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Joan Darque

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Beschreibung

**Wenn ein einziger Blick deine Mauern einstürzen lässt…** Cassie steht nach sieben Jahren plötzlich wieder vor ihrem Highschool-Schwarm Julian, einem der begehrtesten Junggesellen der Manhattaner Klatschpresse. Und mit einem Schlag sind all ihre verdrängten Gefühle wieder da: das Herzklopfen, das sein intensiver Blick bei ihr auslöst, aber auch der Schmerz durch seine Zurückweisung. Doch diesmal ist alles anders. Denn Cassie ist kein naives Schulmädchen mehr, sondern eine erfolgreiche Architektin. Und es ist Julian, der sie um ein Date bittet...   //Textauszug: Es war genau wie früher. Die Wärme, das elektrisierende Kribbeln. Er schaffte es innerhalb von Sekunden, mich vollkommen zu lähmen und den vollen Raum nur auf uns zu reduzieren.// //»Highschool Sweetheart. Immer wieder zurück zu dir« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Joan Darque

Highschool Sweetheart. Immer wieder zurück zu dir

**Wenn ein einziger Blick deine Mauern einstürzen lässt …**Cassie steht nach sieben Jahren plötzlich wieder vor ihrem Highschool-Schwarm Julian, einem der begehrtesten Junggesellen der Manhattaner Klatschpresse. Und mit einem Schlag sind all ihre verdrängten Gefühle wieder da: das Herzklopfen, das sein intensiver Blick bei ihr auslöst, aber auch der Schmerz durch seine Zurückweisung. Doch diesmal ist alles anders. Denn Cassie ist kein naives Schulmädchen mehr, sondern eine erfolgreiche Architektin. Und es ist Julian, der sie um ein Date bittet …

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Vita

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© privat

Joan Darque wurde 1988 in Berlin geboren, von da aus ging es ins idyllische Brandenburg, bis sie zu Beginn ihres Psychologiestudiums wieder in die große Stadt zurückzog. Schon als kleines Kind begann sie sich Geschichten auszudenken und zu Papier zu bringen. Die Geschichten wurden größer, das Papier zum Bildschirm, aber die Passion blieb. Unter dem Pseudonym Joan Darque schreibt sie vor allem in den Genres Young Adult und New Adult, manchmal mit fantastischem Einschlag, aber so gut wie immer mit einer guten Portion Liebe.

Kapitel 01

Heute

Paulina öffnete die Tür und musterte mich. »Was ist das?«, fragte sie und zeigte mit dem Finger von oben nach unten an mir herab.

Ich wusste nicht genau, was sie meinte. »Wieso, was hast du denn?«

Ich sah an mir hinunter. Schwarzes schlichtes Top, enge Jeans, Mantel, Schuhe. Alles da. Mein Albtraum, ohne Hose das Haus zu verlassen, war nicht wahr geworden.

»Ich sage dir, wir gehen in einen der hippsten Clubs und das ist deine Kleiderwahl?«

Ich atmete tief ein und aus. Es war fast, als wäre ich noch mit Kylie auf der Highschool. Immer wieder die gleichen Diskussionen. Ich konnte mich durchaus angemessen kleiden, wenn es darauf ankam. Aber gerade heute kam es nun wirklich nicht darauf an, deswegen würde ich genau das anziehen, was ich wollte und in dem ich mich am wohlsten fühlte.

»Darf ich dich daran erinnern, dass ich mitgeschleift werde? Also, das ist es, was du kriegst. Nimm es oder lass es.«

Ein wenig hoffte ich sogar, dass ich gleich wieder nach Hause gehen konnte. Ein gemütlicher Abend auf meiner Couch mit einem Schluck Wein und noch ein bisschen Arbeit. Das Projekt, an dem ich gerade arbeitete, nahm mich voll und ganz in Anspruch. Ich liebte es.

Seufzend machte Paulina einen Schritt zur Seite. »Na los, komm schon rein.«

Sie selbst trug ein silbernes Kleid voller Pailletten, das sich wie eine zweite Haut an ihre Kurven schmiegte und ihrer dunklen Haut schmeichelte. Ich zog die Augenbrauen nach oben. Ich fand es immer wieder erstaunlich, wie einige Frauen es schafften, etwas zu tragen, das kurz unter dem Hintern endete, ohne dass es hochrutschte, wie es garantiert mir passieren würde. Vielleicht gab es ja irgendeinen Geheimtipp wie doppelseitiges Klebeband. Ich würde Kylie mal darauf ansprechen, wenn wir unseren wöchentlichen Telefonanruf absolvierten.

Ich betrat ihre großzügige, geschmackvoll eingerichtete Wohnung und lief durch bis ins offene Wohnzimmer, in dem noch der Fernseher lief.

»Ich bin gleich fertig, nur noch einen Moment«, rief Paulina mir zu und verschwand im Bad.

Entspannt lehnte ich mich auf der Couch zurück. Ich würde garantiert noch die nächsten fünfzehn Minuten hier verbringen, obwohl Paulina so aussah, als müsste sie sich nur noch die Schuhe anziehen.

Eine Parfümwolke waberte aus dem Bad bis in meine Nase. Gelangweilt schaute ich zum Fernseher. O Scheiße. Ein Promimagazin ging die neusten Skandale der Reichen und Schönen durch. Hektisch suchte ich nach der Fernbedienung. Ich fand sie nicht besonders versteckt auf dem Couchtisch und schaltete schnell den Kram aus.

»Hey, ich wollte das noch sehen!«, sagte Paulina und rannte an mir vorbei in ihr Schlafzimmer.

»Du bist nicht mal in diesem Raum! Wie willst du es dann sehen?«

Ich sank wieder zurück auf die Couch und suchte nach Ablenkung. Aber da war nur noch ein Stapel Frauenzeitschriften, den ich sicher ebenso wenig anrühren würde.

»Ich bin doch nicht taub. Ich hätte es gehört.« Sie kam wieder zu mir, während sie sich ein paar große, auffällige Ohrringe reinfummelte. »Ich weiß echt nicht, wieso du immer so empfindlich auf die Klatschpresse reagierst. Wirklich. Ist dir mal aufgefallen, dass du dem fast schon krankhaft aus dem Weg gehst?«

Ich murmelte etwas Unverständliches in mich hinein.

»Ich schwöre dir, ein bisschen Boulevardpresse macht nicht gleich dümmer. Sieh mich an.« Selbstbewusst zwinkerte sie mir zu. Dann maß sie mich wieder kritisch mit den Augen. »Du hättest dir wenigstens Schmuck anziehen können.«

»Ich trage nicht so gerne Schmuck.«

Auch das wusste sie. Aber ich verzieh ihr, weil es das erste Mal war, dass wir zusammen in einen Club gehen würden. Es war sowieso das erste Mal seit langer Zeit, dass ich so ein Etablissement von innen sehen würde. Wann war ich das letzte Mal tanzen gewesen? In meiner Studienzeit? Ja, vermutlich. Und auch da nur zweimal im Jahr, wenn es hochkam.

Eigentlich war es ganz gut, dass ich eine Freundin wie Paulina hatte, die mich zwang mal aus meinem Trott auszubrechen. Auf der anderen Seite … musste es ein Club sein? Wir hätten auch ins Theater gehen können. Oder in eine gemütliche Bar.

»Okay, dann keinen Schmuck, aber wie wäre es mit hohen Schuhen? Uh, du siehst in hohen Schuhen bestimmt Bombe aus. Soll ich mal gucken, ob ich welche für dich finde? Wir haben doch dieselbe Größe, oder? Was ziemlich unfair ist, wenn man bedenkt, dass ich ungefähr zehn Zentimeter kleiner bin als du.«

»Nein, auch keine hohen Schuhe«, sagte ich mit Nachdruck. Ich mochte es nicht, plötzlich so riesig zu sein, dass ich mir wie ein Leuchtturm vorkam. »Und jetzt motz nicht rum. Hast du gesehen, wie eng diese Jeans ist?«

»Aufstehen. Drehen.« Sie kreiste mit dem Zeigefinger in der Luft.

Ich tat ihr den Gefallen.

»Ja, na immerhin. Trotzdem … das nächste Mal etwas mehr Bling-Bling, wenn ich bitten darf.«

Ich nickte nicht. Es wäre eine Lüge gewesen. Deswegen schwieg ich nur, was Paulina nicht weiter auffiel, da sie schon wieder ins Bad huschte. Als sie wieder rauskam sprayte sie sich ihren Kopf so sehr mit Haarspray ein, dass ich dem Ozonloch quasi beim Wachsen zusehen konnte.

»Sind wir jetzt fertig?«, fragte ich. »Und mit wir meine ich dich.«

Sie funkelte mich an, aber das hatte sie verdient. »Ja. Nur noch Schuhe und Mantel.«

Ich stellte mich neben sie, damit sie sich an mir abstützen konnte, während sie in die mörderischen Schuhe schlüpfte, die perfekt zum Kleid passten. Ich wäre mit den Dingern vermutlich alle zehn Schritte hingefallen, geschweige denn, dass ich darin hätte tanzen können. Aber Paulina trug auch im Büro so gut wie immer hochhackige Schuhe und würde damit sicherlich kein Problem haben.

»Hach, glaub mir, Cassie«, seufzte sie. »Wenn du erst mal in mein Alter kommst …«

»… also in vier Jahren«, fügte ich hinzu.

»… dann wirst du auch jedes Wochenende nutzen wollen, um auf Männerfang zu gehen, wenn du bis dahin nicht schon jemanden hast. Oder wie meine Mutter so schön sagen würde: Die biologische Uhr rennt.«

Paulinas Mutter war bestimmt eine ganz reizende Frau.

»Du denkst, du findest den Mann deines Lebens in einem Club?«, fragte ich zweifelnd.

Ein verschlagenes Lächeln huschte über ihre vollen Lippen. »Nee, aber ich finde Männer für was anderes. Und daran fehlt es mir zurzeit auch.«

Ich lachte.

»Was ist mit dir?« Sie puffte mir in die Seite, während wir zusammen die Wohnung verließen. »Das mit Tobias ist jetzt schon über ein Jahr her, oder? Wie organisierst du denn dein Sexleben seitdem?«

Ich zuckte nur mit den Schultern. Die Wahrheit war: gar nicht. Aber das konnte ich ihr nicht sagen. Würde ich das aussprechen, würde sie sicherlich entsetzt fragen, wie ich das aushielt. Und dann würde ich zugeben müssen, dass es mir gar nicht schwerfiel. Und wie sie mich dann ansehen würde, das wollte ich lieber gar nicht erst wissen.

»Na komm schon.« Sie schloss die Wohnung ab. »Wir kennen uns doch jetzt auch schon so um die zwei Jahre. Habe ich mir nicht ein paar schmutzige Details verdient?«

»Da gibt es wirklich keine schmutzigen Details.«

»Guter Vibrator, mh? Ja, ja. Aber ab und zu brauche ich mal einen Mann zwischen meinen Schenkeln … ups, war das zu offensiv?« Sie lachte mit ihrer angenehm dunklen Stimme und hakte sich bei mir unter.

»Ich bin schon groß und verkrafte das«, versicherte ich ihr.

Ich hatte mich eigentlich nie als prüde eingeschätzt, was den Lebensstil anderer Personen betraf. Mein eigenes Privatleben war jedoch schon etwas prüde. Ich hatte über bedeutungslose One-Night-Stands nachgedacht, aber es hatte nie lange gedauert, bis ich zu der Erkenntnis kam, dass das nichts für mich war. Ich glaubte einfach nicht, dass mir das irgendetwas geben konnte. Was ich wollte, war eine stabile Partnerschaft, in der man sich blind auf den anderen verlassen konnte. Aber allein kam ich ebenfalls gut zurecht. Bisher war ich in meinem Leben länger Single gewesen als mit jemandem zusammen, also war ich es gewohnt. Auf meinem Liebesleben-Konto befanden sich bisher nur zwei ernsthafte Beziehungen. Mein erster Freund, den ich im ersten Jahr meines Studiums kennengelernt hatte, und Tobias. Tobias, mit dem ich vermutlich immer noch zusammen wäre, wenn er nicht ein Jobangebot bekommen hätte, das er auf keinen Fall hatte ablehnen können. Ich hatte nicht mitgehen können, mein Platz war zurzeit in New York, etwas anderes hatte nie zur Debatte gestanden. Aber wenn ich an eine stabile Partnerschaft dachte, dann musste ich unweigerlich an Tobias denken. Danach hatte es nur noch ein paar Dates gegeben, von denen keins über Knutschen hinausgegangen war. »Na gut, mal sehen, was der Abend so bringt.«

Mit beschwingten Schritten traten wir auf die offene Straße. Paulina kannte sich hier gut aus und hatte uns innerhalb von Sekunden ein gelbes Taxi herangewinkt. Mit gemischten Gefühlen stieg ich ein.

***

»Ich habe dir ja gesagt, dass dieser Club hier total angesagt ist!«, rief Paulina mir mit einem so strahlenden Lächeln zu, dass der Begeisterungsfunken fast auf mich übergesprungen wäre. Fast.

Ich quälte mich ebenfalls zu einem Lächeln, um ihr nicht die gute Laune zu verderben, und nickte ihr aufmunternd zu. Ich hatte nie in Zweifel gezogen, dass dieser Club wahnsinnig hip und modern war. Nur leider war er dadurch auch sehr überfüllt. Meine Laune hatte sich bereits drastisch in der ellenlangen Schlange vor der Tür verschlechtert. Hier drin, wo sich lauter fremde Körper gegen mich pressten, sank sie geradezu auf den Nullpunkt. Schon der Gedanke, dass sich eine fremde Hand auf einen Körperteil legte, auf den sie definitiv nicht hingehörte, behagte mir nicht sonderlich.

Es erinnerte mich mal wieder daran, dass ich so gar keine Probleme damit hatte, uncool zu sein. Aber laut Paulina war es unmöglich, in Manhattan zu wohnen und nicht einmal in diesem Club gewesen zu sein. Ich hatte darauf verzichtet, sie darauf hinzuweisen, dass ich strenggenommen in Brooklyn wohnte und nur in Manhattan arbeitete.

Auf Paulina schienen die aufgeheizte Stimmung und der zwangsläufige enge Körperkontakt zu jedem anderen in diesem Raum eine gegenteilige Wirkung zu haben. Automatisch begannen ihre Hüften zu dem Takt der Musik zu kreisen und ihr Lächeln schien immer breiter zu werden. Flirtend warf sie ein paar Blicke nach links und rechts, wobei ich mir nicht sicher war, ob diese an bestimmte Männer gerichtet waren oder einfach nur vorsorglich verstreut wurden. Weniger eine Angel als vielmehr ein Fischernetz.

Energisch schnappte sie sich meine Hand und zog mich direkt auf die Tanzfläche. Obwohl es schwer war zu sagen, wo die Tanzfläche begann und wo sie endete, denn die Leute tanzten einfach überall. Der Bass wummerte so, dass ich ihn in meinem Brustkorb fühlte. Die Lieder waren die gleichen, wie man sie jeden Tag im Radio oder in den Geschäften hörte. Die Art Lieder, denen man nicht entkommen konnte, selbst wenn man es unbedingt wollte.

»Ich glaube, ich brauche erst mal einen Drink«, rief ich ihr zu, damit sie mich verstand.

Sie winkte ab. »Ach, quatsch, die kommen bald von ganz alleine.«

Schön, ich wollte meinen aber lieber ohne K.-o.-Tropfen. Trotzdem ließ ich mich dazu hinreißen, erst einmal einfach nur zu tanzen. Wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch Spaß haben, selbst wenn es bei mir wahrscheinlich nicht so sinnlich aussah wie bei Paulina.

Ich schloss die Augen und versuchte den Beat durch meinen Körper laufen zu lassen. Vermutlich würde es mit dem Tanzen besser klappen, wenn ich nicht so viel darüber nachdenken würde, wie ich womöglich dabei aussah. Es ging schließlich auch nicht darum, es zu können. Kein Preisrichter würde neben mir auftauchen und mich tadeln. Daher konnte ich auch nichts falsch machen. Dieser Gedanke, der mich eigentlich beruhigen sollte, hallte in mir nach und weckte unangenehme Erinnerungen. Oder besser gesagt gute Erinnerungen, die schmerzten.

»O mein Gott!« Paulina riss mich am Arm so abrupt zu ihr, dass ich fast umfiel. »Schau doch mal zur VIP-Lounge!«

Meine Augen suchten den abgetrennten Bereich ab, der wie eine Empore aufgebaut und nur über eine abgesperrte Treppe erreichbar war. Er war großzügig, mit flauschigen Sofas und Go-go-Girls auf Separees. Es gab sogar eine Kellnerin, die nur für die Leute dort bereitstand. Alles, damit die Crème de la Crème sich nicht unters einfache Fußvolk begeben musste.

Ich musterte die Leute dort das erste Mal heute Abend genauer und fragte mich, welchen Promi ich gleich zu Gesicht bekommen würde. Michael Jackson? Whitney Houston? Oder irgendwen, der tatsächlich noch lebte? Dass ich die Boulevardpresse mied, hatte den Effekt, dass ich so gar nicht wusste, wer gerade angesagt war. Vermutlich würde ich denjenigen nicht einmal erkennen, wegen dem Paulina so aus dem Häuschen war.

Und dann sah ich ihn. Sämtliches Blut schien aus meinem Körper zu weichen, als hätte man an meiner Ferse den Stöpsel gezogen. Ihn ab und zu mal im Fernsehen und in der Klatschpresse zu sehen, wenn es sich nicht vermeiden ließ, war das eine. Live mit ihm in einem Raum zu sein, auch wenn noch so viele Leute als Puffer dienten, eine vollkommen andere. Ich fühlte mich taub, aber gleichzeitig schien alles zu kribbeln.

»Das ist doch Julian Moretti, oder?«, fragte mich Paulina in einer viel höheren Tonlage als normalerweise. »Von den Morettis von Moretti Industries? Junggeselle des Jahres?«

Ich nickte langsam, schluckte, fragte mich gleichzeitig, woher die Spucke kam, denn mein Mund war trockener als das Death Valley.

»Ja«, sagte ich mit rauer Stimme, die man sicherlich kaum verstand, aber mein Nicken würde wohl ausreichen. »Ja, das ist er.« Zweifellos.

»Cassie?« Paulina schüttelte an meiner Schulter und holte mich aus meiner Starre. »Cassie, was ist denn los? Du siehst aus, als hättest du gerade eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung.«

Gewissermaßen hatte ich das auch. Julian hatte sich kaum verändert. Außer, dass er es geschafft hatte, noch umwerfender auszusehen. Die Gesichtszüge eines hübschen Jungen waren die eines Mannes geworden, schärfer umrissen und ein wenig kantiger. Die Gleichgültigkeit, die er ausstrahlte, die anscheinend nichts erschüttern konnte, war dieselbe geblieben. Links und rechts von ihm saßen eine paar hübsche Frauen, von denen ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher war, dass es sich um Laufstegmodels handelte. An seinem Hals sah man noch die Ausläufer seines Tattoos, von dem ich wusste, dass es sich über seinen linken Brustkorb, seine Schulter und ein wenig über seinen Rücken erstreckte. Es war schwer, den Paparazzi-Fotos, die ihn am Strand zeigten, vollkommen aus dem Weg zu gehen.

So viel schwemmte in mir wieder an die Oberfläche, das ich vergessen hatte. Oder viel eher hatte vergessen wollen. Dieses Kapitel meines Lebens war ja so was von vorbei.

Ich wandte mich ab. Wenn ich den ganzen Abend mit dem Rücken zur VIP-Lounge tanzte, konnte ich es schaffen, ihn heute nicht mehr wiederzusehen. Und ich würde ganz sicher keinen Fuß mehr in diesen Club setzen.

Ich sah über meine Schulter. Ein letzter Blick, bevor ich die Vergangenheit endgültig hinter mir ließ. Als sich unsere Blicke trafen, setzte mein Herz für einen Moment komplett aus. Er schien mich direkt anzusehen. Und obwohl ich wusste, dass es Quatsch war, dass er von seinem erhöhten Podest einfach nur zu einer ganzen Masse an Menschen hinuntersah, konnte ich meinen Blick nicht von ihm lösen. Es war genau wie früher, löste die gleichen Gefühle in mir aus. Die Wärme, das elektrisierende Kribbeln. Er schaffte es innerhalb von Sekunden, mich vollkommen zu lähmen und den vollen Raum nur auf uns beide zu reduzieren.

Aus der Entfernung konnte ich sie nicht erkennen, aber plötzlich erinnerte ich mich wieder ganz genau an die Farbe seiner Augen. Sie waren grün. Ein ganz bestimmtes, warmes Grün. Mit einem gelegentlichen Funkeln in ihnen, das mich schwach machte. Gemacht hatte. Machte.

Er stand auf. Ging zur Brüstung und stützte sich darauf ab, während ich vollkommen unfähig war, meine Augen davon abzubringen, jede einzelne dieser Bewegungen gebannt zu verfolgen. Julian hatte immer seine eigene Art gehabt, sich zu bewegen, und ich hatte das Gefühl, diese Eigenart hatte sich noch mehr ausgeprägt. In meinem Kopf erschien das Bild eines Jaguars, der durch den Dschungel pirschte. Jemand, der keine zu plötzlichen Bewegungen machen wollte, um seine Beute nicht zu verschrecken, aber sich doch bei allem, was er tat, darüber bewusst war, dass er derjenige war, der das Sagen hat.

Sein Kopf war immer noch in unsere Richtung gewandt. Paulina neben mir kicherte wie ein kleines Mädchen, was so gar nicht zu der Vollblutfrau passte, die sie sonst war. »Man könnte fast meinen, er schaut zu uns.«

»Das ist doch Unsinn.«

Allein bei dem Gedanken wurde mir aber ganz anders. Vergiss es, hallten seine Worte in mir nach. Ich hatte gedacht, diese Abfuhr ganz tief in mir vergraben zu haben. Aber trotz den sieben Jahren, die seither vergangen waren, war die Erinnerung immer noch da und ließ mich nicht kalt. Das war doch lächerlich. Schau dich nur mal an.

»Mir geht es nicht gut«, sagte ich kurz angebunden. »Ich denke, ich nehme mir ein Taxi nach Hause.«

Bei ihrer Männerjagd stand ich Paulina ohnehin mehr im Weg, als dass ich etwas beitragen konnte.

»Was?« Entsetzt riss sie ihren Kopf zu mir rum. »Wirklich? Bist du dir sicher?«

Ich nickte und legte meine Hand auf meinen Bauch. Er fühlte sich tatsächlich ganz flau an.

»Wir machen irgendwann was anderes zusammen«, versprach ich, weil mich das schlechte Gewissen packte.

Sie legte mir mitfühlend die Hand auf die Schulter und nickte.

So schnell es ging, flüchtete ich aus dem Raum, ohne mich noch einmal zur VIP-Lounge umzudrehen. Ich hasste mich dafür. Ich hasste mich, weil ich wegrannte, statt wie ein vernünftiger Erwachsener mit der Situation umzugehen. Himmel, er war doch nicht einmal ein Exfreund, nur ein blöder Schwarm aus Teenager-Zeiten, der mir eine Abfuhr erteilt hatte. Und trotzdem hatte er noch immer solch eine Macht über mich, dass ich mir von ihm den Abend verderben ließ. Das hasste ich am meisten.

Kapitel 02

Damals

»Aah! Atme doch mal diese Luft ein.« Kylie stand mitten auf dem Schulhof, die Arme ausgebreitet, als wollte sie eben jene Luft umarmen. Die ersten schauten schon zu uns herüber. Meine Mundwinkel zuckten. Kylie war schon eine Nummer für sich, aber ich kam nicht umhin, sie gerade dafür zu lieben.

»Kylie, die Luft ist die gleiche wie vor dem Schultor. Und auch ungefähr die gleiche wie zu Hause.« Das war mein Part. Sie hob ab und ich gab mein Bestes, damit zumindest ihre Fußspitzen wieder festen Boden berührten.

Und was die gepriesene Luft anging: Sie war nicht einmal besonders frisch. Im August verwandelte sich Florida in einen Bratofen. Oder wie meine Mom es ausdrückte: Die Hölle ist bestimmt kälter. Ich hätte es begrüßt, ein wenig schneller in das klimatisierte Innere der Schule zu kommen, aber Kylie war noch vollkommen in ihrer Begrüßungszeremonie gefangen.

»Nein, Cassie, du verstehst das nicht. Alles ist jetzt anders, verstehst du? Es ist die Highschool, wir sind jetzt die Großen, ein ganz neuer Lebensabschnitt hat begonnen. Und er wird großartig werden.«

Sie drehte sich überschwänglich im Kreis. Noch mehr Mitschüler drehten ihre Köpfe zu uns. Einer aus dem oberen Jahrgang schüttelte den Kopf, als er an uns vorbeiging und murmelte etwas in sich hinein, was sich verdächtig nach einem abfälligen »Frischlinge« anhörte. Kylie schien fest entschlossen, ihr neues Leben mit einem Ruf als Verrückte zu beginnen.

»Es ist nicht Walhalla, sondern nur eine Schule.«

»Ich liebe deinen schonungslosen Praktikismus.«

»Das ist nicht mal ein echtes Wort.«

»Siehst du, das meine ich.«

Sie hakte sich bei mir unter und schlenderte mit mir gemeinsam auf das prachtvolle Schulgebäude zu. Es war viel breiter als hoch und aus stabilen Backsteinen gebaut. Die Fensterrahmen hoben sich weiß von ihnen ab. Hätte es an der Ecke jeweils einen kleinen Turm oder Erker gehabt, hätte man es für eine moderne Burg halten können. Belleford war eine vergleichsweise junge Stadt und stolz darauf, stets wie aus dem Ei gepellt zu wirken, weswegen es auch eine besser verdienende Bevölkerungsschicht anlockte. Selbst unser Trailer Park sah auf den ersten Blick aus wie eine hübsche Gartenanlage, was meine Mom sicherlich dazu veranlasst hatte hierherzuziehen. Außerdem hatten die Schulen einen sehr guten Ruf.

Ich merkte, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete, wenn ich an die vielen Möglichkeiten dachte, die die Zukunft vielleicht für mich bereithielt. Trotz – wie hatte Kylie es genannt? – meines Praktikismus war auch ich in freudiger Grundstimmung auf den neuen Lebensabschnitt.

»Zeig doch noch mal deinen Stundenplan«, forderte Kylie mich auf.

»Ich habe ihn dir bestimmt schon fünfmal gezeigt«, erinnerte ich meine beste Freundin.

»Dann schadet ja ein weiteres Mal auch nicht. Was denn? Denkst du, ich merke mir das? Ich hab mir noch nicht mal meinen eigenen gemerkt.«

Daran hegte ich keinerlei Zweifel. Zum Glück hatte ich das für sie getan. Sie hatte gleich Geschichte, ich Mathe. Ich wusste auch schon in welchem Raum, ich wusste nur noch nicht, wo der Raum lag. Aber das würde sich leicht herausfinden lassen, es sei denn, die Räume hier waren durcheinander nummeriert worden, nur um die Schüler zu verwirren. Was ich bezweifelte.

Ich packte das sauber gefaltete Stück Papier aus und überreichte es Kylie. Die nahm ihren eigen Stundenplan – zerknickt und mit schon mehr als einem Eselsohr – und hielt ihn daneben. Dann stampfte sie frustriert mit dem Fuß auf.

»So ein Mist, wir haben ja fast gar nichts gemeinsam!«, beschwerte sie sich, während wir die breite Treppe hochstiegen.

»Ja, ich weiß«, seufzte ich wehmütig und tätschelte tröstend ihre Schulter. Es würde eine Umstellung werden. Die letzten drei Jahre hatten wir so gut wie jede Sekunde aufeinander gehockt und waren uns dennoch nie leid geworden. Mit ein paar Ausnahmen.

»Aber wir haben immer noch die Pause und, na ja, euer Trailer ist nur circa drei Meter von unserem entfernt«, versuchte ich sie aufzumuntern.

Kylie nickte. »Was nimmst du auch all die schweren Kurse?«, beschwerte sie sich.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich kannte Kylie gut genug um zu wissen, dass »eine gute Ausbildung, vielleicht sogar die Hoffnung auf ein Stipendium« kein gutes Argument für sie war. Wenn ich ihr allerdings erzählen würde, dass ich es wegen irgendeinem süßen Jungen machte, würde sie das wahrscheinlich nachvollziehen können.

Ich betrachtete den breiten Hauptgang mit den Spinden, von denen sich rechts und links kleinere Gänge zu anderen Klassenzimmern abzweigten. Ein wenig verwirrend, aber ich war mir sicher, es war ein Kinderspiel, wenn man erst ein paarmal hier gewesen war.

»O mein Gott, o mein Gott, ist das …?«

Ich drehte mich in die Richtung, in die Kylie entgeistert starrte.

»Wer denn, wo denn?«, fragte ich. »Süßer Junge auf acht Uhr?«, riet ich ins Blaue hinein.

»Er ist schon weg, um die Ecke verschwunden.« Ihre Hand krallte sich in meinen nackten Unterarm. »Ich habe ja schon Gerüchte darüber gehört, dass Julian Moretti mit uns auf eine Schule geht, aber es ehrlich gesagt nicht geglaubt. Ich meine, warum sollte er auf eine Öffentliche gehen, selbst wenn sie einen guten Ruf hat, wenn er auch auf jede erdenkliche Private gehen könnte? Aber ich glaube, das war er. Ich bin mir sicher. Zu, sagen wir mal … fünfunddreißig Prozent.«

Auf so was verließ ich mich bei ihr nicht. Ich kannte ihre Mathenoten.

»Und das ist wer?«

»Na, Julian Moretti. Von Moretti Industries!«

Sie sah mich an, bekam dann aber doch noch mit, dass bei mir der Groschen nicht fallen würde.

»Die wahrscheinlich stinkreichste Familie in der Gegend? Sein großer Bruder hat gerade so ein Model geheiratet, das für Victoria’s Secret läuft!«

»Können wir uns einfach darauf einigen, dass mir der Name nichts sagt?«, fragte ich lachend. Und so wirklich interessierte es mich auch nicht. Menschen waren nur Menschen. Geld war das letzte, was sie in meinen Augen wichtiger als andere machte.

»O mein Gott, stell dir mal vor, am Ende habe ich noch einen Kurs mit ihm oder so.« Sie fächelte sich Luft zu, als würde sie hyperventilieren. Ich überlegte, wie schnell ich mein Pausenbrot aus der Papiertüte nehmen könnte, um sie Kylie als Beruhigungshilfe zu reichen.

»Ähm, ja. Ich denke, du musst den Gang entlang und ich den.« Ich zeigte in die entgegengesetzte Richtung.

Kylie umarmte mich stürmisch. Und ein kleinwenig zu fest. War das das Knacken ihrer Finger oder das meines Rückgrats?

»Du wirst sehen«, raunte sie mir zu. »Das wird wundervoll.«

Dann zweigte sie in den Gang ab, den ich ihr gezeigt hatte. Ich musste nur einmal abbiegen, bevor ich vor dem richtigen Raum stand.

Es waren noch nicht viele Leute da. Zwei Mädchen und ein dunkelhaariger Junge, der gerade enen Stuhl wegschob. Unsere Blicke begegneten sich.

»Es ist nicht so, als ob ich ihn brauchen würde«, meinte er mit einem verlegenen Lächeln und schielte kurz auf seinen Rollstuhl.

Ich stellte den Stuhl in die Ecke und setzte mich neben ihn. »Ich bin Cassie«, stellte ich mich vor.

»Sam.«

Lief doch bisher gar nicht mal so schlecht.

***

Nur noch zwei Stunden Geschichte und eine Stunde Physik, dann hatte ich meinen ersten Kurs zusammen mit Kylie. Ich freute mich schon auf ihren ausführlichen Bericht, der sicherlich um einiges länger sein würde als meiner. Für mich war es ein ganz normaler Tag gewesen, wenn auch mit mehr neuen Leuten als gewöhnlich. Aber schon morgen würden sie nicht mehr ganz so neu sein und in spätestens einem Monat würde sich etwas wie Alltag eingependelt haben, mit festen Cliquen und vermutlich auch einer bestimmten Rangordnung. Obwohl die eigentlich jetzt schon klar war. Viele schienen sich noch aus ihrer vorherigen Schule zu kennen. Ansonsten kam es vor allem darauf an, auf welcher Schule man vorher gewesen war.

Die bekannten Gesichter, die ich gesehen hatte, waren alles Leute, mit denen ich nie viel zu tun gehabt hatte. Dafür hatte ich schon das eine oder andere nette Gespräch mit neuen Leuten geführt. Bisher kannte ich Sam, eigentlich Samuel, Alex, eigentlich Alexandra, und Emma … einfach nur Emma.

Ich sah mich um. Ich konnte keinen von ihnen entdecken. Da ich eine der ersten im Raum war, suchte ich mir einen recht zentralen Platz und sah mich um. Ganz hinten saß bereits ein Mädchen, das vollkommen in ihr Buch vertieft war. Sie wollte ich nicht stören. Schräg vor mir befanden sich ein Junge und ein Mädchen, die sich angeregt unterhielten. Das Mädchen würde mir sicherlich das Gesicht zerfetzen, wenn ich jetzt dazwischenfunkte.

Ich packte Block und Stift aus und positionierte sie aus Langeweile so, dass sie exakt parallel zum Tischrand lagen. Nach und nach kamen immer mehr Schüler dazu. Alle unterhielten sich bereits mit jemandem und so hielt ich mich zurück und wartete geduldig darauf, dass die Stunde anfing.

Als letztes kam ein dunkelblonder Junge herein. Mir kam es vor, als würden sich die meisten Köpfe zu ihm umdrehen, sobald er den Raum betreten hatte. Es verstummten sogar ein paar Gespräche. Ich runzelte die Stirn und betrachtete ihn genauer. Man musste zugeben, dass er im klassischen Sinn gut aussah. Ein bisschen erwachsener als die meisten anderen Jungs aus unserem Jahrgang und mit einem symmetrischen Gesicht, als wäre eine Statue zum Leben erweckt worden. Kylie würde ihn bestimmt anhimmeln.

Seine Augen suchten nach einem freien Platz. Sie waren das beste Detail an ihm. Mir gefiel dieses Grün. Kein schreiendes Grün, das einen den Atem anhalten ließ, weil man es schon aus Kilometern wahrnahm, sondern ein warmes Natur-Grün, fast wie das von Moos. Und ich musste mir eingestehen, dass die gleichgültige Gelassenheit, die er ausstrahlte, einen gewissen Reiz auf mich ausübte.

Er setzte sich auf einen der freien Plätze mir schräg gegenüber. Das Mädchen neben mir, das jetzt direkt auf seinen Nacken starren konnte, stieß ein erfreutes Quietschen aus. Verwundert musterte ich sie. Eine leicht übertriebene Reaktion. Gelinde gesagt.

Die gleichgültige Gelassenheit des Jungen verlor augenblicklich sämtlichen Reiz, als er seine Füße auf das Pult vor sich schwang. Empört schnappte ich nach Luft. Das war dreist. Und respektlos. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Die meisten anderen kicherten. Ein Junge streckte den Daumen nach oben, um zu zeigen, wie cool er die Aktion fand.

Ich würde immer zu den Uncoolen gehören. Und um ehrlich zu sein, war ich ziemlich stolz darauf. Cool zu sein, schien vorauszusetzen, dass man sich absolut danebenbenahm. Meist, indem man sich auf Kosten anderer irgendwie hervortat.

Pünktlich mit dem Klingeln rauschte unsere Geschichtslehrerin herein. Ich sah noch einmal auf meinen Zettel. Das musste Mrs Wilson sein. Die Frau war fast so breit wie hoch, wirkte aber sehr resolut. Wie ein dunkler Kugelblitz huschte sie hinein und warf einen strengen Blick in die Runde. Sie würde uns keine Punkte schenken.

Ihr Blick richtete sich sofort messerscharf auf den dunkelblonden Jungen. »Name«, bellte sie ihn an.

Das Mädchen neben mir stieß einen verächtlichen Laut aus.

»Julian Moretti«, meinte der Junge gelangweilt, ohne seine Füße auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Jetzt wurde mir so einiges klar. Ich wusste nicht, wieso ich nicht schon früher darauf gekommen war. Vermutlich, weil der Name Moretti so italienisch klang und Julian ganz und gar nicht aussah wie ein Italiener. Die Morettis mussten schon seit Generationen blonde Frauen geheiratet haben.

Ich ballte die Fäuste und presste die Lippen zusammen. Furchtbar, dass er das Klischee des privilegierten Arschlochs voll und ganz bestätigen musste.

»Mr Moretti, Sie nehmen jetzt umgehend die Füße vom Pult und packen sie nie wieder darauf. Nicht einmal in der Pause. Denn wenn ich das noch einmal sehe, sitzen Sie immer noch nach, wenn Ihre Enkelkinder diese Schule besuchen. Haben Sie mich verstanden?«

Einige sahen die Lehrerin entsetzt an, ich applaudierte ihr innerlich. Wenn Julians Eltern wirklich die reichsten Menschen in der Gegend waren, dann hatten sie sicherlich viel Einfluss auf jeden und alles, man wusste doch, wie das lief. Mrs Wilson schien das jedoch egal zu sein.

Langsam und behäbig setzte Julian einen Fuß nach dem anderen auf den Boden und schob sie unter das Pult.

»Glasklar«, sagte er ein wenig spöttisch.

»Gut, denn ich werde es nicht wiederholen.« Schwungvoll drehte sich Mrs Wilson zur Tafel, um so energisch ihren Namen daran zu schreiben, als wollte sie mit der Kreide den Schiefer erdolchen.

Etwas genugtuend sah ich zu Julian, der sich sicherlich schwarzärgerte, weil er aufgrund seiner Herkunft keinen Freifahrtschein bekommen hatte. Er schaute nach vorn zu Mrs Wilson und seine Augen funkelten kurz auf. Interessiert beugte ich mich näher zu ihm, versuchte herauszufinden, was sich in seinem Kopf abspielte. Sein Mundwinkel zuckte kurz. Ich blinzelte. Nein, das hatte ich mir bloß eingebildet. Wer fand es schon amüsant, zusammengeschissen zu werden? Auf den zweiten Blick blieb sein Gesicht jedoch reglos und ich lehnte mich wieder zurück.

Mrs Wilson erläuterte gerade ihren straffen Lehrplan und ich hatte das Gefühl, ich sollte besser mitschreiben.

Kapitel 03

Damals

Vom Bus aus liefen wir Richtung Schule. Entrüstet ließ Kylie meinen Stundenplan sinken. Sie hatte um einige Fächer rote Kreise gezeichnet. Ich würde mir wohl einen neuen ausdrucken müssen.

»Du hast drei Kurse mit Julian und ich keinen einzigen?«, beschwerte sich Kylie, als sei ich persönlich daran schuld. »Das ist dermaßen unfair.«

Es war besorgniserregend, dass ich es schon gar nicht mehr merkwürdig fand, dass sie es irgendwie geschafft hatte herauszufinden, wie Julian Morettis Stundenplan aussah, während sie vermutlich immer noch nicht ihren eigenen kannte.

Ich seufzte. »Wir können gerne jederzeit tauschen.«

Kylie zog die Augenbrauen nach oben. »Wieso?«

»Wieso? Weil er einfach ein arrogantes, reiches Arschloch ist, deswegen. Er ist in Physik fünfzehn Minuten zu spät gekommen. Fünfzehn! Und der Lehrer hat so getan, als ob gar nichts wäre, dabei hat er davor noch ein Mädchen zurechtgewiesen, das nur fünf Minuten zu spät gekommen ist, weil sie den Raum nicht gefunden hat.«

Die Wut in meinem Bauch regte sich von Neuem. Drei Tage an dieser Schule und schon verabscheute ich jemanden so sehr wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Kylie zuckte mit den Schultern. »Aber das ist doch die Schuld des Lehrers, dafür kann Julian doch nichts.«

Ich schnappte nach Luft. Ich konnte nicht glauben, dass sie ihn tatsächlich verteidigte!

»Aber er ist derjenige, der es gnadenlos ausnutzt. Er hat nicht mal gehetzt ausgesehen, verstehst du? Er macht einfach was er will. Einfach, weil er es kann.«

Ich merkte erst jetzt, dass ich unbewusst schneller geworden war und drosselte mein Tempo, damit Kylie nicht noch vor dem Sportunterricht neben mir herrennen musste.

Wir gingen am Hauptgebäude der Schule vorbei. Die Sporthalle und das Gelände dazu lagen ein Stück weiter entfernt.

»Er ist genauso alt wie wir, Kylie. Er hat noch absolut gar nichts in seinem Leben geleistet oder erreicht. Trotzdem denkt er schon, er wäre etwas Besseres als wir alle.«

Verträumt sah meine beste Freundin in den wolkenlosen, blauen Himmel. »Er sieht schon ein bisschen besser aus als wir alle.«

»Kylie!« Trotz meiner Wut musste ich lachen.

Wir erreichten die Halle und fanden die Umkleidekabinen ohne Probleme.

»Und überleg mal«, meinte Kylie nachdenklich, während sie sich die Kleider vom Leib streifte und sie auf der Bank zusammenknüllte, »wenn er in vielen von deinen Kursen ist, dann muss er auch ziemlich klug sein, oder? Oder zumindest ehrgeizig.«

Ich verdrehte die Augen. »Bestimmt nicht. Man sieht doch, wie die meisten Lehrer ihm in den Allerwertesten kriechen. Sicherlich schmeißen sie ihm die guten Noten nur so hinterher. Und weißt du was? Ich denke, er erwartet das sogar.«

»Wow.« Auf Kylies Gesicht zeichnete sich ein undefinierbares Lächeln ab. »Du scheinst ihn ja richtig zu hassen. Das habe ich bei dir ja noch nie erlebt, Miss Neutral.«

Ich atmete tief ein und aus. Kylie hatte recht. Er war es nicht wert, dass ich mich über ihn aufregte. Letztendlich konnte er vermutlich gar nichts dafür und war einfach so unausstehlich erzogen worden. Ich fand trotzdem, dass er inzwischen alt genug war, um sein eigenes Gehirn einzuschalten.

»Ich hasse ihn nicht«, sagte ich mit Nachdruck. Kylie sah aus, als würde sie mir kein Wort glauben. »Aber ich hasse es, dass alle so ein Wirbel um ihn machen, aus nicht nachvollziehbaren Gründen.«

»Also bitte … habe ich dich nicht ausführlich über die Fantastizität seiner Kieferstruktur aufgeklärt?«

Ich lachte. »Fantastizität ist kein Wort, Kylie.«

Nachdem wir uns umgezogen hatten, gingen wir nach draußen, wo sich bereits die meisten Mädchen und Jungen getrennt voneinander aufhielten. Wir stellten uns in die Mädchenecke und sahen dabei zu, wie einige begannen, sich aufzuwärmen.

»Das ist so ätzend. Wieso ist Sport Pflicht?«, meckerte Kylie, während sie sich nur halbherzig dehnte. Später würde sie wahrscheinlich wieder Muskelkater haben und sich beschweren.

Ich unterdrückte es, den Kopf zu schütteln, und kniff die Lippen zusammen. Ich hatte schon so oft versucht ihr eine rationale Antwort auf diese Frage zu geben. Von »Hilfe bei der Interessenfindung« bis hin zur wachsenden Fettleibigkeit der Bevölkerung Amerikas. Erst neulich hatte ich gelesen, dass statistisch gesehen die USA das Land mit den meisten fettleibigen Menschen war, was sogar die Kinder betraf. Aber Fakt war, dass Kylie überhaupt keine wirkliche Antwort wollte. Irgendwann hatte ich begriffen, dass es ihr nur darum ging, sich zu beschweren, um ihren Unmut loszuwerden.

»Wow, du bist unglaublich dehnbar. Warst du an deiner vorherigen Schule im Cheerleading-Team?«, fragte eins der Mädchen neben uns mit piepsiger Stimme eine Blondine, die sich ganz in unserer Nähe aufwärmte. In einem tadellosen Spagat.

Ich verdrehte die Augen, weil ich mir sicher war, dass die Dunkelhaarige die Blonde nur beeindrucken wollte, die zu Julians Clique und damit zum Who-is-who der Belleford High gehörte. Aber dass sie gelenkig war, ließ sich wirklich nicht abstreiten.

»Ich habe geturnt. Cheerleading ist nur etwas für Frauen, die nicht ernst genommen werden wollen«, sagte die Blonde barsch und die Dunkelhaarige beeilte sich zu nicken.

»Ja, ja, das sehe ich genauso.«

Wahrscheinlich war sie selbst Cheerleaderin in der Elementary und würde es jetzt aufgeben, weil die Blonde es nicht guthieß.

Langsam erkannte ich immer mehr Nachteile daran, dass diese Schule auch von den reichsten Kids der Stadt besucht wurde. In meiner vorherigen Schule waren die beliebt, deren Eltern einen Mercedes fuhren. Ich hatte das Gefühl, dass man hier erst relevant war, wenn einem das Unternehmen Mercedes gehörte. Das bedeutete anscheinend, dass die Elite hier gleich viel mehr zu sagen hatte und alle anderen umso mehr schleimen mussten.

Kylie hatte meinen Blick bemerkt und beugte sich zu mir rüber. »Das ist Lauren Heartz«, klärte sie mich auf. »Ihr Vater ist ein ziemlich wichtiger Staatsanwalt. Ich hab gehört, er will sogar irgendwann als Senator kandidieren.«

Ein paar Tage und Kylie war schon besser informiert als jedes soziale Netzwerk.

»Und selbst wenn er als Präsident kandidiert, es macht seine Tochter trotzdem nicht sympathischer«, entgegnete ich und wechselte die Position, um mein anderes Bein zu dehnen. Mein Blick glitt über den Sportplatz. Hier fehlte es wirklich an nichts. Sah aus, als könnten hier auch Olympia-Teilnehmer trainieren.

Im Gegensatz zu Kylie freute ich mich auf ein bisschen Bewegung. Ich war keine Sportskanone aber ganz gut im Laufen und im Hochsprung. Mom sagte immer, das läge daran, dass ich so lange Beine habe, dass ich bequem über jede Stange drübersteigen könne.

»Julian scheint das anders zu sehen. Es heißt, die beiden sind schon so gut wie zusammen. Obwohl ich noch nicht weiß, wie viel an den Gerüchten dran ist. Es heißt auch, sie kennen sich schon seit ihrer Kindheit. Da wäre doch schon längst was passiert, wenn das wirklich so wäre, oder was meinst du?«

Ich schmunzelte sie an. »Wieso? Bist du etwa scharf auf die Stelle?«, zog ich sie auf.

»Dagegen hätte ich sicher nichts«, feuerte sie mir sofort entgegen.

Ich musterte sie und versuchte sie zu durchleuchten. Obwohl Kylie und ich einander kannten wie kaum ein anderer, fiel es mir schwer, immer vorherzusagen, was sie machen oder tun würde, dafür war sie einfach zu sehr Wirbelwind. Ich glaube, in den meisten Fällen wusste sie es nicht einmal selbst.

Vieles, was sie sagte, inklusive ihrer permanenten Schwärmerei für Jungs, war nur zum Spaß. Aber nun fragte ich mich, ob sie tatsächlich mit Julian Moretti ausgehen würde, wenn sich eine Gelegenheit ergäbe.

Mein erstes Gefühl sagte mir, dass es mich erheblich stören würde. Das war ja auch kein Wunder. Meine beste Freundin und ein Typ, den ich nicht ausstehen konnte. Und das galt vermutlich für alle, die zu seiner Clique gehörten, wenn ich schon sah, wie Lauren die Dunkelhaarige wie Luft behandelte, bis diese sich schließlich verunsichert aus ihrem Dunstkreis bewegte. Das war doch sowas von klischeehaft. Aber irgendwoher mussten die Klischees ja auch kommen.

»Bitte, Kylie, du könntest jemand Besseres kriegen«, meinte ich zu ihr, woraufhin sie in ein schrilles Lachen ausbrach. »Was? Ich meine das ernst!«

Sie nickte. Eine Träne quoll aus ihrem Augenwinkel. »Ja, ich weiß. Das macht es ja so süß. Aber wenn ich darauf warte, dass Zac Efron an meine Tür klopft, sterbe ich vermutlich als Jungfrau.«

»Ha, ha.«

Vielleicht war es gut so, dass Julian Moretti jemanden wie uns wahrscheinlich nicht mal wahrnahm. Genau wie Lauren, die gerade mit einem großen, gebräunten Jungen an uns vorbeistolzierte, als würde ihr der ganze Sportplatz gehören.

***

Die Sonne brannte unbarmherzig auf uns herunter. Heute Morgen auf dem Sportplatz war es schon heiß gewesen, aber jetzt in der Mittagspause war es nicht mehr zu ertragen. Statt etwas zu essen, hatten Kylie und ich nur literweise getrunken. Ich hatte dennoch nicht das Gefühl, öfter aufs Klo zu müssen. Wahrscheinlich schwitzte ich alles wieder raus. Welch appetitlicher Gedanke.

Kylies Kopf ruhte auf der Steinplatte des Tischs. Es war mir unbegreiflich, wie sie das aushielt.

»Brätst du so nicht dein Gehirn?«, fragte ich matt.

»Doch. Es ist total heiß, aber ich bin zu schlapp, um den Kopf zu heben.«

Ich kicherte und lehnte mich auf der Bank zurück und beobachtete, welche Strategien die anderen gefunden hatten. Einige waren dazu übergegangen, sich ihre Wasserflaschen direkt über den Kopf zu schütten. Was die Jungs höchstwahrscheinlich besonders bei den Mädchen zu schätzen wussten, die heute Weiß trugen.

Mein Blick blieb an Julian kleben. Nicht, weil er mir unter allen Menschen ins Auge gestochen wäre, sondern weil er nicht am Tisch saß, sondern darauf. Seine Haare glänzten feucht, was darauf hinwies, dass auch er schon eine Wasserdusche hinter sich hatte. Aber entweder war sein dünnes T-Shirt verschont geblieben oder es war schneller getrocknet als die dichten, dunkelblonden Haare. Er lag auf dem Tisch, als wäre es eine Liege, und streckte mit geschlossenen Augen sein Gesicht in die Sonne.

Ich schnaubte. Fehlte ja nur noch ein Lehrer, der ihm einen Cocktail brachte, dann wäre die Urlaubsstimmung für ihn perfekt.

An seinem Tisch saß auch Lauren. Ihr träumerischer Blick auf Julian war weniger offensichtlich als bei den anderen Mädchen, aber er war trotzdem da. Vor allem, da ich seit Sport wusste, dass ihr arroganter Gesichtsausdruck sonst wie festgefroren auf ihrem Gesicht lag. Man hätte meinen können, dass sie gar nichts dafür konnte, doch jetzt sah man, dass sie auch anders konnte. Ihre Mundwinkel zogen sich nicht mehr nach unten, sondern waren sogar ein klein wenig nach oben gezogen. Er musste es ihr wirklich angetan haben. Ob es auf Gegenseitigkeit beruhte, konnte ich von hier aus nicht beurteilen. Im Moment sah es ganz danach aus, als würde Julian die Sonne mehr lieben als Lauren.

Ich ließ meinen Blick weiterstreifen. Es herrschte eine ungewöhnliche Stimmung für einen Schulhof. Normalerweise war es in der großen Pause laut und voller Trubel, als hätte man mit einem Ast mitten in einen Bienenstock gestochen. Jetzt wirkte es fast wie ausgestorben, obwohl der Hof voller Menschen war. Die meisten bewegten sich kaum und auch die Gespräche wurden eher gemurmelt als geschrien.

Weswegen Lauren umso mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, als sie plötzlich aufkreischte und fast mit einem Satz zu Julian auf den Tisch sprang.

»O mein Gott, da war irgendwas Pelziges an meinen Beinen. Ihhhh.« Vor Ekel drehte sie sich auf dem Tisch im Kreis und wischte immer wieder an ihren Beinen herum, als wären sie voller Schleim. Wenn da Schleim war, war er allerdings unsichtbar.

Neugierig streckte ich meinen Kopf und auch Julian lehnte sich so vor, dass er unter die Tischplatte spähen konnte. Kylie schien es selbst dafür zu umständlich, ihren Kopf von der Platte zu nehmen, aber immerhin drehte sie ihn von der einen auf die andere Seite, um besser sehen zu können. Die Wange, die jetzt nach oben zeigte, war ganz rot.

Als ich wieder zu Lauren sah, entdeckte ich etwas Braunes, Pelziges unter dem Tisch. Einen Hund. Mit großen Augen schaute er zu uns und sah gleichzeitig schuldbewusst und etwas verschreckt aus. Wahrscheinlich hatte Laurens Ausbruch ihm ein Trauma verpasst. Ihre kleinen Tippelschritte auf dem Tisch hörten sich für ihn vermutlich auch an wie Donnergeröll.

Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. »Sieht ein bisschen aus wie Cujo, oder?«, fragte ich Kylie.

Sie wurde nun doch so neugierig, dass sie ihren Kopf um wenige Millimeter hob. »Ja, hast recht!«

Cujo war ein Hund, der bei uns im Park manchmal herumlief. Ich glaubte nicht, dass er jemandem gehörte, aber er wurde von uns allen gut versorgt.

»Was macht der denn hier?« Ich stand auf, um auf den Hund zuzugehen. Julian war inzwischen von der Tischplatte gesprungen. Mein Blick schnellte zu ihm, weil sein Körper sich vollkommen verspannt hatte. Er starrte unablässig auf den Hund, aber es war unmöglich zu sagen, was ihm durch den Kopf ging. Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Man konnte fast meinen, er hätte Angst vor ihm, aber er entfernte sich auch keinen Millimeter.

Mir lag die Frage auf den Lippen, ob alles in Ordnung sei, aber aus irgendeinem Grund sprach ich sie nicht aus. Vielleicht hatten all die Menschen, die so einen Hype um ihn machten, es schließlich doch noch geschafft, mir das Gefühl zu vermitteln, dass ich als normaler Mensch ihn nicht einfach so ansprechen durfte.

Stattdessen wandte ich mich dem Hund zu, ging so dicht an ihn heran, dass ich fast neben Julian stand und hockte mich dann hin, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Es war tatsächlich Cujo, ein Mischling, von dem man unmöglich sagen konnte, welche Hunderassen sich in ihm vereinten. Theoretisch wäre er wohl groß genug, um einen Menschen zu verletzen, allerdings war es mir schleierhaft, wie man vor diesem Hund Angst haben konnte, mit seinen Schlappohren und seinem braunen Wuschelfell. Seine Zunge hing so weit aus seinem Maul, dass sie fast auf dem Boden schleifte. Vermutlich hatte er sich in den Schatten des Tisches geflüchtet, weil es überall sonst zu heiß war.

Nun, ich musste zugeben, dass ich mich auch mächtig erschrocken hätte, wenn plötzlich etwas Unbekanntes um meine Beine gestrichen wäre, aber Lauren sah auch jetzt noch aus, als hätte sie ihn am liebsten mit einer Kneifzange entfernt.

»Mein Gott, das ist so widerwärtig, der hat bestimmt Flöhe! Wie kommt der überhaupt auf den Schulhof!«, stieß sie aus.

»So wie wir auch«, murmelte ich. Wir befanden uns nicht gerade in einem Hochsicherheitsgefängnis. »Komm schon, Cujo.«

Ich versuchte den Mischling mit der Hand zu locken. Er schien meine Stimme zu erkennen, denn er wedelte freudig mit seinem buschigen Schwanz. Ich wusste nicht, wie Lauren auf die Idee kam, dass er Flöhe haben könnte. Er hatte zwar weder ein Halsband noch eine Markierung, sah aber alles andere als ungepflegt aus.

Meine Mom war Tierarzthelferin und tobte sich oft an den Tieren auf dem Grundstück aus. Ich versuchte sie seit Jahren davon zu überzeugen, dass es noch nicht zu spät für sie war, Tiermedizin zu studieren, vielleicht irgendwann sogar ihre eigene Praxis zu haben. Bisher war sie noch nicht darauf eingegangen und ich hoffte, dass es nichts damit zu tun hatte, dass sie irgendwie Rücksicht auf mich nahm. Eine kleine Stimme in mir sagte mir jedoch, dass das doch der Grund war. Sie sparte lieber für meine Ausbildung als für ihre eigene. Und sie wollte zu Hause sein, um mir so oft wie möglich abends eine vernünftige Mahlzeit zuzubereiten. Dabei wussten wir beide, dass ich so viel besser kochte als sie.

»Cujo, mach schon«, raunte ich dem Hund zu. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie schon die ersten Lehrer zu uns herüberschauten. Bei dem Aufstand, den Lauren veranstaltete, würde es mich nicht wundern, wenn sie ihn ins Tierheim steckten. Aber er hatte ein Zuhause, auch wenn er keine feste Adresse oder einen Besitzer hatte.

Langsam robbte Cujo aus seinem Versteck hervor und auf mich zu. Erleichtert atmete ich aus. Ich packte ihn, als er bei mir ankam und rubbelte über sein Fell. Er winselte leise.

»Keine Sorge, mein Dicker, du hast nichts angestellt«, flüsterte ich.

Einer der Blicke schien mich zu durchbohren und ich sah auf. Julian sah mich mit seinen grünen Augen durchdringend an. Ich fragte mich, wieso er mich dermaßen intensiv ansah.

Ich starrte auf seine Lippen, die sich teilten, um mir etwas mitzuteilen. »Schaff den Köter hier weg.«

Keinerlei Gefühl schwang in diesen Worten mit und trotz der Hitze fröstelte ich.

Schnell wandte ich meinen Blick ab. Ich umschlang Cujo mit meinen Armen und hob ihn hoch, auch wenn er dafür eigentlich zu schwer war. Bis zum Tor würde ich es hoffentlich schaffen. Von dort aus musste Cujo den Weg zurück allein finden. Irgendwie hatte er ja auch hierhergefunden.

Während ich das hechelnde Tier auf meinen Armen trug, konnte ich nicht aufhören daran zu denken, wie kalt Julian diese Worte ausgesprochen hatte und was für ein unfassbarer Ekel er war.

Kapitel 04

Damals

Ich stieg die Treppe des Schulgebäudes hinauf, bis mir die kühlere Luft der Klimaanlage entgegenschlug. Genau hier im Eingang herrschte zur ersten Stunde immer etwas Gedränge, bis sich die große Anzahl der Schüler in den weiterführenden Gängen verlor. Ich schlängelte mich, so gut es ging, zwischen ihnen hindurch, um schneller voranzukommen.

Ich blieb abrupt stehen, als ich Julians dunkelblonden Schopf vor mir sah. Er wurde flankiert von Lauren und einem Jungen, der bereits verboten groß für sein Alter war. Soweit ich wusste, hieß er Gabriel Martínez, aber alle nannten ihn nur Gabe. Die meisten Schüler bemühten sich den anderen, so gut es ging, Platz zu machen, nicht jedoch dieses Dreiergespann. Sie liefen mit einem Abstand zueinander, als würde die gesamte Breite des Flures ihnen gehören, und natürlich drängte sich niemand zwischen sie. Ich war bereits jetzt genervt von ihnen, da half es nicht, auch noch ihr Gerede mitzubekommen. Lauren beschwerte sich über so gut wie jedes einzelne Schulfach und die zugehörigen Lehrer, Gabe darüber, dass es überhaupt so etwas wie Schule gab. Julian sagte nichts, was wohl besser für mein Nervenkostüm war. Gott sei Dank war Freitag und mir stand ein ganzes Wochenende Pause von den Dreien bevor.

»Roll doch mal ein bisschen schneller!«, keifte Lauren nach vorne, wo ich nun Sam erkannte.

Empört schnappte ich nach Luft. Hoffentlich hatte ich mich verhört! Gleichzeig wusste ich aber, dass dem nicht so war. Ich sah mich um. Ein Lehrer stand ganz in der Nähe, aber er schien sich dafür entschieden zu haben zu ignorieren, was Lauren da abzog. Dafür hätte es in jeder anderen Schule eine saftige Verwarnung gegeben. Vielleicht war er ein Referendar, er war noch ziemlich jung, aber anscheinend wusste er schon ganz genau, wer Laurens Vater war und nach welchen ätzenden Spielregeln hier gespielt wurde. Was wollte man auch machen? Sich mit dem Top-Staatsanwalt von Belleford anlegen?

Wütend drückte ich mich zwischen Lauren und Gabe hindurch. Sam sah ausdruckslos nach vorne. Sein Blick war leer, als würde er versuchen absolut alles um sich herum auszublenden, es gar nicht an sich herankommen zu lassen. Ich stellte mich hinter ihn und schob ihn ein bisschen. Ich hoffte, er nahm mir das nicht übel. Ich hatte nur das dringende Bedürfnis, ihm Rückendeckung zu geben. Am besten wäre es, wenn mein Rücken so schalldicht wäre, dass er ihn vor all den hässlichen Kommentaren auf dieser Welt abschirmen könnte, aber leider war er das nicht.

»Na, ist doch wahr. Nur weil man behindert ist, heißt das nicht, dass man alle anderen ungestraft behindern kann«, spuckte Lauren weiterhin ihr Gift. »Und alle sehen es genauso, sind aber zu feige, es auszusprechen.«

Ich schloss die Augen und versuchte langsam bis zehn zu zählen, während ich Sam weiter zu unserem Klassenraum schob. Also eigentlich schob er sich selbst und ich hielt mich viel mehr an dem Rollstuhl fest, um keine Dummheit zu begehen. Ich würde nicht der Tochter des Staatsanwalts im Schulkorridor eine kleben, nein, das würde ich nicht. Obwohl ich noch nie so viel Lust dazu gehabt hatte, Gewalt anzuwenden, von der ich in der Regel eigentlich überhaupt nichts hielt.

Aber Lauren reichte es ja nicht, viel zu tief unter die Gürtellinie zu zielen, nein, sie musste auch noch behaupten, alle anderen wären auch so. Gott sei Dank war dem nicht so.

»Ja, schon ziemlich dreist, was sich einige so herausnehmen«, pflichtete Julian Lauren bei, dessen Stimme ich inzwischen leicht wiedererkannte.

Ich konnte nicht anders. Ich drehte mich herum und funkelte ihn an. Hoffte, dass meine stumme Drohung ankam, aber er schien mich nicht einmal zu bemerken.

Endlich hatten wir den Klassenraum erreicht und Julian und seine Clique gingen an uns vorbei. Ich hätte die Griffe des Rollstuhls wieder loslassen können, aber ich hielt sie weiterhin eisern umschlossen. So fest, dass man hoffentlich nicht merkte, dass meine Finger immer noch vor unterdrückter Wut bebten.

»Ist schon gut, Cassie«, sagte Sam mit matter Stimme zu mir. »Mir wurden schon weitaus schlimmere Sachen an den Kopf geworfen.«

Ich wollte gar nicht wissen, welche das gewesen waren.

Ich zwang mich tief ein- und auszuatmen. Das half tatsächlich ein wenig. Es gelang mir, meine Finger vom Rollstuhl zu lösen und Sam damit freizugeben. Er drehte sich zu mir um, sodass er mir ins Gesicht schauen konnte. Seine dunklen Locken ringelten sich um sein Gesicht, was durchaus ziemlich niedlich aussah. Könnte er laufen, hätte er bestimmt das Zeug zum Mädchenschwarm. Stattdessen musste er sich nun mit so einem Mist herumschlagen.

»Gar nichts ist gut«, betonte ich. »Und es ist alles andere als okay.«

Sam zuckte nur mit den Schultern. Er wirkte inzwischen wieder vollkommen locker und gelassen. Ich wusste nicht, wie er das hinbekam. Nicht in dieser Situation.

Trotzdem beschloss ich mir an ihm ein Beispiel zu nehmen. Diese Idioten waren es nicht wert, dass ich mich über sie aufregte. Ich würde sie ignorieren. Sie einfach vollkommen aus meinem Leben ausblenden. Ich musste immerhin noch vier Jahre an dieser Schule durchhalten.

Zum Glück hatte ich heute meinen Kunstkurs. Zeichnen war immer etwas, was mich entspannte. Und es war noch nie so nötig gewesen, wie heute.

***

Als ich am Nachmittag den Kunstraum betrat, kippte ich fast aus den Latschen, als mein Blick auf Julian Moretti fiel. Nein, nicht hier! Überall, aber nicht hier. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich verstand es auch nicht, denn es war kein Kurs, der Punkte brachte. Die meisten der reichen Kids vermieden die Nachmittagskurse, um ihre Freizeit zu schonen. Besonders, wenn es sich um den Freitag handelte. Um ihren Lebenslauf mussten sie sich ja ohnehin keine Gedanken machen, sie waren immer die Vorsitzenden von irgendwas. Mamas Charity-Veranstaltung wurde als soziales Engagement ausgelegt und wenn das alles nicht half, war der Dekan der Uni sicherlich ein enger Freund der Familie. Zur Not wurde mit einer Spende nachgeholfen.

Aber ich musste mir eingestehen, dass ich gerade deshalb neugierig wurde, warum er hier war. Und dieses Mal war er nicht zu spät, sondern sogar einer der ersten? Ich zögerte. Noch waren genügend Plätze frei. Etwas willkürlich waren große Staffeleien aufgebaut worden und vor eine von ihnen sollte ich mich wohl stellen. Entweder so weit weg von Julian wie nur möglich oder … ich setzte mich in Bewegung und stellte mich an die Staffelei direkt rechts neben ihm. Ich wusste nicht, wieso ich es tat. Vielleicht, weil ich mich gerne mit meinen Problemen konfrontierte, statt vor ihnen wegzulaufen. Ich konnte ihn nicht leiden, aber wir gingen auf dieselbe Schule und ich würde es schon schaffen, irgendwie mit ihm auszukommen.

Julian hob nicht einmal den Kopf, um zu sehen, wer sich dort hingestellt hatte. Aber ich nahm an, das war nur natürlich. Alle seine Freunde hätten ihn sicherlich schon begrüßt und ansonsten war er es wohl gewohnt, dass Menschen seine Nähe suchten.

Seine Augen waren auf die Tuben und die Mischpalette gerichtet. Er hatte sogar schon seinen Becher mit Wasser aufgefüllt. Er starrte die Sachen an, als wolle er etwas herausfinden.

Dann griff er nach einer der Tuben und drückte einen beträchtlichen Klecks der schwarzen Farbe auf die bisher unberührte Mischpallette. Ein bisschen Blau und Rot kamen hinzu, die er zu Dunkelrot, Dunkelblau und einem dunklen Lila vermischte. Fasziniert sah ich ihm dabei zu. In nicht einmal zehn Minuten würde hier eine Lehrerin auftauchen, die uns sicher irgendeine Aufgabe geben würde, aber es war, als könne er es nicht abwarten, als wäre es ein innerer Zwang. Vielleicht hatte er auch keine Lust auf eine Aufgabe. Ich kannte Julian nun wirklich noch nicht lange, aber bisher hatte ich nicht den Eindruck gewonnen, dass er gerne nach den Regeln spielte.

Ganz im Gegensatz zu mir. Ich sah in der Einhaltung der Regeln eine gewisse Form des Respekts meinen Mitmenschen gegenüber. Klar, wir alle wollten lieber den lieben langen Tag tun, wonach auch immer uns gerade war. Aber so funktionierte das nicht. Nicht, dass alle Regeln gut waren, oder dass man sie immer kompromisslos einhalten sollte, aber sie waren wichtig, damit nicht alles in Chaos ausbrach.

Ich war immer noch nicht fähig meine Augen von Julian abzuwenden, obwohl ich vermutlich schon in ein äußerst unhöfliches Starren verfallen war. Er tränkte den Pinsel mit allen drei Farben der dunklen Farbmischung und setzte ihn auf die Staffelei. Er tat es nicht zögerlich, sondern glitt damit in einem dicken fetten Schwung über die halbe Leinwand, als hätte er nichts zu verlieren und als könnte es nicht falsch sein. Unfehlbar, unkorrigierbar. Weitere Striche kamen hinzu. Einige mehr Blau, einige mehr Rot, andere komplett Schwarz. Ich legte den Kopf schief, aber so sehr ich ihn auch drehte und wendete, es war nichts Konkretes, was Julian dort erschuf. Zumindest nichts, was man auf den ersten Blick erkennen konnte. Es waren Linien, mal fast aggressiv, mal in sich verschlungen, die Stück für Stück ein Gesamtbild ergaben.

Eigentlich hasste ich abstrakte Kunst. Sie war so schwer greifbar und letztendlich konnte das auch ein dreijähriges Kind. Kunst war für mich etwas, das ich sehen und zuordnen konnte, worin die Person neben mir das gleiche erkannte, selbst wenn er vielleicht nicht dasselbe dabei empfand. Aber Julians Bild … es war wie ein einziges Gefühl. Und nicht einmal eins, das man in Worte fassen konnte. Es war dieses Gefühl, wenn man glaubte, die Welt würde über einen hereinbrechen und dass es für einen Moment einfach viel zu viel für einen war. Zu viel Angst, zu viel Freude, zu viele Möglichkeiten, zu viel Ungewissheit.

Ich sah auf die Farben, die noch nass schimmerten und deren Geruch in meiner Nase hing, und konnte nicht fassen, dass ausgerechnet Julian Moretti in seiner Malerei so viel ausdrücken konnte. So etwas wie das tiefgründigste Gespräch, das ich je geführt hatte. Nur, dass wir uns noch nie unterhalten hatten. Höchstwahrscheinlich kannte er nicht einmal meinen Namen.

Mrs Simmons, die Kunstlehrerin, flatterte in einem weiten Kleid herein und riss mich aus meiner Trance. Erstaunt stellte ich fest, dass inzwischen fast alle Plätze des überschaubaren Kurses belegt waren. Aus Julians Clique schien tatsächlich niemand dabei zu sein. Es gab nur ein paar Mädchen, die ihn schmachtend anschauten, so wie eigentlich immer und überall Mädchen um ihn herum waren, die das taten. Aber sie alle klimperten ihn an, nicht sein Bild. Das war mir vollkommen schleierhaft, wo ich doch gerade das Gefühl hatte, dadurch mehr über ihn erfahren zu haben als je zuvor. Wobei es nun wirklich nicht mein Hauptanliegen war, etwas über Julian Moretti zu erfahren. Ich war keins seiner Groupies und ich würde auch sicher keins werden.

Entschieden wandte ich meinen Blick ab und widmete meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit Mrs Simmons.

In dem Moment schrillte auch schon die Schulglocke. Mit leuchtenden Augen sah die Lehrerin uns an. Musterte jeden einzelnen, als könnte sie so die Namen lernen, die uns aber definitiv nicht auf der Stirn standen. Als ihr Blick bei Julian ankam, kam sie nicht umhin zu bemerken, dass er bereits malte. Und auch nicht damit aufhörte.

Sie räusperte sich. »Mr Moretti, wenn Sie uns kurz Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten? Ich habe mir eine schöne erste Aufgabe für uns alle ausgedacht, mit der es uns vielleicht gelingt, uns auch untereinander besser kennenzulernen.«

Julian ignorierte sie komplett. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper und arbeitete weiter an seinem Bild. Was war bloß los mit mir?! Was mich in den letzten Tagen komplett zur Weißglut gebracht hatte, brachte mich nun zum Lächeln.