalten. Deswegen kam er gut mit ihr aus. Camille war klug, attraktiv und äußerst ehrgeizig, und sie wusste, wann sie ihn in Ruhe lassen musste. Sie passten perfekt zusammen. Auch im Bett harmonierten sie gut. Es gab keinen Grund, warum er sie nicht heiraten sollte.
Trotzdem hatte er nicht vor, ihr einen Antrag zu machen.
›Was sagte das über ihn aus?‹, fragte er sich und gab sich die Antwort gleich selbst.
Dass mehr von einem Rebellen in ihm steckte, als ihm lieb war. Dass er einerseits genau wusste, was von ihm verlangt wurde, aber gleichzeitig nach einem Ausweg suchte. Der Gedanke an seinen Vater lähmte ihn. Er würde Camille »passend« finden, genau so, als wäre sie ein Schuh. Das war Grund genug, ihr keinen Ring an den Finger zu stecken.
Während Matt sich eilig rasierte, behielt er seine Überlegungen für sich. Er hatte weder Lust, das Ganze mit Camille zu diskutieren, noch war er in der Stimmung, gleich an einer stinklangweiligen Gala teilzunehmen. Doch manche Dinge im Leben musste man tun, ob man wollte oder nicht.
Eine knappe Stunde später schritt er mit Camille am Arm über den roten Teppich zum Kongresszentrum, das heute Abend feierlich geschmückt und ausstaffiert war. Die High Society des Nordens kam zusammen, um Geld für einen guten Zweck zu sammeln. Für Matt war es jedoch mehr als das, neben Wein, hoffentlich gutem Essen und der großzügigen Spendenbereitschaft, ging es für ihn gleichzeitig auch ums Netzwerken. Hier traf man die richtigen Leute, sehen und gesehen werden, das war das Motto. Man hatte sich in Schale geschmissen, niemand verbarg, was er oder sie hatte. Im Gegenteil. Brillanten und andere exklusive Schmuckstücke funkelten an Hälsen und Ohren, feine Stoffe schimmerten im sanften Schein der Kerzen und Lampen. Sanfte Klaviermusik drang durch den großen Raum, als sie den Saal betraten, in dem unzählige runde Tische arrangiert worden waren. Weiße Decken und Stuhlhussen gepaart mit silbernen Leuchtern und gelben Rosengestecken zauberten eine edle Atmosphäre.
Hier und da unterhielten sie sich mit Bekannten oder Geschäftspartnern. Ein Kellner mit weißem Jackett und schwarzer Fliege bot ihnen Champagner von einem Tablett an.
Camille griff zu, ihre rot lackierten Nägel leuchteten, als sie das Glas umfasste. Matt zögerte und schüttelte den Kopf. »Könnten Sie mir bitte ein Wasser bringen? Danke.«
Er spürte Camilles Seitenblick. Sie trug keinen Schmuck an ihrem langen Hals, er fragte sich, ob das eine stumme Aufforderung für ihren nahenden Geburtstag war, während er lächelte. »Einer muss fahren«, beantwortete er ihre stumme Frage.
»Wir könnten genauso gut ein Taxi nehmen«, gab sie zurück und verzog ihre rot geschminkten Lippen zu einem Lächeln, das eine makellose Reihe gerader weißer Zähne entblößte.
»Ich fürchte, dass ich nachher noch arbeiten muss.«
Ihre perfekt gezupften Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen. »Nicht dein Ernst.«
Er zuckte die Schultern und ärgerte sich. Sie wusste so gut wie er, dass ihre Jobs nicht von neun bis fünf zu erledigen waren. Wenn ein Deal anstand, arbeitete man rund um die Uhr, und er hatte heute schon genug Zeit mit seinem Besuch in Kiltarff verplempert. Wertvolle Stunden, die er dringend aufarbeiten musste – ob er nun wollte oder nicht. Aber es gab noch einen weiteren Grund, warum er gern auf Champagner verzichtete. Veranstaltungen dieser Art waren schon lange kein Vergnügen mehr, sie waren zu einer langweiligen Pflicht geworden, die er zwar erfüllte, weil sie wichtig für Job und Netzwerk war, aber Freude empfand er keine dabei.
Der Abend zog sich nahezu endlos, die Tischgesellschaft versprühte ungefähr so viel Esprit wie eingeschlafene Füße. Immerhin, für den guten Zweck kam einiges zusammen, und Camille schien sich, im Gegensatz zu ihm, prächtig zu amüsieren. Gerade lachte sie herzlich über einen Witz, den der alte Lord Winterbury gemacht hatte. Ein Greis mit Bauchansatz, weißem Haar und Oberlippenbart. Matt rang sich ein Lächeln ab, während er ein Gähnen unterdrückte. Winterburys Frau hatte ein Gebiss wie ein Clydesdale, die alte schottische Pferderasse, und den Humor einer Zitrone. Nun musste Matt doch grinsen, während er verstohlen auf seine Uhr schaute. Kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Gott sei Dank, bald war diese lästige Veranstaltung vorüber. Nach dem Dinner würde sich die Tischordnung auflösen, und er konnte sich noch ein wenig mit den anderen Gästen unterhalten. Das würde er genau ein halbes Stündchen aushalten und sich vom Acker machen. Sein Schreibtisch rief, nicht, dass er hochmotiviert wäre, aber er hatte keine Wahl. Außerdem konnte er vermutlich sowieso nicht schlafen, also spielte es auch keine Rolle, wenn er sich wenigstens die Nacht mit etwas Sinnvollem um die Ohren schlug.
Nachdem die Dessertteller abgeräumt waren, trat die Gastgeberin des Abends, eine reiche Witwe, die sich für Waisenkinder in Afrika engagierte, noch einmal auf die Bühne.
»Vielen Dank, meine Lieben. Ihr wart so großzügig, und bis jetzt sind dreihunderttausend Pfund zusammengekommen. Ich freue mich sehr! Und jetzt bitten wir unser großartiges Servicepersonal, die Tische beiseitezuschieben. Es darf getanzt werden!« Sie strahlte wie das buchstäbliche Honigkuchenpferd und klatschte in die Hände. Der Vorhang lüftete sich, und eine Band kam zum Vorschein, die direkt loslegte. Ein Raunen ging durch den Saal, und Matt hob eine Braue. Er wunderte sich immer wieder, wie einfach manche Leute zu beeindrucken waren und worüber man sich auch in diesen Kreisen noch freute. Er atmete tief ein und aus und spürte, wie erschöpft er wirklich war.
»Kommst du?«, hörte er Camilles Stimme, die schon aufgestanden war. Die funkelnde Clutch trug sie in der linken Hand. Ihr Kleid war eng anliegend und tief ausgeschnitten, es betonte jede ihrer verführerischen Kurven. Seltsamerweise löste ihr Anblick heute nichts in ihm aus, nicht einmal den Hauch von Erregung. Das musste an der Überarbeitung und Müdigkeit liegen, sagte er sich und stand auf. Er bot ihr seinen Arm, man konnte ihm viel nachsagen, aber nicht, dass er kein Gentleman wäre, und führte Camille zum Rand des Geschehens. Die Band spielte einen poppigen Song, emsige Servicekräfte strömten von überallher, und in Nullkommanichts war die Tanzfläche genau das: ein blank poliertes Parkett. Es dauerte kaum einen Wimpernschlag, bis die ersten Paare anfingen zu tanzen. Er spürte Camilles drängenden Blick auf sich. Also gut, sagte er sich und zwang sich zu einem Lächeln. »Darf ich bitten?« Sie legte ihre Hand in seine und genoss diesen Gang. Ein langsames Lied erklang, und Camille schmiegte sich an ihn und wippte mit ihm im Takt. Matt war ein guter Tänzer, nicht, dass es ihm von Natur gegeben wäre, aber wenn man eines auf diesen höllisch teuren Jungs-Internaten lernte, dann, wie man sich zu benehmen hatte. Tanzkurs inklusive. Und dabei hatten sich alle mächtig ins Zeug gelegt, waren diese Stunden doch die seltenen Möglichkeiten, mit gleichaltrigen Mädchen in Kontakt zu kommen.