Hilfe, der Einkaufswagen brennt! - Christian Klein - E-Book

Hilfe, der Einkaufswagen brennt! E-Book

Christian Klein

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Beschreibung

"Hast du dich mal gefragt, warum die Verkäufer im Discounter immer so gereizt sind? Ganz einfach: Wegen dir!" Verkäufer müssen längst nicht mehr nur Regale auffüllen, Kunden abkassieren und dabei freundlich lächeln. Sind sie einmal nicht in der Lage, die innersten Gedanken der "kleinen Könige" zu lesen und ihnen jeden noch so absurden Wunsch zu erfüllen, werden sie prompt für die "Servicewüste Deutschland" verantwortlich gemacht. Verkäufer im Discounter sind Modeberater, Streitschlichter, Exorzisten, Eheberater, Geheimagenten, Psychiater, investigative Journalisten, Kindergärtner und natürlich Blitzableiter sowie Meckerkasten der Nation. Leidenschaftlich und urkomisch erzählt Christian Klein von seinen absurdesten Erlebnissen als Verkäufer in einem Discounter. Er kommt zu dem Schluss, dass seine Kunden zu einer Geheimorganisation gehören, die nur ein einziges Ziel hat: Die Verkäufer in den Wahnsinn zu treiben.  

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Christian KleinHILFE, DER EINKAUFSWAGEN BRENNT

Über dieses Buch:

Wahre Geschichten aus dem Berufsalltag eines Verkäufers bei einem Discounter. Ob das Geschäft Aldi, Lidl, Penny oder Netto heißt, jeder Verkäufer hat mit dem Problem Kunde zu tun. In Deutschland gibt es drei Millionen Verkäufer, egal ob im Lebensmittelmarkt, Baumarkt oder Buchhandel. Ihnen gegenüber stehen 30 Millionen Kunden, die täglich durch die Ladentüren strömen. Und hier beginnt das Problem! Der Kunde hat für sich reklamiert, er sei König. Ist ein Verkäufer nicht in der Lage, die Gedanken eines Kunden zu lesen und ihm jeden noch so absurden Wunsch zu erfüllen, wird er beschimpft und für die Servicewüste Deutschland verantwortlich gemacht. Denn die Arbeit des Verkäufers besteht längst nicht nur aus dem Auffüllen von Regallücken oder dem Abkassieren von Kunden. Der Verkäufer im Discounter ist Modeberater, Streitschlichter, TV-Jury-Mitglied, Exorzist, Eheberater, Geheimagent, Psychiater, investigativer Journalist, Kindergärtner und natürlich Blitzableiter und Meckerkasten der Nation. Anstrengende Kollegen, undurchsichtige Arbeitsschichten und dazu Vorgesetzte, die Wochentage nicht unterscheiden können, sind nur der Anfang. Denn spätestens, wenn der erste Kunde das Geschäft betritt, geht der Wahnsinn erst wirklich los: Verrückte Ladendiebstähle, der Kampf gegen den Pfandautomaten oder seinen Kumpel, die Backstation, oder das Tütensuppen-Memory bei der Inventur. Dazu arglistige Bestechungsversuche oder Kunden, die frische Lebensmittel mieten wollen. Porschefahrer mit Sozialgutscheinen und Kunden, die sich an Einkaufswagen ketten. Alle Aktionen scheinen von einer verschwörerischen Geheimorganisation der Kunden auszugehen, die offensichtlich nur ein einziges Ziel verfolgt: die Verkäufer ein für alle Mal in den Wahnsinn zu treiben … HILFE, DER EINKAUFSWAGEN BRENNT ist die Sammlung autobiografisch erzählter Anekdoten wahrer und unfassbarer Ereignisse im Einzelhandel. Stets mit einem Augenzwinkern verfasst: frech, provokant und authentisch.

Über den Autor:

Christian Klein, 1985 im Land Brandenburg geboren, hat nach seiner Ausbildung mehrere Jahre bei einem Discounter gearbeitet. Er schildert seine Erlebnisse, die er nur dank Humor, Schlagfertigkeit und der Tatsache, dass er das Herz am rechten Fleck hat, meistern konnte. Klein ist verheiratet und lebt inzwischen nicht mehr in Deutschland. Dies ist sein erstes Buch, das er sich einfach von der Seele schreiben musste.

ATG books

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Band 046

Copyright © 2021 by ATG Books, ein Imprint von Audio-To-Go Publishing Ltd., Headford, Irland

Überarbeitete und korrigierte Neuausgabe des Titels „Neulich im Discounter“

Textredaktion: Kati Schaefer

Titelillustrationen: FotoYakov / shutterstock.com

ISBN 978-3-96519-046-7

Sie finden uns im Internet unter www.audio-to-go.de

Guten Tag!

Guten Tag!

Ich bin Klein, Christian Klein, der Typ an der Kasse von deinem Discounter. Ich trage zwar ein Namensschild, aber niemand merkt sich, wie ich heiße. Das ist auch nicht schlimm. Schlimm ist aber, was einem da täglich im Supermarkt deines Vertrauens passiert, denn zwischen Gummibären und Vollwaschmittel lauern sie wie eine finstere Macht: die Kunden! Und diese Spezies Mensch ist etwas ganz Spezielles, glaub mir, ich habe es wirklich erlebt.

Alle meine Geschichten sind wahr, ich habe nur die Namen und ein paar Details geändert, an denen man die tatsächlichen Personen ausmachen könnte. Und es ist ganz egal, ob es bei ALDI, LIDL, Netto oder PENNY passiert ist – am Ende ticken alle Kunden gleich, ob sie nun mit einem Porsche Cayenne oder dem AOK-Chopper vorfahren.

Das Leben schreibt die besten Geschichten und hier sind ein paar davon, sozusagen frisch ins Regal geräumt …

Noch ein Hinweis: Sollte Ihnen auffallen, dass ein paar Ausdrücke im Buch nicht „politisch korrekt“ sind, bitte ich um Verständnis für die künstlerische Freiheit, die ich mir genommen habe, um Szenen oder Kapitel besser zu beschreiben. Es handelt sich keinesfalls um meine politische Meinung oder persönliche Anschauung, ich empfinde nur die Nutzung bestimmter politisch korrekter Ausdrücke hin und wieder als unbeholfen oder erzwungen, was ganz banal den Lesefluss stören könnte. Und das wollte vermeiden.

Vorwort

Wir alle gehen einkaufen, manche jeden Tag, andere wieder nur einmal in der Woche. Die Läden sind gerade am Samstagvormittag proppenvoll, als gäbe es kein Morgen mehr. Menschen drängen sich entlang der Regale, um auch noch das versteckteste Schnäppchen zu entdecken und schrecken nicht davor zurück, die übrigen Einkaufenden als Feinde oder eine Art Gegner zu betrachten, wenn sie emotionsgeladen ihre Einkaufswagen durch die Gänge bugsieren wie beim Autoscooter, nur darauf bedacht, dem Vordermann oder der Vorderfrau in die Hacken zu fahren, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Eine besondere Form dieses täglichen Kriegsgetümmels zeigt sich bei den Discountern, denn die allgegenwärtigen Werbespots im Radio, im Fernsehen oder in der Zeitungsbeilage scheinen mit ihrem „solange der Vorrat reicht“ das Aggressionspotenzial nur noch weiter zu schüren.

Ich bin Verkäufer und habe dafür eine mehrjährige Ausbildung absolviert. Aber wie man diplomatische Beziehungen aufbaut, Friedensgespräche führt oder zumindest einen vorübergehenden Waffenstillstand aushandelt, hat mir niemand beigebracht.

Also trat ich unvorbereitet und blauäugig meine Stelle beim Discounter an und stellte mir den Umgang mit Kunden relativ simpel vor, denn ich bin davon ausgegangen, dass wirklich niemand bei einem Discounter eine eingehende Beratung über Haushaltstücher oder Tipps zur richtigen Benutzung von Rasierschaum benötigt. Falsch! Das, was ich in zwei Jahren in dieser ganz besonderen Form der Shoppingtempel erlebte, übertraf all meine Erwartungen.

Beginnen wir ganz am Anfang, mit meinem ersten Tag im Laden …

Mein erster Tag

Ich begann meinen Job an einem Dienstag. Ich wurde als Halbtagskraft eingestellt und so bekam ich den ersten Tag der Woche gleich frei. Ich dachte mir: Hey, das ist doch ein prima Start, wenn man seine Arbeit gleich mit einem freien Tag beginnt.

Ich betrat den Laden und suchte zunächst irgendeinen Mitarbeiter, der mir vielleicht weiterhelfen konnte. Das ist aber bei nur zwei Mitarbeitern im Laden leichter gesagt als getan. Ich war 30 Minuten zu früh, an meinem ersten Tag wollte ich schließlich pünktlich sein. Ich wusste nicht, wer der Chef in dieser Filiale war, da mich ein Bezirksleiter eingestellt hatte, der für viele Filialen in der Region zuständig war.

Schließlich kam mir eine Dame entgegen und ich sprach sie an:

„Guten Tag, mein Name ist Christian Klein, ich soll mich im Laden melden.“ Und etwas unsicher fügte ich hinzu: „Ich bin der neue Kollege.“ Dann grinste ich etwas verlegen. Sie schaute mich daraufhin erst einmal von oben bis unten an und sagte dann:

„Ja, dann komm mal mit ins Büro!“, und ich dachte, dass ich die Chefin gefunden hätte. Wir sprachen auf den paar Metern kurz miteinander und sie meinte:

„Ich bin auch neu hier und das ist mein zweiter Tag. Ich bringe dich zum Chef, der ist im Büro“, sagte sie, während ich ihr folgte.

„Chef, hier ist ein junger Mann, der Sie sucht.“

„Dann hat er seine erste Aufgabe erfüllt und hat mich gefunden“, hörte ich eine Stimme aus dem Büro sagen.

Na klasse, dachte ich mir, wenn das so weiter geht, könnte das echt lustig werden. Aber ich irrte mich, wie ich es noch so oft in meiner Laufbahn im Discounter tun sollte.

„Gut, er soll reinkommen, nicht so schüchtern.“

Ich ging mit den Worten ins Büro:

„Guten Tag, Christian Klein mein Name, und ...“ Peng! Er unterbrach mich und knallte mir einen dicken Aktenordner mit gefühlten 1.000 Seiten vor die Nase und sagte:

„Den hier können Sie mal schnell überfliegen, zum Lesen haben wir hier keine Zeit. Rauchen Sie?“

Seine Frage klang merkwürdig. Ich war mir unsicher, was ich sagen sollte, aber ich antwortete dann ehrlich: „Leider ja!"

Er schaute mich an, während ich überlegte, wie ich die Antwort zurücknehmen konnte, als er schon die alles entscheidende Frage stellte:

„Wollen Sie die offiziellen 30 Minuten Pause pro Tag machen oder schnell zwei Zigaretten zwischendurch rauchen gehen?“ Ich stutze. Was bitte antwortet man auf solch eine Frage? Mir fiel nichts Besseres ein als:

„Darf ich einen Joker nehmen?“

Sein Blick sagte mir unmissverständlich: Dieser Mensch hat überhaupt keinen Humor!

Ich war fest davon überzeugt, dass ich in diesem Augenblick bereits die ersten Minuspunkte nach kaum drei Minuten im Gespräch mit meinem Chef gesammelt hatte. Aber der grenzenlose Optimist auf meiner Schulter sagte mir: „Du, jetzt kann es ja nur noch besser werden!“

Schließlich entschied ich mich für die kleinen Raucherpausen und das fand mein neuer Vorgesetzter offenbar gut.

„Ich persönlich rauche nicht, aber ich habe auch nichts gegen das Rauchen. Als vor zwei Jahren mein Sohn zur Welt kam, habe ich aufgehört. Meine Frau leider nicht.“

Ich antwortete kurz und knapp:

„Oh, dann haben Sie das Kind ausgetragen?“ Verdammt, nein, das hast du nicht laut gesagt, war mein Gedanke danach, denn das waren doch sicher die nächsten Minuspunkte. Und er fand auch meine Frage nicht lustig und ich machte mich darauf gefasst, dass mein erster auch vermutlich gleich mein letzter Arbeitstag war …

Der Chef ohne Namen, er hatte sich immer noch nicht vorgestellt, ging mit mir in das Lager und ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen. Ich rechnete fest damit, dass er mir etwas antun würde, denn er schloss die Lagertür hinter sich, machte aber keine Anstalten, in dem düsteren Raum das Licht anzuschalten. Im Dämmerlicht erkannte ich gestapelte Paletten mit allerlei Waren, die vermutlich zum Auffüllen der Regale im Laden benötigt wurden. Ich kam mir vor wie in einem Labyrinth aus Windeln, Schnapsflaschen und Fertigsuppen. Die Zeit verging unglaublich langsam und ich hatte kurz überlegt, ob ich nach seiner Hand greifen sollte, um mich wie ein Kleinkind sicher über die Straße führen zu lassen – und entschied mich dagegen. Endlich kamen wir an eine andere Tür, durch deren Türspalt ich Licht sah. Ein Hinterausgang. Was hatte er vor? Er drückte die Klinke herunter und zog langsam die Tür auf, während er mich nach draußen schob.

„Los! Rauchen Sie eine“, sagte er zu mir. Oh Gott, was hat er denn vor? Ich werde zum Rauchen aufgefordert? Für einen kurzen Moment schossen mir Szenen aus Filmen durch den Kopf, in denen dem zum Tode Verurteilten sein letzter Wunsch erfüllt wird. Noch eine letzte Zigarette … Und hörte ich nicht auch von irgendwoher eine Mundharmonika, die Spiel mir das Lied vom Tod spielte? Ich schüttelte diese Gedanken ab und fragte erstaunt:

„Muss ich rauchen?“

Er erwiderte: „Müssen nicht, aber dann geht es direkt an die Arbeit!“ Ich rauchte also eine Zigarette, während er begann, mir alles in einer Geschwindigkeit zu erklären, als wäre er der jüngste Gewinner eines Schnellsprech-Wettbewerbs:

„Obst und Gemüse kommen jeden Morgen genau wie Brot und Brötchen, Kühlung kommt abends und Fleisch auch. Wir fangen hier morgens um sechs Uhr an und es geht bis 21 Uhr. Natürlich in verschiedenen Schichten. Meistens von sechs Uhr bis zwölf Uhr und von zwölf Uhr bis 21 Uhr. Die Fuhre, also die neue Warenlieferung, kommt an drei Tagen die Woche, jeweils dienstags, donnerstags und samstags. Sie wird auch sofort verräumt, dafür wird extra jemand für vier Stunden eingeteilt.“

Oh je, ich hoffte, dass ich das nicht alles wiederholen musste.

„Haben Sie noch Fragen?“ Er sah mich mit einem Blick an, der nicht wirklich auf eine Antwort wartete.

Aber ich erwiderte mit einem: „Ja, viele.“ Der Chef ohne Namen schaute mich verblüfft an, sagte aber:

„Gut. Dann fangen Sie an und fragen!“ Okay, dachte ich mir, dann leg mal los, vielleicht kannst du auch 20 Fragen in zehn Sekunden unterbringen:

„Wann werden Obst und Gemüse eingeräumt? Wann soll ich diesen Ordner überfliegen? Wann erfahre ich, in welchen Schichten ich arbeiten muss? Wie sieht es mit Urlaub aus?“ Verdammt! Natürlich wusste ich, dass es absolut dämlich ist, gleich am ersten Tag nach Urlaub zu fragen, aber wenn einem das Herz auf der Zunge liegt, führt das vermutlich unweigerlich zu weiteren Minuspunkten. Ich erwartete, dass er aus seinem Kittel eine Mundharmonika hervorholte, um eine neue Strophe vom Lied vom Tod zu spielen, aber er sagte einfach nur:

„Obst wird morgens eingeräumt, genau wie Fleisch, Kühlung und Brot. Sie kommen um sechs und beginnen damit, Brot und Brötchen zu backen. Wie das geht erkläre ich Ihnen gleich noch. Den Ordner können Sie mal eben nach Feierabend durchblättern. Die Pläne für eine Woche sind mittwochs fertig und Urlaub gibt es hier nicht!“ Ich sah ihn verblüfft an.

„Wie, Urlaub gibt es hier nicht?“

Er grinste. „Der Urlaubsantrag für das kommende Jahr muss bis Mitte Dezember vorliegen, sonst planen wir Ihren Urlaub irgendwo ein, wo es passt.“ Puh, Glück gehabt. Er hatte mich tatsächlich reingelegt, aber so langsam wurde mir klar, dass er offenbar doch Humor hatte. Das war zwar kein Humor nach meinem Geschmack, aber ich hatte das Gefühl, dass das Eis zu schmelzen begann ...

Ich drückte meine Zigarette aus und folgte dem Chef wieder durch das Schnaps- und Windellabyrinth in die Sicherheit des neonbestrahlten Ladens. Wir gingen zur Backstation. Die Handgriffe, die mein Chef mir beizubringen versuchte, sahen leichter aus, als sie am Ende waren. Dank meiner tatkräftigen Unterstützung konnten wir an diesem Tag Bötchen in der „Black Edition“ anbieten, aber aus unerfindlichen Gründen wollte niemand diese wirklich extrem knusprig-krossen Kohlestücke kaufen. Irgendwo habe ich mal gehört, dass Eskimos 20 verschiedene Bezeichnungen für Schnee haben. Ich konnte mir gut vorstellen, dass mir das bei Brot und Brötchen auch gelang. Als ich ins Büro ging und dem Chef meine mangelnden Backkünste beichten wollte, packte der bereits seine Tasche und sagte:

„Ich habe jetzt Feierabend! Ach, Herr Klein, Sie brauchen noch so ein Namensschild“, und tippte sich dabei an die Brust. Und jetzt erst fiel ihm auf, dass er selbst keins trug. Er kramte in seinem Kittel und zog einen Plastikanstecker hervor, auf dem stand: Mein Name ist Volker Berg, wie kann ich Ihnen helfen? Allen bisherigen Erkenntnissen zum Trotz hatte der Chef doch einen Namen! Es kam mir vor wie ein Wunder! Ich beschloss, ihn von jetzt an nur noch Chef zu nennen!

Da ich meinen ersten Arbeitstag während der Mittagszeit begonnen hatte, lernte ich auch gleich noch die Stellvertretung meines Chefs kennen, die in der Nachmittagsschicht arbeitete. Sie war eine nette Frau Ende zwanzig, die mir ziemlich viel erklärte, aber irgendwie beschlich mich der Verdacht, dass sie selbst kaum Ahnung hatte. Sie wies mich also an, den Laden aufzuräumen - als gelernter Verkäufer sollte man ja wissen, wie das geht, meinte sie. Gesagt, getan, und ich war nach zehn Minuten fertig damit, durch den Laden zu jagen und leere Pappschachteln und Kartons aus den Regalen zu nehmen. Ich sah, dass der Chef und seine Vertreterin noch zusammenstanden und machte mich stolz auf den Weg zu ihnen, um zu verkünden:

„Ich bin fertig mit Aufräumen, was soll ich als Nächstes tun?“

Er sah mich skeptisch an und meinte:

„Ach wirklich? Dann gehen wir mal schauen.“ Schon am ersten Regal fing er an zu grinsen.

„Sagten Sie nicht, Sie sind fertig?“ Ich war erschrocken.

„Ja, das dachte ich eigentlich. Ist es so schlimm?“ Er fing an zu lachen und sagte:

„Schlimm nicht, aber das üben wir bitte noch mal!“ Bevor er mir überhaupt erklären konnte, was ich denn eigentlich falsch gemacht hatte, klingelte es dreimal laut durch den Laden und er sagte:

„Aber gehen Sie jetzt erst mal und schauen nach dem Pfandautomaten.“ Ich machte mich auf den Weg, sah nach und ging zurück zum Chef.

„Und, was ist mit dem Automaten?“ Ich sagte zu ihm:

„Keine Panik, der ist noch da. Und ich glaube auch nicht, dass den jemand klauen will, der ist viel zu groß!“

Ich überlegte kurz: Wenn ich nach Minuspunkten bezahlt werden würde, könnte das schon mein letzter Arbeitstag sein, weil ich inzwischen stinkreich wäre. Wir gingen noch einmal gemeinsam zum Automaten und der Chef erklärte mir die Funktionsweise des Gerätes. Die Kollegin an der Kasse hatte nämlich geklingelt, weil der Auffangbehälter für die zerdrückten Plastikflaschen voll war und ausgetauscht werden musste.

„Dreimal klingeln, Pfandbehälter wechseln!“ Ach so. Das hätte er ja auch gleich sagen können.

Ich lernte an dem Tag noch eine weitere Kollegin kennen, die einen netten Eindruck machte und sich freute, dass ein neues Gesicht da war.

„Schön, dass du hier anfängst. Ist es okay, wenn wir uns duzen? Ich bin die Sarah und ich bin seit drei Jahren hier, und es macht total Spaß.“

„Hallo Sarah, ich bin Christian und das mit dem Duzen ist für mich in Ordnung.“

Wir begannen, die Regallücken mit Ware zu füllen und unterhielten uns über dies und das. Als wir nach knapp einer Stunde fast fertig waren, sagte sie:

„So, die Kiste noch und dann bin ich hier fertig und fertig mit dem Laden.“ Ich verstand das nicht so richtig und hakte nach:

„Wie meinst du das, dass du fertig bist mit dem Laden?“ Sie lächelte und sagte:

„Ich habe hier die Schnauze voll und habe mir was Neues gesucht. Heute ist mein letzter Tag und ich bin froh, dass ich hier weg bin.“

Ich wusste immer noch nicht genau, wie ich das verstehen sollte, weil sie mir gerade noch etwas anderes gesagt hatte, also fragte ich konkret:

„Du hast hier gekündigt? Hast du mir nicht eben noch erzählt, dass es dir Spaß macht?“ Sie antwortete:

„Na ja, ich kann einem Neuen ja nicht am ersten Tag sagen, wie es hier wirklich ist und dass ich deshalb gehe. Ich wollte einen netten Eindruck bei dir hinterlassen.“ Hm, das hat nur so halb geklappt, dachte ich mir. Dann waren wir mit dem Verräumen der Fuhre fertig. In diesem Moment konnte ich mir gar nicht vorstellen, was sie zu diesem drastischen Schritt getrieben hatte, aber da wusste ich auch noch nicht, dass mir das schneller klar werden würde, als mir lieb war.

Schließlich gab es dann noch ein kleines Gespräch mit dem Chef bezüglich meiner Leistung: „Ihr erster Tag ist vorbei, wie fanden Sie es?“

Ja, was soll man auf so eine Frage antworten? Man lobt den Laden, und das tat ich.

„Es macht super Spaß und die Kollegen, die ich kennengelernt habe, sind echt nett! Nun ja, nur über den Chef müssen wir mal reden. Der scheint nicht so nett zu sein.“ Ich grinste schief. Der Chef leider nicht und somit wusste ich, dass ich ein für alle Mal und endgültig bei ihm unten durch war.

Für seine Antwort wählte er einen eher unfreundlichen Ton:

„Sie müssen schneller werden und gründlicher arbeiten.“ Klar, heute weiß ich, dass man zum Aufräumen gut zwei Stunden braucht. Aber hey, seine Antwort bedeutete auch, dass ich wiederkommen durfte. Da ich an diesem Tag schon oft genug falsche Fragen gestellt und unsinnige Antworten gegeben hatte, erwiderte ich diesmal ganz vorsichtig:

„Ja, daran werde ich arbeiten. Übrigens, hatten Sie nicht schon vor sechs Stunden Feierabend?“

„Oh, Sie können gern meinen Job haben, wenn Sie wollen …?!“

Ich wollte nicht und raste nach Hause. Das war er also, mein erster Tag von zwei aufregenden und verrückten Jahren. Es kann ja nur besser werden, dachte ich …

Mein erster Kunde

Es war Montag. Am Wochenende hatten die Kollegen die Sonderangebote aus der Werbung gewechselt, denn der Discounter an sich geht ja jede Woche erneut auf Kundenfang mit tollen, supergünstigen Artikeln, die er allerorts bewirbt. Gegen 10 Uhr morgens kam ein Kunde auf mich zu gerannt, komplett aus der Puste und aufgeregt. Ich freute mich innerlich wie ein kleines Kind, denn er war mein allererster Kunde und ich hoffte, ihm helfen zu können. Denn genau das ist mein Selbstverständnis von diesem Job, in erster Linie da zu sein für die Kunden!

„Sie haben doch diese Woche rote Staubsauger in der Werbung?“, fragte er, ohne Luft zu holen.

Ich hatte mir von den neuen Werbeartikeln noch keinen Überblick verschafft und antwortete ihm wahrheitsgemäß, dass es wohl sein konnte, ich es aber nicht sicher wusste. Ich bot ihm an, nachzusehen. Ich ging mit ihm zum neuen Werbeaufbau, suchte diesen Staubsauger, fand ihn aber nicht. Na, vielleicht hatten die Kollegen am Wochenende zu viel zu tun gehabt und das gute Stück noch gar nicht aus dem Lager geholt. Ich rannte also kreuz und quer durchs Lager und stellte den gesamten Laden auf den Kopf, aber nirgends fand sich auch nur die Spur eines Staubsaugers. Ich hatte die glorreiche Idee, den Chef zu fragen und rannte ins Büro.

„Chef, wo sind die Staubsauger aus der Werbung?“

Er schaute mich fragend an.

„Tja, entweder auf den Tischen hinten oder die sind schon ausverkauft. Aber ich habe auch gar keine Staubsauger gesehen. Das ist ja komisch!“

Ich fragte noch die Kassiererin, aber auch sie wusste von nichts. Ich kehrte zu dem Kunden zurück, der nun schon über zehn Minuten geduldig gewartet hatte. Jetzt allerdings wurde er ungeduldig und fragte forsch:

„Haben Sie ihn endlich gefunden?“ Ich stand ein wenig zitternd vor ihm, weil er ja mein erster Kunde war und ich alles richtig machen wollte.

„Leider haben wir die Staubsauger nicht, oder sie sind schon ausverkauft.“ Mein Gegenüber begann, die berühmte Palme hochzuklettern und wurde lauter:

„Was soll so was? Andauernd machen Sie Werbung und dann haben Sie die Artikel nicht da.“ Ich schaute ihn an und sagte:

„Wenn ich die Werbung machen würde, dann würde ich kaum hier stehen und diesen Staubsauger suchen.“ Wie sich herausstellte, war diese Antwort ein Fehler, denn nun war der Kunde ganz oben auf der Palme angekommen. Ich versuchte alles, um ihn von da oben wieder herunterzuholen, aber es war vergebens. Ich rannte nach vorn zur Kasse, um schnell einen aktuellen Werbe-Flyer zu holen. Auf dem Weg dorthin sprach mich noch ein weiterer Kunde an und fragte nach Eiern. Ich antwortete ihm kurz und knapp:

„Wenn im Regal keine mehr sind, dann sind die vermutlich noch im Huhn.“ Er verstand den Witz und fing an zu lachen. Ich war in dem Moment so geladen, dass ich einfach nicht anders gekonnt hatte. Ich bat den Kunden, sich einen kleinen Moment zu gedulden. Dann würde ich ihm umgehend helfen. Mit einem Flyer bewaffnet ging ich zurück zu meinem Staubsaugerkunden. Dessen erste Worte nach meiner Rückkehr verhießen nichts Gutes:

„Waren Sie zwischendurch zur Pause, oder warum hat das so lange gedauert?“ Ich ging auf diese Frage nicht weiter ein. Ich blätterte mit ihm den Flyer durch, aber wir fanden keinen roten Staubsauger in der Werbung. Wir fanden gar keinen Staubsauger. Ich fragte ihn, ob er sich vielleicht in der Woche geirrt hat. Da wurde er richtig laut und schrie mich an:

„Halten Sie mich für bescheuert?“ Ich beantwortete ihm auch diese Frage nicht, weil ich meinen ersten Kunden ungern beleidigen wollte. Dann zog er einen selbst mitgebrachten Flyer aus der Tasche und ich begann laut zu lachen. Wie sich zeigte, war das Fehler Nummer Zwei an diesem Tag. Der Kunde fand es nicht so lustig und fing wieder an, rumzuschreien

„Das ist Betrug, was Sie machen und das werde ich der Verbraucherzentrale melden, denn so etwas ist nicht erlaubt!“ Ich sagte grinsend zu ihm:

„Ich habe mit der Sache immer noch nichts zu tun, aber versuchen Sie es doch mal im richtigen Discounter und nicht im falschen.“ Der Kunde war schlagartig ruhig und frage mich kleinlaut:

„Sind Sie das denn nicht?“ Ich antwortete grinsend und sicher, wie ich mir nun war:

„Doch, bis vor 10 Minuten waren wir das, aber Sie fragten mich ja vorhin, wo ich so lange war. Ich habe schnell die Schilder draußen abgebaut und neue angebracht, dann habe ich noch rasch den Laden in einer anderen Farbe gestrichen, damit wir nun ein anderer Discounter sind. Nur um Sie zu ärgern, weil ich Ihnen nämlich den Staubsauger nicht verkaufen will. Ich nehme nachher alle zwanzig Staubsauger selbst mit nach Hause, und zwar alle roten.“

Der Kunde bekam einen hochroten Kopf und verschwand ohne ein Wort der Entschuldigung aus dem Laden. Ich habe ihn danach nie wieder in unserem Laden gesehen und weiß bis heute nicht, ob er jemals seinen roten Staubsauger bekommen hat.

Ich atmete einmal tief durch und ging dann gut gelaunt zu meinem zweiten Kunden, der immer noch Eier suchte. Er hatte das Staubsaugerdebakel ganz offensichtlich mitbekommen und kommentierte:

„Sie sind ja schlagfertig, das finde ich gut. Sie müssen sich von den Kunden nicht alles gefallen lassen.“ Ich zeigte ihm das Regal mit den Eiern und er war zufrieden.

An dem Tag hatte ich nur noch freundliche Kunden, aber das war wirklich nur an diesem Tag so. Es verging seitdem selten ein Tag, an dem man nicht mit der Unfreundlichkeit von Kunden zu kämpfen hatte.

Kassieren geht über Studieren

Inzwischen war ich ein paar Tage im Laden beschäftigt und wusste zumindest zum Teil, wo der Hase langlief. Es war ein Donnerstag, als ich nichts ahnend zur Arbeit kam. Eigentlich war alles wie immer. Ich rechnete damit, die Fuhre zu ver- und den Laden aufzuräumen. Meine nette Kollegin, die am selben Tag mit mir angefangen hatte, saß an der Kasse und kassierte. Wir grüßten uns herzlich. Ich ging ins Büro:

„Guten Morgen Chef, was steht heute an?“

„Heute machen wir mal was Neues und ich hoffe, Sie haben die Liste mit den Nummern gelernt, die Sie an der Kasse brauchen?!“ Ich sah ihn an, als ob ein Geist vor mir stehen würde. Ich antwortete kurz und knapp:

„Ich habe da so ein Nein-Gefühl!“

„Egal“, sagte er und stand auf. „Dann müssen Sie da jetzt durch. Sie werden heute an der Kasse von mir angelernt!“

Oh Gott, ein ganz schlimmer Traum wurde wahr. Ich würde an der Kasse angelernt werden - und das vom Chef persönlich. Er gab mir also eine Kassenlade und sagte:

„Wir fangen auch ganz langsam an. Zählen Sie bitte die Kasse!“

Ich fand die Aufgabe einfach und sagte: „Eins.“

Er fragte nach: „Was meinen Sie mit eins?“

Jetzt war ich verunsichert. „Na, ich soll die Kasse zählen und da steht eine Kasse, also ‚eins‘.“

Er lachte mich aus. Ich wusste nicht, warum er lachte, denn ich war mir meiner Antwort sicher. Dort stand genaue eine Kasse. Er meinte allerdings, dass ich die Kasse einzählen, also die Scheine und Münzen in der Kasse zählen sollte.

Ich fand das überhaupt nicht lustig und erklärte:

„Wenn Sie deutlicher sprechen würden, würden wir uns auch besser verstehen – und trotzdem habe ich recht, denn da steht nur eine Kasse! So!“ Endlich wieder eine Antwort von mir, mit der er so ganz und gar nicht einverstanden war, und mein Sammelheft mit Minuspunkten füllte sich weiter. Aber um die Sache nicht noch schlimmer zu machen, entschuldigte ich mich. Ich wollte nicht schon nach wenigen Tagen komplett unten durch sein, denn ich war ja noch in der Probezeit.

Wir gingen gemeinsam zur Kasse und er erklärte:

„Als erstes stellen Sie die Kassenlade in das Fach.“ Ich antwortete:

„Wie jetzt? Ich darf jetzt nicht damit nach Hause gehen?“ Er ignorierte das und sprach einfach weiter.

„Wenn Sie Ihre Kassenlade in das Fach gestellt haben, geben Sie Ihre Kassierernummer und Ihr Passwort ein.“ Das tat ich dann auch. Ich war also bereit für meinen ersten Kassiervorgang. Ich setzte ein Lächeln auf und begrüßte den ersten Kunden, der eben seinen Einkauf aufs Band gestellt hatte.

„Guten Tag.“ Ich war noch ziemlich schüchtern und der Kunde antwortete mit einem „Hallo“. Ich scannte seine Flasche Bier, sagte den Betrag, kassierte und wünschte ihm einen schönen Tag. Mein Chef stand neben mir und meinte:

„Ich sehe ja, dass Sie das können. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an Ihre Kollegin an der anderen Kasse, die ist auch neu und hilft Ihnen.“ Der Chef verschwand wieder im Büro.

Da saß ich nun, allein, einsam und von Kunden umzingelt, die wollten, dass ich sie so schnell abkassierte, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Aber ohne die Liste für Obst und Gemüse, geschweige denn für Brot im Kopf zu haben, ging das halt nicht so schnell. Ich erklärte es den Kunden und viele hatten tatsächlich Verständnis; offensichtlich stand ich unter Welpenschutz.

Der Tag neigt sich dem Ende zu und ich wurde zur Kassenabrechnung gerufen. Ich latschte also mit meinen EC-Belegen, Storno-Belegen und der Kassenlade ins Büro. Der Chef wartete schon auf mich.

„Dann wiegen wir mal Ihre Kasse.“

„Haben Sie denn irgendwo eine Waage?“

Er zeigte auf ein kleines Ding, das ich trotz Ausbildung vorher noch nie gesehen hatte, denn in meiner Ausbildung hatten wir das Geld per Hand gezählt.

Aber gut, ich stellte meine Kasse auf die Waage. Inzwischen hielt mich der Chef für total bescheuert. „Nein, das Geld sollen Sie da drauflegen.“

Ach so, das kann er aber auch so sagen, dachte ich mir. Ich lächelte und sagte:

„Weiß ich doch, war nur ein Scherz!“ Ich kannte dieses Gerät leider nicht, deshalb hatte ich schnell irgendetwas gesagt, um nicht als totaler Idiot dazustehen. Ich „wog die Kasse“, und sie stimmte. Ich hatte nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Geld kassiert. Ich war ein klein wenig stolz. Damit war mein erster Tag an der Kasse auch vorüber und ich konnte mit einem ziemlich guten Gefühl nach Hause gehen.

Seit wann ist am 24.12. Weihnachten?

Es war Heiligabend gegen 13.00 Uhr. Noch eine Stunde bis zum Feierabend, denn der Feld-, Wald- und Wiesen-Discounter hat an diesem Tag nur bis 14.00 Uhr geöffnet.

Ich war gerade dabei, die Kühlung aufzuräumen, als ich eine Stammkundin sah, die mit einem Lächeln auf mich zukam. Aufgrund ihrer stets perfekten Dauerwelle hatte ich sie heimlich „Fräulein Goldlöckchen“ getauft. Tja, ich trage ein Namensschild, die Kunden aber nicht, da muss man sich doch irgendetwas ausdenken, oder?

Da ich immer recht freundlich zu ihr war und gut mit ihr klarkam, erwartete ich, dass sie mir Frohe Weihnachten wünschen wollte, nur lag ich damit leider komplett daneben.

„Guten Tag, der Herr“, sprach sie mich an. Ich erwiderte mit einem Lächeln und begrüßte sie ebenfalls. Sie stand neben mir und schaute zu, wie ich leere Kartons aus dem Regal zog. Ich fragte sie:

„Ist alles gut bei Ihnen? Kann ich Ihnen helfen?“ Sie sagte:

„Ja, ich hoffe doch. Haben Sie noch mehr von den Schokoladenweihnachtsmännern?“ Ich schaute sie erschrocken und ungläubig an, und hakte zur Sicherheit nach:

„Sie fragen mich eine Stunde vor Feierabend und ein paar Stunden vor Heiligabend, ob wir noch Schokoweihnachtsmänner haben?“ Sie nickte freundlich und mit einem Lächeln. Ich sagte ihr, dass wir leider nur noch die Ware haben, die auf den Tischen liegt. Für mich war die Sache damit beendet, aber leider noch nicht für Goldlöckchen. Sie schaute mir noch ein wenig weiter bei der Arbeit zu. Ich blieb aber freundlich und fragte noch einmal höflich nach:

„Kann ich noch was für Sie tun“? Sie antwortete:

„Ja, können Sie mal bitte im Lager schauen. ob da noch was ist?“ Um die Kundin zu beruhigen, ging ich ins Lager und schaute nach.

Ich wusste natürlich, dass dort nicht mal mehr ein Krümel eines Schokoweihnachtsmanns war, aber was tut man nicht alles für seine Stammkunden. Ich kehrte mit leeren Händen aus dem Lager zu ihr zurück. Als Goldlöckchen sah, dass ich ohne Weihnachtsmann vor ihr stand, verlor sie ihr Lächeln und fragte mich mit nunmehr kratzigem Ton:

„Bekommen Sie denn noch mal was?“ Ich konnte diese Frage einfach nicht ernst nehmen. Ich antwortete ihr so nett und hilfsbereit wie möglich:

„Ja sicher, ich denke, im September sollten wir wieder neue Weihnachtsmänner bekommen, aber vorher kann ich Ihnen sicher schon Schokoladenosterhasen anbieten.“ Ihr Ton wurde lauter.

„Es ist eine Frechheit, dass Sie nichts mehr haben. Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren!“ Nicht schon wieder, dachte ich mir und antwortete immer noch freundlich:

„Was soll ich denn machen? Ich war im Lager und habe nachgesehen, und auf den Tischen ist leider auch nichts mehr. Aber ich verstehe Sie völlig! Ich empfinde es persönlich als Riesenfrechheit, dass Weihnachten jedes Jahr so überraschend kommt. Das kann man doch vorher mal ankündigen und nicht so von jetzt auf gleich Weihnachten feiern. Wir sollten uns zusammentun und uns mal so richtig bei Frau Merkel beschweren.“

Ups, das war nicht gut. Die Kundin verlor total die Fassung und fing nun an sich lautstark aufzuregen:

„Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind?“ Ich antwortete kurz und knapp:

„Na auf jeden Fall nicht Frau Merkel, sonst hätten wir das Problem mit Weihnachten nicht. Ich würde dafür sorgen, dass man es jedem Bürger mindestens drei Wochen vorher per Post ankündigt.“ Ich bemerkte, dass auch dies nicht die Antwort war, die sie hören wollte und sie schrie weiter:

„Also, also …“ Sie rang um Fassung und um Worte. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch meiner Tochter irgendwas zu Weihnachten schenken. Das geht doch nicht.“ Ihr liefen Tränen übers Gesicht und ich fragte mich, ob es nun vor Wut oder Enttäuschung war. Dann geschah wohl so etwas wie ein Weihnachtswunder: Eine ältere Dame kam auf uns zu, die aus ihrem Einkaufswagen einen Schokoladenweihnachtsmann herauskramte und Goldlöckchen in die Hand drückte.